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zett-Magazin Juni / Juli

Magazin für Stadtkultur, Schlachthof / Lagerhaus

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Schlachthof / Lagerhaus

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zMA<br />

GA<br />

ZIN<br />

K a t r i n<br />

H e i n s<br />

Jahrgang 1969, ausgebildete<br />

Schifffahrtskauffrau,<br />

abgebrochene<br />

Germanistin und inzwischen<br />

als Referentin<br />

für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />

an der<br />

Akademie für Weiterbildung<br />

der Universität<br />

Bremen beschäftigt.<br />

Diverse Veröffentlichungen<br />

in Anthologien<br />

und Zeitschriften,<br />

seit kurzem auch zwei<br />

veröffentlichte eBooks<br />

(›Erbschaftsangelegenheiten‹<br />

und ›Das Leben<br />

in Hunden‹). 1995<br />

Bremer Autorenstipendium,<br />

2001/2002<br />

Ausbildung zur<br />

Drehbuchautorin.<br />

12 13<br />

halbzeitwissen<br />

F Ü R S T A D T K U L T U R<br />

LINKS<br />

ABBIEGER<br />

V O N K A T R I N H E I N S<br />

Sie war auf dem Weg nach Hause. Anfangs nahm sie nur einen<br />

Schemen war, etwas, das da nicht hingehörte. Sie konzentrierte<br />

sich auf den Verkehr, auf die Ampel, an der sie abbiegen<br />

musste. Sie hatte keine Zeit, auf jemanden zu achten, der da<br />

am Straßenrand stand. Dann sprang die Ampel auf gelb, sie<br />

bremste hart. Jetzt hatte sie Zeit, ihn zu betrachten, sie kannte<br />

die Ampelschaltung nur zu gut. Sie dachte nicht darüber<br />

nach, ob sie auch noch hätte durchfahren können.<br />

Er war jung, aber sie konnte nicht einschätzen, wie jung. Er<br />

konnte fünfzehn sein oder fünfundzwanzig, sie hatte da kein<br />

Gefühl für. Er trug eine dieser Hosen, deren Bund unterhalb<br />

des Beginns der Arschfalte saß, und der Schritt irgendwo da,<br />

wo sie die Knie vermutete. Er trug etwas, das sie Kapuzenshirt<br />

nennen würde, für das es aber wahrscheinlich einen anderen<br />

Namen gab. Es war grün, grasfroschgrün, sie wunderte sich<br />

über das Wort in ihrem Kopf. Wahrscheinlich war nichts Besonderes<br />

an ihm. Er passte nur nicht in diese Gegend, das Shirt<br />

irgendwie zu schmuddelig, die Haare zu wirr, als dass er als<br />

der Sohn einer ihrer Nachbarn durchgegangen wäre. Gleichzeitig<br />

schien er sich seiner Deplatziertheit nicht im Geringsten<br />

bewusst zu sein. Er hielt seine Arme hoch über seinen Kopf,<br />

streckte seinen Körper dem Himmel entgegen, fuhr sich mit<br />

der Hand durch die Haare, bückte sich, um etwas vom Boden<br />

aufzuheben, das er einen Moment lang mit einem gewissen<br />

Erstaunen betrachtete, um es dann mit dem Fuß von sich wegzukicken.<br />

Jede einzelne dieser Bewegungen schien seinen ganzen<br />

Körper einzubeziehen, das offensichtliche Desinteresse an<br />

allem, was außerhalb seiner selbst, seiner unmittelbaren<br />

Umgebung lag, umgab ihn mit einem klaren Licht, als schwebte<br />

er.<br />

Sie war auf dem Weg nach Hause. Hinter ihr wurde gehupt,<br />

die Ampel war auf grün gesprungen, die Phase für die Linksabbieger<br />

kurz, die Fahrer hinter ihr ungeduldig. Sie selbst hatte<br />

an dieser Stelle schon oft gehupt. Sie fuhr mit einem<br />

Rucken an, zog den ersten Gang zu hoch, schaltete zu früh in<br />

den dritten, dass der Wagen wieder ruckelte. Als sie in den<br />

fünften Gang schaltete, wusste sie, dass der Anblick dieses<br />

WRITER’S<br />

CORNER<br />

Jungen, sie hatte kein anderes Wort für ihn und mochte das<br />

Unbekümmerte und Nichtssagende, das in diesem Wort<br />

schwang, dass der Anblick dieses Jungen ihr Bild von der<br />

Welt verändern müsste. Sie spürte, dass sie diesen Jungen,<br />

sein Wesen, seine Gedanken, seine Träume, niemals verstehen<br />

würde. Egal, wie lange sie mit ihm spräche, wie lange er,<br />

wenn er die Geduld denn hätte und die Gelegenheit sich böte,<br />

sich ihr zu erklären versuchte, er würde ihr immer völlig<br />

fremd bleiben. Und wenn das mit ihm so war, dann gäbe es<br />

auch andere Menschen, mit denen es ihr ebenso erginge,<br />

und wenn es ihr mit anderen Menschen so erginge, warum<br />

