MOBILE JUGENDARBEIT IM GLOBALEN WANDEL ... - ISMO
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WALTHER SPECHT (Hrsg.)<br />
<strong>MOBILE</strong><br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
<strong>IM</strong> <strong>GLOBALEN</strong><br />
<strong>WANDEL</strong><br />
REACHING<br />
THE UNREACHABLE
<strong>IM</strong>PRESSUM:<br />
Herausgeber: Walther Specht<br />
BAND 10 / Erstauflage 2010<br />
Publikationsreihe der Internationalen Gesellschaft für Mobile Jugendarbeit<br />
Dokumentation des 9. Internationalen <strong>ISMO</strong> Symposiums in Stuttgart<br />
Bearbeitung und Übersetzung: Isabel Weigl und Walther Specht<br />
Gestaltung: MARSROT.DESIGN, Lejla Mundjehasic
WALTHER SPECHT (Hrsg.)<br />
<strong>MOBILE</strong><br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
<strong>IM</strong> <strong>GLOBALEN</strong><br />
<strong>WANDEL</strong><br />
REACHING<br />
THE UNREACHABLE
INHALTSVERZEICHNIS<br />
VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 005<br />
GRUSSWORTE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 007<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 008<br />
Klaus-Dieter Kottnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 009<br />
Präsident des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland<br />
Walther Specht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 010<br />
Eröffnungsrede: Mobile Jugendarbeit im globalen Wandel<br />
<strong>MOBILE</strong> <strong>JUGENDARBEIT</strong> IN DEUTSCHLAND . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 015<br />
Siegfried Keppeler, Walther Specht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 016<br />
Sozialraumanalysen als Grundlage Mobiler Jugendarbeit<br />
Werner Kübler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 023<br />
Kontaktaufnahme und Kontaktpflege in der Mobilen Jugendarbeit<br />
Matthias Reuting - Mobile Jugendarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 031<br />
Umsetzung der Arbeitsformen und Arbeitsprinzipien in Deutschland<br />
Walther Specht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 040<br />
Die sozialpädagogische Entwicklung funktioneller Äquivalente<br />
als das Schlüsselkonzept der Mobilen Jugendarbeit<br />
Tom Küchler, Stefan Gillich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 048<br />
Gemeinwesenarbeit und Sozialraumorientierung in der Mobilen Jugendarbeit<br />
Rainer Treptow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 063<br />
Jugend- und Sozialarbeit im internationalen Vergleich<br />
Gabriele Stumpp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 073<br />
Die Definition von Gesundheit und Krankheit: Das salutogenetische Modell
<strong>MOBILE</strong> <strong>JUGENDARBEIT</strong> IN EUROPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 077<br />
Walther Specht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 078<br />
Mobile Jugendarbeit in Europa<br />
Grame Tiffany . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 091<br />
Mobile Jugendarbeit in Großbritannien<br />
Bernard Rodenstein, Colmar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101<br />
Jugendunruhen in Frankreich (quartiers „chauds“) und Reaktionen der Politik<br />
Peter Kulifaj, Slowakische Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104<br />
Mobile Jugendarbeit in der Slowakischen Republik<br />
Jelena Dikova-Favorska, Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110<br />
Umgang mit abweichendem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen<br />
in osteuropäischen Ländern<br />
Zorjana Lukavetska, Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118<br />
Mobile Jugendarbeit in der Ukraine<br />
<strong>MOBILE</strong> <strong>JUGENDARBEIT</strong> WELTWEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123<br />
Irving Spergel, Chicago . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124<br />
Ein gemeinwesenorientierter Ansatz für das Problem der Jugendbanden<br />
Trudee Able-Peterson, Minneapolis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134<br />
Mobile Jugendarbeit in Minneapolis / St. Paul<br />
Davies Okombo, Kisumu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143<br />
Das Konzept der mobilen Jugendarbeit in Kenia<br />
José Alvaro Ruiz, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145<br />
Straßenkinder in Peru und die Möglichkeiten von mobiler Jugendarbeit<br />
SYMPOSIUMS-PROGRAMM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151<br />
DANKSAGUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
EXPERTEN SIND<br />
SICH EINIG:<br />
EINE DER WICHTIG-<br />
STEN <strong>GLOBALEN</strong><br />
ZUKUNFTSAUFGABEN<br />
IN DER ARBEIT<br />
MIT SOZIAL<br />
BENACHTEILIGTEN<br />
KINDERN UND<br />
JUGENDLICHEN<br />
LIEGT IN DER QUALI-<br />
FIZIERUNG SOZIALER<br />
FACHKRÄFTE.
5<br />
VORWORT<br />
Die Internationale Gesellschaft für Mobile Jugendarbeit, <strong>ISMO</strong> e.V. veranstaltete vom 15.<br />
bis 18. September 2008 das neunte Internationale Symposium zur Mobilen Jugendarbeit<br />
mit über 300 Teilnehmenden aus der ganzen Welt. Wir taten dies in der guten Tradition<br />
der bisherigen 8 Symposien, bei denen es stets um die Frage ging, wie die nach der UN<br />
Kinderrechtskonvention immer noch nicht eingelösten Rechte von Straßenkindern und<br />
gefährdeten Jugendlichen durch Mobile Jugendarbeit doch noch Realität werden können.<br />
Diese Fragestellung hatte sich auch zum 9. Symposium nicht verändert.<br />
Mit dem Symposium 2008 in Stuttgart strebten wir die folgenden alten und neuen Ziele<br />
an:<br />
• Förderung eines fachlichen Austausches zwischen Praxis, Forschung und Lehre der<br />
Jugend- und Sozialarbeit auf internationaler Ebene im Hinblick auf wirksame Handlungsansätze<br />
zur Verbesserung der Lebenssituation von gefährdeten Kindern und<br />
Jugendlichen;<br />
• Diskussion des Nutzens und der Übertragbarkeit des internationalen Konzeptes<br />
Mobiler Jugendarbeit im Kontext der gesellschaftlichen, kulturellen und politischen<br />
Strukturen in verschiedenen Ländern;<br />
• Stärkung von bereits erfolgreichen Projekten durch Identifikation und Verbreitung<br />
ihrer wesentlichen konzeptionellen Elemente zur Qualitätsentwicklung in der Arbeit<br />
mit gefährdeten Kindern und Jugendlichen;<br />
• Förderung von Vernetzungsprozessen, die die Kommunikation und strukturelle<br />
Zusammenarbeit von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, Haupt- und<br />
Ehrenamtlichen und von Expertinnen und Experten untereinander möglichst nachhaltig<br />
beeinflussen;<br />
• Sensibilisierung von Regierungen, Politikerinnen und Politikern für die Umsetzung der<br />
UN-Kinderrechtskonvention sowie die<br />
• Bildung von Netzwerken zwischen europäischen und anderen kontinentalen Organisationen<br />
und Experten aus Praxis, Forschung und Lehre zur Anwendung bedarfsgerechter<br />
Qualifizierungsmaßnahmen in der Arbeit mit gefährdeten Kindern und<br />
Jugendlichen.<br />
Dieses Symposium baute sich auf den von der Universität Tübingen und <strong>ISMO</strong> bereits seit<br />
1983 durchgeführten 8 internationalen Symposien zur Mobilen Jugendarbeit auf. Seit<br />
diesem Zeitpunkt ist das Interesse an dem zwischenzeitlich universellen Konzept der Mobilen<br />
Jugendarbeit, insbesondere im Bereich der Sozialpädagogik und Sozialarbeit, weltweit<br />
ständig gewachsen.
6<br />
Das Programm bestand aus Fachbeiträgen namhafter Experten und Expertinnen zu verschiedenen<br />
Themenbereichen. Die Foren und Arbeitsgruppen beinhalteten Themen wie<br />
Bildung, Drogenabhängigkeit, sexuelle Gewalt, Gesundheit, Rechtsextremismus und Jugendgewalt.<br />
Projektbesuche in Stuttgart und Umgebung und Praxisworkshops verschafften<br />
den Teilnehmer/innen einen Überblick über unterschiedliche Umsetzungsmöglichkeiten<br />
der Mobilen Jugendarbeit.<br />
Bei diesem Symposium wurde primär die Frage diskutiert: Wie kann ausgegrenzten Kindern<br />
und Jugendlichen nachhaltig geholfen werden? Hierbei spielt eine wichtige Rolle,<br />
dass in den einzelnen Ländern der Erde zwar vielfach soziale Dienste aufgebaut werden<br />
oder schon vorhanden sind, diese Dienste jedoch die wirklich Hilfebedürftigen nicht erreichen.<br />
Vor diesem Hintergrund wurde auch das Thema des 9. Symposiums ausgewählt:<br />
Reaching the Unreachable. Wie können die schwer oder nicht Erreichbaren dennoch erreicht<br />
werden und Hilfe erhalten? Was muss geschehen, dass Feindseligkeit und Misstrauen<br />
gegenüber einem Street Worker oder Mobilen Jugendarbeiter sich umwandelt in<br />
ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis, um danach gemeinsam kritische Lebenslagen<br />
verbessern zu können?<br />
Das Konzept der Mobilen Jugendarbeit hat darauf eine positive Antwort. Deshalb wird<br />
die von <strong>ISMO</strong> bereits 1983 begonnene Netzwerkarbeit fortgeführt und verstärkt. Dies geschieht<br />
etwa auf der europäischen und afrikanischen Ebene mit der Gründung von regelmäßig<br />
sich austauschenden und unterstützenden Netzwerken. Selbstverständlich wird<br />
das Konzept auch weiterhin mit Kolleginnen und Kollegen aus dem globalen Kontext diskutiert<br />
werden (Nord- und Südamerika, Asien, Australien).<br />
Wir bei <strong>ISMO</strong> hoffen, dass dieses Symposium zum Erreichen der formulierten Ziele einen<br />
wichtigen, das heißt nachhaltigen Beitrag zur Verbesserung der Lebenslage von gefährdeten<br />
Kindern und Jugendlichen geleistet hat. Aufgrund der starken Nachfrage von Teilnehmenden<br />
haben wir hier über die Vorträge hinaus auch Basistexte zur Mobilen<br />
Jugendarbeit aufgenommen.<br />
Bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie bei den Förderern des Symposiums<br />
möchte ich mich für Ihre Vorbereitungen, Beiträge, Poster, Abstracts, Bilder, Diskussionsbeiträge<br />
und finanzielle Unterstützung sehr herzlich bedanken.<br />
Prof. Dr. Walther Specht<br />
<strong>ISMO</strong> Vorsitzender
GRUSSWORTE
8<br />
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Symposium der Internationalen Gesellschaft<br />
für Mobile Jugendarbeit in Stuttgart sende ich meine herzlichen Grüße.<br />
Sie befassen sich mit einem bedrückenden Thema, das uns nicht ruhen lassen kann und<br />
darf. Weltweit leben unzählige Kinder und Jugendliche am Rande der Gesellschaft. Sie<br />
wachsen auf der Straße auf, wo sie täglich ums Überleben kämpfen müssen. Oft sind klassische<br />
Hilfsstrukturen nur wenig geeignet, diese jungen Menschen wieder in die Gesellschaft<br />
zu integrieren.<br />
Mobile Jugendarbeit weist in eine neue Richtung. Sie geht direkt auf Kinder und Jugendliche<br />
zu, ist präsent an den Orten, wo sie sich aufhalten, knüpft Kontakte und bietet individuelle<br />
Hilfe an: ein warmes Essen, ein Dach über dem Kopf oder ein Bildungsprojekt.<br />
Wer in der Mobilen Jugendarbeit aktiv ist, der weiß: Integrationserfolge hängen letztlich<br />
davon ab, ob und inwieweit sich die jungen Menschen angesprochen und ernst genommen<br />
fühlen und damit Hilfe akzeptieren. Daher versucht Mobile Jugendarbeit, ihr Vertrauen zu<br />
gewinnen. Das kann nur durch Zuwendung gelingen. Sicher erfordert dies viel Geduld und<br />
Einfühlungsvermögen. Doch es ist jede Mühe wert, ausgegrenzten und traumatisierten<br />
Kindern und Jugendlichen Perspektiven für ein hoffnungsfrohes Leben zu eröffnen.<br />
So wünsche ich Ihnen, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern am <strong>ISMO</strong>-Symposium, dass<br />
Sie aus diesen Tagen in Stuttgart viele neue Anregungen und Ideen zur wirkungsvollen<br />
Unterstützung junger Menschen mit nach Hause nehmen können.
9<br />
Klaus-Dieter K. Kottnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Präsident des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland<br />
Sehr geehrten Damen und Herren,<br />
nach Symposien in Deutschland, der Schweiz, Russland und auch in Chile sowie in Afrika<br />
findet das 9. <strong>ISMO</strong> Symposium diesmal wieder in Stuttgart statt, und hier schließt sich<br />
der Kreis, der mit dem ersten Symposium 1983 an der Universität Tübingen, 1991 in Stuttgart<br />
und der <strong>ISMO</strong> Gründung 1992 seinen Anfang genommen hat.<br />
Ich freue mich, dass die Internationale Gesellschaft für Mobile Jugendarbeit als Fachverband<br />
des Diakonischen Werkes der EKD es damit geschafft hat, Ansätze und Methoden sozialer<br />
Arbeit weltweit zu diskutieren und dabei neue Impulse zu setzen, aber auch zu<br />
erhalten. Für die Diakonie ist die Mobile Jugendarbeit ein gutes Beispiel dafür, dass die<br />
Sozialarbeit hinausgehen muss zu den Menschen in schwierigsten Lebenslagen, dass sie<br />
sich ganz individuell um diese Menschen kümmert, aber auch das Gemeinwesen im Blick<br />
behält. Dies hat in der Diakonie Tradition: Bereits Wichern, dessen 200. Geburtstag wir in<br />
diesem Jahr feiern, nahm sich in besonderer Weise den Straßenkindern sowie straffälligen<br />
Jugendlichen an. Damals wie heute hat in der Diakonie die Integration der Jugendlichen<br />
in die Gesellschaft höchste Priorität. Diesem Ziel ist auch <strong>ISMO</strong> verpflichtet.<br />
Stuttgart als Veranstaltungsort des 9. Symposiums ist dabei sicher gut gewählt, weil es<br />
durch die Exkursionen auch zu zeigen gilt, dass in einer vermeintlich reichen Stadt Kinder<br />
und Jugendliche dennoch in ganz unterschiedlicher Weise gefährdet sind. "Reaching the<br />
Unreachable" ist dabei ein exzellenter Slogan, um darauf hinzuweisen, dass wir nicht<br />
nachlassen dürfen, für die Menschen in schwierigen Situationen da zu sein. Gerade in der<br />
Mobilen Jugendarbeit gibt es viele Hinweise auf Erfolge, die man vorher für unmöglich gehalten<br />
hat. Von daher möchte ich allen Beteiligten am 9. Symposium Mut machen, nicht<br />
die Hoffnung auf eine bessere und gerechtere Welt aufzugeben.<br />
Ich wünsche dem Symposium viel Erfolg.
10<br />
<strong>MOBILE</strong><br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
<strong>IM</strong> <strong>GLOBALEN</strong><br />
<strong>WANDEL</strong><br />
Walther Specht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Eröffnungsrede im Neuen Schloss in Stuttgart<br />
Verehrte Frau Ministerin des Landes Baden-Württemberg, Dr. Monika Stolz, verehrte Frau<br />
Solinger, ehemalige Sozialministerin von Baden Württemberg, liebe Helga, Herr Bürgermeister<br />
der Stadt Stuttgart, Dr. Martin Schairer, verehrte Vertreter des Gemeinderats der<br />
Stadt Stuttgart und des Baden-Württembergischen Landtags, meine sehr verehrten<br />
Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt!<br />
Ich freue mich sehr, dass Sie die Einladung zum 9. <strong>ISMO</strong> Symposium und zu unserem Empfang<br />
heute Abend angenommen haben und hierher gekommen sind. Den Unterstützern,<br />
Spendern und Förderern des Symposiums sage ich im Namen der Veranstalter herzlichen<br />
Dank! Es sind dies: Aktion Mensch, die Robert Bosch Stiftung, Brot für die Welt, Misereror,<br />
Daimler AG, Herma Etiketten, Terre des hommes in Verbindung mit der Volkswagenstiftung,<br />
Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend, Sozialministerium<br />
Baden-Württemberg, Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg,<br />
Stadt Stuttgart, Caritas Stuttgart, Evangelische Gesellschaft Stuttgart, Mobile Jugendarbeit<br />
Stuttgart, Diakonisches Werk Württemberg und der Diakonie Bundesverband.<br />
Der Titel unseres Symposium zur Mobilen Jugendarbeit lautet: „Reaching the Unreachable“.<br />
Was wollen wir damit zum Ausdruck bringen? Oberflächlich betrachtet ist die Antwort<br />
darauf sehr einfach: Wenn die „schwer Erreichbaren“ nicht zu uns in die Beratungsstelle<br />
kommen, gehen wir zu ihnen hin.<br />
So beginnt Street Work fast überall auf der Welt. Doch ein „warmes“ Gespräch auf der
11<br />
Straße allein, führt meist nicht sehr weit. Da muss mehr kommen. Eine wirksame und<br />
nachhaltige Verbesserung der Lebenslage von Straßenkindern und gefährdeten Jugendlichen<br />
bedarf längerer Wege, größerer Anstrengungen.<br />
Die „Unerreichbaren“ erreichen heißt für uns, sich seelisch verletzten und ausgegrenzten,<br />
aber auch misstrauischen und aggressiven Kindern und Jugendlichen auf der ganzen<br />
Welt professionell zuzuwenden. Wir tun dies mit dem fachlichen Konzept der Mobilen Jugendarbeit.<br />
Wir bieten dieser Zielgruppe unsere längerfristige Unterstützung und kritische<br />
Solidarität an.<br />
Da sich das Konzept jedoch noch nicht überall in Deutschland, in Europa, in der Welt<br />
durchgesetzt hat und zu einem zentralen Thema der jeweiligen lokalen, regionalen oder<br />
nationalen Jugendpolitik geworden ist, wollen wir mit diesem Symposium dazu einen Beitrag<br />
leisten.<br />
Bei der Formulierung des neuen Kinder- und Jugendhilfegesetzes 1988 haben wir es leider<br />
nicht geschafft, den Begriff „Mobile Jugendarbeit“ ins Gesetz zu schreiben. Vieles<br />
wäre heute einfacher. Also eine noch unerledigte Aufgabe. Worin sehen wir bei diesem<br />
neunten internationalen Symposium zur Mobilen Jugendarbeit das Besondere?<br />
Lassen Sie mich bitte dazu ganz kurz ausholen.<br />
Wir alle leben heute, an jedem Ort unserer wunderschönen Erde, in einer Situation voller<br />
Gefahren und Risiken. Ich meine die ungewollt selbst gemachten Risiken, aber auch gewollte<br />
Risiken. Der Begriff der Risikogesellschaft - von Ulrich Beck geprägt – ist uns allen<br />
schon seit 1986 bekannt.<br />
In seinem neusten Buch spricht er unter einer stärker globalen Perspektive von der Welt-<br />
Risikogesellschaft. Was meint er damit?<br />
Nun es geht um die uns allen bekannten Gefahren und Risiken mit der<br />
• Atomtechnologie,<br />
• die drohende Klimakatastrophe,<br />
• die unkontrollierbar gewordene Macht internationaler Konzerne und Finanzströme<br />
und um<br />
• den Terrorismus.<br />
Diese Risiken, die nicht unser primäres Konferenzthema sind, führen jedoch zu einer verstärkten<br />
öffentlichen Sicherheitsdebatte, zu ordnungspolitischen Auseinandersetzungen<br />
um den öffentlichen Raum, die auch Auswirkungen für das von uns vertretene Konzept<br />
der Mobilen Jugendarbeit haben. Dies geschieht völlig unabhängig davon, ob wir bei unserer<br />
Arbeit diesen Zusammenhang sehen oder leugnen. So wird beispielsweise sehr viel<br />
mehr in milliardenschwere Sicherheitstechnologie investiert als in dringend notwendige<br />
außerschulische Bildungsarbeit, Jugendhilfe oder direkt in Mobile Jugendarbeit.
12<br />
Mobile Jugendarbeit ist heute dennoch ein professionelles Konzept sozialer Arbeit auf<br />
der ganzen Welt. Es kommt selbstverständlich in unterschiedlichen Kleidern und mit unterschiedlichen<br />
Inhalten daher. Nicht immer firmieren Ansätze, die die Grundideen aufgreifen,<br />
auch unter diesem Namen. Diese Formen Mobiler Jugendarbeit wollen wir uns<br />
hier beim Symposium gegenseitig vorstellen und erörtern. Vergleiche von Ansätzen Mobiler<br />
Jugendarbeit in Stuttgart-Hallschlag mit Ansätzen in Tscheljabinsk, Rio des Janeiro,<br />
Paris, Dresden, London, Shitomir, Sibiu, Kisumu oder mit Ansätzen in der South Side von<br />
Chicago, wo neben Irving Spergel und Bruce Willems auch schon Barak Obama gearbeitet<br />
hat, werden wir hier anstellen.<br />
Wir wollen dies tun in der guten Tradition der bisherigen 8 internationalen Symposien<br />
zur Mobilen Jugendarbeit seit 1983. Bei ihnen ging es uns stets um eine Zusammenschau<br />
von theoretischen, praktischen und sozial-politischen Entwicklungen im weiten Feld gefährdeter<br />
Kinder und Jugendlicher. Unterschiedliche und wahrscheinlich sogar gegensätzliche<br />
Perspektiven werden dabei deutlich werden. Das ist gut so. Wir wollen den<br />
Diskurs, auch und gerade im globalen Zeitalter des Internets, da etwa durch eine aufkommende<br />
Google Weltbibliothek, theoretisch alle die gleiche Fachliteratur lesen können.<br />
Diesen Fachdiskurs wollen und müssen wir deshalb führen, weil wir angesichts der kritischen<br />
Lebenslagen von über 100 Millionen bedrohten Kindern und Jugendlichen in der<br />
Welt verantwortlich handeln und unsere Regierungen entsprechend beraten und beeinflussen<br />
wollen. Armut und Ausgrenzung bilden fast überall die Ausgangslagen für die Zielgruppen<br />
der Mobilen Jugendarbeit. In den nächsten 3 Tagen werden daher unterschiedliche<br />
Situationen und Entwicklungen in den einzelnen Städten, Ländern und Kontinenten in<br />
historischer, kultureller und politischer Hinsicht zu Wort kommen.<br />
Damit ist aber nicht einer interessanten Beliebigkeit das Wort geredet. Denn was uns bei<br />
aller Unterschiedlichkeit vereinigt oder zumindest vereinigen sollte, ist die Überzeugung,<br />
dass wir uns allen gefährdeten Kindern und Jugendlichen in der einen Welt auf einer subjektorientierten<br />
Grundlage zuwenden. Weiter gibt es für eine gemeinsame internationale<br />
Handlungsbasis die Kinder- und Jugendrechtskonvention der Vereinten Nationen. Mit ihr<br />
haben wir eine von fast allen Ländern der Erde unterzeichnete Werte- und Rechtsgrundlage.<br />
Selbstverständlich können auch religiöse Werte die Grundlage unseres Handelns bilden.<br />
So sehe ich beispielsweise hier im Saal viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Stuttgarter<br />
ökumenischen Ansatz der Mobilen Jugendarbeit. Katholische und evangelische Kirchengemeinden<br />
bilden dabei gemeinsam lokale Stadtteilträgergruppen für Mobile<br />
Jugendarbeit, so dass die Kollegen und Kolleginnen entweder bei der Caritas oder bei<br />
der Evangelischen Gesellschaft angestellt sind. Schließlich sind ja auch christliche Werte<br />
in die Formulierungen der UN-Kinderrechtskonvention eingeflossen.
13<br />
Wo liegen nun auf einer Ebene mittlerer Reichweite die Risiken und Gefahren, aber auch<br />
die Chancen für die Mobile Jugendarbeit?<br />
Angesichts der erwähnten unabsichtlich oder absichtlich hergestellten Risiken und Unsicherheiten<br />
für jeden Ort der Erde, für jeden Menschen auf der Erde hat das Thema Sicherheit<br />
und Kontrolle eine noch nie da gewesene Bedeutung in unserer gegenwärtigen<br />
modernen Gesellschaft erlangt.<br />
Dieser gewaltige Schub durch die möglicherweise unkontrollierbaren Weltrisiken für das<br />
Thema Sicherheit dringt schon seit geraumer Zeit immer mehr auch in soziale Alltagsbereiche<br />
der Menschen ein und breitet sich fast unwidersprochen aus. Denken Sie etwa an<br />
die tausendfach in unseren Städten installierten Überwachungskameras. Sicherheit und<br />
Ordnung – eine primäre Aufgabe des Staates für seine Bürgerinnen und Bürger – wird<br />
dabei immer mehr privatisiert. Nicht nur private Versicherungsgesellschaften bieten neue<br />
Risikoabsicherungen an, sondern auch private Sicherheitsdienste der Gefahrenindustrie<br />
weichen das Gewaltmonopol des Staates auf und schaffen damit neue Unsicherheiten.<br />
Je größer jedoch ein denkbarer Schaden sein kann, umso weniger sind diese Vertreter der<br />
Gefahrenindustrie in der Lage, das Risiko abzusichern und einen möglichen Schaden zu<br />
kompensieren (Ulrich Beck).<br />
Wo nun schon im Falle der privaten Sicherheitsdienste, beispielsweise von ratlosen Kommunalpolitikern<br />
beschlossen, „Schwarze Sheriffs“ zur Lösung von Jugendproblemen an<br />
Schulen und an jugendlichen Trefforten eingesetzt werden, ist eine erzieherische und jugendpolitische<br />
Bankrotterklärung der Verantwortlichen bereits unübersehbar geworden.<br />
Wie kann diese Entwicklung gestoppt werden? Ist sie überhaupt noch zu stoppen? Welche<br />
Alternativen haben wir? Wie könnten solche Prozesse der Veränderung, die die Lebenslagen<br />
von gefährdeten Kindern und Jugendlichen konkret verbessern, aussehen?<br />
Wir alle haben gelernt, kritische Lebenssituationen von Kindern und Jugendlichen zu erkennen,<br />
zu analysieren und gegenüber den Verantwortlichen für diese Situationen, Widersprüche<br />
und Forderungen zu formulieren. Wir tun dies beispielsweise in Feld-, Stadteiloder<br />
Sozialraumanalysen. Wir wissen aber genauso, dass dies allein in den allermeisten<br />
Fällen nicht ausreicht und ein zweiter Schritt folgen muss. Mobile Jugendarbeiter und<br />
Mobile Jugendarbeiterinnen müssen daher fast überall zum „schlecht Vorhandenen“ die<br />
konkurrierende Kraft von sozialpädagogischen Alternativen inszenieren und soziales Kapital<br />
entfalten. Dies bedeutet: Street Work, Einzelhilfe, Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit.<br />
Mobile Jugendarbeit organisiert Anerkennung und baut durch Gruppenarbeit und<br />
Gemeinwesenarbeit informelle Sozialkontrolle auf. Formale Kontrolleure wie Polizei, Ordnungs-<br />
und Sicherheitsdienste werden dann weniger benötigt und gefordert.
14<br />
Sie haben gehört oder gelesen, dass unsere Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel die<br />
Schirmherrschaft für dieses Symposium übernommen hat. Warum wohl, haben Sie sich<br />
gefragt. In einem Brief an die Veranstalter dieses Symposiums schreibt sie unter anderem:<br />
Die Mobile Jugendarbeit ist in Deutschland im Rahmen der sozialpädagogischen Arbeit<br />
mit gefährdeten Jugendlichen nicht mehr wegzudenken.<br />
Sie zieht diesen Schluss aus den ihr immer wieder vorliegenden Berichten aus der Praxis.<br />
Dennoch: Mobile Jugendarbeit ist in seiner Entstehungsgeschichte nicht der Weitsichtigkeit<br />
der Regierenden oder der Parlamentsdebatten entsprungen – schon gar nicht den Kathedralen<br />
der Macht in Wirtschaft, Wissenschaft, Staat und Medienlandschaft. Sie musste<br />
sich vielfach durch Betroffene, soziale Experten und Bewohner gegen diese Einflusszonen<br />
durchsetzen. Und sie kann es. Sie hier im Saale sind der lebende Beweis dafür. Wir wissen<br />
trotzdem: Mobile Jugendarbeit wird in Deutschland, in Europa, in der Welt immer noch an<br />
seiner notwendigen Ausbreitung durch den geballten Widerstand einer gut organisierten<br />
Ignoranz behindert. Es gibt zu wenig kommunale und landespolitische Förderprogramme.<br />
Ein Bundesprogramm ist – trotz unserer Schirmherrin – bislang nicht in Sicht. Wir müssen<br />
daher auf dem Weg bürgerschaftlichen Engagements nicht nur lokale, regionale und nationale<br />
Allianzen schmieden, sondern auch auf europäischer und globaler Ebene ein kosmopolitisches<br />
Netzwerk für Mobile Jugendarbeit schaffen und ein Fegefeuer von<br />
Gegenmeinungen zur Dominanz von repressiv kontrollierenden Maßnahmen entfachen.<br />
Wir sind hier zusammen gekommen, weil wir ausgegrenzten Kindern und Jugendlichen,<br />
die besondere soziale Schwierigkeiten haben, einen Weg zur Integration in ihre Bezugsgruppe<br />
aufzeigen und mit ihnen zusammen Anerkennung, Teilhabe, Respekt und Reintegration<br />
organisieren wollen. Mobile Jugendarbeit kann dies.<br />
Solidarität und Sozialschutz für gefährdete Kinder und Jugendliche muss in Deutschland,<br />
in Europa, in der Welt zu einem allgemein anerkannten Wert werden. Die Kinderrechtskonvention<br />
muss überall Wirklichkeit werden.<br />
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
<strong>MOBILE</strong><br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
IN DEUTSCHLAND
16<br />
SOZIALRAUM-<br />
ANALYSEN<br />
ALS GRUNDLAGE<br />
<strong>MOBILE</strong>R<br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
Siegfried Keppeler / Walther Specht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Mobile Jugendarbeit wird häufig auf der Basis einer lokalen Bedarfsanalyse durchgesetzt<br />
und muss sich stets in seiner Konzeptbegründung auf jeweils vor Ort erhobene quantitative<br />
und qualitative Daten stützen können. Als ein ursachen- und erfolgsorientiertes Konzept<br />
kommt es daher nicht aus ohne eine relativ genaue Kenntnis der Lebenslage und der<br />
subjektiv definierten Lebenswelt von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen.<br />
Die relativ genaue Beschreibung der Ausgangssituation eines geplanten oder schon laufenden<br />
Praxisprojektes für und mit gefährdeten Kindern und Jugendlichen in ihrem jeweiligen<br />
Milieu hat im Blick auf das angestrebte strategische und pädagogische Ziel der<br />
Durchsetzung und Durchführung eine hohe lokal-politische Bedeutung.<br />
Ein Höchstmaß an Partizipation und Selbstorganisation der jeweiligen Zielgruppe ist bei<br />
dieser Feldforschung anzustreben. Dies ist ebenso wichtig wie die Kooperation mit allen<br />
beteiligten Institutionen, wie Verwaltung, soziale Dienste öffentlicher und freier Träger<br />
und Kontrollinstanzen. Die früheste mögliche Beteiligung der angestellten Mitarbeiter/innen<br />
ist ebenfalls anzustreben. Diese sollten wissen, wo, wie, mit wem und wann<br />
sie mit ihrem Hilfeprozess gestartet sind und warum. Für sie ist es im jeweils konkreten<br />
Fall dringend erforderlich vor Ort konzeptionelle Klarheit zu bekommen und Mobile Jugendarbeit<br />
auch in den Kontext von Stadtplanung und kommunaler Jugendhilfeentwicklung<br />
zu stellen. Feldanalysen, Stadteilanalysen oder Sozialraumstudien durchzuführen
17<br />
muss zu einer unbedingten Voraussetzung für jeden Träger der Behinderten- und Jugendhilfe<br />
werden.<br />
Da sich in vielen europäischen Kommunen Jugendhilfeangebote für Straßenkinder und<br />
Straßenjugendliche – wenn sie tatsächlich existieren - häufig in den City-Zentren oder auf<br />
Bahnhöfen befinden und dort jeweils wichtige Überlebenshilfen leisten, geht bei diesen<br />
Ansätzen nicht selten der Blick dafür verloren, woher diese Kinder und Jugendlichen<br />
kommen. Verfolgt man diese Frage konsequent, stößt man sehr rasch auf riesige Wohnquartiere,<br />
„Schlafstädte“ und Plattenbausiedlungen, in denen ihre Eltern, Mütter, Väter,<br />
Herkunftsfamilien noch (teilweise) leben und wohnen und wo ihre Ausgrenzungsprozesse<br />
und Gewalterfahrungen ihren Ursprung haben und wohin die meisten von ihnen – trotz<br />
alledem – auch immer wieder zurückkehren. Kinder-, Jugend-, Behinderten- und Familienhilfe<br />
dort zu organisieren, wo die Probleme entstehen, könnte auch ein wichtiges Ergebnis<br />
einer Sozialraumanalyse sein. Selbstverständlich sind etwa bei schwerst- und<br />
mehrfachbehinderten Kindern und Jugendlichen teilstationäre und stationäre überregionale<br />
Hilfeangebote gesondert zu berücksichtigen, jedoch stets auch sozialräumlich zu<br />
betrachten.<br />
ZUR ALLGEMEINEN BEDEUTUNG UND FUNKTION SOZIALRÄUMLICHER DATEN<br />
Sozialraumanalysen allgemein betrachtet haben unterschiedliche Funktionen. Sie können<br />
dazu dienen:<br />
• Spezifische räumliche Verteilungsmuster hinsichtlich sozialer Ungleichheit und Unterversorgungslagen<br />
im Querschnitt und Zeitverlauf bestimmter Bewohnergruppen<br />
wie Schichten, Milieus und Ethnien bspw. im Kontext von Segregation oder Abschottung<br />
ebenso wie bspw. die Verteilung sozialer Dienstleistungen wahrzunehmen;<br />
• Zusammenhänge zu sehen zwischen den von Menschen gestalteten Räumen (Architektur,<br />
Stadtplanung, Wohnungspolitik) und den in ihnen lebenden Menschen, ihren<br />
sozialen Handlungen, kommunikativen Prozessen und spezifischen Bewältigungsstrategien;<br />
• die Dichte und Qualität sozialer Infrastrukturleistungen in den Sozialräumen wahrzunehmen<br />
und die spezifischen Unterstützungsleistungen für bestimmte Personengruppen<br />
zu erkennen;<br />
• den Bedarf nach Unterstützung oder Versorgung spezifischer Bewohner- und Zielgruppen<br />
oder im Sozialraum auffälliger Gruppierungen (Cliquen, Gangs) zu klären;<br />
• Mögliche Unterstützungs- oder Infrastrukturleistungen festzustellen und Grundlagen<br />
für die Angebots- und ggf. Konzeptionsentwicklung einzelner Maßnahmen und Projekte<br />
zu entwickeln;
18<br />
• die sozialräumliche Reflexion der Gemeindearbeit zu erleichtern indem sowohl für<br />
den Analysebereich als auch für die Planung von Projekten oder Interventionen fachlich<br />
ausgewiesene Grunddaten vorliegen;<br />
• den Prozess der Datenerhebung zu nutzen, um das Außenbild der Kirchengemeinde<br />
im Spiegel unterschiedlicher Akteur/innen wahr zu nehmen und dies für die interne<br />
Reflexion und Gemeindeentwicklung zu nutzen;<br />
• im Rahmen des Erhebungsprozesses zu wichtigen Institutionen und Vertreter/innen<br />
im Sozialraum Kontakt aufnehmen zu können, mit ihnen in Austausch zu treten über<br />
Fragen sozialräumlicher Ressourcen- und Problemwahrnehmungen und ggf. gemeinsame<br />
Ansatzpunkte für Kooperationen zu entdecken.<br />
ANMERKUNGEN ZU DEN DATEN VON SOZIALRAUMANALYSEN (SRA)<br />
Sozialraumanalysen führen je nach Ziele und Funktion, die mit der SRA verknüpft sind, unterschiedliche<br />
Datenbestände zusammen. Ebenso richtet sich das Instrumentarium, wie,<br />
welche Daten erhoben werden an der spezifischen Erwartung aus, die mit dem Vorhaben<br />
„SRA“ verbunden sind.<br />
Grundsätzlich lassen sich Daten idealtypisch unterscheiden:<br />
Quantitative Daten zielen darauf, verallgemeinerbare Aussagen zu einzelnen Phänomenen<br />
zu machen. Indem Einzeldaten zusammengeführt werden (einzelne Fragen, einzelner<br />
Fragebogen o.ä.) und zu „Datenbündel“ aggregiert werden, entsteht ein „repräsentatives“<br />
(Ab)-Bild der Wirklichkeit – so die Annahme. Quantitative Verfahren arbeiten vor allem<br />
mit Methoden der standardisierten Datenerhebung und statistischer Auswertungsverfahren.<br />
Qualitative Daten zielen darauf den Blick auf das Subjekt und auf seine spezifische Sichtweise<br />
„seiner“ Wirklichkeit zu werfen. Diese Daten verweisen in erster Linie auf die subjektive<br />
Wahrnehmung und Deutung von Phänomenen der befragten Personen. Qualitative<br />
Verfahren arbeiten im methodischen Konzept vor allem mit Einzel- oder Gruppeninterviews<br />
oder auch mit Beobachtungs- und Erkundungsverfahren.<br />
EXKURS: „LEBENSLAGE“ UND/ODER „LEBENSWELT“?<br />
Lebenslage<br />
Der Lebenslagenbegriff kommt ursprünglich aus der sozialpolitischen Debatte der 50er<br />
Jahre im letzten Jahrhundert. Er bezeichnet damit den Spielraum, der dem einzelnen für<br />
die Befriedigung seiner materiellen und immateriellen Bedürfnisse zur Verfügung steht.<br />
Ausschlaggebend hierfür sind u.a. das Versorgungs- und Einkommensniveau, Kontakt-
19<br />
möglichkeiten, Lern- und Erfahrungsräume, Möglichkeiten zur Regeneration sowie<br />
Dispositions- und Partizipationschancen. Dieses Konzept macht deutlich, dass unterschiedliche<br />
sozialstrukturelle Dimensionen zur Beschreibung von Lebenslagen herangezogen<br />
werden müssen. So verweist die Anwendung dieses Ansatzes in der<br />
Armutsforschung darauf, dass neben dem nach wie vor bedeutsamen Einkommen weitere<br />
relevante Lebensbereiche berücksichtigt werden müssen, wie Arbeit, Bildung, Wohnung,<br />
Freizeit und Versorgung mit sozialen bzw. gesundheitlichen Diensten, um die tatsächlichen<br />
Lebensumstände abzubilden.<br />
Wenn im Rahmen von Sozialraumanalysen vor allem Strukturdaten im obigen Sinne erhoben<br />
werden, diese ergänzt werden durch Daten der Versorgung mit Wohnraum und<br />
Dienstleistungen, der Arbeitslosenquote oder Alleinerziehendendaten, dann bewegen wir<br />
uns im Bereich der Lebenslagenanalyse.<br />
Wie Menschen mit diesen sozialstrukturellen Bedingungen zurecht kommen, welche Risiken<br />
sie zu bewältigen haben, wo sie scheitern und welche Unterstützungsleistungen sie<br />
davor bewahren könnten, können mit diesen Verfahren nicht ermittelt werden. Diese Perspektive<br />
eröffnet der Zugang über die Lebenswelt.<br />
Lebenswelt<br />
Unter Lebenswelt ist nicht einfach die natürliche Umwelt von Menschen zu verstehen. Sie<br />
ist vielmehr Teil des Subjektes selbst. Sie stellt einen Horizont der Selbstverständlichkeiten<br />
dar, von denen Menschen ausgehen und in denen sie sich bewegen. Die Lebenswelt<br />
ist kulturell bestimmt und sozial: in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Gleichaltrigengruppe,<br />
im Verein, in der Kirchengemeinde. Begeben sich Außenstehende in einen solchen<br />
Horizont, treten sie in einen Verständigungsprozess ein, ohne dabei ihren eigenen Erfahrungshintergrund<br />
aufzugeben. Eine professionelle Datenerhebung im Rahmen qualitativer<br />
Interviews zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, diese Verständigung einzuleiten, zu<br />
strukturieren und zu unterhalten und dabei zielwirksam voranzukommen.<br />
Mit lebensweltorientierter Sozialer Arbeit soll ein „gelingender Alltag“ ermöglicht werden.<br />
Hans Thiersch hat sein Konzept der Alltags- und Lebensweltorientierung insbesondere<br />
für die Jugendhilfe erläutert: Sie soll sich auf die Vielfältigkeit und Komplexität gegebener<br />
Lebenserfahrungen und Lebensprobleme beziehen, kompensatorisch wirken, um gegebene<br />
Ungleichheiten, Schwächen, Benachteiligungen zu beheben und zur Bewältigung<br />
von Belastungen beitragen. Soziale Arbeit leistet in diesem Sinne Hilfe zur Lebensbewältigung.<br />
Dabei orientiert sie sich am Alltag der Menschen und begibt sich in deren Horizont<br />
des Denkens und Handelns. Alltäglichkeit versteht Thiersch als einen Handlungsmodus in<br />
den konkreten Konstellationen der Familie, der Schule, der Arbeitswelt und Freizeit. Dabei<br />
hält sich der professionell Handelnde an die Erfahrungen der Leute in ihren alltäglichen
20<br />
Bezügen und verbindet sie mit seinen Wahrnehmungen der Zustände, in denen gelebt<br />
wird und in denen die praktischen Aufgaben bewältigt werden.<br />
VERKNÜPFUNG VON DATEN ZUR LEBENSLAGE UND LEBENSWELT<br />
Sozialraumanalysen lassen sich als der Versuch professioneller Bemühungen begreifen,<br />
Daten zu Lebenslage von Menschen in einem definierten Sozialraum mit lebensweltlichen<br />
Daten und Hinweisen zu verknüpfen. Diese werden in einem kommunikativen Prozess zwischen<br />
den betroffenen Menschen (Subjekten) und den Lebensweltexperten sozialer Dienste<br />
miteinander verbunden. Demnach bemühen sich Sozialraumanalysen immer um beide<br />
Dimensionen und suchen nach Verknüpfungen oder Kontrastierungen beider Daten- bzw.<br />
Wissensbestände. Die folgenden methodischen Zugangsweisen zur Datenerhebung sind<br />
hilfreich:<br />
Ein erster Zugang erschließt sich durch den subjektiven Blick des Betrachters auf den<br />
Sozialraum im Rahmen von Stadtteilbegehungen oder Stadtteilerkundungen, die geführt<br />
oder hypothesengeleitet sein können. Informationen zur historischen Entwicklung<br />
des Sozialraums tragen zum Verständnis, aber auch zu weiterführenden Fragen<br />
bei.<br />
Ein zweiter Zugangsweg gelingt über die Datenerhebung, bzw. Sichtung und Ordnung von<br />
Strukturdaten zur Bevölkerungsstruktur, zu einzelnen sozialen Indikatoren, zu Bau-, Verkehrs-<br />
und Wirtschaftsdaten. Diese werden mit Rückgriff auf bereits vorliegende Statistiken<br />
und Daten zusammengestellt oder durch gezielte Kontaktaufnahme mit Expert/innen<br />
ermittelt.<br />
Ein dritter Zugang erfolgt je nach Fragestellung und Zielgruppen-Orientierung im Rahmen<br />
von Expertinneninterviews, die deren Wahrnehmungen und Einschätzungen zu sozialraumbezogenen<br />
Fragestellungen zum Gegenstand haben. Die Qualität von Expertendaten<br />
unterscheidet sich zu den Lebenslagen- oder Lebensweltdaten darin, dass Expertinnen<br />
häufig auf einen Wissenskanon zurückgreifen, der von Erklärungen, empirischen Belegen<br />
und Fachwissen gespeist ist, das vor allem mit Erkenntnissen zu Risiken des Scheitern, Mustern<br />
der Bewältigung und Möglichkeiten der Intervention angefüllt ist und zum Teil „garniert“<br />
wird mit intuitivem Alltagswissen, biografischen Erfahrungen oder Beispielen aus<br />
deren Umfeld. Dies erschwert die Bewertung dieser Daten.<br />
Ein weiterer Weg in die lebensweltliche Dimension und zu einem besseren Verstehen von<br />
Menschen im Sozialraum sind Formen teilnehmender Beobachtung, Einzelgespräche oder
21<br />
Interviews mit konkreten Betroffenen wie benachteiligte Zielgruppen, sozial Auffällige<br />
oder Benachteiligte oder schlicht „kulturell Fremde“.<br />
Die Auswahl von Fragen zur Datenerhebung ist eng gekoppelt an die Fragestellung, die im<br />
Rahmen der Sozialraumanalyse beantwortet werden sollen. Wozu soll die Sozialraumanalyse<br />
dienen? Damit lässt sich eine Art Entscheidungspfad markieren, der vor allem auch<br />
dazu dienen soll, irrelevante Daten wegzulassen. Hier einige mögliche Fragestellungen:<br />
Was ist der Anlass, der mich zum Thema Sozialraumanalyse führt? Ist es nur mein Thema<br />
oder könnte es auch anderer interessieren?<br />
• Welche Ziele möchte ich mit der Sozialraumanalyse verfolgen?<br />
• Welche sozialräumlichen Fragen müssten beantwortet werden, wenn ich diese Ziele<br />
ereichen möchte?<br />
• Wie kann ich das, was ich brauche, aber noch nicht weiß, mit möglichst geringem Aufwand<br />
erreichen?<br />
• Was muss ich mir persönlich im Sozialraum erschließen?<br />
• Welche Lebenslagendaten (Statistiken, Strukturdaten etc.) brauche ich, wo bekomme<br />
ich die Daten her?<br />
• Welche Lebensweltdaten brauche ich von welchen Personengruppen; wie komme ich<br />
an diese Menschen ran?<br />
• Welche Expert/innen könnten für die Beantwortung der Fragen hilfreich sein? Wie<br />
komme ich an sie ran?<br />
• Wie dokumentiere ich? Wen könnten die Ergebnisse interessieren? Wie muss die Dokumentation<br />
und Präsentation dazu aussehen?<br />
• Welche positiven Wirkungen könnten von der SRA ausgehen? Was kann ich dazu beitragen,<br />
dass diese Option genutzt wird?<br />
Ist das Ziel der Sozialraumanalyse die Planung und Durchführung eines neuen Projektes<br />
Mobile Jugendarbeit oder die Analyse eines schon bestehenden Projektes nach dem Konzept<br />
der Mobilen Jugendarbeit, ist damit auch schon ein zentraler Entscheidungspfad für<br />
das Weglassen oder Hinzufügen potentieller Daten gegeben. In der jugendpolitischen Debatte<br />
auf der kommunalen Ebene spielt jedenfalls die Sozialraumanalyse eine gewichtige<br />
Rolle, da sie für das sozialpädagogisch Kommende eine empirische Grundlage für Entscheidungen<br />
schafft. Für den Träger eines Projektes Mobiler Jugendarbeit und natürlich<br />
auf für seine Mitarbeiter/innen ist die Sozialraumanalyse auch ein wichtiges Element bei<br />
der Evaluation der durchgeführten Praxis nach bestimmten Zeiträumen. In der Rückschau<br />
nach einer gewissen Praxisphase kann der Ausgangspunkt stets relativ genau rekonstruiert<br />
und Veränderungen – etwa auch durch eine Fortschreibung der Sozialraumanalyse –<br />
festgestellt werden.
22<br />
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Blinkert,B. 1993: Aktionsräume von Kindern in der Stadt. Eine Untersuchung der Stadt Freiburg.<br />
Flick, U. (Hrsg.) 2000: Qualitative Sozialforschung. Ein Handbuch. Reinbek.<br />
Hubert, H (Hrsg.) 2000: Lokale "Agenda 21"-Prozesse : Erklärungsansätze, Konzepte und<br />
Ergebnisse Opladen.<br />
Jordan,E./ Schone, R. 1992: Jugendhilfeplanung aber wie? Eine Arbeitshilfe für die Praxis, Münster.<br />
Keppeler, S. 1990: Mobile Jugendarbeit als sozialräumlicher Prozess, in: Böhnisch/Münchmeier,<br />
Pädagogik des Jugendraums, Weinheim/München.<br />
Lamneck, S. 1994: Handbuch qualitative Sozialforschung. Band 2. Weinheim.<br />
Lüttringhaus, M ./Richers, H. 2003: Handbuch aktivierende Befragung. Konzepte, Erfahrungen,<br />
Tipps für die Praxis, Bonn.<br />
Riege, M./ Schubert, H (Hrsg.). 2002: Sozialraumanalyse. Grundlagen - Methoden - Praxis. Opladen.<br />
Seippel, A. 1987: Handbuch Aktivierende Gemeinwesenarbeit - Gelnhausen/Berlin.<br />
Specht, W. 1977: Konzept und Praxis einer mobilen Jugendarbeit. In: Deutsche Jugend, Oktober<br />
1977.<br />
Specht, W. 1979: Jugendkriminalität und Mobile Jugendarbeit. (Dissertation), Neuwied.<br />
Specht, W. 1980: Feldanalyse Hallschlag zur Vorbereitung eines Jugendberatungsprojektes.<br />
Stuttgart.<br />
Specht, W. (Hg.) 1987: Die gefährliche Straße. Jugendkonflikte und Stadtteilarbeit. Bielefeld.<br />
Specht, W. 1990: Expertise Mobile Jugendarbeit. In: Kreft, D./Lukas, H. u.a. (Hg.) ISKA Nürnberg,<br />
Perspektivenwandel der Jugendhilfe, Band 1, S. 96 – 99 und Bd. 2 S. 299 – 316.<br />
Specht. W. (Hg.) 1992: Sozialraum Hoyerswerda. Diakonisches Werk EKD, Stuttgart.<br />
Specht, W. 1992: Warum eine Studie „Sozialraum Hoyerswerda“? In: Diakonie März/April 1992, S.<br />
III/IV.<br />
Specht, W. 1999: Mobile Jugendarbeit in Europa. In: International Society for Mobile Youth Work<br />
(<strong>ISMO</strong>), Stuttgart (Hg.): Straßenkinder und Mobile Jugendarbeit.<br />
Tagungs-Reader 7. Symposium St. Petersburg. (erschienen in Deutsch, Englisch, Französisch,<br />
Spanisch und Russisch).<br />
Specht, W. 2007 (Hg. <strong>ISMO</strong>): онцепция обильной аботы с олодежью ерспективы для оссийской<br />
едерациию. Stuttgart, International Society for Mobile Youth Work.
