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Technischer Fortschritt im modernen Milchwirtschaftsbetrieb

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Tier und Technik 2005<strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> <strong>im</strong> <strong>modernen</strong><strong>Milchwirtschaftsbetrieb</strong>Christian Hofer; Verkaufsleiter DeLaval AG; SurseeEinleitungSehr geehrte Damen und HerrenSelbstverständlich habe ich ein Handy – wie Sie sehen ein Gerät, das Ihnen allen bestensbekannt ist. Sie können es sich kaum mehr wegdenken, das Produkt, welches 1993 mit demNatel D seine kommerzielle Laufbahn antrat. Heute wird mit dem Handy nicht mehr nurtelefoniert, es werden auch Bilder, Töne oder längere Texte weltweit an andere Handy- oderComputerbesitzer mit Internetanschluss gesendet. Was vor zwanzig Jahren als Utopie galt, istheute Realität ja es gehört sogar zum normalen Alltag.Mein Grossvater ist 94 – in mancher Beziehung ein typischer Grossvater. Er ist eingestandener Mann, bildete mehr als 30 Lehrlinge aus und gestaltete das landwirtschaftlicheBildungswesen aktiv mit. Ich kann ihm nicht mehr erklären, was ein Handy ist. Wenn ich ihmdie Funktionen zeigen möchte, lacht er und vermutet einen Schwindel. Der <strong>Fortschritt</strong> hat ihnüberholt. Sehr tragisch ist es für ihn nicht, wird er doch die ihm verbleibende Zeit auch ohneHandy mühelos verbringen. Anders sieht es aus für junge Menschen <strong>im</strong> arbeitsfähigen Alter.Ignorieren sie die technischen Entwicklungen, kann sich das fatal auswirken; sie können vonihrer fortschrittsfreudigen Umgebung langsam aber sicher übergangen und ausgeschlossenwerden.Geschätzte Zuhörerinnen und Zuhörer, ich spreche heute nicht über den technischen<strong>Fortschritt</strong> in der Kommunikationsbranche. Das Beispiel zu Beginn meines Referats soll nurzeigen, wie schnell der technische <strong>Fortschritt</strong> unser Alltagsleben beeinflussen kann und wieschnell sich Innovationen mit einem Nutzen für unser Alltagsleben etablieren können.Mein heutiges Thema ist der technische <strong>Fortschritt</strong> <strong>im</strong> <strong>modernen</strong> <strong>Milchwirtschaftsbetrieb</strong>.Ich behaupte, der technische <strong>Fortschritt</strong> in der Milchviehhaltung leiste einen wichtigenBeitrag zu einer humanen und tiergerechten Betriebsführung.


Der technische <strong>Fortschritt</strong> <strong>im</strong> AllgemeinenWährend den letzten 50 Jahren wurden viele technische Innovationen eingeführt, welche dieLandwirtschaft stark beeinflusst haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es innert wenigenJahren zu einem rasanten Aufschwung, und die expandierende Industrie hatte baldSchwierigkeiten, die nötigen Arbeitskräfte zu finden. Viele Leute wurden aus derLandwirtschaft abgezogen, und die Landwirtschaft musste Wege finden, mit wenigerPersonen gleichviel oder mehr zu produzieren.Die Arbeitsproduktivität konnte massiv durch den mechanisch-technischen <strong>Fortschritt</strong>gesteigert werden. Menschliche und tierische Kraft wurde durch Traktoren und Maschinenersetzt. 1950 waren zum Beispiel in Deutschland noch 5.1 Mio. Arbeitskräfte in derLandwirtschaft tätig und 2.5 Mio. Zugtiere erledigten die Zugarbeit auf den Feldern. Bis 1995waren fast alle Zugtiere verschwunden, und es gab knapp 600'000 landwirtschaftlicheArbeitskräfte.Ein weiterer Schritt hin zu einer erhöhten Arbeitsproduktivität war die Einführung derorganisatorisch-technischen Neuerungen. Dabei wurden die Kosten der Mechanisierungausgelagert. Der Landwirt braucht ja nicht selbst Maschinen zu besitzen, er muss nur dieDienste der Maschinen in Anspruch nehmen können, was bei entsprechender Organisationden Kostendruck verringert – Stichworte: gemeinschaftlicher Besitz von Maschinen;Maschinenringe; Einsatz von Lohnunternehmern.Alle Entwicklungsschritte bringen bei idealer Anwendung wirtschaftliche Vorteile mit sich.Der erste, der in die neuen technischen Innovationen investiert, produziert mehr proArbeitskraft und damit billiger als jene die warten. Mit der Zeit investieren <strong>im</strong>mer mehrBetriebsleiter in die neue Technik und am Schluss ist jeder, der <strong>im</strong> Markt bleiben will,gezwungen mitzumachen, ansonsten wird er verdrängt. Andererseits sind nebenwirtschaftlichen auch soziale Vorteile von Bedeutung, z.B. wird die Bäuerin von derFeldarbeit entlastet, Ferien sind weniger problematisch, und verschiedene gesundheitlicheProbleme treten seltener auf.


