AUF DER GLOCKNERSTRASSEAuf über <strong>2000</strong> Meter Höhe: Sturmkapelle und SturmhütteScheiteltunnel verbindet in einer Seehöhevon 2504 Metern den Nord- undSüdteil der Straße und damit die LänderSalzburg und Kärnten; er ist der höchstgelegeneStraßentunnel Österreichs undder zweithöchste Europas. Zwei Monateharte und wetterbehinderte Arbeitwaren für die Vollendung notwendig.Am 14. November wurde die Durchtunnelungnach altem Bergmannsbrauchgefeiert - zur Freude des Seelsorgersmit einem Gottesdienst. Am Beginn desStollens hatten Arbeiter einen Feldaltarerrichtet, den prachtvolle Eiszapfenschmückten, die durch farbige Glühbirnenzauberhaft wirkten; in einer Nischemit Latschenschmuck stand eine Statueder heiligen Bergarbeiterpatronin Barbara.Der Gottesdienst in diesem katakombenartigenRaum des Stollens machtetiefen Eindruck. Dann dröhnten dumpfachtzehn Schüsse durch den Stollen,und bald fühlte man die scharfe Luftdurch den geöffneten Stollen pfeifen.Die Belegschaften begrüßten einander,und der Seelsorger rief den Segen aufdie zwei weiteren Bauperioden zur Vollendungdes Werkes herab.(aus: Kalasantinerbl., 46.Jg./1933, S.226)KulturbarackeDer Seelsorger hat die Errichtungeigener Kulturbaracken angeregt unddank tatkräftiger Unterstützung derGroßglockner AG und des oberstenBauleiters erhalten. Die Kulturbarackeist eine größere Baracke mit sakralemZweck, da es heroben keine Kapellengibt. Der Sonntagsgottesdienst hier(nunmehr auf 2400 Meter Höhe) weisterfreulicherweise einen bedeutend besserenBesuch auf als in den Vorjahren.Arbeiter ministrieren. Weiters dient derRaum als Vortragssaal volksbildnerischenZwecken wie den beliebten Lichtbildervorträgen.Jüngst haben sich einige,die wegen der Nachtschicht im Tunnelden Vortrag nicht anhören konnten,beim Seelsorger sogar „beschwert“, daßsie sich als Stiefkinder fühlen, und derBaraberpfarrer mußte eigenseinmal kommen, umihnen den Vortrag nochmalszu halten. Schließlichdient die Kulturbarackeden Arbeitern als idealerAufenthaltsort in der Freizeitzur Erholung und Geselligkeit.Bisher hat es an einem solchenRaum gemangelt. Die Leute hattennur ihre engen, düsteren, vollbelegtenBaracken; die Versuchung zum Besuchder Kantine, in der der Mensch seinschwerverdientes Geld in Alkohol umsetzt,lag nahe. Tageszeitungen liegenauf und informieren über die Vorgängeund Probleme in der großen Welt. VerschiedeneSpiele stehen zur Verfügung:man spielt sehr gerne und gut Schach,vergnügt sich am Tischtennis, am„Mensch, ärgere dich nicht“, an derTischkegelbahn oder an der Stoßbudel.Eine Kulturbaracke ist mit einer großenRadio- und elektrischen Grammophonanlageausgestattet worden. Lustig gehtes hier heroben oft her, besonders wenngesungen wird oder Ziehharmonika oderZither froh aufspielen. In der Ecke sitzendie Briefschreiber, aus deren glänzendenAugen und verzücktem Mienenspielman deutlich liest, daß sie derMutter oder der „Allerliebsten“ schreiben.In jeder Kulturbaracke ist weitersein eigener Bibliotheksraum bereitgestellt,und rege wird nach den Bücherngegriffen. Der Seelsorger arbeitet je eineWoche in den einzelnen Kulturbarackenund besucht von dort die umliegendenLager. Kehrt er zurück, hört er desöfteren die Klage: „Herr Pfarrer, jetztwaren Sie wieder lange fort. Dafür müssenSie länger bei uns bleiben.“ - „Kinder,ich habe eben neun Lager zu versorgen.“Besuch des BundeskanzlersSonntag, 15. Juli 1934: BundeskanzlerDr. Dollfuß kommt unerwartet aufBesuch. Rasch hatte der populäre Kanzlerüberall, wo er mit den Arbeiternzusammenkam, herzlichen Kontakt mitden wackeren Pionieren gefunden; ersprach mit vielen und drückte ihnenherzlich die Hand; er hatte für jeden eingutes Wort, sprach und scherzte wie mitKameraden. Einen hat er gefragt, ob ermit seiner Regierung zufrieden sei, woraufzur allgemeinen Heiterkeit die lakonischeBaraberantwort prompt erfolgte:„Noch nicht ganz, aber es wird schonwerden.“ Mit einer Bierjause und undeinigen tausend Zigaretten und Zigarrenhat der Kanzler den zweitausendArbeitern große Freude gemacht. Umsoerschütternder wirkte etliche Tage später(26. Juli) die Kunde vom tragischenEnde des Bundeskanzlers.