Erfahrungen und Werte im Lichte des Studiums - Bundesministerium ...
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<strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong><br />
<strong>des</strong> <strong>Studiums</strong><br />
Gedankenwettbewerb<br />
Europäisches Forum<br />
Alpbach 2013<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Forschung
Vorwort<br />
Wer heutzutage beginnt, von <strong>Werte</strong>n zu<br />
sprechen, hat sein Gegenüber oft schon<br />
vergrault. Kaum ein Begriff leidet unter<br />
einer solch inflationären Verwendung.<br />
Auch hohe Güter wie Gerechtigkeit, Freiheit,<br />
Gleichheit werden zu Schlagwörtern<br />
degradiert, <strong>und</strong> dabei rückt oft in<br />
den Hintergr<strong>und</strong>, was damit eigentlich<br />
gemeint war. Es ist wohl verständlich,<br />
dass solche Ideale in ihrer Abstraktheit oft schwer fassbar sind, doch<br />
wäre es fahrlässig, sie <strong>des</strong>wegen einfach beiseite zu legen. Wünschen<br />
wir uns doch gerade von den jungen Generationen, dass die <strong>Werte</strong>, die<br />
unser eigenes Handeln geleitet haben, auch von ihnen weitergetragen<br />
werden <strong>und</strong> ihre Bedeutung nicht verloren geht.<br />
In Anlehnung an das diesjährige Motto <strong>des</strong> Europäischen Forums<br />
Alpbach lautet das Thema <strong>des</strong> dritten Gedankenwettbewerbs, veranstaltet<br />
vom B<strong>und</strong>esministerium für Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung gemeinsam<br />
mit dem Netzwerk der Initiativgruppen <strong>und</strong> dem Standing Committee,<br />
„<strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong>“. Wir wünschen<br />
uns, damit neues Leben in die Debatte zu bringen <strong>und</strong> sie mit neuen<br />
Inhalten zu befüllen.<br />
1
Die Stipendiatinnen <strong>und</strong> Stipendiaten erarbeiten in ihren Beiträgen auf<br />
spannende Weise, welche <strong>Werte</strong> sie für wichtig erachten <strong>und</strong> wo die<br />
Schnittstelle zum Studium liegt. Faszinierend zu lesen sind die verschiedenen<br />
Herangehensweisen <strong>und</strong> Ansichten, die durch die vielfältigen<br />
Hintergründe der Teilnehmer/innen variieren. So lassen sich sowohl<br />
in der Definition der <strong>Werte</strong> wie auch in der Verknüpfung dieser mit<br />
Hochschulbildung verschiedenste Prägungen erkennen <strong>und</strong> ungleiche<br />
Interpretationen ableiten.<br />
Be<strong>im</strong> Forum Alpbach ergibt sich für die Stipendiat/innen eine hervorragende<br />
Gelegenheit, sich über die Bedeutung von <strong>Werte</strong>n in der<br />
heutigen Zeit auszutauschen. Die zahlreichen Einsendungen lassen<br />
erahnen, dass eine Diskussion über <strong>Werte</strong> nicht als altmodisch oder<br />
unzeitgemäß gilt, sondern dass sich eben diese junge Generation der<br />
Debatte stellen will.<br />
Ich möchte mich bei den Teilnehmerinnen <strong>und</strong> Teilnehmern für ihr<br />
Engagement be<strong>im</strong> dritten Gedankenwettbewerb <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esministeriums<br />
für Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung herzlich bedanken <strong>und</strong> freue mich<br />
über ihren Beitrag zu diesem wichtigen gesellschaftspolitischen Diskurs.<br />
<strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong><br />
<strong>des</strong> <strong>Studiums</strong><br />
Gedankenwettbewerb<br />
Europäisches Forum<br />
Alpbach 2013<br />
o. Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Töchterle<br />
B<strong>und</strong>esminister für Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung<br />
2 3
Inhalt<br />
Vorwort<br />
Sophie Zehetmayer<br />
Alexander C. W<strong>im</strong>mer<br />
Barbara Zelger<br />
Christina Wrann<br />
Marie-Luise Merz<br />
Ines Findenig<br />
Isabel Syrek<br />
Lena Sophie Franke<br />
Margit Perko<br />
Maria Anegg<br />
Marie Christine Lumper<br />
S<strong>im</strong>one Pesendorfer<br />
Stefanie Rieder<br />
Johanna Rainer<br />
Katharina Steinbrecher<br />
Verena Schaupp<br />
Mathias Jungbauer<br />
Magdalena Biereder<br />
01<br />
07<br />
11<br />
15<br />
19<br />
23<br />
29<br />
33<br />
37<br />
41<br />
47<br />
51<br />
55<br />
59<br />
63<br />
69<br />
73<br />
77<br />
83<br />
4 5
Etwas bricht auf<br />
von Sophie Zehetmayer,<br />
Stipendiatin der Initiativgruppe Alpbach Wien<br />
6 7
Der Versuch, von Erfahrung zu sprechen, hat für mich von vornherein ein gescheiterter<br />
zu sein – so vielfältig wie die Bedeutung von Erfahrung ist, fühle<br />
ich mich allein be<strong>im</strong> Erdenken eines Konzeptes für diesen Essay wie ein<br />
„Moneymaker“-Teilnehmer in der Gelddusche: verzweifelt haschend nach allem,<br />
was Gewinn bringen könnte, <strong>und</strong> es in die Taschen stopfend bis klar wird,<br />
dass das meiste einen bloß gestreift hat, oder, einmal eingefangen, wieder herabgefallen<br />
ist. Am Ende ist das, was man doch behält, bloß ein Bruchteil <strong>des</strong><br />
Möglichen <strong>und</strong> man steigt mit enttäuschtem Lächeln wieder heraus aus der<br />
Dusche, aus dem eigenen Kopf.<br />
Es sind die feinen Unterschiede verschiedenen Erfahrens, die mir zu definieren<br />
beinahe unmöglich, dennoch spürbar sind, semantische Abweichungen,<br />
Risse, die eine Schlucht aufreißen, sobald man sich die Zeit n<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> sein<br />
Auge daran hält be<strong>im</strong> Versuch, darunter etwas zu erkennen. Wird etwa einem<br />
Menschen Erfahrung zugesprochen, will zumeist vermittelt werden, er habe<br />
viel, somit Verschiedenstes, erlebt – dagegen, wenn er in etwas erfahren ist,<br />
kann er jahrelang dasselbe gemacht haben, ohne jemals in eine Ausnahmesituation<br />
gekommen zu sein – hier klingt der Unterschied zwischen Erfahrung (als<br />
etwas, das man innehat) <strong>und</strong> Erfahrenheit an, wobei letztere auch mit Weisheit<br />
konnotiert zu sein scheint… so auch weiter.<br />
Mein Ansatz ist ein sehr sprach-, sehr wortbezogener, <strong>und</strong> hier kommt der<br />
Anstoß durch das eigene Studium <strong>im</strong> Zusammenhang mit Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n<br />
ins Spiel, befasse ich mich durch mein Studium ständig mit Text- <strong>und</strong><br />
Sprachkritik, an Fremdem, an Eigenem, <strong>im</strong> Schreiben selbst, <strong>im</strong> darüber Reden.<br />
Pablo Neruda schreibt in seinem Essay „Poésie Impure“: „Es ist sehr nützlich,<br />
zu best<strong>im</strong>mten St<strong>und</strong>en <strong>des</strong> Tages oder der Nacht die ruhenden Dinge<br />
tief zu betrachten.“ In diesem Essay bezieht er sich, wie der Titel bereits in<br />
Ansätzen zeigt, auf die Lyrik – reduziert man den Satz jedoch noch weiter, auch<br />
wenn dadurch die gewollte Aussage Nerudas verloren geht, erhält er eine neue<br />
Aussage von allgemeinerer Gültigkeit: denn mir scheint es überhaupt, generell<br />
sehr nützlich zu sein, Dinge, <strong>und</strong> nicht mehr bloß ruhende Gegenstände, sondern<br />
auch Lebendiges, Geschehnisse, Gedanken, eben auch <strong>Werte</strong> etc., tief zu<br />
betrachten – zu hinterfragen, zu erklären suchen, um sie klarer zu sehen.<br />
Denn was folgt, ist eine andere Wahrnehmung der Bedeutung <strong>und</strong> ein Erkennen<br />
von Zusammenhängen, die sich auf den ersten Blick nicht deutlich zeigen<br />
wollen. In einem wieder neuen Sinn <strong>des</strong> Wortes ein Erfahren als sinnlich <strong>und</strong><br />
theoretisch fassbar werden, als Lernen, als Verstehen auch vor allem; somit als<br />
Öffnung <strong>des</strong> Denkens durch das Einbeziehen neuer Ansichten.<br />
Hier führe ich auch wieder zurück auf die genaue Betrachtung der Sprache:<br />
Sobald die Mehrschichtigkeit eines Wortes bemerkbar ist, erfährt es eine Wertsteigerung<br />
(<strong>und</strong> hier sind wir endlich bei den <strong>Werte</strong>n), die eine enorme ist: so<br />
wird die Sprache dann tatsächlich zu etwas Kostbarem.<br />
Wie mit allem Kostbaren<br />
ist daher auch bedacht damit<br />
umzugehen – diese Bedachtheit<br />
ermöglicht dann<br />
erst die Arbeit mit dem Material,<br />
eine Arbeit, deren Ziel<br />
es ist, tatsächlich gesagt zu<br />
haben was gemeint ist, somit:<br />
eine Klarheit der Aussage<br />
zu erreichen.<br />
Ein Missverständnis kann<br />
einzig aus einer Unklarheit<br />
der Kommunikation entstehen,<br />
wodurch die bestehende<br />
Unter-wertung <strong>des</strong> Wortes,<br />
die sich oftmals durch<br />
vorbeizielende Formulierungen<br />
in der Alltagssprache<br />
bemerkbar macht, auch zu<br />
einer Art Kommunikationskrise<br />
führt – somit zu Aussagen,<br />
die nichts aussagen,<br />
oder einander verfehlen.<br />
Dem entgegenzuwirken<br />
In einem wieder<br />
neuen Sinn <strong>des</strong><br />
Wortes ein Erfahren<br />
als sinnlich <strong>und</strong><br />
theoretisch fassbar<br />
werden, als Lernen,<br />
als Verstehen auch<br />
vor allem; somit als<br />
Öffnung <strong>des</strong> Denkens<br />
durch das Einbeziehen<br />
neuer Ansichten.<br />
fällt dabei äußerst schwer, insbesondere, wenn es die Alltagssprache betrifft<br />
– ein sowohl inhaltlich als eben auch sprachlich gänzlich reflektiertes Kommunizieren<br />