Technik macht Arbeitsbelastung erträglichInnovationen lösen zu Beginn meist Skepsis und Unsicherheit aus. Ein holländischerProfessor rechnete in den 50er Jahren seinen Studenten vor, dass Traktoren überhaupt nichtprofitabel seien. Er empfahl den Landwirten, weiterhin auf die Pferde zu setzen – und liessdabei ausser Acht, dass der Landwirt Tag für Tag hinter seinem Pferd hergehen musste, alsomühsamste Schwerstarbeit verrichtete, um 10 Hektaren Land zu pflügen.Mit Modellrechnungen konnte die Eidg. Forschungsanstalt für Agrartechnik in Tänikonzeigen, dass die Arbeit je Betrieb und Arbeitskraft zwischen 1990 und 2001 zurückgegangenist; dies trotz Wachstum der Betriebe. Bis 2010 ist bei gleich bleibendem Strukturwandel einweiterer Rückgang zu erwarten. Deutlich rückläufig war die physische Belastung.Ausgedrückt wird sie in Tonnen, die ein Landwirt für die entsprechenden Arbeiten bewegenmuss. Bis 2010 dürfte die physische Belastung nochmals stark abnehmen. Musste <strong>im</strong> Jahr1990 ein Landwirt in einem Durchschnittsbetrieb noch 811 Tonnen für Füttern und Melkenbewegen, dürften es <strong>im</strong> Jahr 2010 noch 217 Tonnen sein. Massgebend verantwortlich dafürsind laut Studie die zunehmende Verlagerung der Milchkühe vom Anbinde- in Laufställe unddie zusätzliche Mechanisierung in der Fütterung.Die technischen <strong>Fortschritt</strong>e auf dem Feld und <strong>im</strong> Stall haben in der Vergangenheit vielZeitersparnis und Arbeitserleichterungen gebracht. Insbesondere in der Milchviehhaltung istein beträchtliches Potenzial für weitere Einsparungen vorhanden. Wenn man in die Zukunftblickt und beachtet, was <strong>im</strong> Bereich automatisches Melken, auf das ich später noch zusprechen komme, an Innovation auf uns zukommt, erscheint dasArbeitserleichterungspotenzial noch viel grösser.