dann nicht mit denen, denen sie sich lieb und nahe glaubte,<br />

und, letztendlich, mit sich selbst.<br />

Es war kläglich, wie banal diese Erkenntnis war, aber, so<br />

musste sie sich eingestehen, ihr Bild von der Welt war bislang<br />

so gewesen, dass alle Menschen im Grunde so leben wollten<br />

wie sie selbst und dass die, die das nicht taten, eben nur<br />

nicht so viel Glück gehabt hatten. Natürlich war es völlig<br />

absurd zu glauben, dass dieser Junge davon träumte, so zu<br />

leben, wie sie es tat, selbst wenn er es in zwanzig oder dreißig<br />

Jahren tun sollte, würde in ihm noch immer ein Bewusstsein<br />

schwelen von dem, der er gewesen war, ein völlig autonomes,<br />

in sich ruhendes Wesen, das an einer Straßenecke<br />

stand und sich reckte, um den einen oder anderen Stern vom<br />

Himmel zu pflücken.<br />

Sie war auf dem Weg nach Hause. In Kürze würde sie den<br />

Wagen in die per Funk zu öffnende und zu schließende Garage<br />

fahren und schließlich freute sie sich noch immer über<br />

den Luxus, von der Garage direkt ins Haus gehen zu können.<br />

Obwohl es heute nicht regnete. An diesem ersten trockenen<br />

Tag seit langem würden die Nachbarn rechts, links, vorne,<br />

hinten ihre Rasen mähen. Sie könnte die Terrassentür öffnen,<br />

damit der Duft von frisch gemähtem Gras ins Haus strömen<br />

konnte. Was konnte an einem Leben falsch sein, wenn man<br />

noch Freude hatte an dem Duft frisch gemähten Grases. Sie<br />

wusste es einfach nicht.<br />

Jens Laloire<br />

PUNK MIT BUTTER<br />

VER<br />

ZETT<br />

ELT<br />

Früher hingen am Sielwalleck immer die Punks ab, sie hockten dort<br />

mit ihren Hunden auf ranzigen Wolldecken, tranken Karlsquell aus<br />

Dosen und hörten Oi-Punk, der aus alten mit Panzerband zusammengehaltenen<br />

Kassettenrekordern schepperte. Einer aus der Gruppe<br />

stand meist auf dem Gehweg und quatschte die Leute an, die vorbeigingen.<br />

Haste mal ’ne Mark war schon so etwas wie ein geflügeltes<br />

Wort, damals, Ende der Neunziger, als es noch keinen Euro gab.<br />

Manchmal blieb ich stehen, kramte in meinem Portemonnaie und<br />

gab ihnen eine Mark oder siebzig, achtzig Pfennige, was der Punk<br />

dann immer Hammer oder geil fand, aber letztlich wohl vor allem<br />

dem Kiosk gegenüber oder dem Aldi in der Bismarckstraße zugutekam,<br />

wo die Punks ihr Bier kauften.<br />

Inzwischen sind die Punks von der Sielwallkreuzung verschwunden,<br />

schon ziemlich lange eigentlich, ohne dass ich sagen könnte,<br />

wann genau. Vielleicht ist ja auch daran der Euro schuld, der an so<br />

vielem anderen angeblich schuld sein soll. Der Euro hat die Punks<br />

vertrieben wäre ja mal eine interessante Parole für die Wahlplakate<br />

dieser rechtspopulistischen Anti-Euro-Partei. Auf dem Plakat könnte<br />

man einen Punk mit der Parole abdrucken: Früher war ich Punk, seit<br />

es den Euro gibt, bin ich arbeitslos. Das wäre doch zumindest irgendwie<br />

originell.<br />

Seit Neuestem habe ich wieder regelmäßig Kontakt mit Punks.<br />

In dem Haus, in dem ich im Dachgeschoss wohne, lebt seit ein paar<br />

Monaten eine Punkerin im Erdgeschoss, zusammen mit Herrn<br />

Schmidt, ihrem Rottweilermischling, die beide des Öfteren Besuch<br />

bekommen von anderen Punks. Wenn ich denen zufällig an der<br />

Haustür begegne, fragen die nie nach siebzig oder achtzig Cent, sondern<br />

halten mir höflich die Tür auf, und ich merke dann jedes Mal,<br />

dass ich völlig falsche Vorstellungen von Punkern habe. Meine Punk-<br />

Nachbarin hört sogar Queen und hat immer einen Hundebeutel<br />

dabei, wenn sie mit ihrem Rottweilermischling Gassi geht – von<br />

wegen Scheiß auf das System! Die Punks von heute sind auch nur<br />

ganz normale Leute; schließlich macht die einstige Ikone des Punk,<br />

John Lydon, ja inzwischen auch Werbung für Butter und nennt das<br />

dann Anarchie. In diesem Sinne könnte man sagen: Läuft doch<br />

wie geschmiert mit der Gesellschaft und den Punks – so harmonisch<br />

war’s früher nie :-)<br />

F o t o : ANDRÉ SCHMOLL

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