23<br />
KONTAKT-<br />
AUFNAHME UND<br />
KONTAKTPFLEGE<br />
IN DER <strong>MOBILE</strong>N<br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
Werner Kübler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Street Work als eine professionelle Arbeitsweise von Sozialarbeit und Sozialpädagogik, hat<br />
ihren Ursprung in den USA. Dort wurden Ende der 20er Jahre besonders in Großstädten im<br />
Zusammenhang mit steigender Jugendkriminalität entsprechende sozialpädagogische Programme<br />
eingerichtet. Als typische Zielgruppen dieses von der sozialen Einrichtung (Jugendbehörde,<br />
Beratungsstelle) räumlich losgelösten Hilfeansatzes auf der Straße, galt die youth<br />
gang, also eine lose strukturierte jugendliche Straßengruppe, Clique oder Jugendbande. Der<br />
Arbeitsplatz der Sozialarbeit wurde gewissermaßen an die Treff- und Aufenthaltsorte der<br />
Jugendlichen verlegt. Über die Jahre hinweg wurden für diese ambulante Beratungstätigkeit<br />
folgende Begriffe verwandt: Street Corner Worker, Street Gang Worker, Area Youth Worker,<br />
Outreach Youth Worker, Street Club Worker und Field Worker (vgl. Specht 1979).<br />
Street Work im Rahmen von Mobiler Jugendarbeit ist ein am Sozialraum orientierter, lebensweltbezogener<br />
Beratungsansatz. Er wendet sich an alle problembelasteten und zuwendungsbedürftigen<br />
Jugendliche eines bestimmten Gemeinwesens. Durch Street Work<br />
(1) wird sichergestellt, dass die Mobilen Jugendarbeiter die Lebenswelten ihrer Zielgruppen<br />
kennen lernen und ihnen ein niederschwelliges Kontaktangebot machen.<br />
Um auf der Straße, an Cliquentreffpunkten, an Straßenecken, auf der Szene, an der Bushaltestelle<br />
oder in der Kneipe mit den Zielgruppen überhaupt reden zu können, besteht
24<br />
die Voraussetzung, dass zunächst überhaupt ein Kontakt hergestellt werden muss. Wie<br />
dies gelingen kann und welcher Anstrengungen es bedarf, entstandene Kontakte zu pflegen,<br />
soll im Nachfolgenden Gegenstand der Erörterung sein.<br />
Die Kontaktaufnahme ist ein wesentlicher Bestandteil von Street Work, sei es zu Beginn<br />
einer Tätigkeit, bei Erschließung eines neuen Arbeitsgebietes, oder beim Kennen lernen<br />
neuer Gruppen und Einzelpersonen. Die Phase der Kontaktaufnahme löst bei vielen<br />
Streetworkern zunächst Ängste, Unsicherheit, und Hemmungen aus. Insbesondere auch<br />
deshalb, weil in der Literatur betont wird, dass die ersten Kontakte zwischen dem Sozialarbeiter/<br />
der Sozialarbeiterin und seiner/ihrer Zielgruppe über die zukünftigen Möglichkeiten<br />
und Grenzen der Kommunikation und Interaktion entscheiden können. So z.B. bei<br />
Spergel, wo es heißt:<br />
"... die ersten Kontakte bilden das Anfangsstadium der Kommunikation und Interaktion,<br />
das alle übrigen Beziehungen eines Street Workers mit der Gruppe erleichtern oder erschweren<br />
wird. Die Probleme, denen man zu Beginn begegnet, können höchst typisch<br />
sein und den ganzen Verlauf der späteren Arbeit mit der Gruppe charakterisieren.“ (Spergel<br />
1966: 72)<br />
Da Street Worker in der Regel nicht von den Jugendlichen in den Stadtteil oder auf die<br />
Szene gerufen werden, müssen Möglichkeiten des Zugangs zu den jungen Menschen überlegt<br />
und gefunden werden. Denn nur wenn es gelingt mit den Zielgruppen in Kontakt zu<br />
kommen, können Hilfe- und Unterstützungsprozesse in Gang gesetzt und Veränderungsprozesse<br />
eingeleitet werden. In der Literatur (vgl. Miltner 1982: 117f) werden drei unterschiedliche<br />
Formen der Kontaktaufnahme beschrieben:<br />
• die offensive Form der Kontaktaufnahme,<br />
• die indirekte Form der Kontaktaufnahme und<br />
• die defensive Form der Kontaktaufnahme.<br />
Bei der offensiven Form der Kontaktaufnahme geht die Mobile Jugendarbeiterin direkt auf<br />
ihre Zielgruppe zu, stellt sich vor und versucht, sich in ihrer Rolle und Funktion verständlich<br />
zu machen. Sie bietet sich aktiv als Beraterin und Helferin dort an, wo sie Chancen für<br />
pädagogisches Handeln sieht. Tempo, Tiefe und Verbindlichkeit des Kontaktes wird aber<br />
den Jugendlichen überlassen. In dem sie von sich aus auf einzelne Konflikte und Probleme<br />
hinweist, zu deren Lösung sie etwas beitragen kann, versucht die Streetworkerin die Zielgruppe<br />
zu ermutigen, bei Bedarf auch von sich aus auf sie zuzugehen.<br />
Die indirekte Form der Kontaktaufnahme vollzieht sich dadurch, dass die Kontaktaufnahme<br />
über einen Dritten erfolgt, der beiden Seiten bekannt ist. Dieser "Gewährsmann"<br />
macht den/die Sozialarbeiter mit einzelnen Personen oder der Gesamtgruppe bekannt, er-
25<br />
klärt den Jugendlichen Rolle und Intention der Mobilen Jugendarbeiter, begleitet ihn/sie<br />
möglicherweise eine Zeitlang zu den Trefforten seiner/ihrer Zielgruppe und zieht sich<br />
dann langsam wieder zurück, wenn die Gruppe Vertrauen zu dem/den Sozialarbeitern gefasst<br />
hat. Als "Gewährsmänner" fungieren können Bewohner, die zu der Zielgruppe eine<br />
vertrauensvolle Beziehung haben, Mitarbeiter anderer Einrichtungen, Kneipenwirte oder<br />
aber auch andere Jugendliche.<br />
Bei der defensiven Form der Kontaktaufnahme hält sich der Mobile Jugendarbeiter zunächst<br />
regelmäßig, abwartend und teilnehmend beobachtend an den Trefforten seiner<br />
Zielgruppe(n) auf. Als Sozialarbeiter unerkannt signalisiert er Offenheit für Gespräche, um<br />
sich dann zu einem geeigneten Zeitpunkt als Pädagoge erkennen zu geben. Der Mobile<br />
Jugendarbeiter versucht also zunächst in die Rolle eines "normalen" Gastes zu kommen,<br />
um dadurch an den Interaktionen der Zielgruppe teilzunehmen. So versucht er, sich mit<br />
den sozialen Strukturen der Gruppe vertraut zu machen. Pädagogisches Handeln soll sich<br />
beiläufig ergeben. Der Sozialarbeiter schafft Bedingungen, dass er von den Jugendlichen<br />
angesprochen werden kann. Die Jugendlichen bestimmen dabei Tempo und Verbindlichkeit<br />
des Kontaktes.<br />
Doch welche Form der Kontaktaufnahme ist nun für Mobile Jugendarbeiter zu bevorzugen?<br />
Sucht man in der Literatur nach Hilfe, findet man in den wenigen Praxisberichten,<br />
die sich diesem Thema angenommen haben, keine eindeutigen Empfehlungen. Für eine<br />
offensive Form spricht sich z.B. Miltner aus, wenn er formuliert:<br />
"… habe ich die offensive Form der Kontaktaufnahme gewählt, weil ich aufrecht handeln<br />
wollte und die Jugendlichen von Anbeginn an wissen lassen wollte, mit wem sie es zu tun<br />
haben würden …" (Miltner 1982: 118)<br />
Steffan ist dagegen zusammenfassend der Meinung:<br />
„Viele Streetworker favorisieren eine eher defensiv abwartende Kontaktstrategie. Sie<br />
überlassen es in der Regel den potentiellen ‚Klienten’, ob sie Kontakt wollen.<br />
… Die Kontaktaufnahme bleibt trotz einer eher defensiv abwartenden Strategie eine Interaktion,<br />
die der Streetworker aktiv gestalten und forcieren kann. Der Streetworker muss<br />
darauf bedacht sein, sich so zu präsentieren, dass er ansprechbar ist. Er muss dauernd<br />
auf die oft versteckten nonverbalen Signale, aber auch auf die bisweilen hinter Ignoranz,<br />
coolem Gehabe und aggressiven Verhalten verborgenen Kontaktwünsche achten und darauf<br />
adäquat reagieren. Er muss aktiv gestaltend eine von Seiten der Zielgruppen erfolgte<br />
verbale oder nonverbale Kontaktaufnahme weiterentwickeln können. Zwischen einem,<br />
sich einfach hinstellen und warten, bis man angesprochen wird’ und einem solchen passiv<br />
abwartenden Kontaktieren besteht ein großer Unterschied.“ (Steffan 1989: 190f)<br />
Hierbei deutet Steffan bereits an, dass neben der Ebene der verbalen Äußerungen beim
26<br />
Street Work auch die Ebene der nonverbalen Kommunikation von großer Bedeutung ist.<br />
Viele der Zielgruppenpersonen beobachten den Street Worker zunächst, um sich einen ersten<br />
Eindruck von ihm zu machen. Wie ist seine Stimmung? Wie wirkt er? Mit welchen<br />
Personen hat er bereits Kontakt? Kann man ihm vertrauen oder ist er vielleicht doch ein<br />
Spitzel? Der so durch nonverbale Interaktion entstandene Eindruck entscheidet dann darüber,<br />
ob Kontakthindernisse bestärkt oder abgebaut werden.<br />
Hieraus ist zu erkennen, dass sich das jeweilige Vorgehen auch an den vorgefundenen<br />
Situationen und Gegebenheiten orientieren muss. Es macht sicherlich einen Unterschied,<br />
ob ich den Kontakt mit meiner Zielgruppe auf dem Spielplatz (vernachlässigte und evtl.<br />
gewaltbereite Jugendliche) suche oder in einer Szenekneipe (drogenabhängige Jugendliche).<br />
Im ersten Beispiel lässt sich viel offener und offensiver agieren. Vorsicht und Ablehnung<br />
werden weniger ausgeprägt sein und es wird viel davon abhängen, welchen Nutzwert die<br />
Clique auf dem Spielplatz im Angebot der Mobilen Jugendarbeit realisieren kann.<br />
Im zweiten Beispiel wird es zunächst darauf ankommen sich regelmäßig zu zeigen, Augen<br />
und Ohren aufzumachen. Präsenz ist zunächst wichtig, damit man für die Leute fassbar<br />
wird und sich nach und nach Vertrauen aufbauen kann. Hier wird man als Mobiler Jugendarbeiter<br />
überprüft und natürlich wird versucht werden, den „Neuling“ auszutricksen;<br />
sich Vorteile zu verschaffen. Dazu kommen Gespräche über Alltagssituationen, Sorgen<br />
und Nöte. Die Klarstellung welche Funktion man hat, dass man bereit ist, sich die „Alltäglichkeiten<br />
eines Drogenlebens um Tratsch- und Träume“ (T. Schmidt 1989: 90) anzuhören.<br />
Wenn es in diesen Situationen dann gelingt, individuelle Hilfeleistungen anzubieten oder<br />
zu vermitteln ist der erste Schritt geschafft, wachsen Vertrauen und Anerkennung, worauf<br />
sich die weitere Arbeit aufbauen lässt.<br />
Hierbei wird jeder Mobile Jugendarbeiter auch seinen eigenen Stil finden müssen. Wichtig<br />
ist, wachsam zu sein für die nonverbalen und verbalen Signale und möglichst authentisch<br />
aufzutreten. Dies erfordert einen reflektierten Umgang mit der eigenen Biographie.<br />
Neben diesen Formen der Kontaktaufnahme kann die Kontaktaufnahme auch noch nach<br />
ihren Inhalten unterschieden werden. Dabei kann die Mobile Jugendarbeiterin ihr Anliegen<br />
(z.B. Befragung im Rahmen einer Sozialraumanalyse, Verteilung von Kondomen,<br />
Spritzen, Flyern beim Street Work in der Drogenszene, …) zum Anlass nehmen, um mit Jugendlichen<br />
im Lebensfeld in ein Gespräch zu kommen. Dabei liegt das Hauptinteresse am<br />
Anfang nicht unbedingt darin, mit den Inhalten an Mann bzw. Frau zu kommen, sondern<br />
kann sehr wohl auf die Kontaktaufnahme, evtl. auch erst zu einem späteren Zeitpunkt, gerichtet<br />
sein.<br />
Kontaktaufnahme gelingt nach meinen eigenen Erfahrungen am ehesten dann, wenn es<br />
gelingt, dass die Jugendlichen, Heranwachsenden oder jungen Erwachsenen ein Interesse
27<br />
an mir als erwachsener Person bekommen. Gute Voraussetzungen dafür sind, bereit sein,<br />
sich ihre Geschichten anzuhören, nicht mit „dem erhobenen Zeigefinger“ daherzukommen,<br />
sie als Personen ernst und wahr nehmen, zuverlässig und vertrauensvoll agieren, bereit<br />
sein, Hilfestellungen zu geben aber auch immer deutlich zu machen, wo Grenzen sind.<br />
Dazu gehört, dass ich mich regelmäßig und kontinuierlich zu ihnen begebe, ihnen immer<br />
wieder ein Beziehungsangebot mache. Dies erfordert häufig einiges an Geduld. Verständlich,<br />
wenn man sich vor Augen führt, dass die Mehrzahl dieser jungen Menschen in ihrer<br />
Vergangenheit häufig von den Erwachsenen bitter enttäuscht wurden und beide Seiten<br />
keine adäquate Form der Auseinandersetzung fanden.<br />
Street Work ist kein Arbeitsfeld nur für Männer. Ob die Kolleginnen alleine, zu zweit oder<br />
mit ihrem Kollegen hinausgehen, hängt zunächst einmal sehr stark von ihrer Persönlichkeit<br />
ab. Zu Beginn einer Tätigkeit hat es sich bewährt, so lange nicht alleine zu gehen, bis<br />
die Mobile Jugendarbeiterin einen Bekanntheitsgrad erreicht hat und ganz klar ist, welcher<br />
Institution sie zuzurechnen ist. Auf jeden Fall muss Frau damit rechnen, dass sie mit<br />
verschiedensten „Anmach- und Einmachaktivitäten konfrontiert“ wird. (Mion 1989: 196ff)<br />
„Die körperliche Anmache ist oftmals offensiv, selten aber aggressiv. Meist lässt sich,<br />
ohne die Männer zu sehr zu brüskieren, ein versöhnlicher Weg finden“, berichtet Pia Mion<br />
über ihre Erfahrungen als Street Worker in der Drogenszene (Mion 1989: 199). Und weiter<br />
resümiert sie:<br />
„Die … sexuelle Anmache ist nicht unbedingt mit ernsten Absichten verbunden, sondern<br />
hat manchmal mehr den Charakter eines Jokes, eines Zeitvertreibs oder eines Tests . Du<br />
wirst daraufhin abgecheckt, wie Du in solchen Situationen reagierst, ob Du die Anmache<br />
ohne Verunsicherung abwehren kannst“ (Mion 1989: 200).<br />
Bezüglich den Ängsten, mit gewalttätigen Handlungen konfrontiert zu werden, lässt sich<br />
konstatieren, dass Mobile Jugendarbeiterinnen und Mobile Jugendarbeiter in der Regel<br />
nicht tätlich von ihren Zielgruppen angegriffen werden. Im Gegenteil, sie genießen einen<br />
gewissen Schutz. Voraussetzung ist allerdings, dass man die notwendige Sensibilität für<br />
kritische Situationen aufbringt.<br />
In kritischen Situationen haben Männer oftmals den Vorteil, dass sie körperlich kräftiger<br />
sind. Dem gegenüber haben Frauen den Vorteil, dass Jungs/Männer ihr Ansehen nicht<br />
dadurch steigern können, dass sie körperlich auf Frauen losgehen. Da müssen die Kolleginnen<br />
eher aufpassen nicht von „Freundinnen“ angegriffen zu werden, weil sie von denen<br />
als Konkurrentinnen angesehen werden.<br />
Ansonsten gelten für Frauen und Männer weitestgehend ähnliche Bedingungen was die<br />
Kontaktaufnahme angeht.<br />
Neben dem Kontaktaufbau hat Street Work im Rahmen von Mobiler Jugendarbeit aber<br />
auch immer noch den wichtigen Aspekt der Kontaktpflege. Wir sind beim Aufsuchen der
28<br />
Treffpunkte der Jugendlichen als Erwachsene „Gäste“ in deren Lebenswelt. Wenn wir uns<br />
mit ihnen in ihrem Milieu treffen, dann zeigen wir, dass wir ein dauerhaftes und verbindliches<br />
Interesse an ihrer Lebenswelt und ihrem Wohlergehen haben. Dies erfordert von<br />
uns, die Akzeptanz ihrer Normen, Regeln und kulturellen Eigenheiten.(vgl. Bopp u.a. 1997)<br />
Stets erforderlich ist die wache Sensibilität zu erkennen, wann es erforderlich ist, sich zurückzuziehen,<br />
damit das Gastrecht nicht strapaziert wird.<br />
Damit wir die Jugendlichen bei ihren informellen Treffpunkten überhaupt antreffen ist es<br />
notwendig, sich an den Orten, Zeiten und Bewegungen der Kids zu orientieren, also flexibel<br />
zu sein, was das Wann und Wo angeht. Das Prinzip der Freiwilligkeit ist zu beachten,<br />
was bedeuten kann, dass eine weitere Intensivierung des Kontaktes seitens der Jugendlichen<br />
nicht gewünscht wird. Das muss ich als Mobiler Jugendarbeiter akzeptieren und<br />
aushalten.<br />
Je transparenter der Mobile Jugendarbeiter seine Rolle gestaltet und je authentischer<br />
er als Person für die Jugendlichen erfahrbar wird, desto leichter fällt das Halten und Vertiefen<br />
der Kontakte. Bin ich im Stadtteil oder auf der Szene als Mitarbeiterin der Mobilen<br />
Jugendarbeit erst mal bekannt und anerkannt, fällt der Zugang zu neuen Gruppen im<br />
Stadtteil in der Regel leichter, da ich bei ihnen mit einem Vertrauensbonus rechnen kann.<br />
Der Anspruch von Mobiler Jugendarbeit lautet: ein niederschwelliges Beratungs- und Begleitangebot<br />
aufbauen und bereitstellen, welches aufsuchend ins Lebensfeld hineinreicht,<br />
dort auch angesiedelt ist und auch nachgehend arbeitet, um sonst nicht Erreichbare zu<br />
erreichen.<br />
Klaus Kuke fordert, dass Mobile Jugendarbeit mindestens ein Drittel der Arbeitszeit eines<br />
Teams für Street Work einsetzen muss, um ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden.<br />
(Kuke 1997: 52) Bei der Beschreibung von Kuke wird gleichzeitig deutlich, dass sich Mobile<br />
Jugendarbeiter damit im Spannungsfeld der Dialektik von Hilfe und Kontrolle bewegen.<br />
Da sie ihrem Anspruch nach akzeptierend und parteilich arbeiten, müssen sie diese Prinzipien<br />
je aufs Neue ihrer Zielgruppe nachvollziehbar und transparent machen.<br />
Deshalb sind sichtbare Grenzziehungen notwendig. Dazu gehört z.B. die Form der Zusammenarbeit<br />
mit der Polizei, die keine Weitergabe von Informationen seitens der Mobilen Jugendarbeiter<br />
beinhalten darf.<br />
Mobile Jugendarbeit darf somit also nicht gegen bestimmte Szenen tätig werden, sondern<br />
immer nur mit jungen Menschen agieren, die dies für sich wünschen und diese Menschen<br />
ungeachtet ihrer Nonkonformität auf einem Stück ihres Weges begleiten.<br />
Mobile Jugendarbeit darf nicht eingesetzt werden als: „ideale Sozialfeuerwehr, die schnell<br />
vorbeischauen kann, wenn auf dem Spielplatz Bierflaschen und auf dem Pausenhof Fäuste<br />
fliegen, in der City Spritzen gefunden werden, Skins am Bahnhof sitzen und Punks in<br />
der Fußgängerzone lagern. Störungen bereinigen, Ruhe sicherstellen, Ordnung gewährleisten,<br />
Gewalt befrieden, Aufbegehren anpassen – Streetwork soll dazu effektiv, mobil, fle-
29<br />
xibel und billig sein“, wie das Autorenteam um C. Bopp im Praxishandbuch Mobile Jugendarbeit<br />
formuliert. (Bopp u.a. 1997: 48)<br />
Für Mobile Jugendarbeiter entsteht oftmals ein Legitimationsdruck dann, wenn sie dem<br />
von Verwaltungen oder dem eigenen Träger formulierten Verlangen nach Arbeit im Stile<br />
eines „mobilen Einsatzkommandos“ (ebd.) nicht nachkommen wollen. Deshalb, so das<br />
obige Autorenteam, muss darauf geachtet werden, „dass in Arbeitsplatzbeschreibungen<br />
und Konzeptionen festgeschrieben wird, dass Street Work Tätigkeit von ordnungspolitischen<br />
Aufgaben frei bleiben muss. Darüber hinaus müssen Street Worker immer wieder<br />
öffentlich machen, dass zwar aus den niederschwelligen und parteilichen Kontaktangeboten<br />
Verbesserungen für die Lebenssituationen junger Menschen entstehen können, dass<br />
Street Work jedoch nicht als ‚Joker im Befriedungspoker’ (Keppeler 1989: 16) dienstbar<br />
gemacht werden kann. (Bopp u.a. 1997: 49)<br />
Im vorliegenden Beitrag ist hoffentlich deutlich geworden, dass Mobile Jugendarbeiterinnen<br />
und Mobile Jugendarbeiter neben persönlich-menschlichen Qualitäten auch ein<br />
hohes Fachwissen in Bezug auf psycho-soziale Beratung und Unterstützung haben sollten,<br />
um den vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden. Um Veränderungen bei Strukturen<br />
und Lebensbedingungen zu erreichen, ist es wichtig, dass Mobile Jugendarbeiter öffentlich<br />
dazu Stellung beziehen, für ihre Zielgruppen eintreten und zwischen ihnen und Institutionen,<br />
Politik und Öffentlichkeit vermitteln. Dies betrifft nun wiederum das<br />
Handlungsfeld Gemeinwesenarbeit, das an anderer Stelle in diesem Reader beschrieben<br />
wird.<br />
Die Prinzipien, auf die sich Street Work und Mobile Jugendarbeit verpflichtet haben sind<br />
in den Fachlichen Standards der Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork/Mobile Jugendarbeit<br />
beschrieben: "Streetwork und Mobile Jugendarbeit orientieren sich in ihrem Selbstverständnis<br />
an folgenden Arbeitsprinzipien: Aufsuchen, Niederschwelligkeit und<br />
Flexibilität der Angebote, Bedürfnis-, Lebenswelt- und Alltagsorientierung, Freiwilligkeit<br />
und Akzeptanz, Vertrauensschutz und Anonymität, Parteilichkeit und Transparenz, Verbindlichkeit<br />
und Kontinuität. Geschlechtsspezifische Ansätze sind integraler Bestandteil<br />
der Arbeitsprinzipien." (vgl. BAG Street-work/Mobile Jugendarbeit 1999)<br />
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Bopp, Carla/Brinkmann, Birte/Pröll, Claudia/Stotz, Peter/Volkmann, Philipp; Cool Runnings – Gedanken<br />
zu Streetwork in der Mobilen Jugendarbeit (in: LAG, 1997)<br />
Bundesarbeitsgemeinschaft Street Work/Mobile Jugendarbeit; Fachliche Standards für Streetwork<br />
und Mobile Jugendarbeit, Gelnhausen, 1999
30<br />
Keppeler, Siegfried; Grundsätzliche Überlegungen zu Streetwork in der Jugendarbeit und Jugendhilfe<br />
(in: Steffan, 1989)<br />
Kuke, Klaus; Ohne Stechuhr – Zeit, gemeinsam gelebte Zeit als Schlüssel und Maßstab für Lebensfeldnähe<br />
im Konzept Mobiler Jugendarbeit (in LAG, 1997)<br />
Landesarbeitsgemeinschaft Mobile Jugendarbeit Baden-Württemberg e.V. (Hrsg.); Praxishandbuch<br />
Mobile Jugendarbeit, Neuwied, 1997<br />
Miltner, Wolfgang; Street Work im Arbeiterviertel. Eine Praxisstudie zur Jugendberatung, Neuwied,<br />
1982<br />
Mion, Pia; Up and Down in Downtown – Lust und Frust einer Streetworkerin in der Szene (in Steffan,<br />
1989)<br />
Schmidt, Torsten; Wie ein bunter Fisch im Wasser – Straßenarbeit in Amsterdam (in: Steffan, 1989)<br />
Specht, Walther 1979: Jugendkriminalität und Mobile Jugendarbeit. Neuwied.<br />
Spergel, Irving; Street Gang Work. Theory and Practice, Massachusetts, 1966 (zitiert nach Miltner,<br />
1982)<br />
Steffan, Werner (Hrsg.); Straßensozialarbeit. Eine Methode für heiße Praxisfelder; Weinheim, 1989
31<br />
UMSETZUNG DER<br />
ARBEITSFORMEN<br />
UND ARBEITS-<br />
PRINZIPIEN<br />
IN DEUTSCHLAND<br />
Matthias Reuting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Im Konzept Mobile Jugendarbeit, wie es von Walther Specht (vgl. insbesondere Specht<br />
1979; Keppeler/Specht 2005) entwickelt wurde, spielen die vier Arbeitsformen Street<br />
Work, Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit eine zentrale Rolle. Doch<br />
nicht nur die Frage „Was soll getan werden?“, sondern auch „Wie soll es getan werden?“,<br />
ist für die Qualität der Praxis Mobiler Jugendarbeit von entscheidender Bedeutung. Dieses<br />
„Wie?“ wird für die Praxis in handlungsleitenden Arbeitsprinzipien konkretisiert, die<br />
aus den theoretischen Grundlagen des Konzepts abgeleitet werden. In diesem Beitrag soll<br />
zusammenfassend dargestellt werden, wie die Arbeitsformen und Arbeitsprinzipien Mobiler<br />
Jugendarbeit in der Praxis in Deutschland näher bestimmt werden. Hierfür wurden<br />
Jahresberichte, schriftliche Konzeptionen und Dokumentationen von Einrichtungen sowie<br />
Ergebnisse des Austausch mit Fachkräften der Mobilen Jugendarbeit in Baden-Württemberg<br />
herangezogen. 1<br />
1<br />
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine gekürzte und überarbeitete Fassung von zwei Kapiteln<br />
des Autoren in: Landesarbeitsgemeinschaft Mobile Jugendarbeit/Streetwork Baden-Württemberg<br />
e.V. / Landesarbeitskreis Mobile Jugendarbeit in der Landesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit<br />
Baden-Württemberg / Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg, Landesjugendamt<br />
(Hrsg.) (2005): Was leistet Mobile Jugendarbeit? Ein Portrait Mobiler Jugendarbeit in<br />
Baden-Württemberg. Stuttgart, S. 20-29. Besonderer Dank für die gemeinsame Auswertung des Materials<br />
gilt Nanine Delmas.
32<br />
1. UMSETZUNG DER ARBEITSFORMEN <strong>MOBILE</strong>R <strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
Zunächst soll also ausgeführt werden, wie Praktiker Mobiler Jugendarbeit nach ihrer<br />
eigenen Beschreibung die vier zentralen Arbeitsformen der Mobilen Jugendarbeit umsetzen,<br />
um die Lebenssituation von gefährdeten und benachteiligten Jugendlichen zu<br />
verbessern und sie in ihrer Entwicklung zu fördern – Jugendliche, die oft einzeln, zumeist<br />
aber in Gruppen durch Gewalt, Drogenkonsum oder Delinquenz auffällig werden und<br />
häufig als ‚unerreichbar’ gelten. Zudem wird darauf eingegangen, welche Effekte die Mobilen<br />
Jugendarbeiter/innen beobachten und in den Dokumentationen ihrer Arbeit beschreiben.<br />
1.1 Street Work<br />
Kontaktaufbau und -pflege sowie das ständige Vertiefen und Aktualisieren der Kenntnisse<br />
über die Lebenswelt der Zielgruppen steht im Mittelpunkt von Street Work: Die Mobilen<br />
Jugendarbeiter/innen suchen die jungen Menschen regelmäßig an ihren Orten und zu<br />
ihren Zeiten auf. Sie verhalten sich dort als Gäste und bieten bei Bedarf dort direkt Beratung<br />
und Information an.<br />
Über regelmäßiges Street Work entwickeln die Mobilen Jugendarbeiter/innen die für ihre<br />
Arbeit notwendige Nähe zu den Jugendlichen, die sonst zumeist nur als störend, auffällig<br />
oder gefährlich wahrgenommen werden. Die Jugendlichen können schrittweise eine vertrauensvolle<br />
und tragfähige Beziehung zu den Mobilen Jugendarbeiter/innen aufbauen<br />
und selbst entscheiden, ob und zu welchem Zeitpunkt sie sie für Beratung und Unterstützung<br />
in Anspruch nehmen. Die Jugendlichen sollen dabei erleben können: Hier sind erwachsene<br />
Menschen, die sie nicht verjagen wollen, weil sie Schmutz machen oder laut<br />
sind, sondern welche, die sich dafür interessieren, wie es ihnen geht; Erwachsene, die<br />
nicht kommen, um ihnen zu sagen, was sie nicht dürfen, sondern mit ihnen neue Möglichkeiten<br />
erschließen; Menschen, die fest Zeit für sie eingeplant haben, um ihnen zuzuhören<br />
und sich mit ihnen und ihrer Sicht der Dinge auseinanderzusetzen;<br />
Sozialpädagogen, die sich mit ihnen um Antworten auf ihre Fragen bemühen, Ideen und<br />
Informationen parat haben.<br />
Mobile Jugendarbeiter/innen beschreiben in Dokumentationen ihrer Arbeit, dass sie nicht<br />
selten die einzigen Erwachsenen sind, zu denen die Jugendlichen einen tragfähigen Kontakt<br />
haben. Sie erhalten so oft die Funktion einer „Brücke“ zur Welt der Erwachsenen und<br />
übernehmen dabei die Rolle von Zuhörern, Beratern, Übersetzern, Informationsgebern<br />
und Vermittlern. Die Jugendlichen erleben Wertschätzung und Interesse von diesen Erwachsenen,<br />
können sich mit ihnen auseinandersetzen in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit.<br />
Zugleich gewinnen die Mobilen Jugendarbeiter/innen Erkenntnisse über die
33<br />
Lebenssituation der Jugendlichen, ihre Ressourcen und Schwierigkeiten. Diese Erkenntnisse<br />
helfen ihnen, die Jugendlichen angemessen zu unterstützen, sie können dieses Wissen<br />
aber auch in Prozesse der Planung oder Optimierung der sozialen Infrastruktur<br />
einbringen.<br />
1.2 Gruppenarbeit<br />
Ausgehend von der Annahme, dass Cliquen für Jugendliche Entwicklungschancen bieten,<br />
unterstützen die Mitarbeiter/innen Cliquen insbesondere bei der Suche nach Treff- und<br />
Aktionsmöglichkeiten. Die Arbeit mit Cliquen und Gruppen soll statt Belehrungen alternative<br />
Erfahrungen und das Entwickeln sozialer Kompetenzen ermöglichen und den Jugendlichen<br />
so neue Handlungsoptionen erschließen. Möglich ist dies insbesondere durch<br />
erlebnispädagogische Tagesaktionen und Kurzfreizeiten, in regelmäßiger Clubarbeit, themenspezifischer<br />
Gruppenarbeit oder in Jugendkulturprojekten. Es kann aber auch bedeuten,<br />
dass Cliquen bei auftretenden Schwierigkeiten an ihren Trefforten beraten werden<br />
oder die Mobilen Jugendarbeiter/innen sie als Konfliktberater unterstützen.<br />
Zu Effekten der Gruppenarbeit beschreiben die Mobilen Jugendarbeiter/innen folgende<br />
Beobachtungen: Angebote für Gruppen und Cliquen bieten Möglichkeiten für soziales Lernen<br />
und die Förderung jedes Einzelnen. Konflikte konstruktiv auszutragen, gemeinsam<br />
Probleme zu lösen, aufeinander Rücksicht zu nehmen und sich gegenseitig zu unterstützen,<br />
sind Schlüsselprozesse bei diesen Angeboten. Wenn Cliquen unterstützt werden, ihre<br />
Interessen zu verfolgen, erfahren Jugendliche, dass sie Teil eines Gemeinwesen und einer<br />
Gesellschaft sind, auf die sie Einfluss nehmen können. Sie fühlen sich von der Erwachsenenwelt<br />
ernst genommen und erleben Erwachsene dann als verlässliche Partner, mit<br />
denen sie verbindliche Absprachen treffen, die Rechte und Pflichten beinhalten. Die Mobile<br />
Jugendarbeit ermöglicht den Jugendlichen Erfahrungsräume, in denen sie die positiven<br />
und wichtigen Funktionen einer Clique erleben können: sich gegenseitig Halt und<br />
Unterstützung zu geben oder miteinander und voneinander zu lernen. Jugendliche, die<br />
sonst gemeinsame ‚Erfolge’ oder emotionale ‚Kicks’ bei Straftaten, Gewalt oder Drogenkonsum<br />
erleben, können andere Herausforderungen und Bestätigungen finden. Gruppenund<br />
Cliquenangebote bieten einen Rahmen, in dem sich die Jugendlichen darauf einlassen,<br />
völlig neue Vorschläge von Erwachsenen auszuprobieren. Sie lernen sich gegenseitig<br />
von anderen Seiten kennen und entdecken an sich selbst ungeahnte Qualitäten und Potenziale.<br />
Die Mitarbeiter/innen schildern Beobachtungen, wie das Leben der Jugendlichen<br />
durch Grenzerfahrungen und Schlüsselerlebnisse im Rahmen der Gruppe in Bewegung<br />
gerät und sie dadurch neue Impulse bekommen. Gruppen- und Cliquenangebote sind<br />
zudem oft Ausgangspunkt für eine individuelle Beratung und Begleitung, da sie viele Anlässe<br />
und Nischen für persönliche Gespräche bieten.
34<br />
1.3 Gemeinwesenarbeit<br />
Gemeinwesenarbeit in der Mobilen Jugendarbeit zielt darauf, Probleme der Jugendlichen<br />
in und mit der direkten Umgebung, in der die Jugendlichen leben, zu lösen. Mobile Jugendarbeiter/innen<br />
initiieren deshalb Netzwerke von Institutionen auf Stadtteil- oder Gemeindeebene<br />
oder arbeiten in bereits bestehenden Gremien aktiv mit, um die Situation<br />
im Gemeinwesen der Jugendlichen zu verbessern. Sie pflegen Kontakte zu allen für die<br />
Jugendlichen relevanten Institutionen und Organisationen, um die soziale Infrastruktur<br />
für sie zu verbessern. Sie setzen sich dafür ein, Konflikte der Jugendlichen mit Institutionen<br />
(z.B. Polizei, Stadtverwaltung, Jugendhäusern) oder mit Bürgern zu lösen und Vorurteile<br />
gegenüber den Jugendlichen abzubauen.<br />
Als Effekte dieser Arbeit beschreiben Mobile Jugendarbeiter/innen, dass wichtige professionelle<br />
Ressourcen – beispielsweise Drogenberatungs-stellen, Jugendhäuser, Jugendämter,<br />
Schuldnerberatungsstellen – für Jugendliche, die oft vorher von vielen Angeboten<br />
ausgeschlossen waren, wieder zugänglich gemacht werden. Stadtteilfeste und Projekte<br />
wie der Bau von Sportmöglichkeiten fördern ein gelingendes Zusammenleben im Stadtteil.<br />
Jugendliche, die vorher zumeist als Menschen, mit denen man nicht kooperieren<br />
kann, sondern vor denen man sich schützen muss, wahrgenommen wurden, können einbezogen<br />
werden in Prozesse kommunaler Planung und Bürgerbeteiligung, etwa im Rahmen<br />
von Zukunftswerkstätten oder Jugendforen. Die Einblicke der Mobilen<br />
Jugendarbeiter/innen in die Lebenssituation von Jugendlichen in einem Stadtteil oder<br />
einer Gemeinde werden in Gremien und Planungsprozessen oft sehr geschätzt, weil sie<br />
einen wichtigen Beitrag leisten können, um bestehende Angebote bedarfsgerecht zu verändern<br />
und Jugendliche an Umgestaltungen im Stadtteil zu beteiligen.<br />
1.4 Einzelfallhilfe<br />
Mobile Jugendarbeiter/innen bieten Hilfen zur Lösung aller individuellen Probleme an,<br />
die die Jugendlichen mit ihnen bearbeiten wollen. Dies beinhaltet Beratung, Unterstützung<br />
und Begleitung sowie Vermittlung und Herstellung von Kontakt zu bestehenden<br />
Hilfeangeboten. Form und Inhalt dieser Hilfen und Unterstützungsleistungen für Einzelne<br />
sind vielfältig und folgen keiner festen Ablaufstruktur. Der zeitliche Umfang kann je nach<br />
Bedarf zu bestimmten Zeiten wenige Minuten oder einige Stunden pro Woche umfassen.<br />
Zeitliche Flexibilität, verlässliche Erreichbarkeit durch feste Bürozeiten, Anrufbeantworter<br />
und Mobiltelefon sowie die Ver¬netzung mit allen Institutionen mit vielen Institutionen<br />
und Organisationen sind wichtige Anforderungen zur Realisierung dieser Hilfen.<br />
Mobile Jugendarbeiter/innen stellen hinsichtlich der Abläufe und wahrgenommenen<br />
Effekte der Einzelfallhilfen heraus: Oft gibt es einen fließenden Übergang von Gesprächen<br />
auf der Straße oder am Rande von Gruppenangeboten zu intensiven Beratungsgesprä-
35<br />
chen, an deren Ende konkrete Veränderungspläne stehen können („Ich möchte an meinem<br />
Drogenkonsum etwas ändern.“; „Ich möchte einen festen Wohnsitz haben.“; „Ich<br />
möchte mich gegen die Gewalt meines Freundes wehren können.“; „Ich möchte nicht aus<br />
der Schule fliegen.“). Häufig bildet auch der Wunsch nach konkreten Serviceleistungen<br />
(„Kannst Du mir diesen Brief erklären?“; „Könnt Ihr mir helfen, eine Bewerbung zu schreiben?“)<br />
den Ausgangspunkt für eine umfassende Beratung, bei der die Jugendlichen die<br />
Sichtweise und Einschätzung einer neutralen Vertrauensperson suchen. Manchmal wenden<br />
sich Jugendliche in akuten Krisensituationen aber auch plötzlich an die<br />
Mitarbeiter/innen, die sie vorher nur ‚von weitem’ kannten. Die Begleitung der Mitarbeiter/innen<br />
der Mobilen Jugendarbeit bei wichtigen Ämtergängen, das gemeinsame Vorbereiten<br />
von entscheidenden Gesprächen oder Telefonaten, das Herstellen eines Kontakts<br />
zu anderen Institutionen und das Ermutigen, die Ziele trotz Schwierigkeiten weiter zu<br />
verfolgen, sind oft ein wesentlicher Beitrag für die weiteren Zukunftsperspektiven randständiger<br />
Jugendlicher. Die vielfältigen Formen der individuellen Unterstützung durch<br />
Mobile Jugendarbeit tragen maßgeblich dazu bei, dass diese Ausbildungs- oder Arbeitsstellen<br />
erhalten, Wohnungen finden, massive Konflikte in der Familie bewältigen können,<br />
nicht von der Schule verwiesen werden, sich psychisch wieder stabilisieren, den Ausstieg<br />
aus einer kriminellen Karriere finden, ihr riskantes Alkohol- oder Drogenkonsumverhalten<br />
verändern oder den Zugang zu einer Therapie oder anderen Hilfeangeboten finden. Nicht<br />
selten gerät dadurch das gesamte Szene- und Familienumfeld in Bewegung und beginnt<br />
ebenfalls, individuelle Beratung und Unterstützung in Anspruch zu nehmen.<br />
2. UMSETZUNG DER ARBEITSPRINZIPIEN <strong>MOBILE</strong>R <strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
Nach der Darstellung, was Mitarbeiter/innen der Mobilen Jugendarbeit tun, um ihre Ziele<br />
zu erreichen, soll nun näher darauf eingegangen werden, wie sie es tun. An welchen Handlungsleitlinien<br />
orientieren sie sich, wenn sie im Arbeitsalltag Entscheidungen treffen – sei<br />
es in der Interaktion mit Jugendlichen, bei der Frage, wie Gruppenangebote ausgestaltet<br />
werden sollen, oder bei der Planung von Arbeitsschwerpunkten für die jeweils nächsten<br />
Monate? Von welchen theoretischen Annahmen werden sie dabei geleitet?<br />
Zuerst sollen hierfür die wichtigsten theoretischen Annahmen dargestellt werden, auf die<br />
Konzeptionen von Einrichtungen Mobiler Jugendarbeit aufbauen: Neben dem Konzept<br />
Mobile Jugendarbeit, das von Walther Specht theoretisch ausgearbeitet und praktisch<br />
erprobt wurde ist das Konzept Lebensweltorientierte Soziale Arbeit, das von Hans<br />
Thiersch (vgl. Thiersch 1986; 1992) entwickelt wurde, zentral. Praktiker der Mobilen Jugendarbeit<br />
in Deutschland beziehen sich zudem zum Teil auf daran anschlussfähige Ausarbeitungen<br />
von Franz Josef Krafeld zur Arbeit mit rechtsextremen Jugendlichen (unter
36<br />
den Titeln akzeptierende bzw. gerechtigkeitsorientierte Jugendarbeit, vgl. insbesondere<br />
Krafeld 1996).<br />
Wenn sich die Mitarbeiter/innen der Mobilen Jugendarbeit vom „Respekt vor der Eigensinnigkeit<br />
der Lebenswelt“ (Grunwald/Thiersch 2005:1143) der Zielgruppen leiten lassen,<br />
bedeutet dies, auch Verhaltensweisen, die für die Entwicklung der Jugendlichen und für<br />
das gelingende Zusammenleben in ihrem sozialen Umfeld als riskant oder gar schädlich<br />
wahrgenommen werden, im Kontext ihrer Lebenssituation und als Formen der Alltagsund<br />
Lebensbewältigung zu verstehen. Die Mitarbeiter/innen gehen davon aus, dass die Jugendlichen<br />
ihre Verhaltensweisen auf Erfahrungen gründen, denen Belehrungen oder Bekämpfungen<br />
nichts entgegenzusetzen haben (vgl. Krafeld 1996:16).<br />
Das Handeln der Mobilen Jugendarbeit richtet sich dementsprechend nicht darauf aus,<br />
als defizitär erlebte Verhaltensweisen zu verändern, sondern den Jugendlichen Möglichkeiten<br />
zu bieten, damit sie sich verändern und anders handeln können. Die Jugendlichen<br />
werden als Subjekte dieser Entwicklungsprozesse ernst genommen, in denen die Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter eine zentrale Rolle spielen, weil sich die Jugendlichen im<br />
Dialog, in der Auseinandersetzung und der Konfrontation an ihren Personen und Positionen<br />
abarbeiten können, weil sie Hilfen zur Alltags- und Lebensbewältigung bieten<br />
können, weil sie den Rahmen schaffen können für neue Erfahrungen, aus denen sich<br />
neue Handlungsoptionen ergeben. Cliquen und Gruppen werden dabei nicht primär als<br />
Gefährdungspotenzial gesehen, sondern als Ressourcen, die soziales Lernen und<br />
„emanzipative Lernschritte“ (Specht 1979:132) ermöglichen. Statt ‚gefährdende Cliquen’<br />
zu ‚zerschlagen’ geht es darum, mit ihnen „funktionelle Äquivalente“ (Kastner/Silbereisen<br />
1991:230, vgl. auch den Beitrag von Specht in diesem Band) zu gefährdendem Verhalten<br />
zu entwickeln. In Orientierung an einem von Herman Nohl benannten<br />
grundlegenden pädagogischen Prinzip (vgl. Nohl 1949) richtet Mobile Jugendarbeit den<br />
Blick also primär auf die Probleme, die die jungen Menschen haben und lässt die Probleme,<br />
die andere mit ihnen haben, in den Hintergrund treten. Anstelle des Wohlverhaltens<br />
rückt das Wohlbefinden der Jugendlichen (vgl. Keppeler/Specht 2005:1231) in das<br />
Zentrum des Handelns der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dementsprechend ordnungsrechtliche<br />
Aufträge nicht erfüllen können. Wenn die Lebenssituation der Jugendlichen<br />
verbessert werden kann, wird dies jedoch auch enorme positive ‚Nebeneffekte’<br />
für ihr Umfeld haben.<br />
In fast allen Einrichtungen formulieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Arbeitsprinzipien,<br />
an denen sie ihr Handeln orientieren Diese Arbeitsprinzipien werden im Folgenden<br />
beispielhaft erläutert und dienen auch als Grundlage zur Beschreibung von Qualitätskriterien<br />
Mobiler Jugendarbeit (vgl. z.B. Mobile Jugendarbeit Stuttgart 2005).
37<br />
Ganzheitlichkeit<br />
Die Mitarbeiter/innen sind grundsätzlich offen für alle Themen der jungen Menschen. Ihre<br />
Angebote sind nicht begrenzt auf spezielle Problemlagen wie etwa Sucht, Kriminalität,<br />
Gewalt oder Berufsfindung.<br />
Beziehungsarbeit<br />
Den jungen Menschen wird ermöglicht, eine tragfähige und belastbare Beziehung zu den Mitarbeiter/innen<br />
aufzubauen und sich mit deren oft ganz anderen Lebensentwürfen auseinander<br />
zu setzen. Die Mitarbeiter/innen halten kontinuierlich, verlässlich und über längere Zeit<br />
Kontakt, um den Jugendlichen zu ermöglichen, langsam Vertrauen aufbauen zu können. Allein<br />
der Kontakt (auch ohne sichtbare Beratung oder Unterstützung) der jungen Menschen zu<br />
den Mitarbeiter/innen, in dem sie Wertschätzung erfahren und ‚normalen’ Erwachsenen, die<br />
sich für sie interessieren, begegnen, wird bereits als wichtige Qualität der Arbeit gesehen.<br />
Parteilichkeit und Ressourcenorientierung<br />
Die Mitarbeiter/innen orientieren sich an den Problemen, die die jungen Menschen haben,<br />
nicht an denen, die sie verursachen. Sie richten den Blick nicht auf die Defizite der Jugendlichen,<br />
sondern versuchen, ihre Stärken in den Mittelpunkt zu rücken, um diese zu fördern<br />
und zu erweitern und zur Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten und der Lösung von<br />
Problemen zu nutzen. Sie übernehmen Interessenvertretungs- und Lobbyfunktion.<br />
Bedürfnisorientierung und Partizipation<br />
Auf der Basis eines tragfähigen Kontakts bemühen sich die Mitarbeiter/innen, die Bedürfnisse<br />
der jungen Menschen zu erkennen, und entwickeln daraus bei Bedarf gemeinsam<br />
mit ihnen geeignete Angebote. In allen Phasen der Angebote werden neue Erkenntnisse<br />
über die Bedürfnisse in die weitere Planung einbezogen, etwa die Veränderung der Street-<br />
Work-Zeiten, das Aufsuchen neuer Szeneplätze, das Initiieren neuer Angebote der Jugendberufshilfe,<br />
die Entwicklung erlebnispädagogischer Angebote oder eine verstärkte<br />
Kooperation mit bestimmten Institutionen.<br />
Freiwilligkeit<br />
Die jungen Menschen entscheiden über Art und Umfang des Kontakts und der Hilfe: Beim<br />
Street Work verhalten sich die Mitarbeiter/innen als Gäste an den Trefforten der Jugendlichen<br />
und akzeptieren, wenn sie in bestimmten Situationen nicht erwünscht sind. Im Rahmen<br />
der Einzelfallhilfe entwickeln die Mitarbeiter/innen vielfältige Ideen, was den jungen<br />
Menschen helfen könnte, und präsentieren ihnen diese: Die jungen Menschen entscheiden,<br />
welche Angebote sie nutzen wollen und tragen die Verantwortung für das Gelingen<br />
des von ihnen gewählten Lösungsweges. Die Teilnahme an Angeboten und Projekten für<br />
Gruppen ist freiwillig.
38<br />
Niedrigschwelligkeit und Flexibilität<br />
Es wird versucht, sämtliche Bedingungen, Voraussetzungen oder sonstige Hürden, die<br />
verhindern, dass ein tragfähiger Kontakt entstehen oder die Zielgruppe für sie hilfreiche<br />
Angebote wahrnehmen kann, niedrig zu halten. Zeiten, Orte und Methoden der Arbeit<br />
werden flexibel auf die Bedürfnisse der jungen Menschen abgestimmt: Beim Street Work<br />
halten die Mitarbeiter/innen den Kontakt unabhängig davon, ob jemand konkrete Veränderungswünsche<br />
formuliert. Sie richten die Zeiten und Orte der Street Work danach aus,<br />
wann sie die Jugendlichen gut erreichen können. Für Einzelfallhilfe versuchen die Mitarbeiter/innen<br />
durch verbindliche wöchentliche Sprechzeiten, Anrufbeantworter und Mobiltelefon<br />
zeitlich und örtlich möglichst gut für die Jugendlichen erreichbar zu sein. Die<br />
Mitarbeiter/innen haben keine Entscheidungsbefugnis über die Vergabe von Leistungen<br />
der Jugend- und Sozialhilfe wie etwa Hilfe zum Lebensunterhalt, damit der Kontakt weitgehend<br />
unbelastet bleibt vom Streben nach der Gewährung einer Leistung.<br />
Akzeptanz<br />
Unabhängig davon, ob die jungen Menschen etwas an ihrer Lebenssituation verändern<br />
wollen, welchen Lebensstil oder welche Einstellungen sie haben, begegnen die Mitarbeiter/innen<br />
ihnen mit Achtung und Wertschätzung ihrer Person, halten Kontakt und bemühen<br />
sich um das Verständnis ihrer Lebenssituation und Bedürfnisse. So treten die<br />
Mitarbeiter/innen ihnen authentisch gegenüber und machen transparent, wenn sie Einstellungen<br />
oder Verhaltensweisen der jungen Menschen für riskant oder moralisch nicht<br />
vertretbar halten. Sie gehen jedoch davon aus, dass die Jugendlichen Gründe für ihre<br />
Entscheidungen und ihr Verhalten haben, setzen sich mit ihnen darüber auseinander und<br />
versuchen, ihnen alternative Erfahrungen zu ermöglichen, aus denen sich andere Verhaltensweisen<br />
ergeben können.<br />
Vertrauensschutz<br />
Die Mitarbeiter/innen treten für uneingeschränkten Vertrauensschutz ein. Ohne das Mandat<br />
der jungen Menschen geben sie keine personenbezogenen Informationen an Andere<br />
weiter und nehmen keine Aufträge an. Bei akuter Selbst- und Fremdgefährdung intervenieren<br />
die Mitarbeiter/innen auch ohne Mandat der jungen Menschen, um das Wohl der<br />
Gefährdeten zu schützen.<br />
Geschlechterdifferenziertes Arbeiten<br />
Die Mitarbeiter/innen berücksichtigen bei allen Angeboten das geschlechtsspezifische<br />
Rollenverhalten der jungen Menschen sowie die an sie als Jungen und Männer beziehungsweise<br />
Mädchen und Frauen gestellten Anforderungen. Sie versuchen dazu beizutragen,<br />
geschlechtsspezifische Benachteiligungen abzubauen.
39<br />
Interkulturelles Arbeiten<br />
Mobile Jugendarbeit verlangt von den Mitarbeiter/innen interkulturelle Kompetenz, das<br />
bedeutet insbesondere das Bemühen, die Deutungsmuster und Handlungsweisen von jungen<br />
Menschen vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Prägung zu verstehen, und die Fähigkeit,<br />
ihnen gegenüber angemessen zu handeln und entsprechend mit ihnen zu<br />
kommunizieren.<br />
3. Resümee<br />
In diesem Beitrag wurde beschrieben, wie die Arbeitsformen und Arbeitsprinzipien der<br />
Mobilen Jugendarbeit theoretisch konzipiert und von Fachkräften als Handlungsempfehlungen<br />
für die Praxis ausformuliert werden. Dies kann veranschaulichen, wie die Ansprüche<br />
Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit für benachteiligte und gefährdete Jugendliche<br />
mit dem Konzept Mobile Jugendarbeit umgesetzt werden können.<br />
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Grunwald, Klaus/Thiersch, Hans (2005): Lebensweltorientierung. In: Otto, Hans-Uwe/Thiersch,<br />
Hans (Hrsg.): Handbuch der Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Neuwied/Kriftel, S. 1136-1148.<br />
Kastner, Peter/Silbereisen, Rainer K. (1991): Jugendentwicklung und Drogen – Eine prospektive<br />
Längsschnittstudie als wissenschaftliche Begründung präventiver Intervention. In: Specht,<br />
Walther (Hrsg.): Die gefährliche Straße. Jugendkonflikte und Stadtteilarbeit. Bielefeld 1991.<br />
Keppeler, Siegfried/Specht, Walther (2005): Mobile Jugendarbeit. In: Otto, Hans-Uwe/Thiersch,<br />
Hans (Hrsg.): Handbuch der Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Neuwied/Kriftel (2. Auflage), S.<br />
1223-1235.<br />
Krafeld, Franz Josef (1996): Die Praxis Akzeptierender Jugendarbeit. Opladen.<br />
Mobile Jugendarbeit Stuttgart (Hrsg.) (2005): QM-Handbuch der Mobilen Jugendarbeit Stuttgart.<br />
Stuttgart (auch online unter www.mobile-jugendarbeit-stuttgart.de).<br />
Nohl, Herman (1949): Pädagogik aus 30 Jahren. Frankfurt/Main.<br />
Specht, Walter (1979): Jugendkriminalität und mobile Jugendarbeit. Ein stadtteilbezogenes<br />
Konzept von Street Work. Neuwied/Darmstadt.<br />
Thiersch, Hans (1986): Die Erfahrung der Wirklichkeit. Perspektiven einer alltagsorientierten<br />
Sozialpädagogik. Weinheim/München.<br />
Thiersch, Hans (1992): Lebensweltorientierte Soziale Arbeit. Aufgaben der Praxis im sozialen<br />
Wandel. Weinheim/München.
40<br />
DIE SOZIAL-<br />
PÄDAGOGISCHE<br />
ENTWICKLUNG<br />
FUNKTIONELLER<br />
ÄQUIVALENTE<br />
ALS DAS SCHLÜSSELKONZEPT DER <strong>MOBILE</strong>N <strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
Walther Specht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
1. BEGRIFFLICHE KLÄRUNGEN<br />
Eine Kernaufgabe der Mobilen Jugendarbeit besteht seit ihren Anfängen 1967 bis in die<br />
Gegenwart in der Entwicklung und Erschließung neuer sozialer Lernfelder für und mit<br />
Kindern und Jugendlichen, deren Lebenslage als prekär bezeichnet werden kann. Dies<br />
gilt für ausgegrenzte Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt. Diese sozialen Lernfelder<br />
sollen für den Jugendlichen ein funktionelles Äquivalent zu dem Prekären darstellen<br />
und eine konkurrierende Kraft in seinem Alltag zu all dem bilden und entfalten, was<br />
ihn in seiner Entwicklung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit behindert. Soziale<br />
Lernfelder sind hier als Ressourcen aus den Lebensbereichen Familie, Freunde, Nachbarschaft,<br />
Schule, Behörden, Ausbildung und Betrieb zu verstehen, die in der Mobilen Jugendarbeit<br />
zentrale Arbeitsfelder zu einem gelingenden Alltag des Jugendlichen darstellen.<br />
In den späten Sechziger Jahren (Specht 1979: 132) konzentrierte sich die Betrachtung<br />
noch primär auf delinquent handelnde Jugendliche in Westdeutschland, die bereits kriminalisiert<br />
waren oder als kriminalisierbar angesehen werden mussten. In „emanzipativen<br />
Lernschritten“ sollte zunächst die Funktion der delinquenten Handlung für den einzelnen
Jugendlichen analysiert und festgestellt werden. Für den Jugendlichen „attraktive sozialpädagogische<br />
Inszenierungen“ sollte danach als eine mit seiner delinquenten Handlung<br />
konkurrierende Kraft wirksam werden und die delinquente Handlung überflüssig machen.<br />
Da delinquente Handlungen für den Jugendlichen nicht nur eine bestimmte Funktion<br />
erfüllen wie ‚etwas besitzen’, ‚Aufmerksamkeit erregen’, in der Clique Anerkennung erhalten,<br />
sondern für ihn in seinem Alltag gleichzeitig Ausgrenzungs- und Stigmatisierungsprozesse<br />
auslösen oder verstärken und durch staatliche Sanktionen auch Abhängigkeiten,<br />
Einschränkungen und Fesselungen (Freiheitsentzug) hervorbringen, war in diesen früheren<br />
Überlegungen der Fokus sehr stark auf ein den Jugendlichen davon befreiendes<br />
(„emanzipatives“) Handeln gerichtet. Entscheidend aber war damals wie heute, dass die<br />
Sozialpädagogin, der Sozialpädagoge, zusammen mit dem einzelnen Jugendlichen und<br />
seiner Bezugsgruppe - unter Beachtung der Funktion und der Qualität, die das bisherige<br />
„schwierige“ Verhalten für ihn hat(te) - dazu konkurrierende Handlungsalternativen entwickelt,<br />
die für den Jugendlichen eine hohe Attraktivität besitzen. Der erste emanzipative<br />
Lernschritt hieß 1979 dann auch: „Ablösung delinquenter Handlungen durch attraktive<br />
sozialpädagogische Inszenierungen.“ (Specht 1979: 132) Es sollten Lernorte mit Entlastungs-<br />
und Korrekturfunktion entstehen und Zustände von Einschränkungen und Abhängigkeiten<br />
sollten gemildert oder gar aufgehoben werden.<br />
Dieses Konzept der Fokussierung auf delinquente Verhaltensweisen wie Eigentums- und<br />
Gewaltdelikte bei Jugendlichen und die dazu inszenierten sozialpädagogischen Handlungsalternativen<br />
hatte sich in der Vergangenheit in Deutschland, im Ursprungsland von<br />
Street Work, in den USA, aber auch in vielen anderen Ländern der Erde sehr bewährt.<br />
Vielfach wurde es generell auf abweichendes Verhalten bezogen. Während der letzten 25<br />
Jahre musste jedoch das Schlüsselkonzept der Mobilen Jugendarbeit, die Entwicklung<br />
funktioneller Äquivalente zu selbst- und fremdzerstörerischem Verhalten breiter angelegt<br />
und erörtert werden. Dies hatte nicht nur seinen Grund in dem fortschreitenden gesellschaftlichen<br />
und politischen Wandel auf der nationalen, europäischen und globalen<br />
Bühne, sondern in den damit einhergehenden praktischen Herausforderungen wie etwa<br />
der verstärkte Konsum illegaler Drogen und vielfache extremistische Orientierungen bei<br />
Jugendlichen, Migrations- und Integrationsprobleme, Bildungs- und Ausbildungsfragen,<br />
Arbeitslosigkeit und das Thema Armut unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland,<br />
Europa und global betrachtet. Diese Themen stehen heute vermehrt auf der Tagesordnung<br />
und stellen somit auch die Mobile Jugendarbeit theoretisch vor wesentlich breitere<br />
Herausforderungen. Praktisch jedoch forderten die genannten Themen die Mobile Jugendarbeit<br />
schon seit ihren Anfängen 1967 heraus. Die Verhinderung oder gar Tilgung<br />
„nur“ delinquenten Verhaltens Jugendlicher, etwa in einem therapeutischen Schonraum,<br />
im Heim inszeniert, ohne gleichzeitig die Frage nach dessen Ursachen zu erörtern und<br />
diese Erkenntnisse in das sozialpädagogische Handeln zu integrieren, versprachen schon<br />
damals wenig Chancen auf Erfolg.<br />
41
42<br />
Mit dem Modellprojekt „Hallschlag“ von 1979 bis 1984, unter wissenschaftlicher Begleitung<br />
des Institutes für Erziehungswissenschaft der Universität Tübingen, stand die Mobile<br />
Jugendarbeit erstmals vor der Herausforderung, einem massiven Gebrauch von harten<br />
Drogen (Heroin) unter Jugendlichen zu begegnen. Praktische Erfahrungen mit jugendlichen<br />
Heroinkonsumenten aus dem Bereich der Mobilen Jugendarbeit lagen bis zu diesem<br />
Zeitpunkt nicht vor. Experten, vorwiegend aus dem medizinisch-therapeutischen Bereich,<br />
rieten dringend davon ab, mit Mobiler Jugendarbeit diesem Problem überhaupt begegnen<br />
zu wollen. Das Scheitern sei schon mit dem ersten Versuch programmiert. Heroin habe<br />
eine solche dominante Kraft, ja Gewalt, dass mit ihm schlechterdings nichts und schon gar<br />
keine alltagsorientierte Sozialpädagogik konkurrieren könne. So die damalige Lehrmeinung,<br />
die sich auf die „Leidensdrucktheorie“ stützte und damals ziemlich kategorisch<br />
eine klinische Langzeittherapie (15 – 18 Monate) propagierte. Die Jugendlichen aus dem<br />
Hallschlag ließen sich jedoch auf diese Vorgaben nicht ein und erzwangen geradezu im sozialpädagogischen<br />
Team der Mobilen Jugendarbeit ein Umdenken. Gibt es nicht doch zum<br />
teuflisch-schönen Heroin eine wirksame konkurrierende Kraft? Es gab sie, wenn auch<br />
nicht für alle Suchtstadien, aber es gab sie. Kurzweg formulierte aus den „emanzipativen<br />
Lernschritten“ von Specht (1979:132) heraus (s.o.) neue, sogenannte „attraktive Gegenpole“<br />
zum Drogengebrauch (Kurzweg 1991). Beide inszenierten und belegten durch gelingende<br />
sozialpädagogische Praxis, dass es auch zum jugendlichen Konsum von Heroin<br />
innerhalb eines gewissen Anfang- und Gewöhnungsstadiums wirksame und sozialpädagogisch<br />
inszenierte „funktionelle Äquivalente“ gab.<br />
Aus dem Bereich der psychologischen Forschung von Silbereisen lagen 1985 aus einer<br />
vergleichenden Längsschnittstudie zwischen Berlin und Warschau, bei dem der Drogengebrauch<br />
von Jugendlichen über einen längeren Zeitraum untersucht wurde, Ergebnisse<br />
vor, die den Drogenkonsum als eine Bewältigung von Entwicklungsanforderungen beschrieben<br />
und deutlich machten, dass auch der Konsum von Drogen – wie delinquentes<br />
Verhalten allgemein - für den Konsumenten eine Funktion erfüllt. Wenn nun diese Funktion<br />
durch etwas anderes, möglichst Besseres, Attraktiveres ersetzt würde, läge ein funktionelles<br />
Äquivalent vor.<br />
Dieses theoretische Konstrukt der „funktionellen Äquivalente“ von Kastner/Silbereisen<br />
wurde etwa seit 1986 von der Mobilen Jugendarbeit begrifflich übernommen, da es konsequent<br />
auf den bisherigen Grundlagenarbeiten der „emanzipativen Lernschritte“ aufbaute.<br />
2. PRAKTISCHE ANWENDUNGEN<br />
Sozialpädagogik als eine Handlungswissenschaft bezieht ihre Berechtigung letztlich in<br />
dem Nachweis, dass sie die von ihr formulierten Ziele auch erreicht. Dies gilt natürlich
43<br />
auch für die Mobile Jugendarbeit. In einer Broschüre der Landesarbeitsgemeinschaft Mobile<br />
Jugendarbeit Streetwork Baden-Württemberg u.a. heißt es dazu:<br />
„Mitarbeiter/innen aus dem Arbeitsfeld der Mobilen Jugendarbeit verfügen über örtliche<br />
Kenntnisse und Erfahrungen bezüglich der Lebenslagen junger Menschen… Die Mobile<br />
Jugendarbeit begleitet Jugendliche im Lebensalltag und bewahrt sie durch die unterstützende<br />
Tätigkeit vor einem tieferen Abrutschen. Wenn Jugendliche in ihren Biographien<br />
Brüche, Verletzungen und Ablehnung erfahren haben und diese negativen Prägungen gegenüber<br />
einer Anerkennung und einem positiven Selbstwertgefühl dominieren, brauchen<br />
sie Zeit, um ihr eigenen Werte und Wege zu finden. Mobile Jugendarbeit gibt dieser Zielgruppe<br />
die Chance, die in ihnen steckenden Fähigkeiten und Möglichkeiten wieder zu entdecken<br />
und sich mit den bisherigen Erfahrungen und neu dazu Gelerntem zu Recht zu<br />
finden.“<br />
In jeder Gesellschaft, in jedem Land, in jeder Stadt, in jeder Gemeinde, (gleichgültig, ob politische<br />
Gemeinde oder Kirchengemeinde), in jedem Stadtteil, Quartier oder Wohnblock,<br />
Slum, Township, Ghetto oder Favela sind Potentiale für Problemlösungen vorhanden.<br />
Diese Ressourcen in einer Sozialraumanalyse aufzuspüren und sie für ausgegrenzte Kinder<br />
und Jugendliche zu „vitalisieren“ (Bruckdorfer), sie als soziales Kapital für und mit<br />
ausgegrenzten Kindern und Jugendlichen einzusetzen, kann und sollte ein erstes Ziel Mobiler<br />
Jugendarbeit sein.<br />
Das in einem Stadtteil beispielsweise vorgefundene Problem von Angst unter vielen Bewohnern<br />
gegenüber einer Gruppe von im selben Stadtteil wohnenden gewalttätigen Jugendlichen<br />
(Provokationen, Sachbeschädigungen, Schlägereien, Auseinandersetzungen<br />
zwischen rivalisierenden ethnischen Cliquen und Jugendbanden) und der Folge eines verstärkten<br />
Rückzuges der Bewohner und/oder dem Ruf nach mehr Polizei könnte bei diesen<br />
angsthabenden Bewohnern die Funktion erfüllen, Unsicherheit und Schutzlosigkeit zum<br />
Ausdruck zu bringen.<br />
Funktionelle Äquivalente der Mobilen Jugendarbeit in einer solchen komplexen Aufgabenstellung<br />
sollten hier auf mindestens 2 Ebenen geplant und inszeniert werden:<br />
• Ebene 1: Kontaktaufnahme mit den ausgegrenzten („gewalttätigen“) Jugendlichen<br />
und Gewinnung ihres Vertrauens durch solidarische Handlungen (Street Work, Einzelhilfe<br />
und Gruppenarbeit) des Mobilen Jugendarbeiters, der Mobilen Jugendarbeiterin<br />
(Specht 1979: 112).<br />
• Ebene 2: Kooperation der Mobilen Jugendarbeit mit allen Institutionen der sozialen<br />
Kontrolle und Hilfe, die für die ausgegrenzten Jugendlichen zuständig sind und die<br />
Mobilisierung von kritisch-solidarischen Stadtteilbewohnern, die als Bündnispartner<br />
für ausgegrenzte Kinder und Jugendliche und für die Mobile Jugendarbeit gewonnen<br />
werden können (Keppeler/Specht 2005:1223).