Der moderne <strong>Milchwirtschaftsbetrieb</strong>In der Schweiz stehen heute viele Landwirte vor der Entscheidung entweder weiterhin Milchzu produzieren und damit in diesen Betriebszweig zu investieren oder die Milchproduktionaufzugeben. Viele fragen sich, ob sie fit sind für die Zukunft.Das Internationale Netzwerk verschiedener Milchproduzenten (IFCN) sagt, wer die Kosten<strong>im</strong> Griff hat, der ist morgen fit. Dabei haben grössere Betriebe überall Kostenvorteilegegenüber kleineren. Die Entwicklung zu grösseren Betrieben geht in den nächsten Jahrenweiter. Betriebswirtschafter sehen die grössten Verbesserungspotentiale einerseits bei derEindämmung der Abgangsursachen der Kühe und andererseits be<strong>im</strong> massiven Senken derArbeitskosten. Bereits spricht man von der Kuh, die lediglich 6 Minuten Arbeitszeit pro Tagbeansprucht.Welche Technologien stehen nun dem Milchproduzenten zur Verfügung, um bei grossenHerden von 50 - 60 Kühen die Arbeitsbelastung zu senken? Dabei sollten <strong>im</strong>merRoutinearbeiten durch neuere Technologien ausgeführt werden damit der Landwirt für diewichtigen Aufgaben Zeit hat, nämlich, das Beobachten der Tiere, das Analysieren derBetriebsdaten und das daraus Ableiten entsprechender Betriebsentscheide.Ich gehe <strong>im</strong> Folgenden auf zwei Aspekte ein; die Melktechnik und das Herdenmanagement.Die MelktechnikIn der Vergangenheit konnte die Melkzeit von der E<strong>im</strong>ermelkanlage, über dieRohrmelkanlage bis hin zum Melkstand und dem Karussell massiv gesenkt werden. Bei denMelkständen haben die Landwirte die Möglichkeit, das für sie zugeschnittene Melksystemauszuwählen:• Zum Beispiel Tandem-Melkstände, bei welchen die Kuh in einer Einzelboxe gemolkenwird und der Tierverkehr durch Lichtschranken vollautomatisch gesteuert werden kann.Landwirte, welche das ganze Tier be<strong>im</strong> Melkvorgang <strong>im</strong> Auge behalten wollen, wählenmeist dieses System


• Oder Parallel-Melkstände, bei welchen die Tiere nebeneinander stehen, mit dem Euter zurGrube. Den Kühen wird das Melkzeug durch die Hinterbeine angehängt. Das System istbei Landwirten sehr beliebt, welche kurze Wege <strong>im</strong> Melkstand zurücklegen wollen undmit dem Frontaustrieb einen hohen Kuhdurchsatz wünschen.• Oder das Karussell als weiteres konventionelles System, für sehr grosse Kuhherden. Eineeinzelne Person erreicht hier eine hohe Melkleistung pro Stunde.In all den Melkständen steht heute eine Vielzahl von technischen Hilfsmitteln zur Verfügung,die den Melkkomfort und die Melkeffizienz auf einem möglichst hohen Niveau halten. Sozum Beispiel die Milchmengenanzeige, die automatische Ausmelkvorrichtung undMelkzeugabnahme und die computergesteuerte Verbindung zum Herdenmanagementsystem,um die <strong>im</strong> Melkstand gewonnen Daten gleich auf einen Prozessor zu transferieren.Ein Melksystem, das relativ neu auf dem Markt ist und sich am Etablieren ist, ist dasautomatische Melksystem, bei DeLaval heisst es VMS oder Freiwilliges Melksystem. DieVorteile des automatischen Melkens gegenüber den konventionellen Melksystemen sindfolgende:• Das häufige Melken der Kühe auf freiwilliger Basis• Die bis zu 40% Einsparung von Routinearbeiten• Die gleiche Milchmenge mit 5-15% weniger Kühen• Das Liefern wichtiger Informationen pro Viertellitergemelk wie Blutdetektion oderMilchmenge• Die Erhöhte Flexibilität <strong>im</strong> Tagesablauf des Landwirten• Das bessere Familien- und SoziallebenEs ist erwiesen, dass Roboter-Melksysteme eine positive Auswirkung nicht nur auf dieMilchproduktion, sondern auch auf Gesundheit und Wohlergehen der Herde und – wasebenso wichtig ist – auf die Lebensqualität des Landwirts haben. Mit einem automatischenMelksystem können sich die Kühe jederzeit selber melken. Die Euter sind nicht stundenlangvoll, und es ist einfacher für die Kühe, sich niederzulegen und auszuruhen. Die Atmosphäre<strong>im</strong> Stall ist entspannter und friedlicher.


