Standard Spezial, Bologna - Bundesministerium für Wissenschaft ...
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<strong>Bologna</strong>-Prozess<br />
BOLOGNA-PROZESS<br />
März MÄRZ 2010 der <strong>Standard</strong> BMWF 5<br />
„Bachelorstudium<br />
zeitlich erweitern“<br />
Brigitte Marschall vom<br />
Institut <strong>für</strong> Theater-,<br />
Film- und Medienwissenschaft<br />
der Uni Wien,<br />
diskutierte mit Studienvertreter<br />
Florian Wagner<br />
über Protest und <strong>Bologna</strong>.<br />
Moderiert hat<br />
Dominik Zechner.<br />
Frau Professor Marschall, was fällt Ihnen<br />
ein, wenn Sie an Ihre Studienzeit<br />
denken – im Vergleich zu heute?<br />
Marschall: Wir hatten insofern eine<br />
große inhaltliche und strukturelle<br />
Freiheit, als das Studium damals noch<br />
nicht so festgezurrt war. Es herrschte<br />
eine rege politische Diskussion. Ich<br />
kannmichnochguterinnern,dasswir<br />
viele alternative Seminare veranstaltet<br />
haben.<br />
Herr Wagner, das neue Bachelor-Curriculum<br />
<strong>für</strong> das Institut <strong>für</strong> Theater-,<br />
Film- und Medienwissenschaft (TFM)<br />
ist jetzt ein Semester alt. Die Studienrichtungsvertretung<br />
votierte ursprünglich<br />
gegen den Entwurf. Warum?<br />
Wagner: Wir haben grundsätzlich<br />
ein Problem damit, wie es zur Erarbeitung<br />
solcher Studienpläne kommt.<br />
Die Studierenden sind in allen da<strong>für</strong><br />
zuständigen Kommissionen in der<br />
Minderheit und können immer überstimmt<br />
werden. Das führt dazu, dass<br />
diese Pläne inhaltlich zwar ambitioniert<br />
sein mögen, vom Gesichtspunkt<br />
der Studierbarkeit aber sehr schlecht<br />
gebaut sind.<br />
Warum glauben Sie, sind so viele Studierende<br />
gegen den <strong>Bologna</strong>-Prozess?<br />
Wagner: Ein Grund ist zweifellos,<br />
dass <strong>Bologna</strong> in vielen Fächern erst<br />
heute so richtig spürbar ist. Wobei es<br />
einen großen Unterschied gibt zwischen<br />
dem Grundgedanken einer<br />
Vereinheitlichung der europäischen<br />
Bildungssysteme und der spezifisch<br />
Florian Wagner und Brigitte Marschall vom Institut <strong>für</strong> Theater-,<br />
Film- und Medienwissenschaft ringen mit <strong>Bologna</strong>. Foto: Fischer<br />
Es finden Workshops und Konferenzen zu Kreditund<br />
Transfersystemen, Akkreditierung, transnationaler<br />
Bildung, Bakkalaureat-Studien statt. Die<br />
Tagung der Studierenden in Göteborg formulierte<br />
Wünsche und Forderungen an die Minister <strong>für</strong><br />
die Nachfolgekonferenz in Prag. Außerdem gab es<br />
eine Konferenz der Hochschuleinrichtungen in<br />
Salamanca, Spanien.<br />
österreichischen Umsetzung, die sogar<br />
angesichts des schon umstrittenen<br />
Ursprungsmodells eine Verschlechterung<br />
darstellt.<br />
Marschall: Ich glaube auch, dass man<br />
gerade erst anfängt, die praktische<br />
Konsequenz der neuen Studienpläne<br />
abzuschätzen. Es verdeutlicht sich zunehmend<br />
ein großer Widerspruch:<br />
Die Studierenden etwa sollen rasch<br />
abschließen, aber auch Mobilität in<br />
Anspruch nehmen; die Qualität soll<br />
gesteigert werden, man will sich das<br />
aber nichts kosten lassen.<br />
Wagner: Wichtig ist zudem, dass dieses<br />
Grundkonzept von <strong>Bologna</strong> stark<br />
auf Employability setzt, das bedeutet<br />
sozusagen eine Verdinglichung von<br />
<strong>Wissenschaft</strong>. Statt im Studium<br />
Raum <strong>für</strong> eine kritische Reflexion gesellschaftlicher<br />
Verhältnisse zu geben,<br />
wird die Ausrichtung universitärer<br />
Bildung zusehends vom Arbeitsmarkt<br />
diktiert.<br />
Marschall: Ich bezeichne das gern als<br />
„Wissenswirtschaft“: Schlagwörter<br />
wie Wissensbilanz, Qualitätssicherung<br />
und Ökonomie nehmen deutlich<br />
überhand.<br />
Wie könnte solch eine Reform aussehen?<br />
Marschall: Es wäre durchaus möglich,<br />
das dreijährige Bachelorstudium<br />
zeitlichzuerweitern.AuchdieCredit-<br />
Points werden vermutlich an Bedeutungverlieren.ImGrundeaberbedarf<br />
es einer prinzipiellen Definition von<br />
Universität an sich. Was ist unser gesellschaftspolitisches<br />
Ziel? Was unser<br />
Auftrag? Das vermisse ich.<br />
ZU DEN PERSONEN:<br />
Brigitte Marschall, geb. 1957, leitet<br />
das Studienprogramm des Instituts <strong>für</strong><br />