ist mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit überhaupt unmöglich; doch<br />
ein Versuch <strong>des</strong> Schärfens <strong>des</strong> Wahrnehmung von sprachlicher Bedeutung <strong>und</strong><br />
Klarheit kann nur ein Weiterdenken, daher etwas sehr Positives mit sich bringen.<br />
Soweit kann ich wohl in Bezug auf mein Studium über Erfahrung sprechen,<br />
über <strong>Werte</strong> – ein geklärterer Blick auf die Bedeutung eines Wortes, oder gar die<br />
Bedeutungen. Und die Erfahrung als eine Erweiterung <strong>des</strong> Denkraumes, die<br />
nicht dadurch entsteht, dass man etwas Neues findet – vielmehr wie etwas, das<br />
8<br />
9
man schon lange besaß <strong>und</strong> nun herausfindet, dass man es aufschrauben kann<br />
<strong>und</strong> noch etwas darin ist.<br />
Wodurch es mir noch lieber wird <strong>und</strong> noch viel mehr wert.<br />
Sophie Zehetmayer<br />
Dynamik<br />
von Alexander C. W<strong>im</strong>mer,<br />
Stipendiat <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esministeriums für Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Forschung<br />
10<br />
11
„Sei tolerant, zeige Solidarität <strong>und</strong> Respekt, schätze die Demokratie, Freiheit<br />
<strong>und</strong> Menschenrechte“ - durch eine adäquate Erziehung sind das die Worte, die<br />
einem recht bald auch unter dem Synonym „<strong>Werte</strong>“ geläufig sind.<br />
Eingangs sei zu erwähnen, dass <strong>Werte</strong> aktiv <strong>und</strong> passiv gelebt werden können.<br />
Wir können auf der einen Seite unserem Umfeld Respekt <strong>und</strong> Solidarität<br />
zeigen oder etwa dem politischen Wahlrecht nachgehen. Wenn wir aber auf der<br />
anderen Seite unnachhaltige Produkte kaufen oder einen verschwenderischen<br />
Lebensstil führen, geschieht dies meist auf Kosten Dritter. Als Beispiel seien<br />
hier Kleidungsstücke aus Billiglohnländern genannt, durch deren Kauf die Ausbeutung<br />
von Arbeitern gefördert <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> wie Menschenrechte <strong>und</strong> Freiheit<br />
gr<strong>und</strong>legend verletzt werden.<br />
Das aktive Leben der moralischen Gr<strong>und</strong>sätze ist intuitiv <strong>im</strong> menschlichen<br />
Wesen verankert, viele unabhängig voneinander entwickelte Religionen oder<br />
Völker weisen hier ähnliche Regelwerke für das friedliche Zusammenleben auf.<br />
Geprägt wird diese Intuition in der Zeit als Kind <strong>und</strong> Jugendlicher, in welcher<br />
Eltern, Bezugspersonen <strong>und</strong> Vorbilder (real <strong>und</strong> virtuell) eine große Verantwortung<br />
tragen, um der nächsten Generation <strong>Werte</strong>vorstellungen zu vermitteln.<br />
Die passive Einhaltung von <strong>Werte</strong>n gestaltet sich wesentlich schwieriger,<br />
da der Mensch auf seine Handlung keine unmittelbare Reaktion erfährt. Für<br />
Privatpersonen ist oft nur schwer nachvollziehbar, unter welchen Bedingungen<br />
Produkte <strong>und</strong> deren Rohstoffe hergestellt werden bzw. ob diese Produkte nachhaltig<br />
sind. Ein weiteres Problem stellt sich für Unternehmer der Industriestaaten,<br />
die am globalen Markt konkurrenzfähig bleiben müssen. In Bezug auf diese<br />
Thematik sehe ich Bildung als Schlüsselrolle, denn nur durch eine umfassende<br />
Bildung können wir uns einen Überblick verschaffen, der uns Konsequenzen<br />
abschätzen lässt.<br />
Welche Rolle spielt dabei ein Studium? Das hohe Bildungsniveau in unserem<br />
Land sichert uns einen hohen Lebensstandard. Durch Forschung <strong>und</strong><br />
dem daraus resultierenden Technologievorsprung erzielen Unternehmen eine<br />
hohe Wertschöpfung ohne dabei auf Billigarbeitskräfte angewiesen zu sein. Ein<br />
Studium trägt allein auf Gr<strong>und</strong> dieser Tatsache dazu bei, <strong>Werte</strong> zu sichern. Oft<br />
ist es schwierig, moralische Gr<strong>und</strong>sätze einzuhalten, sei es um als Unternehmen<br />
ertragsfähig zu bleiben oder weil die eigene finanzielle Situation es nicht<br />
erlaubt. Das Miteinander <strong>und</strong> Erfolge <strong>im</strong> Studium lassen aber erkennen, dass<br />
es durchaus vorteilhaft ist, sich nach gesellschaftlichen Gr<strong>und</strong>werten zu richten<br />
<strong>und</strong> diese zu leben.<br />
Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> dürfen nicht als statische Begriffe gesehen werden,<br />
sondern müssen einer ständigen Veränderung unterliegen, um auch zukünftig<br />
als Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> geschätzt <strong>und</strong> nicht als überholte, altmodische Begriffe<br />
angesehen zu werden. Selbst in der Technik, wie etwa der IT, aber auch aus<br />
dem unternehmerischen Anlagen- <strong>und</strong> Produktionsmanagement ist bekannt,<br />
dass das aktuell beste Produkt (Cash-<br />
Cow) zu den Verlierern von morgen<br />
(Poor-Dog) zählen wird, wenn es keiner<br />
Veränderung unterzogen wird.<br />
Erfahrung zeichnet sich dadurch aus,<br />
dass sie auf langjähriger Beobachtung,<br />
der Anwendung der eigenen Fähigkeiten,<br />
aber auch dem Lernen aus<br />
eigenen Fehlern fußt. Aber Erfahrung<br />
ist wertlos, wenn sie nicht durch das<br />
Gespräch mit Kollegen, vor allem aber<br />
„Wer aufhört,<br />
besser werden<br />
zu wollen, hört<br />
auf, gut zu sein“<br />
dem generationenübergreifenden Gespräch bereichert wird, da sonst die Gefahr<br />
der „Betriebsblindheit“ besteht <strong>und</strong> selbst eine umfassende Erfahrung zur<br />
„grauen Eminenz“ verkommt.<br />
Wer nur auf Erfahrung ohne den Willen <strong>und</strong> Mut zur Verbesserung vertraut,<br />
wird nicht erfolgreich bestehen können - oder wie es Marie von Ebner-Eschenbach<br />
formulierte: „Wer aufhört, besser werden zu wollen, hört auf, gut zu sein“.<br />
<strong>Werte</strong> sind ein Produkt aus oft mehreren 100 Jahre alten, kulturhistorisch<br />
geprägten Erlebnissen. Diese <strong>Werte</strong> würden aber heute nicht existieren, wenn<br />
sie nicht einer ständigen Veränderung unterlegen hätten. Veränderungen bergen<br />
<strong>im</strong>mer das Risiko, dass diese in eine falsche Richtung erfolgen. Hier muss man<br />
den Mut, aber auch die Courage besitzen, Fehler zu erkennen, zu korrigieren –<br />
<strong>und</strong> vielleicht am wichtigsten – aus ihnen zu lernen.<br />
Erlauben Sie mir als Techniker eine mathematische Betrachtung: Es zählt<br />
nicht nur der Trend von Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n (die Ableitung, das Differenzial),<br />
sondern das Produkt aus Vergangenheit, Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft (Integral) ist<br />
wesentlich für den Bestand von Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n. Oft ist es nötig, Erfahrung<br />
<strong>und</strong> <strong>Werte</strong> sorgfältig zu adaptieren, damit diese auch zukünftig Bestand<br />
haben. Übereilte Veränderungen, um kurzfristigen Trends zu folgen, sind wiederum<br />
vollkommen fehl am Platz, da sie wertvolle <strong>Werte</strong> zerstören können.<br />
Wesentlich sind dabei Respekt, Dankbarkeit <strong>und</strong> Aufrichtigkeit zwischen den<br />
Generationen, vor allem aber auch zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen<br />
Schichten. <strong>Erfahrungen</strong> können ohne die erfolgreiche Kommunikation<br />
zwischen den Generationen nicht weitergegeben werden, was ein Nachteil<br />
für Jung <strong>und</strong> Alt darstellt. Während die Jungen bei null beginnen müssten<br />
12<br />
13
<strong>und</strong> vielleicht die gleichen, schmerzhaften Fehler wie ihre Vorgänger begehen,<br />
geht das mühsam über Jahre aufgebaute Wissen verloren, <strong>und</strong> das oft für <strong>im</strong>mer.<br />
Auch der Austausch zwischen Theoretikern <strong>und</strong> Praktikern, nicht nur in<br />
der Wissenschaft, sondern auch der Wirtschaft ist wesentlich für den Bestand<br />
von <strong>Werte</strong>n. So wird es einem Schwerionenphysiker nicht gelingen, zwei Atomkerne<br />
zu verschmelzen, wenn nicht zuvor ein Techniker eine Anlage entwickelt<br />
oder ein Chemiker die Ausgangsstoffe synthetisiert hat. Das technisch beste<br />
Produkt wird nicht verkauft werden können, wenn das Management nicht für<br />
das notwendige Marketing sorgt <strong>und</strong> die Absatzmöglichkeiten zur Verfügung<br />
stellt. Ganz zu schweigen davon, dass das beste Management nicht erfolgreich<br />
sein kann, wenn nicht dahinter engagierte Mitarbeiter ein Produkt erdenken,<br />
entwickeln, herstellen <strong>und</strong> opt<strong>im</strong>ieren - basierend auf Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n.<br />
Das Begriffspaar „Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>“ ist durch den Begriff der Dynamik<br />
zu ergänzen, da einer Welt der ständigen Veränderung Rechnung getragen werden<br />
muss. Diese Dynamik findet sich auch <strong>im</strong> österreichischen Hochschulwesen<br />
wieder. Nicht durch Zufall zählen die technischen Universitäten in Österreich<br />
wie etwa die Montanuniversität zu den Top-10 Bildungsinstitutionen weltweit<br />
(Quelle: http://sti.epfl.ch/page-73094-en.html). Die Hochschullandschaft wird<br />
seit einigen Jahren in verstärktem Maße durch Fachhochschulen bereichert,<br />
was die Wichtigkeit der Dynamik mit Bedacht auf <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> Erfahrung unterstreicht.<br />
