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zett-Magazin Juni / Juli

Magazin für Stadtkultur, Schlachthof / Lagerhaus

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THE<br />

MA 6 BAT-Ensemble:<br />

7<br />

›Bremer Freiheit –<br />

Frau Geesche Gottfried‹<br />

von Rainer Werner Fassbinder<br />

G U D R U N G O L D M A N N<br />

THEATER DER<br />

BESONDEREN NÄHE<br />

Die niederdeutsche Sprache ist (noch) nicht vom Aussterben bedroht, aber immer<br />

weniger Menschen sprechen sie. Verstanden wird Platt noch von vielen, das<br />

sieht man am plattdeutschen Theater auf dem flachen Land. Das brummt, die<br />

Vorstellungen sind fast überall ausverkauft.<br />

J Ö R G W I N D S Z U S<br />

KOMISCH IST NICHT EINFACH<br />

Die Szene der Bremer Amateurtheater ist vielfältiger,<br />

als man denkt. Dass es dabei nicht<br />

nur um Bauerschwänke geht, zeigt folgender<br />

kleiner Einblick:<br />

W<br />

›Von allen Theaterberufen ist Schauspieler<br />

der mit Abstand entwürdigendste.‹ Egon Friedell<br />

F o t o s : ANDRÉ SCHMOLL<br />

er braucht überhaupt Theater? Insofern man von ›brauchen‹<br />

in Bezug auf eine Kunstform, die wie alle Künste das gesellschaftlich<br />

Überflüssige repräsentiert, überhaupt sprechen<br />

kann. Dann brauchen wohl Schauspieler das Theater am dringendsten:<br />

die Bühne, das Publikum, den samtenen Vorhang,<br />

der sich schließlich hebt und den endlosen Proben einen<br />

rasch vergänglichen Sinn verleiht. Schauspielen als Beruf ist<br />

niemals nur Broterwerb. Das Ethos des ›The show must go<br />

on‹ beinhaltet auch die Verpflichtung, gegenüber dem Publikum<br />

jederzeit sein Bestes zu geben, auch wenn man von<br />

Liebeskummer, Geldsorgen oder Zahnschmerzen geplagt wird.<br />

Oder von Lampenfieber.<br />

Günter Gräbner beispielsweise ist pensionierter Industriekaufmann,<br />

aber im wirklichen Leben stand er gerade als William<br />

Shakespeare auf der Bühne, in einer Inszenierung von<br />

Kishons ›Es war die Lerche‹, bei der er gemeinsam mit seiner<br />

Frau auch Regie führte. Seitdem ziert ihn eine viktorianische<br />

Barttracht, die er schon allein deswegen nicht abrasiert, weil<br />

noch nicht entschieden ist, ob das Stück im Herbst wieder<br />

aufgenommen wird. Außerdem ist er Vorsitzender des Verbandes<br />

Bremer Amateurtheater, der im letzten Jahr sein 50-jähriges<br />

Bestehen gefeiert hat.<br />

Wobei Bremen in diesem Fall auch den niedersächsischen<br />

Speckgürtel umfasst, denn ein Großteil der im Verband organisierten<br />

Gruppen ist ländlich geprägt und bedient sich der<br />

niederdeutschen Sprache. Jede Theatergruppe unterhält ein<br />

spezielles, meist lokal definiertes Publikum und ist über den<br />

Landesverband vernetzt, der ihnen zusätzlich zu der Verbandszeitschrift<br />

mit Ankündigungen, Aufführungskritiken und<br />

Szene-Gossip auch Lehrgänge sowie eine umfängliche Versicherungsleistung<br />

bietet. Jüngstes Mitglied ist ein Verein,<br />

der sich der russischen Schauspielkunst verschrieben hat,<br />

ein Novum in der Bremer Amateurtheaterlandschaft.<br />

Zwei stadtbremische Gruppen (Theater Phönix und Union Theater) haben<br />

im Bremer Kriminal Theater in der Friesenstraße eine neue Spielstätte<br />

gefunden, nachdem das Packhaus im Schnoor nicht mehr zur Verfügung<br />

stand. Mit Ausnahme des Hanseaten-Klubs, der sein Theater am Lehester<br />

Deich mittlerweile gekauft hat, verfügen Amateure selten über feste Aufführungsorte.<br />