Seit Mitte der 1990er Jahre die Roboter-Melksysteme eingeführt wurden, haben dieMilcherzeuger auf der ganzen Welt die Vorteile erkannt und das automatische Melken alsneuen Standard übernommen. Heute sind gegen 4000 Systeme in Betrieb. Wir von DeLavalmachen die Erfahrung, dass <strong>im</strong> nördlichen Europa bei grösseren Kuhherden bereits bei jedemzweiten oder dritten Projekt das automatische Melken in Erwägung gezogen wird.Es ist klar, dass das automatische Melksystem nicht weltweit für jeden Landwirt das richtigeist. Der indische Lohnmelker ist sicher nicht auf diese Technologie angewiesen. Für ihnwurde deshalb auch nicht der Roboter sondern das Milking-Bike entwickelt. Dasautomatische Melksystem ist vor allem in Ländern interessant, in welchen das Lohnniveauhoch ist, die Betriebe als Familienunternehmen geführt werden und die durchschnittlicheBetriebsgrösse grösser als 40 Tiere ist.In der Schweiz sind die ersten beiden Faktoren erfüllt. Wir wohnen in einem Hochpreislandund auch bei uns steht der Familienbetrieb <strong>im</strong> Vordergrund. Nicht jeder Betrieb wird inZukunft eine Arbeitskraft anstellen können, auch wenn er 60 Kühe melkt. Die Strukturenwerden in der nahen Zukunft ideale Grössen für das Robotersystem erreichen. So empfehlenwir eigentlich jedem Landwirten, der heute für 50 Kühe neu baut, das automatischeMelksystem als Alternative in Erwägung zu ziehen und das System auf sein Betriebsumfeldhin zu kalkulieren.HerdemanagementsystemIch verlasse die Melktechnik und komme zum Herdenmanagement-System, einem zweitentechnisch <strong>modernen</strong> Hilfsmittel. Es ist schwierig eine Kuhherde ab 30 Tieren durch reinesBeobachten unter Kontrolle zu haben. Hochleistungskühe stellen besondere Anforderungenan eine gezielte Fütterung und eine sorgfältige Gesundheitsüberwachung. Die heutigenHerdenmanagementsysteme bieten ein professionelles und vernetztes Konzept für alleproduktionsrelevanten Vorgänge:• Das System steuert den gesamten Melkvorgang, vom Anrüsten, zum Ausmelken bis hinzur Melkzeugabnahme.


• Es steuert den Kuhverkehr <strong>im</strong> Melkstand oder nach dem Melkstand über Selektionstore,welche das automatische Trennen von Einzeltieren aus der Herde ermöglichen.• Das Herdenmanagementsystem steuert die Milchvieh- und die Kälberfütterung. Mit denDosierungssystemen wird das Futter kontinuierlich in die Fressschalen abgegeben und dieAuswurfrate kann der Fressgeschwindigkeit der Kuh angepasst werden.• Das System kann mit der Aktivitätsmessung gekoppelt werden. Mit der Brunst ist dieAktivität der Kuh höher, was von den Aktivitätsmessern erfasst wird. DieEntscheidungsgrundlage für eine termingerechte Besamung wird opt<strong>im</strong>iert, die Chancestillbrünstige Kühe zu erfassen steigt.• Die neuen Herdemanagementsysteme haben auch eine Verbindung über den PalmRechner.Die Tendenz heute geht wieder dahin, dass man über jede Kuh möglichst viele individuelleInformationen sammelt. Die Anonymität der einzelnen Kuh, die in grossen Herden ohnetechnische Hilfsmittel nicht zu vermeiden wäre, verschwindet.

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