Der ständige Wille zur Verbesserung, verb<strong>und</strong>en mit lebensbegleitendem<br />
Lernen, fußend auf dem Bewusstsein von <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong>, ist der<br />
Schlüssel zum persönlichen, aber auch volkswirtschaftlichen Erfolg.<br />
Die Erfahrung von<br />
Gr<strong>und</strong>werten in einer<br />
vielfältigen sozialen<br />
Umgebung<br />
von Barbara Zelger,<br />
Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Südtirol<br />
14<br />
15
Es gibt Ideale, die unser Zusammenleben fördern. Diese sind aber wortwörtlich<br />
nur Ideale, die nicht voll <strong>und</strong> ganz erfüllt werden können. Die vier Ideale oder<br />
auch Gr<strong>und</strong>werte sind Respekt, Vertrauen, Hilfsbereitschaft (die Bereitschaft, jemanden<br />
gerade darin zu unterstützen, wo es für ihn notwendig oder wesentlich<br />
ist; ihm darin zu helfen, wo er selbst diese Hilfe nicht leisten kann) <strong>und</strong> das<br />
Interesse am Interesse der anderen (auch darin ist es nötig, da zu helfen, wo es<br />
angenommen werden kann; es darf nicht darum gehen, den anderen zu beeinflussen).<br />
Wenn diese Ideale annäherungsweise erfüllt sind, geht es in die Richtung,<br />
gemeinsame Ziele auszumachen. Diese Ziele handeln Bindungen zwischen den<br />
Personen aus. Solche Bindungen <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> gibt es zwischen Studierenden,<br />
sie werden <strong>im</strong>mer wieder neu ausgehandelt. Diese Art von Bindungen kann<br />
man nicht voll <strong>und</strong> ganz erfüllen, aber sie geben eine Richtung vor, da sie Gr<strong>und</strong>werte<br />
sind. Wenn diese Gr<strong>und</strong>werte annähernd erreicht werden, ergibt sich eine<br />
Gesellschaft, die auch durch das Studium mitgeprägt wird.<br />
Meine <strong>Erfahrungen</strong> kommen von diesen Bindungen, von diesem erprobenden<br />
Erfüllen von Gr<strong>und</strong>werten, vom Studentenleben, vom Reisen, vom interkulturellen<br />
Austausch, vom Studienaufenthalt <strong>im</strong> Ausland, von einer internationalen<br />
Studentenkonferenz. Und natürlich auch aus der familiären Tradition<br />
<strong>und</strong> aus den Umgangsformen in der He<strong>im</strong>at. Sie gehen dabei einher mit <strong>Werte</strong>n,<br />
doch diese <strong>Werte</strong> können <strong>im</strong>mer wieder variiert werden, sie wandeln sich, werden<br />
durch das Erfahrungswissen von anderen Menschen, von WissenschaflterInnen<br />
<strong>und</strong> PraktikerInnen, von Mitmenschen aus anderen Lebenswelten, neu ausgehandelt.<br />
Dadurch werden meine <strong>Erfahrungen</strong>, meine <strong>Werte</strong> in einen größeren,<br />
breiteren Kontext gestellt. <strong>Werte</strong> <strong>des</strong> Menschseins, <strong>des</strong> Gleichseins, <strong>des</strong> wertfreien<br />
Einschätzens von subjektiven Andersheiten, von kulturellen Andersheiten,<br />
von „migrantischen“ Andersheiten. Meine subjektiven <strong>Erfahrungen</strong> werden durch<br />
Gruppenerfahrungen beeinflusst.<br />
In meiner Diplomarbeit Phänomene von Grenzüberschreitungen am Beispiel<br />
von Ilma Rakusas „Mehr Meer“ habe ich versucht, Aspekte der Hybridität<br />
<strong>und</strong> auch solche der L<strong>im</strong>inalität aufzuzeigen, wie sie ein Mensch mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />
bei seiner (Sprach-)Grenzüberschreitung erfahren muss. Die <strong>Erfahrungen</strong>,<br />
die ein Mensch mit Migrationshintergr<strong>und</strong> erleben muss <strong>und</strong> darf, sind in<br />
unserer heutigen Migrationsgesellschaft von größtem Interesse für gesellschaftliche<br />
<strong>und</strong> politische Aspekte <strong>des</strong> Zusammenlebens. Von besonderem, persönlichem<br />
Interesse sind für mich die sprachlichen <strong>und</strong> literarischen Möglichkeiten<br />
eines Austausches, die zu innovativen Entwicklungen führen können. Doch auch<br />
diese meine Interessen, diese meine Schwerpunkte will ich <strong>im</strong>mer wieder in einen<br />
größeren Kontext stellen. Ich will neue Diskussionen mitkriegen, vorhandene<br />
Themen neu dargestellt kennenlernen. Liege ich richtig? Liege ich falsch? Im<br />
Hinblick auf den erweiterten Kontext <strong>des</strong> Denkens.<br />
Themen der Migration <strong>im</strong> gesellschaftlichen Kontext der neuen europäischen<br />
Mitgliedsstaaten. Integration <strong>und</strong> Migration in einem kulturellen, künstlerischen<br />
Kontext. <strong>Werte</strong>. <strong>Erfahrungen</strong>. Die anders sind, als die der anderen.<br />
Werden Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> in der Kunst als die dargestellt,<br />
die sie sind? Werden sie überhaupt dargestellt, abgesehen von den Werken ihrer<br />
eigenen Vertreter? Dies sollte<br />
reflektiert werden. Hierin sollten<br />
<strong>Erfahrungen</strong> erweitert <strong>und</strong><br />
<strong>Werte</strong> bereichert werden. Sind<br />
sie nicht schon zu festgefahren,<br />
meine Ansichten, deine Ideen?<br />
Was sind <strong>Werte</strong> hinsichtlich der<br />
<strong>Werte</strong> unserer MitbürgerInnen<br />
mit Migrationshintergr<strong>und</strong>?<br />
<strong>Erfahrungen</strong> <strong>im</strong>mer wieder<br />
erweitern, <strong>Werte</strong> bereichern,<br />
verändern, reflektieren in einer<br />
– meiner? – subjektiven Welt<br />
voll künstlerischer Illusionen<br />
wie auch Illusionen über ein<br />
Zusammenleben zwischen den<br />
Welten, zwischen den Kulturen<br />
<strong>und</strong> zwischen den sprachlichen<br />
wie künstlerischen Ausdrucksweisen,<br />
die keine Illusionen<br />
bleiben müssen!<br />
Die <strong>Erfahrungen</strong>,<br />
die ein Mensch mit<br />
Migrationshintergr<strong>und</strong><br />
erleben muss<br />
<strong>und</strong> darf, sind in<br />
unserer heutigen<br />
Migrationsgesellschaft<br />
von größtem<br />
Interesse für gesellschaftliche<br />
<strong>und</strong><br />
politische Aspekte<br />
<strong>des</strong> Zusammenlebens.<br />
16<br />
17
Sophie Scholl jr.<br />
von Christina Wrann,<br />
Stipendiatin <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esministeriums für Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Forschung<br />
18<br />
19
AkademikerInnen<br />
sollten jedoch mehr<br />
sein, als Experten<br />
auf ihrem eigenen<br />
Gebiet.<br />
Vor kurzem habe ich zum Thema „Helden <strong>des</strong> Widerstands“ eine Dokumentation<br />
über Sophie Scholl gesehen, die sich mit ein paar Kommilitonen zur<br />
Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ zusammenschloss <strong>und</strong> pr<strong>im</strong>är mittels Flugblätter<br />
gegen den Nationalsozialismus aufbegehrte. Letzten En<strong>des</strong> wurde sie<br />
dafür wegen Hochverrats von einem Gericht verurteilt <strong>und</strong> hingerichtet. Beeindruckt<br />
vom Mut dieser jungen Frau überlegte ich, ob die österreichischen Studierenden<br />
von heute bereit wären, ihre Karriere oder gar Existenz für <strong>Werte</strong> wie<br />
Freiheit, Demokratie oder die Unantastbarkeit der Menschenwürde zu opfern.<br />
Die meisten Demokratie- bzw.<br />
Bürgerrechtsbewegungen weltweit<br />
gingen von den Studierenden<br />
aus oder wurden zumin<strong>des</strong>t<br />
maßgeblich von ihnen geprägt.<br />
Man denke nur an die Julirevolution<br />
von 1830 in Frankreich,<br />
die amerikanischen Antikriegs-<br />
Proteste in den 1960er Jahren<br />
oder die blutig niedergeschlagenen<br />
Demonstrationen <strong>im</strong> Jahr<br />
1989 in China, als Studierende<br />
den Platz <strong>des</strong> h<strong>im</strong>mlischen Friedens besetzten <strong>und</strong> in Hungerstreik traten, um<br />
sich Gehör zu verschaffen. Was müsste jetzt in Österreich passieren, damit<br />
sich die Hochschülerschaft – unabhängig von etwaigen Parteiinteressen – auf<br />
die Füße stellt <strong>und</strong> sich für etwas einsetzt? Zwar lehnt sich zumin<strong>des</strong>t ein Teil<br />
der Studierenden gegen Maßnahmen auf, die sie unmittelbar betreffen, aber<br />
was ist mit allgemeinen gesellschaftlichen Themen? Oder geht es uns allen (!)<br />
hierzulande einfach zu gut?<br />
Vor allem in Massenstudien steigt der Konkurrenzkampf, was Studierende<br />
dazu drängt, möglichst schnell <strong>und</strong> mit guten Noten zu studieren. Neben der<br />
„Ausbildung“ bleibt wenig Zeit <strong>und</strong> Energie für „Bildung“. Was zählt, ist der<br />
Lernerfolg, der Abschluss, die Karriere. Wozu also Zeit vergeuden <strong>und</strong> sich mit<br />
gesellschaftlichen Problemen <strong>im</strong> eigenen Land oder gar <strong>im</strong> Ausland beschäftigen?<br />
Über sogenannte geisteswissenschaftliche „Orchideenstudien“, die zur<br />
<strong>Werte</strong>vermittlung beitragen, wird meist abfällig gesprochen. Ethikfächer wie zB<br />
„Ethik in der Wirtschaft“ werden als lästig empf<strong>und</strong>en, meist sogar belächelt,<br />
<strong>und</strong> sind in Studienplänen daher oft nur noch als schwammiges Leitprinzip zu<br />
finden. Dabei gibt es kein Studium, in dem ethische Fragen keine Rolle spielen<br />
(sollten). Die starke Verschulung der Universitäten macht aus dem Großteil der<br />
HochschülerInnen einzelkämpferische „Brotstudenten“, die sich von Prüfung<br />