44<br />
Das Auffinden, Erspüren und ständige Aushandeln funktioneller Äquivalente in diesem<br />
nur angedeuteten Beispiel jugendlicher Gewalt ist zutiefst die hier relevante professionelle<br />
Kunst sozialpädagogischer Arbeit. Sie setzt fast immer eine relativ genaue Kenntnis der<br />
Lebenslage des gewaltpraktizierenden Jugendlichen voraus. Da durchschnittlich ca. 80 %<br />
jugendlicher Gewaltdelikte im sozialpsychologischen Kontext von Gruppen (Cliquen, Kameradschaften,<br />
Banden) stattfinden, ist das Auffinden funktioneller Äquivalente in diesen<br />
Fällen eine noch wesentlich komplexere Aufgabe als bei einen reinen „Solisten“, da vielfache<br />
Gruppeninteraktionen und Einflüsse einzelner zu berücksichtigen sind. „Bleib’ weg<br />
von der Clique“ bleibt meist eine leere Formel vom bequemen Beratungs- oder Therapiesessel<br />
aus. Die Clique oder die Peers sind nun mal alltäglich vorhanden, ob in der Schule,<br />
auf dem Schulweg, auf der Straße oder im Park...<br />
Es gilt also den Kontakt zu den Bezugsgruppen des gewaltpraktizierenden Jugendlichen<br />
herzustellen und auf dieser Interaktionsebene Vertrauen aufzubauen. Auf dieser Beziehungsebene<br />
des gewaltpraktizierenden Jugendlichen ist zu fragen: Welche Funktion hat<br />
die Gewalt für den oder die Handelnden? Ausgegangen wird hierbei von folgenden Annahmen:<br />
• Gewalt ist stets das Ergebnis eines Interaktionsgeschehens.<br />
• Gewalt ist gelerntes Verhalten in der Familie, oder in totalen Institutionen (Heimen, Gefängnissen),<br />
aber auch auf der Straße, in jugendlichen Cliquen, Peer Groups und Jugendbanden.<br />
• Welche Formen der Gewalt ein Mensch praktiziert, hängt von seinen physischen und<br />
psychischen Möglichkeiten und von seinen Erfahrungen ab. Sie können auch kognitiv<br />
in den Medien – etwa durch Beobachtungs- und Modelllernen im Fernsehen - gelernt<br />
werden.<br />
• Gewalt ist nach Heitmeyer eine hocheffektive Ressource und jederzeit verfügbar.<br />
• Gewalt hat immer eine Vorgeschichte.<br />
• Gewalt ist immer eine Aktion von Machtausübung.<br />
• Gewalt dient der Dominanzverstärkung und der (Wieder-) Herstellung von Autorität.<br />
• Wenn Menschen gewalttätig werden, geht es meist um Anerkennung oder um Missachtung.<br />
Jugendliche etwa verfügen nur über geringe Anerkennungsquellen. Und wer beispielsweise<br />
ein „armer“ Jugendlicher ist, hat besonders wenig Anerkennungsquellen durch<br />
Menschen und Dinge (Geld). Anerkennung ist stets ein wechselseitiger kommunikativer<br />
Prozess, er beruht häufig auf Leistung und Gegenleistung. „Die Clique, die Typen, die<br />
Bande anerkennen mich, ich anerkenne diese Typen“.<br />
Zunächst muss also geklärt werden: Was sind Anerkennungsquellen für Jugendliche? Eltern,<br />
Familie, Schule, Ausbildung, Arbeit, Erwachsene als Vorbilder, Gleichaltrige?! Wer<br />
verweigert Anerkennung oder sieht sich nicht dazu in der Lage? In diesen gesellschaftlichen<br />
Feldern der Sozialisation lauern damit auch Quellen der Missachtung, der Statusver-
45<br />
weigerung. Für den Jugendlichen sind dabei zentrale Fragen: Wer braucht mich? Was bin<br />
ich wem wert? Wer respektiert mich?<br />
Hierbei ist generell zu beachten, dass vorhandene Gefühle von Ungerechtigkeit hochgradig<br />
subjektiv sind. Menschen, die unter Anerkennungszerfall leiden, anerkennen häufig<br />
auch nicht mehr das Recht auf Unverletzlichkeit der anderen Person. Hierbei kommen<br />
Belehrungen von Erwachsenen gegen die Erfahrungen der Jugendlichen nicht an.<br />
Wenn nun Mobile Jugendarbeiter/innen auf gewaltpraktizierende Jugendliche treffen,<br />
werden sie zunächst auf der Basis der hier nur kurz angedeuteten Annahmen versuchen,<br />
zusammen mit dem Jugendlichen die Funktion der von ihm praktizierten Gewalt zu erkennen<br />
und zu analysieren. Diesem Analyseschritt sollte nun – wenn es sich um Mobile Jugendarbeit<br />
handelt – ein sozialpädagogisch inszenierter Praxisschritt folgen, der in seiner<br />
Bedeutung für den Jugendlichen als ein „funktionelles Äquivalent“ zu der vorher praktizierten<br />
Gewalt bezeichnet werden kann. Dieses Äquivalent muss im Bewusstsein des Jugendlichen<br />
einen hohen Stellenwert haben, muss attraktiv, muss besser, muss eine zur<br />
Gewalt konkurrierende Kraft entfalten und dem Jugendlichen neue, für ihn gangbare<br />
Wege aufzeigen.<br />
Das oben erwähnte Beispiel wieder aufgenommen und auf einen einzelnen Jugendlichen<br />
bezogen: Wenn der bisher durch Brutalität gegen Mitglieder einer altersgleichen rivalisierenden<br />
Clique aufgefallene 16jährige Jonas sich bislang der Anerkennung seiner eigenen<br />
Cliquenmitglieder sicher sein konnte, erhält diese Anerkennungsquelle nun Konkurrenz.<br />
Durch individuelle Beratung auf einer gewachsenen vertrauensvollen Beziehung zu dem<br />
Mobilen Jugendarbeiter Hansi lässt er sich auf die ebenso anerkennungssichernde sportliche<br />
Aktivität „ein Fußball-Turnier im Stadtteil organisieren und durchführen“ ein. Seine<br />
von Hansi wieder-entdeckten sportlichen Fähigkeiten werden nicht nur in der Clique, sondern<br />
auch auf der Stadtteilebene öffentlich und im Lokalteil der Tageszeitung mit viel Lob<br />
wertgeschätzt. Monate zuvor noch hatte er Hansi voll Stolz einen Ordner mit gesammelten<br />
Zeitungsausschnitten über Gewalttaten seiner Clique gezeigt. Mit der Clique zusammen<br />
muss die Mobile Jugendarbeit selbstverständlich auch eine konkurrierende<br />
Alternative zu ihrem bisherigen negativen Image im Stadtteil entwickeln (Keppeler/Specht<br />
2005: 1228-1230).<br />
Diese Skizze sollte lediglich das Grundprinzip der „funktionellen Äquivalente“ andeuten.<br />
Weitere, vor allem Jonas in seinem Alltag stabilisierende Schritte müssen folgen. Dabei<br />
müssen Rückschläge selbstverständlich immer wieder verarbeitet werden können.<br />
Auf der Ebene „Ängste von Bewohnern“ sind von der Mobilen Jugendarbeit ebenfalls<br />
funktionelle Äquivalente zu inszenieren. Aufklärung und Information der Stadtteilbewohner<br />
über die Lebenslage ausgegrenzter Jugendlicher ist hierbei lediglich ein erster<br />
Schritt. Formen gelingender Kommunikation wie soziale, kulturelle, sportliche Aktivitäten
46<br />
und Veranstaltungen sind hierzu ein geeignetes Instrument. Reine verbale Appelle zur<br />
Solidarität mit ausgegrenzten Jugendlichen, ohne diese konkret in einem gelingenden<br />
Kontext zu erfahren, sind meist wirkungslos. Daher sind beispielsweise Stadtteilfeste,<br />
Sport- und Kulturveranstaltungen, kommunikative öffentliche Begegnungen aller Art, die<br />
Freude und Spaß machen und dabei sozial gelingende Begegnungen ermöglichen, von<br />
hohem Wert. Sie sind eine konkurrierende Kraft zu Anonymität und Ignoranz und befördern<br />
Verstehen, Toleranz und Wertschätzung des anderen.<br />
Soweit ein paar Überlegungen zum Schlüsselkonzept der Mobilen Jugendarbeit, das in der<br />
Vergangenheit schon sehr vielen Jugendlichen die Möglichkeit eröffnet hat, Verantwortung<br />
für sich selbst und für andere zu übernehmen. Die Realisierungschancen des<br />
Konzeptes sind selbstverständlich stets im Kontext des jeweiligen historischen gesellschaftlichen<br />
Entwicklungsstandes zu interpretieren.<br />
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Bruckdorfer, M. 2006: Sozialräumliche Familien- und Jugendarbeit (SoFJA), in: Diakonie Texte 01.<br />
2006.<br />
Kastner, P./Silbereisen, R.K. 1991: Jugendentwicklung und Drogen – Eine prospektive Längsschnittstudie<br />
als wissenschaftliche Begründung präventiver Intervention in: Specht.W., Gefährliche<br />
Straße. Bielefeld.<br />
Keppeler, S./Specht, W. 2005: Mobile Jugendarbeit, in: Thiersch, H./Otto, H.-U., 2005, Handbuch<br />
Sozialarbeit, Sozialpädagogik,<br />
Kurzweg, K. 1991: Jugendlicher Drogenkonsum und Mobile Jugendarbeit, in: Specht, W. (Hrsg.)<br />
Gefährliche Straße. Bielefeld.<br />
Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Mobile Jugendarbeit/Streetwork, Baden-Württemberg e.V., LAG<br />
Jugendaufbauwerk und Kommunalverband für Jugend und Soziales Ba.-Wü. 2005: Was leistet<br />
Mobile Jugendarbeit? Stuttgart.<br />
Specht, W. 1979: Jugendkriminalität und mobile Jugendarbeit. Neuwied.<br />
Specht, W. 2002: обильная абота с олодежью в вропе. In: мир детства. зрослый журнал о детях<br />
3/02, оскваю<br />
Specht, W. 2004: Street Children and Mobile Youth Work in Africa – the 8th <strong>ISMO</strong> Symposium<br />
October 2003, in: Social Work Society, Vol 2, Issue 1, 2004<br />
www.socwork.de/specht2004.pdf<br />
Specht, W./Kampermann, K. (Hg. <strong>ISMO</strong>) 2004: Mobile Youth Work in Africa. Transformation of a<br />
worldwide concept. <strong>ISMO</strong> Stuttgart.<br />
Specht, W. 2004: Mobile Youth Work as a community-based Approach to include children and their<br />
families. (Speech at ENSCW Symposium Dec. 9, 2004 in Brussels).
47<br />
Specht, W. 2005: обильная абота с олодежью в вропе, (Mobile Jugendarbeit in Europa).<br />
In: ексикон оциальнои аботы (Lexikon der Sozialen Arbeit in russischer Sprache). ологда<br />
(Wologda), Russische Föderation, S. 175 – 178.<br />
Specht, W. 2005: Уличные ети (Straßenkinder) In: ексикон оциальнои аботы (Lexikon der Sozialen<br />
Arbeit in russischer Sprache). ологда (Wologda) 2005, Russische Föderation,<br />
S. 498 – 499.<br />
Specht, W. 2007 (Hg. <strong>ISMO</strong>): онцепция обильной аботы с олодежью ерспективы для оссийской<br />
едерациию. Stuttgart, International Society for Mobile Youth Work.
48<br />
GEMEINWESEN-<br />
ARBEIT UND<br />
SOZIALRAUM-<br />
ORIENTIERUNG<br />
IN DER <strong>MOBILE</strong>N <strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
Tom Küchler, Stefan Gillich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
1. WARUM GEMEINWESENARBEIT SINN MACHT<br />
Mobile Jugendarbeit (MJA) als Handlungsansatz vereint unterschiedliche Methoden und<br />
Arbeitsprinzipien von sozialer Arbeit – Street Work, Gruppenarbeit, Einzelfallhilfe und Gemeinwesenarbeit<br />
(GWA). Das heißt: Wo „Mobile Jugendarbeit“ draufsteht ist Gemeinwesenarbeit<br />
bzw. sozialraumorientiertes Denken und Handeln drin. Dies hat der Fachverband<br />
für Mobile Jugendarbeit/Streetwork in Sachsen in seinen Fachstandards aktuell ebenso<br />
festgeschrieben (2007) wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork/Mobile Jugendarbeit<br />
(2007). Doch, so ist zu fragen, stimmt diese Beschreibung mit der Praxis überein<br />
und was ist damit überhaupt gemeint, wenn von Gemeinwesenarbeit oder sozialraumorientierten<br />
Handeln die Rede ist?<br />
Aus Erfahrungen in der Fachberatung und in der Fort- und Weiterbildung von Praktiker/<br />
innen, sind folgende Aspekte wahrnehmbar:<br />
Als „richtige Arbeit“ wird von den Praktiker/innen im Arbeitsfeld nur die unmittelbar mit<br />
den Adressat/innen verknüpfte Arbeit verbunden (die sog. „Arbeit am Klienten“) 2<br />
Gemeinwesenarbeit wird verkürzt auf Gremienarbeit, Mitgliedschaften in Netzwerken und<br />
Verbänden oder Öffentlichkeitsarbeit, quasi alles ist Gemeinwesenarbeit, was nicht unmittelbar<br />
den anderen s.g. 3 „Säulen“ (Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit, Street Work) zugeordnet<br />
werden kann.
49<br />
Die Bedeutung des Handelns im Sozialraum wird wenig erkannt: Dass nämlich die Jugendlichen<br />
nicht nur auf den Sozialraum einwirken und häufig als Störer wahrgenommen werden,<br />
sondern der Sozialraum auch gleichzeitig Einfluss auf das Verhalten der<br />
Jugendlichen hat, z.B. durch die Bereitstellung von Angeboten oder durch gute Infrastruktur.<br />
Sozialraum- und Lebensweltanalysen liegen bezogen auf die MJA- Konzeptionen nicht<br />
vor oder es sind mehrere Jahre seit der letzten Sozialraum- oder Lebensweltanalyse vergangen.<br />
Wenn Sozialraum- oder Lebensweltanalysen vorliegen, sind diese kaum mit „weichen<br />
Daten“ gespickt, und sie wurden wenig unter Beteiligung der Adressat/innen erstellt.<br />
Insgesamt scheinen die Konzepte mehr angebotsorientiert und weniger an den konkreten<br />
Bedarfslagen der Adressat/innen gekoppelt zu sein.<br />
Fazit: Gemeinwesenarbeit ist eher Pflicht als Kür – bzw. ein irgendwie ungreifbares, aber<br />
scheinbar notwendiges Übel.<br />
Fakt ist jedoch: Gemeinwesenarbeit und Mobile Jugendarbeit gehören zusammen. Bereits<br />
Walther Specht hatte vor 42 Jahren in Stuttgart Mobile Jugendarbeit als Stadtteilarbeit<br />
konzipiert. In seinem Klassiker „Die gefährliche Strasse“ schreibt er: „Die notwendige<br />
Verankerung von ambulanter Jugendhilfe in der Gemeinde wird hier nicht nur aus Gründen<br />
einer erhöhten Wirksamkeit sozialpädagogischer Intervention vertreten, sondern aus<br />
der häufig übersehenen und manchmal schmerzlichen Erkenntnis heraus, dass Jugendhilfe<br />
gegen das Gemeinwesen, gegen die dort lebenden Bewohner und gesellschaftlichen<br />
Gruppen zum Scheitern verurteilt ist.“ (1991, S. 23). Zum Aspekt der GWA in der MJA führt<br />
er aus: „Mobile Jugendarbeit betont die Wahrnehmung von Bewohnerinteressen und die<br />
Veränderung von sozial-ökologischen Lebensbedingungen. Hierbei spielt das Moment der<br />
Gemeinde- bzw. stadtteilöffentlichen Behelligung, Mobilisierung und Beteiligung der Bewohner<br />
an Problemlösungsstrategien eine zentrale Rolle.“ (1991, S. 25).<br />
Auch wenn es einzelne Stimmen gibt, welche den Begriff Gemeinwesenarbeit begraben<br />
möchten, wie dies z.B. Johannes Brock 2007 skizzierte 3 , machen nicht zuletzt die vielfältigen<br />
Praxisfelder der Jugendhilfe deutlich, wie aktuell sich die Gemeinwesenarbeit<br />
darstellt. 4 Viele Arbeitsfelder, so ist in den letzten Jahren wahrzunehmen, richten sich nun<br />
sozialraumorientiert aus (in der Regel ist damit ein geographischer Raum gemeint). Vom<br />
„Fall zum Feld“ lautet eine griffige Formel für die Qualität kommunaler Jugend- und So-<br />
2<br />
Deswegen „versinken“ viele in der Arbeit in den Einzelfallhilfen<br />
3<br />
Auf dem Fachtag „Gemeinwesenarbeit – ein zeitgemäßer Ansatz?“ vom 24.-26. September 2007<br />
in Limbach-Oberfrohna; Download der Dokumentation unter http://www.mja-sachsen.de<br />
4<br />
In neuerem Gewand unter dem Begriff der Sozialraumorientierung bzw. des Quartiermanagements.<br />
Als bundesweites Netzwerktreffen dient seit fast drei Jahrzehnten die zweijährlich stattfindende<br />
„Werkstatt Gemeinwesenarbeit“ im Burckhardthaus/Gelnhausen www.burckhardthaus.de
50<br />
zialhilfe. Anknüpfungspunkte sind etwa die stärkere Sozialraumorientierung der Hilfen<br />
zur Erziehung oder projektbezogene Bündelung von Ressourcen aus unterschiedlichen Institutionen.<br />
Wir plädieren dafür, die Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip inhaltlich und<br />
als Begriff zu erhalten und praxisorientiert weiterzuentwickeln. Als Anregungen mögen<br />
die im Folgenden benannten Überlegungen beispielhaft gelten.<br />
1.1 Auf dem Weg zur Bürgergesellschaft – Jugendliche müssen an (lokal-)politischen<br />
Prozessen beteiligt werden!<br />
Die Aussagen der Jugendstudien zum Interesse junger Menschen an Politik ähneln sich:<br />
Es ist weiterhin niedrig ausgeprägt. 5 Jugendliche mit niedrigem Bildungsniveau – und<br />
das sind in der Regel die Adressaten der MJA – haben darüber hinaus ein unterdurchschnittliches<br />
Interesse an Politik (vgl. Brock 2007). Auf dem Weg zur Bürgergesellschaft<br />
verändert auch der Staat seine Funktionen: „Der Staat führt nicht mehr Regie, sondern<br />
weckt, aktiviert, motiviert, sorgt für Kommunikation und Kooperation, möglichst auch für<br />
Konsens, verlässt sich aber sonst auf die endogenen Potenziale der Gesellschaft“ (Spiegel<br />
2002, S. 28). Im Sinne der GWA ist zu ergänzen, dass der Staat Rahmenbedingungen<br />
schaffen muss, die dieses ermöglichen. Diesen Weg begleiten also Widersprüche und Konfusionen,<br />
und die Gefahr ist groß, dass ein Teil der Gesellschaft – nämlich Jugendliche, die<br />
vorwiegend in prekären Lebensverhältnissen aufwachsen – auf diesem Weg abgehängt<br />
wird, einfach nicht mehr mitkommt.<br />
Neben Beteiligungsangeboten und Mitwirkungsmöglichkeiten für junge Menschen in verschiedenen<br />
Feldern der Jugendarbeit haben sich im letzten Jahrzehnt neue Formen 6 etabliert,<br />
die mit unterschiedlicher Qualität und Reichweite – von Mitsprache über Mitwirkung<br />
bis zur Mitbestimmung – mehr Jugendlichen eine Beteiligung an Planungen und Entscheidungen<br />
bieten, die sie berühren. Das Spektrum zeichnet sich aus durch die Suche nach<br />
der jeweils adäquaten Form. Gleichwohl gilt zu fragen, was mit Beteiligung eigentlich gemeint<br />
ist. So vielfältig wie der Begriff sind auch die möglichen Antworten. Beteiligung<br />
(oder Partizipation) nach unserem Verständnis ist Teilhabe und Teilnahme. Teilhabe meint,<br />
dass jemand etwas abbekommt. Es muss also jemanden geben, der etwas abgibt. Und<br />
zwar Entscheidungskompetenz oder Planungshoheit oder was auch immer. Die Einflussmöglichkeiten<br />
hängen wesentlich davon ab, wie Informationen ausgetauscht werden, wie<br />
die Informationskanäle angelegt sind und mit welcher Haltung das politisch-administrative<br />
System den Bürger/innen begegnet. Teilnahme beginnt bei der Stufe der konsumierenden<br />
Beobachtung und steigert sich über den Schritt der Mitwirkung im Vorfeld von<br />
Entscheidungen hin zur Mitentscheidung und Selbstverwaltung. Dabei beruht Partizipation<br />
immer auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Beteiligung ist abhängig von objektiven und<br />
5<br />
Stellvertretend hierfür die 15. Shell Jugendstudie 2006<br />
6<br />
Siehe auch Anlage
51<br />
subjektiven Faktoren. Wenn man Beteiligung fördert, ohne parallel Umsetzungsstrategien<br />
zu entwickeln, treiben wir die Spaltung der Gesellschaft voran, da nur die erreicht werden,<br />
die bereits artikulationsfähig sind. Häufig wird, wenn von Beteiligung geredet wird, nur ein<br />
Teil verstanden, nämlich Teilhabe oder Teilnahme. Wir müssen schauen, wo Beteiligungsaktionismus<br />
ist und wo wirkliche Beteiligung. Ebenso wenig wie eine Schwalbe einen Sommer<br />
macht, macht eine Beteiligungsform noch keine wirkliche Beteiligung. Wir müssen<br />
uns vergegenwärtigen, dass es Voraussetzungen gibt für Partizipation. Wir müssen bei<br />
den Adressaten genau schauen, was die Voraussetzungen sind, die Menschen überhaupt<br />
erst die Möglichkeit gibt, sich zu beteiligen.<br />
MJA hat den Anspruch, mit Jugendlichen zu arbeiten, die von anderen (Jugendhilfe-)Angeboten<br />
nicht oder nicht mehr erreicht werden. Sie hat vielfältige Erfahrungen mit Abgehängten<br />
und Verweigerern und kann ihre Kompetenzen nutzen für den Kontakt und den<br />
Dialog mit den Jugendlichen. Sie kann Voraussetzungen für Beteiligung schaffen, indem<br />
sie Beteiligungsmöglichkeiten so organisiert, dass sie<br />
• in der Lebenswelt der Jugendlichen verankert werden,<br />
• persönlichen Kontakt gewährleistet,<br />
• leichte Erreichbarkeit der Ansprechpartner/innen ermöglicht,<br />
• Altersangemessene Formen berücksichtigt,<br />
• unmittelbare, zeitnahe Reaktionen ermöglicht,<br />
• die konkreten Zeitbudgets der Jugendlichen berücksichtigt,<br />
• überschaubar und zeitlich abgrenzbar sind (Projektcharakter),<br />
• Offenheit der Prozesse für alle Beteiligen gewährleistet<br />
• nichts versprechen, was nicht zu halten ist,<br />
• nicht gesprächs-, sondern handlungsorientiert sind und<br />
• transparent sind. Es muss klar sein, was sie den Jugendlichen bringen können.<br />
1.2 Es geht nur noch vernetzt – ansonsten: Isolation<br />
Vernetzung und Kooperation sind ein wesentliches Merkmal von GWA. Es sind Merkmale,<br />
welche auch von Anfang an die Geschichte von Streetwork und MJA prägen und im Laufe<br />
der Zeit viele Ausdifferenzierungen erfahren haben (Schnittstellendiskussion, Kooperation<br />
mit Schule, Justiz, Polizei, Stadtteilgremien usw.). Eine MJA, die das Gemeinwesenarbeitsmerkmal<br />
der Vernetzung nicht integriert, ist kaum vorstellbar. Sie wäre durch ihre<br />
Nähe zu gesellschaftlich stigmatisierten Menschen auch zu stark davon bedroht, selbst<br />
isoliert zu werden und damit gesellschaftlich wirkungslos zu sein. Die „GWA-Säule“ hat<br />
hier also geradezu eine lebenserhaltende Funktion (vgl. Brock 2007).<br />
Ein Beispiel wie MJA ihre Kompetenz des Netzwerkens ins Gemeinwesen einbringen kann<br />
ist die Gestaltung einer lebensweltorientierten Jugendhilfeplanung (vgl. Deinet 2002, S.<br />
179 oder auch Punkt 4.1). Dabei geht man davon aus, dass die sozialräumliche Kundigkeit<br />
der Praktiker/innen mit den Ressourcen der örtlichen Verwaltung zusammengebracht
52<br />
werden können: Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben im Rahmen ihrer Planungsverantwortung<br />
die Aufgabe, Bedarfe zu ermitteln und - davon abgeleitet - Vorhaben<br />
zu planen. Dabei macht es Sinn, die Bedarfe möglichst bezogen auf kleinräumige Einheiten<br />
und unmittelbar bei den Adressaten zu ermitteln. Für beide Aspekte sind die Mobilen<br />
Jugendarbeiter und natürlich die Adressat/innen der MJA die Experten (ebd.). Angefangen<br />
von Sozialraum- und Lebensweltanalysen bis hin zu spezifischem Szenewissen verfügen<br />
sie über eine Fülle „weicher Daten“ und können die Trends im Stadtteil abschätzen.<br />
Außerdem haben sie die Kontakte zu den Jugendlichen, um diese direkt in den Planungsprozess<br />
mit einzubeziehen. Es ergeben sich Möglichkeiten der Beteiligung (über geeignete<br />
Methoden sozialräumlicher Lebensweltanalyse, s. Punkt 4.2) und der unmittelbaren Überprüfung<br />
der bisher vorhandenen Daten und Annahmen.<br />
1.3 Verständigung zu alten neuen Lebensfragen – mit Lokalbezug und mit der Jugend<br />
Gesellschaftliche Veränderungen, die mit den Schlagworten Endtraditionalisierung, Individualisierung<br />
und Pluralisierung von Lebenslagen beschrieben werden, sind im Gemeinwesen,<br />
„vor Ort“, konkret fassbar. Unterschiedliche Lebenswelten, Lebensweisen,<br />
Lebensentwürfe treffen aufeinander und führen – angesichts diffus wahrnehmbarer Risiken<br />
– zu der Frage: Wie sollen wir heute leben? (vgl. Brock 2007) GWA heute hat die Aufgabe,<br />
zur Verständigung über diese Frage beizutragen. Hierbei ergeben sich auch<br />
Chancen für die MJA. Der Gemeinwesenbezug versetzt sie in die Lage, die anstehenden<br />
Lebensfragen, die sich Jugendliche ebenso wie Erwachsene stellen, in einem größeren Zusammenhang<br />
ins Gespräch zu bringen. Dabei geht es z. B. um die Diskussion und Überprüfung<br />
bestimmter kultureller Muster, die sich in Erziehungsvorstellungen, in<br />
Geschlechterrollen, in der Bedeutung von Erwerbsarbeit, in der Gestaltung von Partnerschaft<br />
oder im Verhältnis der Generationen abbilden. Diese kulturellen Muster stehen in<br />
direktem Zusammenhang mit möglichen Beteiligungsstrukturen:<br />
• mit der Erfahrung sozialer Zugehörigkeit,<br />
• mit Formen von Nachbarschaftshilfe,<br />
• mit Arbeitsgelegenheiten in Strukturen lokaler Ökonomie,<br />
• mit dem Bild, dem Image des Stadtteils oder der Region und damit verbundener Ablehnung<br />
oder Identifizierung,<br />
• mit den Orten für Alltagskommunikation und Alltagskultur (ebd.).<br />
Wenn also die Diskussion der Frage: „Wie sollen wir heute leben?“ im Zusammenhang mit<br />
Beteiligungsmöglichkeiten konkret vor Ort geschieht und wenn sie nicht unter Ausschluss<br />
der Zukunftsgeneration, nämlich der Jugend, geführt wird, dann hat MJA für diese Verständigung<br />
eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Und sie muss fragen, was Jugendliche<br />
an Rahmenbedingungen benötigen um sich zu beteiligen. Wir können davon<br />
ausgehen, dass es gerade nicht das Kopieren von Erwachsenenritualen ist - ohne die Berücksichtigung<br />
jugendgerechter Strukturen.
53<br />
1.4 Die Ziele von Mobiler Jugendarbeit können nicht ohne Sozialraumorientierung erreicht<br />
werden.<br />
Wenn wir die aktuellen Fachstandards zur Mobilen Jugendarbeit in Sachsen, Baden-Württemberg<br />
oder der BAG Streetwork/Mobile Jugendarbeit betrachten, stehen darin folgende<br />
bzw. ähnliche Ziele von Mobiler Jugendarbeit festgeschrieben:<br />
• Mobile Jugendarbeit/Streetwork als dauerhaftes, belastbares und verlässliches Kontaktangebot<br />
in den Lebenswelten junger Menschen haben zum Ziel, die Teilhabe an<br />
der Gesellschaft zu fördern sowie ggf. soziale Benachteiligungen abzubauen.<br />
• Mobile Jugendarbeit verfolgt somit das Ziel, die Lebenssituation der jungen Menschen<br />
nachhaltig zu verbessern und sie in ihrer Entwicklung zu fördern. Ansatzpunkte sind<br />
dabei die:<br />
• Lebenssituation jeder/jedes Einzelnen - mit dem Ziel, individuelle Ressourcen zu erschließen,<br />
Handlungsspielräume zu erweitern, die Persönlichkeitsentwicklung und<br />
das Selbstbewusstsein zu fördern und bei der Alltagsbewältigung zu unterstützen;<br />
• spezifische Situation von Cliquen und Gleichaltrigengruppen - mit dem Ziel, gruppenbezogene<br />
Lernprozesse solidarischen Handelns und gegenseitiger Unterstützung auszulösen<br />
und zu begleiten;<br />
• strukturellen Lebensbedingungen - mit dem Ziel, die Rahmenbedingungen, welche die<br />
jungen Menschen vorfinden, zu verbessern (vgl. LAG Baden-Württemberg 2005, S 12).<br />
Grundsätzlich – so wird es z.B. in den Sächsischen Fachstandards für Mobile Jugendarbeit<br />
2007 weiter skizziert - geht es dabei um das Erschließen, Erhalten und Zurückgewinnen<br />
von Räumen. Mobile Jugendarbeit/ Streetwork setzt dabei auf einen erweiterten Raumbegriff.<br />
Räume sind z.B.:<br />
• Handlungsspielräume und Entfaltungsspielräume jeder/jedes Einzelnen,<br />
• öffentliche/materielle Räume (Plätze, Institutionen, Einrichtungen, Spielplätze etc.)<br />
• metaphorische Räume (Soziale Netzwerke, Beziehungsräume, virtuelle Räume).<br />
Betrachten wir uns diese Ziele genauer, so müssen wir feststellen, dass die Erreichung<br />
dieser Ziele ohne sozialraumorientiertes Denken und Handeln nicht möglich ist. Erst durch<br />
eine konsequente Umsetzung des Arbeitsprinzips Gemeinwesenarbeit im Arbeitsfeld Mobile<br />
Jugendarbeit können derartige Ziele erreicht werden.<br />
1.5 Die handlungsleitenden Prinzipien der Gemeinwesenarbeit sind kompatibel mit den<br />
Arbeitsprinzipien der Mobilen Jugendarbeit sowie mit einem systemisch-lösungsorientierten<br />
Denken und Handeln.<br />
Sowohl die Prinzipien der Gemeinwesenarbeit, die handlungsleitenden Prinzipien von Mobile<br />
Jugendarbeit als auch die Grundhaltungen und Anatzpunkte des systemischen bzw.<br />
des systemisch-lösungsorientierten Ansatzes weisen gemeinsame Schnittmengen auf,
54<br />
z.B.:<br />
• Menschen werden als Experten betrachtet. Es gilt diese zu beteiligen und zu aktivieren,<br />
anstelle für sie zu handeln;<br />
• Veränderungen sind nur möglich durch die Menschen selber. Sie brauchen in vielen<br />
Fällen unterstützende Hilfen;<br />
• der Mensch wird als Teil eines Systems wahrgenommen (ganzheitliche Sichtweise).<br />
Systemische Ansätze sind heute in aktuellen Konzepten der Sozialarbeit, auch speziell in<br />
der Jugendhilfe 7 oft zu finden. Auch im Kontext der Einzelfallhilfe bieten systemische<br />
Konzepte die Möglichkeit sozialräumlich innerhalb eines Systemischen Case Managements<br />
8 zu agieren. Systemisches Denken geht davon aus, dass jede Veränderung im System<br />
alle Teile des Systems in einem kleineren oder größeren Ausmaß beeinflusst. Folglich<br />
wird auch jeder Lösungsversuch alle Teile bzw. Mitglieder des Systems beeinflussen. Nicht<br />
einzelne Individuen stellen das Problem dar. D.h., wenn das Verhalten eines Systemsmitglieds<br />
(z.B. der/ die „auffällige“ Jugendliche) inadäquat ist, quasi als „schädlich“, „unbequem“<br />
oder „abweichend“ wahrgenommen wird, so ist dieses Verhalten Systemverhalten<br />
(vgl. Borwick, S. 363). Das System hat das Verhalten für sein Funktionieren abgeleitet.<br />
Aus der Systemperspektive ist jedes Verhalten dazu bestimmt, konstruktiv und sinnvoll für<br />
das System zu sein, denn das System ist bestrebt ein Gleichgewicht zu erhalten. Das heißt,<br />
ein System oder ein Mitglied des Systems (z.B. ein/e Jugendliche/r in einem Stadtteil)<br />
kann Verhalten erzeugen, welches von außen gesehen bizarr erscheint, jedoch von innen<br />
gesehen einen perfekten Sinn ergibt, damit sich das System erhalten kann bzw. sich nicht<br />
verändern muss.<br />
2. GEMEINWESENARBEIT – METHODE ODER ARBEITSPRINZIP?<br />
VERSTÄNDIGUNGEN ZUM BEGRIFF<br />
Die Frage, ob Gemeinwesenarbeit nun eine Methode oder ein Arbeitsprinzip ist, ist seit den<br />
80er Jahren (zumindest) theoretisch beantwortet. Zum Verständnis ist ein kurzer Exkurs<br />
in die Geschichte notwendig. In diese Zeit fällt das Grundlagenbuch zur Gemeinwesenarbeit,<br />
dessen wichtigster Vertreter Dieter Oelschlägel ist. „Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit“<br />
lautet der schlichte Titel und meint nichts anderes, als dass die Prinzipien und<br />
Haltungen der GWA als Grundorientierung die Soziale Arbeit - gleich in welchem sozialen<br />
Arbeitsfeld jemand tätig ist – strukturieren. Damit – das ist zentral – veränderte sich das<br />
Verständnis der Gemeinwesenarbeit. Von einer Methode (als klassische dritte Methode<br />
der Sozialen Arbeit - neben der Einzelfallarbeit und Gruppenarbeit) hin zum Arbeitsprinzip<br />
(zumindest in der Theorie). 9<br />
Das Betätigungsfeld der GWA war in dieser Zeit in Westdeutschland verortet in der Arbeit
55<br />
mit benachteiligten Gruppen in benachteiligten Stadtteilen – verbunden mit dem Ziel, die<br />
infrastrukturellen und materiellen Rahmenbedingungen der Bewohner zu verbessern.<br />
Danach setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Aufspaltung in Einzelhilfe und Stadtteilarbeit<br />
wenig produktiv ist.<br />
Die konzeptionelle Klammer ist die Lebenswelt der Menschen. Auftrag sozialer Arbeit ist,<br />
die Handlungsmöglichkeiten des Individuums zu erweitern und Behinderungen zu beseitigen.<br />
Dies geschieht durch die Förderung von materiellen und infrastrukturellen Ressourcen<br />
und durch die Förderung von sozialen und personalen Ressourcen (z.B. durch<br />
Beratungsarbeit) (vgl. Gillich 2004). Als räumliche, quartiersbezogene Kategorie findet<br />
sich die Lebenswelt wieder im Begriff der „Sozialraumorientierung“. Mit diesem Begriff<br />
sind wir mitten in den aktuellen Diskussionen. Denn der Sozialraum ist immer ein Teil der<br />
Lebenswelt des Individuums. Der Sozialraum des Individuums ist der Teil der Lebenswelt,<br />
in dem ich in Kontakt mit anderen Menschen bin, in dem ich „social“ bin.<br />
Hinte und Treeß (2007) führen ebenso hinsichtlich der Entwicklung der Begrifflichkeiten<br />
an: „Die Entwicklung des Fachkonzeptes „Stadtteilbezogene Soziale Arbeit“ entsprang<br />
sowohl dem Wissen über die Defizite der GWA als auch strategischen Überlegungen (…)<br />
Mit GWA assoziierte man dogmatische Linke aus der 68er Zeit, unbelehrbare Besserwisser/innen<br />
auf Seiten vermeintlicher Sozialhilfe missbrauchender Betroffener oder<br />
schlichtweg Gutmenschen ohne Bodenhaftung. „Stadtteilorientierung“ – später dann:<br />
„Sozialraumorientierung“ – war dagegen ein relativ unverbrauchter Begriff. Darüber<br />
konnte man sich wieder mehr auf Inhalte konzentrieren, konnte Berührungspunkte insbesondere<br />
zu Innovationsträger/innen innerhalb der Institutionen ausloten und nach Möglichkeiten<br />
einer Verankerung gemeinwesenarbeiterischen Gedankengutes im Alltagshandeln<br />
der Institutionen suchen“ (Hinte/ Treeß S.29 ff).<br />
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Sozialraumorientierte Soziale Arbeit zielt nicht auf<br />
die „Besserung“ von Menschen oder auf die zielgerichtete Veränderung ihrer Lebensgewohnheiten<br />
durch erzieherische Interventionen, sondern auf konkrete Verbesserungen<br />
der Lebensbedingungen der Wohnbevölkerung in einem Quartier, Stadtteil oder Bezirk<br />
unter aktiver Beteiligung der betroffenen Menschen. Es geht um die Veränderung bzw. Ge-<br />
7<br />
Einen Überblick liefert die Veröffentlichung von Wolf Ritscher (Hrsg.) (2005): Systemische Kinder-<br />
& Jugendhilfe. Anregungen für die Praxis, Carl Auer<br />
8<br />
Einen Überblick bietet die Veröffentlichung von Heiko Klewe, Britta Haye, Andreas Hampe-grosser,<br />
Mathias Müller (2006): Systemisches Case-Management. Falleinschätzung und Hilfeplanung in der<br />
Sozialen Arbeit, Carl Auer oder Kleve (2005): siehe Literaturverzeichnis<br />
9<br />
siehe auch Britt Holubec, Silvio Markewitz und Robert Götze: Die Entwicklung der Gemeinwesenarbeit<br />
in Deutschland - Ihre Einflüsse und Ursprünge, www.stadtteilarbeit.de (Lernprogramm Stadtteilarbeit)
56<br />
staltung sozialer Räume und nicht um die wie auch immer geartete gezielte Beeinflussung<br />
psychischer Strukturen von Menschen. Der soziale Raum ist der zentrale Fokus für soziale<br />
Arbeit“ (vgl. ebd., S. 30).<br />
Professionelle fungieren als Bindeglied zwischen den Systemen „Lebenswelt“ einerseits<br />
und „Politik, Verwaltung, Institutionen“ andererseits – mit dem Ziel, Ressourcen nutzbar<br />
zu machen im Interesse der im sozialen Raum lebenden Menschen. Neben diesem Grundverständnis<br />
von Gemeinwesenarbeit bietet die GWA auch methodisches “Werkzeug“ wie<br />
Bewohnerbeteiligung Stadtteilerkundung, Offene Frageformen zur Erkundung der Lebenswelt<br />
etc. Doch sollten wir immer unterscheiden zwischen GWA als Arbeitsprinzip,<br />
welches Soziale Arbeit strukturiert und methodischen (gemeinwesen- bzw. sozialraumorientierten)<br />
Umsetzungsmöglichkeiten.<br />
2.1 Gemeinwesenarbeit und Sozialraumorientierung<br />
In der Praxis sind beide Begriffe (und die damit verbundenen Wurzeln und Ansätze) kaum<br />
zu trennen, wobei hinter beiden Begrifflichkeiten unterschiedliche Zugänge stehen. Gemeinwesenarbeit<br />
denkt vom Gemeinwesen (Stadtteil) her und schaut, welche Themen die<br />
Menschen verbinden. Der „Weg führt quasi vom Gemeinwesen zum Individuum. Sozialraumorientierung<br />
„geht gerade den anderen Weg“, sie betrachtet die Individuen in ihren<br />
bestehenden „Beziehungen und Netzwerken“. Unabhängig davon, welchen Zugang ich<br />
finde: Grundlage sind die handlungsleitenden Prinzipien der Gemeinwesenarbeit resp.<br />
Sozialraumorientierung.<br />
Wenn wir, mit Blick auf die (Mobile) Jugendarbeit- bzw. Jugendhilfe im Folgenden von<br />
„Sozialraumorientierung“ reden, sind damit „erstens Menschen gemeint (mit ihrem individuellen<br />
Raum), zweitens ein geographischer Raum (weil wir für Planungen und Finanzierungen<br />
oft geographische Grenzen brauchen) und drittens handlungsleitende<br />
Prinzipien“ (vgl. Gillich 2007). Durch diese ganzheitliche sozialraumorientierte Sichtweise<br />
fokussieren wir deshalb immer die Beziehungen zwischen<br />
• den Jugendlichen und ihren Mitmenschen (soziale Netze)<br />
• den Jugendlichen und kulturellen, politischen, sozialen und ökonomischen Institutionen<br />
• den Jugendlichen und der physikalischen-räumlichen sowie der biologischen Umwelt<br />
(vgl. Gillich 2007).<br />
2.2 Lebensweltorientierung<br />
„Sozialräumliche Arbeit beruht auf dem Prinzip der Lebensweltorientierung. Es ist auch<br />
das entscheidende Prinzip für Selbsthilfeprozesse. Selbsthilfeprozesse, die in Eigeninitiative<br />
erfolgen oder professionell begleitet oder unterstützt werden (nach dem Motto: Mit
57<br />
den Jugendlichen – nicht für sie), können nur dort erfolgreich sein, wo es gelingt, an den<br />
zentralen Themen der Jugendlichen anzusetzen, egal, wie man dies dann benennt: Betroffenheit,<br />
Wille, Bedarf, Bedürfnis, Interesse o.ä.<br />
Die Herausforderung für Street Work und Mobile Jugendarbeit besteht darin, in den Lebenswelten<br />
junger Menschen Kontakt aufzunehmen und ihre Lebenswelten zu erfassen.<br />
Die Lebenswelt ist der Ort, an dem das Individuum (Jugendliche/r) oder die Gesellschaft<br />
handelt. Sie ist der Raum täglicher Aktionen der Jugendlichen und damit Schnittpunkt<br />
von Individuum und Gesellschaft. Die Lebenswelt stellt immer ein Verhältnis von Möglichkeiten<br />
und Behinderungen menschlichen Handelns dar. Bekannt ist, dass nicht alle Jugendlichen<br />
Probleme machen weil sie Probleme haben. Jugendliche haben objektiv<br />
unterschiedliche Lebensumstände und nutzen subjektiv unterschiedliche Lösungswege“<br />
(Gillich 2007).<br />
Wer junge Menschen befähigen will, ihren Handlungsspielraum zu erweitern, muss innerhalb<br />
ihrer Lebenswelt agieren. Professionelle handeln nicht belehrend und pädagogisierend<br />
mit Erkenntnissen aus ihrer eigenen Lebenswelt (getreu dem Motto: ich weiß was gut<br />
für dich ist), sondern vermittelnd, klärend, anregend, nachfragend und organisierend.<br />
„Die Lebenswelt junger Menschen ist daraufhin zu untersuchen, welche Möglichkeiten sie<br />
für die jungen Menschen bereithält (um sie zu stützen, zu erweitern oder neu zu schaffen)<br />
und welche Behinderungen sie beinhaltet (um diese zu beseitigen oder zumindest zurückzudrängen)“<br />
(ebd.).<br />
3. HANDLUNGSLEITENDE PRINZIPIEN DER SOZIALRÄUMLICHEN ARBEIT IN DER<br />
<strong>MOBILE</strong>N <strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
Wir haben bereits erläutert: Die handlungsleitenden Prinzipien der Sozialraumorientierung<br />
entsprechen dem, was seit Anfang der 80er Jahre als „Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit“<br />
beschrieben und in der Praxis umgesetzt wurde. Bis in die 70er Jahre wurde<br />
Gemeinwesenarbeit verstanden als dritte Methode der Sozialarbeit, danach bis zum heutigen<br />
Zeitpunkt als Arbeitsprinzip, das als Grundhaltung, als durchgängiges handlungsleitendes<br />
Prinzip von Sozialer Arbeit die isolierte Betrachtung eines „Falles“ aufhebt“. Diese<br />
Prinzipien beschreiben im weitesten Sinne auch eine wertschätzende (ethnographische)<br />
Grundhaltung für die Praktiker/innen, welche weitaus wichtiger ist, als das methodische<br />
Handeln. 10 Im Folgenden sollen diese näher skizziert werden (Gillich 2004, Gillich 2007,<br />
Hinte/Lüttringhaus/Oelschlägel 2001, Lüttringhaus 2004) und teilweise mit Handlungs-<br />
10<br />
siehe dazu auch Wolfer, Dieter (2007): Haltung, Qualität und Standards bei Streetwork und Mobiler<br />
Jugendarbeit, in: Gillich, Stefan (Hrsg.) (2007): Streetwork konkret: Standards und Qualitätsentwicklung,<br />
Gelnhausen
58<br />
ansätzen und Aktionen – mit Blick auf die alltägliche Gesprächsführung - konkretisiert<br />
werden. Einen guten Einblick über die Möglichkeiten der Umsetzung der handlungsleitenden<br />
Prinzipien mittels einer systemisch-lösungsorientierte Gesprächsführung bietet der<br />
Artikel „Kurz und gut und Spaß dabei! Systemisch-lösungsorientierte Konzepte im Kontext<br />
der Einzelfallhilfe in den Arbeitsfeldern Streetwork und Mobile Jugendarbeit“ (Küchler<br />
2007) sowie in den Ausführungen zum Systemischen Case Management (Kleve 2005).<br />
3.1 Beteiligungen sind ein durchgängiges Arbeitsprinzip<br />
Nur durch Beteiligung wird Integration und Aneignung möglich. Die Orientierung an den<br />
Bedürfnissen und Themen der Adressat/innen von Mobile Jugendarbeit/Streetwork sowie<br />
der anderen Menschen im Sozialraum ist das oberste Prinzip in der gesamten Arbeit.<br />
Durch Dialog, Aneignung und Partizipation lernen (junge) Menschen demokratische Strukturen<br />
kennen. Sie entdecken Ressourcen, lernen diese zu nutzen, entwickeln Resilienz<br />
und stärken dabei ihr Selbstbewusstsein. D.h., ich setze konsequent am Willen und den<br />
Interessen der Adressat/innen an. Die Hilfe geht vom Willen und den Interessen der<br />
Adressat/innen aus; sie setzt nicht bei den Wünschen 11 an und auch nicht bei den Vorstellungen<br />
der Helfer darüber, was der Klient braucht. Die Idee ist, dass einer der etwas will,<br />
auch etwas dazu beiträgt, aktiv wird, um das zu bekommen, was er will (vgl. Kleve 2005).<br />
Umsetzung des Prinzips in der täglichen Gesprächsführung: Fragen nach Zielen und Visionen<br />
12 ; Aktivierende Fragen - nach den Dingen fragen, die der Adressat selbst tun kann<br />
3.2 Menschen sind die Experten ihrer Lebenswelt<br />
Die Menschen werden als Experten ihrer Lebenswelt gesehen. Im Vordergrund stehen die<br />
Ziele und Lösungswege der Adressat/innen. Priorität hat hier das, was für die<br />
Adressat/innen Priorität hat. Die Kernfrage ist hier: „Was wollen Sie verändern?“ anstatt<br />
„sich als Profi“ Gedanken zu machen, was die Menschen wohl „brauchen“ bzw. was wohl<br />
„gut für sie wäre“?<br />
Umsetzung des Prinzips in der täglichen Gesprächsführung: Berater ist Experte im Nichtwissen,<br />
keine Ratschläge geben, sondern Lösungen durch den Adressat erarbeiten lassen;<br />
Adressat ist der Experte für sein/ihr Anliegen; ich als Berater biete ausschließlich den<br />
Rahmen.<br />
3.3 Förderung der Selbstorganisation und Selbstheilungskräfte<br />
Im Fordergrund steht die „Aktivierung“. Das bedeutet, dass die Menschen ermutigt werden,<br />
ihre Themen selbst anzupacken, bzw. sie - wo möglich und soweit möglich - selbst „in<br />
die Hand zu nehmen“. Mobile Jugendarbeit/Streetwork unterstützen dies durch öffentliche<br />
Diskurse, Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit u.a. Es geht hierbei um eine „begleitende“<br />
Funktion, anstatt einer „Leitungs-„ bzw. „Vorreiterfunktion“. Somit handeln Mobile<br />
Jugendarbeit/Streetwork mit den Menschen, anstatt für sie. Dadurch werden Kompetenz-
59<br />
und Lernerfahrungen sowie wirkliche „Hilfe zur Selbsthilfe“ (s.u.) erst möglich, denn:<br />
„Hilfe stärkt nicht in jeder Hinsicht, sondern sie macht auch abhängig und schafft schiefe<br />
Ebenen. Insofern schwächen die vielfältig entwickelten Hilfesysteme in der modernen Gesellschaft<br />
möglicherweise die Kräfte, die sie stützen wollen“ (Kleve 2005).<br />
• Umsetzung des Prinzips in der täglichen Gesprächsführung: Fragen nach Zielen und<br />
Visionen, Ressourcen und beschwerdefreien Zeiten (Ausnahmen); Bestärkung, Wertschätzung<br />
und Komplimente<br />
3.4 Ressourcenorientierung<br />
Mobile Jugendarbeit sollten immer die vorhandenen Potentiale der Menschen bzw. des<br />
Sozialraums - z. B. persönliche, soziale, materielle und infrastrukturelle Ressourcen - aufspüren<br />
nutzen, aktivieren und fördern. Die Formel lautet: „Hilfe zur Selbsthilfe“ durch verstärkte<br />
Aktivierung von informellen, privaten Hilfemöglichkeiten in den Lebenswelten der<br />
Adressat/innen – erstens durch Aktivierung von persönlichen Ressourcen, zweitens<br />
durch Aktivierung von lebensweltlichen, informellen Beziehungen, drittens durch die Aktivierung<br />
von öffentlichen, institutionellen, formellen Beziehungen und viertens durch die<br />
Vermittlung und Koordination von informellen (nicht-professionellen, privaten, lebensweltlichen)<br />
und formellen (professionellen) Hilfen (vgl. Kleve 2005).<br />
Umsetzung des Prinzips in der täglichen Gesprächsführung: Fragen nach Ressourcen und<br />
beschwerdefreien Zeiten; Bewältigungsfragen; Reframing; Perspektivenwechsel; Bestärkung,<br />
Wertschätzung und Komplimente; Ressourcenlandkarten; Beziehungs- und Netzwerkkarten;<br />
ressourcenorientierte Haltung.<br />
3.5 Zielgruppenübergreifendes Handeln<br />
Die Aktivitäten werden „um den Bedarf, um ein Thema herum“ organisiert. Dies betrifft<br />
in der Regel nicht nur die „eigentlichen Adressat/innen von MJA“ sondern auch mehrere<br />
sog. Zielgruppen im Sozialraum. Adressatinnen übergreifendes Handeln sollte immer<br />
einen direkten Bezug zu den „eigentlichen Adressat/innen der MJA“ stehen.<br />
Umsetzung des Prinzips in der täglichen Gesprächsführung: Grundverständnis eines ganzheitlichen<br />
Ansatzes. Der/die Jugendliche wirkt nicht nur in das Quartier hinein, sondern<br />
das Quartier mit seinen Beschränkungen und Möglichkeiten beeinflusst das Verhalten Ju-<br />
11<br />
Wenn ich jemanden frage: „Was brauchst Du?“ degradiere ich bereits in der Fragestellung den Angesprochenen<br />
zu einem vermeintlichen bedürftigen Objekt, das etwas benötigt – zumeist noch durchzogen<br />
von der Suggestion, dass ich ihm das erhoffte (großzügig) geben könnte (vgl. Hinte/ Treeß, S.<br />
38 ff);<br />
12<br />
Willst du ein Schiff bauen, rufe nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen und Werkzeuge<br />
vorzubereiten, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer. (Antoine de Saint-<br />
Exupery)
60<br />
gendlicher; Frage u.a. danach, was Jugendliche wollen; mit den Adressat/innen erforschen,<br />
welche persönliche Ressourcen (Unterstützer, Begleiter, Menschen mit gleichem<br />
Thema) im Sozialraum zur Erschließung nützlich wären.<br />
3.6 Verbesserung der materiellen Situation und der infrastrukturellen Bedingungen<br />
Mobile Jugendarbeit kann einen Beitrag zur aktiven Entwicklung des Sozialraums (Stadtentwicklung)<br />
leisten, indem sie sich „einmischen“ und „Lobbyarbeit“ für die Menschen<br />
im Sozialraum betreiben. Dabei gilt es, Bedarfe und Themen der Menschen an die entsprechenden<br />
Stellen zu transportieren, Ressourcen zu bündeln und in den Stadtteil zu<br />
lenken, Kooperationspartner zu gewinnen sowie projektbezogene Ideen umzusetzen.<br />
3.7 Verbesserung der immateriellen Faktoren<br />
Mobile Jugendarbeit unterstützt die Entwicklung des sozialen und kulturellen Lebens bzw.<br />
das „unsichtbare Gemeinwesen“. Darunter fallen Dinge wie Soziales, Klima, bürgerschaftliches<br />
Engagement, Alltagskontakte, Demokratieverständnis, Akzeptanz anderer Lebensentwürfe.<br />
3.8 Ressortübergreifendes Handeln<br />
Die gemeinwesenorientierte Arbeit bezieht sich u.a. auf die Bereiche Wohnen, Gesundheit,<br />
Arbeit, Freizeit, Arbeit, Stadt- bzw. Sozialraumentwicklung, Bildung und Kultur. Um die Lebenssituation<br />
der Menschen im Sozialraum zu verbessern, werden bereichsübergreifende<br />
Kooperationen gesucht und gefördert. Damit sind Mobile Jugendarbeit/Streetwork auch<br />
als Schnittstelle „aus dem sozialen Sektor heraus“ zu verstehen. Sie sind somit ein Bestandteil<br />
kommunalpolitischer Strategie.<br />
3.9. Kooperation und Netzwerkarbeit<br />
Mobile Jugendarbeit schafft und stärkt soziale Netzwerke von Menschen und von Professionellen<br />
etwa durch Runde Tische, Stadtteilkonferenzen und Arbeitskreise. Vernetzung<br />
ist dabei nicht als Ziel, sondern das Mittel zu betrachten, um in einer Kooperation<br />
mit Anderen Lösungen zu entwickeln. Es geht hier nicht um das „darüber reden“ sondern<br />
im Fokus steht ein Ergebnis. Es soll quasi für die Menschen „etwas herauskommen“.<br />
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Boulet, J. Jaak/Krauß, E. Jürgen/Oelschlägel, Dieter (1982): Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip:<br />
Eine Grundlegung, AJZ-Verlag, Bielefeld<br />
Borwick, I. (2005): Systemische Beratung von Organisationen, in: Fatzer Gerhard (2005) (Hrsg.)<br />
Supervision und Beratung, Bergisch Gladbach, EHP, S. 363-387
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Brock, Johannes (2007): Gemeinwesenarbeit in der Mobilen Jugendarbeit?, Referat auf der Fachtagung<br />
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Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork/Mobile Jugendarbeit (2007): Fachliche Standards, in: Stefan<br />
Gillich (Hrsg.) 2008: Bei Ausgrenzung Streetwork. Handlungsmöglichkeiten und Wirkungen,<br />
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Deinet, Ulrich/Krisch, Richard (2002): Der sozialräumliche Blick der Jugendarbeit, Opladen<br />
Deinet, Ulrich/Krisch, Richard (2006): Der sozialräumliche Blick der Jugendarbeit. Methoden und<br />
Bausteine zur Konzeptentwicklung und Qualifizierung“, Leske und Budrich, Opladen 2003;<br />
Nachdruck: VS-Verlag, Wiesbaden 2006<br />
Gilles, Christoph (2006): Qualität durch Konzeptentwicklung. Die Sozialraumanalyse als Basis<br />
einer innovativen Zielfindung, in: Deinet, Ulrich/ Gilles, Christoph/ Knopp, Reinhold (Hrsg.)<br />
(2006): Neue Perspektiven in der Sozialraumorientierung. Dimensionen - Planung – Gestaltung,<br />
Frank & Timme Verlag<br />
Gillich, Stefan (Hrsg.) (2004): Gemeinwesenarbeit. Die Saat geht auf. Grundlagen und neue sozialraumorientierte<br />
Handlungsfelder, Triga Verlag, Gelnhausen<br />
Gillich, Stefan (2007): Sozialraumorientierung als Standard in der Arbeit mit Jugendlichen auf der<br />
Straße, in: Gillich, Stefan (Hrsg.) (2007): Streetwork konkret. Standards und Qualitätssicherung,<br />
Gelnhausen, Triga Verlag, Gelnhausen<br />
Hinte, Wolfgang/Lüttringhaus, Maria/Oelschlägel, Dieter (2001): Grundlagen und Standards der<br />
Gemeinwesenarbeit. Ein Reader für Studium, Lehre und Praxis, Münster, Votum<br />
Hinte, Wolfgang/Treeß, Helga (2007): Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe. Theoretische<br />
Grundlagen, Handlungsprinzipien und Praxisbeispiele einer kooperativ-integrativen Pädagogik,<br />
Weinheim und München, Juventa<br />
<strong>ISMO</strong>; International Society for Mobile Youth Work: Internet: http://www.ismo-online.de<br />
Kleve, Heiko (2005): Systemisches Case Management. Falleinschätzung und Hilfeplanung in der<br />
Arbeit (Seminarskript), im Internet unter<br />
www.sozialwesen.fhpotsdam.de/uploads/media/Kleve_<br />
Systemisches_Case_Management_UEbersichten_etc.pdf<br />
Küchler, Tom (2007): Kurz und gut und Spaß dabei! Systemisch-lösungsorientierte Konzepte im<br />
Kontext der Einzelfallhilfe in den Arbeitsfeldern Streetwork und Mobile Jugendarbeit. In Gillich<br />
(2007): Streetwork konkret: Standards und Qualitätsentwicklung, Gelnhausen, Triga Verlag<br />
Küchler, Tom & Wolfer, Dieter (2007): „MJA wirkt – Sozialräumliche Konzeptentwicklung, Workshopprotokoll<br />
in: Landesarbeitskreises Mobile Jugendarbeit Sachsen e.V. (2007): „mja trifft… -<br />
Gemeinwesenarbeit – ein zeitgemäßer Ansatz?“, Dokumentation des Fachtages; S. 15 – 29;<br />
Download der Dokumentation unter http://www.mja-sachsen.de<br />
Landesarbeitsgemeinschaft Mobile Jugendarbeit Baden-Württemberg e.V. (2005): Was leistet Mobile<br />
Jugendarbeit? Ein Portrait Mobiler Jugendarbeit in Baden-Württemberg
62<br />
Landesarbeitskreis Mobile Jugendarbeit Sachsen e.V. (2007): Fachliche Standards für Mobile Jugendarbeit/Streetwork,<br />
Download unter http://www.mja-sachsen.de<br />
Landesarbeitskreises Mobile Jugendarbeit Sachsen e.V. (2007): . „mja trifft… - Gemeinwesenarbeit<br />
– ein zeitgemäßer Ansatz?“, Dokumentation des Fachtages vom 24.-26. September 2007 in<br />
Limbach-Oberfrohna; Download der Dokumentation unter http://www.mja-sachsen.de<br />
Lüttringhaus, Maria (2000): Stadtentwicklung und Partizipation, Bonn<br />
Lüttringhaus, Maria (2004): Erfolgsgeschichte Gemeinwesenarbeit. Die Saat geht auf, in Gillich,<br />
Stefan (Hrsg.) (2004), a.a.O.<br />
Specht, Walther (1979): Jugendkriminalität und mobile Jugendarbeit. Neuwied.<br />
Specht, Walther (1991): Die gefährliche Straße. Jugendkonflikte und Stadtteilarbeit. Bielefeld.<br />
Specht, Walther (1989): Mobile Jugendarbeit. Ein diakonischer Beitrag für eine zukunftsweisende<br />
offensive Jugendhilfe, in: DIAKONIE (Stuttgart), Mai/Juni 1989, 161-167
63<br />
JUGEND- UND<br />
SOZIALARBEIT <strong>IM</strong><br />
INTERNATIONALEN<br />
VERGLEICH<br />
Rainer Treptow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Das Motto dieser Konferenz „Reaching the Unreachable“ enthält eine Doppeldeutigkeit.<br />
Es ist Singular und Plural zugleich. Es meint: das Unerreichbare und zugleich die Unerreichbaren<br />
erreichen. Zusätzlich formuliert das Motto einen gehaltvollen Widerspruch.<br />
Wie, auf welche Weise sollte Unerreichbares, sollten die Unerreichbaren denn erreicht<br />
werden können? Ich möchte in 4 Schritten vorgehen. Erstens gilt es, diesen Widerspruch<br />
produktiv zu machen. Im zweiten Schritt stelle ich einige Beispiele konkreter Unterstützungskonzepte<br />
von Straßenkindern und –jugendlichen vor. Drittens biete ich ein formales<br />
Modell an, um Ebenen der Verständigung zum internationalen Vergleich von Formen sozialer<br />
Unterstützung zu skizzieren und komme viertens zu einem knappen Schluss: Potentiale<br />
entwickeln.<br />
1. REACHING THE UNREACHABLE: EIN GEHALTVOLLER WIDERSPRUCH<br />
„Reaching the Unreachable“ im Kontext der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in und<br />
auf der Straße heißt, 3 Dimensionen zu erkennen:<br />
Eine utopische, eine sozialräumliche und eine zeitliche Dimension. Alle 3 sind bedeutend<br />
für internationale Jugend- und Sozialarbeit. Aus welchen Gründen?<br />
Die erste, die konkret utopische Dimension des reaching meint das vorgestellte Erreichen<br />
eines fernen Ziels, einer Utopie, die, wie alle Utopie, als noch nicht erreicht, vielleicht als riskant,<br />
ja unerreichbar gilt. Damit Utopien konkret werden können, müssen Bedingungen der<br />
Professionalität, des politischen Willens und der institutionellen Gestaltung erfüllt sein.