Theater-, Film- und<br />
Medienwissenschaft an der Universität<br />
Wien.<br />
Florian Wagner, geboren 1984, studiert<br />
seit 2007 Theater-, Film- und<br />
Medienwissenschaft. Er ist gewählter<br />
Studienvertreter.<br />
Als Ergebnis der ersten<br />
<strong>Bologna</strong>-Nachfolgekonferenz<br />
in Prag, die einerseits<br />
der Bestandsaufnahme<br />
und andererseits der Diskussion<br />
der künftigen<br />
Schwerpunktsetzung diente,<br />
wird das Prag-Kommunikee<br />
verabschiedet.<br />
„Eine technische Ausbildung bedeutet, dass man nie aufhört zu lernen“, sagt Martin Horauer, Studiengangsleiter <strong>für</strong><br />
Elektronik (re). Roman Beneder hat an den Bachelor den Master angehängt. Foto: Fischer<br />
„<strong>Bologna</strong> ist wie eine<br />
Weltsprache“<br />
Über den Wildwuchs an Studienangeboten und<br />
Zeitmanagement erzählen Martin Horauer, Studiengangsleiter<br />
am Technikum Wien, und Masterstudent<br />
Roman Beneder im Gespräch mit Sophie Niedenzu.<br />
Wie hat sich das Elektrotechnik-Studium<br />
durch das <strong>Bologna</strong>-System verändert?<br />
Horauer: Anfangs hatten wir einige<br />
Probleme, die durch ein Feedback der<br />
Studierendenrascherkanntwurden.Es<br />
gab eine zu frühe <strong>Spezial</strong>isierung. Dadurch<br />
sind essenzielle Grundlagen zu<br />
kurz gekommen. Wir haben dann die<br />
<strong>Spezial</strong>isierung aus dem Bachelor rausgenommen.<br />
Ich kann nach einem Bachelor<br />
keine Topkamera bauen, allein<br />
die Software des Mikrocontrollers hat<br />
einige hunderttausend Zeilen Code.<br />
Bis man so etwas entwickeln kann, da<strong>für</strong><br />
braucht man Zeit. Ich müsste fundamentale<br />
Dinge weglassen, kann sie<br />
aber nicht guten Gewissens streichen.<br />
Existiert denn eine Unsicherheit, mit einem<br />
Bachelor keinen Job zu bekommen?<br />
Beneder: In meinem Masterstudiengangarbeitenfastalle.Manbleibtmeistens<br />
in der Firma, in der man sein<br />
Pflichtpraktikum absolviert hat und<br />
hängt den Master berufsbegleitend<br />
dran.<br />
Was hat Sie motiviert, den Master anzuhängen?<br />
Beneder: Ich habe gewusst, dass ich<br />
mit dem Bachelor allein nicht genug<br />
Wissen habe. Ich habe während des<br />
Bachelors bereits nebenher im Fach<br />
gearbeitet und mitbekommen, was gefordert<br />
wird.<br />
Horauer: Eine technische Ausbildung<br />
bedeutet, dass man nie aufhört zu lernen.<br />
Ich kann nicht einfach ein Thema<br />
abhaken.<br />
Wie gut funktioniert der Übergang von<br />
Bachelor- zu Masterstudium?<br />
Horauer: Es gibt einen Reibungsverlust,<br />
wenn ein Bachelor- mit dem Masterstudium<br />
nicht abgestimmt ist. Als<br />
Lehrender muss ich im Master die Studenten<br />
wieder auf ein einheitliches Level<br />
bringen, was etwa ein Jahr dauert.<br />
Problematisch ist auch das extrem aufgefächerte<br />
Angebot, vor allem im Bachelor.<br />
Besser wäre es gewesen, weniger<br />
Bachelorstudien anzubieten, die zu<br />
Schwerpunkten zusammengefasst<br />
sind, weil der Bachelor eine Grundlage<br />
sein soll. Jetzt haben wir einen Wildwuchs<br />
an Studienangeboten. Man studiert,<br />
was hip klingt. Aber <strong>Bologna</strong> ist<br />
wie eine Weltsprache, und es wäre ein<br />
Schuss ins Knie, als kleines Land wie<br />
Österreich kleinkariert zu denken und<br />
zu sagen, ich behalte das alte System.<br />
Der Master ist berufsbegleitend. Geht<br />
sich das aus, neben dem Job auch noch<br />
intensiv zu lernen?<br />
Beneder: Zeitmanagement steht bei<br />
mir an oberster Stelle. Ich habe das<br />
Glück, dass ich in meinem Job in dem<br />
Gebiet arbeite, in dem ich auch studiere.<br />
Ich habe im Master den theoretischen,<br />
und in meiner Arbeit ansatzweise<br />
den praktischen Teil. Daher<br />
habe ich nicht das Gefühl, dass mir etwas<br />
fehlen würde.<br />
Horauer: Das funktioniert nur gut,<br />
wenn es eine fachliche Synergie zwischen<br />
Arbeit und Studium gibt. Sonst<br />
ist es schwieriger.<br />
ZU DEN PERSONEN:<br />
Martin Horauer (41) ist Studiengangsleiter<br />
des Bachelor Elektronik am<br />
Technikum Wien.<br />
Roman Beneder (24) befindet sich im<br />
Masterstudium „Embedded Systems“.<br />
1999 bis 2001 2001 2002 bis 2003<br />
An jeder Universität bzw.<br />
Fachhochschule wird ein <strong>Bologna</strong>-<br />
Beauftragter nominiert.