zu Prüfung hanteln, ohne über den Tellerrand hinauszublicken. AkademikerInnen<br />
sollten jedoch mehr sein, als Experten auf ihrem eigenen Gebiet. Sie sollten<br />
umfassend gebildete (nicht nur gut ausgebildete) kritische Geister sein, die ihr<br />
Wissen <strong>und</strong> Können zum Wohle der ganzen Gesellschaft einsetzen. Im sechsten<br />
<strong>und</strong> letzten Flugblatt fordern die Mitglieder der Weißen Rose ihre MitstudentInnen<br />
dazu auf, „ein neues geistiges Europa“ zu errichten. Unsere Generation<br />
sollte daran arbeiten, auf Basis unserer gemeinsamen europäischen <strong>Werte</strong> die<br />
geistige Entwicklung der Gesellschaft voranzutreiben. Doch die Universitäten<br />
müssen die Rahmenbedingungen schaffen, die dies möglich machen. Unsere<br />
ethischen Gr<strong>und</strong>werte müssen daher verstärkt Eingang in Lehre <strong>und</strong> Forschung<br />
finden. Natürlich gibt es Studienrichtungen <strong>und</strong> (meist fakultative) Lehrveranstaltungen<br />
r<strong>und</strong> um die Themen Menschenrechte <strong>und</strong> Demokratie; Ziel soll es<br />
jedoch sein, die Studierenden aller Disziplinen dazu anzuregen, unsere Gr<strong>und</strong>werte<br />
nicht nur zu kennen, sondern sie als Handlungsmax<strong>im</strong>e zu betrachten.<br />
20<br />
21
Menschenrechte,<br />
Respekt, Freiheit? Was<br />
sind diese Schlagwörter<br />
heute wert?<br />
von Marie-Luise Merz,<br />
Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Tirol<br />
22<br />
23
Hat das Bildungsangebot der Universität <strong>und</strong> Hochschule noch etwas mit der<br />
Sicherung ethischer Gr<strong>und</strong>werte zu tun?<br />
Wenn ein Studium so konzipiert ist, Antworten stupide auswendig zu lernen,<br />
wie kann der Mensch dann zu sich selbst finden <strong>und</strong> urteilsfähig entscheiden?<br />
Die Welt muss sich ihm als Frage-Raum öffnen, “Ich frage, also bin ich”.<br />
Von den ”Ohne mich”-Menschen gibt es genug.<br />
Ich habe die Aufgabe, <strong>im</strong> Leben Verantwortung für mich <strong>und</strong> die Gesellschaft<br />
zu übernehmen, mich der wahren Probleme einer Gesellschaft, z.B. der<br />
Armut <strong>und</strong> der vorherrschenden Ungleichheit, anzunehmen <strong>und</strong> wirkungsvoll<br />
damit auseinanderzusetzen.<br />
Meine Motivation gründet sich daher aus ganz verschiedenen Bereichen:<br />
mich interessieren komplexe Fragestellungen, welche nicht nur unsere Gesellschaft<br />
<strong>und</strong> Wirtschaft betreffen, sondern <strong>im</strong> Zuge der Globalisierung weitreichende<br />
Auswirkungen verursachen. Probleme aus verschiedenen Perspektiven<br />
zu beleuchten, interdisziplinär zu hinterfragen, sowie Lösungsstrategien entwickeln<br />
<strong>und</strong> nicht nur eine kausale Abfolge vorgelegter Muster abzuarbeiten.<br />
Dies sind die gr<strong>und</strong>legenden „<strong>Werte</strong>“, die meiner Ansicht nach in dem Studium<br />
zu kurz kommen. In einer Gesellschaft, die mit <strong>im</strong>mer komplexeren Fragen<br />
konfrontiert wird, in welcher aber die breite Masse ein Desinteresse an gesellschaftspolitischen<br />
Fragestellungen zeigt, keine Initiativen ergreift, um wirklich<br />
nachhaltige Lösungen zu entwickeln, braucht es Menschen, die bereit sind Verantwortung<br />
zu übernehmen <strong>und</strong> mit kritischem Denken Lösungsansätze erarbeiten.<br />
Ein Hochschulstudium sollte so konzipiert sein, dass die persönliche<br />
Gestaltungsfreiheit gewährleistet ist <strong>und</strong> ein breites Wissensspektrum gebildet<br />
werden kann. Meiner Meinung nach wird der Impuls <strong>des</strong> “Querdenkens”<br />
momentan an den Universitäten nicht gefördert <strong>und</strong> das Blickfeld ein wenig<br />
eingeschränkt. Ein Fordern der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung <strong>und</strong><br />
der Verinnerlichung der <strong>Werte</strong> kann aber nur gelernt <strong>und</strong> gelebt werden, wenn<br />
ein Blick <strong>und</strong> ein Verständnis für die Kulturen, das Vernetzen der Umwelt <strong>und</strong><br />
<strong>des</strong> eigenen Wirkungskreises entwickelt wird <strong>und</strong> somit eine Multidisziplinarität<br />
entsteht.<br />
Werden <strong>im</strong> Studium <strong>Werte</strong> vermittelt?<br />
Die Fähigkeiten <strong>und</strong> „Erkenntnisse”, die ich durch meine <strong>Erfahrungen</strong> gesammelt<br />
habe, möchte ich auf andere Ebenen projizieren <strong>und</strong> nutzen. Ich möchte<br />
eine freiheitliche Bildung erlangen, hinter der ich vollkommen stehen kann,<br />
interdisziplinär gefordert werde, persönliche Gestaltungsfreiheit habe <strong>und</strong> nicht<br />
das Wissen passiv eingetrichtert bekomme. Es soll auf der einen Seite das<br />
Faktenwissen gebildet werden, aber auf der anderen Seite auch das Geisteswissenschaftliche<br />
nicht aus den Augen verloren werden. Ich sehe keine <strong>Werte</strong>vermittlung<br />
<strong>im</strong> gegenwärtigen<br />
Studium, eher eine Passivität,<br />
welche die Masse dazu verleitet,<br />
das „vorgekaute“ teilnahmslos<br />
durchzukauen. Es<br />
wird nicht zur Eigenverantwortlichkeit<br />
ermutigt, Handlungsweisen<br />
zu hinterfragen oder<br />
gar neue Strukturen zu entwickeln.<br />
Das Denken, Fühlen <strong>und</strong><br />
Handeln <strong>im</strong> Kontext Modernste<br />
Wissenschaft <strong>und</strong> <strong>im</strong> internationalen<br />
Vergleich zu entwickeln<br />
<strong>und</strong> zu nutzen, sind Aspekte,<br />
die meines Erachtens fehlen.<br />
Zur Freiheit ermutigen! Die<br />
Chance zur eigenverantwortlichen<br />
Gestaltung von Studium<br />
<strong>und</strong> Forschung. Somit würden<br />
die gr<strong>und</strong>legenden <strong>Werte</strong> einer<br />
Gesellschaft verinnerlicht, die<br />
Meiner Meinung<br />
nach wird der Impuls<br />
<strong>des</strong> “Querdenkens”<br />
momentan<br />
an den Universitäten<br />
nicht gefördert<br />
<strong>und</strong> das Blickfeld<br />
ein wenig eingeschränkt.<br />
fachliche Kompetenz <strong>und</strong> persönlichen Ideale zum Wohle von Gesellschaft <strong>und</strong><br />
Umwelt würden individuell entwickelt werden. Das Verständnis für andere Kulturen<br />
müsste ebenso verstärkt gefördert werden.<br />
Die Frage nach Wahrheit: heranwachsende Menschen sollten ermutigt werden<br />
zu persönlichen <strong>Erfahrungen</strong>, zum methodischen Wechsel der Perspektiven<br />
als Voraussetzung geschärfter Urteilsfähigkeit, um somit Verantwortung für die<br />
Gesellschaft, ihr Handeln, Rechte, Toleranz <strong>und</strong> Achtung zu verinnerlichen.<br />
Nur so kann ein lebenslanges Lernen die Gr<strong>und</strong>lage für soziale Verantwortung<br />
sein <strong>und</strong> der <strong>Werte</strong>verlust verhindert werden. Freiheit bedingt Verantwortung.<br />
Deshalb müssen wir Studenten schon Verantwortung für unser eigenes Handeln<br />
<strong>und</strong> für kontinuierliche Weiterentwicklung übernehmen. Aus dem Privileg einer<br />
freiheitlichen Bildung soziale Verantwortung in Gesellschaft, Umwelt <strong>und</strong> Wissenschaft<br />
entwickeln!<br />
24<br />
25
Der <strong>Werte</strong>verfall<br />
Für mich hat der gesellschaftliche <strong>Werte</strong>verfall fast ausschließlich mit der Globalisierung<br />
zu tun <strong>und</strong> den allgemeinen Ansichten zum Thema Geld. Geld ist<br />
ein symbolisches <strong>und</strong> diabolisches Leitmedium der Moderne! Der Mensch als<br />
gieriges Wesen?<br />
Eigentlich ist er ein pro-soziales Wesen mit altruistischer Tendenz, welche<br />
bei der zunehmenden Differenzierung der Gesellschaft (Einkommensschere)<br />
leider nicht anwachsen wird. Eine Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen,<br />
ökonomischen Entwicklung <strong>und</strong> den Gr<strong>und</strong>werten <strong>des</strong> Menschen. Das Studium/<br />
die Lehre sollte Schnittstelle zwischen diesen Themen sein <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>lage<br />
für die Entwicklung kritischer Lösungsansätze bieten. Gerade be<strong>im</strong> Wirtschaftsstudium<br />
sollte dem „ethisch“ wirtschaftlichen Handeln, dem <strong>Werte</strong>wandel der<br />
Gesellschaft <strong>und</strong> die menschlichen Gr<strong>und</strong>werte <strong>im</strong> Blickwinkel der globalen<br />
Fragestellungen gelöst werden. Kerngebiete sollten auch die eigene Urteilsfähigkeit<br />
sein, Themen wie Gerechtigkeit <strong>und</strong> Moral sollten ebenso einen Platz<br />
bekommen <strong>und</strong> als Einzelwissenschaften integriert werden. <strong>Werte</strong>, Rechte,<br />
Pflichten, politische sowie philosophische Diskurse über Verantwortung gegenüber<br />
Menschen <strong>und</strong> Umwelt. Das Studium <strong>im</strong> Spannungsverhältnis zwischen<br />
Handeln, Entwickeln <strong>und</strong> Beibehalten moralischer Gr<strong>und</strong>werte.<br />
Mein Lösungsansatz wäre eine neue strukturelle Gr<strong>und</strong>basis <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong>.<br />
Neben der individuellen Vertiefungsrichtung müssten Module, z.B. zur Philosophie,<br />
existieren, nicht auf eine spezielle Methodologie begrenzt, sondern durch<br />
die Art der verschiedenen Fragestellungen verschiedene Handlungsweisen in<br />