64<br />
Utopie, verstanden als starke Hoffnung, hat in der Geschichte der Sozialen Arbeit vieler<br />
Länder immer wieder eine entscheidende Rolle gespielt. Es ist der Anspruch aufsuchender<br />
Sozialarbeit, gerade diejenigen zu unterstützen, die sonst von kaum jemandem anders<br />
erreicht werden, außer von Akteuren ihrer Instrumentalisierung oder der Repression. Und<br />
es ist die starke, die nachhaltige Hoffnung, dass die Kinder und Jugendlichen - und hier<br />
ist von hundertausenden von Straßenkindern und -jugendlichen die Rede - auch dann<br />
noch ein gelingenderes Leben führen können, wenn es bisher von extremer materieller<br />
Armut, Gewalterfahrung und Ausbeutung bestimmt war.<br />
Ist es schon schwierig genug, für sie selbst und für ihre Familien auf der Straße zu überleben,<br />
so soll es sogar noch ein gutes, ein zukunftsträchtiges Leben werden, eines, in dem<br />
sie nicht ausgegrenzt oder instrumentalisiert, in dem sie ernst genommen sind und ihnen<br />
mit Respekt begegnet wird. Diese Utopie ist begleitet von der Zuversicht, dass es einmal<br />
Rechte geben wird, die nicht nur für jedes Kind auf der Welt auf dem Papier gelten, sondern<br />
die auch verwirklicht werden. So wird aus abstrakter Utopie eine Konkretisierung:<br />
Überleben, teilhaben, gebildet werden - dieses gehört zu den konkret-utopischen Grundlagen,<br />
auf denen weltweit die Unterstützung durch Soziale Arbeit beruht.<br />
Die zweite, die sozialräumliche Dimension des reaching, besteht im Erreichen von Personen,<br />
in der Kontaktaufnahme mit ihnen im Raum der Straße, des Stadtviertels, der Zentren<br />
und Ränder der Städte und in der Bereitstellung erreichbarer Unterstützungsformen.<br />
Sie umfasst die im Wort reaching angelegte räumliche Erreichbarkeit von Personen und<br />
Institutionen. Sozialräumlichkeit ist auch deshalb so grundlegend, weil die Wellbleche,<br />
Pappkartons und Plastikfolien, in denen Kinder in den Straßen mancher Länder der südlichen<br />
Halbkugel leben müssen, und weil die Heizungsrohrsysteme, die Keller und Abbruchhäuser<br />
in den winterkalten Regionen mancher Länder der Nordhalbkugel ihre<br />
zentralen Aufenthaltsorte sind. Genau hier sollen sie erreicht werden, denn hier müssen<br />
sie das vorfinden, was man wohl den Ersatz eines Wohnraums nennen könnte, ihr Rückzugs-<br />
und Ausgangsgebiet zugleich. Als Ersatz könnte man es nur im eingeschränkten<br />
Sinne bezeichnen, leben sie doch jahre- und jahrzehntelang in solchen Quartieren, ohne<br />
jemals zu erfahren, wie sich eine Wohnung von einem Wohnungsersatz unterschiedet.<br />
Den Raum zu beachten bedeutet, den sozialen Aktionsraum, die agency, zu kennen, in<br />
denen Kinder und Jugendliche als Akteure, als Handelnde auftreten - und nicht bloß als<br />
Objekte der Strategien Erwachsener.<br />
Die dritte, die zeitliche Dimension, umfasst die Erreichbarkeit von Personen, Informationen<br />
und Institutionen zu Tages- und Nachtzeiten. Zeitkoordinierung ist in der Epoche der globalen<br />
Erreichbarkeit durch Handys, e-Mail und GPS ein hochaktuelles Thema. Und das<br />
Leben in und auf der Straße lässt besondere Formen der Zeitgestaltung entstehen. Sie
65<br />
sind charakterisiert im Spektrum zwischen einer festen, manchmal rigiden Termineinteilung<br />
und einer Entstrukturierung und Auflösung von Zeitmustern. Um nur ein Beispiel zu<br />
bilden: der Gebrauch von Handys hat in manchen Regionen die Formen verändert, in denen<br />
sich Straßenkinder miteinander verabreden. Andererseits besteht für Hilfsorganisationen<br />
die Möglichkeit, gerade dadurch die Zeitfenster zu erweitern, in denen sie selbst erreichbar<br />
sind, ich erinnere nur an die 24-Stunden-hotline von Projekten amerikanischer Streetworker,<br />
um für Mitglieder von Gangs jederzeit ansprechbar zu sein. Die verlässliche Erreichbarkeit<br />
rund um die Uhr wird daher immer wichtiger. Krisen und Schutzbedürftigkeit<br />
folgen nämlich einer anderen Zeitlogik als sie in manchen Institutionen reguliert wird.<br />
2. BEISPIELE: ERREICHBARKEIT, STRESS, UNTERSTÜTZUNGSFORMEN<br />
Professionelle Unterstützung bedeutet immer auch, mit Akteuren des Sozialraums<br />
zusammen zu arbeiten. Dabei müssen die einzelnen Kinder und Jugendlichen in ihrem<br />
biographischen Bezugsrahmen gesehen werden, vor allem auch in ihrer Gruppenzugehörigkeit.<br />
Gerade hier aber zeigen sich die Besonderheiten. Lassen Sie mich dazu<br />
knapp einige Beispiele vorstellen:<br />
Beispiel 1:<br />
Eine Studie aus Indien von Anubha Gupta und Suman Verma fragte einhundert Straßenkinder<br />
und -jugendliche danach, welche Unterstützung sie suchen, wenn sie sich in besonderen<br />
Stresssituationen befinden. Es ist Stress, der im Konflikt mit Gleichaltrigen, in der<br />
Arbeit oder durch Bestrafung durch Eltern entsteht (Gupta/Verma 1995). Bemerkenswert<br />
ist das Ergebnis: Während sie in relativ stressfreien Situationen die Hilfe ihrer Eltern, vor<br />
allem ihrer Mütter, suchten und selbst ihre Geschwister unterstützten, gaben die meisten<br />
Straßenkinder an, unter Stress allein bleiben und sich nur auf sich selbst verlassen zu<br />
wollen: „More boys than girls preferred to be alone in stressful situations, and a larger percentage<br />
of girls sought their mothers’ support in comparison to the boys” (ebd.).<br />
Die Autoren folgern, dass diese Befunde zur sozialen Unterstützungspräferenz von Straßenkindern<br />
nicht nur wichtige Hinweise auf die Stressfaktoren im Sozialraum der Straße<br />
selbst geben. Sie enthalten zugleich Informationen über ihr Selbstvertrauen, zu Überlebens-<br />
und Bewältigungsstrategien, über die Qualität ihrer familialen Beziehungen und<br />
ihrer sozialen Interaktionen (ebd.). Was ist an diesem Befund unter dem Gesichtspunkt von<br />
Erreichen und Erreichbarkeit von Straßenkindern interessant?<br />
Erstens zeigt er, dass sie sowohl Kompetenz besitzen, solidarische Beziehungen zu gestalten.<br />
Zweitens ist zu vermuten, dass Straßenkinder durch die Strategien des Alleinsein
66<br />
gerade dann schwierig zu erreichen sind, wenn sie aus Sicht der Sozialen Arbeit am dringendsten<br />
erreicht werden müssten.<br />
Es mag sein, dass in anderen Ländern andere Beobachtungen gemacht werden. Wenngleich<br />
also Zurückhaltung geboten ist, diesen Befund aus Indien zu verallgemeinern<br />
oder auf andere Länder einfach zu übertragen, so ist darin doch eine wertvolle Anregung<br />
enthalten. Entsprechende international vergleichende Forschungen weiter zu entwickeln<br />
wäre schon deshalb wünschenswert, weil professionelle Unterstützung solche<br />
Einstellungen und Aktivitätsmuster der Kinder in und auf der Straße berücksichtigen<br />
müsste. Dies führt zur Frage, wie Unterstützungsaktivitäten konzipiert sein müssen, um<br />
den unterschiedlichen Lebenssituationen gerecht werden zu können. Dazu weitere Beispiele.<br />
Beispiel 2: Konzept „Child-to Child-Support“.<br />
Beispiele wie das child-to-child support-Konzept, wie es für Kinder nach Katastrophenfällen<br />
und in kriegerischen Konfliken entwickelt worden ist, können hier wegweisend sein<br />
(Kassam-Khamis 2005, S.47). Die Kinder werden darin unterstützt, Wissen und Fähigkeiten<br />
aktiv untereinander weiterzugeben, also solidarisch miteinander und mit der<br />
Community in Kontakt zu treten, die Umwelt gemeinsam zu erkunden und eigene Handlungsformen<br />
aufzubauen.<br />
Beispiel 3: Projekt „Support“ Mumbai.<br />
Ein weiteres Projekt „Support“, ebenfalls aus Indien, aus Mumbai, zeigt, dass Mädchen<br />
und Jungen einen je besonderen Zugang brauchen, weil ihre Lebenssituation geprägt ist<br />
von Suchtverhalten, sexuellem Missbrauch, Prostitution, ambivalenten Beziehungen zu<br />
ihren Familien auf der Straße usw. (vgl. Support 2008).<br />
Das Unterstützungskonzept aus Mumbai sieht die Vernetzung von Zentren vor, verbindet<br />
ambulante mit stationären Hilfen. Straßenkinder, Straßenjugendliche, solche die Erfahrungen<br />
sexuellen Missbrauchs, der HIV-Infektion, der Drogensucht und der Prostitution<br />
gemacht haben sowie Familien, die auf der Straße leben, sind die Ansprechpartner. Stationäre<br />
und ambulante Unterstützung sieht eine Tageseinrichtung, eine Entziehungseinrichtung,<br />
je ein Rehabilitationszentrum sowie eine Berufsschule vor.<br />
Nun ist es die eine Sache, Kinder und Jugendliche und ihre Familien zu unterstützen,<br />
damit sie in und auf der Straße besser überleben können. Eine andere ist es, Alternativen<br />
zum Leben auf der Straße zu ermöglichen. Dazu bedarf es Anstrengungen zur nachhaltigen<br />
Entwicklung von Fähigkeiten, im Sinne eines capacity building.
67<br />
Beispiel 4:<br />
Urban Street Children empowerment Project, Indonesien: Ähnlich wie das indische Modell<br />
zeigt ein Beispiel aus Indonesien, wie strategisch differenziert und sorgfältig soziale Unterstützung<br />
geplant werden muss (vgl. Save the Children 2006). Der Abschlussbericht<br />
eines Projekts mit indonesischen Straßenkindern kommt zu folgenden Ergebnissen: Wenn<br />
das Ziel ist, Alternativen zum bisherigen Leben auf der Straße zu entwickeln, dann müssen<br />
besonderen Faktoren berücksichtigt werden: Dazu gehört die Stärkung der Mädchen,<br />
Aufklärung über ihre Rechte ebenso wie die Verbesserung der gesundheitlichen Lage und<br />
ein selbstverantwortliches Verhalten in Risikosituationen. Voraussetzung ist die Vernetzung<br />
Sozialer Arbeit in nachhaltige regionale und nationale politische Gesamtkonzepte<br />
Es ist wohl auch eine gemeinsame Erfahrung, dass Kinder und Jugendliche manchmal<br />
als „schwierig“ gelten. Und es ist eine besondere Herausforderung, Wege zu finden, sie<br />
dennoch zu erreichen. Eine der Antworten aus europäischer Sicht lautet: Sie machen<br />
Schwierigkeiten, weil sie Schwierigkeiten haben. Schwierigkeiten haben kann vieles heißen:<br />
In extremer Armut leben müssen, Familien zu haben, die selbst ums Überleben ringen,<br />
manchmal gewalttätig werden, krank und süchtig sind. Und es kann heißen, sich zu<br />
entziehen, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben, und zwar nicht selten ausgerechnet<br />
mit denen, die Unterstützung und Hilfe anbieten, diese aber nicht verlässlich einlösen.<br />
Hier also die Übersehenen, von Vergessen Bedrohten, ja Vergessenen, und dort die Verweigerer,<br />
die Abbrecher. Es sind die, die einer als übertrieben empfundenen Zudringlichkeit<br />
des kontrollierenden Staates entfliehen. Und es sind die, die zulange die Erfahrung<br />
von Gleichgültigkeit oder brutaler Verfolgung gemacht haben. Für sie wird das Erreichtwerden<br />
mit Exklusion und Repression gleichgesetzt. Denn „reaching the unreachable“ ist<br />
verknüpft mit der Frage des Zusammenhangs von Hilfe und Kontrolle. Es ist die Gratwanderung<br />
zwischen einer Kontrolle als repressiver Einschränkung von individuellen Handlungsspielräumen<br />
und einer Kontrolle als notwendiges Verfahren der professionellen<br />
Beobachtung von Hilfeprozessen und ihrer Wirkung.<br />
Eine große Herausforderung ist es daher, mit Menschen in Kontakt zu treten, die sich entweder<br />
aktiv entziehen, mit Sozialarbeitern nichts zu tun haben wollen, oder die so resigniert<br />
sind, dass sie nicht daran glauben können, jemand habe ernsthaftes Interesse an<br />
ihnen und daran, den Kontakt zu halten, ihn nachhaltig auszugestalten. Manche Unterstützungskonzepte<br />
verzichten daher ausdrücklich darauf, Beziehungen gleichsam aufzudrängen.<br />
Sie beschränken sich auf die Bereitstellung von Serviceleistungen, von<br />
Übernachtungsmöglichkeiten, von Hygiene, kurzfristiger Bereitstellung von Nahrung usw.<br />
Gespräche mit Sozialarbeitern finden nur auf Wunsch statt.
68<br />
Diese Sachverhalten führen zu mehreren Fragen an dieses 9. Symposium. Sie lauten:<br />
• Welche Absichten, Mittel und Wege gibt es, um Kinder, Jugendliche und Familien in<br />
und auf der Straße zu erreichen?<br />
• Welche Formen der Vernetzung von Unterstützung gibt es?<br />
• Worin bestehen Unterschiede und Gemeinsamkeiten?<br />
3. FORMEN DER UNTERSTÜTZUNG VERGLEICHEN<br />
Wie lassen sich die vielen unterschiedlichen Erfahrungen vergleichen? Eine der wichtigsten<br />
Aufgaben internationaler Kongresse besteht in der gemeinsamen Verständigung.<br />
Dazu müssen verschiedene inhaltlichen Ebenen betreten werden. Denn so rasch man<br />
sich darin einig sein mag, was die gemeinsame Ausgangslage ist, so zeigt doch die nähere<br />
Betrachtung in verschiedenen Regionen, wie deutlich diese Unterschiedlichkeit sich auf<br />
vielerlei auswirkt. Das beginnt allein schon mit der Bestandsaufnahme, genauer mit Beschreibung<br />
der Lebenslagen dieser Kinder und Jugendlichen. Dies ist davon abhängig,<br />
ob es überhaupt Instanzen und Verfahren gibt, solche Bestandsaufnahmen durchzuführen,<br />
also z.B. Statistiken zu erstellen, die auf der einfachen Ebene der quantitativen Beschreibung<br />
operieren und dies nicht nur für kurze Zeiträume, sondern langfristig.<br />
Es führt weiter zur die Frage, welcher Unterstützungsbedarf überhaupt anerkannt und als<br />
legitim und als legal definiert wird, ob es also Organisationen, Institutionen oder Initiativen<br />
gibt, die kompetent und vor allem einflussreich genug sind, dies zu tun. Wirft dies wiederum<br />
die Frage nach den wirtschaftlichen, rechtlichen und personellen Rahmenbedingungen in<br />
einzelnen Ländern auf, die gegeben sein müssen, um diesen Unterstützungsbedarf zu<br />
decken. Damit ist längst noch nicht geklärt, ob und in welcher Weise Kinder und Jugendliche<br />
sowie ihre Eltern oder Verwandten überhaupt in die Klärung einbezogen werden, welche<br />
Form der Unterstützung für welche Lebenslage passend ist. Denn die Erfahrung zeigt auch,<br />
dass ihre Beteiligung eine wichtige Voraussetzung für die Findung von Unterstützung, für<br />
das Gelingen der Zusammenarbeit und auch für ihre Nachhaltigkeit ist. Dazu bedarf es der<br />
Entwicklung einer Methodik, ihrer Anwendung und ihrer Evaluation.<br />
Nun besteht die erste Möglichkeit darin, die soziale Lage der Kinder- und Jugendlichen,<br />
die Formen der Jugend- und Sozialarbeit in einzelnen Ländern, der Reihe nach zu beschreiben.<br />
Es ist leicht einzusehen, dass diese Länderberichte uns rasch an ein Ende führen<br />
würden, könnte doch - bei beinahe 200 Ländern auf dieser Erde - nur ein Bruchteil<br />
halbwegs genau beschrieben werden. Zu viele nationale „Pfade“, kulturelle und interkulturelle,<br />
wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen wären zu erläutern, ganz zu<br />
schweigen von den Wandlungsprozessen oder vom schlichten Mangel an verfügbarem
69<br />
Wissen. Auch die Perspektive auf die Kontinente dieser Welt macht es nicht leichter, ist<br />
doch schon die Vielfalt der Unterstützungsformen innerhalb des afrikanischen, des asiatischen,<br />
des amerikanischen oder des europäischen Kontinents derart umfangreich, dass<br />
auch hier die Grenze rasch erreicht würde. Zusätzlich erschwerend kommen die unterschiedlichen<br />
Systeme hinzu, die zwischen den Wohlfahrtsstaaten der Industrienationen<br />
der Nordhalbkugel und den Ländern auf der Südhalbkugel bestehen.<br />
Deshalb möchte ich hier einen anderen Weg gehen. Zu diesem Zweck möchte ich ein formales<br />
Modell vorstellen, das verschiedene Ebenen integrieren soll und das ich mir nur<br />
mehrdimensional vorstellen konnte. Daher habe ich die Form eines Würfels gewählt. Ich<br />
beeile mich, sogleich den Nachteil einer solchen Visualisierung zu nennen: Sie verführt<br />
dazu, sich die Welt als Schuhkarton vorzustellen und dem Kästchendenken Vorschub zu<br />
leisten. Das aber ist hier gerade nicht gemeint, sondern vielmehr der Versuch, unterschiedliche<br />
Ebenen vereinfacht in Beziehung zueinander zu setzen.<br />
Dem Modell liegt eine Frage zugrunde. Sie lautet: welchen Beitrag leistet Soziale Arbeit<br />
in einzelnen Ländern bei der Gestaltung individueller Lebensläufe? Dazu muß man sie im<br />
Kontext lebensweltlicher, regionaler und internationaler Dimensionen untersuchen, also<br />
auf der Mikro-, der Meso- und der Makro-Ebene.<br />
Dies geschieht in der Weise, dass die Institutionen und Akteure Sozialer Arbeit eines einzelnen<br />
Landes beschrieben werden, die mit jeweiligen Zuständigkeiten ausgestattet sind.<br />
Damit ist ein erster Ausgangspunkt markiert, individuelle Lebensläufe. Diese werden z.B.<br />
im Bereich der erzieherischen Hilfen manchmal „Hilfekarrieren“, im Bereich der Migrationsforschung<br />
„Migrantenkarrieren“, im Bereich der Armutsforschung „Armutskarrieren“<br />
genannt. Um dies aber nicht vorzuentscheiden wähle ich den Begriff „individuelle Lebensläufe“,<br />
weil Unterstützungs- und Hilfeformen keineswegs immer einen lebensgeschichtlich<br />
prägenden Einfluß haben, nicht jede Lebensgeschichte einem Migrationshintergrund zuzurechnen<br />
ist.<br />
Aus dem Blickwinkel Sozialer Arbeit ist hier von Interesse, wie sich belastete Lebenslagen<br />
von Kindern, Jugendlichen in ausgewählten Ländern beschreiben lassen. Typischerweise<br />
ist davon auszugehen, dass Menschen immer schon im Nahraum ihres Alltags eigenständige<br />
Formen der Lebensbewältigung, also der lebensweltlichen Bewältigung von Belastungen<br />
entwickelt haben, auf regionale Ressourcen und individuelle Netzwerke<br />
zurückgreifen: in der Verwandtschaft, der Nachbarschaft, in ehrenamtlichen Strukturen,<br />
aber auch in sonstigen Bereichen, in denen soziales Kapital erworben und zur Bewältigung<br />
von Belastungen genutzt wird. Diese Ebene läßt sich auf einem besonders hohen Abstraktionsgrad<br />
als Mikro-Ebene bezeichnen.
70<br />
Auf der nächsten Ebene wird nach der besonderen Struktur sozialer Dienste gefragt,<br />
die in einem jeweiligen Land auf einen besonderen Typ belasteter Lebenslagen und individueller<br />
Lebensbewältigung reagiert. Es werden besondere Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen<br />
entwickelt – oder eben nicht. Hier ist von besonderem Interesse, ob<br />
und auf welche Weise eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit stattfindet: gibt es<br />
im Bereich sozialer Dienstleistungen auf regionaler Ebene internationale Netzwerke,<br />
Kooperationsprojekte usw., die sich auf besondere Aufgaben im Bereich der Kinderund<br />
Jugendhilfe beziehen? Welcher Zwecksetzung folgen sie, welche Laufzeit und welche<br />
Ergebnisse zeigen sich? Und schließlich: ergeben sich wechselseitige Lerneffekte<br />
mit der Folge einer Veränderung von Hilfeformen und Unterstützungspraktiken? Entsprechend<br />
der gewählten Ebenen-Logik ist diese Ebene als Meso-Ebene zu bezeichnen.<br />
Auf der dritten Ebene werden in Anlehnung an prominente Unterscheidungen von Esping-<br />
Anderson diejenigen Aspekte der jeweiligen „Wohlfahrtsregimes“ untersucht, die eine bildungs-<br />
und sozialpolitische Bedeutung für die Bereitstellung sozialer Dienste haben.<br />
Dieser Begriff ist allerdings in globalem Masstab mit Vorbehalt zu betrachten: in vielen<br />
Ländern sind die Kriterien eines Wohlfahrtsstaates nicht erfüllt, besser wäre es vielleicht,<br />
von Unterstützungsstrukturen zu sprechen. Von Interesse ist hier die Frage nach international<br />
verbindlichen Abkommen zur Regulierung gemeinsamer Angelegenheiten, z.B. die<br />
Frage nach Europäischen Sozialrecht, der UN-Kinderrechtskonvention usw. Folgerichtig ist<br />
dies die Makro-Ebene. Beginnen wir erneut auf der Mikro-Ebene.<br />
Unter dem Gesichtspunkt einer die Frage nach Internationalität bzw. nach Transnationalität<br />
berührenden Form der Bewältigung belasteter Lebenslagen im individuellen Lebenslauf<br />
nimmt hier Migration und Transmigration einen besonderen Stellenwert ein. Denn die<br />
Frage, welche Rolle die unterschiedlichen Anlässe und Perspektiven in den Migrantenlebensläufen<br />
über die verschiedenen Generationen hinweg einnimmt, berührt nicht nur die<br />
Ebene der jeweils nationalen Migrationspolitik, sondern ist auf grenzüberschreitende Zusammenarbeit<br />
angewiesen. Damit ist die Meso-Ebene angesprochen, die etwa in Form<br />
eines internationalen Netzwerks für Migration tätig wird, wie dieses Beispiel illustriert.<br />
Dies gilt nun auch für andere Gruppen, etwa den „Unbegleiteten asylsuchenden Minderjährigen“,<br />
die quer über die Grenzen gehen oder die „Social Platform“, ein internationales<br />
Forum auf EU-Ebene.<br />
Auf der Makro-Ebene wird hier wichtig, auf welche Weise eine internationale Kooperation<br />
organisiert ist, die teils zwischen staatlichen und Nicht-Regierungsorganisationen,<br />
teils nur zwischen Nicht-Regierungsorganisationen, teils nur zwischen Staaten<br />
stattfindet.
71<br />
Nun geben wir dem Würfel die letzte Drehung (die Unter- und die Oberseite werden heute<br />
nicht beschrieben). Sie ist reserviert für den Bereich Forschung bzw. für Forschung und<br />
Entwicklung. Entsprechend der Logik hat Vergleichende Soziale Arbeit auf der Mikro-<br />
Ebene es zu tun mit „vergleichender Lebenslaufforschung“,auf der Meso-Ebene mit „vergleichender<br />
Dienstleistungsforschung“ und auf der Makro-Ebene mit „vergleichender<br />
Politikforschung“.<br />
Unter „international vergleichender Sozialpolitikforschung“ kann jener Zusammenhang<br />
von wissenschaftlichen Problemstellungen verstanden werden, der sich in der Hauptsache<br />
mit der Struktur und dem Wandel der Institutionen Sozialer Sicherung innerhalb und zwischen<br />
Nationalstaaten beschäftigt. Dabei interessieren vor allem die unterschiedlichen<br />
Entwicklungslinien von Sozialgesetzgebung sowie die politischen Strategien der Durchsetzung<br />
und die Veränderung sozialer Sicherungsstandards im weiteren Rahmen der Organisation<br />
sozialer Interessensgruppen. „International vergleichend“ soll dabei heißen, das<br />
Interesse an einer im jeweilig nationalen Rahmen vorgefundenen Sozialpolitik vor dem<br />
Hintergrund ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturell gegebenen Bedingungen mit<br />
anderen nationalstaatlichen Formen in Beziehung zu setzen.<br />
SCHLUSS<br />
Kinder und Jugendliche in und auf der Straße sind ein vernachlässigter Teil des Potentials<br />
einer Gesellschaft. Bei allen Einschränkungen ihrer Entwicklung durch Armut, Gewalt<br />
und Krankheit belegen internationale Projekte: Straßenkinder haben selbst<br />
Potentiale, sie besitzen Kompetenzen, kreative, instrumentelle und kommunikative Fähigkeiten,<br />
sich in einer sehr risikoreichen, ja gefährlichen Alltagswelt zu orientieren,<br />
dort Beziehungen zu gestalten und unter schwierigsten Bedingungen zu überleben.<br />
Gleichwohl sind die Gefahren groß und sie brauchen Unterstützung, sei es bei der Selbstorganisation<br />
ihrer Interessen, sei es bei der Teilhabe in Bildung und Beschäftigung, sei<br />
es im Gesundheitsverhalten. Diese Unterstützung gelingt nur, wenn sie in der ambivalenten<br />
Lebenslage zwischen Zugänglichkeit, Ausgrenzung und Verweigerung erreicht<br />
werden können. Der dreifache Bezug des Mottos „reaching the unreachable“ markiert<br />
einigermaßen genau, worin Anspruch und Erfahrung von Mobiler Jugendarbeit bestehen.<br />
Soziale Arbeit ist nämlich die immer wieder neu anzustrebende, schwierige Aufgabe,<br />
die utopische mit der sozialen und sozialräumlichen Dimension zu verbinden und<br />
dabei flexible und zugleich verbindliche Zeitstrukturen zu entwickeln – und zwar in Zusammenarbeit<br />
mit den Kindern und Jugendlichen. Es bedeutet: immer wieder neu anzufangen,<br />
ohne Gewissheit zu haben, ob der Aufbruch gelingt, der im Erreichenwollen,<br />
im reaching liegt.
72<br />
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Bernhard van Leer Foundation (2005): Early Childhood Matters. Responses to Young Children in<br />
Post-Emergency Situations. The Hague.<br />
Kassam-Khamis, T. (2005): Helping Children in Emergencies and affected by conflict. In: Bernhard<br />
van Leer Foundation, a.a.O., S.47-49-<br />
Marmier, J. u.a.(2003): Comparative Analyses of Educational Assistance in Europe. A comparative<br />
evaluation of the reactions of the welfare state based on two case studies taken from the Child<br />
and Youth Welfare System, Munich 2003.<br />
Gupta,Anubha/Verma, Suman (1995): Preference for Social Support by Indian Street Children and<br />
Adolescents in Stressful Life Situations. Chandigarh.<br />
http://www.eric.ed.gov/ERICWebPortal/Home.portal;jsessionid=LD7dVpZktd1fX452RyzgQhgpq<br />
TJjv6xmrcYLCZrHQ2vXgnJyVr9Z!1565949265?_nfpb=true&ERICExtSearch_SearchValue_0<br />
=%22Gupta+Anubha%22&ERICExtSearch_SearchType_0=au&_pageLabel=RecordDetails&<br />
objectId=0900019b800ad24c&accno=ED402036&_nfls=false (Zugang 01.08.2008).<br />
Support (2008): Society Undertaking Poor Peoples Onus for Rehabilitation. Mumbai.<br />
http://www.supportstreetchildren.org/ (Zugang 01.08.2008)<br />
World Health Organisation (2006): Working With Street Children. Modules.<br />
www.unodc.org/pdf/youthnet(Zugang 01.08.2008)
73<br />
DIE DEFINITION<br />
VON GESUNDHEIT<br />
UND KRANKHEIT<br />
IN DER <strong>MOBILE</strong>N <strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
DAS SALUTOGENETISCHE MODELL<br />
Gabriele Stumpp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Gesundheit wird nicht umsonst oft als das höchste Gut bezeichnet – Gesundheit bildet<br />
die Grundlage für ein gelingendes Leben und ist eine fundamentale Ressource für jedes<br />
Individuum in jeder Gesellschaft. Gleichwohl wird das, was Gesundheit im Einzelnen jeweils<br />
meint, je nach historischem, sozialem und kulturellem Kontext unterschiedlich definiert.<br />
Eine allgemein gültige Definition gibt uns die WHO, die Gesundheit definiert als „Zustand<br />
völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur als das Freisein<br />
von Krankheit und Gebrechen“.<br />
Es liegt auf der Hand, dass mit dieser Definition ein Idealzustand formuliert ist, der allenfalls<br />
angestrebt werden kann. Zugleich liegt der normative Wert dieser Definition darin,<br />
dass sie für jedes Individuum das Recht auf ein gesundes Leben beinhaltet, eben auch und<br />
gerade für Kinder auf der Strasse, die – was Gesundheit anbelangt – ein vielfach erhöhtes<br />
Risiko tragen und deren Ressourcen defizitär sind.<br />
Gerade die Mobile Jugendarbeit weiß aus ihren Praxiserfahrungen, wie zentral wichtig<br />
es ist, das Thema Gesundheit zu berücksichtigen, um die gesundheitlichen Risiken der<br />
Kinder und Jugendlichen zu minimieren und Zugänge zu gesundheitlichen Ressourcen<br />
zu schaffen und zu stärken.<br />
Dafür aber braucht es adäquate Orientierungslinien, also eine Definition von Gesundheit,<br />
die für die Konzipierung von Handlungskonzepten in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen<br />
tauglich sind.<br />
Aus der traditionellen, biomedizinischen Perspektive wird Gesundheit als die Abwesenheit<br />
von Krankheit definiert. Gesundheit und Krankheit sind hier zwei klar getrennte Pole; man<br />
ist entweder krank oder gesund.
74<br />
Gesundheit wird als ein nicht näher zu definierender „Normalzustand“ gesehen. Die zentrale<br />
Frage dieses deshalb so genannten „pathogenetischen“ Modells ist deshalb: Woher<br />
kommt Krankheit? Dabei ist der Fokus nicht auf dem Subjekt als Person mit einer Lebensgeschichte,<br />
sondern die Symptomatik einer Erkrankung, die es dann mit geeigneten Mitteln<br />
zu bekämpfen gilt.<br />
Dieser Ansatz ist in den meisten Gesundheitsdiskursen bestimmend und die moderne Medizin<br />
hat mit dieser Herangehensweise viele Möglichkeiten der Krankheitsbekämpfung<br />
geschaffen. Aber diese Sichtweise hat auch ihre Grenzen. Sie stößt nämlich an Grenzen,<br />
wo es darum geht, jenseits von Krankheitssymptomen die ganze Person mit ihrer individuellen,<br />
subjektiven und eigensinnigen Gesundheitstheorie in den Blick zu rücken.<br />
Selbst dort, wo es in öffentlichen oder politischen Diskursen um Prävention und Gesundheitsförderung<br />
geht, stehen tendenziell noch immer Fragen nach der Verursachung von<br />
Erkrankungen im Vordergrund, während die zentrale Frage nach den Gründen „warum<br />
Menschen trotz allem gesund bleiben“ bislang noch eher peripher rangieren.<br />
Gerade an dieser Umkehrung der Fragestellung aber setzt eine Soziale Arbeit an, die sich<br />
subjekt- und ressourcenorientiert mit Gesundheit befassen will. Nur so ist eine Erweiterung<br />
des Blickfeldes zu möglich hin zu einer Definition von Gesundheit, die mit dem lebensweltorientierten<br />
Verständnis Mobiler Jugendarbeit kompatibel ist.<br />
Von theoretischer Seite her bietet sich eine solche Erweiterung des Blickfelds im Konzept<br />
der Salutogenese an, das um 1970 von Aaron Antonovsky, einem israelischen Soziologen,<br />
begründet wurde. Das Kernstück dieses Konzepts besteht aus einer radikalen Umkehrung<br />
der Perspektive: im Zentrum steht nicht die Frage danach, was Menschen krank macht,<br />
sondern wie Menschen gesund bleiben. Gesundheit wird hier nicht als Homöostase, als<br />
Normalzustand, verstanden, sondern als ein beständig sich gestaltender Prozess der (Wieder-)<br />
Herstellung von Gesundheit. Jeder Mensch befindet sich immerzu, während seines<br />
ganzen Lebens, an jedem Tag, zu jeder Stunde auf einem Kontinuum zwischen Gesundheit<br />
und Krankheit. Risiken und Stressoren sind jederzeit da und unvermeidbar und deshalb<br />
bedeutet gesund bleiben oder wieder gesünder werden einen andauernden aktiven Prozess.<br />
Ob dieser immer währende Balanceakt auf dem Kontinuum Gesundheit-Krankheit<br />
mehr in die eine oder die andere Richtung tendiert, dies hängt - so Antonovsky – vor allem<br />
von den Widerstandsressourcen ab, über die eine Person verfügt. Diese „heilsamen Ressourcen“<br />
verdichten sich im sog. „Kohärenzgefühl“ („sense of coherence“).<br />
Es ist offensichtlich, dass diese Sichtweise auf Gesundheit mühelos anschlussfähig ist an<br />
Theoriekonzepte und Handlungspraxis von Sozialer Arbeit und Mobiler Jugendarbeit. Gerade<br />
dort, wo die Soziale Arbeit gefragt ist, sich advokatorisch in politischen und öffentlichen<br />
Gesundheitsdiskursen für die Rechte von Benachteiligten einzusetzen, stößt sie
75<br />
immer wieder auf die Definitionsmacht eines rein medizinisch orientierten Gesundheitskonzepts,<br />
das die Rhetorik des Gesundheitsdiskurses bestimmt. Hier kann der offensive<br />
Bezug zum Theoriekonzept der Salutogenese die Stimme der Sozialen Arbeit in Gesundheitsdiskursen<br />
entscheidend fundieren, um richtungsweisend die gesundheitspolitisch<br />
notwendigen Veränderungen mit zu begründen.<br />
Gerade in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auf der Strasse wird mehr als offensichtlich,<br />
dass die Chancen für ein gesundes oder gesünderes Leben, also für die Entwicklung<br />
eines stabilen Kohärenzgefühls, sozial höchst ungleich verteilt sind. In einer<br />
globalisierten Welt wird der Zugang zu guter Gesundheit mehr und mehr zu einer Frage<br />
von Geld und Einkommen. Damit rangieren Heranwachsende auf der Strasse immer mehr<br />
am untersten Ende der Ressourcenverteilung für ein gesundes Leben. Und damit eröffnet<br />
sich für die Soziale Arbeit ein weites Aufgabenfeld, hier entscheidend in die politischen<br />
Gesundheitsdiskurse einzugreifen und eine –salutogenetisch - fundierte Stimme einzubringen.<br />
Vor dem Hintergrund des salutogenetischen Konzepts werden wir nicht dabei stehen bleiben,<br />
nur die Krankheitssymptome von Kindern und Jugendlichen im Blick zu haben, sondern<br />
die Person als Ganzes in ihrer Lebenswelt. Das heißt, dass ein HIV infiziertes Kind<br />
eben nicht nur ein krankes Kind ist, sondern ein Mensch auch mit gesunden Anteilen und<br />
Stärken, die es zu fördern gilt.<br />
Unter einem salutogenetischen Blick werden wir Drogenabhängigkeit oder selbstverletzendes<br />
Verhalten bei Jugendlichen nicht in erster Linie als pathogenes Symptom deuten,<br />
sondern als Versuch, in einer unerträglichen Lebenslage dennoch zu überleben, also das<br />
Unerträgliche erträglich zu machen und trotz allem Anteile von Gesundheit zu bewahren.<br />
Eine salutogenetische Ausrichtung ermöglicht es Sozialarbeiter/innen, die Resilienzen<br />
und eigensinnigen Gesundheitskonzepte der Individuen besser verstehen und adäquater<br />
unterstützen zu können.<br />
Und nicht zuletzt verweist gerade die salutogenetische Sichtweise auf die Verantwortung<br />
der Sozialen Arbeit, sich im öffentlichen und politischen Gesundheitsdiskurs für solche<br />
Ansätze stark zu machen, die dazu beitragen, die menschliche Würde jedes Individuums<br />
zu erhalten oder wieder herzustellen, egal wo es sich auf dem Kontinuum zwischen Gesundheit<br />
und Krankheit auch befinden mag. Dies gilt gleichermaßen für die 15-jährige<br />
Prostituierte in den ehemaligen GUS-Staaten wie für das HIV-infizierte Waisenkind in<br />
Afrika oder den wohnungslosen, drogenabhängigen Jugendlichen in Westeuropa.
76<br />
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Antonovsky, Aaron (1997): Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen<br />
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2001): Was erhält Menschen gesund? Antonovskys<br />
Modell der Salutogenese - Diskussionsstand und Stellenwert. Forschung und Praxis der<br />
Gesundheitsförderung Band 6. Köln<br />
Faltermaier, T. (2000): Die Salutogenese als Forschungsprogramm und Praxisperspektive.<br />
Anmerkungen zu Stand, Problemen und Entwicklungschancen. In: Wydler, Hans; Kolip, Petra;<br />
Abel, Thomas (Hrsg): Salutogenese und Kohärenzgefühl. Grundlagen, Empirie und Praxis<br />
eines gesundheitswissenschaftlichen Konzepts. Weinheim/München, S. 185-196
<strong>MOBILE</strong><br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
IN EUROPA
78<br />
<strong>MOBILE</strong><br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
IN EUROPA<br />
Walther Specht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
1. AUSGANGSLAGE: STRASSENKINDER – STRASSENJUGENDLICHE<br />
Straßenkinder und gefährdete Jugendliche gibt es heute in fast allen Regionen der Erde.<br />
Noch vor wenigen Jahren wurden sie allerdings - von Europa und Nordamerika aus betrachtet<br />
- fast ausschließlich in den Entwicklungsländern Lateinamerikas, Afrikas und<br />
Asiens verortet. Heute ist die Existenz von Straßenkindern in den Vereinigten Staaten<br />
von Amerika, Kanada und in den europäischen Ländern sowie in den GUS-Staaten nicht<br />
mehr wegzudiskutieren. Wer sie hier wirklich sehen will, findet sie sowohl in den City-Zentren<br />
von Städten wie New York, Madrid, Bukarest, Neapel, Moskau, Köln, Marseille und<br />
Warschau, als auch in deren Trabentensiedlungen oder verfallenen Altbauvierteln.<br />
Der Begriff „Straßenkind" suggeriert dabei eine hohe Homogenität der Vergleichsmerkmale,<br />
die indessen von der Forschung nicht bestätigt werden kann. Dies gilt sowohl für Indikatoren,<br />
die die Lebenslagen, kulturellen Milieus und die „Karrieren" betrifft, die Kinder<br />
innerhalb ihrer Straßensozialisation durchlaufen, als auch für die jeweils anzugebenden<br />
Lebenslagen und Formen der Lebensbewältigung.<br />
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen schätzt weltweit die Zahl der Straßenkinder<br />
auf 80 Millionen bis 100 Millionen (UNICEF Deutschland 1992). Darunter werden junge<br />
Menschen im Alter bis zu 18 Jahren verstanden, für die die Straße im weitesten Wortsinn<br />
zum zentralen Lebensraum geworden ist und die keinen entsprechenden Schutz genießen.<br />
Der Begriff ,,Straße" schließt hierbei verlassene und heruntergekommene Gebäude<br />
bzw. Wohnungen mit ein. Von den weltweit geschätzten 80 Millionen Straßenkindern<br />
leben wiederum nach Angaben der UNICEF allein 40 Millionen auf den Straßen lateinamerikanischer<br />
Städte, die anderen verteilen sich im wesentlichen auf Asien und Afrika<br />
und ein entsprechend geringer Anteil auf die USA und Europa.
