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BLATTZEIT

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30SOMMER 14 // <strong>BLATTZEIT</strong> // UCKERMARK-KRIMI<br />

Eingemauert<br />

Joe Waldvogel<br />

Ein Kurzkrimi<br />

von Alma Fisch<br />

lässt sich überreden<br />

„In fünf Tagen bringe ich den Kerl um.“ Michael Dombauer starrt auf die<br />

Fenster seines Landgasthofs, die keine Fenster, sondern nur leere Höhlen sind.<br />

„Wenn der Fensterbauer bis Samstag nicht seine Arbeit erledigt hat, bringe ich<br />

ihn um.“ In Gedanken sieht Michael den Kerl, der ihn nun schon seit drei<br />

Monaten vertröstet, im Staub knien. Winselnd und heulend, die Hände flehend<br />

erhoben und mit dem Angebot auf den Lippen, ihm die Fenster zum halben<br />

Preis und innerhalb der nächsten 24 Stunden einzubauen.<br />

„Nützt nichts“ murmelt der Gasthofbesitzer und wendet sich ab. Da er mit<br />

dem Innenausbau nicht weiterkommt, wird er heute die Wand im rechten<br />

Nebengebäude einreißen, die irgendein Scherzbold vor Jahren hochgezogen<br />

hat, ohne den dahinterliegenden Raum durch eine Tür begehbar zu machen.<br />

Michaels Frau hatte hin und wieder darüber fabuliert, was sich wohl hinter der<br />

Wand verbergen könnte. „Bestimmt drei Kisten mit DDR-Geld oder ein paar<br />

Kalaschnikow, irgendwas muss der Alte, dem der Gasthof damals gehört hat, ja<br />

zu verstecken gehabt haben. Sonst hätte er diese Mauer nicht hochgezogen,<br />

Michael“, hatte sie anfangs häufig gesagt. Als sie noch euphorisch waren und<br />

alles auf einmal zu schaffen glaubten. Inzwischen wussten beide, dass der<br />

Vorbesitzer die Mauer gar nicht gebaut hatte. Schöner Spruch im Osten, denkt<br />

Michael und grinst. Den sollte ich mal an irgendeinem Stammtisch zum Besten<br />

geben. Die Uckermärker wissen so etwas bestimmt zu schätzen.<br />

Der Alte jedenfalls hatte immer behauptet, er sei neunzig von seiner ersten<br />

Westreise nach der Wende heimgekehrt und hätte die Mauer vorgefunden.<br />

Niemand hatte ihm sagen können, wer sie hochgezogen habe und ihm sei es<br />

egal gewesen, weil er dieses Gebäude sowieso nicht habe nutzen und auch nicht<br />

habe wissen wollen, was für schmutzige Geheimnisse jemand auf diese Art hatte<br />

verschwinden lassen. Aber jetzt kommt die Mauer weg, denkt Michael.<br />

Die Arbeit mit dem Vorschlaghammer fühlt sich gut an. Michael Dombauer,<br />

der in den vergangenen Tagen hin und wieder von heftigen Zweifeln<br />

heimgesucht worden war, ob sie sich mit diesem Projekt Landgasthof nicht<br />

überhoben hatten, spürt, wie das Adrenalin durch den Körper fließt und ihn<br />

geradezu euphorisch macht. Die Mauer ist solide gebaut worden, aber seiner<br />

geballten Wut über einen betrügerischen Fensterbauer, die sich mit Mordlust<br />

paart, kann sie nicht standhalten.<br />

Als der Durchbruch groß genug ist, steigt Michael durch eine Staubwolke in<br />

den dahinterliegenden Raum, der größer ist, als er gedacht hatte. Keine<br />

Maschinenpistolen und offensichtlich auch keine Geldkisten liegen oder<br />

stehen herum. Stattdessen sitzt in der hinteren rechten Ecke ein Mann mit<br />

einem Stetson auf dem Kopf und einem kleinen Tuch um den Hals und grinst<br />

Michael verwegen an. „Uhmf“, stöhnt der und stolpert rückwärts wieder raus.<br />

Das könnte auch eine Jahrmarktsfigur aus der Geisterbahn sein, versucht er<br />

sich zu beruhigen, nachdem er mit zittrigen Händen die Telefonnummer seiner<br />

Frau gewählt hat, nur um nach dem ersten Klingelton wieder aufzulegen. Wie<br />

sollte ihm Sabine helfen, er muss selbst noch einmal nachschauen, ob da drin<br />

ein teilweise mumifizierter Toter sitzt oder ein Jahrmarktsscherz. Minuten<br />

später ist klar, dass er die Polizei würde rufen müssen.<br />

Michael steigt die Treppe zum Biergarten hoch, der in einer Woche<br />

eingeweiht werden soll, damit die Leute merken, dass die Gasthofbesitzer es<br />

wirklich ernst meinen, und setzt sich auf die niedrige Mauer, die den Biergarten<br />

vom Fußweg trennt. „Moin“, knarrt eine Stimme, die er kennt, und tatsächlich<br />

steht Joe Waldvogel rechts von ihm, mit dem Rücken an die Mauer gelehnt, eine<br />

selbstgedrehte Zigarette im Mund und eine Flasche Wasser in der Hand. Der<br />

klügste Alkoholiker der Uckermark, wie ihn Sabine Dombauer manchmal<br />

nannte, sieht aus, als wäre auch die letzte Nacht nicht spurlos an ihm<br />

vorübergegangen und erinnert Michael einmal mehr an den Schauspieler Jean-<br />

Paul Belmondo in seinen zerknitterten Zeiten.<br />

„Siehst aus, wie ausgekotzt“, sagt Waldvogel, als sei ihm sein eigenes<br />

Aussehen nicht bewusst.<br />

„Ich hab eine Leiche gefunden“, antwortet Michael und denkt: Schon ist es kein<br />