unterschiedlichen Bereichen beleuchten. Dies ist für mich „Integration“/ Interdisziplinarität.<br />
Und genau diese Integration muss angegangen werden, um die<br />
verlorenen moralischen Voraussetzungen, <strong>Werte</strong>, Pflichten unserer Gesellschaft<br />
wieder neu zu beleben <strong>und</strong> zu erhalten. Bereiche der Logik (Wissenschaft <strong>des</strong><br />
folgerichtigen Denkens), Ethik (Wissenschaft <strong>des</strong> rechten Handelns) <strong>und</strong> der<br />
Metaphysik (Wissenschaft der Gründe <strong>des</strong> Seins <strong>und</strong> der Wirklichkeit) sollten<br />
die Gr<strong>und</strong>lage darstellen. Menschen, denen nichts fragwürdig erscheint, finden<br />
nicht zur Philosophie, nicht auf ein religiöses F<strong>und</strong>ament, sondern rein auf<br />
rationale Argumentation. Der Sinn: kritische Fragen an die Welt, resistent gegen<br />
Manipulationen, Unterdrückung, Machtspiele, das Hinterfragen der gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse <strong>und</strong> Herausarbeitung alternativer Modelle. Um nicht<br />
teilnahmslos <strong>und</strong> passiv zuzuschauen, sondern selbst die Initiative zu ergreifen<br />
<strong>und</strong> bewegen, dies sind Dinge die ich in meiner Erziehung erleben durfte, in<br />
meiner Rettungsdienstzeit umsetzen konnte <strong>und</strong> nun <strong>im</strong> Studium vermisse.<br />
Wir müssen eine Generation hervorbringen, die nicht wegschaut, sondern mit<br />
den f<strong>und</strong>amentalen <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> der vergangenen Jahren verändern<br />
möchte. Als heranwachsender Mensch sollte man ein selbstbest<strong>im</strong>mtes <strong>und</strong><br />
vernunftbasiertes Leben auf Gr<strong>und</strong>lage <strong>des</strong> eigenen „Nachdenkens“ führen,<br />
nur somit kann der <strong>Werte</strong>verfall verhindert werden. Probleme aus verschiedenen<br />
Perspektiven zu beleuchten, interdisziplinär zu hinterfragen, sowie Lösungsstrategien<br />
zu entwickeln <strong>und</strong> nicht nur eine kausale Abfolge vorgelegter Muster<br />
abzuarbeiten.<br />
Sind <strong>Werte</strong> heutzutage überhaupt noch etwas „wert“?<br />
In der Gesellschaft <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> muss Raum für Kreativität <strong>und</strong> kritisches Denken<br />
geschaffen werden. Man kann dem Menschen nur aus vielen Standpunkten<br />
nachhaltig helfen. Wie kann die Gesellschaft so geführt werden, dass ein größtmöglicher<br />
Profit, aus sozialer sowie ökonomischer Sichtweise erzielt wird?<br />
Wie können die Gr<strong>und</strong>bedürfnisse gesichert werden? “Ich frage, also bin ich”!<br />
Die ”Ohne mich”-Gesellschaft ist weit verbreitet. Ich habe mir die Aufgabe<br />
<strong>im</strong> Leben Gestellt, Verantwortung für mich <strong>und</strong> die Gesellschaft zu übernehmen,<br />
mich der wahren Probleme einer Gesellschaft, z.B. Armut <strong>und</strong> Ungleichheit,<br />
anzunehmen, mich damit auseinanderzusetzten <strong>und</strong> Lösungsansätze<br />
zu entwickeln. Ich möchte meine Persönlichkeit individuell entfalten dürfen,<br />
mitdenken <strong>und</strong> hinterfragen, interdisziplinär gefordert werden <strong>und</strong> persönliche<br />
Gestaltungsfreiheit haben, <strong>und</strong> vor allem mich aktiv <strong>und</strong> <strong>im</strong> internationalen Vergleich<br />
an den Gr<strong>und</strong>themen der Gesellschaft, Entwicklung, Wohlstand, <strong>Werte</strong><br />
<strong>und</strong> Vernetzung beteiligen. Tatsache ist, dass die freie Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft<br />
auf gemeinsamen <strong>Werte</strong>n fußt. Sie kann nicht funktionieren, wenn die<br />
Menschen nicht zentrale moralische Auffassungen miteinander „teilen“.<br />
Die Moral kann durch das Gesetz weder erzwungen noch ersetzt werden.<br />
Eine Gemeinschaft, in der alles geregelt wäre, erscheint unmenschlich <strong>und</strong><br />
könnte wirklich nicht überleben. An Bedeutung verloren hat leider auch die<br />
Verantwortung, welche einen f<strong>und</strong>amentalen Beitrag an der „Krise der <strong>Werte</strong>“<br />
einn<strong>im</strong>mt.<br />
Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen,<br />
Marie-Luise Merz<br />
26<br />
27
1 0 4 8 9 2 7<br />
Studierende<br />
sind Nummern<br />
von Ines Findenig,<br />
Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Steiermark<br />
28<br />
29
Überzahl an Studierenden, überlaufende Studiengänge, überfüllte Lehrsäle,<br />
überarbeitete Lehrende, überteuerte Studienunterlagen, überlastete Betreuungsverhältnisse,<br />
über, über, über, zu viel, zu viel, zu viel von allem, zu viel<br />
von Bildung, ergo zu viel für Bildung für alle? Was passiert mit dem Status der<br />
tertiären Bildung? Ein „Über“ kann sehr schnell auch zu einem gegensätzlichen<br />
„Unter“ führen, wie es derzeit an den österreichischen Universitäten geschieht<br />
– unterdurchschnittliche Leistungen, unterforderte Hochbegabte, untergrabene<br />
Motivation, unter, unter, unter, ergo minder.<br />
Studierende sind Nummern. Wie sollen Gr<strong>und</strong>werte durch ein Objektivieren<br />
von Subjekten vermittelt werden? Es stellt sich die Frage, wenn man/<br />
frau selbst nur als eine/r von vielen betrachtet wird <strong>und</strong> <strong>im</strong> Studium regelrecht<br />
darum kämpfen muss, aus der Masse herauszustechen, inwiefern dann zum<br />
Beispiel Menschenrechte, Respekt, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Toleranz,<br />
Solidarität <strong>und</strong> weitere essentielle Gr<strong>und</strong>werte <strong>im</strong> Laufe eines Hochschulstudiums<br />
überhaupt vermittelt werden können? Ist es notwendig <strong>und</strong> Ziel eines<br />
<strong>Studiums</strong> sich „wertvoll zu sein“ zu erkämpfen, <strong>im</strong> Sinne von „vollgestopft mit<br />
<strong>Werte</strong>n“ zu sein? Beginnt die Tradierung von <strong>Werte</strong>n nicht schon <strong>im</strong> Zuge der<br />
pr<strong>im</strong>ären Sozialisationsinstanz, <strong>und</strong> zwar der Familie, oder lässt sich die <strong>Werte</strong>vorstellung<br />
auch noch in einem höheren Alter in einem hohen Maße modifizieren?<br />
Ein Studium, auch <strong>im</strong> Sinne von einem Selbststudium, kann, muss aber<br />
nicht dazu beitragen, die jeweiligen eigenen Gr<strong>und</strong>werte zu transformieren.<br />
Ein/e jede/r ist ab einem best<strong>im</strong>mten Grad dafür selbst verantwortlich,<br />
sich <strong>Werte</strong> anzueignen oder diese zu erweitern beziehungsweise zu modifizieren,<br />
weil davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei Studierenden an<br />
Universitäten <strong>und</strong> weiteren Hochschulen um verantwortungsbewusste Individuen<br />
handelt. Im Zuge <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> wird ein Repertoire an <strong>Werte</strong>n wie besonders<br />
auch an Wissen von den jeweiligen Institutionen/Fachkräften zur Verfügung<br />
gestellt, <strong>und</strong> es liegt absolut <strong>im</strong> eigenem Ermessen, was <strong>und</strong> wie viel ein/e<br />
Studierende/r davon selbst entscheidet anzunehmen beziehungsweise mitzunehmen.<br />
Ein gewisses Maß an Eigenverantwortung <strong>und</strong> Offenheit gegenüber<br />
Neuem <strong>und</strong> Unbekanntem wird in der Forschung wie auch in der Lehre an Universitäten<br />
vorausgesetzt, es bedarf von Seiten der Studierenden nur ein wenig<br />
Mut, dies auch zuzulassen; um <strong>im</strong> Sinne <strong>und</strong> in Worten von Immanuel Kant zu<br />
sprechen: „Habe Mut dich deines Verstan<strong>des</strong> zu bedienen!“<br />
Durch den offenen Zugang zu tertiärer Bildung in Österreich <strong>und</strong> durch<br />
die Abschaffung der Studiengebühren (welche nebenbei betrachtet einerseits<br />
sehr gering <strong>im</strong> Vergleich zu anderen Staaten ausfallen <strong>und</strong> andererseits wenn,<br />
dann 100 % der Universität zustehen sollten) entsteht der enorme Vorteil, dass<br />
Bildung für jede/n zugänglich gemacht wird. Dass dies einen Vorteil darstellt,<br />
steht außer Frage, da dies <strong>im</strong> Sinne Wilhelm von Humboldts „Bildung für alle“<br />
absolut dem Gr<strong>und</strong>wert <strong>des</strong> Menschenrechtes entgegenkommt. Jedoch stellt<br />
sich gleichzeitig auch die Frage, ob dies sozusagen „wert“ ist, dafür eventuell<br />
eine Senkung <strong>des</strong> Qualitätsstandards zu riskieren?<br />
Ein Beispiel dafür stellt die Betreuung von Masterarbeiten dar. Ein/e<br />
jede/r Studierende/r hat das Recht auf eine ausgewogene Beratung <strong>und</strong> Hilfestellung<br />
seitens einer Person aus dem wissenschaftlichen<br />
Bereich <strong>im</strong> Zuge der schriftlichen<br />
Abschlussarbeit. Je mehr Studierende<br />
auf eine Person aus dem Betreuungsbereich<br />
kommen, <strong>des</strong>to weniger Zeit <strong>und</strong> dementsprechend<br />
weniger Intensität erhalten jene<br />
Studierende bei der individuellen Unterstützung.<br />
Ergo je mehr Studierende, <strong>des</strong>to weniger<br />
„wertvolle“ Einzelbetreuung. Dies lässt<br />
sich auch auf die einzelnen Seminare (<strong>und</strong><br />
auch Vorlesungen) übertragen, welche <strong>im</strong><br />