79<br />
Obwohl nun fast überall auf der Erde von ,,Straßenkindern" die Rede ist, gibt es keine allgemein<br />
akzeptierte Definition zu diesem sozialen Problem. Wie soll man sich also diesem<br />
Phänomen nähern? Ich schlage vor, eine Definition aus der Sicht praktischer Berufserfahrung<br />
zu verwenden. Langjährige Erfahrungen in der Mobilen Jugendarbeit mit gefährdeten<br />
Kindern und Jugendlichen, für die die Straße ein wichtiger Sozialisationsort war bzw.<br />
ist, legen nahe, einer für die Situation in Europa am ehesten verwendbaren Definition zu<br />
folgen. Eine Studiengruppe des Europarates in Straßburg veröffentlichte schon 1994:<br />
„Straßenkinder sind Kinder unter 18 Jahren, die für kürzere oder längere Zeit im Straßenmilieu<br />
leben. Diese Kinder leben in der Bewegung von Ort zu Ort und haben ihre<br />
Gruppe der Gleichaltrigen oder andere Kontakte auf der Straße. Offiziell ist die Adresse<br />
dieser Kinder entweder die ihrer Eltern oder die einer sozialen Einrichtung (Erziehungshilfe,<br />
Jugendpsychiatrie, A.d.V.). Höchst signifikant ist dabei, dass sie zu all solchen Personen<br />
geringen oder keinen Kontakt haben, die ihnen gegenüber in Verantwortung<br />
stehen, wie Erwachsene, Eltern, Vertreter von Schulen, Jugendhilfeeinrichtungen und sozialen<br />
Diensten" (Council of Europe 1994: 23)<br />
Folgt man dieser Definition, so bedeutet dies, dass in ihr die problematische Trennung<br />
zwischen Kindern (in Deutschland bis l4jährige) und Jugendlichen (14- bis l8jährige) aufgehoben<br />
ist. Die juristisch begründbare Unterscheidung deckt sich indessen nicht mit den<br />
tatsächlichen Lebenssituationen, denen sich Heranwachsende gegenübersehen.<br />
Weiter enthält die Definition klare Hinweise darauf, dass es Verantwortliche für die Straßenexistenz<br />
von jungen Menschen gibt, die ihrer Aufgabe nicht nachkommen können oder<br />
wollen. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass für das Straßenkind in dem überwiegend<br />
schutzlosen Straßenraum eine neue Anstrengung unternommen werden muss, Zuwendung<br />
und Hilfe zu organisieren.<br />
Allgemein ist zu sagen, dass Straßenkinder auf erlebte Ablehnung, auf Gleichgültigkeit<br />
und skrupellose Ausbeutung, auf Gewalt, Verführung und Ausgrenzung zu ihrem Überleben<br />
oft verzweifelte Auswege suchen in Drogenkonsum, Diebstahl, Prostitution, Gewalt<br />
und Drogenhandel. Viele Straßenkinder müssen unterbezahlte harte Arbeit verrichten.<br />
In Cliquen und Straßenbanden schaffen sie sich häufig einen Familienersatz, eine physische<br />
und emotionale Zufluchtsstätte, ein Überlebenssystem, das Sicherheit und Schutz<br />
gewährt. Etwas, das sie in ihrem bisherigen Leben häufig bitter vermisst haben. Sie leben<br />
also entweder allein oder in Cliquen und Gangs. Häufig sind sie unterernährt, in einem<br />
schlechten Gesundheitszustand oder hungern seit ihrer Geburt. Es mangelt ihnen an Zuwendung,<br />
Geborgenheit, Erziehung und Bildung - und vor allem an Liebe.<br />
Für viele Kinder und Jugendliche erfüllt die Straße die Funktion von Wohnen und Arbeitsplatz<br />
zugleich. Fast gänzlich ohne Wohlwollen und Unterstützung von Erwachsenen müs-
80<br />
sen sie täglich aufs neue, so gut sie es eben können, den Überlebenskampf führen. Dies<br />
gilt sowohl für Kinder und Jugendliche mit gelegentlichen Familienkontakten, als auch<br />
für die völlig preisgegebenen. ,,Wenn sie am Morgen aufwachen, wissen sie noch nicht,<br />
woher die nächste Mahlzeit kommt, oder gar, ob es überhaupt eine gibt. In ihrem Alltag<br />
müssen sie alles so nehmen, wie es kommt, wie schrecklich es auch immer sei. Sie können<br />
keine Zukunftspläne machen, noch die Befriedigung ihrer Bedürfnisse aufschieben ...<br />
manchmal wissen sie kaum, woher sie kommen oder wohin sie gehen" (Agnelli 1986:32).<br />
Gemessen an der in der Familie vorher erlebten Not und Gewalt, bedeutet das Straßenleben<br />
jedoch auch vielfache Erleichterung und nach einer gewissen Zeit auch so etwas wie<br />
,,Normalität". Dies darf man jedoch nicht so missverstehen, dass die Straßenexistenz eine<br />
freudig aufgesuchte Alternative wäre, wie sie in gewissen romantisierenden Vorstellungen<br />
von der Straßenkindheit vorzufinden sind. Aber die Erlebnisqualität der Straße bietet<br />
einen gleichsam subkulturellen Raum eigener Art. Vom Leben auf der Straße als dem Ort,<br />
"wo was los ist", wo Spannung, Erregung und ,,action" erwartet und erlebt wird, kann<br />
sogar eine starke Faszination ausgehen.<br />
Straßenexistenz ohne Schutz durch Familie oder andere stellt so eine Verletzung aller<br />
grundsätzlichen Menschenrechte auf Nahrung, Obdach, Gesundheit, Bildung und Freiheit<br />
gleichzeitig dar - mit der Schwierigkeit allerdings, dass ein einzelner Verursachungsfaktor<br />
nicht ausgemacht werden kann.<br />
2. DIE ENTSTEHUNG <strong>MOBILE</strong>R <strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
Mobile Jugendarbeit ist ein aufsuchendes und sozialraumorientiertes Jugendberatungskonzept.<br />
Es entstand 1967 in Stuttgart als praktische Kritik an rein individualisierender Jugendhilfe<br />
und als Ergänzung der offenen Jugendarbeit, die gefährdete Jugendliche nicht<br />
erreicht. Mobile Jugendarbeit wird im Rahmen gruppen- und einzelfallbezogener Sozialpädagogik<br />
und Sozialarbeit umgesetzt. Sie ist stadtteil- beziehungsweise sozialraumbezogen<br />
und zielt darauf, Ausgrenzungsprozesse von Jugendlichen zu verhindern oder<br />
rückgängig zu machen. Dabei werden Ressourcen und Selbsthilfekräfte zur Lösung sozialer<br />
Probleme im Gemeinwesen genutzt und nachhaltige Lösungen angestrebt. Zwei Formen<br />
Mobiler Jugendarbeit lassen sich heute unterscheiden: Ein gemeinwesenorientiertes<br />
Konzept, das in großen Wohnsiedlungen („Schlafstädten“) entstand und ein eher Szenenoder<br />
zielgruppenbezogenen Ansatz in den Aktionszentren der Großstädte. Seinen Ausgangspunkt<br />
hatte Mobile Jugendarbeit in der gemeinwesenorientierten Form.<br />
Die Entwicklung des Konzeptes Mobile Jugendarbeit in den 60er Jahren in Deutschland<br />
geht zurück auf die Auseinandersetzung mit amerikanischen Autoren und Projekten aus<br />
den Bereichen der Arbeit mit delinquent handelnden jugendlichen Straßengruppen und
81<br />
Street Gangs (street work, street corner work, street gang work, street club work), sowie<br />
mit der gemeinwesenbezogenen Arbeit (Shaw and McKay 1942, Spergel 1966; Miller 1986,<br />
ausführlich dazu: Specht 1979).<br />
Die praktischen Anfänge professioneller Mobiler Jugendarbeit in Deutschland in den 60er<br />
Jahren liegen bei der Diakonie und gehen zurück auf die Chicago-Schule (Shaw u. McKay)<br />
in den USA der 20er Jahre (area approach). In Deutschland steht die Mobile Jugendarbeit<br />
aber auch in der Tradition einer gemeinwesenorientierten Arbeit in Holland (vgl. „kategoriale“<br />
GWA bei Bolz/Boulet 1973). In den sechziger Jahren, der Phase westdeutscher Urbanisierung,<br />
entstanden an den Randzonen der Großstädte zwar rasch wachsende<br />
Neubausiedlungen, die soziale Infrastruktur insbesondere für Jugendliche wurde aber<br />
weitgehend vernachlässigt. Dies galt in diesem Zeitraum auch für viele andere europäische<br />
Länder.<br />
Rocker, auffällige Jugendcliquen und Jugendbanden, die Probleme in der Öffentlichkeit<br />
machten und für Aufsehen sorgten, forderten neben der Polizei und den Jugendgerichten<br />
zunehmend auch Sozialarbeit und Sozialpädagogik heraus. So kam es, ausgehend von<br />
der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart, dass seit 1967 Mobile Jugendarbeit - aus den<br />
USA übernommen und auf Deutschland modifiziert - als ein erfolgreiches Konzept praktischer<br />
Jugend- und Sozialarbeit angewandt wird. Andere freie Träger, und später auch<br />
öffentliche, kamen hinzu.<br />
Mitte der 70er Jahre entstanden dann, über die Grenzen Stuttgarts hinaus, weitere Projekte<br />
und Einrichtungen Mobiler Jugendarbeit in Baden-Württemberg.<br />
Heute gibt es in Baden-Württemberg in 94 Städten und Gemeinden Einrichtungen Mobiler<br />
Jugendarbeit, bundesweit, also seit den 90er Jahren auch in den neuen Bundesländern,<br />
sind es ca. 1200.<br />
2.1 Prekäre Lebenslagen und schwieriges Verhalten junger Menschen: Wie soll eine Gesellschaft<br />
damit umgehen?<br />
Die Anlässe für die Entstehung Mobiler Jugendarbeit heute, sind nach 42 Jahren erster<br />
sozialpädagogischer Gehversuche im Stuttgarter Stadtteil Freiberg (1967) nicht wesentlich<br />
von den damaligen zu unterscheiden. Es geht in fast jeder Gemeinde, in fast jeder Stadt<br />
stets um auffälliges, schwieriges, zuwendungsbedürftiges oder delinquentes Verhalten<br />
junger Menschen.<br />
Die zentrale Frage von damals ist die gleiche geblieben und hat heute eine globale<br />
Dimension erreicht: Sollen wir uns diesen obdachlosen, verarmten, ungebildeten, gewalttätigen,<br />
benachteiligten, kriminellen, kranken, unterernährten, verachteten, drogenkonsumierenden,<br />
provozierenden, extremistisch orientierten Kindern und Jugendlichen<br />
zuwenden oder grenzen wir sie aus durch Nichtbeachtung, Bestrafung, Repression und
82<br />
immer mehr staatliche Sanktionspotentiale? Werden die auffälligen Jugendlichen (Punks,<br />
Skinheads, Gangs, Cliquen, Jugendbanden, Straßenkinder, jugendliche Drogenkonsumenten,<br />
Hooligans u.a.) als „gefährdet“ oder als „gefährlich“ definiert?<br />
Entscheidend dafür, ob ein sozialpädagogischer oder ein repressiv-kontrollierender Ansatz<br />
gewählt wird, ist, welche Definition sich in der jugendpolitischen Öffentlichkeit durchsetzt.<br />
Hilfe oder Kontrolle, Zuwendung oder Ausgrenzung sind die meist heftig erörterten<br />
Gegensatzpaare. In vielen Fällen kommt es zu einer Mischung aus beiden Ansätzen, zumal<br />
wenn Gesetze verletzt werden. Auffällige Jugendliche provozieren Konflikte, aber auch<br />
Opfer. Die Gewaltäußerungen Jugendlicher, die zweifelsohne an Härte und Brutalität zugenommen<br />
haben, werden inzwischen auch von Schulen berichtet. Dies führt in der gegenwärtigen<br />
Diskussion verstärkt zur Forderung nach dem Ausbau der Schulsozialarbeit,<br />
und zu einer verstärkten Kooperation Mobiler Jugendarbeit mit Schulen im gemeinsamen<br />
Interesse, die soziale Ausgrenzung junger Menschen zu verhindern. Da Ausgrenzung oft<br />
mit Stigmatisierung einhergeht ist es auch Ziel Mobiler Jugendarbeit, Stigmatisierungsprozesse<br />
zu vermeiden oder möglicherweise auch Entstigmatisierungsprozesse in Gang<br />
zu setzen. Dabei setzt Mobile Jugendarbeit auf Vertrauen und Freiwilligkeit bei den Jugendlichen,<br />
denen sie Entwicklungsoptionen, „funktionelle Äquivalente“ (Specht 2006)<br />
eröffnet und Chancen zur Lebensbewältigung, ohne Gesetze zu übertreten, anbietet. Der<br />
Altersschwerpunkt liegt bei 12 - 19 Jahren. Zuweilen sind auch jüngere oder ältere junge<br />
Menschen Zielgruppe Mobiler Jugendarbeit.<br />
2.2 Methodenkonzepte Mobiler Jugendarbeit<br />
Das Konzept Mobile Jugendarbeit gliedert sich in die vier zusammenhängenden Bereiche:<br />
Einzelfallhilfe, Street Work, Gruppenarbeit, und Gemeinwesenarbeit. Kennzeichen Mobile<br />
Jugendarbeit ist, dass alle vier Arbeitsbereiche konzeptionell miteinander verwoben sind.<br />
2.2.1 Einzelfallhilfen<br />
In der einzelfallbezogenen Arbeit begreifen sich Mobile Jugendarbeiter/innen zunächst<br />
für alle Probleme zuständig, die von Jugendlichen an sie herangetragen werden und bearbeiten<br />
diese im Kontext eines alltagorientierten Beratungsverständnisses (Thiersch<br />
1992). Dies ist eine Konsequenz aus der Erfahrung, dass sich Jugendliche nur dann anvertrauen,<br />
wenn ein Stück Vertrautheit und Vertrauen vorhanden ist. Zur Bearbeitung von<br />
Schwierigkeiten wählen Jugendliche Erwachsene nicht nach offizieller Beratungszuständigkeit<br />
aus, sondern sind auf Gelegenheiten angewiesen, die sich bieten und die im Alltag<br />
verfügbar sind. Deshalb werden Mobile Jugendarbeiter/innen im Rahmen eines Erstkontaktes<br />
mit einer Vielzahl von Themen konfrontiert und erst in einem zweiten Schritt wird<br />
geklärt, ob Kontakte beispielsweise zur Schuldner- oder Drogenberatung aufgenommen<br />
werden. Dies wird im Einzelfall im weiteren Beratungsprozess und nach Maßgabe der<br />
Wünsche der Jugendlichen geklärt. Die persönliche Beratung schließt sowohl Kriseninter-
83<br />
vention als auch langfristige Beratung - soweit geboten - ein. Dies bedeutet, die vielschichtigen<br />
Probleme Jugendlicher in ihrer individuellen Lebenssituation ganzheitlich zu betrachten<br />
und entsprechende Hilfeprozesse zu entwickeln. Wo für einen einzelnen<br />
Jugendlichen einflussreiche andere Jugendliche, Freunde, Kumpels, die Clique, die Gang,<br />
eine hohe Bedeutung haben, werden diese - systemisch betrachtet - in den Hilfeprozess<br />
integriert. Gruppen- oder Clubarbeit bietet dafür den notwendigen Rahmen. Dies bedeutet<br />
etwa, dass die Akzeptanz der Mobilen Jugendarbeiter/innen als Gruppenpädagogen/innen<br />
den Zugang zum einzelnen Jugendlichen erst ermöglicht oder zumindest erleichtert.<br />
Das Anbieten individueller und gruppenbezogener Beratung bezieht sich vorwiegend auf<br />
folgende Bereiche: Familie, Schule, Ausbildung, Clique, Arbeit und Arbeitslosigkeit, legaler<br />
und illegaler Drogenkonsum, Schuldenregulierung, Sexualität und AIDS-Bedrohung. Hinzu<br />
kommt der für delinquent handelnde, kranke oder drogenabhängige Jugendliche besonders<br />
bedeutsame Bereich des Umgangs mit Behörden, Ärzten, Kliniken, Kostenträgern,<br />
Polizei und Justiz, Gefängnissen und Opfern (Landesarbeitsgemeinschaft 1997).<br />
2.2.2 Street Work - aufsuchende Jugendarbeit<br />
Street Work als eine professionelle Arbeitsweise von Sozialarbeit und Sozialpädagogik,<br />
hat ihren Ursprung in den USA. Dort wurden Ende der 20er Jahre besonders in Großstädten<br />
im Zusammenhang mit steigender Jugendkriminalität entsprechende sozialpädagogische<br />
Programme eingerichtet. Als typische Zielgruppen dieses von der sozialen<br />
Einrichtung (Jugendbehörde, Beratungsstelle) räumlich losgelösten Hilfeansatzes auf der<br />
Straße, galt die youth gang, also eine lose strukturierte jugendliche Straßengruppe, Clique<br />
oder Jugendbande. Der Arbeitsplatz der Sozialarbeit wurde gewissermaßen an die Treffund<br />
Aufenthaltsorte der Jugendlichen verlegt. Über die Jahre hinweg wurden für diese<br />
ambulante Beratungstätigkeit folgende Begriffe verwandt: street corner worker, street<br />
gang worker, area youth worker, outreach youth worker, street club worker und field<br />
worker.<br />
Seit dem 2.Weltkrieg werden auch in fast allen westeuropäischen Ländern, in Afrika, Asien,<br />
Lateinamerika und Australien Streetwork-Ansätze praktiziert. Einige begriffliche Beispiele<br />
aus Europa seien genannt: In Großbritannien etwa unter dem Begriff „Detached Youthwork“<br />
oder „Outreach Youthwork“ in den Niederlanden als „Street Corner Work“, in der<br />
Schweiz als „Gassenarbeit“ oder „Mobile Jugendarbeit“, in Frankreich ist die Rede von<br />
den „Travailleurs de la Rue“ und in Österreich und Deutschland sowohl von Streetwork als<br />
auch von Mobiler Jugendarbeit. Seit der globalen politischen Wende 1989/90 gibt es auch<br />
Ansätze Mobiler Jugendarbeit in osteuropäischen Ländern.<br />
Street Work ist ein Methodenkonzept, das im Verständnis der Mobilen Jugendarbeit einmal<br />
die örtliche und gemeinwesenbezogene sozialräumliche Verankerung braucht und
84<br />
zum anderen Jugendlichen etwas konkretes anzubieten hat: Menschen, die für sie Zeit<br />
haben, ein Telefon, um mit Ämtern Kontakt aufzunehmen oder nach Arbeit zu fragen,<br />
eine Tasse Kaffee, eine Dusche, ein Ort, wo man zur Ruhe kommen kann, eine Anlaufstelle<br />
zur Bewältigung von Krisen, aber auch ein Ort, von dem Anregungen zur Freizeitgestaltung,<br />
Unterstützung bei der Durchsetzung von Wünschen nach einem eigenen Raum im<br />
Stadtteil oder Angeboten zu sozialen Erfahrungen mit anderen Jugendlichen ausgehen.<br />
2.2.3 Gruppenarbeit – Arbeit mit Cliquen<br />
Mobile Jugendarbeit ist auch entstanden als eine praktische Kritik an rein individualisierenden<br />
Ansätzen in der Jugendhilfe. Die Rolle der Gleichaltrigen als Sozialisationsinstanz,<br />
neben Elternhaus und Schule, wurden in den 60er-Jahren und teilweise auch heute noch<br />
von der Jugendhilfe nicht produktiv in ihre Reaktionsformen integriert. Mobile Jugendarbeit<br />
wendet sich an bestehende Cliquen und informelle Gruppen, weil diese Gruppierung<br />
zentrale Bedeutungen für die Herausbildung von Einstellung und Haltungen aber auch<br />
für die Bewältigung von Entwicklungsanforderungen für Kinder und Jugendliche haben.<br />
Der Begriff Clique wird häufig synonym verwandt mit den Begriffen peer oder peer-group<br />
und kennzeichnet einen Typus informeller Gruppen, die beschrieben werden können als<br />
„überschaubare Gebilde, in denen Bedürfnisse und Erlebnisse Vorrang haben. Die Zugehörigkeit<br />
hat eher flüchtigen Charakter und ist nicht an formelle Regeln gebunden. Die informellen<br />
Strukturen mögen mitunter hierarchische Züge aufweisen, unterliegen aber<br />
dem unmittelbaren Einfluss der Cliquenangehörigen“ (Liebel 1991:304-312). Cliquen zeigen<br />
zumeist lokale sozialräumliche Orientierungsmuster und unterscheiden sich darin zu<br />
Szenen, die offen und überlokal strukturiert sind und sich häufig entlang verschiedener<br />
Musik - und Lebensstile bilden.<br />
Cliquen sind in ihrer Sozialstruktur durch „Gleichheit der Stellung im Verhältnis zueinander“<br />
geprägt (Krappmann 1991:364). Darin unterscheiden sie sich auch von Jugendbanden<br />
oder gangs, die eine hierarchische Sozialstruktur von Führern und Geführten<br />
aufweisen.<br />
Lange bevor sich die deutsche Jugendforschung der Cliquen angenommen hat, wurden<br />
in den USA die gangs, insbesondere der Jugendgangs untersucht. Die Tradition reicht<br />
weit zurück zu frühen Arbeiten der Chicagoer Schule sozialökologischer Kriminalitätsforschung<br />
und dem Klassiker der Gangforschung „The gang“ (Thrasher 1926).<br />
Es gibt heute Formen des Überlebens, bei denen die Gleichaltrigengruppe, die Clique eine<br />
wichtige Bedeutung hat. Angesichts wachsender Individualisierung und dem zunehmenden<br />
Orientierungsverlust Jugendlicher, werden Cliquen heute häufig als „überlebenswichtige,<br />
zentrale Sozialisationsinstanzen“ (Ferchhoff 1990:72) beschrieben. Dies gilt<br />
insbesondere, wenn in der Familie zentrale Grundbedürfnisse nicht ausreichend befriedigt
85<br />
werden. Hinzu kommt bei Cliquen häufig auch der Aspekt territorialer Aneignung und<br />
Durchsetzung, die Besetzung eines „turfs“, eines Hoheitsgebietes der Clique oder Gang<br />
im Wohnviertel oder Stadtteil. Dies gilt in besondere Weise beim Vorhandensein rivalisierender<br />
Cliquen.<br />
Mobile Jugendarbeit greift diese Tatsachen im Rahmen ihrer Gruppen- und Clubarbeit<br />
konzeptionell auf und unterstützt vielfach sozial-räumliche Ansiedelungsprozesse im<br />
Wohngebiet der Jugendlichen. Hierzu gehören etwa die Schaffung von Freizeittreffs (Clubräume,<br />
Jugendzentren, Zugänge zu Gemeindezentren, Drop-ins u.a.) Im Kontext der<br />
Gruppe wird gemeinsam gelernt und verlernt, und es finden soziale Auseinandersetzung<br />
statt. Jugendliche erleben die Gruppe als Quelle der Anerkennung und Sicherheit, aber<br />
auch als stabilisierendes Korrektiv, wenn ihr Verhalten von der Clique missbilligt wird. Die<br />
Clique ist somit ein sozialer Ort, der Zugehörigkeit, Vertrauen, Status, Orientierung und<br />
Respekt vermittelt und damit fundamentale menschliche Bedürfnisse befriedigt. Sicherlich<br />
wird gesehen – wie es besonders häufig Eltern und Vertreter sozialer Kontrollinstanzen<br />
tun – dass die Clique, die Gruppe, die Gang auch Verführungsinstanz zu abweichendem<br />
Verhalten sein kann. Richtig, aber gerade deshalb richtet Mobile Jugendarbeit in solchen<br />
Cliquen die Aufmerksamkeit auf die positiven Stärken und Ressourcen aller Cliquenmitglieder.<br />
Diese können in ihrer produktiven Vielfalt sozial anerkannter Verhaltensweisen<br />
ein hochwirksames Korrektiv für abweichendes Verhalten von einzelnen Gruppenmitgliedern<br />
sein. Damit steht Mobile Jugendarbeit im Gegensatz zu repressiv-kontrollierenden<br />
Formen des Umgangs mit auffälligen Straßengruppen. Die erwähnten menschlichen<br />
Grundbedürfnisse werden offensichtlich in den anderen sozialen Alltagskontexten (Familie,<br />
Schule, Beruf, Arbeit) des Jugendlichen nicht ausreichend befriedigt und brauchen<br />
daher Ergänzungsmöglichkeiten oder Ersatz, den Cliquen und Gruppen gewähren.<br />
Diese positiven Ressourcen und Potenziale in jugendlichen Gruppen sind es, die Mobile Jugendarbeit<br />
veranlassen, sie zum Ausgangspunkt pädagogischer Prozesse zu nehmen und<br />
sie für den einzelnen Jugendlichen in einer prekären Lebenslage zu nutzen. Dazu bedarf<br />
es einer längerfristigen Beziehungsarbeit, die im Kontext von attraktiven Freizeitangeboten,<br />
„funktionellen Äquivalenten“ (s.o.) und systematischer Gruppenarbeit entfaltet werden<br />
(Häberlein, V./Klenk, B. 1997:124-132).<br />
2.2.4 Gemeinwesenarbeit<br />
Da Integration und Ausgrenzung, Akzeptanz und Ablehnung, Problementstehung und Problemlösung<br />
häufig im unmittelbaren Umfeld von jungen Menschen stattfinden, legt Mobile<br />
Jugendarbeit einen Schwerpunkt auf die Gemeinwesenbezogenheit der Arbeit. Sie ist<br />
dabei inspiriert von amerikanischen Vorbildern, wie der Arbeit von Saul Alinsky (1973)<br />
und Konzepten aktivierender und konfliktorientierter Gemeinwesenarbeit von Bahr/Gronemeyer<br />
(1974), aber auch von analytischen Gemeinwesenzugängen, wie sie bereits in
86<br />
der Settlementbewegung Ende des 19. Jahrhunderts praktiziert wurden (Müller 1988).<br />
Mit Feld- oder Sozialraumanalysen werden die Eckpunkte Mobiler Jugendarbeit entlang<br />
örtlicher Bedarfslagen ermittelt und im Sinne kleinräumiger Jugendhilfeplanung umgesetzt<br />
(vgl. Specht 1979, 1980 und 1992). Zur Gemeinwesenbezogenheit Mobiler Jugendarbeit<br />
gehört auch, dass auf der örtlichen Ebene bestehende Angebote im Sinne eines<br />
institutionellen Gemeinwesennetzwerkes zusammengeführt und dafür notwendige Gremienstrukturen<br />
geschaffen werden, wie beispielsweise Stadtteilarbeitskreise. Mit der Präsenz<br />
im Gemeinwesen, durch ein Büro als Anlaufstelle im Stadtteil und Cliquenräumen<br />
wird die Voraussetzung dafür geschaffen, mit Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt zu<br />
kommen. Über die Arbeit mit Jugendlichen und Familien hinaus sind alle Bewohnergruppen<br />
im Stadtteil oder in der Gemeinde Adressat zielgerichteter Aktionen, die dazu beitragen<br />
können, das soziale Klima im Gemeinwesen zu verbessern oder zu Formen<br />
produktiver Bewältigung sozialer oder politischer Konflikte zu gelangen. Das im Modelprojekt<br />
„Hallschlag“ 1985 entwickelte Konzept der ‚Laienberater’ spielt in diesem Zusammenhang<br />
ebenfalls eine gewichtige Rolle. Ehemals gefährdete Jugendliche oder<br />
engagierte Ehrenamtliche aus dem Stadtteil werden im Verlauf sozialpädagogischer Prozesse<br />
zu positiven Modellen für jüngere Cliquen- bzw. Clubmitgliedern und sind sowohl<br />
Protagonisten für die Interessen der Jugendlichen selbst als auch eine Instanz demokratischer<br />
Kontrolle sozialer Arbeit.<br />
3. ZUR HISTORIE DER <strong>MOBILE</strong>N <strong>JUGENDARBEIT</strong> UND VON <strong>ISMO</strong><br />
1983 begann mit dem ersten Symposium zur Mobilen Jugendarbeit am Institut für Erziehungswissenschaft<br />
der Universität Tübingen der internationale Diskurs zum Konzept der<br />
Mobilen Jugendarbeit. 1992 nahm die International Society for Mobile Youth Work (<strong>ISMO</strong>),<br />
ein Fachverband im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD),<br />
dieses Anliegen auf und verstärkte zum einen den fachlichen Austausch innerhalb des<br />
wiedervereinigten Deutschlands. Mit dem Ende des Kalten Krieges und der politischen<br />
Wende 1989/90 war <strong>ISMO</strong> im Rahmen des von der Bundesregierung 1991 in den 5 neuen<br />
Bundesländer aufgelegten AGAG Programms besonders im Land Sachsen aktiv am Aufbau<br />
von Projekten der Mobilen Jugendarbeit beteiligt. Zum anderen war der internationale<br />
Diskurs schon 1988 an der Fachhochschule für Sozialwesen Esslingen mit dem 3.<br />
Symposium zur Mobilen Jugendarbeit und 1991 in Stuttgart mit dem 4. Symposium durch<br />
das Diakonische Werk der EKD sehr stark vorangekommen. Die bis zu diesem Zeitpunkt<br />
vorliegenden nationalen und internationalen Wissensbestände zu diesem Integrationskonzept<br />
der Jugendsozialarbeit für junge Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten<br />
wurden auf nationaler und internationaler Ebene immer breiter diskutiert. Diesem<br />
Fachdiskurs folgte erstmals außerhalb Deutschlands 1994 in Santiago de Chile das 5. Sym-
87<br />
posium und 1995 das 6. Symposium zur Mobilen Jugendarbeit. In Chile standen heftige<br />
lateinamerikanische Kontroversen zur Kooperation von Sozialarbeit und Polizei, die Kritik<br />
am Verhalten der Polizei selbst gegenüber Straßenkindern („Todesschwadronen“) und<br />
an der totalen Institution als Lösungskonzept für Straßenkinder auf der Tagesordnung. In<br />
der Schweiz wurde schwerpunktmäßig die europäische Situation des Lebens und Überlebens<br />
von ausgegrenzten Kindern und Jugendlichen auf der Straße thematisiert. Hierbei<br />
wurde von <strong>ISMO</strong> geografisch betrachtet erstmals auch der frankophone und der osteuropäische<br />
Raum verstärkt in den Blick genommen.<br />
Kontakte des Diakonischen Werkes der EKD zur russischen orthodoxen Kirche öffneten<br />
für <strong>ISMO</strong> ab 1992 viele Türen in russische Einrichtungen, soziale Dienste und totale Institutionen.<br />
Dies galt sowohl für kirchliche als auch für staatliche Einrichtungen. Über den<br />
Europäischen Verband für Diakonie (Eurodiaconia) wurden diese Kontakte ab 1996 noch<br />
verstärkt. So kam es 1998 in der Russischen Föderation, in St. Petersburg zusammen mit<br />
der Staatlichen Universität St. Petersburg, der Stadtverwaltung St. Petersburg und dem<br />
Europäischen Netzwerk für Straßenkinder weltweit (ENSCW Brüssel) zum 7. <strong>ISMO</strong><br />
Symposium unter dem Thema „Mobile Jugendarbeit in Russland“ mit über 350 Teilnehmer/innen.<br />
Das Interesse an dieser zwischenzeitlich international weiterentwickelten Konzeption<br />
unter staatlichen, freien und kirchlichen Trägern war so groß, dass im Jahre 2003 ein<br />
weiteres Symposium auf dem afrikanischen Kontinent stattfand. In Limuru/Kenia veranstaltete<br />
<strong>ISMO</strong> in Kooperation mit dem National Council of Churches Kenya (NCCK) das 8.<br />
Symposium unter dem Titel ‚Mobile Youth Work in Africa – Transformation of a worldwide<br />
Concept‘ mit 200 Teilnehmenden aus 35 Ländern der Erde, hauptsächlich jedoch aus<br />
Kenia und anderen afrikanischen Ländern. Als ein Ergebnis dieser internationalen Konferenz<br />
stellte sich für Kenia, aber auch für viele andere afrikanische Länder ein vergleichsweise<br />
ähnlich starker Bedarf nach Qualifikation in Mobiler Jugendarbeit wie in Osteuropa<br />
heraus. Diesen unerwarteten Anfragen konnte <strong>ISMO</strong> bislang jedoch kaum entsprechen.<br />
Aus sozialpolitischen, finanziellen und geografischen Gründen hatte <strong>ISMO</strong> schon 1999 mit<br />
der konkreten Qualifizierungsarbeit zum Konzept der Mobilen Jugendarbeit zunächst in<br />
den 3 russischen Städten Moskau, Smolensk und St. Petersburg begonnen. Seitdem sind<br />
die 4 weiteren russischen bzw. sibirischen Städte Tscheljabinsk, Omsk, Novosibirsk und Irkutsk<br />
hinzugekommen (Fördrung durch Caritas International). Seminare, Konferenzen<br />
und Qualifizierungskurse zur Mobilen Jugendarbeit wurden und werden aber auch in den<br />
6 weiteren zentral-, südost- und osteuropäischen Ländern Estland, Tschechien, Slowakei,<br />
Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Ukraine und Georgien durchgeführt.<br />
Anfragen nach Qualifizierungen aus den weiteren Ländern wie Polen, Litauen, Moldavien<br />
und Serbien liegen vor.
88<br />
Wesentliche Gründe für die verstärkte Nachfrage lagen darin, dass in den GUS-Staaten<br />
(CIS countries) und in südosteuropäischen Ländern (SEE countries) nach Aussagen des Innocenti<br />
Research Centre Florenz von UNICEF die Einkommensarmut bei Minderjährigen<br />
(Kinderarmut) zwar zurückging und der Zugang zu sozialen Diensten im allgemeinen verbessert<br />
und stabilisiert werden konnte, bei den klassischen Zielgruppen (children at risk)<br />
der Mobilen Jugendarbeit jedoch kaum Wirkungen erzeugte oder dort gar nicht an kam.<br />
Die relative Wirkungslosigkeit reiner ökonomischer Verbesserungen wurde für viele Vertreter<br />
sozialer Dienste in Osteuropa deutlich. Dies gilt ohne Einschränkung auch für unsere<br />
Kooperationspartner in den einzelnen Projekten vor Ort. Ausgegrenzte, verachtete<br />
und vernachlässigte (junge) Menschen brauchen vermittelnde Dienste sozialer Arbeit, die<br />
Respekt und Anerkennung inszenieren. Hier liegt nun gerade eine der zentralen Stärken<br />
des Konzeptes der Mobilen Jugendarbeit. Wo immer dieses Konzept fachlich fundiert und<br />
auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes und der UN Kinderrechtskonvention<br />
angewandt wird, schafft es durch solidarische Hilfe gelingende Kontakte und Vertrauen<br />
bei ausgegrenzten jungen Menschen („reaching the unreachable“). Es ermöglicht und<br />
öffnet Zugänge zu sozialen Diensten und bildet soziales Kapital im Alltag der Zielgruppen.<br />
Wo Hilfestrukturen fehlen, gibt es Impulse für den Aufbau von Basisstrukturen und knüpft<br />
kritisch-solidarische soziale Netze. Sämtliche Kooperationspartner von <strong>ISMO</strong> machten<br />
immer wieder deutlich, dass genau für diese konzeptionelle Sichtweise in ihrer Stadt, in<br />
ihrer Region, in ihrem Land ein hoher Bedarf an Austausch und Zusammenarbeit besteht.<br />
Der im Oktober 2006 vorgelegte Bericht des Innocenti Research Centre in Florenz spricht<br />
von immer noch geschätzten 18 Millionen Kindern unter 15 Jahren , die in den genannten<br />
Regionen Osteuropas und der GUS-Staaten unter den Bedingungen von extreme Einkommensarmut<br />
leben. Dazu werden besonders Kinder gezählt, die in ländlichen und wirtschaftlich<br />
benachteiligten Regionen leben, innerhalb geschwächter Familienstrukturen<br />
aufwachsen müssen, in totalen Institutionen (Heimen) untergebracht sind und Kinder, die<br />
ethnischen Minoritäten angehören. Der Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen<br />
ist für diese Zielgruppe ebenfalls nach wie vor erschwert. Die Ausrichtung des UNICEF<br />
Social Monitor 2006 Berichtes auf die Bekämpfung von Kinderarmut geht von der auch<br />
von <strong>ISMO</strong> vertretenen Annahme aus, dass extreme Einkommensarmut bei Minderjährigen<br />
stets gekoppelt ist mit der Verweigerung zahlreicher fundmentaler Rechte wie sie in der<br />
UN Kinderrechtskonvention festgelegt sind.<br />
Angesichts solcher aktueller dramatisch hohen Zahlen von Kindern und Jugendlichen mit<br />
besonderen sozialen Schwierigkeiten und bestehender Kinderarmut in Osteuropa, aber<br />
auch angesichts der wachsenden Zahl von Jugend- und Sozialarbeitern, die in den postkommunistischen<br />
Staaten von den bislang dominanten repressiven „Lösungswegen“ wegkommen<br />
wollen, ist der Bedarf an entsprechenden Basisstrukturen sozialer Dienste und
89<br />
qualifizierten Fachexperten weiter gestiegen. Für <strong>ISMO</strong> steht zu den Qualifikationskursen<br />
in Mobiler Jugendarbeit ein bundesweites, ja europäisches Reservoir an erfahrenen und<br />
hoch motivierten Experten/innen zur Verfügung. Die Finanzierung basiert bisher allerdings<br />
noch auf zu geringen Spenden, Mitgliedsbeiträgen und Zuschüssen zu den Eigenmitteln<br />
des Vereins. Daher wurden bei der Deutschen Behindertenhilfe - Aktion Mensch<br />
e.V. seit 2005 bislang 11 Anträge auf Förderung aus dem Programm zur Förderung von Basisstrukturen<br />
in Osteuropa gestellt und bewilligt. Hierzu sind aber bei jedem einzelnen<br />
Projekt ebenfalls erhebliche Eigenmittel erforderlich. Ein Projekt läuft in der Regel 12 – 18<br />
Monate und besteht aus einem Kurs Mobile Jugendarbeit, der in 3 dreitägigen Seminaren<br />
in der jeweiligen osteuropäischen Partnerstadt durchgeführt wird. Als generelles Ziel<br />
eines Kurses ist formuliert:<br />
Die Qualifizierungsseminare von <strong>ISMO</strong> zur Mobilen Jugendarbeit richten sich an Praktiker/innen<br />
und Wissenschaftler/innen sowie Schlüsselpersonen der Jugend-, Behindertenund<br />
Sozialpolitik, die mit Kindern und Jugendlichen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten<br />
arbeiten oder arbeiten wollen und keine qualifizierte Ausbildung oder ein Zertifikat<br />
in Mobiler Jugendarbeit haben. Ihnen soll durch den Kurs, der fachliche Kompetenz, Erziehung,<br />
Bildung und den Aufbau zivilgesellschaftlicher Kräfte in den Mittelpunkt stellt,<br />
die Möglichkeit gegeben werden, sich in Mobiler Jugendarbeit zu qualifizieren. Nach<br />
einem von <strong>ISMO</strong> ausgearbeiteten Curriculum, das auf die jeweilige kulturelle, soziale und<br />
politische Situation vor Ort ausgerichtet wird, erlernen die Teilnehmenden des Programms<br />
die grundlegenden Prinzipien der Mobilen Jugendarbeit und schließen den Kurs<br />
mit dem Erhalt eines Zertifikates ab.<br />
Die Hauptaktivitäten in den oben aufgeführten 11 Projekten sind überwiegend erfolgreich<br />
abgeschlossen. Insgesamt wurden wie geplant 33 Qualifizierungsseminare unter Mitwirkung<br />
von 62 <strong>ISMO</strong> Referenten/innen und 91 ausländischen (einheimischen) Referenten/<br />
innen und Koordinatorinnen in den Projektstandorten durchgeführt. Eine differenzierte<br />
Darstellung des jeweiligen Ablaufs der 11 Projekte mit sehr unterschiedlichen und komplexen<br />
Ergebnissen ist in der <strong>ISMO</strong> Geschäftsstelle einzusehen. Die starke Nachfrage nach<br />
Basistexten zur Mobilen Jugendarbeit in der jeweiligen Landessprache hat dazu geführt,<br />
dass mit der Förderung von Aktion Mensch es möglich wurde diese für folgende Sprachen<br />
zu erstellen: Estnisch, Russisch, Tschechisch, Slowakisch, Ungarisch, Bulgarisch und Georgisch.
90<br />
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Alinsky, S. 1973: Leidenschaft für den Nächsten. Strategien und Methoden der Gemeinwesenarbeit.<br />
Gelnhausen/Berlin.<br />
Bahr/Gronemeyer (Hrsg.) 1974: Konfliktorientierte Gemeinwesenarbeit. Darmstadt/Neuwied.<br />
Bolz,R./Boulet,J. 1973: Jugendarbeit als kategoriale Gemeinwesenarbeit, in: Böhnisch, L. (Hrsg.)<br />
Jugendarbeit in der Diskussion, München.<br />
Council of Europe 1994: Street Children. Strasbourg.<br />
Häberlein, V./Klenk, B. 1997: Führen oder wachsen lassen, in: LAG Ba-Wü, Mobile Jugendarbeit.<br />
Stuttgart.<br />
International Society for Mobile Youth Work (<strong>ISMO</strong>) 2004: Mobile Youth Work in Africa. Transformation<br />
of a worldwide concept. Stuttgart/Nairobi.<br />
Krappmann, L. 1991: Sozialisation in der Gruppe der Gleichaltrigen, in: Hurrelmann, K./Ulich, D.<br />
(Hrsg.) Neues Handbuch der Sozialisationsforschung, Weinheim.<br />
Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Mobile Jugendarbeit/Streetwork Baden-Württemberg 1997:<br />
Mobile Jugendarbeit, Stuttgart.<br />
Liebel, M. 1991: Cliquen und informelle Gruppen, in: Böhnisch, L. u.a. Handbuch Jugendverbände.<br />
Weinheim.<br />
Müller, C.W. 1988: Wie Helfen zum Beruf wurde. Weinheim.<br />
Specht, W. 1979: Jugendkriminalität und mobile Jugendarbeit. Neuwied.<br />
Specht, W. 2006: Die sozialpädagogische Entwicklung funktioneller Äquivalente als das Schlüsselkonzept<br />
der Mobilen Jugendarbeit. <strong>ISMO</strong> Stuttgart.<br />
Thiersch, H. 1992: Lebensweltorientierte Soziale Arbeit. Weinheim, München.<br />
Thrasher, Fr. 1926: The Gang. Chicago.
91<br />
<strong>MOBILE</strong><br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong> IN<br />
GROSSBRITANNIEN<br />
Graeme Tiffany . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Ich möchte mich gerne bei den Ausrichtern der Konferenz für die Gelegenheit bedanken,<br />
eine Rede halten zu dürfen. Ich hoffe ich kann einige Dinge sagen, die für sie von Interesse<br />
sind und die ihnen helfen, wenn sie über ihre Arbeit nachdenken. Die Frage inwiefern der<br />
sich verändernde globale Kontext einen Effekt auf die Mobile Jugendarbeit – oder wie wir<br />
sie in Großbritannien nennen detached youth work – hat, ist sehr wichtig. Globalisierung<br />
funktioniert in verschiedener Weise. Sicherlich führte die zunehmende Mobilität zu zunehmender<br />
Diversität in den Gemeinden, in denen wir arbeiten. Indem wir die politische Debatte<br />
über Immigration zu Kenntnis nehmen, ist unsere erste Priorität zu fragen: Wie<br />
sollen wir auf diese Realität eingehen? Gleichzeitig und trotz der Tatsache, dass wir in<br />
einem der reichsten Länder der Welt leben, sehen wir die Schere zwischen arm und reich<br />
größer werden.<br />
Natürlich engagieren wir uns in dieser Debatte. Ist diese Entwicklung ein Produkt der Globalisierung<br />
oder der zunehmenden Ausdifferenzierung? Unsere erste Priorität sollte es<br />
sein, sich klar zu sein, welche Handlung wir einleiten müssen. Lassen sie mich kurz den<br />
Forschungskontext in Großbritannien erwähnen. Ich werde hauptsächlich über England<br />
sprechen, weil, wie einige von ihnen wissen werden, dort in den letzten Jahren ein Prozess<br />
der Dezentralisierung stattgefunden hat. Schottland hat sein eigenes Parlament, Wales<br />
eine Nationalversammlung und Nordirland auch seine eigenen Vereinbarungen. Das hatte<br />
einen ziemlich signifikanten Effekt auf die Jugendarbeit im Allgemeinen, weil – was wir wie<br />
ich denke alle schätzen – Jugendarbeit in verschiedener Weise definiert und vielleicht<br />
noch wichtiger bewertet werden kann. Und wir sollten uns erinnern, dass nur die Erkennung<br />
dieser Werte dazuführt, dass die Ziele unserer Arbeit validiert werden können.
92<br />
Die Dezentralisierung hat uns dazu befähigt einige besonders interessante Vergleichsforschungen<br />
über die allgemeine Ausbildung junger Menschen zu machen. Zunächst ist<br />
festzustellen, dass die Arbeit der Mobilen Jugendarbeiter extrem „untererforscht“ ist. Ich<br />
sehe darin das Hauptproblem, besonders weil viele der Mechanismen, die wir jetzt benutzen,<br />
um unsere Arbeit zu evaluieren, nicht die Kultur der Flexibilität haben, die Mobile<br />
Jugendarbeit zu fordern scheint. Diejenigen unter euch, die genug Glück hatten bei der<br />
europäischen Konferenz über Outreach Work im April in Oslo dabei zu sein, waren sicher<br />
genauso beeindruckt wie ich von dem Skandinavischen Engagement in Forschung und<br />
Dokumentation, das meiner Meinung nach für eine geeignete und verständnisvolle Bewertung<br />
der Wirkung Mobiler Jugendarbeit essentiell ist.<br />
Als Teil der UK Federation for Detached Youth Work (Britischer Verband Mobiler Jugendarbeit)<br />
habe ich aufgrund meiner Erfahrung in Oslo darüber diskutiert, wie wir unsere<br />
Zusammenarbeit mit sowohl Sozialwissenschaftlern als auch Journalisten verbessern<br />
könnten. Lassen sie mich zur Bewertung zurückkommen wie die britische Jugendpolitik<br />
und die tatsächliche Sozialpolitik allgemein im Kontext der Veränderung, die ich herausgehoben<br />
habe, angesiedelt war. Das erste ist vielleicht in Französisch besser formuliert als<br />
in Englisch. Meine Kollegen dort sprechen von „la securité“, eine Politik, die den öffentlichen<br />
Raum, in dem junge Leute sich aufhalten (und natürlich wo viel Mobile Jugendarbeiter<br />
arbeiten) als rein negativen Raum betrachtet.<br />
Es ist ein Ort, dem Gefahr zugeschrieben ist, ein Ort, der zum Wohl der Gesellschaft kontrolliert<br />
werden muss. Sozialpolitik entscheidet dabei über die ansteigenden Zahlen solcher<br />
Orte, die mit Sperrstunden und Platzverweisen belegt werden. Diese ‚harte’<br />
Orientierung ist auch zunehmend prävalent in der Mobiler Jugendarbeit. Für die Praxis<br />
heißt das, dies führte zunehmend dazu, auf junge Leute zuzugehen, die als gefährdet angesehen<br />
werden, auch wenn nicht klar ist, wie wir ‚gefährdet’ definieren und wen wir als<br />
‚gefährdet’ bezeichnen.<br />
Einige würden sagen, dass dieser Mangel an Klarheit zu einer Kultur führte, zu glauben,<br />
dass alle jungen Menschen gefährdet seien und dass die Straße ein gefährlicher Ort sei,<br />
ein Ort, der gefürchtet und gemieden werden müsste. Diese ‚Verhärtung’ von Haltungen<br />
und die anschließende Fokussierung auf junge Leute führte, vielleicht unvermeidbar, zu<br />
einer Abwertung des fortschrittlichen Prinzips, dass Jugendarbeit auf der freiwilligen Zusammenarbeit<br />
mit jungen Menschen basiere. Zum ersten Mal diskutieren wir in Großbritannien<br />
die Realisierbarkeit dieses Prinzips. In einigen Vierteln ist das in der Tat eine<br />
wirkliche Debatte, in anderen ist sie jedoch etwas subtiler.<br />
Lassen sie mich ein Beispiel geben. Ich war erfreut, dass der Vorsitzende der National<br />
Youth Agency – vielleicht die Person im Jugenddienst, die der Regierung am nächsten
93<br />
steht – meine Einladung akzeptierte, bei der Vorstellung meines Buches „Reconnecting<br />
Detached Youth Work“ eine Rede zu halten – was einen Bericht des ersten Teils meiner<br />
jahrelangen systematischen Untersuchung in Mobiler Jugendarbeit, darstellt. Sie mögen<br />
anhand des Titels erraten haben, dass die Schlussfolgerung ist, dass wir in irgendeiner Art<br />
und Weise „detached“ (abgelöst) wurden - was ein zugegebenermaßen ironischer Gebrauch<br />
des Wortes ist – „detached“ (gelöst) von einer progressiven Geschichte, auf die<br />
viele Mobile Jugendarbeiter sehr stolz sind. Ich habe bemerkt, dass es so auch auf der<br />
<strong>ISMO</strong> Homepage identifiziert ist.<br />
Wenn ich das für einen Moment beiseite lasse, wurde dem Publikum bei der Buchvorstellung<br />
– unter dem sehr viel Mobile Jugendarbeiter waren, gesagt: „Sie müssen bedenken,<br />
dass ihre Fähigkeiten über freiwillige Zusammenarbeit hinausgehen.“ Ich erinnere mich<br />
gut an die Reaktion. Sie fühlten sich verständlicherweise stolz. Aber sie fingen an sich zu<br />
fragen ob dieser Kommentar nicht auf eine andere Weise interpretiert werden konnte.<br />
War die der Rückschluss der, dass wir am Anfang vom Ende eines demokratischen Prinzips<br />
der freiwilligen Zusammenarbeit waren? Wenn man sich in der Praxis umschaut, gibt es<br />
einen zunehmenden Beweis dafür, dass dies bereits begonnen hat. Zum Beispiel lassen<br />
sich immer mehr Mobile Jugendarbeiter in der Pflichtumgebung der Schule finden. Darüber<br />
werde ich später mehr sagen, wenn ich versuche auf eine weitere meiner Herausforderungen<br />
einzugehen – zu erwähnen wie Mobile Jugendarbeit im breiten Bildungssystem<br />
positioniert ist.<br />
Aber für jetzt lassen sie mich vorschlagen, dass es in verschiedener Weise junge Menschen<br />
sind, die immer die Kontrolle über das Freiwilligkeitsprinzip hatten. Im Kontext der<br />
Schulpflicht gibt es eine große Anzahl, die es vorzieht zu schwänzen oder die weniger<br />
greifbare, aber genauso häufige Kultur anwesend zu sein, aber nicht engagiert zu sein. Wir<br />
können wenigstens zu dem Schluss kommen, dass lernen nicht mit Anwesenheit korreliert.<br />
Die Debatte über die Beziehung zwischen gezielter Arbeit und allgemeiner Bereitstellung<br />
ist sehr wichtig; es ist etwas, womit wir uns auch beschäftigen müssen. Mein Standpunkt<br />
basiert auf meiner eigenen Erfahrung als Mobiler Jugendarbeiter und der Forschung, die<br />
ich durchgeführt habe. Ich glaube es ist möglich‚ „gezielt zu arbeiten durch Vielseitigkeit“.<br />
Einfacher gesagt, das heißt, dass indem man einen offenen, gemeinwesenorientierten<br />
Ansatz annimmt, werden Mobile Jugendarbeiter sich bewusst, welche jungen Menschen<br />
Unterstützung, oft Einzelfallhilfe, brauchen. Und sie werden mit ihnen arbeiten um das<br />
zu erreichen.<br />
Aufgrund ihrer Bemühungen Stigmatisierung zu vermeiden, nehmen die Norweger das<br />
sehr ernst. In der Tat scheint das das vorrangige Prinzip in den skandinavischen Sozial-
94<br />
systemen zu sein. Aber wie es auch gerade in diesem Teil Europas geschieht, müssen wir<br />
uns mit den Kosten dieser Politik befassen. Zum Beispiel erhalten jetzt 25% der Bevölkerung<br />
in Norwegen Unterstützung in irgendeiner Weise vom Staat und das ist zum einen<br />
sehr teuer und trägt zur Abhängigkeitskultur bei. Das sind wie gesagt Fragen, mit denen<br />
wir uns beschäftigen müssen.<br />
Trotz dieser Verschiebung, haben wir uns in England dazu verschrieben, allen jungen Menschen<br />
Dienstleistungsangebote zur Verfügung zu stellen. Unser Bild ist sehr gemischt<br />
und bis zum heutigen Tage, trotz zunehmendem Beweis noch nicht sehr verwurzelt. Ein<br />
Vergleich mit Holland ist hilfreich; wo Forscher berichten, dass eine ‚gezielte Agenda’ (die<br />
nun schon einige Zeit gilt) dazu führte, dass viele ‚normale’ junge Menschen den Kontakt<br />
mit Jugendarbeitern vermeiden, scheinbar aus Angst stigmatisiert zu werden.<br />
Vielleicht stellt das eine Herausforderung für unsere Konferenz dar: Hat dieser scheinbar<br />
– zumindest im Bezug auf die Wirtschaft – rationale Prozess diejenigen, die es am nötigsten<br />
brauchen, mit Ressourcen zu versorgen unbeabsichtigte und negative Konsequenzen,<br />
besonders für die Entwicklung einer Haltung gegenüber öffentlichen<br />
Dienstleistungen der jungen Leute und vielleicht ebenso wichtig, ihrer Haltung gegenüber<br />
Gleichaltrigen, die diese Aufmerksamkeit erhalten (ob sie es wollen oder nicht)? Ich würde<br />
gerne diese Veränderung in der Politik für Mobile Jugendarbeiter in England reflektieren.<br />
Aber zuerst möchte ich einen anderen Kommentar der <strong>ISMO</strong> Homepage anmerken.<br />
Dieser schlägt vor: “Wo auch immer öffentliche Dienstleistungen nicht mehr weiter wissen,<br />
werden Mobile Jugendarbeiter eingestellt, oft mit befristeten Verträgen. Die Zeit und<br />
auch wieder die Mobilen Jugendarbeiter werden mit der Erwartung konfrontiert als Kurzzeiteinsatz<br />
zu funktionieren und Probleme zu lösen. Das kommt sicher in Großbritannien<br />
auch vor, durch unser Modell von öffentlichem Bereichsmanagement – ein Modell, wo Vertrags-<br />
und Zeitarbeit immer üblicher wird – ist es immer üblicher, dass die bereits vorhandenen<br />
Mobilen Jugendarbeiter diese Aufgaben übernehmen.<br />
Das passiert sowohl den Mobilen Jugendarbeitern, die vom Staat angestellt sind, also<br />
auch denen im freiwilligen Bereich. Dieses Interesse an unserer Arbeit kommt zweifelsohne<br />
von einem breiten Glauben ‚Praktiker mit Zugang’. Praktiker, die für fähig gehalten<br />
werden, ‚to reach the unreachable’ (die Unerreichbaren zu erreichen), dort wo andere<br />
Dienste versagt haben. Als ‚Praktiker mit Zugang’ bezeichnet zu werden hat zwei Seiten.<br />
Die erste ist den Wert anzuerkennen, der Mobiler Jugendarbeit zugeschrieben wird. Die<br />
andere Seite ist zu erkennen, dass man gebeten wird, eine Fülle von vorher bestimmten<br />
Ergebnissen zu erreichen, die andere Institutionen wünschen.<br />
Was wir in diesem Kontext gefunden haben ist sehr interessant und wie ich finde wichtig.<br />
Das erste ist positiv; diese Forderungen von außen haben uns ermutigt wieder auf unsere<br />
Wertebasis zurückzugreifen und stärker darüber nachzudenken, was wir tun und warum.
95<br />
Aber genauso fanden wir, dass dieses vorgeschriebene Arbeiten die Gefahr mit sich bringt,<br />
sich in einer Art und Weise zu verhalten, die Sozialwissenschaftler als ein Beweis für ‚performativity’<br />
bezeichnen würden.<br />
Lassen sie mich ein Beispiel geben wie „performativity“ in Mobiler Jugendarbeit zu funktionieren<br />
scheint. In meiner Untersuchung, die ich auf der Straße durchgeführt habe, habe<br />
ich beobachtet, dass es bei den Arbeitern üblich war, bewusst oder unbewusst eine Gruppe<br />
gegenüber einer anderen vorzuziehen, um mit ihr zu arbeiten. Ich akzeptiere, dass das<br />
was ich sagen möchte, als vorurteilsbehaftet gesehen werden mag, aber zu meiner Verteidigung,<br />
ich war 15 Jahre lang Mobiler Jugendarbeiter in einigen der Gegenden von<br />
Großbritannien, die sehr große Probleme haben. Ich arbeitete mit Cliquen, die als diejenigen<br />
beurteilt wurden, die aufgrund ihres Verhalten Hilfe am Nötigsten hatten. Manche<br />
schienen sich Gruppen auszusuchen, mit denen es leichter war zu arbeiten, vielleicht eher<br />
Jugendliche der Mittelklasse. Als ich dieses Verhalten bei den Kollegen, die involviert<br />
waren, entdeckte, kam ein weiterer grundsätzlicher Kontext, den ich vorher nur kurz erwähnt<br />
hatte, zum Vorschein. Es ist wahrscheinlich der, der den größten Effekt auf Mobile<br />
Jugendarbeit hat. Das ist der breite wirtschaftliche Kontext der „Marktbildung und Auftragsvergabe“,<br />
was jetzt nicht nur die Jugendsozialpolitik, sondern alle öffentlichen Dienste<br />
betrifft. Die Konsequenz daraus ist, dass Businessmanagementmodelle von Zeitarbeit,<br />
Vermittlung und Evaluation eingeführt werden unter den Namen ‚bester Wert’ und ‚Wert<br />
für Geld’. Das lässt sich übersetzen in die vorgeschriebenen Ergebnisse, die ich bereits erwähnt<br />
habe. Jedes Ergebnis geht mir dazugehörenden ‚Standards’ und ‚Zielen’ einher,<br />
die innerhalb einer vorgegebenen Zeit erreicht werden müssen, wie es der Vertrag vorgibt.<br />
Was dann passiert ist, dass die Manager Druck auf die Arbeiter ausüben, damit sie diese<br />
Ergebnisse erreichen und die Arbeiter als Reaktion darauf auf die Gruppen zugehen, mit<br />
denen sie dies am ehesten möglich machen können. Das wird üblicherweise als ‚perverse<br />
Effekte’ bezeichnet und kommt in allen Bereichen von öffentlichen Dienstleistungen vor<br />
und in allen Ländern, die begonnen haben, dieses ökonomische Paradigma zu verwenden.<br />
Für viele ist das verbunden mit dem breiteren ökonomischen Paradigma des Neoliberalismus,<br />
der mit der ‚Globalisierung’ assoziiert wird. Viele sehen es als mitschuldig in der<br />
weiteren Öffnung der Schere der sozialen Ungleichheit und der ansteigenden sozialen<br />
Polarisierung, die ich zuvor erwähnt hatte. Ebenso werden sie merken, dass dort, wo Mobile<br />
Jugendarbeiter Leute meiden, die es am ehesten nötig haben, deren soziale Ausgrenzung<br />
nur noch weiter verschlimmert wird. Ich habe dies als ‚Pistazieneffekt’ beschrieben<br />
– als ich meine Mutter dabei beobachtete, wie sie ihre Lieblingsnüsse aß: Wenn sie zu<br />
denen kommt, die am schwierigsten zu öffnen sind, lässt sie diese einfach beiseite und<br />
sucht anstatt dessen solche, die am einfachsten zu öffnen sind. [Ich bin sicher, sie erkennen<br />
das Phänomen in meiner Metapher].