Geheimnis mehr. Dabei hatte er erst einmal überlegen wollen, ob er die Mauer<br />

nicht einfach wieder hochziehen und den Toten tot sein lassen sollte.<br />

„Zeig mal.“ Waldvogel tut, als hörte er solch eine Ansage jeden Tag mindestens<br />

einmal und Michael erinnert sich, dass der Mann in seinem früheren Leben<br />

Kriminialkommissar in der nahe gelegenen Kreisstadt gewesen war, bevor ihn die<br />

Wende und der Alkohol vom Dienst suspendiert hatten.<br />

„Das ist Cash“, murmelt der Kommissar außer Dienst, als er den Toten sieht.<br />

„Cash, wie Geld?“, fragt Michael Dombauer und wundert sich nur ein bisschen,<br />

dass Waldvogel den Mann sofort identifizieren konnte.<br />

„Cash wie Johnny Cash. War ein großer Fan. Bürgerlicher Name Thomas<br />

Schubert. Ich dachte, der ist Anfang neunzig nach Amerika gegangen. Da wollte er<br />

hin, um seinem Idol näher zu sein. Aber weit isser ja nicht gekommen, wie man<br />

sieht.“<br />

„Hör mal“, Michael hat eine Idee, die sich im ersten Augenblick hochgradig<br />

bescheuert anfühlt, es vielleicht aber gar nicht ist. „Wenn ich hier mit einer Leiche<br />

starte und die Polizei ewig Nachforschungen anstellt, krieg ich den Gasthof nie<br />

zum Laufen. Du bist doch Kommissar.“<br />

„War.“<br />

„Ja, mein Gott, aber du wirst doch noch wissen, wie man ein paar<br />

Nachforschungen anstellt. Ich meine, der sitzt jetzt seit 24 Jahren tot in diesem<br />

Raum, da kommt es doch auf ein, zwei Tage nicht an. Und wenn wir der Polizei<br />

einen aufgeklärten Fall präsentieren, wird es vielleicht nicht an die große Glocke<br />

gehängt. Ich will nächste Woche den Biergarten eröffnen, da kann ich keine<br />

Leiche gebrauchen.“<br />

„Wo lebst du denn“, fragt Waldvogel und geht zu dem Toten. Er bückt sich und<br />

für Michael sieht es aus, als beschnupperte er die Leiche, was dem Gasthofbesitzer<br />

fast den Magen umdreht.<br />

„Tja“, murmelt Waldvogel und steht wieder auf. „Da der Mann sich nicht allein<br />

eingemauert haben kann, muss es sich wohl um Totschlag oder Mord handeln. Da<br />

hat jemand den Leuten einen Gefallen tun wollen.“<br />

„War der so ein Arschloch“, fragt Michael und spürt unsinnigerweise eine kleine<br />

Erleichterung. Als sei es weniger schlimm, einen Toten im Gemäuer sitzen zu<br />

haben, der zu Lebzeiten nicht beliebt gewesen ist.<br />

„Sagen wir mal so: Wahrscheinlich finden es alle Frauen in der Umgebung und<br />

im Alter zwischen vierzig und sechzig in Ordnung, dass der Cash hier sitzt, mit<br />

einem Messer zwischen den Rippen, und blöde grinst. Der hat keine ausgelassen<br />

und allen große Versprechungen gemacht. Möchte nicht wissen, wie viele Kinder<br />

hier im Ort und in den Nachbardörfern Cashs Gene haben. Der hat, will man den<br />

Reden glauben, Montag eine Ehe zerstört, Dienstag eine Minderjährige<br />

entjungfert, Mittwoch deren Mutter verführt und Donnerstag mit der Großmutter<br />

der Minderjährigen in der Kiste gelegen.“<br />

„Dann muss es ja viele gegeben haben, die als Täter in Frage kommen“, sagt<br />

Michael ein wenig verzweifelt. Das klingt nicht, als könnte ein ausgemusterter<br />

Kriminalkommissar mit einem Alkoholproblem den Fall schnell lösen. „Werd ich<br />

wohl doch mal besser die Polizei rufen.“<br />

„Nicht so hastig“, knurrt Waldvogel. „Wie du schon sagtest, der Kerl hat es ja<br />

wohl nicht eilig, nachdem er so lange schon da rumsitzt. Jetzt mach mal ein paar<br />

vernünftige Fotos von dem und dann schließt du die Hütte hier zu und wir gehen<br />

ein Bier trinken. Ich kann sonst nicht denken.“<br />

„Bier habe ich hier. Hab schon Vorräte angelegt für die Eröffnung des<br />

Biergartens.“<br />

„Wir gehen in die ‚Scharfe Ecke’.“<br />

Du meine Güte, das war so ziemlich die übelste Kneipe im Umkreis von dreißig<br />

Kilometern.<br />

„Muss ein bisschen rumfragen“, sagt Joe Waldvogel, der die Abneigung<br />

Michaels zu spüren schien.

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