„Habe Mut<br />
dich deines<br />
Verstan<strong>des</strong><br />
zu bedienen!“<br />
derzeitigen Lehrbetrieb sozusagen überquellen. Übungen <strong>und</strong> Seminare, welche<br />
eine eigentliche Max<strong>im</strong>e von 25/35 TeilnehmerInnen haben, werden mit<br />
einer mehr als weit unverträglichen Anzahl an Studierenden abgehalten. Aufgr<strong>und</strong><br />
<strong>des</strong>sen kommt die Qualität bezüglich einer individuellen <strong>und</strong> intensiven<br />
Zusammenarbeit mit den Lehrenden/Vortragenden <strong>und</strong> auch der Betreuung <strong>und</strong><br />
Auseinandersetzung mit Themen/Ereignissen teilweise viel zu kurz. Somit wird<br />
teilweise auch das Gefühl eines wertvollen, wertevermittelnden <strong>und</strong> ganzheitlichen<br />
Umgangs zwischen Studierenden <strong>und</strong> Lehrenden zeitweise leider untergraben.<br />
Wie schon erwähnt, Studierende sind Nummern.<br />
Es bedarf einer gründlichen Überlegung, wie dies geändert werden könnte,<br />
da Zugangsbeschränkungen auch nicht den idealsten Weg darstellen, genauso<br />
wenig wie die Einführung der, <strong>und</strong> später zum Teil falsch verwendeten,<br />
Studiengebühren. Denn Wissen <strong>und</strong> ebenso auch <strong>Werte</strong> qualitativ hochwertig<br />
weiterzuvermitteln <strong>und</strong> weitervermittelt zu bekommen, sollte ein gemeinsames,<br />
erstrebenswertes Ziel von tertiärer Bildung darstellen.<br />
30<br />
31
Modern T<strong>im</strong>es<br />
von Isabel Syrek,<br />
Stipendiatin der Initiativgruppe Alpbach Wien<br />
32<br />
33
In ihrem Gr<strong>und</strong>gedanken kann universitäre Bildung mit ästhetischen <strong>Erfahrungen</strong><br />
verglichen werden. Wer sich auf Bilder einlässt, die vielseitige Bedeutungen<br />
ermöglichen <strong>und</strong> dabei die Offenheit bewahrt, verschiedene Interpretationen<br />
ohne Vorbehalt zu berücksichtigen, wird aus dem Gewöhnlichen in das<br />
Ungewohnte geführt <strong>und</strong> erhält die Chance zu lernen.<br />
Der britische Künstler Tino Sehgal beispielsweise führt die Teilnehmer<br />
seiner „konstruierten Situationen“ in Begebenheiten, in denen sie nicht wissen,<br />
was sie erwartet. Auf der Biennale von Venedig-2005 umtanzten Museumswächter<br />
die Besucher <strong>und</strong> sangen dabei „Oooooh, this is so contemporary“.<br />
Diese zeitbegrenzten <strong>Erfahrungen</strong> dürfen von den Besuchern nicht dokumentarisch<br />
festgehalten werden <strong>und</strong> werden zudem mit min<strong>im</strong>alem Einsatz von<br />
Ressourcen durchgeführt. Sie bleiben nur in der Erinnerung <strong>des</strong> Betrachters,<br />
der selber entscheidet, wohin er diese Erfahrung gedanklich führt. Etwas zu<br />
initiieren, ist für Sehgal der größte Teil eines Urheberrechts an einem Werk. 1<br />
Vergleichsweise wird an den Universitäten Urheberschaft an Gedankengut<br />
durch die damit verb<strong>und</strong>enen Regeln erklärt. Auch wenn die Forderung,<br />
geistiges Eigentum anderer deutlich in Arbeiten zu kennzeichnen, einen der<br />
Gr<strong>und</strong>werte in der universitären Forschung darstellt, distanziert sich unter anderen<br />
die Universität Wien von Formulierungen wie „<strong>Werte</strong>“. Viel eher lenkt<br />
die Bildungsinstitution ihre Aufmerksamkeit darauf, „Forschung <strong>und</strong> Lehre in<br />
höchster Qualität zu schaffen <strong>und</strong> zu erhalten“. Diese Orientierung soll die<br />
Wissensstätte attraktiv für die „besten Köpfe“ 2 machen.<br />
Für mich erklärt sich die Vermeidung <strong>des</strong> Wortes „Wert“ durch die Assoziierung<br />
mit Religion, die in unserem geographischen Bereich die historische<br />
Prägung durch die katholische Kirche meint. Die moderne Lebensphilosophie<br />
seit ca. 1800 wurde, abgesehen von der Industrialisierung <strong>und</strong> der Demokratisierung,<br />
auch von der Entscheidung für wissenschaftliche Beweise geprägt.<br />
Von Gesellschaften <strong>und</strong> Institutionen geprägte <strong>Werte</strong> können fehlerhaft sein,<br />
während die Wissenschaft den Anspruch erhebt, die Wirklichkeit akkurat widerzuspiegeln.<br />
Dabei stützt sie sich auf Beobachtungen <strong>und</strong> messbare Ergebnisse.<br />
1<br />
„(…) “I work on a piece for a long t<strong>im</strong>e in my head,” he explains. Mr Sehgal doesn’t<br />
typically accept commissions because he feels that artworks should arise from personal<br />
concerns rather than architectural settings or institutional needs. “Initiating<br />
something,” he declares, “is the largest part of authorship.”, nachzulesen auf:<br />
http://www.economist.com/blogs/prospero/2012/07/tino-sehgal<br />
2<br />
Nachzulesen auf: http://www.univie.ac.at/universitaet/<br />
Je weiter ich in meinem Studium fortschreite, <strong>des</strong>to mehr lerne ich aus dieser<br />
Erfahrung, dass auch wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierte Argumentationen in die Irre<br />
führen können. Vor allem in den Sozialwissenschaften kann eine gewählte Hypothese<br />
zu selektiver Wahrnehmung <strong>und</strong> insoweit zu falschen Ergebnissen <strong>und</strong><br />
Schlussfolgerungen führen.<br />
Kunst hingegen lässt Unsichtbares<br />
sichtbar werden: In<br />
dem Werk „The Matter of T<strong>im</strong>e“<br />
von dem amerikanischen Künstler<br />
Richard Serra stellt dieser<br />
das Zeit-Raum-Kontinuum dar.<br />
Acht Skulpturen aus Stahl organisieren<br />
in kreisförmigen Bewegungen<br />
<strong>und</strong> unterschiedlichen<br />
Größen sowie Stellungen zueinander<br />
den Raum, in welchem<br />
sie sich befinden. Der Besucher<br />
soll sich dabei zwischen den<br />
Gebilden bewegen <strong>und</strong> mit dem<br />
Der Student von<br />
heute ist nicht<br />
Entdecker nach<br />
Humboldt‘schem<br />
Ideal, er ist vielmehr<br />
Unternehmer.<br />
vorhandenen Raum sowie den entstehenden Klängen exper<strong>im</strong>entieren. Das<br />
ikonoklastische Werk, das die Frage nach der Richtigkeit der gesellschaftlichen<br />
Definition von Zeit aufwirft, beschreibt auch meine persönliche Vorstellung<br />
von Bildung. Wissenserwerb braucht Zeit, um Fragen aufwerfen zu können<br />
<strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich erkannte Muster nach ihrem Ursprung zu hinterfragen. Mein<br />
Verständnis von Bildung wurde sicherlich zu einem großen Teil durch meinen<br />
Besuch eines United World Colleges bestärkt, wo außer dem akademischen<br />
Programm auch die außerschulischen Aktivitäten als persönlichkeitsbildend<br />
angesehen wurden. Unter Bildung verstehe ich die ganzheitliche Gestaltung<br />
<strong>des</strong> Charakters, wobei Neugierde auf unterschiedliche Lebenskonzepte <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong><br />
genauso gefördert werden, wie das Übernehmen von Verantwortung<br />
für das eigene Handeln <strong>und</strong> die Beibehaltung einer gewissen Demut be<strong>im</strong> Herantasten<br />
an neue Gebiete.<br />
Dennoch geht ein starker Trend, der die Bildung an Hochschulen beeinflusst,<br />
in Richtung ihrer Ökonomisierung. Bei der Studienwahl fragen wir<br />
uns - als Studenten - nicht zuletzt, welches Fach unsere Interessen mit arbeitsmarktrelevanten<br />
Fähigkeiten kombiniert <strong>und</strong> wie wir die Kombination aus<br />
einem guten Notendurchschnitt, einer akzeptablen Studiendauer <strong>und</strong> außeruniversitären<br />
Engagement so gut wie möglich hinkriegen. Die Universitäten<br />
34<br />
35
selber locken mit internationalen Partnerschaften <strong>und</strong> Kursen, in denen soziale<br />
Kompetenzen verbessert werden sollen. Der Student von heute ist nicht Entdecker<br />
nach Humboldt‘schem Ideal, er ist vielmehr Unternehmer. Er lernt sich<br />
selber <strong>und</strong> sein Wissen um Marktlücken gekonnt in Szene zu setzen <strong>und</strong> dabei<br />
zu profitieren. Selbst wenn Studenten unternehmerisch handeln: universitäre<br />
Bildung braucht <strong>Werte</strong>, <strong>und</strong> diese können nur aus <strong>Erfahrungen</strong> entstehen. Um<br />
diese sammeln zu können, braucht es Professoren, die die Studenten aus ihrer<br />
Komfortzone holen <strong>und</strong> aus Fehlern lernen lassen. Ein vermehrter Austausch<br />
zwischen akademischen Disziplinen könnte ein Anfang sein, um alleine die unterschiedlichen<br />
Perspektiven auf den Nutzen eines <strong>Studiums</strong> kennenzulernen<br />
<strong>und</strong> um für sich selber zu entscheiden, welche <strong>Werte</strong> man aus seiner Studienzeit<br />
mitnehmen möchte.<br />
„Ich gelobe“<br />
von Lena Sophie Franke,<br />
Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Steiermark<br />
36<br />
37
„Sie wollen also versprechen: Die Kenntnisse <strong>und</strong> Fähigkeiten, die Sie erworben<br />
haben, zu pflegen <strong>und</strong> ständig durch Fortbildung zu erweitern <strong>und</strong> zu<br />
verbessern, der Wissenschaft zu dienen, deren Ziele zu fördern <strong>und</strong> dadurch<br />
verantwortlich zur Lösung der Probleme der menschlichen Gesellschaft <strong>und</strong><br />
deren gedeihlicher Weiterentwicklung beizutragen, nach Wahrheit zu streben<br />
<strong>und</strong> wissenschaftliche Erkenntnisse nicht zu unterdrücken oder zu verfälschen,<br />