96<br />
Ich möchte nicht den Eindruck vermitteln, dass unsere Arbeit in England komplett in die<br />
Richtung der ‚leichteren‘ Arbeit geht, weil es, wie ich bereits gesagt habe, durchaus ein<br />
gemischtes Bild gibt. In letzter Zeit war das Engagement in einem Programm, das wir ‘Jugendangebot’<br />
nennen, bemerkenswert. Das schaffte einen Anspruch für alle jungen Leute,<br />
Zugang zu Dienstleistungen zu haben, einschließlich unserer Zielgruppen. Im Gesamtkontext<br />
der Politik wird es als ‘Integrierter Jugendunterstützungsdienst’ bezeichnet.<br />
Hier ist es wichtig zu erwähnen, dass dieses Konzept der ‘Integration’ weiter geht als die<br />
Kombination universeller und gezielter Dienste und die Arbeit mit anderen Behörden. Aus<br />
diesem Grund haben wir nun eine breitere allumfassende Bezeichnung ‘Dienste für Kinder<br />
und junge Menschen’. Das soll nicht heißen, dass das nur eine Partnerschaft der Behörden<br />
ist, die Kinder und Jugendliche als Fokus haben, da es auch andere Behörden einschließt,<br />
die mit jungen Menschen in Kontakt sind. Auf der Grundlage dessen, was ich über den<br />
Kontext der Sicherheit gesagt habe, werden sie sich vielleicht vorstellen können, dass das<br />
neben anderen Dingen jetzt auch Polizeibeamte und Vertreter der vielen anderen semiautoritären<br />
Gebilde miteinschließt, die ich erwähnt habe, was wir typischerweise als Police<br />
Community Support Officers (Gemeinwesenunterstützungsbeamte) und Straßenwächter<br />
bezeichnen. Natürlich ist unsere Erfahrung auch hier gemischt.<br />
Es gibt wenige Mobile Jugendarbeiter, die nicht schon einmal mit anderen Behörden gearbeitet<br />
haben, bevor darauf bestanden wurde. Wir haben das immer dann gemacht, wenn<br />
es zum Wohle der Jugendlichen war, mit denen wir arbeiteten.<br />
Gerade wenn ich das Wort „Beharrlichkeit“ benutze, werden sie sehen, dass das heute<br />
ein obligatorischer Teil unserer Arbeit ist. Vielleicht bedeutet das wieder, dass wir viel darüber<br />
nachgedacht haben, was Mobile Jugendarbeit ist und was es in einem modernen<br />
Zeitalter sein soll. Und das ist zweifelsohne gut. Jedoch was wir in der Praxis gesehen<br />
haben, ist, dass Mobile Jugendarbeit sehr oft etwas ist, das wir seit einer Weile einen ‚Minderheitspartner‘<br />
nennen.<br />
Und dass den Mobilen Jugendarbeitern oft von mächtigeren Behörden gesagt wird: “sie<br />
arbeiten als unser Partner, also werden sie...”. Ich habe dies in einigen meiner Texte als<br />
“Tyrannei einer Partnerschaft” bezeichnet. Aber ich wiederhole noch einmal, dass ich<br />
nicht gegen Partnerschaft bin; aber ich möchte gute Partnerschaften sehen und Partnerschaften,<br />
in die angemessen investiert wird. Das heißt für ‚integriertes Arbeiten‘ müssen<br />
wir erkennen, dass verschiedene Experten verschiedene, manchmal widersprüchliche<br />
Wertvorstellungen haben und wir müssen in einen Dialog zwischen den Behörden investieren<br />
um Probleme, die damit verbunden sind, zu lösen.<br />
Außerdem gibt es noch die Wichtigkeit zu erkennen, dass diese Bürokratien einhergehen<br />
mit substantiellen ‘Transaktionskosten’ und diese Ressourcen könnten auf andere Art und
97<br />
Weise genutzt werden. Es braucht nicht weniger als ein stichhaltigeres politisches Engagement<br />
um diese Fragen zu behandeln. In diesem Zusammenhang können wir auch sehen,<br />
dass Pragmatismus, der wichtigste der Werte in der Jugendarbeit, wie ich denke, seine<br />
Grenzen hat.<br />
Das schafft eine wenig beneidenswerte Situation für viele Mobile Jugendarbeiter, dass<br />
sie – wo sie es für nötig halten – versuchen, die Einbindung in manche Aufgaben zu verwehren.<br />
In Großbritannien schließt das Forderungen ein, Polizeibeamte auf der Straße zu<br />
begleiten oder sogar in einem Fall sie in Polizeiautos zu begleiten, um ihr ‚intelligence gathering‘<br />
(Aufklärungsarbeit) zu unterstützen!<br />
Eines meiner Interviews mit Mobilen Jugendarbeitern deckte aber etwas Wichtiges auf.<br />
Sie erzählten mir, dass sie in einer dieser schwierigen Situationen die Beherrschung verloren.<br />
Und sie schrieen die anderen Professionellen an, dass sie arbeiten würden und dass<br />
sie einfach nicht verstehen würden, was Mobile Jugendarbeit ist. Aber die Antwort war,<br />
dass sie sich in Wahrheit niemals die Zeit genommen hatten, es den anderen zu erklären.<br />
Eine lehrreiche Lektion über die Wichtigkeit eines breiten Verständnisses seiner Arbeit zu<br />
sorgen, vielleicht?<br />
Lassen sie mich nun zu einigen positiven Dingen kommen, die in diesem sich verändernden<br />
Zusammenhang entstanden sind. Innerhalb des breiteren Kontexts der sozialen Ausgrenzung<br />
haben wir angefangen Konzepte des ‚Gemeinwesenzusammenhalts‘ zu<br />
entdecken. Für viele hat sich das als zu vages Konzept herausgestellt und das hat sie verwirrt<br />
und beunruhigt. Jedoch genau wie ich in meinem vorhergehenden Beispiel über die<br />
Arbeit in Partnerschaften bereits angedeutet hatte, existieren verschiedene Perspektiven.<br />
Diese unterschiedlichen Perspektiven sind, kann man sagen, synonym mit einer Reihe<br />
von Haltungen oder, vielleicht präziser, mit einer Reihe von Werten.<br />
Verblüffend ist, dass viele Mobile Jugendarbeiter die Zwangsläufigkeit der Widersprüche<br />
in der Sozialpolitik erkennen und dass wir nicht vor ihnen flüchten können. Das ist nur<br />
weil Sozialpolitik ein abgestumpftes Instrument ist. Was das zu bewirken scheint, ist,<br />
dass trotz einem guten Maß an Kommentaren zum Gegenteil – Kommentare, die den ‘Tod<br />
der Diskretion’ fordern – dass diese Widersprüche als Handlungsspielraum geltend gemacht<br />
werden. Sie werden interpretationsreif und wir sind zu ‚Deutern der Sozialpolitik‘<br />
geworden.<br />
Dieser Standpunkt ist oft sehr vorherrschend bei Mobilen Jugendarbeitern, die in den Gebieten<br />
arbeiten, mit denen sich dieses eher widersprüchliche Instrument der Sozialpolitik<br />
beschäftigt – nämlich in den Gebieten mit hoher sozialer Polarisierung. Die Mobilen Jugendarbeiter<br />
in diesen Gebieten haben angefangen zu erkennen, dass einige historische
98<br />
Interpretationen von guter Jugendarbeitspraxis – und besonders Jugendarbeit gegen<br />
Rassismus – vielleicht zu dieser Polarisierung beigetragen haben. Typischerweise bedeutet<br />
das, dass die Arbeit mit Gruppen einer Kultur, meist eines Geschlechts immer sowohl<br />
ein positives als auch ein negatives Potential hat.<br />
Manchmal fällt uns heute auf, dass diese Arbeit nicht immer in einen breiteren konzeptionellen<br />
Rahmen des Multikulturalismus integriert war. Und dass das multikulturelle Modell,<br />
mit dem wir heute gearbeitet haben, problematisch war. Es hatte mehr damit<br />
gemeinsam, was belehrende Berichterstatter wie Apple und McLaren vor kurzem als „konservativen<br />
Multikulturalismus“ bezeichnet haben. Wenn ich versuche dafür eine Metapher<br />
zu finden, war die beste, die ich finden konnte, die von Cappuccino. Die meisten von uns<br />
kennen es, gefragt zu werden, ob wir Kakao auf den Kaffee wollen. Und so ist es auch mit<br />
dem Multikulturalismus: dass immer häufiger nur ein Staub des anderen auf dem dominanten<br />
Kern liegt.<br />
Jedoch indem man eine sorgfältigere und progressivere Antwort auf die Umstände, in<br />
denen wir arbeiten, sucht, müssen Jugendarbeiter viel mehr mit Theorien des ‚kritischen<br />
Multikulturalismus‘ arbeiten. Sie erkennen, dass das nur möglich ist, wenn wir direkte Erfahrung<br />
mit dem Anderen haben.<br />
Die Arbeit in Gebieten, die vor einigen Jahren von Unruhen betroffen waren, hat erfolgreich<br />
junge Leute aus verschiedenen Hintergründen zusammen gebracht. Typischerweise<br />
sind das junge Leute aus separaten weißen Gemeinden und junge Leute aus dem Erbe des<br />
asiatischen Subkontinents und dem muslimischen Glauben. Es spricht für den Erfolg der<br />
Methode, den jungen Leuten eher zu vertrauen als eher einer engstirnige Haltung. Als Mobile<br />
Jugendarbeiter sollten wir dies wissen.<br />
Alle Teile des Gemeinwesens waren begeistert von diesen Kontakten und haben komplett<br />
teilgenommen und diese Dialoge zwischen den Gruppen gefeiert. Dieses Konzept der Partizipation<br />
ist es meiner Meinung nach wert, ausgebaut zu werden, weil es auch als übergreifende<br />
Sozialpolitik bezeichnet wird. Es ist, wie ich behaupten würde, der<br />
Arbeitsbereich, der Mobilen Jugendarbeitern, die beste Gelegenheit bietet, sich in progressiver<br />
Arbeit im aktuellen Politikklima zu engagieren.<br />
Es ist faszinierend, dass je mehr wir mit dieser demokratischen Agenda arbeiten, desto<br />
mehr erkennen wir, dass die Behörden, für die wir arbeiten ‚institutionelle’ Charakteristika<br />
aufweisen. Das heißt sie finden es schwierig auf die Ergebnisse dieser demokratischen<br />
Praktiken zu antworten, besonders weil die Ergebnisse nicht vorhergesagt werden können.<br />
Unseren Behörden scheint die Flexibilität zu fehlen und die internen demokratischen<br />
Berechtigungsnachweise um auf eine authentische – eine demokratische – Weise zu ant-
99<br />
worten. Es ist eine kritische ethische Dimension guter Praxis den jungen Leuten nicht<br />
unser Programm aufzuzwingen.<br />
Ein anderer Arbeitsbereich, der von Mobilen Jugendarbeitern übernommen wird, ist das<br />
Experimentieren mit zunehmenden partizipativen, demokratischen Aktivitäten. Dabei suchen<br />
wir die Zusammenarbeit mit Erwachsenen im Gemeinwesen durch generationenübergreifende<br />
Arbeit. Das diente besonders dann als wichtiger Hintergrund - als eine<br />
wichtige Gegenwehr – gegenüber der securité Agenda des Staates und gegenüber der<br />
Beflissenheit harter Arbeit, die wie viele von uns glauben zu einer tatsächlichen und verdrehten<br />
Abwertung des allgemeinen Gefühls einer abnehmenden Sicherheit im Gemeinwesen.<br />
Dieses positive Engagement zwischen jungen Menschen und Erwachsenen führte<br />
auch zu einer größeren Anerkennung unter allen Teilnehmern<br />
Wir sind uns jetzt klarer in Großbritannien als je zuvor, dass beide Arten nicht zusammen<br />
gehen: zwei sich sehr stark widersprechende Geschichten für die Jugendlichen zu haben;<br />
eine, die sie für ihre Partizipation heilig spricht und sie gleichzeitig so systematisch in<br />
ihrem öffentlichen Leben verteufelt. Unsere signifikanteste Schlussfolgerung ist, dass die<br />
demokratische Praxis ein enormes Potential besitzt. Aber ich wiederhole, um dies weiter<br />
auszubauen – was sicher eine fortschrittliche Sache ist – ist in vielerlei Hinsicht ebenso in<br />
unserer Hand.<br />
Können unsere Behörden und Organisationen die demokratischen Empfehlungsschreiben<br />
entwickeln, die dafür nötig sind? Wir können sehr stolz darauf sein, wenn es in der Mobilen<br />
Jugendarbeit zu einer Erweiterung der Demokratie kommt, aber gleichzeitig müssen wir<br />
erkennen, dass noch viel mehr zu tun ist.<br />
Das bringt mich dann zur letzten Herausforderung, die ich mir gesetzt habe, nämlich mich<br />
mit der Frage auseinanderzusetzen: Wie ist Mobile Jugendarbeit im Bildungssystem verankert?<br />
Wie immer ist die Antwort zu der Frage uneinheitlich. Einerseits gibt es eine<br />
starke Wahrnehmung, dass Jugendarbeit eine kompensierende Rolle annimmt.<br />
Wir sind viel häufiger in der Schule anzutreffen und werden gebeten mit jungen Leuten<br />
zu arbeiten, die dafür gehalten werden, Verhaltenprobleme zu haben oder in einigen Fällen,<br />
von Lehrern als ‚unbeschulbar’ klassifiziert werden. Dieses Phänomen war Subjekt<br />
vieler Debatten in Großbritannien, dabei war auch die nationale Presse eingeschlossen.<br />
Viele Manager bezeichnen es als gute Arbeit, besonders weil es die dringend gebrauchten<br />
finanziellen Ressourcen in die Projekte bringt, die mit dem Kontext der Vertragskultur,<br />
die ich zuvor erwähnt hatte, zu kämpfen haben. Im Gegensatz dazu, wird die Präsenz der<br />
Mobilen Jugendarbeiter in der Schule von einigen als nicht weniger mitschuldig am Ausschluss<br />
einzelner Schüler angesehen.
100<br />
Schaffen sie einfach nur ein Loch, in welches diese jungen Leute geworfen werden können?<br />
Wenn man sich an die Geschichte unserer Arbeit erinnert, erkennen wir das Prinzip<br />
eines langjährigen Engagements in Gemeinwesenarbeit. Also mögen wir uns fragen: In<br />
welchem Maße arbeiten wir mit Schulen als gleichberechtigte Partner um sicherzustellen,<br />
dass alle jungen Leute unterstützt werden, um etwas innerhalb der Durchschnittsgesellschaft<br />
zu erreichen; eher als sich mit einem Regime von ‚alternativer Bildung und Akkreditierung’<br />
zu identifizieren, das zu wenige Arbeitgeber als wertvoll anerkennen. Teil dieser<br />
Debatte zu sein, ist vielleicht unser größter Erfolg bisher. Mobile Jugendarbeiter nehmen<br />
an einer wichtigen unabhängigen Klärung der Gänze des englischen und walisischen Bildungssystems<br />
teil. .<br />
Dieser Vier-Jahres-Prozess geht gerade zu Ende und es wir gefolgert, dass Jugendarbeit<br />
ein essentieller Partner in der vielfältigen Palette von Leistungserbringern ist, der für ein<br />
gutes Bildungssystem notwendig ist. Außerdem haben wir es so angestellt, dass wir aus<br />
unserer Arbeit gelernt haben, besonders im Street Work Kontext, daraus mit minimaler<br />
Kraft zu arbeiten – in demokratischer Weise zu arbeiten – ist für alle, die in Bildung involviert<br />
sind, Lehrer eingeschlossen, von großem Wert. Wir tragen sehr stark zu der Debatte<br />
über die gesamte Zukunft der Bildung bei. Wir in Großbritannien freuen uns darauf mit<br />
allen, die heute hier sind, zu kooperieren, um auf eine dringend erforderliche demokratische<br />
Bildung für alle jungen Menschen hinzuarbeiten.
101<br />
JUGENDUNRUHEN<br />
IN FRANKREICH<br />
UND REAKTIONEN<br />
DER POLITIK<br />
Bernard Rodenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
In meinem kurzen Referat über Gewalttätigkeiten in vielen französischen Vororten von<br />
Großstädten werde ich versuchen, mich auf die spezifischen Ursachen, die auf unsere besondere<br />
Geschichte in Frankreich bezogen sind, zu konzentrieren. Gewiss geschehen bei<br />
uns alle Übel der Ghettoisierung, so wie sie in der ganzen Welt aussehen. Aber sie sind in<br />
einem besonderen Zusammenhang entstanden und sie dauern in dem gleichen Zusammenhang<br />
an.<br />
Frankreich ist auch nach dem Zweiten Weltkrieg ein Kolonialstaat geblieben. In unseren<br />
ehemaligen Kolonien haben wir die Arbeitskräfte gesucht, die nötig waren, zum Wiederaufbau<br />
unseres Landes.<br />
Jahrzehntelang sind hundert tausende junge Männer aus Algerien, Tunesien und Marokko,<br />
aber auch aus anderen Ländern Afrikas, aufgefordert worden, uns zu helfen, die<br />
Wirtschaft zu restaurieren. Man hat ihnen als Gegenwert das Paradies auf Erden versprochen.<br />
In der Tat wurden sie zum größten Teil ausgenützt. Sie wurden in Barackenlagern untergebracht,<br />
arbeiteten bis zu 15 Stunden pro Tag, waren von Ihren Familien getrennt, konnten<br />
Ihre Religion nicht regelmäßig ausüben. Sie sind, in einem Wort, wie Sklaven behandelt<br />
worden.<br />
Anfangs der 80er Jahren, stellte sich immer mehr die Frage der Umsiedlung der Familien<br />
dieser sogenannten “Gastarbeiter”. Frankreich zeigte sich sehr zurückhaltend gegenüber<br />
diesem Verlangen. Man hätte sich eher gewünscht sie kehrten zurück in die Heimat. Ab<br />
1973, mit der Preissteigerung des Erdöls, ist die Arbeitslosigkeit stark gestiegen. Es war<br />
wirklich nicht auf der Tagesordnung die Familienzusammenführung zu unterstützen.
102<br />
In der Zwischenzeit wurde das Kolonialregime aufgehoben. Aber nicht zu besten Bedingungen.<br />
Der Krieg in Algerien endete mit einem wahrhaftigen Fiasko. Bis vor einigen Jahren durfte<br />
man überhaupt nicht von einem “Krieg” sprechen. Mit viel Heuchelei redete man von den<br />
“Ereignissen” in Algerien.<br />
Der Philosoph Albert Camus, sagte: “Wenn man die Sachen nicht bei ihrem Namen nennt,<br />
fügt man neue Leiden zu den vorhandenen Leiden der Welt hinzu”.<br />
5O Jahre nach dem Krieg, hat Frankreich immer noch große Mühe seine Verantwortungen<br />
anzuerkennen. Die Kolonialzeit musste unbedingt beendet werden. Dieses Regime hatte<br />
keine Zukunft. Man hätte sich wünschen können, dass der Rücktritt vernünftig und pazifistisch<br />
verlaufen würde. Es mangelte aber an Weisheit. Die einen wollten sich mit Gewalt<br />
befreien, die anderen wollten, mit Gewalt, Ihre Herrschaft weiterführen. Beide Seiten<br />
haben dabei verloren. Und der Krieg geht weiter. Ein Zivilkrieg in den Vororten.<br />
Die Franzosen haben immer noch Hassgefühle gegen Nordafrikaner. Nicht nur weil sie<br />
oftmals Muslime sind, sondern weil wir noch nie klar über unsere gemeinsame Vergangenheit<br />
gesprochen haben.<br />
Es gab Fehler, blutige Fehler, auf beiden Seiten, aber wir sollten genug Verständnis haben,<br />
um uns zu ihnen zu bekennen und dadurch in die Lage kommen, endlich einem wahren<br />
Frieden, nicht einem militärischen Frieden, entgegen zu gehen. Wir müssen das noch erreichen,<br />
sonst wird der Rassismus immer schlimmer und die Wahnvorstellungen werden<br />
in immer größerem Fanatismus münden.<br />
Es ist leider klar zu sehen, dass wir nicht auf diesem Weg sind. Kaum ist ein Feuer gelöscht,<br />
entfacht sich ein neues. In einer unserer Zeitungen kam neulich zu diesem Titel: “Frankreich<br />
hat 3 Religionen: Fußball, Rassismus und Fälschung von Steuererklärungen”!<br />
Der Staat hat die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten:<br />
1) Er sagt, na ja, wir geben zu, dass das Leben in den Vororten schwierig ist, wegen der<br />
zu großen Konzentration von Menschen, wegen des hohen Prozentsatzes von Jugendlichen,<br />
wegen des Mangels an Arbeitsstellen und an Sozialarbeitern, usw. Wir engagieren<br />
uns für die 5 oder die 10 kommenden Jahre, und bemühen uns, die Lage zu<br />
verbessern. Aber es bleibt meist bei den Worten. Das Geld folgt nicht. Der Staat übergibt<br />
die Pflicht der Kommune. Die Kommune macht was sie kann, aber sie verfügt<br />
nicht über die nötigen Mittel. Die betroffene Bevölkerung hat schon längst kein Vertrauen<br />
mehr in die Versprechen der Behörden. Sie weiß, sie findet manchmal nur Hilfe<br />
bei dem Wirken der Vereine.<br />
2) Die zweite Möglichkeit, die der Staat für wirksamer hält, ist immer wieder die Anwendung<br />
von Gewalt. Die Polizei und die Richter sollen allein die Probleme regeln. Natürlich<br />
machen sie was von Ihnen erwartet wird. Die Gefängnisse sind überfüllt wie noch<br />
nie. Das Fieber fällt. Die Infektion bleibt und verstärkt sich. Mit Nicolas Sarkozy hat sich<br />
diese Lage noch stark verschlimmert.
103<br />
Etwas zu tun, wäre heute eine wichtige Aufgabe. Von Zeit zu Zeit, während der Wahlkampagnen,<br />
wird von einem Marshallplan gesprochen. Es werden tatsächlich Milliarden in die<br />
Renovierung von hinfälligen Gebäuden gesteckt, aber man sieht es kaum.<br />
Die Gewalt herrscht weiterhin. Sie herrscht zunächst innerhalb der Stadtteile, unter den<br />
Einwohnern. Arme Leute beuten andere Arme aus.<br />
Wenn man respektiert werden will, gibt es, für die meisten Leute, nur eine Lösung: die<br />
Gewalt.<br />
Der Staat gibt natürlich das Beispiel. (Nicht nur der Russische Staat!)<br />
Frankreich hat es zuletzt in Algerien gezeigt und heute im Kampf gegen alle Formen von<br />
Gewalt. George Bush hat überall gute Nachfolger gefunden.<br />
Warum sollten die einzelnen Personen nicht auch auf diese Art versuchen, ihre Probleme<br />
zu lösen?<br />
Es ist jedenfalls der kürzeste Weg. Und es gibt immer schwächere Menschen, bei denen<br />
die Gewalt Erfolg hat. Also benützen wir sie.<br />
Drei Möglichkeiten bestehen um respektiert zu werden mit Hilfe der Gewalt:<br />
1) Man schließt sich einer Bande an, vielleicht einer Gangsterbande.<br />
2) Man besorgt sich Waffen. Sie sind ganz einfach zu finden.<br />
3) Man muss auf einfachem Weg viel und schnell Geld verdienen: Dazu hilft Drogenhandel<br />
und Prostitution, aber auch auf Kommando bestimmte Leute verprügeln, Autos anzünden,<br />
usw.<br />
Für uns alle scheint mir wichtig, dass am Anfang all dieser traurigen Wirklichkeiten ein einziges<br />
und ewiges Verlangen steht: Das Verlangen nach Respekt. Jeder Mensch hat Anrecht<br />
auf Respekt. Jeder soll auch die Anderen respektieren. Aber wer beginnt?<br />
Wen soll ich respektieren, wenn ich den Eindruck habe, dass man mich hasst wegen meiner<br />
Herkunft, meiner Hautfarbe, meines Namens, meiner Kultur, meiner Religion, meiner<br />
Traditionen?<br />
Wen kann ich respektieren, wenn ich kein Anrecht habe auf eine anständige Wohnung, auf<br />
einen Arbeitsplatz, ganz einfach auf einen Platz in der Gesellschaft?<br />
Meine persönliche Ansicht ist, dass wir uns gesellschaftlich verpflichten müssen, jedem<br />
Menschen seine Grundrechte zu sichern. Erst dann darf man von anderen fordern, dass<br />
auch sie die Gesellschaft respektieren.<br />
In unseren Vororten in Frankreich sind wir noch sehr weit von einem solchen Standpunkt<br />
entfernt. Wahre Lösungen gibt es nur über gemeinsames Vertrauen, und Vertrauen<br />
wächst allein aus gegenseitigem Respekt.
104<br />
<strong>MOBILE</strong><br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
IN DER<br />
SLOWAKISCHEN<br />
REPUBLIK<br />
Peter Kulifaj . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
BEGINN DER ARBEIT<br />
Die Idee Mobiler Jugendarbeit entstand in der Slowakei nach den ersten Qualifizierungsseminaren<br />
in den Jahren 2004, 2005 und 2006. Diese wurden von der Internationalen<br />
Gesellschaft für Mobile Jugendarbeit (<strong>ISMO</strong>) und Tabita n.o. organisiert mit finanzieller<br />
Unterstützung von Aktion Mensch. Daran nahmen Leute teil, die in die Arbeit mit jungen<br />
Menschen involviert sind, aber auch Vertreter der lokalen Regierung. Das Konzept Mobile<br />
Jugendarbeit war neu und sehr anregend für die meisten Teilnehmer. Die Informationswebsite<br />
www.mobilnapracasmladezou.sk ist dadurch entstanden, welche über Mobile Jugendarbeit<br />
in der Slowakei informiert.<br />
Wir haben gesehen, dass die Prinzipien und Standpunkte Mobiler Jugendarbeit den schon<br />
bestehenden Konzepte niedrig-schwelliger Programme (LTP) für Kinder und Jugendliche<br />
ähneln. Ihr Ziel ist es die potentiellen Risiken, die mit ihrem Lebensstil verbunden sind zu<br />
minimieren, die Kinder und jungen Menschen zu einer besseren Orientierung in ihrem sozialen<br />
Umfeld zu befähigen und Bedingungen zu schaffen, die es ihnen möglich machen<br />
sich aus ihrer schwierigen Lage zu befreien, wenn sie daran interessiert sind. Das Konzept<br />
richtet sich an Kinder und Jugendliche in kritischen Situationen und die in den Standardeinrichtungen<br />
nicht nach Hilfe suchen. Dies wird verwirklicht in der Form von Street Work
105<br />
oder Standpunkten in so genannten niedrig-schwelligen Clubs. Man konzentriert sich auf<br />
den Abbau von Barrieren und die Verbesserung des Zugangs zu Sozialhilfe für Kinder.<br />
Gemäß dem Konzept Mobile Jugendarbeit liegt der Fokus darin, sich auf die Probleme zu<br />
konzentrieren, die Jugendliche haben und nicht auf die, die sie machen. Die Arbeitsmethoden<br />
richten sich sowohl an den/die Einzelne(n), die Gruppe als auch an das Gemeinwesen.<br />
Der Bedarf an Gemeinwesenarbeit entsteht in gewisser Hinsicht in Stadtteilen mit<br />
sozial ausgegrenzten Gemeinden, besonders in Dörfern. Jedoch ist die Gemeinwesenarbeit<br />
noch der am wenigsten entwickelte Bereich im Modell der niedrig-schwelligen Programme<br />
für Kinder und Jugendliche. Dies scheint die einzige klare Unterscheidung zu<br />
Mobiler Jugendarbeit zu sein, Gemeinwesenarbeit hat nicht die Priorität.<br />
Erst war es wichtig für die Mobile Jugendarbeit Platz zu schaffen, um die Methoden anzuwenden.<br />
Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Organisationen, die Dienstleistungen für<br />
Kinder und Jugendliche in Form von niedrig-schwelligen Angeboten anbieten, noch sehr<br />
jung sind im Vergleich zu ähnlichen Organisationen in westlichen Ländern. Die älteste<br />
niedrig-schwellige Organisation Kaspian ist 1997 entstanden. Ihre Arbeit wurde von Erfahrungen<br />
aus Tschechien bereichert und es ist bekannt, dass die Arbeitsformen vom<br />
deutschem Umfeld und Ideen der Sozialpädagogik beeinflusst wurden. Aus diesem Grund<br />
kann man gemeinsame Ansätze im Grundsatz niedrig-schwelliger Programme und Mobiler<br />
Jugendarbeit finden, natürlich an die spezifischen slowakischen Bedingungen angepasst.<br />
Mobile Jugendarbeit und die niedrig-schwelligen Programme führt das brandneue<br />
Arbeitskonzept mit dieser Zielgruppe ein. Nicht nur auf die Sicht der Situation der<br />
jungen Leute bezogen, sondern auch bezüglich ihrer Dienstleistungen. Die anderen<br />
Angebote für junge Leute basieren auf dem Angebot von Freizeitaktivitäten (Freizeitzentren)<br />
oder verlässlichen sozialen Einrichtungen (Beratungsstellen). Das gleichzeitige<br />
Bereitstellen von sozialen Diensten und Freizeitangeboten am gleichen Ort oder<br />
direkt unter den Jugendlichen und in ihren Stadtteilen scheint die richtige Reaktion<br />
auf die aktuelle Situation zu sein. Es ist offensichtlich, dass immer mehr Kinder und Jugendliche<br />
ihre Freizeit außerhalb des Einflusses von staatlichen Institutionen, staatlichen<br />
Behörden oder Dienstleistungsorganisationen verbringen und sie ziehen<br />
unorganisierte Aktivitäten den organisierten vor. Das führt zur Entstehung eines neuen<br />
Arbeitsansatzes, der auf junge Leute zugeht und ihre Sichtweise respektiert ohne sie<br />
zu sehr zu bevormunden.<br />
AKTUELLE SITUATION<br />
Es gibt keine Statistik, die über die Anzahl der Organisationen die mit jungen Menschen
106<br />
arbeiten und die Elemente Mobiler Jugendarbeiter benutzen, Auskunft gibt. Die niedrigschwelligen<br />
Angebote kamen spontan zustande, auch angeregt von finanzieller Langzeitunterstützung<br />
der Stiftung Intenda im Laufe ihres Programms “Die Schwelle<br />
herabsetzen”, das speziell für diesen Bereich der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gestaltet<br />
worden war. Intenda unterstützte niedrig-schwellige Angebote von 2003 bis 2006.<br />
Wenn wir die aktuelle Situation bewerten wollen, müssen wir die Tatsache berücksichtigen,<br />
dass all diese Organisationen in sehr unterschiedlichen Umgebungen arbeiten, von<br />
Stadtzentren bis zu kleinen Dörfern. Einige beschränken sich auf eine spezifische begrenzte<br />
Gruppe von Kindern, die in Sozialwohnungen wohnen (“Schlüsselkinder”), einige<br />
arbeiten in den niedrig-schwelligen Projekten mit Elementen des Gemeindezentrums, andere<br />
verwirklichen ihre Programme in ausgegrenzten Gemeinden oder arbeiten mit<br />
Roma-Jugendlichen. Wir können Unterschiede in den verschiedenen Regionen der Slowakei<br />
erkennen im Bezug auf Eingliederung von Freiwilligen als Hauptarbeitskräfte und<br />
auch im Bezug auf ihre Budgets. Einer der Teilnehmer des Seminars betonte, dass der<br />
Unterschied des Alters und der sozialen und wirtschaftlichen Situation der Zielgruppe so<br />
groß sind, dass es sehr schwierig werden wird eine Methode zu entwickeln. Dem stimmen<br />
wir zu und fügen hinzu, dass es in der Slowakei Platz und Bedarf gibt für neue Arten von<br />
sozialen Diensten, die sich auf spezifische Zielgruppen konzentrieren.<br />
Nach der ersten Zeit der Begeisterung, fingen einige Organisationen an die wirklichen<br />
Anforderungen dieser Aufgabe zu realisieren. Nicht nur bezüglich finanzieller, personeller<br />
und materieller Ressourcen, sondern auch im Bereich der Methodologie. Standards sind<br />
in dieser Arbeit erst in der Entstehung und sie wurden noch nicht offiziell eingeführt und<br />
akzeptiert.<br />
Die Organisationen müssen allein mit ihren Problemen fertig werden. Im Laufe von drei<br />
Seminaren suchten Angestellte aus der ganzen Slowakei nach einer Antwort auf die Frage:<br />
“Warum habt ihr der Zielgruppe (Kindern und Jugendlichen) niedrig-schwellige Programme<br />
als geeignetste Form angeboten? Die Antworten waren vielfältig, aber manche<br />
waren ähnlich. Die Sozialarbeiter hatten bemerkt, dass “ohne den Club die meisten Kinder<br />
auf der Strasse alleingelassen werden würden”, ”der Club bietet ihnen Aktivitäten, die sie<br />
in diesem Maße in ihrer Umgebung nicht finden würden (lesen)” und sie haben den Vorteil<br />
dieser Clubs erkannt, die durch ihre Erreichbarkeit und mit ihrem informalen Zugehen<br />
auf junge Menschen schaffen, ihr Vertrauen zu bekommen. LTP bietet die Möglichkeit<br />
eine Beziehung zu den Jugendlichen zu entwickeln, die offiziellen Einrichtungen nicht<br />
trauen. Die Arbeiter in der Feldarbeit können das Netz der nützlichen Dienstleistungen<br />
beibehalten und anbieten (wenn die Organisation mit anderen kooperiert). Ein anderes<br />
wichtiges Element, ist dass dieses Konzept nicht stigmatisiert und die neuen Zielgruppen<br />
schätzen die Anonymität, außerdem schafft es den Platz um die Jugendliche zu treffen<br />
(indem man die Gruppenidentität “wir” anregt).
107<br />
Indem sie auf die positiven Dinge dieser konkreten Programme hinwiesen, erwähnten die<br />
Vertreter die meisten Prinzipien der niedrig-schwelligen Projekte. Die Diskussion über die<br />
Schwierigkeiten, brachte unterschiedliche Reaktionen und inspirierende Ideen. Es gibt<br />
verschiedene persönliche, materielle und andere Beschränkungen, die dazu führen könnten,<br />
dass “wir nicht allen Bedürfnissen der Zielgruppe nachkommen können”, oder die<br />
räumliche Kapazität erlaubt ihnen nicht jeden der an den Indoor-Aktivitäten teilnehmen<br />
will, willkommen zu heißen. Die neue ‘Wir’-Identität kann auch zu einer neuen Art der Isolierung<br />
in dem lokalen Stadtbezirk führen. Eine andere schwierige Situation in der Feldarbeit<br />
ist, wenn “sie unterschiedliche Regeln in ihrem Umfeld haben und wir sie nicht<br />
direkt beeinflussen können”. Die meisten Aktivitäten konzentrieren sich auf die Arbeit<br />
mit Gruppen und es besteht keine Zeit für Einzelfallhilfe. Es gibt oft Probleme mit der Einhaltung<br />
von Regeln. Ein Ergebnis davon kann das “schnelle Verheizen” von Mitarbeitern<br />
sein. Jedes Seminar beschäftigte sich in irgendeiner Art und Weise mit der Reflektion der<br />
Situation, wann LTP an ihre Grenzen kommen und die Zielgruppe stagniert.<br />
Die Teilnehmer teilten den gleichen Standpunkt, dass LTP für Kinder und Jugendliche<br />
mehr Möglichkeiten als Gefahren bietet. Trotzdem besteht die Notwendigkeit die Fallen<br />
von LTP für Kinder und Jugendliche zu reflektieren und daran zu arbeiten Lösungen und<br />
geeignete Wege für unsere Zielgruppe von Kindern und Jugendlichen zu finden, auch<br />
indem man sich methodischer Materialien bedient. Das könnte helfen um niedrig-schwellige<br />
Programme als Langzeit- und stabiles Element sozialer Dienste zu implementieren.<br />
Da diese Organisationen viel Energie in ihre direkte Arbeit stecken, haben sie nicht genug<br />
Zeit für eine systematische Zusammenarbeit, Informationsaustausch oder Lobbyarbeit<br />
auf Landesebene.<br />
Die Gesetzgebung der niedrig-schwelligen Programme ist nicht ausreichend. Die Mitarbeiter<br />
der verschiedenen Organisationen sind sich einig, dass die LTP mit ihrem Dienstleistungsangebot<br />
(Freizeitangebote, soziale Dienste, Prävention, Information und<br />
Bildungsangebote) die Grenze ihres Aufgabengebiets überschreiten. In der Gesetzgebung<br />
herrscht immer noch eine Leere im Bereich der niedrig-schwelligen Angebote, niemand<br />
hat bisher dieses Arbeitsmodell mit Kindern und Jugendlichen in bestehende Gesetze<br />
aufgenommen. Eine der Folgen ist, dass LTP nicht von finanziellen Mechanismen des Staates<br />
oder der staatlichen Behörden profitieren (sie können finanzielle Unterstützung bekommen<br />
aus ihren Zuschussprogrammen). Es ist wichtig zu betonen, dass die Definition<br />
durch Gesetze die Vorkenntnis der Mitarbeiter des Staates fördern könnte und die Möglichkeit<br />
bieten würde die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in schwierigen Lebenslagen<br />
zu einer der Prioritäten der Provinzen und lokalen Regierungen zu machen.<br />
Die wichtigsten Finanzierungsquellen sind nationale und lokale Stiftungen, aber auch das
108<br />
Arbeits-, Sozial-, und Familienministerium der Slowakischen Republik und das Bildungsministerium<br />
der Slowakischen Republik (beide hauptsächlich wegen ihrer Zuschussprogramme,<br />
die der Prävention dienen) die Mittel aus zwei Prozent Steuern. Die Firmen<br />
gehen ihrer finanziellen Unterstützung hauptsächlich durch die Stiftungen nach als Verteiler<br />
ihrer Geldgeschenke. Im Falle der Slowakischen Republik können wir die Unterstützung<br />
durch die Kirchen feststellen, die normalerweise nicht die Gründer dieser<br />
Organisationen sind, aber die Mitarbeiter gehören den konkreten Konfessionen an.<br />
DIE VEREINIGUNG<br />
Die Notwendigkeit von gegenseitiger Kooperation wurde offensichtlich; die Direktoren<br />
fingen an zu begreifen, wie wichtig sie für eine stabile Arbeit auf lange Zeit ist. Die wichtigen<br />
Themen wurden während der Konferenz für niedrig-schwellige Programme, die im<br />
Februar 2007 in Bratislava abgehalten wurde, eröffnet.<br />
Die Initiative ging von der Arbeitsgruppe aus Bratislava (Kaspian, Ulita, Children’s fond SR,<br />
Jugend der Straße – Ihre Mitarbeiter hatten am Qualifizierungskurs in Mobiler Jugendarbeit<br />
teilgenommen) aus. Sie bereiteten Regeln und einen grundsätzlichen Rahmen der<br />
Arbeit der Association der niedrig-schwelligen Programme für Kinder und Jugendliche<br />
vor. Die Idee entstand vor einigen Jahren, als sie Sportturniere für ihre Zielgruppen vorbereiteten<br />
und Informationen austauschten. Schließlich leiteten sie die notwendigen<br />
Schritte ein für seine Gründung; das offizielle Gründungsdatum ist der 14. August 2008.<br />
Die Hauptaufgabe der Vereinigung ist es die gemeinsamen Interessen der Mitglieder zu<br />
vertreten und sich an der Entwicklung der Arbeit mit Jugendlichen zu beteiligen – entweder<br />
auf direktem Weg oder durch die institutionelle Entwicklung der Organisationen und<br />
des gesamten Sektors. Das heißt auch Planung und Zusammenarbeit. Die Association behält<br />
die Homepage npdm.ziskaj.info für die Bereitstellung von wichtigen Informationen<br />
bei. Sie soll auch der zukünftige Partner für erfahrene ausländische Organisationen sein,<br />
die auch mit Elementen der Mobilen Jugendarbeit arbeiten.<br />
ENTWICKLUNGSPERSPEKTIVEN<br />
Das Konzept Mobile Jugendarbeit wird in der Slowakei nach wie vor nur teilweise wahrgenommen.<br />
Es ist zu beachten, dass der gesamte Bereich der Arbeit mit Jugendlichen<br />
noch in der Entstehung ist und neue Wege und neue Ansätze erst gefunden und entdeckt<br />
werden müssen. Die Mitarbeiter die ausgebildet wurden, repräsentieren das Potential der<br />
Verbreitung von Ideen und sie nutzen die konkreten Methoden Mobiler Jugendarbeit. Sie<br />
sind nur wenige, es wäre hilfreich für dieses Konzept sich auf professionelle Ausbildung
109<br />
von Mitarbeitern zu konzentrieren, die die Perspektive haben auf lange Zeit in der direkten<br />
Feldarbeit zu arbeiten. Der notwendige Schritt für die Entwicklung der Mobilen Jugendarbeit<br />
in der Slowakischen Republik ist eine intensivere Kooperation mit ausländischen<br />
Partnern, die Erfahrung auf diesem Gebiet haben.<br />
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Sobihardová, . 2003. The commission of the upbringing beyond lessons with the emphasis on<br />
educational function. In: Needs, conditions and prospects children and youth in Slovakia.<br />
Bratislava: Children of Slovakia Foundation, p.59-66<br />
Bartoňová, M. 2005. The goals of low-threshold programs for children and youth, In: Low-threshold<br />
programs for children and youth. Bratislava: Foundation Intenda. ISBN 80-969348-0-5,<br />
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Šandor, J. 2005 Low threshold clubs for the children and young people, In: Low-threshold programs<br />
for children and youth. Bratislava: Foundation Intenda. ISBN 80-969348-0-5, p. 13-19.<br />
Kulifaj, P. 2008 The method of the low-threshold programs for children and youth. Bachelor´s<br />
work. Faculty of Pedagogics, Comenius University in Bratislava, Bratislava, 68 p.<br />
Homepages: http://npdm.ziskaj.info<br />
http://www.mobilnapracasmladezou.sk
110<br />
UMGANG MIT<br />
ABWEICHENDEM<br />
VERHALTEN<br />
VON KINDER UND<br />
JUGENDLICHEN<br />
IN OSTEUROPÄISCHEN LÄNDERN<br />
JELENA DIKOVA-FAVORSKA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Der gegenwärtige Zustand ist charakterisiert durch das Vorhandensein von schwierigen sozial-politischen,<br />
wirtschaftlichen, ökologischen, demographischen und rechtlichen Prozessen,<br />
die den Aufbau des ukrainischen Staates begleiten. Unter den gegebenen Bedingungen erhält<br />
die Lage der Kinder, die die schwächsten Glieder der Gesellschaft sind, eine besondere<br />
Bedeutung. Wichtig ist es günstige Bedingungen für ihre harmonische Entwicklung, für die<br />
Aufnahme in der Gesellschaft und für eine sinnvolle Berufstätigkeit zu schaffen.<br />
Unter den heutigen Gegebenheiten sollte die Besonderheit und die grundlegende Richtung<br />
der Sozialpolitik in Bezug auf Kinder versuchen, die negativen Folgeerscheinungen,<br />
die während der Transformation der Gesellschaft aufkamen, zu verringern. Eine der charakteristischen<br />
sozialen Erscheinungen der Gegenwart ist das abweichende Verhalten<br />
unter Jugendlichen. Das Verhalten der Persönlichkeit hängt zusammen mit der Beschaffenheit<br />
der gesellschaftlichen Beziehungen. Ein beliebiges Verhaltensmuster, darunter<br />
auch das abweichende Verhalten, wird im System der gesellschaftlichen Beziehungen betrachtet.<br />
Vom Standpunkt der Sozialisation gibt es bei der Entstehung von innerpersönlichen<br />
Unterschieden und Unterschieden innerhalb von Gruppen zwei Varianten der<br />
Lösung des Problems: Entweder gibt es zwischen den Interessen des Menschen und der<br />
Gesellschaft eine Einigkeit, die den beiderseitigen Prozess der Interaktion ermöglicht,<br />
oder aber zwischen ihnen gibt es einen Widerspruch, mittels dessen Überwindung die
111<br />
Persönlichkeit ihre Beziehung zu den gesellschaftlichen Normen und der Gesellschaft im<br />
Ganzen manifestiert.<br />
Die soziologische Erklärung des abweichenden Verhaltens berücksichtigt soziale und kulturelle<br />
Faktoren, auf deren Grundlage Menschen als abweichend bezeichnet werden. Die<br />
von dem berühmten Soziologen Emil Durkheim erarbeitete Theorie der Anomie erklärt die<br />
Gründe für abweichendes Verhalten vor allem durch Anomie (Deregulierung). Vor allem<br />
die soziale Desorientiertheit erscheint als Grund für abweichendes Verhalten. Der Terminus<br />
„soziale Desorientiertheit“ bezeichnet einen Zustand der Gesellschaft, wenn kulturelle<br />
Werte, Normen und soziale Wechselbeziehungen fehlen, schwächer werden und sich gegenseitig<br />
widersprechen. So existierte beispielsweise zu Sowjetzeiten eine starke Jugendorganisation<br />
– die Pioniere. Selbstverständlich muss die negative ideologische<br />
Komponente hierbei berücksichtigt werden. Aber die Bedeutung dieser Organisation, die<br />
viele verschiedene Funktionen erfüllte, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die<br />
Organisation übernahm verschiedene Erziehungsfunktionen und kümmerte sich um die<br />
Beschäftigung der Kinder in der unterrichtsfreien Zeit sowie um die Freizeitgestaltung.<br />
Nach dem Zerfall der Sowjetunion hörte diese Organisation auf zu existieren. Als negative<br />
Folge trat ein Vakuum in der Freizeitgestaltung auf, eine Situation, in der die Heranwachsenden<br />
nicht wussten, was sie nach der Schule anfangen sollten. Die Herausbildung von<br />
abweichendem Verhalten unter der Jugend entwickelte sich unter dem Einfluss von zwei<br />
unterschiedlichen Faktorengruppen: subjektive, welche unmittelbar die Persönlichkeit<br />
eines Täters betreffen (in diesem Zusammenhang muss man die konkreten Taten wie<br />
einen Akt eines veranlagten Verhaltens des Individuums betrachten und die sozialpsychologische<br />
Situation des Täter betrachten) und zweitens objektive, welche das weite<br />
Feld der sozialen Fragen betreffen. Diese sind:<br />
• Die Wahrnehmung des abweichenden Verhaltens hängt vom Stadium der Entwicklung<br />
der Gesellschaft ab, welche die moralischen Normen und Regeln und die psychologischen<br />
Methoden des Einflusses bestimmt, welche die Realisierung des einen oder des<br />
anderen Modells des kriminellen Verhaltens der Jugend begünstigen oder nicht begünstigen.<br />
• Die Situation selbst mit den sozialen und psychologischen Widersprüchen: zwischen<br />
den Arbeitsbedingungen und der eigentlichen Arbeit, in der Struktur der eigentlichen<br />
Tätigkeit der Person, zwischen den Subjekten der verschiedenen Organisationsformen<br />
(der einzelne Mensch, die soziale Gruppe, die Klasse, die Nation, die Gesellschaft und<br />
so weiter).<br />
Heutzutage, wenn sich die Anzahl armer Familien erhöht, kann man auf der einen Seite<br />
eine Schwächung der Funktion und des potenziellen Einflusses solcher Bildungsinstitutio-
112<br />
nen beobachten wie die Schule, außerschulische Einrichtungen, Massenmedien. Auf der<br />
anderen Seite entstehen abweichende Handlungen im Bereich von sozialen Eigeninitiativen<br />
von Minderjährigen, in informellen spontanen Gruppen und in kommerziell tätigen<br />
Gruppen. Ein bisher nie da gewesenes Ausmaß an Verbrechen, Alkoholismus, Drogenmissbrauch,<br />
Prostitution von Minderjährigen lässt sich feststellen, und es erhöht sich die<br />
Zahl der Minderjährigen, die ihre selbst gestaltete Schule antisozialer Beziehungen durchlaufen.<br />
Dies beginnt gewöhnlich mit der Verletzung elementarer Regeln der zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen und des Umgangs, und verstärkt sich durch unmoralische<br />
Handlungen, Grobheiten, Gewalt und andere Formen sozial nicht gebilligten Verhaltens.<br />
Man bemerkt eine physische und moralische Zerstörung der Persönlichkeit des Heranwachsenden,<br />
wobei Schritt für Schritt ein Verhalten entsteht und sich entwickelt, welches<br />
die Grenze der moralischen und rechtlichen Normen übertritt.<br />
In der Kategorie der Heranwachsenden, welche heute in der Ukraine unter besonders<br />
schwierigen und außergewöhnlichen Bedingungen leben und eine frühe Erfahrung mit<br />
abweichendem und zusätzlich delinquentem Verhalten machen, können folgende hervorgehoben<br />
werden: minderjährige Verbrecher, Kinder und Heranwachsende, die im Sexgeschäft<br />
tätig sind, bettelnde Kinder, obdachlose Minderjährige, minderjährige<br />
Drogenabhängige sowie jene, die mit ihren Problemen alleine gelassen werden. In Folge<br />
dieser Hilflosigkeit entscheiden sie sich für einen Selbstmordversuch oder begehen gar<br />
Selbstmord.<br />
Der Nachfolger Emil Durkheims, Robert Merton, war der Meinung, ein Grund für abweichendes<br />
Verhalten sei das Missverhältnis zwischen den kulturellen Zielen einer Gesellschaft<br />
und den sozial gebilligten Mitteln, diese zu erreichen. Zu den sozial gebilligten<br />
Methoden zur Erreichung der Lebensziele gehört es, eine gute Ausbildung und einen angesehenen<br />
Arbeitsplatz zu erhalten. Die Unmöglichkeit, die gesteckten Ziele auf legalem<br />
Weg zu erreichen, führt in der Realität dazu, dies mit illegalen Methoden zu versuchen –<br />
mit Spekulation, Erpressung, Drogenhandel, Raubüberfälle, Alkoholismus, Drogenkonsum<br />
sowie Prostitution. Noch verwundbarer kann man eine andere Personengruppe nennen,<br />
Menschen mit Behinderung, die sich aufgrund ihres körperlichen Zustandes und der<br />
Armut im Zustand der sozialen Exklusion befinden. Dies führt zur Annäherung an asoziale<br />
Bevölkerungsgruppen und an kriminelle Gruppen. Hierbei muss man bei dieser Bevölkerungsgruppe,<br />
die unter extremer Armut und körperlicher Versehrtheit, was zu einer<br />
ökonomischen und finanziellen Abhängigkeit führt, leiden, fehlende Chancen zur Verbesserung<br />
der Lage konstatieren. So stellen die Behinderten eine besondere Personengruppe<br />
dar, die durch abweichendes Verhalten charakterisiert wird, wobei sie sich als Bettler verdingen,<br />
die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und Mitleid bei den Passanten erregen; das<br />
heißt sie nehmen mittelbar teil an der Kriminalität. Besondere Fälle solcher Erscheinun-
113<br />
gen liegen im Bereich der Kinderpornographie und in der Prostitution. Diese neue Gruppe<br />
der sozial Ausgestoßenen wächst tendenziell an, da die Sozialpolitik des Staates zwar Gesetze<br />
für die Behinderten deklariert, diese jedoch leider nicht umsetzen kann. Zur Lösung<br />
des Problems ist es unumgänglich, bezüglich dieser Gruppe gänzlich neue Methoden anzuwenden.<br />
Durch eine gute Ausbildung und einen Arbeitsplatz müssen Bedingungen geschaffen<br />
werden, damit diese Menschen mit besonderen Bedürfnissen die Möglichkeit zur<br />
Selbstverwirklichung und Integration erhalten. Die schwierigen sozialen und ökonomischen<br />
Bedingungen sowie die moralisch psychologischen Umstände sowie die kriminogene<br />
Situation in der Gesellschaft bedingt die Notwendigkeit der Aktivierung des<br />
Einsatzes von Rechts-, sozialen, Bildungs-, Erziehungs- sowie medizinisch-psychologischen<br />
Institutionen. Die Arbeit muss ausgerichtet sein auf die Analyse und auf die Erklärung<br />
des widersprüchlichen, vielschichtigen Charakters der Probleme der Heranwachsenden,<br />
welche besonders anfällig für soziale Risiken sind.<br />
Besonders beunruhigend ist die Verbreitung des Alkoholismus unter den Heranwachsenden.<br />
Der Öffentlichkeit ist schon lange die traurige Statistik bekannt, dass die ukrainischen<br />
Kinder bezüglich des Konsums von Alkohol bei Kindern und Jugendlichen den ersten Platz<br />
in der Welt einnehmen. Diese Daten sind dargestellt in der neuen Veröffentlichung der<br />
Weltgesundheitsorganisation. Alkoholismus und Drogensucht sind die Gründe für die sexuelle<br />
Verkommenheit der Minderjährigen geworden, besonders der Mädchen. In den letzten<br />
10 Jahren verdoppelte sich die Anzahl der Mädchen, die eine Behandlung in der<br />
Gesundheitsfürsorge durchgemacht haben, im Alter bis zu 14 Jahren hat sie sich sogar<br />
verzehnfacht. Heutzutage wird jedes achte bis neunte Verbrechen in der Ukraine von Minderjährigen<br />
verübt, und hiervon fast jedes zweite Verbrechen wird von Minderjährigen in<br />
der Gruppe verübt, häufig in besonders grausamer und zynischer Art. Die Massenmedien<br />
berichten fast täglich von Verbrechen, die man sich bis vor kurzem kaum vorstellen<br />
konnte, wie beispielsweise die 10-jährige Enkelin, die den Mord an der 77-jährigen Großmutter<br />
in Auftrag gab.<br />
Bei der Suche nach der besten Lösung des Problems der Heranwachsenden ist es unumgänglich,<br />
nach den Ursachen zu forschen. Nach der Konflikttheorie weichen die kulturellen<br />
Muster des Verhaltens ab, wenn sie auf den Normen einer anderen Kultur begründet sind.<br />
So entwickelt ein Verbrecher ein abweichendes Verhalten, als Träger einer bestimmten<br />
Subkultur, die mit der in der gegebenen Gesellschaft dominierenden Kultur im Konflikt<br />
steht.<br />
Als Gründe für abweichendes Verhalten nennen die Autoren folgende:<br />
• Soziale Ungleichheit, die als hohe Stufe des Unterschieds bei den Möglichkeiten der<br />
Bedürfnisbefriedigung für unterschiedliche soziale Gruppen verstanden wird,
114<br />
• relativ stabile Verbindung zwischen den verschiedenen Formen des abweichenden Verhaltens<br />
(Alkoholismus führt häufig zu Rowdytum, Drogenmissbrauch zur Prostitution),<br />
• eine Abhängigkeit des abweichenden Verhaltens von ökonomischen, sozialen, demographischen,<br />
kulturellen und vielen anderen Faktoren (Armut, Arbeitslosigkeit, kulturelle<br />
Mängel oder kulturelle Rückständigkeit).<br />
• Eine Diskrepanz zwischen dem Erwarteten und der Realität erhöht die Spannung in<br />
der Gesellschaft und die Bereitschaft des Menschen sein Verhaltensmuster zu verändern<br />
und herauszutreten aus den Grenzen der herausgebildeten Norm.<br />
• Die Veränderung in den sozialen Beziehungen in der Gesellschaft ist die Marginalisierung<br />
(Unbeständigkeit, Abstand). Einer der charakteristischsten Züge des sozialen<br />
Verhaltens der Marginalisierten ist die Verringerung des Niveaus der sozialen Erwartungen<br />
und der sozialen Bedürfnisse (die Lebensweise wird primitiver, ebenso wie das<br />
geistige Leben, dazu kommt latente sowie offensichtliche Arbeitslosigkeit),<br />
• eine Ausweitung verschiedener Formen sozialer Pathologien (ein Ansteigen der Zahl<br />
von psychischen Erkrankungen sowie steigender Drogenkonsum).<br />
Die Analyse des Problems des abweichenden Verhaltens im Milieu der Jugendlichen eröffnet<br />
die Möglichkeit, eine Schlussfolgerung über die grundlegenden Strategien der sozialen<br />
Kontrolle zu ziehen, die im folgenden erläutert werden:<br />
• Die eigentliche Kontrolle, die von außen angewandt wird, das bedeutet Bestrafung<br />
und andere soziale Sanktionen,<br />
• die innere Kontrolle, die gesichert wird durch die Verinnerlichung sozialer Normen<br />
und Werte,<br />
• die indirekte Kontrolle, die hervorgerufen wird durch die Identifikation mit Peer<br />
Groups, die sich „gesetzestreu“ verhalten,<br />
• eine Kontrolle, die begründet ist auf eine breite Erreichbarkeit verschiedener Methoden,<br />
um die Ziele zu erreichen und die Bedürfnisse zu befriedigen und somit eine Alternative<br />
bieten zu den ungesetzlichen und amoralischen Methoden,<br />
• das Ersetzen, mehr noch das Verdrängen gefährlicher Formen sozialer Pathologien<br />
durch der Gesellschaft nützliche bzw. neutrale Formen,<br />
• soziale Aktivitäten sollen in solche Bahnen gelenkt werden, die von der Gesellschaft<br />
gebilligt werden oder aber neutral sind,<br />
• die Legalisierung des „Verbrechens ohne Opfer“,<br />
• der Aufbau eines sozialen Hilfsdienstes,<br />
• die Wiedereingliederung und Resozialisierung von solchen Menschen, die sich außerhalb<br />
der gesellschaftlichen Strukturen befinden,<br />
• die Liberalisierung und Demokratisierung der Gefängnishaft und der Haft in den Kolonien,<br />
• die unbedingte Abschaffung der Todesstrafe.