Viele tingeln durch Gemeindesäle und Bürgerhäuser, ›da ist<br />

man häufig mehr mit An- und Abbau beschäftigt, als dass man zum Spielen<br />

kommt‹, so Oliver Huhn vom Bremer Amateurtheater Ensemble (BAT), das<br />

seine aktuelle Produktion sowohl auf der Speicherbühne in der Überseestadt<br />

als auch im Kulturzentrum Lagerhaus aufführt.<br />

Das BAT-Ensemble ist in den 90er Jahren aus einer Waller Schultheater-<br />

AG heraus entstanden. ›Das Gefühl, vor vielen Leuten auf der Bühne zu stehen,<br />

wirkt wie eine Droge. Und mit der wollten wir nicht aufhören.‹ Gerade<br />

weil das Theaterschaffen für alle Beteiligten mit enormem Stress verbunden<br />

ist, weckt es auch die Leidenschaft von manchem, der mit diesem Metier in<br />

Berührung kommt. ›Vor jeder Premiere nehme ich mir vor, so etwas nie wieder<br />

zu machen. Aber noch vor dem Schlussvorhang denke ich an das nächste<br />

Projekt‹, so Huhn. Anstelle des Studiums zum Umweltphysiker eine professionelle<br />

Schauspielkarriere in Angriff zu nehmen, wäre dem heutigen<br />

Klimaforscher allerdings nicht in den Sinn gekommen. Den Amateurstatus<br />

haben sie nicht ohne Grund in ihrem Vereinsnamen festgeschrieben. ›Amateur<br />

sein bedeutet, dass ich nur das spiele, was mir auch liegt. Wenn ich<br />

ein bestimmtes Stück unbedingt inszenieren will, muss ich so lange Überzeugungsarbeit<br />

leisten, bis genug Leute dahinterstehen.‹<br />

In diesem Jahr einigte sich das Ensemble auf einen Klassiker aus der<br />

Hochzeit der Bremer Schule, Fassbinders Trauerspiel über die Giftmörderin<br />

Gesche Gottfried, ausgerechnet. ›Ein bisschen Größenwahn ist in unserer<br />

Stückauswahl sicherlich enthalten.‹ Viele Verlage zieren sich, ihre Aufführungsrechte<br />

an Amateure zu vergeben, obwohl die genauso Tantiemen<br />

abführen wie die Profis. Auch wenn sich keiner der Akteure vor und hinter<br />

den Kulissen sein Engagement auszahlen lässt, sind mit jeder Inszenierung<br />

Produktionskosten verbunden, die über den Kartenverkauf wieder eingespielt<br />

werden müssen. Neben der Technik- und Saalmiete müssen auch<br />

Kostüme und Requisiten eingekauft werden. ›Wir würden auch Boulevardkomödien<br />

spielen, aber eben nur, wenn wir Lust haben.‹<br />

Komische Stücke sind keineswegs einfacher zu spielen, aber besser zu<br />

verkaufen. Amateurtheater ist in erster Linie volkstümliche Unterhaltung,<br />

aber auch mit ernsten Stoffen ist es möglich, Zuschauer anzusprechen, die<br />

es normalerweise nicht in die heiligen Tempel bürgerlicher Hochkultur zieht.<br />

H<br />

erwig Dust gönnt den kleinen Bühnen und Vereinen diesen<br />

Erfolg von Herzen, hat aber selbst einen höheren Anspruch an<br />

sein Theater: ›Die Sprache hat mehr verdient als diese Schenkelklopfersprüche.‹<br />