Ihr Wissen <strong>und</strong> Können zum Wohle der Menschen ohne Ansehung der Person<br />
einzusetzen, die Menschenwürde <strong>und</strong> die Menschenrechte stets zu achten, Ihre<br />
beruflichen Pflichten mit gleicher Menschlichkeit gegen alle auszuüben <strong>und</strong><br />
weder eigenen Schwächen noch äußerem Druck oder Drohung nachzugeben,<br />
der Karl-Franzens-Universität Graz in Treue verb<strong>und</strong>en zu bleiben <strong>und</strong> sich <strong>des</strong><br />
verliehenen akademischen Gra<strong>des</strong> in Leben <strong>und</strong> Beruf würdig zu erweisen.“<br />
Dieses Versprechen geben die Absolventen <strong>und</strong> Absolventinnen der Karl-<br />
Franzens-Universität Graz be<strong>im</strong> akademischen Festakt nach Beendigung ihres<br />
<strong>Studiums</strong>. In der Formel ist neben den fachlichen Kenntnissen, die gepflegt<br />
<strong>und</strong> gefördert werden sollen, auch die Rede von Verantwortung, Streben nach<br />
Wahrheit, dem Wohl der Menschen, der Menschenwürde, den Menschenrechten<br />
<strong>und</strong> der Gleichheit aller Menschen. Be<strong>im</strong> genaueren Lesen dieser Zeilen<br />
entdeckt man auch <strong>Werte</strong> wie Respekt, Toleranz, Freiheit <strong>und</strong> Solidarität, die<br />
zu verfolgen von den JungakademikerInnen feierlich versprochen wird. Die Formulierung<br />
dieses Gelöbnisses zeigt ganz deutlich, dass die Universitäten ihre<br />
Aufgabe nicht nur darin sehen, eine f<strong>und</strong>ierte fachliche Ausbildung, sondern<br />
auch umfassende, „wert-volle“ Bildung zu vermitteln. Die Absolvierung eines<br />
<strong>Studiums</strong> erschöpft sich in diesem Sinne nicht <strong>im</strong> Erlernen <strong>und</strong> der Vertiefung<br />
von wissenschaftlichen Inhalten, sondern verfolgt zudem die Vermittlung <strong>und</strong><br />
Einübung akademischer <strong>und</strong> allgemein ethischer Gr<strong>und</strong>werte.<br />
Doch werden die Universitäten heute ihrem Selbstverständnis als Institutionen,<br />
die ganzheitliche Bildung, also auch ethische Gr<strong>und</strong>werte, sichern,<br />
überhaupt noch gerecht? Oder geht der Versuch, den Spagat zwischen einer<br />
anforderungsgerechten Berufsausbildung <strong>und</strong> einer wertbezogenen, humanistischen<br />
Bildung schaffen zu wollen, zugunsten <strong>des</strong> Arbeitsmarktes aus? Kern<br />
all dieser Fragestellungen ist demnach, ob <strong>und</strong> wenn ja, auf welche Art <strong>und</strong><br />
Weise an den Universitäten gesellschaftliche Gr<strong>und</strong>werte vermittelt werden. Als<br />
gesellschaftliche Gr<strong>und</strong>werte sind in diesem Fall all die elementaren Ideale anzusehen,<br />
nach denen Menschen ihr Leben ausrichten <strong>und</strong> die die Gr<strong>und</strong>pfeiler<br />
<strong>des</strong> menschlichen Zusammenlebens bilden.<br />
Bereits ein Blick in die verschiedenen Studienrichtungen zeigt, dass nicht<br />
überall zentrale soziale <strong>Werte</strong> die gleiche Rolle spielen. Im Studium der Rechts-<br />
wissenschaften schwingt<br />
die Frage nach Gr<strong>und</strong>werten,<br />
zumin<strong>des</strong>t <strong>im</strong> Hintergr<strong>und</strong>,<br />
<strong>im</strong>mer mit. Die<br />
Rechtsordnung kann als<br />
Sammlung aller Regeln<br />
<strong>des</strong> gesellschaftlichen Zusammenlebens<br />
aufgefasst<br />
werden, die ein friedvolles<br />
Miteinander gewährleisten<br />
sollen. Das bedeutet, dass<br />
die gelebten <strong>Werte</strong> einer<br />
Gesellschaft, also ihre<br />
moralischen Gr<strong>und</strong>sätze,<br />
in normhafte Form gegossen<br />
werden. Bei der intensiven<br />
Auseinandersetzung<br />
mit rechtlichen Belangen<br />
muss daher zwangsläufig<br />
eine Betrachtung der dahinterstehenden<br />
Prinzipien<br />
erfolgen. Dabei handelt<br />
es sich um jene bereits<br />
Im Angesicht dieser<br />
Tatsache, nämlich,<br />
dass größeres Wissen<br />
auch größere Verantwortung<br />
mit sich bringt,<br />
kommt die Beschäftigung<br />
mit ethischen<br />
Gr<strong>und</strong>werten abseits<br />
<strong>des</strong> spezifisch fachlichen<br />
Gebietes, in den<br />
Curricula der Universitäten<br />
noch zu kurz.<br />
angesprochenen Gr<strong>und</strong>werte der Gesellschaft, wie Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Respekt,<br />
die unserer Rechtsordnung <strong>im</strong>manent sind. Das Studium der Rechtswissenschaften<br />
verlangt folglich eine tiefgehende Befassung mit Bereichen der<br />
Ethik. Diesem Bedürfnis wird auch durch entsprechende Lehrveranstaltungen<br />
Rechnung getragen.<br />
Ganz egal, welche Studienwahl getroffen oder welcher Wissenschaftszweig<br />
gewählt wurde, je weiter <strong>und</strong> intensiver man in die Materie eindringt, <strong>des</strong>to<br />
drängender wird oft die Frage nach der Moral. Um mit solchen kritischen Situationen<br />
reflektiert <strong>und</strong> verantwortungsbewusst umgehen zu können, ist eine<br />
gefestigte Gr<strong>und</strong>einstellung mit hohen Wertansprüchen notwendig. Dieser hohe<br />
Wertmaßstab ist Produkt <strong>und</strong> auch Teil der wissenschaftlichen Betätigung.<br />
Ein abgeschlossenes Universitätsstudium ist der in Österreich höchste zu erreichende<br />
Bildungsgrad. Diejenigen, die sich auf das Wagnis eines <strong>Studiums</strong><br />
einlassen, sollen später gesellschaftliche Schlüsselrollen einnehmen, sollen<br />
Denker, Forscher <strong>und</strong> Vorreiter sein. Sie sollen diejenigen sein, die die Weiter-<br />
38<br />
39
entwicklung einer Gesellschaft formen <strong>und</strong> lenken können. Ihre Aufgabe wird es<br />
sein, zu entscheiden, welche <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> ethische Gr<strong>und</strong>sätze als gut <strong>und</strong> wichtig<br />
gewahrt werden sollen <strong>und</strong> was verändert werden muss. Im Angesicht dieser<br />
Tatsache, nämlich, dass größeres Wissen auch größere Verantwortung mit sich<br />
bringt, kommt die Beschäftigung mit ethischen Gr<strong>und</strong>werten abseits <strong>des</strong> spezifisch<br />
fachlichen Gebietes, in den Curricula der Universitäten noch zu kurz. Diese<br />
Lücke zu schließen, ist oft der Eigeninitiative der Studierenden überlassen.<br />
Aus Lehrveranstaltungen alleine können <strong>Werte</strong> nicht vermittelt werden. <strong>Werte</strong><br />
zieht man auch aus <strong>Erfahrungen</strong>, also aus „wert-vollen“ Erlebnissen, die prägend<br />
für die persönliche Weiterentwicklung sind. Durch <strong>Erfahrungen</strong> wird die<br />
eigene Wertordnung stetig verändert <strong>und</strong> bereichert. Einem interessierten <strong>und</strong><br />
engagierten Studierenden bietet sich eine Vielzahl an Möglichkeiten <strong>Erfahrungen</strong><br />
zu machen, wodurch <strong>Werte</strong> vermittelt werden, die über das hinausgehen,<br />
was <strong>im</strong> Rahmen der jeweiligen fachlich-wissenschaftlichen Inhalte gelehrt wird.<br />
Damit einher geht natürlich auch das „Risiko“, über den Tellerrand <strong>des</strong> eigenen<br />
<strong>Studiums</strong> hinauszuschauen. Dieses Wagnis wird aber durch die Entwicklung<br />
eines vernetzten, interdisziplinären Denkens mehr als belohnt. Die Ermutigung,<br />
sich auf ein solches Exper<strong>im</strong>ent einzulassen, ist unbedingt förderungswürdig,<br />
denn mit Hilfe einer verknüpften <strong>und</strong> weitsichtigen Herangehensweise lassen<br />
sich kommende Herausforderungen besser <strong>und</strong> nachhaltiger bewältigen als<br />
durch rein fachspezifische Zugänge.<br />
Um das oben zitierte Versprechen wahrhaft abgeben zu können, sind also<br />
Eigeninitiative <strong>und</strong> eigene <strong>Erfahrungen</strong> nötig, aber auch ein noch größeres Augenmerk<br />
auf die Vermittlung von <strong>Werte</strong>n <strong>im</strong> Studium. Dass ein großer Fokus auf<br />
die Sicherung <strong>und</strong> Weitergabe ethischer Gr<strong>und</strong>sätze nötig ist, steht somit unzweifelhaft<br />
fest. Die Anforderungen an zukünftige Generationen werden <strong>im</strong>mer<br />
höher. Einerseits sind die bereits angesprochenen interdisziplinären Ansätze zur<br />
Problemlösung <strong>im</strong>mer gefragter, andererseits drängen sich auch <strong>im</strong>mer schwieriger<br />
zu beantwortende Fragen zu ethisch-kritischen Situationen auf. Gerade<br />
Absolventen <strong>und</strong> Absolventinnen einer Universität sind insofern angehalten,<br />
derartigen Problemstellungen mit dem nötigen „Rüstzeug“ zu begegnen <strong>und</strong><br />
verantwortungsvolle, nachhaltige <strong>und</strong> weitsichtige Lösungen herbeizuführen. Es<br />
ist also als Aufforderung an die Universitäten als auch an Studierende selbst zu<br />
sehen, den Status quo weiter auszubauen. Die Vermittlung von <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> das<br />
Ermöglichen von <strong>Erfahrungen</strong> müssen <strong>im</strong> Studium einen größeren Stellenwert<br />
einnehmen, um den Anforderungen einer sich wandelnden Gesellschaft gerecht<br />
zu werden.<br />
Arbeitslose Akademiker,<br />
der Sinn eines <strong>Studiums</strong><br />
<strong>und</strong> die Kompetenz der<br />
Reflexionsfähigkeit<br />
von Margit Perko,<br />
Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Steiermark<br />