115<br />
Die Prävention des abweichenden Verhaltens unter Minderjährigen muss verwirklicht<br />
werden mittels zahlreicher taktischer und strategischer Maßnahmen. Zu den taktischen<br />
Maßnahmen zählen die folgenden:<br />
• Die Lösung des Problems der Mutterschaft, der Familie, der Obhutlosigkeit und der Obdachlosigkeit<br />
durch rechtliche und materielle Unterstützung bedürftiger und kinderreicher<br />
Familien sowie die Durchführung von Hilfsdiensten für Kinder und ihre<br />
Familien.<br />
• Es müssen Bedingungen für soziale, psychologisch-pädagogische, medizinische, gesetzliche<br />
Hilfe und Rehabilitierung von Kindern mit abweichendem Verhalten geschaffen<br />
werden.<br />
• Unterkünfte und Heime für Minderjährige müssen ausgebaut werden.<br />
• Die Tätigkeit der staatlichen Organe, die sich mit dem sozialen und rechtlichen Schutz<br />
der Minderjährigen befassen, muss besser und effektiver werden,<br />
• niederschwellige Arbeitsangebote für Jugendliche müssen mit Organen der örtlichen<br />
Selbstverwaltung geschaffen werden,<br />
• die individuelle wirksame Prävention antisozialen Verhaltens von Minderjährigen mit<br />
psychischen Anomalien muss verstärkt werden,<br />
• Koordination der Tätigkeit der sozialen Hilfsdienste und Prävention der Rechtsverletzungen<br />
von Minderjährigen,<br />
• Organisation von theoretischen und methodischen Forschungen zum Problem der<br />
Prävention von Rechtsverletzungen von Jugendlichen,<br />
• Erfahrungsaustausch, vor allem auch international, und Einführung in die Praxis der<br />
effektivsten Methoden dieser Arbeit,<br />
• Ausbildung und Qualifizierung von Spezialisten in Hinblick auf das bekannte Problem,<br />
• Aktive Gewinnung der Öffentlichkeit und der Kirchen zur Verbrechensprävention bei<br />
Jugendlichen,<br />
• Eine wirksamere Anwendung des pädagogischen Potenzials der Ausbildungsinstitutionen,<br />
vor allem die praktische Umsetzung der Artikel 22, 59, 35 des Gesetzes der<br />
Ukraine „Über die Ausbildung“ und Artikel 29 des Gesetzes der Ukraine „Über die allgemeine<br />
Schulbildung“ (die Verwirklichung des sozialpädagogischen Schutzes mit<br />
dem Ziel der Zusammenarbeit der Bildungsinstitutionen, Familien und der Gesellschaft<br />
in der Erziehung der Kinder, und dem Ziel, diese schulpflichtigen Kinder, die die<br />
Schule verlassen haben, wieder in den Bildungsprozess zu integrieren).<br />
• Das Verfahren der Resozialisierung verurteilter Minderjähriger muss reformiert und<br />
verbessert werden.<br />
• Verbesserte Unterstützung sinnvoller Freizeitbetätigungen (materielle Unterstützung<br />
des Kindersports, der Kunst und ähnliches) und ebenso bessere berufliche Möglichkeiten.
116<br />
• Die Verstärkung der geistigen und moralischen Ausrichtung der pädagogischen Arbeit,<br />
rechtliche und politische Erziehung.<br />
• Eine Eindämmung der von den Massenmedien unterstützten Propaganda des Gewaltkults,<br />
des materiellen Erfolges egal zu welchem Preis, der Romantisierung der verbrecherischen<br />
Subkultur.<br />
• Die Annahme einer wirksamen und nicht einer populistischen und formalen gesetzgebenden<br />
Basis für die Lösung oder eine Abmilderung der wirtschaftlichen, geistigen<br />
und rechtlichen Probleme der Heranwachsenden und zukünftig eine strenge Kontrolle<br />
unter Anwendung der Gesetze.<br />
Um wirksame präventive Ergebnisse zu erzielen, ist es zuallererst unumgänglich, dass<br />
das System der individuellen erzieherischen Maßnahmen in vollem Umfang altersgemäße<br />
und psychologische Besonderheiten der Minderjährigen, die abweichendes Verhalten zeigen,<br />
berücksichtigt, um so mehr da bei der Entstehung des abweichenden Verhaltens der<br />
Jugendlichen bereits die persönlichen Eigenschaften eine große Rolle spielen.<br />
Das erörterte Problem fordert keine Aktualisierung, umso mehr da das sozial nicht gebilligte<br />
Verhalten der Kinder und Jugendlichen einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung<br />
der Gesellschaft im Ganzen hat.<br />
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Abramow, G.S. Alterspsychologie: Handbuch. - Moskau: Der Akademische Projekt, Ekaterinburg:<br />
Business Book, 2000. - 624 s.<br />
Bondarchuk E.M., Bondarchuk L.I. Grundlagen von Psychologie und Pädagogik: Der Kurs von<br />
Vorträgen. - K.: AIDP, 1999. - 168 s.<br />
Vygotslij L.S. Pädagogische Psychologie / Ed V. Davydova. - Moskau: Pädagogik, 1991. - 479 s.<br />
Galinskij Y.I., Smolinsky L.G. Soziodynamik des Selbstmords / / Socis. 1988. Number S. 62<br />
Hoffman, A.B. Sieben Vorlesungen „Geschichte der Soziologie„. - M., 1995<br />
Vorbeugung der Deviation in Verhalten von Schülern / hrsg von B.S. Kobzar, Е.І. Petukhova. - K.:<br />
Hochschule, 1992. - 143 s.<br />
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Nemov R.S. Psychologie: 3 Bd. Buch. 2.: Psychologie der Erziehung. - 2. Aufl.. - M.: Ausbildung,<br />
VLADOS, 1995. - 486 s.
117<br />
Nemov R.S. Psychologie: 3 Bd. Buch. 2.: Experimentelle Psychologie und Pädagogische Psychodiagnostik.<br />
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Osipova O.S. Deviation im Verhalten: Ist das Bösen nützlich? / / Socis. - 1998. - No. 9.<br />
Besonderheiten von Lernen und psychische Entwicklung der Kinder im Alter von 13 bis 17 Jahren /<br />
G.M. Borisova, I.V. Dubravina. - Moskau: Pädagogik, 1988. - 190 s.<br />
Psychologische Merkmale der jugendlichen Identität, hrsg. Von M.I. Borishevskogo. - K.: Hochschule,<br />
1980. - 165 s.<br />
Für Lehrer und Eltern über Psychologie von Jugendlichen/ G.G. Arakelov, N.M. Zharikov, E.F. Zeer. -<br />
M.: Hochschule, 1990. - 303 s.
118<br />
<strong>MOBILE</strong><br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
IN DER UKRAINE<br />
Zorjana Lukavetska . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Schon seit mehr als 10 Jahre sind Straßenkinder eines der größten sozialen Probleme in<br />
der Ukraine. In den ersten Jahren der Unabhängigkeit erlebte die Ukraine eine starke<br />
wirtschaftliche Krise und eine Veränderung der Werte, sie stieß dabei auch auf eine für<br />
sie neue Erscheinung wie obdach- und elternlose Kinder. In der Zeit der wirtschaftlichen<br />
und politischen Veränderungen verloren plötzlich sehr viele Menschen ihre Arbeit. Da<br />
sich viele Familien in den neuen Bedingungen nicht zurechtfinden und sich nicht an sie anpassen<br />
konnten, verarmten sie. Einige von diesen Familien fanden nicht mehr zum normalen<br />
Leben zurück. Die Kinder aus diesen Familien mussten auf die Straße gehen, um dort<br />
wegen des Leidens in der Familie, Alkoholismus der Eltern, einfach wegen der mangelnden<br />
Kontrolle seitens der Eltern, Geld zu verdienen. Die sowjetischen Werte funktionierten<br />
nicht mehr und neue moralische Grundlagen wurden nicht geschaffen. Die Schule, die<br />
sich früher nicht nur mit der Bildung der Kinder, sondern auch mit der außerschulischen<br />
Erziehung beschäftigte, hörte auf, diese Funktion zu erfüllen. In diesen Bedingungen entstand<br />
das Phänomen „Straßenkinder“. Außerhalb des Hauses, ohne Betreuung und elterliche<br />
Fürsorge wurden diese Kinder zu neuen billigen Arbeitskräften und leichte Beute<br />
für die kriminelle Welt. In den Jahren 2003-2008 verbesserte sich die wirtschaftliche Situation<br />
in der Ukraine. Aber das Problem der Straßenkinder ist nach wie vor aktuell. Außer<br />
der Armut der Familien gibt es auch andere Gründe, warum Kinder auf die Straße gehen<br />
– die Gewalt gegenüber den Kindern in den Familien, in den Heimen, „didivščyna“ (die<br />
„Älteren“ unterdrücken auf unterschiedlichste Weise die „Jüngeren“) unter den Bewohnern<br />
der Heime und Internate, Alkoholismus oder Drogenabhängigkeit der Eltern, Konflikte<br />
zwischen Eltern und Kindern, Arbeitsmigration der Eltern ins Ausland, Kinder aus<br />
ziemlich reichen Familien fliehen auf die Straße, um dort Abenteuer zu erleben.<br />
Die offizielle Statistik spiegelt die reale Situation bezüglich der Straßenkinder nicht voll-
119<br />
ständig wider. Bestimmte Zahlen werden absichtlich klein gehalten. In Bezug auf die Verletzung<br />
der Rechte in den Internaten fehlt jegliche offizielle Information. Trotzdem gibt es<br />
manche offizielle Daten, die helfen, das Gesamtbild der Obdachlosigkeit unter den Kindern<br />
und Jugendlichen zu messen. Zum Beispiel: regelmäßig organisiert die Polizei und die<br />
Abteilungen des Jugendamtes eine Reihe von vorbeugenden Maßnahmen, so genannte<br />
Operation: „Straßenkinder“, „Bahnhof“, „Straße“. Während solchen Maßnahmen wurden<br />
im Jahre 2007 37211 obdach- oder elternlose Kinder entdeckt, davon waren 3981 wiederholt<br />
auf die Straße geraten. Die Gründe, warum sie der Polizei auffielen: Obdachlosigkeit,<br />
Landstreicherei und Bettlerei – 8850 Kinder und Jugendliche, 2006 Kinder aus anderen<br />
Regionen, 2473 Kinder und Jugendliche waren durch Alkoholkonsum aufgefallen, 402<br />
wegen Drogenkonsums und Schnüffeln von toxischen Stoffen, 9005 Kinder waren aus<br />
Problemfamilien, 6345 wurden in den Computerklubs aufgespürt. 2008 stellten wir eine<br />
gewisse Reduzierung der Zahl der Straßenkinder und der obdachlosen Kinder fest, aber<br />
sogar die klein gehaltenen Zahlen der offiziellen Statistiken sind weiterhin beunruhigend.<br />
Schon vor einigen Jahren erkannten die staatlichen und nicht staatlichen Organisationen,<br />
dass solch ein Problem existiert und versuchten darauf entsprechend zu reagieren. Dabei,<br />
dass der Staat das Problem der „Straßenkinder“ zugab, spielten die nicht staatlichen Organisationen,<br />
darunter auch CARITAS. Diese Organisationen haben aktiv mit den Kindern<br />
gearbeitet und trotz unterschiedlicher Hindernisse laut über dieses Phänomen – „Straßenkinder“<br />
gesprochen. Heute werden in der Ukraine staatliche Programme zur Vorbeugung<br />
der Kinderobdachlosigkeit und mangelnder Fürsorge für Kinder eingeführt, die Polizei arbeitet<br />
aktiv, um die Kinder auf der Straße aufzuspüren und sie von der Straße zu holen.<br />
Die Öffentlichkeit fängt an, sich Gedanken über die Notwendigkeit der neuen Herangehensweisen<br />
im Bereich der Hilfe für Kinder und Jugendliche zu machen. Es gibt staatliche<br />
Unterstützung für die Einrichtungen der Familienheime und für Pflegefamilien. Dadurch<br />
bekommen die Kinder, die ihre Eltern verloren haben oder die Eltern nie kannten, die Möglichkeit,<br />
die Familienwärme und Pflege zu erfahren. 2006 verabschiedete die Regierung<br />
der Ukraine das staatliche Programm für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit und Mangel<br />
an Fürsorge unter den Kindern für die Jahre 2006 – 2010. In den Jahren 2006 - 2008<br />
wurde das System der staatlichen Zentren der Sozialämter für Familien, Kinder und Jugendliche<br />
modernisiert und erweitert. Die Aufgabe dieser Zentren besteht darin, die soziale<br />
Hilfe und Begleitung für Familien und Kinder in den Krisensituationen zu leisten. Die<br />
Einrichtung dieser Zentren verfolgt das Ziel, durch die Lösung der Krise in den Familien<br />
zu verhindern, dass die Kinder auf die Straße fliehen.<br />
Leider sind wir auf neue Schwierigkeiten gestoßen – die Mitarbeiter, die in diesen Zentren<br />
arbeiten, verfügen nicht über ausreichende Kenntnisse, Fertigkeiten und Motivation, um<br />
mit solchen Familien und Personen zu arbeiten. Oft werden in den Krisenfällen gegen die
120<br />
Familien oder Kinder repressive Herangehensweisen angewandt, die die Grundlage der sowjetischen<br />
Pädagogik waren. Soziale Arbeit als Beruf ist etwas Neues für die Ukraine. Es<br />
gibt nicht viele professionelle Sozialarbeiter. Und besonders wenig gibt es Sozialarbeiter,<br />
die praktisch mit sozial belasteten Kategorien der Bevölkerung arbeiten können. Mit solchen<br />
Kategorien der Bevölkerung arbeiten aktiv staatliche Sozialämter, karitative Organisationen<br />
und Stiftungen, darunter nimmt CARITAS eine der führenden Positionen ein.<br />
Die karitative Stiftung „CARITAS Ukraine“ ist ein Bestandteil der griechisch-katholischen<br />
Kirche, die 18 regionale Organisationen in der ganzen Ukraine vereint. Gleichzeitig ist CA-<br />
RITAS Ukraine eine internationale Organisation und ein Mitglied des internationalen Verbandes<br />
„CARITAS Europa“. In unserer Tätigkeit halten wir uns an die moralischen<br />
Grundsätze der Kirche. Der zentrale Grundwert ist der Mensch. CARITAS in der Ukraine<br />
führt eine Reihe von Programmen durch, darunter „Hilfe für Straßenkinder“, „Hauskrankenpflege“,<br />
„Betreuung der HIV-Positiven und der AIDS-Kranken“, „geriatrisches Zentrum<br />
für Patienten mit nicht heilbaren Erkrankungen“, „Kampf gegen Menschenhandel“ und<br />
weitere Projekte im Bereich Migration, „Zentren für geistig behinderte Kinder“, „Sozialarbeit<br />
mit den Kindern, deren Eltern wegen Arbeitsuche ins Ausland ausgewandert sind“<br />
und weitere kleine regionale Projekte. CARITAS Ukraine wurde 2008 offiziell als bedeutendste<br />
karitative Organisation anerkannt und bekam den Titel „Der Wohltäter des Jahres“.<br />
CARITAS Ukraine fing die Arbeit mit den Straßenkindern 2001 mit der Verteilung von warmen<br />
Mahlzeiten für Kinder und Jugendliche auf den Strassen der ukrainischen Städte an.<br />
Damals sah CARITAS seine wichtigste Aufgabe darin, primäre Bedürfnisse der Kinder zufrieden<br />
zu stellen – Essen, erste medizinische Hilfe, sanitär-hygienische Dienstleistungen,<br />
Kleidung, Übernachtung. Der nächste Schritt war das Vertrauen der Straßenkinder zu gewinnen<br />
und das Vertrauen von Kindern zu den Erwachsenen wiederherzustellen, die Kinder<br />
oder Jugendliche in der Krise zu unterstützen, positive Erfahrung in der<br />
Kommunikation mit den Erwachsenen zu ermöglichen, den Glauben wiederherzustellen,<br />
dass sie in der schwierigen Situation Hilfe bekommen, den Ausweg aus der Krise zu finden.<br />
Die Straßenkinder haben ernsthafte Probleme in der emotionalen und geistigen Entwicklung.<br />
Die Gründe dafür sind angeborene Krankheiten, Drogen- und Alkoholabhängigkeit<br />
der Eltern, Rauchen, Alkohol- und Drogenabhängigkeit der Straßenkinder selbst (insbesondere<br />
Toxikomanie). Die Mehrheit der Straßenkinder ist im Schulalter, sie weisen aber<br />
ein sehr niedriges Bildungsniveau auf (manche Jugendliche können weder schreiben noch<br />
lesen), weil sie Stunden schwänzen oder der Schule überhaupt fernbleiben. Deshalb ist es<br />
für diese Kinder sehr schwer, die Schule zu beenden und danach eine Arbeit zu finden. Um<br />
den Kindern eine adäquate Hilfe zu leisten, bietet CARITAS psychologisch-pädagogische<br />
Hilfe an (Unterstützung beim Lernen, Psychodiagnostik und Psychokorrektion, pädagogi-
121<br />
sche Korrektion und Erziehung mit Hilfe von unterschiedlichen Entwicklungs-, Aufklärungs-<br />
und Unterhaltungsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche). In der Arbeit mit den<br />
Kindern und Jugendlichen, die sich in Krisen befinden, setzt sich CARITAS das Ziel, die inneren<br />
Ressourcen der Kunden zu stärken, ihre Fähigkeiten zu fördern, die Kinder und die<br />
Jugendlichen bei der selbständigen Lösung ihrer eigenen Probleme zu unterstützen.<br />
Während der Arbeit mit den Kindern verstanden die Mitarbeiter von CARITAS, dass es,<br />
damit die Kinder selbständig leben und sich normal entwickeln können, notwendig ist,<br />
ihren sozialen Kontakt mit der Familie und anderen Verwandten aufrechtzuerhalten oder<br />
in manchen Fällen wiederherzustellen und auch die Eltern dazu zu motivieren, für die<br />
Kinder entsprechende Bedingungen für die Erziehung und Entwicklung zu schaffen. Natürlich<br />
ist der beste Betreuer für das Kind sein eigener Vater, seine Mutter oder die nächsten<br />
Verwandten. In den meisten Fällen sind die Bedingungen in der Familie nicht<br />
zufrieden stellend für das Leben des Kindes – die Drogen- oder Alkoholabhängigkeit der<br />
Eltern oder anderer Verwandten, schlechte sanitäre Bedingungen zu Hause, häusliche<br />
Gewalt etc.<br />
Die staatlichen Sozialämter entdecken regelmäßig Familien, wo die Eltern nicht zufrieden<br />
stellend ihre elterlichen Verpflichtungen erfüllen. Aber die Prozedur der Sozialhilfe beschränkt<br />
sich auf die Kontrolle, Drohungen, Entfernung des Kindes aus der Familie und das<br />
letzte Mittel: den Eltern werden ihre Elternrechte entzogen und das Kind wird zur Erziehung<br />
ins Internat weitergeleitet. Leider verbessern nicht alle Familien die Situation der<br />
Kinder. Die Entziehung der Elternrechte löst das Problem des Mangels an Fürsorge nicht.<br />
Dem Kind wird die letzte Möglichkeit entzogen einen Vater oder eine Mutter zu haben.<br />
Zurzeit arbeitet CARITAS mit Straßenkindern in 5 Städten der Ukraine, wo die Mobile Jugendarbeit<br />
auf der Straße in unterschiedlichen Jahren aufgenommen und Tageszentren<br />
der Sozialhilfe und der Unterhaltung für Straßenkinder eingerichtet wurden.<br />
Um das Ziel zu erreichen, alle Zentren auf der Basis von CARITAS Ukraine zu vereinen,<br />
wurde im Jahre 2006 das Nationale Programm „Hilfe für Straßenkinder“ in der Zusammenarbeit<br />
mit CARITAS Deutschland und mit der finanziellen Unterstützung der Europäischen<br />
Union geschaffen. Der Grund dafür war die akute Notwendigkeit der Zusammenarbeit<br />
zwischen verschiedenen Städten, weil die Kinder von Stadt zu Stadt ziehen. Die<br />
Zentren konnten auch einander helfen und die Arbeit gegenseitig ergänzen, Erfahrungsaustausch<br />
pflegen, gemeinsam Veranstaltungen und Reise für Kinder organisieren usw.<br />
Seit der Gründung in 2006 hat das Netzwerk der Sozialzentren und der Mobilstationen<br />
viele positive Ergebnisse gebracht, und zwar:<br />
• Den Anfang der Zusammenarbeit zwischen einzelnen CARITAS Zentren in verschiedenen<br />
Regionen der Ukraine (im Westen, in der Zentralukraine und im Osten der Ukraine);
122<br />
• Die Integration der Arbeit von jedem Zentrum und der Mobilstation in eine stabile und<br />
nützliche Struktur mit einem einheitlichen System der Dienstleistungen, der Dokumente<br />
und der Kontrolle;<br />
• Die Erweiterung der Angebote in jedem Zentrum und jeder Mobilstation, mit dem Ziel<br />
die Effizienz der Dienstleistungen für die Kinder und ihre Familien zu steigern;<br />
• Die Entwicklung der gemeinsamen Strategie für das Programm „Hilfe für Straßenkinder“;<br />
• Die aktive Durchführung der Öffentlichkeitsarbeit. Die nationale Informationskampagne<br />
zur Suche der einheimischen Sponsoren und zur Veranschaulichung der Arbeit<br />
nahm ihre Arbeit auf.<br />
Heute setzt CARITAS die Arbeit mit den Straßenkindern und Jugendlichen fort, die sich<br />
in Krisen befinden, außerdem die Arbeit mit den Krisenfamilien, aus welchen die Kinder<br />
auf die Straße fliehen. Gleichzeitig sucht CARITAS neue Möglichkeiten und Herangehensweisen<br />
an die Kinder und Jugendlichen, die ihnen am effizientesten helfen würden, sich<br />
in die Gesellschaft zu integrieren. Wir sehen, dass nicht nur CARITAS-Mitarbeiter, sondern<br />
auch Mitarbeiter der staatlichen Jugendsozialämter dringend neue Methoden für ihre Arbeit<br />
benötigen, die Methoden, in deren Zentrum der Mensch steht, seine Interessen und<br />
Bedürfnisse, und Familie, als eine ganzheitliche Erscheinung, die man mit allen möglichen<br />
Mitteln aufrechterhalten und unterstützen soll.<br />
Die Methoden der Mobilen Jugendarbeit, die <strong>ISMO</strong> in Deutschland und in anderen Ländern<br />
entwickelt, gehören zu solchen neuen Herangehensweisen, die helfen können, den Kindern<br />
und Jugendlichen näher zu treten und ihnen die Hilfe und Unterstützung anzubieten,<br />
die sie am meisten brauchen.
<strong>MOBILE</strong><br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
WELTWEIT
124<br />
<strong>MOBILE</strong> JUGEND-<br />
ARBEIT:<br />
EIN GEMEINWESEN-<br />
ORIENTIERTER<br />
ANSATZ<br />
FÜR DAS PROBLEM DER JUGENDBANDEN<br />
Irving A. Spergel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
EINFÜHRUNG<br />
Ich würde gerne kurz die Situation des Problems von jugendlichen Banden allgemein in<br />
den USA beschreiben und dann auf die theoretischen Perspektiven eingehen, besonders<br />
auf die soziale Desorganisation, um das Problem zu erklären. Ich werde mich danach auf<br />
drei Modelle von Gemeinwesenprogrammen konzentrieren mit dem Fokus auf die Rolle<br />
des Mobilen Jugendarbeiters als Mitglied eines Teams von unterschiedlichen Arten von<br />
Streetworkern, die das Problem durch einen flächendeckenden gemeinwesen-orientierten<br />
Ansatz, der an verschiedenen Orten der USA der heutigen Zeit entwickelt und getestet<br />
wurde, angehen.<br />
DIE SITUATION JUGENDLICHER BANDEN<br />
In den aktuellsten landesweiten Untersuchungen, vom National Youth Gang Center in Tallahassee<br />
in Florida, das dem Amt für Gerechtigkeit für Jugendliche und Kriminalitätsprävention,<br />
des Justizministeriums der USA angegliedert ist, schätzten Egley und O’Donnell
125<br />
(2008), dass jugendliche Banden im Jahr 2005 in 3400 Rechtsprechungen wegen Straffälligkeit<br />
in den USA beteiligt waren. Eine entscheidende Schlussfolgerung und Sorge war<br />
die Bandbreite extrem krimineller Handlungen von jugendlichen Bandenmitgliedern. 1756<br />
Tötungsdelikten in der Bande wurden registriert. Davon passierten 77% in großen Städten<br />
mit 250 000 oder mehr Einwohnern, darunter die zwei der größten Metropolen, Chicago<br />
und Los Angeles, wo sich etwas mehr als 50% der gesamten 1756 Jugendbandenmorden<br />
ereigneten. Männliche Bandenmitglieder zwischen 17 und 22 Jahren machten den größten<br />
Anteil der verschiedenen Jugendbandengruppierungen aus bis zum Alter von 30 Jahren.<br />
Das Institut für Justizangelegenheiten (Justice Policy Institute), eine große soziale Expertenkommission<br />
verzeichnete jedoch eine weniger alarmierende Interpretation des<br />
Bandenproblems (Green and Pranis 2007). Sie schlussfolgerte, dass es einen Trend hin zu<br />
geringeren Zahlen der Bandenmitgliedschaft und –aktivität gäbe. Jugendliche Bandenmitglieder<br />
waren verantwortlich für weniger als ein Zehntel der gesamten Tötungsdelikte<br />
(Bande oder nicht Bande). Jugendbanden haben das Drogenproblem weder gelenkt noch<br />
organisiert und waren größtenteils nur kleinkriminelle Dealer.<br />
Es ist möglich, dass die zwei Datenbestände verschiedene Aspekte eines zusammenhängenden<br />
Bandenproblems repräsentierten und so eine Basis für verschiedene Strategien und<br />
Methoden dieses Problem zu behandeln, bilden. Schlussfolgerungen können sich unterscheiden,<br />
abhängig davon, ob der Fokus auf älteren oder jüngeren, eher kriminell oder dezentral<br />
organisierten und weniger kriminellen Jugendbanden liegt. Darüber hinaus, gibt es<br />
keinen Konsens zwischen der kommunalen Strafjustiz oder Regierungsbehörden, sozialen<br />
Behörden, Gemeinwesengruppen, Organisationen, die an der Basis ansetzen oder sogar<br />
Forschern über die Definition der Bestandteile eines Bandenproblems: wer ist ein Bandenmitglied,<br />
was ist eine Bande, und was ist ein Bandendelikt? Folglich gibt es verschiedene<br />
Methoden, Strategien und Programmansätze dieses Jugendbandenproblem in den USA anzugehen.<br />
Diese umfassen zum momentanen Zeitpunkt hauptsächlich Verdrängung und Abschreckung<br />
und auch, aber nicht so häufig, soziale Dienste wie Mobile Jugendarbeit.<br />
ERKLÄRUNGEN DES JUGENDBANDENPROBLEMS<br />
Erklärungen von Kriminalität und Jugendbandenproblemen im System des 20. Jahrhunderts<br />
, die für die Mobile Jugendarbeit eine Rolle spielen, geschahen bereits in den 1920er<br />
und 30er Jahren, basierend auf der Arbeit von Shaw und McKay (1943) und Thrasher<br />
(1927). Sie benutzten Ideen des städtischen Zuwachses und wechselnden Bedingungen in<br />
den kommunalen Gemeinden, die zu einer sozialen Zerrüttung führten und aus denen<br />
steigende Kriminalitäts- und Bandenbildungsraten resultierten. Die industrielle und wirtschaftliche<br />
Entwicklung brachte sozial schwache/Immigranten-/ländliche Bevölkerungs-
126<br />
gruppen in die städtischen Zentren der USA, die auf der Suche nach Arbeitsplätzen, besseren<br />
sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen waren und/oder vor untragbaren Bedingungen<br />
in anderen Ländern flüchteten. Diese Bevölkerungen ließen sich oft in<br />
Randgebieten oder Zwischenräumen nieder, die in der Nähe von zentralen Geschäftsbereichen<br />
oder Industriegebieten lagen. Diese Gebiete wurden folglich von sozialen und gesundheitlichen<br />
Problemen und Kriminalität in hohem Maße gekennzeichnet. Diese<br />
Bedingungen herrschen immer noch zunehmend in vielen Gebieten der USA vor und vielleicht<br />
auch in letzter Zeit in anderen Ballungszentren und Industrialisierungsgebieten der<br />
Welt.<br />
Für die Immigranten in den neu besiedelten Gebieten – vielleicht bis in die zweite oder<br />
dritte Generation - mag es eine Trennung zwischen den Zielen und Werten der größeren,<br />
dominanten Gesellschaft geben, mit eingeschränkten Möglichkeiten diese zu erreichen.<br />
Widersprüchliche Normen und Werte alter und neuer Institutionen wie Sozialisation, Familie,<br />
Schulen und Jugendbehörden schaffen Bedingungen spezieller Risiken für einige<br />
Jugendliche in eine Bande involviert zu werden, besonders für männliche junge Erwachsene<br />
aus Randgruppenfamilien, die in Randgebieten städtischer Gesellschaften leben.<br />
Im Laufe der Zeit kam es zu vielen Modifikationen von Theorien sozialer Zerrüttung und<br />
von Strategien, das Problem der Jugendbanden zu behandeln. Bursik und Grasmick (1993)<br />
und Bursik (2002) argumentieren, dass sie trotz der Formation von Banden und der vermuteten<br />
Entfremdung von Bandenmitgliedern noch Verbindungen zu Familie, Freunden,<br />
Nachbarn und anderen konventionellen Institutionen und Organisationen der kommunalen<br />
und breiteren Gesellschaft aufrecht erhalten. Hagedorn und andere (2007, 2008) behaupten,<br />
dass die Globalisierung, die durch sich ändernde soziale und wirtschaftliche<br />
Bedingungen und starkes und schnelles Wachstum der Unterschichts- oder Niedrigverdienerpopulationen<br />
innerhalb eines Landes und länderübergreifend charakterisiert wird,<br />
die Entwicklung und die Verbreitung des Bandenproblems noch vergrößert hat. Jugendbanden<br />
werden als etwas „fast natürliches“ empfunden.<br />
Manwaring (2008), ein militärischer Stratege, sieht die Entwicklung der Jugendbanden im<br />
modernen Zeitalter als potentielle Bedrohung für die Staatssicherheit und Unversehrtheit.<br />
In der ersten Phase der Bandenentwicklung geht es in erster Linie um den Schutz des<br />
Reviers, das Ansteigen des sozialen Status durch Gewalt, Diebstahl und Kleinkriminalität.<br />
In der zweiten Phase geht es den Straßenbanden um Drogenhandel und anspruchsvollere<br />
Aktivitäten der kriminellen Banden. In der dritten Phase kommt es zu einer Bedrohung der<br />
Erhaltung der bürgerlichen Ordnung und einer stabilen Gesellschaft. Von Straßenbanden<br />
wird gesagt, sie seien rebellische Gruppen und gehörten Antistaatsaktivitäten an. Manwaring<br />
behauptet, dass sie ein Teil der Bewegungen werden könnten, die Gemeinwesen kontrollieren<br />
wollen, die schlecht regiert werden oder Gebiete, die von korrupten Politikern<br />
und Regierungsfunktionären beherrscht werden. Die Miliz und Rebellengruppen wettei-
127<br />
fern um politischen Einfluss und Macht, indem sie die Legitimität des Staates bedrohen.<br />
Jedoch sind Anzeichen dieser dritten Phase in den USA, Europa und den meisten Ländern<br />
nicht ersichtlich, im Gegensatz zu afrikanischen und südamerikanischen Ländern.<br />
Andererseits sehen Barrios (2003) und Brotherton (2003) Jugendbanden positiver als<br />
Beispiele von “Widerstandsorganisationen” gegenüber einer repressiven Gesellschaft und<br />
potentielle Elemente eines positiveren sozialen Wandels. Es wird erwartet, dass die Jugendbanden<br />
transformiert und ermutigt werden den Gruppierungen und Bewegungen<br />
für soziale und politische Reformen beizutreten, die sich Gemeindebedingungen wie<br />
Armut, Korruption und menschlicher Degradierung widersetzen. Jedoch gibt es wiederum<br />
keine Anzeichen, die die Existenz dieser letzteren Transformationen des Jugendbandenproblems<br />
zumindest in den USA belegen.<br />
DIE METHODE EINES GEMEINWESENORIENTIERTEN BANDENPROGRAMMS IN DEN USA<br />
Die Theorie sozialer Desorganisation auf der Gemeinwesenebene war die Basis für ein<br />
Serie von Bandenprogrammmodellen: soziale Entwicklung Jugendlicher, Abschreckung<br />
und Unterdrückung; und das flächendeckende gemeinwesenweite Modell.<br />
Das Modell soziale Entwicklung für Jugendliche hat sich traditionell auf den Einsatz von<br />
Street Workern und Mobilen Jugendarbeitern auf der Straße konzentriert und in letzter<br />
Zeit auf die Prävention von Banden in der Schule, Aktivitäten Jugendlicher, Therapien<br />
und auf den Strafjustizrahmen. Das Modell nimmt Abstand von oder schreibt eine eingeschränktes<br />
Verhältnis gegenüber der Abschreckung durch Strafjustiz, der Gemeinwesenentwicklung<br />
und der Bemühung organisatorischen Wandels im offenen Gemeinwesen vor.<br />
Organisationen wie CVJM, Boys Club, glaubensgestützte und besondere Jugendprojekte<br />
haben sich traditionellerweise in der Arbeit mit selbstständigen, meist jüngeren, weniger<br />
kriminellen Jugendlichen, manchmal am Rande von Banden engagiert. Der Schwerpunkt<br />
liegt bei den Mobilen Jugendarbeitern darin, Vertrauensbeziehungen aufzubauen und die<br />
Jugendlichen zu überzeugen ihr Verhalten so anzupassen, dass es die breite Gesellschaft<br />
akzeptiert. Die ersten Maßnahmen um diese Ziele zu erreichen, sind Freizeitangebote,<br />
Kurzberatung, soziale und kulturelle Aktivitäten und glaubensbegründete Erfahrungen.<br />
In dem Abschreckung/Unterdrückungsmodell ist der Fokus auf Identifikation, Kontrolle<br />
und Bestrafung von Bandenjugendlichen, die nach Definition als Bedrohung der Gesellschaft<br />
angesehen werden. Das Modell legt Wert auf das Vorhandensein spezieller Strafverfolgungseinheiten<br />
(Verfolgung oder Vollzug) um Bandenaktivitäten im offenen Gemeinwesen<br />
zu verhindern oder zu unterbrechen (Justizsystem und Institutionsrahmen). Der<br />
Fokus liegt auf der Nutzung von Prozessen der Informationsbeschaffung, Beobachtungsarbeit,<br />
Klassifizierung von Bandenmitgliedern, darin Banden zu durchstreifen und dem<br />
Einsatz ziviler Vorschriften. Die Koordination zwischen dem Justizsystem und Stadt-,
128<br />
Staats- und Bundesebene ist zunehmend gefordert, um alle möglichen Hebel des Justizsystems<br />
in Bewegung zu setzen um Kontrollen in Gang zu setzen und Bandenstraftäter zu<br />
bestrafen, besonders die die in Gewalt und Drogenhandel involviert sind. Die Zusammenarbeit<br />
der Gemeindegruppen ist manchmal dazu da, bei Abschreckung und Kontrolle der<br />
Gangaktivitäten zu helfen. Der Kontakt mit und das Verweisen von Bandenmitgliedern an<br />
Jugendorganisationen für Prävention, soziale Entwicklung oder Rehabilitation wird generell<br />
nicht angestrebt. Die Polizei denkt oft, dass die Mobilen Jugendarbeiter sich zu sehr<br />
mit der Bande identifizieren oder sogar selbst aktive Bandenmitglieder sind. Solche Vorfälle<br />
oder Anklagen sind oft die Basis der Strafverfolgung um Programme Mobiler Jugendarbeit<br />
anzugreifen.<br />
In der gemeinwesenorientierten Methode ist das Ziel, das Bandenproblem durch den Gebrauch<br />
von zusammenhängenden Strategien von Prävention, sozialer Intervention, Abschreckung/Unterdrückung<br />
und seit kurzem die Reintegration von straffälligen<br />
Gefangenen aus Banden in die Gemeinden. Eine Vielfalt spezifischer Strategien der Gemeinwesenmobilisierung,<br />
sozialen Intervention, Bereitstellung von Möglichkeiten und organisatorischen<br />
Wandels und Entwicklung wird gebraucht um sowohl soziale Entwicklung<br />
der jugendlichen Banden und derjeniger, bei denen die größte Gefahr besteht, dass sie in<br />
Banden involviert werden zu erreichen und gleichzeitig den Schutz der Gemeindebewohner<br />
und des Gemeindeeigentums vor Schäden und Straftaten von Bandenmitgliedern zu<br />
gewährleisten. Der flächendeckende Ansatz versucht Elemente sozialer Entwicklung und<br />
der Abschreckungs-/Unterdrückungsmodelle einzubeziehen um ein Höchstmaß an Zusammenarbeit<br />
zwischen Programmen Mobiler Jugendarbeit, Bemühungen der Strafjustiz<br />
und der Unterstützung des Gemeinwesens zu sichern.<br />
Das komplexe flächendeckende gemeinwesenweite Modell wurde vor kurzem entwickelt<br />
und in verschiedenen Gemeinden getestet und überall dort wo es hinreichend angewendet<br />
wurde, hat es einen beachtlichen Erfolg erreicht. Das Modell verlangt die Entwicklung bestimmter<br />
struktureller Elemente und Programmprozesselemente: eine führende oder koordinierende<br />
Kraft z.B. das Polizeipräsidium, die Jugendbehörde oder Schule; ein<br />
steuernder Rat von führenden Personen der Schlüsselorganisationen und Gemeindegruppierungen<br />
einschließlich Vertretern der Polizei, Bewährungshilfe und anderen Justizeinheiten,<br />
soziale Behörden, Schulen, glaubensbasierte Organisationen, Unternehmen,<br />
Arbeitsagenturen, Offizielle aus der Regierung, stadtweite Gemeinwesenorganisationen<br />
und Gruppen, die an der Basis ansetzen (?); und ein Street Worker Team, das Mobile Jugendarbeiter,<br />
Polizei, Bewährungshelfer und Vertreter aus Schule, therapeutischen Einrichtungen,<br />
Arbeitsagenturen und Personal der Nachbarschaftshilfe mit einschließt.<br />
Der flächendeckende Ansatz zielt in hohem Maße auf den Bandenproblembereich der Gemeinde<br />
ab, mit dem Fokus darauf zu erreichen, zu helfen und spezifische Jugendliche,
129<br />
die in Banden involviert sind ebenso wie Jugendliche, die sehr gefährdet sind im Bezug<br />
auf Gewaltausübung oder Drogenaktivitäten, zu kontrollieren. Vieles hängt von der weiterführenden<br />
Erarbeitung der Bandenproblemsituationen, Gemeinwesenführung, der Motiviertheit<br />
des Personals und der sorgfältigen Auswertung der Bemühungen ab, um dieses<br />
Problem angehen zu können. Der Gebrauch von Experten von außerhalb und akademischen<br />
Forschern wird für die Gestaltung dieser Programme, der Erarbeitung von Bestrebungen<br />
um die Programmkomponenten und die Evaluierung der Programmergebnisse<br />
empfohlen.<br />
DIE ROLLE <strong>MOBILE</strong>R <strong>JUGENDARBEIT</strong> <strong>IM</strong> GEMEINWESENMODELL<br />
Die Rolle Mobiler Jugendarbeit muss sorgfältig entwickelt und im flächendeckenden gemeinwesenweiten<br />
Modell angewendet werden. Der Jugendarbeiter konzentriert sich nicht<br />
nur darauf effektive Beziehungen aufzubauen und Ergebnisse im Verhalten der spezifischen<br />
Zielgruppe zu erreichen, sondern er muss sich auch (an der Seite von anderen Mitgliedern<br />
des Street Work Teams) mit den Beziehungen und Verhaltensweisen der<br />
Hauptkomponenten seines Gemeinwesenkontexts befassen und sie beeinflussen, das<br />
heißt die Bande, Freund/Freundin, Familie, Schule, Nachbarschaftsgruppen, Arbeit und<br />
anderen Behörden. Mobile Jugendarbeiter sollten ehemalige sehr einflussreiche Bandenmitglieder<br />
aus der selben Zielgemeinde, die sich jetzt gebessert haben, als Kollegen<br />
involvieren, sowie speziell sozialpädagogisch ausgebildete Jugendarbeiter, die sowohl<br />
den Kontakt und die Beziehungen zwischen kriminellen Bandenjugendlichen, als auch die<br />
vorhandene soziale Entwicklung und die Ressourcen einer Therapie ermöglichen können.<br />
Mobilisierung des Gemeinwesens:<br />
Der Mobile Jugendarbeiter trägt in verschiedener Weise dazu bei, das Gemeinwesen zu<br />
mobilisieren und Ressourcen zu entwickeln. Im Zuge des Kontakts mit Bandenjugendlichen,<br />
ist er in einer speziellen Position die Interessen und Bedürfnisse der jugendlichen<br />
Zielgruppe im Bezug auf soziale Entwicklung, weitere Bildung, Ausbildung, Arbeit, Kontrollen<br />
und soziale Dienste zu erfahren und zu analysieren. Er beobachtet Organisationen<br />
und ihre Vertreter oder spezielles Personal in diesen Organisationen, das Zugang zu sozialen<br />
- und Kontrollressourcen hat, Empfehlungen geben kann und bei Konflikten zwischen<br />
der Zielgruppe und diesen Organisationen vermitteln kann. Solche Informationen<br />
und Kontakte sind nicht nur für besondere Straßenprogramme nützlich, sondern für das<br />
Führen von Verwaltungsmitarbeitern von Behörden und das Steuern von Ausschussmitgliedern<br />
in der Formulierung eines Programmgrundsatzes und der Entwicklung einer breiten<br />
organisatorischen Unterstützung für das Programm. Der Mobile Jugendarbeiter ist in<br />
der Position bestimmte Behörden und Leute aus dem Gemeinwesen zu benennen, die für
130<br />
die Entwicklung verschiedener Programm- und Methodenstrukturen, die für das Programm<br />
benötigt werden, hilfreich sein können. Er befindet sich in der besonderen Position<br />
die federführende Kraft zu unterstützen und die Verwalter des Gemeinderates bei der<br />
Einstellung lokaler Führungspersönlichkeiten der Regierung, und der Aktivierung von<br />
Nachbarn und Eltern um an den verschiedenen Beratungsstrukturen und Aktivitäten teilzunehmen<br />
und diese zu unterstützen.<br />
Soziale Intervention:<br />
Dies ist die primäre Strategie des Mobilen Jugendarbeiters. Die Strategie verlangt dauernden<br />
und intensiven Kontakt mit den Bandenjugendlichen, die als diejenigen ermittelt werden,<br />
die die Dienste dieses Programms brauchen. Die Wirksamkeit der Strategie hängt<br />
von der positiven und hilfreichen Arbeitsbeziehung ab, die von dem Mobilen Jugendarbeiter<br />
erreicht wird, sowohl mit der Zielgruppe, als auch mit den Hauptgruppen aus dem<br />
Gemeinwesen, den Organisationen, die mit der Zielgruppe verbunden sind. Verständnis<br />
und Fähigkeiten in Kurzberatung und Krisenintervention mit Bandenjugendlichen und die<br />
Entwicklung von gelegentlichen Diskussionsmaßnahmen bei einem Konflikt in der Bande<br />
im Hinblick auf die Gruppe oder die Gruppendynamik sind sehr wichtig für die Bemühungen<br />
des Mobilen Jugendarbeiters um die Jugendlichen in sozialere und konventionellere<br />
Bahnen zu leiten und die Wirkung von den Normen und Werten der Bande zu begrenzen.<br />
Die Arbeit mit gefährdeten und gefährlichen Jugendlichen im Bezug auf Bandenstrukturen<br />
und die Belastungen genauso wie die Beziehungen zu Familie, Schule, Arbeit und<br />
Nachbarschaftsgruppen und zum Justizsystem wird zunehmend schwieriger.<br />
Als Hauptmitglied im Street Work Team bietet der Mobile Jugendarbeiter stets und oft<br />
ausgewählte Informationen und Rat von anderen Mitgliedern des Street Work Teams an<br />
und sucht sie, z.B. Polizei, Bewährungshilfe, Nachbarschaftshilfe, darüber wie man mit<br />
den Gangjugendlichen und anderen Behörden und Gemeinwesengruppen, mit denen die<br />
Jugendlichen in Kontakt treten könnten, umgeht. Er hilft anderen Teammitgliedern und<br />
bekommt Hilfe von ihnen, beim Abgeben passender Empfehlungen, beim Anbieten zusätzlicher<br />
Dienstleistungen und Kontrollen und wenn er für die Zielgruppe plant, mit der<br />
er arbeitet.<br />
Die Bereitstellung sozialer Möglichkeiten:<br />
Diese Strategie ist stark mit sozialer Intervention verknüpft. Erfolg in der Entwicklung bewährter<br />
Interventionsvorgänge hängt in großem Maße davon ab, ob man die Bedürfnisse<br />
der Bandenjugendlichen durch den Zugang zu angemessenem und zukunftsfähigem Auftreten<br />
im Job, bei der Ausbildung und in der Schule, trifft. Der Mobile Jugendarbeiter<br />
mag sich nicht nur in ausgiebige Diskussionen mit den Jugendlichen begeben müssen<br />
über den Nutzen der vorhandenen Möglichkeiten, sondern er muss auch die Vertreter<br />
der Organisationen davon überzeugen, diese Möglichkeiten für die Jugendlichen zugäng-
131<br />
lich zu machen. Die spezifischen Interessen, sozialen Bedürfnisse und Handicaps der bestimmten<br />
Zielgruppe werden dem Vertreter und seiner Organisation mitgeteilt. Der Mobile<br />
Jugendarbeiter fungiert als Makler und Vermittler zwischen dem Jugendlichen und dem<br />
Vertreter und seiner Organisation. Bestimmte Methoden und Praktiken müssten angeregt<br />
werden. Es werden besondere Anstrengungen unternommen um die Repräsentanten zu<br />
überzeugen, dass die Jugendlichen nicht versagen werden, wie sie es bei vorherigen Gelegenheiten<br />
und gelegenheitsbietenden Situationen gemacht haben. Er könnte sich an<br />
die Freundin des Jugendlichen, oder seine Frau, Eltern, Nachbarn oder andere Bandenmitglieder<br />
wenden müssen, die ihn bei diesem Vorhaben unterstützen sollen. Eine Hauptbemühung<br />
muss es sein damit anzufangen den Jugendlichen von der Gruppe zu trennen,<br />
indem er teilnimmt und Erfolg und Befriedigung in seinem Job, seiner Ausbildung, Schule<br />
oder kulturellen und sozialen Aktivitäten, seiner Freundin oder durch familiäre Beziehungen<br />
erhält.<br />
Abschreckung und Unterdrückung:<br />
Der Mobile Jugendarbeiter dient dem Jugendlichen als moralische Führung, er berät ihn<br />
in Zeiten der Krise, über Entscheidungen, die getroffen werden müssen und dabei den<br />
richtigen Sozialisierungsweg einzuschlagen. Es kann sein, dass eine Vielzahl von Sanktionen<br />
notwendig ist, zum Beispiel, Polizeibeamte aus dem Team vor Vorhandensein von<br />
Waffen im Haus des Jugendlichen zu warnen und die Beamten davon zu überzeugen und<br />
ihnen dabei zu helfen, die Waffen zu entfernen. Das heißt nicht zwingend, den Jugendlichen<br />
auch zu verhaften, aber anstatt dessen den Jugendlichen dazu zu bringen Schule<br />
und vorhandene Bildungsmöglichkeiten besser zu nutzen. Der Mobile Jugendarbeiter ist<br />
möglicherweise in der Lage, die Schule zu animieren für den Jugendlichen spezielle Tutorien<br />
zur Verfügung zu stellen. Auf der anderen Seite könnte es Gelegenheiten geben,<br />
bei denen der Jugendliche außer Kontrolle gerät und nicht in der Lage ist teilzunehmen,<br />
sondern eher den Konflikt zwischen den Gangs herausfordert, so dass der Mobile Jugendarbeiter<br />
zusätzlich Bewährungssupervision empfehlen würde oder sogar den Jugendlichen<br />
sogar an ein Gericht abgibt für eine Strafjustierung – vorzugsweise eher für einen<br />
kürzeren als für einen längeren Zeitraum – während er den Kontakt mit ihm in der Einrichtung<br />
weiterhin aufrecht erhält.<br />
Der Mobile Jugendarbeiter ist ein Outreach Sozialarbeiter. Er agiert nicht als Akteur des<br />
Strafjustizsystems, auch wenn er möglicherweise sehr eng mit Beamten zusammenarbeitet,<br />
besonders wenn es um Angelegenheiten wie Gewalt und Handel mit illegalen Drogen<br />
geht. Er ist vorsichtig sich nicht zu sehr mit den Kollegen der Strafverfolgung zu<br />
identifizieren, jedoch muss er Informationen über ernste kriminelle Aktivitäten des Jugendlichen<br />
der Zielgruppengang weitergeben. Auf der anderen Seite muss er auch in der<br />
Position sein missbräuchliche Polizeiarbeit zu beobachten, die den Jugendlichen betrifft<br />
und solche Informationen geeignetem überwachenden und verwaltenden Personal der
132<br />
Polizei kundtun und die Versetzung oder die Entlassung solcher Beamten aus dem Distrikt<br />
zu veranlassen.<br />
Die Rolle des Mobilen Jugendarbeiters bei der Abschreckung wird von der erweiterten<br />
Rolle des Polizeiteams soziale Entwicklung der Gangjugendlichen zu unterstützen erwidert<br />
bei sozialen Dienstleistungen und weniger auf Strafe ausgelegte Sanktionen für<br />
Jugendliche. Die Beziehungen des Straßenteam und die Erfahrungen mit Strafverfolgungsbeamten<br />
führen zu mehr Respekt in Beziehungen mit den Bandenjugendlichen,<br />
ihren Familien und den Bewohnern des Gemeinwesens.<br />
Organisatorische Veränderung und Entwicklung: Diese Strategie unterliegt den anderen<br />
flächendeckenden Programmstrategien. Auch wenn seine Anwendung zu einem großen<br />
Teil die Verantwortlichkeit der führenden Organisation und der Mitglieder des Beratungsausschusses<br />
ist, hat der Mobile Jugendarbeiter eine signifikante Rolle zu spielen darin, die<br />
Programmleiter über das Gemeinwesen, die institutionellen - und Organisationslücken in<br />
der Entwicklung eines effektiven Programms um Bandenprobleme zu kämpfen, zu alarmieren.<br />
Die Strategie ist eng verknüpft mit der Gemeinwesenmobilisierungsstrategie. Der<br />
Jugendarbeiter stellt regelmäßige Bewertungen zur Verfügung, die auf seinen Beobachtungen<br />
der Zielgruppe und des Verhaltens der Bande aber auch der Organisation, des<br />
Gemeinwesens, der Regierungspolitik und des Regierungsprogramms basieren und eine<br />
Antwort auf das Gangproblem sind, die in der effektiven Anwendung des gemeinwesenweiten<br />
Ansatzes weiterentwickelt oder geändert werden müssen.<br />
EVALUATION<br />
Schließlich müssen die Ausführung, die Entwicklung, der Programmprozess und die Ergebnisse<br />
des Programms eingeschätzt und evaluiert werden, oft geschieht das mit der<br />
Hilfe von auswärtigen Forschungsgutachtern. Die Evaluation des flächendeckenden Bandenprogramms<br />
ist schwierig und komplex, aber essentiell, wenn wir lernen wollen was<br />
funktioniert und was nicht funktioniert. Effektive Evaluierung hängt vom Vorhandensein<br />
guter empirischer Daten, enger Zusammenarbeit mit den Organisationen, die die Daten<br />
bereitstellen ab und es verlangt externe und Langzeitzusammenarbeit zwischen den<br />
Gutachtern und dem Programmpersonal. Zum Zweck der Evaluierung besonders von<br />
groß angelegten Projekten sind gewissermaßen Versuchsforschungsdesigns und die<br />
Verfügbarkeit eines Vergleichsprogramms und einer Vergleichsgruppe von Jugendlichen,<br />
mit denen nicht gearbeitet wird, notwendig. Es gab einen außerordentlichen Mangel<br />
an geeigneter Evaluierung von Bandenprogrammen seit vielen Jahrzehnten, was<br />
als Mangel an Fortschritt im Verstehen, Durchführen und Anwenden von effektiven Gemeinwesenprogrammen,<br />
um das Jugendbandenproblem zu verringern, betrachtet werden<br />
kann. Das soll nicht den Einfluss der fehlerhaften Regierungspolitik, der
133<br />
wetteifernden Interessen der Organisationen und der begrenzten Ressourcen in der<br />
Antwort auf die zunehmende Verbreitung und Globalisierung der Bandenproblematik<br />
leugnen.<br />
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
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134<br />
<strong>MOBILE</strong><br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
IN MINNEAPOLIS/<br />
ST. PAUL<br />
TRUDEE ABLE-PETERSON . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
1. BEREITSTELLUNG VON DIENSTLEISTUNGEN<br />
Freeport West. Inc.’s StreetWorks ist ein Zusammenschluss von Behörden in Minneapolis<br />
und St. Paul, die durch eine gemeinsame Vision und Mission zusammenkamen: hinauszugehen<br />
und obdachlosen Jugendlichen zu helfen, die sich in schwierigen Situationen befinden<br />
und besonders gefährdet sind im Bezug auf Ausbeutung und Gewalt. Über 30<br />
Mobile Jugendarbeiter sind immer in Paaren auf der Straße präsent in den Gebieten, in<br />
denen Jugendliche herumhängen. Als junge Mobile Jugendarbeiter ist es unser Ziel ein<br />
Vertrauensverhältnis zu schaffen, in dem Jungendliche sanfte Fürsorge und Zuwendung<br />
erfahren.<br />
Umfangreich Dienste, wie Obdachloseneinrichtungen, Drop-in Center, Programme für biographische<br />
Übergänge, medizinische Dienste and alternative Betreuungsoptionen bedeuten<br />
mehr Möglichkeiten für Jugendliche und eine bessere Koordination von Dienstleistungen<br />
und „insider“ Zugang zu diesen Dienstleistungen.<br />
Die Herausforderungen einer solchen Zusammenarbeit sind vielseitig. Praktiken und Standards<br />
– sind wir uns alle einig? Differenzen bei der Förderung, wie geben wir das Geld<br />
aus? Wie teilen wir Arbeiter ein?<br />
Was lernen wir daraus? Durch die Beziehungen lernen wir mehr über die Demographie<br />
von Obdachlosigkeit unter Jugendlichen, über den Bedarf an Dienstleistungen, Trends<br />
bei den Straßendrogen, Muster des Drogendealens und Internet gegen Straßenausbeu-
135<br />
tung. Die Jugendlichen assoziieren uns als Gruppe, wenn einer geht, wissen die Jugendlichen,<br />
dass professionelles Personal da ist, um ihnen zu helfen. Dieses Modell schafft<br />
unter Jugendlichen eine gewisse Sicherheit.<br />
Professionalität und Supervision: Supervisoren sind dazu aufgefordert, mit Mobilen Jugendarbeitern<br />
in jedes einzelne Viertel auf die Straße zu gehen. Sie füllen einen Fragebogen<br />
aus, der von dem Koordinator der Outreach Services erstellt worden ist, den man<br />
supervisorischer Fragebogen (SQFF) nennt. Dieser Fragebogen hat einige Fragen, die den<br />
Supervisor über den Fortschritt des Street Workers informieren, er dient dazu dessen Arbeitsbereiche<br />
zu sehen und herauszufinden, welche Art von Beziehungen der Mobile Jugendarbeiter<br />
mit Jugendlichen und Gemeindemitgliedern einschließlich anderer<br />
Professioneller hat, welche Fähigkeiten er/sie hat und welches Kompetenztraining er/sie<br />
braucht um seine/ihre Arbeit zu optimieren. Der SQFF wird bei dem Koordinator der Outreach<br />
Services am Ende jedes Quartals eingereicht, wenn ein Treffen mit dem Supervisor,<br />
dem Arbeiter und dem Koordinator der Outreach Services stattfinden kann. Normalerweise<br />
brennen Mobile Jugendarbeiter darauf, den Supervisor mit auf die Straße zu nehmen<br />
um ihm/ihr die Arbeit zu zeigen, die sie machen. Neue Supervisoren, die Mobile<br />
Jugendarbeit auf der Straße nicht kennen, müssen öfter auf die Straße gehen und eine<br />
ähnliche Ausbildung absolvieren wie neue Mobile Jugendarbeiter. Eine der Komponenten<br />
der Qualifizierung neuer Mobiler Jugendarbeiter ist unten unter 3. detailliert aufgeführt,<br />
das gemeinschaftliche Modell des Querschnittstrainings.<br />
Spezialisierung und Engagement einer facettenreichen Bevölkerungsgruppe:<br />
LBTQQI – diese Bevölkerungsgruppe mag sich von anderen Bevölkerungsgruppen unterscheiden,<br />
oftmals mögen LGBTQQI, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Homosexuelle, Leute,<br />
die ihr Geschlecht in Frage stellen oder transsexuell sind (früher als Hermaphrodite bezeichnet)<br />
aus Elternhäusern kommen, wo Armut vorherrschend ist, aber oftmals kommen<br />
sie auch aus Mittel- und Oberschichtsfamilien und werden abgelehnt aufgrund ihrer sexuellen<br />
Orientierung.<br />
Wegen der Ablehnung von Familie und Freunden, sind diese jungen Leute noch gefährdeter<br />
unter der Straßenbevölkerung. Transsexuelle Jugendliche sind mit noch größeren Herausforderungen<br />
konfrontiert, wenn sie obdachlos werden und zu oft kommt es vor, dass<br />
Frauen, die sich als Mann fühlen, sexuell ausgebeutet werden, besonders farbige Jugendliche.<br />
Jugendliche, die sich prostituieren – Jugendliche die in Prostitution involviert sind,<br />
benutzen oft den Sex zum Überleben oder sie sind dazu gezwungen Sex gegen einen<br />
Schlafplatz, Essen, Geld zum Überleben oder Drogen zu tauschen.<br />
Meinungen gehen weltweit auseinander, ob Jugendliche darüber entscheiden können sollen,<br />
sich selbst zu prostituieren, ebenso wie das konsensuelle Alter in verschiedenen Län-
136<br />
dern. Wir wissen jedoch durch aktuelle und gründliche Studien, dass das Teenagergehirn<br />
unfertig ist! Auch wenn Teenager und junge Erwachsene in verschiedenen Kulturen unterschiedliche<br />
präsentiert werden, was ihre Verantwortung und Reifung angeht, zeigen<br />
Studien, dass das junge Gehirn noch nicht fertig ist bis in die frühen 20er Jahre, weil der<br />
präfrontale Kortex noch in der Entwicklung ist. Wie kann also eine 14-jähriges Kind eine<br />
Entscheidung fürs Leben treffen ein/e Prostituierte/r zu werden, wenn er/sie nicht die gespeicherte<br />
Erfahrung hat, dieses Leben mit anderen Erfahrungen zu vergleichen?<br />
Jugendliche mit Migrationshintergrund:<br />
Offene Grenzen heißt, dass Jugendliche, die sich über die Landesgrenzen hinausbewegen<br />
auf missbrauchenden Arbeitsmärkten und für Dealergeschäfte benutzt werden. Diese<br />
Kinder und Jugendlichen haben oft keine Familie oder sind manchmal sogar die einzigen<br />
Verdiener in der Familie. Mobile Jugendarbeiter können dabei helfen diese Bevölkerungsgruppe<br />
zu stabilisieren, aber solange die Armut in der Welt nicht wirklich bekämpft wird,<br />
werden keine Gesetze, die Kinder schützen verabschiedet. In den Vereinigten Staaten<br />
kommen viele nicht registrierte Jugendliche aus den Nachbarländern in Zentralamerika,<br />
wo Armut und Gewalt sehr hoch sind. Wir sehen natürlich keine Jugendlichen von Kanada<br />
über die Grenze kommen! Angelegenheiten für Mobile Jugendarbeiter in den USA sind Jugendliche,<br />
die illegal ankommen und in Sexgeschäfte oder Arbeit hineingeschmuggelt<br />
werden oder einfach in auf der Straße enden und durch Drogendeals und andere kriminelle<br />
Aktivitäten überleben. Wenn diese Jugendlichen festgenommen werden, werden sie zurück<br />
nach Zentralamerika geschickt und damit zu der Gewalt und Armut, aus der sie ursprünglich<br />
entflohen sind. Die USA müssen ihre Einwanderungspolitik grundlegend ändern.<br />
Reisende junge Leute und Hausbesetzer-Jugendliche:<br />
Diese meist jungen Leute sind Jugendliche, die einer Gegenbewegung angehören, sie<br />
springen auf Züge auf und reisen durch die USA. Diese Gemeinschaft ist sehr unter sich,<br />
sie bleibt in Kontakt und teilt Informationen miteinander durch Mundpropaganda oder<br />
durch das Nutzen von Computern in Bibliotheken, wenn sie in Städten Halt machen. Sie<br />
reisen oft in Gruppen oder haben bestimmte Treffpunkte, an denen sie für einen bestimmten<br />
Zeitraum zelten. Mobile Jugendarbeiter unterstützen sie oft mit Essen, freier medizinischer<br />
Versorgung oder indem sie ihnen den elementarem Reisebedarf wie Rucksack,<br />
Campingplane oder Kleider ersetzen. Ihre philosophischen Sichtweisen sind oft anarchistisch<br />
und sie beabsichtigen meist nicht sich an einem Ort langfristig niederzulassen oder<br />
einen festen Job anzunehmen. Sie nehmen oft Jobs an, die in gewisser Kapazität auf der<br />
Straße zu bekommen sind, wie zum Beispiel auf kleinen Jahrmärkten oder als Obst- oder<br />
Gemüsepflücker, Handarbeit und einige Frauen strippen in Discos für kurze Zeit.