Und den versucht er als Leiter der August-<br />

Hinrichs-Bühne am Staatstheater Oldenburg gemeinsam mit<br />

Dramaturgin Gesche Gloystein umzusetzen. Bei der Stückauswahl<br />

suchen sie nach Themen, die sie erzählen wollen. ›Aber<br />

es muss sinnvoll sein, dass wir es auf Platt machen‹, erklärt<br />

die Dramaturgin. ›Bei ›Moby Dick‹ zum Beispiel findet alles in<br />

einem geschlossenen Raum statt, eben auf einem Schiff,<br />

und da ist die Arbeitssprache Platt. Das funktioniert.‹ Gleiches<br />

gilt für ›Emmas Glück‹, das auf einem Bauernhof spielt.<br />

Insgesamt gibt es 4.500 niederdeutsche Bühnen und das<br />

niederdeutsche Theater ist mittlerweile sogar immaterielles Kulturerbe<br />

der Unesco. Doch wie kommt es eigentlich dazu, dass<br />

das Oldenburger Staatstheater eine Niederdeutsche Bühne hat<br />

und wieso ist die ein Verein? Dust erzählt, dass der Verein kurz<br />

nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde und 1921 das<br />

erste Stück auf die Bühne brachte. Das lief so erfolgreich, dass<br />

der damalige Intendant das Angebot machte, sich als Laienbühne<br />

dem Landestheater anzugliedern und sich unter seine<br />

künstlerische Leitung zu stellen. Diese Konstruktion hat bis heute<br />

Bestand und ist wohl bundesweit einmalig. Vorteile gibt es<br />

auf beiden Seiten: Die Auslastung der Niederdeutschen Bühne<br />

liegt bei 85 bis 87 Prozent, es kommen also viele Zuschauer ins<br />

Haus, die man für ein hochdeutsches Stück ›abwerben‹ kann.<br />

Und auf der anderen Seite kann die Laienbühne in einem professionellen<br />

Umfeld arbeiten und ist finanziell abgesichert.<br />

Zurück zum Schenkelklopfen. Die Oldenburger wehren sich<br />

nicht gegen den Begriff Volkstheater, denn das ist für sie ein<br />

Theater, wo sich jeder wiedererkennt, Theater aus dem Volk für<br />

das Volk. Auch wenn das ein wenig pathetisch klingt. Die Sprache<br />

ist dabei sehr wichtig: ›Platt erzeugt eine andere Nähe, wir<br />

sind nah an den Menschen dran‹, erzählt der Bühnenleiter. Und<br />

das funktioniert auch bei klassischen Texten, zum Beispiel von<br />

Goethe, Dürrenmatt oder von Horváth. Sie haben es bewiesen,<br />

sogar einen niederdeutschen Faust gab es schon. ›Schwierig<br />

wird es bei Hochliteratur und hochpoetischen Texten‹, sagt<br />

Gesche Gloystein, ›aber nicht unmöglich. Diese Texte kann man<br />

nicht einfach ins Plattdeutsche übertragen, die brauchen eine<br />

Art der Übersetzung.‹<br />

In der Regel produziert die August-Hinrichs-Bühne drei<br />

Stücke pro Spielzeit plus ein Kinderstück plus Stücke der<br />

Platt’n’Studios, das sind die Theaterclubs für den Nachwuchs,<br />

die es für alle Altersstufen gibt (8+, 14+ und 18+). Hier kann<br />

man sein Platt verbessern oder es erlernen und natürlich Theater<br />

spielen. Und es gibt viele Menschen, die über die Clubs zum<br />

Ensemble stoßen. Inzwischen haben sie 60 Mitglieder zwischen<br />

acht und 82 Jahren, von denen 20 bis 25 pro Spielzeit auf der<br />

Bühne zum Einsatz kommen. Der Aufwand ist hoch: Die Probenzeit<br />

erstreckt sich über neun bis zehn Wochen, in denen täglich<br />

drei Stunden am Abend geprobt wird, dazu kommen zehn bis<br />

zwölf Vorstellungen.<br />

Beispielsweise die Oldenburger Version von ›Sluderkraam in’t<br />

Treppenhus‹, ein Stück, das die meisten noch vom Ohnsorg-<br />

Theater in einer Besetzung mit Henry Vahl und Heidi Kabel kennen.<br />

Dabei ist gerade dieses Theater kein Vorbild für die Oldenburger.<br />

›Ohnsorg tut uns nicht gut‹, sagt Dust. ›Die Besucher<br />

fragen allerdings danach, denn das ist für sie plattdeutsches<br />

Theater. Es ist aber aus den 60ern und sehr gestrig.‹ Inzwischen<br />

hat man jedoch auch dort erkannt, dass Platt und modern sich<br />

nicht ausschließen und mit dem Ohnsorg-Studio vor drei Jahren<br />

eine Bühne für junges Publikum eröffnet. Mit der tauscht die<br />

August-Hinrichs-Bühne nun einmal im Jahr Stücke für Kinder und<br />

Jugendliche: Die Hamburger schickten im März ihr Ensemble<br />

mit ›Die große Wörterfabrik – Wöör mit Kulöör‹ nach Oldenburg<br />

und bekamen im Gegenzug ›Gulliver‹. So hat man zwei Stücke im<br />

Programm, muss aber nur eins produzieren.<br />

Den ›Gulliver‹ hat Gesche Gloystein übersetzt, die das Plattdeutsche<br />

zwar nicht mehr zuhause gelernt hat, es aber von dort<br />

im Ohr hat, wie sie sagt. Um die Sprache richtig zu lernen, belegte<br />

sie Seminare an der Uni, jetzt spricht sie sie fließend: ›Löppt.‹<br />

Typisch plattdeutsche Antwort: auf den Punkt und ohne Gedöns.<br />

F o t o s : KAREN S TUKE

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