(aus: Kalas.bl., 47.Jg./1934, S.219-222)TodesfälleAm 3. August dieses Jahres soll dieTunneleröffnung den Autos die Überquerungder Hohen Tauern ermöglichen.Seit Mai leisten hunderte Arbeiterdie Abschlußarbeiten. Leider hat dieseletzte Arbeitsperiode schon sieben Todesopfergefordert. Fünf Heiligenbluterfanden beim Fensterbach der Südrampeden Lawinentod. Ende Juni fiel ein Arbeitervon einer Brüstung und erlagseinen Gehirnverletzungen. JüngsterUnglücksfall: Ein Autolenker verlor dieHerrschaft über seinen in schneller Fahrtbegriffenen und schwer mit Schotterbeladenen Lastwagen. Zwei Mitfahrerretteten sich durch Abspringen, der drittewurde vom Hinterrad überrollt undstarb kurz darauf. Die Anteilnahme derBelegschaft wirkt immer tröstlich. Kameradentragen den Toten selbst zuGrabe und in größerer Abordnung gebensie das Geleit zur letzten Ruhestätte,während auf der Baustrecke zur Zeitder Beerdigung die Sirene eine Trauerpauseanzeigt. Sammlungen für die Hinterbliebenensetzen ein; selbst arm, besitzendie Baraber Einfühlungsvermögenin die düsteren Verhältnisse der erstseit einem halben Jahr verheirateten Frauund angehenden Mutter - zwei Kindersind aus der früheren Ehe da. Der Gottesdienstfür den Verunglückten amSonntag darauf ist gut besucht.Als Österreicher freuen wir uns vonHerzen, daß dieses Werk in so schwererZeit gelungen ist. Tausende Menschenhatten Verdienst und Brot. Die Straßewird jedoch in Zukunft ein Segen für dieHeimat sein, weil sie durch die Erschließungder herlichen Hochgebirgswelt imGebiete der Hohen Tauern den internationalenFremdenverkehr nach Österreichlenken wird. Deshalb schaut Österreichvoll bester Hoffnung auf das jüngsteWerk österreichischer Technik.(aus: Kalas.bl., 48.Jg./1935, S.177f)24
Seelsorge, soziale Neuerungen, sanfte Bauweise:Ein außergewöhnliches WerkDIE ENTSTEHUNG1924 plante eine österreichische Expertengruppe eine bilderreiche Hochstraße, die technisch alleberühmten Hochalpenstraßen in den Schatten stellen sollte. Ein Problem war für Österreich aberdie Finanzierung. Ausgerechnet der New Yorker Börsenkrach im Oktober 1929, der die Welt ineine schwere Wirtschaftskrise stürzte, ließ den Bau der Glocknerstraße Wirklichkeit werden.Alle Bauwunden im Nachhinein geheilt - Naturschönheit erhaltenIn Österreich stieg die Zahl der „vorgemerktenArbeitslosen“ von knapp200.000 im Jahre 1929 auf 557.000(das waren 26 Prozent) im Jahre 1933.Viele ArbeitsplätzeVor dieser düsteren Szenerie gewinntder Bau der Glocknerstraße von1930 bis 1935 soziale Bedeutung. 26Monate lang fanden an dieser größtenBaustelle Österreichs durchschnittlich3200 Menschen Arbeit. Als Aktionäreder Großglockner-HochalpenstraßenAG streckten der Bund, Kärnten undSalzburg die Bausumme vor, nach Beendigungder Arbeiten würden die Benützerder Straße Bau- und Wartungskostendurch eine Maut abdecken.Der Kärntner Ingenieur Franz Wallackprojektierte eine sechs Meter breiteBergstraße und rechnete mit 120.000Besuchern jährlich. Zwar wurde er dafürals Phantast abgekanzelt, doch wirdseine Schätzung derzeit weit übertroffen(900.000 Besucher jährlich).Sanfte BauweiseWallack war glücklicherweise nichtnur Techniker sondern auch begeisterterAlpinist. Er hielt es für „Vermessenheit“,mit den Mitteln der Technik derNatur den Rang ablaufen zu wollen.“ Ernervte seine Mitarbeiter mit der striktdurchgesetzten Anordnung, von derBautrasse allen Humus samt Bewuchsabzuheben, um damit hinterher alle Bauwundenzu heilen. Auch schmiegte dernaturverbundene Ingenieur die Straßeund ihre Kehren beispielhaft den Formender Landschaft an.Soziale NeuerungenDie Arbeiter erlebten zwar äußerstschwierige Bedingungen (Höhenlage,Kälte und Schnee), wurden aber trotzdemauch beneidet. Denn ihre Arbeitsplätzewaren überdurchschnittlich bezahlt,sie erhielten Höhenzulage (12Prozent) sowie 25 Prozent Aufschlagfür Überstunden, hatten saubere, warmeund trockene Unterkünfte sowie regelmäßiggutes Essen. Zudem erlebtensie eine revolutionäre soziale Neuerung:Für sie galt die erste SchlechtwetterregelungÖsterreichs, wonach der Unternehmerbei Schlechtwetter Unterkunftund Verpflegung zahlte.Ein eigener SeelsorgerEs war auch nicht selbstverständlich- und von vielen Arbeitern zumindestseinige Zeit keineswegs erwünscht -, daßein eigener Seelsorger auf den Baustellenmitlebte. Doch zeigen die Berichteauf den vorhergehenden Seiten, daß dieAnwesenheit von P.Stiletz den Arbeiternin mehrfacher Hinsicht eine Hilfewar. Er verschuf ihnen einerseits Abwechslung(kulturelle Veranstaltungen),gab andererseits aber auch allen, die eswollten, geistlichen Halt. Manche, dieKühner Rundbalkon um den TörlkopfKehren der Großglocknerstraße: harmonisches Linienspiel25