137<br />
2. EIN GEMEINSCHAFTLICHES MODELL IN QUERSCHNITTSTRAINING<br />
Die Bildungsinhalte einer gemeinschaftlichen Ausbildung – Die Ausbildung von neuen Mobilen<br />
Jugendarbeitern ist sehr intensiv. Sie beinhaltet drei Orientierungstreffen mit Trudee<br />
Able-Peterson (Koordinatorin der Outreach Services) und dem Supervisor der Mobilen<br />
Jugendarbeiter. Es wird kritisch gesehen, dass der Supervisor an den Treffen teilnimmt<br />
und hört was die gemeinschaftlichen Erwartungen an den Mobilen Jugendarbeiter und<br />
den Supervisor sind. Siehe auch die Orientierung für neue Mobile Jugendarbeiter an dem<br />
sich die Themen anlehnen, die während der zwei- bis drei-stündigen Ausbildungstreffen<br />
abgedeckt werden.<br />
Der Mobile Jugendarbeiter muss alle 12 Partnerorganisationen besuchen und das Personal<br />
in den einzelnen Behörden treffen um die Leute besser kennen zu lernen, mit denen<br />
er/sie in Zukunft zusammenarbeitet, sei es in einer Obdachlosenunterkunft, einer Dropin<br />
Einrichtung oder in einem Programm für unabhängiges Wohnen. Außerdem wird von<br />
ihnen verlangt, die ungefähr 20 anderen Dienstleistungsunternehmen, so wie Wohlfahrtsund<br />
Regierungszentren, lokale Krankenhausnotfalleinrichtungen, andere Jugendprogramme,<br />
die nicht Mitglieder des Zusammenschlusses sind und Organisationen für erwachsene<br />
Obdachlose. Diese Besuche sind entscheidend für den Beziehungsaufbau mit<br />
jedem, mit dem sie in der Gemeinde zusammenarbeiten müssen.<br />
Zusätzlich zu den Projektbesuchen, wird der Mobile Jugendarbeiter zu seiner ersten Straßenbegleitausbildungseinheit<br />
mit der Koordinatorin von Outreach Services und 10 zusätzlich<br />
Begleitausbildungseinheiten mit einer Vielfalt der Teams (ein mehr als 30<br />
Mitglieder starkes Team Mobiler Jugendarbeit) für 10 zusätzliche Hospitationseinheiten.<br />
Die letzte Einheit ist noch einmal mit der Koordinatorin der Outreach Services, bevor<br />
der/die Mobile Jugendarbeiter/in anerkannt wird und die grüne SteetWorks Tasche bekommt.<br />
Während dieses Prozesses, beruft der Supervisor des neuen Mobilen Jugendarbeiters<br />
Mobile Teams ein (die normalerweise in Paaren arbeiten) um ihnen für die<br />
Zusammenarbeit in der Ausbildung des neuen Mobilen Jugendarbeiters zu danken und<br />
um Feedback zu bekommen wie der Mobile Jugendarbeiter arbeitet.<br />
Wenn alle Hospitationseinheiten beendet sind und alle Einrichtungen besucht sind, haben<br />
der Mobile Jugendarbeiter und der Supervisor ein drittes und letztes Orientierungstreffen<br />
mit der Koordinatorin der Outreach Services und dem Assistenten des Street Work Programme<br />
um die Verantwortung der Schreibarbeit, Formulare, Arbeitzeitblätter, Datensammlung<br />
und das Ausfüllen seines/ihres Kalenders zu lernen. Zu diesem Zeitpunkt<br />
erhalten sie die grüne Tasche von StreetWorks, die StreetWorks mit folgendem ausstattet:<br />
Mobile Jugendarbeit Karten, Kondome, Fahrkarten, „Notfall“ Essen oder Essensbons, Hygiene<br />
Artikel, T-Shirts, Socken, Unterwäsche, Mützen, Handschuhe, Schals (im Winter) und
138<br />
anderen Grundbedarfsartikeln. Der Mobile Jugendarbeiter kann immer wenn das Büro<br />
besetzt ist, ins StreetWorks Büro kommen um die Versorgungstasche aufzufüllen Diese<br />
grüne Tasche zu bekommen ist normalerweise ein stolzer Moment für den Mobilen Jugendarbeiter,<br />
weil er sehr hart gearbeitet hat um diese zu bekommen. Es dauert typischerweise<br />
zwischen vier und acht Wochen, um diese Tasche zu bekommen, das hängt<br />
von der Fähigkeit des neuen Mobile Jugendarbeiters ab, alle Ausbildungsschichten und<br />
Projektbesuche zu absolvieren.<br />
3. ORIENTIERUNG FÜR NEUE <strong>MOBILE</strong> <strong>JUGENDARBEIT</strong>ER<br />
Orientierung I (Supervisor und Mobiler Jugendarbeiter)<br />
a. Geschichte von Mobiler Jugendarbeit in der Stadt und den Vororten von Minneapolis/<br />
St. Paul<br />
b. Vision und Ziele des Programms<br />
c. Erwartungen an den Mobilen Jugendarbeiter<br />
d. Ethische Normen in Mobiler Jugendarbeit (Ethik und Grenzen mit Jugendlichen und<br />
Teammitgliedern)<br />
e. Zusammenhang von Dienstleistungen und Ressourcen<br />
f. Behörden, die man kennen lernen muss (das beinhaltet: ein Programm mit Jugendlichen<br />
und Erwachsenen aufstellen, Spezialisten in Subkulturen, etc.)<br />
g. Plan der Verantwortlichkeiten des Supervisors<br />
h. Zeitplan der ersten Ausbildungseinheit mit der Koordinatorin von Outreach Services<br />
und das Festlegen von zehn weiteren Hospitationseinheiten mit Teammitgliedern.<br />
Orientierung II<br />
a. Methodik Mobiler Jugendarbeit<br />
b. Case Management<br />
c. Selbstmord - Risiko - Intervention<br />
d. Safer Sex, HIV und sexuell übertragbare Krankheiten<br />
e. Geistige Gesundheit<br />
f. Mobile Jugendarbeiter und Gemeinwesen<br />
g. Sicherheitsprotokoll<br />
h. Diskussion über weitere Ausbildungsarbeitseinheiten in Mobiler Jugendarbeit, Stile<br />
Mobiler Jugendarbeit, das sie sehen, Zielbevölkerungsgruppen, Stadtteile, in denen sie<br />
eingeteilt sind, Herausforderungen, was läuft gut.<br />
Orientierung III (Supervisor und Mobiler Jugendarbeiter)<br />
a. notwendige Schreibarbeit
139<br />
b. Besprechung der Arbeitsschichten und Behördenbesuche<br />
c. Arbeit mit sexuell ausgebeuteten Jugendlichen<br />
d. Arbeit mit lesbischen, homosexuellen und transsexuellen Jugendlichen<br />
e. Klärung der Ziele<br />
f. Klärung der Ressourcen.<br />
Die Mobilen Jugendarbeiter können auf eine professionelle Gruppe sowohl mit Lebens- als<br />
auch mit akademischer Erfahrung zurückgreifen, die ihnen während ihrer Ausbildung und<br />
solange sie ihre Expertise entwickeln zur Verfügung steht. Die Teammitglieder reflektieren<br />
die alten und neuen Bevölkerungsgruppen in dem städtischen Teil der Zwillingsstädte<br />
Minneapolis und St. Paul, die sehr vielfältig sind, z.B. die größte Hmong-Bevölkerung der<br />
USA außerhalb Kaliforniens, eine neue Bevölkerungsgruppe von Ost- und Westafrikanern,<br />
eine riesige Bevölkerungsgruppe Zentralamerikaner, von denen viele nicht registriert sind,<br />
neue Osteuropäer und Russen, Muslime aus vielen Ländern des Nahen Ostens, eine sehr<br />
große Gruppe Afroamerikaner, Nachkommen von Euro-Amerikanern, die sich zu Beginn<br />
des 18. und 19. Jahrhunderts im Mittleren Westen niedergelassen haben und natürlich<br />
amerikanische Ureinwohner. Minneapolis in Minnesota hat die größte städtische Bevölkerung<br />
von Ureinwohnern aller Städte in den USA.<br />
Unser unterschiedliches Team umfasst Leute, die Erfahrungen mit Obdachlosigkeit haben,<br />
einschließlich junger Mobiler Jugendarbeiter, die ihren ersten Job haben, sowie ältere<br />
Mobile Jugendarbeiter, die Erfahrung mit Obdachlosigkeit gemacht haben, als sie jünger<br />
waren, solche die Soziologie oder Sozialpädagogik studiert haben und akademische und<br />
theoretische Erfahrung in die Gruppe einbringen. Welche vorherigen Studien oder Erfahrungen<br />
sie auch immer gemacht haben, sie bringen alle ein starkes Engagement in der Arbeit<br />
mit jungen Leuten und eine Bereitschaft mit, auf der Straße und im Gemeinwesen zu<br />
arbeiten auch während der kalten Winter und windigen Sommer in Minnesota!<br />
Vergrößerung des Teams, Herausforderungen oder Änderungen im Team:<br />
Die StreetWorks Collaborative hat zur Zeit 12 Behördenmitglieder. Unser Team ist von 20<br />
Mobilen Jugendarbeitern auf mehr als 30 angewachsen. Einige Mobile Jugendarbeiter<br />
arbeiten Vollzeit 40 Stunden die Woche, andere arbeiten Teilzeit (10-20 Stunden die<br />
Woche). Es gibt nur drei StreetWorks Mitarbeiter, die da sind um Kollegen zu helfen. Der<br />
StreetWorks Manager, die Koordinatorin von Outreach Services und der Programmassistent.<br />
Es ist eine Herausforderung die Mobilen Jugendarbeit immer voll auszustatten, mit<br />
der Datensammlung und dem Programm immer auf dem neuesten Stand zu sein, Berichte<br />
an Geldgeber zu schreiben, den monatlichen Kalender für das Team zu machen, die<br />
StreetWorks Collaborative in Gemeinwesentreffen und bei Veranstaltungen zu vertreten,<br />
das monatliche Treffen der Mitglieder des Zusammenschlusses zu planen und zu organi-
140<br />
sieren und Weiterbildungsmöglichkeiten zu organisieren um die Kapazitäten aller Teammitglieder,<br />
Mobilen Jugendarbeiter und Supervisoren zu vergößern.<br />
Mobile Jugendarbeiter wechseln auch manchmal den Job und es liegt in der Verantwortung<br />
der Mitglieder des Zusammenschlusses neue Mitarbeiter in unserem Arbeitfeld willkommen<br />
zu heißen und das Team neu zu bilden. Die Mitarbeiter der StreetWorks<br />
Collaborative planen auch eine jährliche Teambildungsveranstaltung für Mobile Jugendarbeiter.<br />
Ende 2008 hatten wir einen „ Wellness und Genießer-Abend für Mobile Jugendarbeiter“.<br />
Die Mobilen Jugendarbeiter konnten wählen zwischen Maniküre, Pediküre,<br />
Massagen, Sauna und Whirlpool, Essen vom Catering Service, Belohnungsgutscheinen<br />
und Geschenken.<br />
Nachfolgeplanung: Es ist wichtig ein Gleichgewicht unter den Teammitgliedern zu haben.<br />
Einige sind sehr routiniert und sind schon Mobile Jugendarbeiter seit 10 bis 15 Jahren, andere<br />
sind noch am Anfang ihres Ausbildungsprozesses und viele sind StreetWorks Mitglieder<br />
seit drei bis sechs Jahren. Das ist ein interessanter Mix aus Erfahrung und neuer<br />
Energie. Das Alter unserer Mitarbeiter reicht von 18 bis 50. Die Ausbilderin und Koordinatorin<br />
von Outreach Services ist 65 Jahre alt! Es ist auch wichtig für die StreetWorks Mitarbeiter<br />
die Nachfolge der Jobs zu planen. Die Koordinatorin arbeitet daran ein Skript zu<br />
entwickeln, das die Verantwortlichkeiten jeder Position detailliert aufführt. StreetWorks<br />
wird einen „Leiter der Mobilen Jugendarbeiter“ einstellen in der zweiten Hälfte von 2009,<br />
der die Koordinatorin für den Rest des Jahres 2009 bei ihrer Arbeit begleiten wird.<br />
Es ist auch wichtig, dass es einer Überlappung der Arbeit gibt, so dass unser weniges Personal<br />
über die Verantwortlichkeiten der anderen Positionen bescheid weiß und die Arbeit<br />
des Einzelnen transparent ist, so dass falls jemand seinen Job niederlegt, ein/e andere/r<br />
Mitarbeiter/in seine/ihre Aufgaben zumindest vorübergehend übernehmen kann bis eine<br />
neue Person eingestellt wird.<br />
4. KOOPERATION MIT REGIERUNGSVERTRETERN, INSTITUTIONEN UND BEWOHNERN<br />
Änderung des Systems durch Partnerschaft mit der Regierung, Stiftungen, Privatpersonen<br />
und Nichtregierungsorganisationen:<br />
Es ist wichtig, Geldgeber kennen zu lernen und sie über die wechselnden Bedürfnisse der<br />
jugendlichen Obdachlosen in Kenntnis zu setzen. Durch die Kenntnis der Bedürfnisse können<br />
wir für finanzielle Unterstützung und eine Gesetzgebung eintreten um Gerechtigkeit<br />
und Möglichkeiten für Jugendliche durchzusetzen. Wir laden Geldgeber zu unseren Programmen<br />
ein, bieten ihnen an sie auf eine Street Work Tour mitzunehmen und einige der<br />
Jugendlichen kennen zu lernen. Wir bauen auch Beziehungen zu lokalen, regionalen und<br />
nationalen Regierungsbehörden und politischen Vertretern auf. Bei einer jährlichen Kon-
141<br />
ferenz in Washington D.C., dem National Network 4 Youth Symposium machen Mobile Jugendarbeiter,<br />
Jugendarbeiter, Manager, Supervisoren, Jugendliche und ausführende Direktoren<br />
der einzelnen Staaten Termine mit Senatoren und Regierungsvertretern und<br />
besuchen sie in Gruppen um für mehr finanzielle Unterstützung für den Runaway and<br />
Homeless Youth Act (RHYA) einzutreten, das sind Bundeszuschüsse für Basiszentren (mit<br />
Notfallbetten), übergangsweise und dauerhafte Wohnangebote und Programme der Mobilen<br />
Jugendarbeit. Natürlich ermutigen wir die Jugendlichen zu wählen und organisieren<br />
für sie Wahlmöglichkeiten, so dass sie auch ihre Meinung zum politischen System äußern<br />
können. Zuschüsse können von der politischen Philosophie der gewählten Mehrheit, die<br />
nach Washington gehen, abhängen, es ist also kritisch zu sehen, sich lediglich auf lokale<br />
Politiker einzulassen. Zum ersten Mal haben Mobile Jugendarbeiter 2006 mit Politikern<br />
in Minnesota gearbeitet um den ersten RHYA des Staates zu verabschieden. Obwohl dies<br />
ein Gesetz der Staaten ist, hat nicht jeder Staat seinen eigenen RHYA. Wenn es einmal<br />
durchgesetzt ist, bedeutet das, dass Zuschüsse für Programme in diesem Staat bereitgestellt<br />
werden müssen.<br />
Staats- und Landesmodelle zum Beenden von Obdachlosigkeit: Viele Staaten in den USA<br />
haben jetzt Modelle zum Beenden von Obdachlosigkeit in ihrem Staat. Minnesota hat ein<br />
solches Modell, das auf 20 Jahre ausgelegt ist und es gilt als eines der besten Modelle des<br />
Landes laut der National Alliance to End Homelessness (Nationale Allianz um Obdachlosigkeit<br />
zu beenden). Es gibt viele Ausschüsse, die in den Planungsprozess integriert sind<br />
sowohl auf dem Land als auch in der Stadt. Die Stiftungen von Minnesota sind auch ein<br />
Teil des Planungsprozesses, der mehr erschwingliche Wohnungen und Unterstützungsdienste<br />
wie zum Beispiel Drogenmissbrauchstherapien, Case Management und Mobile Jugendarbeit<br />
beinhaltet.<br />
Was Profis beachten sollten bei der Einbeziehen der Öffentlichkeit:<br />
Tragen sie ihr Thema auf vielfältige Art und Weise an die Öffentlichkeit, sprechen sie mit<br />
den Medien und der Presse, sprechen sie auf lokalen Radioprogrammen, Fernsehsendungen,<br />
in Kirchen, Synagogen, Moscheen und Tempeln. Erzählen sie ihren Nachbarn, ihren<br />
Verwandten und ihren Freunden davon. Lassen sie die Jugendlichen ihre Geschichten erzählen,<br />
aber treffen sie Vorkehrungen, denn die Jugendlichen können von den Medien<br />
ausgenutzt werden. Gehen sie sicher, dass die Jugendlichen wissen was sie tun, wenn sie<br />
mit dem Markt der Medien zu tun haben und seien sie dabei, wenn es stattfindet! Sagen<br />
sie den Jugendlichen, dass sie Fragen, die ihnen unangenehm sind, nicht beantworten<br />
müssen. Nutzen sie ehrenhafte Medienressourcen, so wie Zeitungsreporter, von denen<br />
sie gelesen haben und wissen, wie sie an Fragen herangehen.Bauen sie Beziehungen zu<br />
guten Reportern auf. Nutzen sie öffentliche Sendungen des Radios oder Fernsehens, wenn<br />
es sie in ihrem Stadtteil gibt. Sie sind in der Regel objektiver und mitfühlender.
142<br />
Gemeinwesenarbeit mit Bewohnern und Institutionen<br />
Betroffene Menschen treffen: Dies können Politiker sein und Vertreter von Stiftungen,<br />
aber auch Leute, die in der Kirche etwas zu sagen haben oder sogar ältere Menschen im<br />
Gemeinwesen. Die wichtigsten Menschen, mit denen man sich treffen sollte, sind Jugendliche.<br />
Gruppen von Jugendlichen sollten beobachtet und erforscht werden, um sicher zu<br />
gehen, dass man auf ihre Bedürfnisse eingeht.<br />
Ausschüsse bilden und einen Arbeitsplan erstellen mit den folgenden Mitgliedern: Jugendliche,<br />
Polizeireviere, Lehrer und Sozialarbeiter, medizinisches Personal, Organisationen<br />
(Beratungsdienste) gegen sexuellen Missbrauch, Rechtsdienste, kulturelle Vertreter,<br />
Organisationen für Ausreißerjugendliche, Vertreter aus der Nachbarschaft, Parlamentsund<br />
Regierungsvertreter. Lehrende und Studenten der lokalen Universitäten aus den Bereichen<br />
der Soziologie, Sozialpädagogik und Medizinauf sollten die Realität obdachloser<br />
Jugendlichen angesprochen und über Mobile Jugendarbeit aufgeklärt werden. Partnerschaften<br />
ins Leben rufen mit allen Parteien, die im Kontakt mit Jugendlichen stehen, um<br />
zu lernen, wie man besser zusammenarbeiten und Gefährdungen wie Obdachlosigkeit<br />
und sexueller Missbrauch erkennen kann.<br />
Durch eine vielfältige Zusammenarbeit erhalten die Jugendlichen professionellere und zuverlässigere<br />
Dienstleistungen.<br />
Referenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
“Mobile Jugendarbeit ist mehr als Unterschlupf gewähren auf der Straße“, Margo Hirsch, Empire<br />
Coalition of Youth in New York City. Zitat im Original: “Street work is not just shelter work outside”<br />
Margo Hirsch, Empire Coalition of Youth and Family Services, NYC, NY
143<br />
DAS KONZEPT<br />
DER <strong>MOBILE</strong>N<br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
IN KENIA<br />
Davies Okombo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Die Situation der Straßenkinder erregt weiterhin große Sorge und Interesse. In Kenia zeigen<br />
Studien, dass es ungefähr 250 000 Straßenkinder gibt und die Anzahl scheint zu<br />
steigen. Es gibt viele Faktoren, die entweder in Kombination oder allein zu der steigenden<br />
Anzahl von Straßenkindern und –jugendlichen beitragen.<br />
Studien zufolge lebt 60% der kenianischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze,<br />
was bedeutet, dass sie weniger als einen US-Dollar am Tag ausgeben. Die Familien sind<br />
deshalb nicht in der Lage die Grundbedürfnisse zu befriedigen, wie Essen, Obdach und Bildung<br />
für die Kinder. HIV/AIDS hat auch zum Leiden der Kinder beigetragen, da es in Kenia<br />
1,5 Millionen Waisen aufgrund von AIDS gibt. Folglich fehlt es den Waisenkindern an Unterstützung<br />
und Fürsorge und sie entscheiden sich dafür auf der Straße zu bleiben.<br />
Die Straßenkinder erleben auf der Straße sehr viel Leid, da sie auf dem kalten Gehweg<br />
schlafen. In vielen Fällen haben sie nichts zu essen, was ihren Gesundheitszustand beeinträchtigt.<br />
Sie leiden unter körperlichem und sexuellem Missbrauch und sind aufgrund dessen<br />
traumatisiert. Viele sind mit Geschlechtskrankheiten einschließlich HIV/AIDS infiziert.<br />
Die traditionellen Praktiken und Interventionen, besonders das Aufbauen von Kinderheimen,<br />
scheinen darin versagt zu haben in angemessener Art und Weise auf die Notlage<br />
von Straßenkindern einzugehen. Tatsächlich zeigen mehreren Studien, dass die Mehrheit<br />
der Straßenkinder Zeit in einem Kinderheim verbracht haben, aber sich dazu entschieden<br />
aus demselben wieder wegzulaufen.<br />
Um gegen diesen Hintergrund anzukämpfen, wurde ein professionelles, wissenschaftliches<br />
Konzept notwendig. Das Konzept Mobiler Jugendarbeit füllte das Vakuum und es<br />
scheint dafür gemacht zu sein einen professionellen Ansatz in die Einrichtungen zu bringen.
144<br />
Die Komponenten des Konzepts nämlich: Street Work, Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit und<br />
Gemeinwesenarbeit arbeiten viel genauer auf das Finden von Lösungen für die Phänomene<br />
der Straßenkinder hin.<br />
Besonders Street Work hat sich als außerordentlich wertvoll herausgestellt beim Aufbau<br />
von Vertrauen zwischen Sozialarbeitern und Straßenkindern. Wie es das Konzept vorsieht,<br />
gehen Sozialarbeiter auf Straßenkinder zu und führen Gespräche, um sich in der Interaktion<br />
Informationen über die vorhandenen Dienste zu verschaffen. Ein paar Sozialarbeiter<br />
machen Night Street Work, eine sehr risikoreiche Aufgabe aufgrund der erhöhten Unsicherheit<br />
und die Verbreitung kleiner Waffen. Es wird beobachtet, dass Street Work auch<br />
auf Seiten der Behörden auf Widerstand stößt, die irrtümlicherweise glauben, dass Street<br />
Work das Leben auf der Straße für die Straßenkinder komfortabler macht. Dieser Denkschule<br />
zufolge sollte das Straßenleben ziemlich unerträglich für Straßenkinder sein um<br />
sie dazu zu bringen nach Hause zurückzugehen!<br />
Gruppenarbeit wird auch aufgrund der Tatsache als notwendig weil die Straßenkinder<br />
dafür bekannt sind, sich in Gruppen aufzuhalten, die sie „bases“ nennen: In Kisumu in<br />
Kenia, haben die Kinder ihren „bases“ interessante Namen gegeben: Taliban base, Kingdom<br />
base, Baghdad base, Akamba base etc. Die „bases“ bestehen aus mindestens fünf<br />
Straßenkindern, die im allseitigen Einverständnis einen Anführer auswählen. Die Anführer<br />
haben sehr viel Einfluss und aus diesem Grund ist Gruppenarbeit notwendig. Gruppenarbeit<br />
in verschiedener Form, einschließlich Gruppenberatung und Street Soccer.<br />
Einzelfallhilfe wird auch angeboten nach einer sorgfältigen Analyse des Hintergrunds des<br />
Kindes. Es ist die Pflicht eines Sozialarbeiters beim Hintergrund der Kinder nachzuhaken<br />
und dann bei der Entwicklung eines individuellen Verfahrensplans mit dem jeweiligen<br />
Kind zusammen zu arbeiten. Diese Theorie erkennt an, dass jedes Kind einzigartig und besonders<br />
ist und individuelle Bedürfnisse hat. Basierend auf dem Hintergrund des Kindes,<br />
kann ein individueller Verfahrensplan die Unterkunft in ein Kinderheim oder die Reintegration<br />
in seine Familie oder in die Schule einschließen.<br />
Letztendlich ist das Gemeinwesen auf einer anderen Ebene gefragt um auf die Notlage<br />
von Straßenkindern zu reagieren. Die Geschäftsgesellschaft, besonders der Rotary Club,<br />
diskutiert auch die Probleme von Straßenkindern und arbeitet bei der Problemfindung zusammen.<br />
Die „Slum“-Gemeinde wird besonders durch Mikrokreditprogramme unterstützt,<br />
als eine Maßnahme um die Bewegung der Kinder aus den Slums auf die Straße zu stoppen.<br />
Es ist jedoch wichtig anzuerkennen, dass ein großes Publikum in Kenia zum ersten Mal im<br />
Jahr 2003 von dem Konzept gehört hat, während des achten internationalen Symposiums.<br />
Es hat lange gedauert, bevor die Organisationen angefangen haben, das Konzept anzunehmen.<br />
Zusammenfassend ist zu sagen, dass das Konzept Mobile Jugendarbeit hoffentlich einen<br />
langen Weg gehen wird um langfristige Lösungen für das Problem der Straßenkinder zu<br />
finden, nicht nur in Kenia, sondern auch in ganz Afrika.
145<br />
STRASSENKINDER<br />
IN PERU UND DIE<br />
MÖGLICHKEITEN<br />
VON <strong>MOBILE</strong>R<br />
<strong>JUGENDARBEIT</strong><br />
José Alvaro Ruiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Sehr geehrte Damen und Herren, ich bedanke mich bei allen, die in der Organisation des<br />
9. Internationalen Symposiums der Mobilen Jugendarbeit mitgearbeitet haben, das unter<br />
dem Thema “Reaching the Unreachable” steht. Ebenso gehen meine Glückwünsche an<br />
die deutsche Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel, die sich durch ihre Schirmherrschaft<br />
an der Entwicklung des Symposiums beteiligte. Durch das Symposium wurden die<br />
Herausforderungen deutlich, denen Personen und Organisationen bei der Prävention und<br />
Lösung großer Probleme, mit denen die Jugendlichen der Welt aus verschiedenen sozialen<br />
Gründen konfrontiert sind, gegenüberstehen.<br />
Vielen Dank für diese Möglichkeit ein bisschen über Peru zu sprechen, über seine soziale<br />
Wirklichkeit und die Möglichkeiten der Mobilen Jugendarbeit.<br />
Die Mobile Jugendarbeit, eine Form der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, die sich mit<br />
den Problemen von Kinder und Jugendlichen, die auf der Straße leben und sich in gefährlichen<br />
Situationen befinden, geht über die Probleme, die sie bis zum heutigen Tag<br />
des Symposiums angepackt hat, weit hinaus. Vielmehr haben die Probleme ihren Ursprung<br />
in tiefgreifenden sozialen Problemen der Familien, die in Armut und extremer<br />
Armut leben. Diese Kategorien, die schwierig zu überwinden sind, sind die Quelle der Existenz<br />
von Kindern und Jugendlichen, die sich auf der Straße aufhalten, um zu überleben.<br />
Solange diese Kategorien bestehen, wird es Kinder und Jugendliche geben, die auf der<br />
Straße leben, betteln und sozialen Gefahren ausgesetzt sind.
146<br />
1. DIE SOZIALE REALITÄT IN PERU<br />
In Peru ist die Armut alarmierend. Sie steigt jeden Tag. Mehr als 45% der Bevölkerung<br />
leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Verschiedenartigkeit des geographischen Kontexts,<br />
den riesige Gebirgsketten auszeichnen, die gleichzeitig das Land in acht Regionen<br />
oder ökologische Nischen einteilt und von denen jede einzelne dieser ökologischen Nischen<br />
eine Verschiedenartigkeit hervorbringt, die von der Bevölkerung bis zu den Wäldern<br />
reicht.<br />
Unabhängig von seinen ökologischen Nischen ist Peru ein Mosaik von Kulturen, wo spanisch,<br />
kechua und aymará die offiziellen Landessprachen sind, aber die in der peruanischen<br />
Gesellschaft nicht bedingungslos als Kommunikationsmedium akzeptiert werden.<br />
Ketchua (Sprache des Inka-Reiches) wird von wenigen Peruanern gesprochen, es gibt drei<br />
Varianten und in der Selva spricht man 53 Dialekte und es ist noch nicht erforscht wie<br />
viele verschiedene Dialekte es gibt.<br />
Selva beherbergt bis heute die größte Vielzahl an Pflanzen- und Tierarten der Erde, die<br />
heute überflüssig zu werden beginnt aufgrund die Ambitionen des Welthandels. Ironischerweise<br />
muss sich die Bevölkerung, die in der Selva in Peru lebt, mit vielen Dingen<br />
herumschlagen, mit Elend, dem Immigrationsschub, jeglicher Art von Kinderarbeit und<br />
Jugendlichen die Gefahren ausgesetzt sind, dem Mangel an Beachtung eines wünschenswerten<br />
Gesundheitszustandes, dem Mangel an Bildung und Kommunikationsmedien. Obgleich<br />
lebt der größte Prozentsatz der Armen in den ländlichen Regionen der<br />
Gebirgsketten in Peru, das sind mehr oder weniger 3,8 Millionen Leute, in er Metropole<br />
Lima leben 2,7 Millionen und in den Küstenstädten 2,4 Millionen.<br />
Die Abwanderungsbewegung vom Land in die großen Städte wächst zunehmend, das<br />
führt dazu, dass die Situation von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien noch leidvoller<br />
wird. Lima, der Ort an dem sich alle internationalen und viele nationale Organisationen<br />
befinden, ist das Zentrum der Anziehung vieler Arten von Möglichkeiten,<br />
besonders der Utopie Lebensqualität zu erreichen. Außer dieser Bevölkerungskonzentration<br />
gibt es auch eine Konzentration an sozialen Problemen der Familien, der Kindheit<br />
und Jugend, die mit all der sozialen Gefahr lebt. Lima – das ist die peruanische Bevölkerung.<br />
Die Ansammlung der Mächte und die tiefgreifende Ungleichheit der Verteilung von<br />
Reichtümern ist auch einer der Gründe für Mobile Jugendarbeit.<br />
Auf der anderen Seite wird die soziale Realität des Lebens der Ärmsten in Peru geheimgehalten<br />
gegenüber den Entwicklungsländern, zum Beispiel, um das Gipfeltreffen des Forums<br />
für Asiatisch-Pazifische Wirtschaftlichen Zusammenarbeit (APEC) vor kurzem<br />
umzusetzen (dies fand auch in einigen peruanischen Städten statt), bei dem viele Länder-
147<br />
beauftragte der Welt anwesend waren, unter anderem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel,<br />
setzte die Regierung übermenschliche Kräfte in Bewegung und investierte viel Geld<br />
um Kinder und Jugendliche, die auf der Straße Süßigkeiten und Zigaretten verkaufen,<br />
Schuhe putzen, Almosen erbetteln und klauen, von der Straße wegzuschaffen, um die<br />
Realität der geheimen Praktiken von Prostituierten zu verheimlichen, um die Banden und<br />
Fußballfanatiker zu verdrängen und die Anwesenheit der Straßenverkäufern etc. zu verbieten<br />
durch die Anwesenheit von tausenden Politikern. Besser gesagt, man zeigte das<br />
Schöne, das Touristische.<br />
Das riesige Ausmaß der Auswirkungen der sozialen und familiären Realität in Peru kommt<br />
durch die Beweggründe der Arbeit von Kindern und Jugendlichen auf der Straße zum<br />
Ausdruck. Kinder und Jugendliche, die zu Hause körperlich, geistig und sexuell missbraucht<br />
worden sind. Kinder, die vor grausamen Strafen ihrer Eltern fliehen und einen<br />
Zufluchtsort suchen an irgendeinem Ort der Stadt und später zu einer Bande dazugehören.<br />
Aber auch die Tyrannei der Armut der Familie setzt sie der Straße aus um einen Teil<br />
zum Einkommen der Familie beizutragen, sei es mit dem Verkauf von Süßigkeiten in Minibussen,<br />
in Bars oder an der Straßenecke. Kinder und Jugendliche, die einige Münzen<br />
verdienen wollen, indem sie schwere Karren auf dem Markt schieben oder ihren Vätern<br />
und Müttern helfen. Kinder und Jugendliche, die im Halbschatten von Alkohol, Drogenabhängigkeit,<br />
Schnüffeln von Klebstoff, Banden, Diebstahl, Kriminalität, Drogenhandel, etc.<br />
leben. Kinder und Jugendliche, die in den Stollen von Goldminen leben und arbeiten, in<br />
den ungemütlichen Hügeln. Kinder die ihren Tag mit dem Zermahlen von Steinen in Mühlen<br />
verbringen, um Gold herauszuzuziehen. Kinder, die wie Packesel arbeiten im Schmuggelhandel,<br />
dem sie an der Grenze zu Chile, Bolivien und Ekuador nachgehen. Kinder, die<br />
zwischen dem Müll leben und wiederverwendbare Sachen ausssortieren, oftmals unter<br />
der Führung der Mafia. Kinder und Jugendliche, die betteln und ein paar Centavos verdienen<br />
wollen, indem sie auf der Straße den Clown spielen oder in den städtischen Transportmitteln<br />
singen.<br />
Außerdem werden sich diese Folgen im Nu auch in anderen Belangen niederschlagen wie<br />
Vergewaltigungen, Geschlechtsverkehr mit Kindern, die Zunahme von HIV und AIDS, ungewollte<br />
Schwangerschaften, etc. Sie leiden auch an Misshandlungen durch die Polizei, die<br />
Verfolgungen, sie leben in Unruhe, ohne dass sich irgendjemand zu ihren Gunsten ausspricht.<br />
Sie leben in Unsicherheit und sind ihrer Rechte enteignet.<br />
Als Anwort auf diese Realität gibt es keine definierte Politik, sondern die Ironie der Regierung<br />
liegt in der Ratifizierung der Übereinkünfte 138 und 182 mit der Internationalen Arbeitsorganisation<br />
(ILO), die sich dazu verpflichtet eine Politik zu definieren, die<br />
Kinderarbeit besonders in seinen schlimmsten Formen bekämpfen.
148<br />
Aber die Definitionen von Kinderarbeit, die die ILO hat, scheint für Länder gedacht zu<br />
sein, in denen Armut kein wichtiger Indikator ist oder in denen der Staat die Kleinen unterstützen<br />
kann. Die Regierungen jedes Landes, die mit der ILO übereinstimmen, sind nur<br />
verpflichtet, die Aktivitäten, die von den Kinder ausgeübt werden zu regulieren und zu<br />
schützen, die 16 Jahre und älter sind. Das heißt, Kinder zwischen fünf und zehn Jahren,<br />
die wir jeden Tag auf der Straße und im Minibus treffen, wo sie ihre Süßigkeiten verkaufen,<br />
sind durch keinerlei Rechtssprechung geschützt. Als die Regierung beschloss das Freihandelsabkommen<br />
(TLC) mit den Vereinigten Staaten zu unterschreiben, war eine der<br />
Klauseln, die die Übereinkunft mit sich brachte, die totale Ausrottung der Arbeit von Kindern<br />
und Jugendlichen.<br />
Also nahm die Regierung die Abschaffungsforderung von Kinderarbeit auf der Straße an.<br />
“Man spricht von der Ausrottung von Kinderarbeit, als wäre es Unkraut oder ein Erreger<br />
einer pandemischen Krankheit. Es ist nicht schlecht, dass Kinder arbeiten. Es ist ein Produkt<br />
der Armut. Sie kriminalisieren Kinder, die arbeiten.” Es ist offensichtlich, dass Kinderarbeit<br />
die Kinder von der Schule entfernt, aber die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen,<br />
die sich in der Notwendigkeit sehen, arbeiten zu müssen, machen weiterhin etwas für die<br />
Schule, in vielen Fällen ist es sogar so, dass sie arbeiten müssen um die Ausgaben verdienen<br />
zu können, die ihre eigene Schulbildung fordert (der Autor war selbst ein Kind, das<br />
sein ganzes Leben gearbeitet hat, um so weit zu kommen).<br />
Dieses kurze Röntgenbild der sozialen Realität in Peru gibt uns die Möglichkeit über eine<br />
Idealisierung eines wirksameren Modells sozialer Arbeit nachzudenken, auch wenn es<br />
einen Unterton der Utopie hat. Aber auch die Utopie orientiert sich in höchstem Maße<br />
am Gebrauch der Praxis, man könnte sie TEOPRAXIS nennen.<br />
2. DIE ROLLE DER SOZIALARBEITER, DIE MIT <strong>MOBILE</strong>R <strong>JUGENDARBEIT</strong> ZU TUN HABEN<br />
Es ist nicht alles Traurigkeit, es gibt auch Ergebnisse in der Sozialarbeit, die zeigen und<br />
der Welt mitteilen, dass viele Sozialpädagogen, im Gegensatz zu Non-Profit-<br />
Organisationen, ohne ihre eigenen soziale Meinung einzubringen, Strategien gefunden<br />
haben, die Intergration der Kinder und Jugendlichen in ihre Familien und die Gesellschaft<br />
zu begünstigen durch Aktivitäten in der Schule, bei der Arbeit und in der Freizeit, die die<br />
Lebensbedingungen verbessern und ihnen ein vernünftiges soziales Verhalten erlaubt.<br />
Die Aufgabe für Kinder und Jugendliche unentbehrliche Strategien zu entwickeln um Alternativen<br />
in der Gesellschaft zu suchen, ist schwierig, vor allem solche, die sich auf Arbeit<br />
beziehen: sei es das Kunsthandwerk in all seinen Formen, Informatik, Kunst, Musik, etc. Die
149<br />
soziale Arbeit in den Zentren, mit denen die am meisten büßen müssen, sind das Resultat.<br />
Viele Ex-Sträflinge, die sich in Gemeinschaften zusammenschließen, fangen heute an als<br />
besondere Polizisten zu arbeiten, die gleichzeitig versuchen anderen zu helfen, so dass<br />
diese sich wieder in die Gesellschaft intergrieren. Diese Personen, die Schicksalschläge in<br />
ihrem Leben durchgemacht haben, versuchen Vorbilder zu sein für andere die am Rande<br />
von sozialen Prinzipien leben.<br />
Viele Organisationen arbeiten um den Kindern, die ausgebeutet und von morgens bis 22<br />
Uhr zum Arbeiten geschickt werden, zu helfen. Es geht nicht nur darum immer wieder<br />
darüber zu sprechen, sondern auch darum Taten anzuregen. Sie haben Projekte, die dazu<br />
beitragen sollen, die Rechte der Kinder zu schützen und zu regulieren, die ihrer Meinung<br />
nach bearbeitet werden müssen. Das Vorhaben besteht nicht darin Kinder- und Jungendlichenarbeit<br />
auf der Straße mit polizeilichen Treibjagden auszurotten, wenn man den<br />
armen Familien keine Alternativen bieten kann. Die Organisationen, die Mobilen Jugendarbeit<br />
involvieren, sind Aktivisten, die zur Lösung der Probleme beitragen, sie denken,<br />
dass der geeignete Weg in der Regulierung und Schaffung von würdigen Bedingungen<br />
der Arbeit von Kindern und Jugendlichen ist. Diese sollen die notwendige Zeit haben um<br />
lernen zu können und ein altersgerechtes Leben zu führen. Wir müssen verstehen, dass<br />
nicht alle Kinder, die auf der Straße leben oder arbeiten, Bettler sind, oft sind es Kinder,<br />
die selbst entschieden haben sich Arbeit zu suchen. Sie versuchen die Auswirkungen eines<br />
Problems zu lösen, das die Regierung lösen müsste: die Armut. Zwei Drittel der Kinder des<br />
Landes arbeiten (2 Millionen insgesamt), 61% von ihnen leben in Bedingungen von Armut<br />
oder extremer Armut.<br />
3. ALLIANZEN DER NON-PROFIT-ORGANISATIONEN<br />
Extreme Armut stoppen, Arbeitsplätze schaffen, die Einnahmen besser verteilen, das ist<br />
das Gefecht, das die Regierung führen müsste, aber das braucht natürlich über zwölf Monate<br />
…<br />
Wenn viele der Nonprofit Organisationen in Peru die Unterstützung einiger lokaler Regierungen<br />
haben, von nationalen und ausländischen Organisationen, fehlt es noch an der<br />
Arbeit von seiten des Staates. “Das Arbeitsministerium hat ein Komitee zur Ausrottung<br />
von Kinderarbeit in seinem Amt, die keine Mittel mehr hat und wie ein Blatt Papier aufhört<br />
zu sein (?), ein Gruß an die Flagge (?).<br />
Die Organsiationen versuchen Präventivformeln in ihre Arbeitsprogramme einzugliedern,<br />
indem sie mit den Familien, die in Armut leben zusammenarbeiten, aber sie stehen auch<br />
Kindern und Jugendlichen zur Verfügung, die von zu Hause geflüchtet sind, oftmals weil<br />
sie dort körperlich oder emotional missbraucht worden sind. Aber auch den Kinder, die
150<br />
nicht mehr von Drogen, Diebstahl, Gewalt und Prostitution abhängig sind. Sie leiden auch<br />
unter physischer Gewalt wenn sie untereinander kämpfen und unter Missbrauch durch<br />
Autoritäten. Sie haben zu Hause unter viel emotionaler Gewalt gelitten und auf der Straße<br />
ist es noch schlimmer, die Leute behandeln sie wie ein Laster, wie etwas unbrauchbares,<br />
eine Verschwendung für die Gesellschaft. 95 % der Familien der Straßenkinder leben in<br />
extremer Armut.<br />
Aus all diesen Gründen, glauben wir, dass Allianzen zwischen öffentlichen, privaten, religiösen<br />
Organisationen, der Zivilgesellschaft, die aus Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen,<br />
Selbsthilfeorganisationen usw. besteht, zusammenarbeiten und die gleichen Ziele<br />
verfolgen sollen, obwohl es schon Absprachen für den Kampf gegen Armut gibt, aber bisher<br />
behindert der Wettkampf zwischen den Organisationen das Erreichen der sozialen<br />
Ziele. Das Widersprüchliche es auch, dass der Staat nicht bereit ist, Allianzen zu ermöglichen,<br />
ausgenommen einiger religiöser Organisationen, die aus ethischen Gründen nicht<br />
erwähnt werden.<br />
Das Einbeziehen von Mobiler Jugendarbeit in die Sozialpädagogik und Sozialarbeit, das<br />
heute beim Symposium betont wird, wird noch fruchtbarer sein, wenn man die soziale<br />
Realität jedes Landes mit den Augen der Akteure selbst betrachtet, dabei spielen auch angewendete<br />
Untersuchungen egal ob anthropologisch oder soziologisch eine wichtige<br />
Rolle. Das leidvollste an der Aufgabe die Arbeit von Kindern und Jugendlichen zu reduzieren,<br />
die sich in Gefahr befinden, oder der Arbeit mir Präventionsprojekten und – programmen,<br />
die im Enteffekt viel billiger sind, ist, dass sie auf finanzielle Unterstützung<br />
angewiesen sind, was wir bedauerlicherweise auch bei den internationalen Organisationen<br />
finden können.<br />
Bis hierher möchte ich einen Aufruf an die Gesellschaft der Welt machen, besonders an<br />
die Gesellschaften, die die totale Entwicklung erreicht haben, dass sie ihren menschliche<br />
Sensibilität erhöhen, sie es beim Einbringen von Ideen, oder wenn sie Produkte konsumieren,<br />
die von Kinder und Jugendlichen hergestellt wurden, die darum kämpfen in die Gesellschaft<br />
eingegliedert zu werden. Wenn die Zusammenarbeit in Geld gemessen wird,<br />
nun gut, ändern wir die Herstellung von Nuklearwaffen, die Herstellung von Munition, von<br />
Panzern in Geräte, die geeignet sind um zur Lösung von Problemen beizutragen, zum<br />
Beispiel durch Mobile Jugendarbeit in der Welt, besonders in den Ländern, die in Armut<br />
leben. Jeden einzelnen von uns tippe ich an, unsere Kräfte zu multiplizieren und dazu<br />
beizutragen die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die auf der Straße arbeiten und der<br />
ganzen Gefahr ausgesetzt sind, zu verringern. Vielen Dank!
SYMPOSIUMS-<br />
PROGRAMM
152<br />
MONTAG / 15.09.2008<br />
Moderation: Rudi Karg, TV 38<br />
Empfang und Eröffnung<br />
Ort: Weißer Saal des Neuen Schlosses, Stuttgart<br />
Musikalische Begleitung durch „Chorlight“, Egil Fossum<br />
Grußworte:<br />
Sozialministerin Dr. Monika Stolz, Baden-Württemberg<br />
Bürgermeister Dr. Martin Schairer, Stadt Stuttgart<br />
Kirchenrätin Heike Baehrens, Diakonisches Werk Württemberg<br />
Einführung in das Symposium:<br />
Prof. Dr. Walther Specht: Mobile Jugendarbeit im globalen Wandel<br />
DIENSTAG / 16.09.2008<br />
Grußworte:<br />
Davies Okombo, UHURU, Kisumu, Kenia<br />
Tom Küchler, Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork/Mobile Jugendarbeit Deutschland<br />
Matthias Reuting, Landesarbeitsgemeinschaft Streetwork/Mobile Jugendarbeit<br />
Baden-Württemberg<br />
Roland Kaiser, Kommunalverband Jugend und Soziales Baden-Württemberg<br />
Willi Pietsch, Landespolizeidirektion Stuttgart<br />
Ulrich Ahlert, Caritasverband für Stuttgart e.V.<br />
Vorträge:<br />
Prof. Dr. Rainer Treptow:<br />
Internationale Jugend- und Sozialarbeit im Vergleich, Universität Tübingen<br />
Prof. Irving Spergel:<br />
Jugendgewalt in den USA und Antworten von Sozialarbeit und Justiz,<br />
Universität Chicago, USA<br />
Bernard Rodenstein:<br />
Jugendunruhen in Frankreich (quartiers „chauds“) und Reaktionen der Politik,<br />
Espoir, Colmar (F)<br />
Kurzvorträge zur Mobilen Jugendarbeit aus Russland, Ukraine, Georgien, Finnland,<br />
Deutschland, Kenia, Ghana und Phillipinen
153<br />
MITTWOCH / 17.09.2008<br />
Prof. Dr. Hans-Jürgen Kerner:<br />
Entwicklungstendenzen im Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle,<br />
Universität Tübingen (D)<br />
Marie Panayotopoulos-Cassiotou, Mitglied des Europäischen Parlaments, Straßburg/Brüssel:<br />
Europäische Kinder- und Jugendpolitik<br />
ARBEITSGRUPPEN ZU DEN FOLGENDEN THEMEN:<br />
Gruppen, Cliquen, Banden – mit wem hat es Mobile Jugendarbeit zu tun?<br />
Illegale Drogen und Sucht - „Koma-Saufen“<br />
Geschlechtsspezifische Arbeit – Mädchen<br />
Geschlechtsspezifische Arbeit – Jungen<br />
Power Child – Kinder stark machen gegen sexuelle Gewalt<br />
Prostitution und Sexwork<br />
Mobile Jugendarbeit und Schule – Schulsozialarbeit<br />
Rechtsextremismus/Nationalismus<br />
Sozialarbeit und Polizei<br />
Schule, Beruf, No Future<br />
HIV/AIDS<br />
Soziale und ethnische Minderheiten, Beispiel Roma<br />
Zum Stellenwert der Gemeinwesenarbeit in der MJA
154<br />
Nachmittags:<br />
Exkursionen und Praxisworkshops<br />
Exkursionen: In 16 Stuttgarter Stadtteilen gibt es Mobile Jugendarbeit. Ausgewählte<br />
Standorte werden dort besucht. Dabei werden auch wichtige Kooperationspartner der<br />
Mobilen Jugendarbeit vorgestellt, zum Beispiel: Beratungsstellen (Sucht, sexuelle Gewalt),<br />
Ausbildungsprojekte, Wohngruppen, Straffälligenhilfe.<br />
Praxisworkshops: Verschiedene Praxisworkshops geben konkret Einblick in Methodenfelder<br />
der Mobilen Jugendarbeit: Klettern und Erlebnispädagogik; Musikprojekte in der MJA;<br />
Tiergestützte Pädagogik in der Mobilen Jugendarbeit; Aktionen im öffentlichen Raum.<br />
DONNERSTAG / 18.09.2008<br />
Prof. Dr. Jelena Dikova-Favorska:<br />
Umgang mit abweichendem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen in osteuropäischen<br />
Staaten, Universität Shitomir/Ukraine<br />
José Alvaro Ruiz: Straßenkinder in Peru und die Chancen Mobiler Jugendarbeit,<br />
Arequipa, Peru<br />
Prof. Dr. Walther Specht: Überlegungen zur Weiterarbeit von <strong>ISMO</strong> im europäischen und<br />
globalen Kontext - Bildung von nationalen, internationalen und kontinentalen Netzwerken<br />
zur Mobilen Jugendarbeit<br />
Weiterarbeit in 4 Arbeitsgruppen:<br />
1. Vertreter von zentral-, südost- und osteuropäischen Ländern;<br />
2. Vertreter von mittel, west-, nord- und südeuropäischen Ländern;<br />
3. Vertreter afrikanischer Länder;<br />
4. Vertreter Latein- und nordamerikanischer Länder.<br />
Leitfrage: Welche Herausforderungen und Bedürfnisse zur Realisierung Mobiler Jugendarbeit<br />
bestehen in einzelnen Ländern und Kontinenten?<br />
Resümee – Ende des Symposiums.
DANKSAGUNG
156
157
158<br />
HERZLICHEN<br />
DANK<br />
Diakonisches Werk Württemberg
Den hier aufgelisteten Fördereren und Spendern für das 9. Symposium Mobile Jugendarbeit<br />
sagt der Verein <strong>ISMO</strong> herzlichen Dank!<br />
Ohne Ihre ideelle und materielle Unterstützung wäre dem Symposium sicherlich nicht ein<br />
so großer Erfolg beschieden gewesen. Sie haben zur Verbesserung der Lebenslagen von<br />
gefährdenten Kindern und Jugendlichen einen wichtigen Beitrag geleistet.<br />
159
160<br />
HERZLICHEN<br />
DANK<br />
Bundesverband
Herausgeber, Prof. Dr. Walther Specht<br />
Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft für Mobile Jugendarbeit <strong>ISMO</strong><br />
Lehrt Sozialpädagogik und Jugendkriminologie an der Universität Tübingen
INTERNATIONAL SOCIETY<br />
FOR <strong>MOBILE</strong> YOUTH WORK<br />
<strong>ISMO</strong><br />
<strong>MOBILE</strong> <strong>JUGENDARBEIT</strong> SETZT SICH WELTWEIT <strong>IM</strong>MER MEHR<br />
DURCH! WARUM?<br />
WEIL <strong>MOBILE</strong> <strong>JUGENDARBEIT</strong> HUMANER, WIRKSAMER UND<br />
KOSTENSPARENDER IST ALS ABSCHRECKUNG, BESTRAFUNG<br />
UND GEFÄNGNISSE.