40<br />
41
Der österreichische Wissenschaftsminister stellt den Stipendiaten <strong>des</strong> Europäischen<br />
Forums Alpbach 2013 in diesem Essaywettbewerb zum Thema „<strong>Erfahrungen</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong>“ unter anderem die Frage, ob<br />
unsere Universitäten die ethischen Gr<strong>und</strong>werte sichern. Aus meiner Sicht ist<br />
die Antwort auf diese Frage ein klares „Nein“. Diese Aufgabe können Universitäten<br />
nicht erfüllen, auch nicht die besten. Wie ich zu dieser Aussage komme<br />
<strong>und</strong> warum ein Studium auf individueller <strong>und</strong> gesellschaftlicher Ebene trotzdem<br />
vorteilhaft in Bezug auf <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> sein kann, möchte ich <strong>im</strong><br />
Folgenden ausführen.<br />
Zunächst einige Anmerkungen zur Klärung der Begriffe<br />
„Erfahrung“ <strong>und</strong> „<strong>Werte</strong>“.<br />
Erfahrung<br />
Eine Erfahrung ist mehr als ein Erlebnis. Eine Erfahrung ist ein Erlebnis, aus<br />
dem Schlüsse gezogen <strong>und</strong> etwas gelernt wurde. Wenn man etwas erlebt hat,<br />
ohne daraus irgendetwas zu lernen, kann man eigentlich nicht von einer Erfahrung<br />
sprechen. Daraus folgt, dass man auf zwei Arten wenig <strong>Erfahrungen</strong> haben<br />
kann: Zum einen, indem man bislang wenig erlebt hat, <strong>und</strong> zum anderen, indem<br />
man das Erlebte nicht durch Reflexion zur Erfahrung gemacht hat.<br />
Welche Arten von Lernen sind <strong>im</strong> Rahmen einer Erfahrung möglich? Man kann<br />
lernen,<br />
(a) etwas nicht mehr zu machen,<br />
(b) etwas in Zukunft völlig anders zu machen,<br />
(c) etwas künftig besser zu machen; man kann lernen,<br />
(d) Dinge anders zu beurteilen, weil man Zusammenhänge jetzt anders/besser<br />
versteht, man kann<br />
(e) eigene <strong>Werte</strong> ändern oder zumin<strong>des</strong>t modifizieren <strong>und</strong> man kann sich<br />
(f) in den eigenen <strong>Werte</strong>n bestätigt fühlen. Die ersten drei Lehren <strong>im</strong> Rahmen<br />
einer Erfahrung kann man als Lehren für das Handeln zusammenfassen, während<br />
die letzen drei Lehren Lehren für das eigene Weltbild, das Weltverstehen<br />
sind.<br />
<strong>Werte</strong><br />
„Wert“ ist ein vielfältigerer Begriff als „Erfahrung“. Um den Begriff etwas aufzufächern,<br />
seien hier fünf verschiedene Arten von <strong>Werte</strong>n (ethische, moralische,<br />
ökonomische, emotionale <strong>und</strong> gesellschaftliche <strong>Werte</strong>) angesprochen, die<br />
allerdings zusammen nicht als Typologie zu verstehen sind, sondern nur als<br />
Anreißen von Aspekten. Moralische <strong>Werte</strong> sind meines Erachtens wichtiger als<br />
ethische <strong>Werte</strong>, weil sie tiefer sitzen <strong>und</strong> <strong>im</strong> Zweifelsfall zuverlässiger sind.<br />
Wenn ein einzelner Mensch handelt, kommen eher moralische <strong>Werte</strong> zum Zuge<br />
als ethische Überlegungen. So wichtig die Ethik als Wissenschaft über die Moral<br />
für eine Gesellschaft ist, glaube ich doch, dass es vor allem die moralischen<br />
<strong>Werte</strong> sind, die die Basis für das gesellschaftliche Zusammenleben bilden.<br />
Erschließt die Ethik neue <strong>Werte</strong> (wie z.B. die Idee der Menschenrechte), so<br />
muss das Ziel dennoch die Verinnerlichung der <strong>Werte</strong> als moralische <strong>Werte</strong> <strong>des</strong><br />
Einzelnen sein. Nur so können sie voll zum Tragen kommen <strong>und</strong> sich wirklich<br />
etablieren.<br />
Auch wenn häufig ein (angeblicher) <strong>Werte</strong>verfall beklagt wird, sehe ich <strong>im</strong><br />
Großen doch eine erhöhte moralische Sensibilität der Menschheit als zu früheren<br />
Zeiten. Nicht überall <strong>und</strong> ohne Rückschläge, aber insgesamt sind die<br />
Ansprüche an moralisch richtiges Verhalten heute höher denn je (vlg. z.B. die<br />
Konzepte der Nachhaltigkeit <strong>und</strong> die Idee der Tierrechte).<br />
Ein moralischer Wert ist meines Erachtens allerdings nur dann wirklich als<br />
ein echter Wert einer Person anzusehen, wenn die Person bereit ist, sich anzustrengen,<br />
um den Wert zu erreichen (oder ihm zumin<strong>des</strong>t näher zu kommen).<br />
Und wenn eine Person <strong>im</strong> Konfliktfall zu Verzicht <strong>und</strong> zur Einschränkung (bei<br />
anderen Dingen/<strong>Werte</strong>n) bereit ist, um in Einklang mit diesem Wert zu leben.<br />
<strong>Werte</strong> müssen nämlich gelebt <strong>und</strong> verkörpert werden. Und zwar nicht nur dann,<br />
wenn es gerade einfach ist, sondern auch <strong>und</strong> gerade, wenn es einmal schwierig<br />
ist. Schönwetterwerte, die nur befolgt werden, wenn es einfach ist, sind meines<br />
Erachtens <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e keine echten (= gelebte) <strong>Werte</strong>. Nichts<strong>des</strong>totrotz beginnt<br />
die Entwicklung neuer <strong>Werte</strong> oft mit der bloßen Proklamation von <strong>Werte</strong>n, die<br />
erst nach <strong>und</strong> nach zu gelebten <strong>Werte</strong>n werden (können). Insofern ist auch das<br />
bloße Proklamieren von <strong>Werte</strong>n schon ein wichtiger Teil der Entwicklung der<br />
gesellschaftlichen <strong>und</strong> persönlichen Moral.<br />
Analytisch muss man natürlich auch zwischen moralischen <strong>und</strong> ökonomischen<br />
<strong>Werte</strong>n unterscheiden (auch wenn manche das gleichsetzen mögen, weil<br />
ihr wichtigster moralischer Wert der ökonomische Erfolg ist.).<br />
Es gibt auch einen emotionalen Wert. Ein Wert, der weder moralisch noch<br />
ökonomisch begründet ist, sondern nur (oder hauptsächlich) auf unseren Gefühlen<br />
beruht. Eine Person, die wir lieben, ist uns schließlich nicht aus ökonomischen<br />
oder moralischen Gründen viel wert.<br />
Eine fünfte Art von <strong>Werte</strong>n (den anderen gleichsam übergeordnet) sind die<br />
gesellschaftlichen <strong>Werte</strong>. Also jene <strong>Werte</strong>, die von einem großen Teil der Gesellschaft<br />
geteilt <strong>und</strong> bejaht werden. Sie sind sowohl für die Konstruktion eines<br />
42<br />
43
politischen Systems als auch für politische, gesellschaftliche <strong>und</strong> persönliche<br />
Entscheidungen von großer Bedeutung. Daher ist auch der (<strong>im</strong>mer wieder neu<br />
zu führende) Diskus über gesellschaftliche <strong>Werte</strong> sehr zentral für jede Gesellschaft.<br />
Die Entscheidungen <strong>des</strong> Einzelnen betreffen nämlich in ihren Folgen<br />
häufig auch viele andere Menschen. Daher ist eine Verhandlung über gesellschaftliche<br />
<strong>Werte</strong>, an die sich der Einzelne in dieser Gesellschaft halten sollte,<br />
<strong>im</strong>mer wieder wichtig <strong>und</strong> keinesfalls eine obsolete Aktivität für religiöse Eiferer<br />
<strong>und</strong> sonstige Moralapostel. Moral geht alle an.<br />
Wert eines <strong>Studiums</strong>, Studium <strong>und</strong> Erfahrung<br />
Wie ist es nun um die Relevanz <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> <strong>im</strong> Hinblick auf Erfahrung <strong>und</strong><br />
die verschiedenen Kategorien von <strong>Werte</strong>n bestellt?<br />
Zunächst zum ökonomischen Wert eines <strong>Studiums</strong>. Zumin<strong>des</strong>t theoretisch<br />
bringt ein tertiärer Bildungsabschluss höhere Chancen auf beruflichen Erfolg<br />
<strong>und</strong> ein überdurchschnittliches Einkommen. In der Praxis erleben heute aber<br />
viele Akademiker, dass ein Studium keine Garantie für irgendetwas ist (war es<br />
wahrscheinlich nie, aber die Entwicklung scheint sich doch verstärkt zu haben).<br />
In Südeuropa, China aber durchaus auch <strong>im</strong> deutsprachigen Raum gibt es viele<br />
junge Menschen, die trotz (<strong>und</strong> teilweise sogar wegen) ihres <strong>Studiums</strong> keine<br />
Arbeitsstelle finden. Und jene, die Arbeit finden, arbeiten teilweise für Gehälter<br />
um die 1000 Euro <strong>und</strong> darunter. Es gibt Stellenanzeigen für unbezahlte<br />
Praktika, die einen Studienabschluss, mehrere Sprachen fließend, Berufs- <strong>und</strong><br />
Auslandserfahrung sowie diverse Kompetenzen voraussetzen. Und nicht wenige<br />
von diesen Anzeigen tragen den Vermerk, dass überhaupt nur „short listed candidates“<br />
kontaktiert werden. Selbst für diese unbezahlten Vollzeitpraktika über<br />
mehrere Monate geht also eine Flut von Bewerbungen ein. Der ökonomische<br />
Wert eines <strong>Studiums</strong> ist für den Einzelnen also mitunter durchaus fragwürdig.<br />
Insbesondere abseits der technischen Studienfächer.<br />
Der moralische Wert eines <strong>Studiums</strong> ist meines Erachtens <strong>im</strong> Wesentlichen<br />
zu vernachlässigen. Ich habe durch mein Studium keinen Wert erworben, den<br />
ich nicht schon vorher gehabt hätte. Selbst die wissenschaftliche Redlichkeit<br />
hatte ich <strong>im</strong> Prinzip schon vor meinem Studium verinnerlicht. Ich glaube daher<br />
nicht, dass ein Studium geeignet ist, irgendwelche <strong>Werte</strong> zu vermitteln. Insbesondere<br />
nicht über die wissenschaftlichen <strong>Werte</strong> hinausgehend. (Wobei selbst<br />
in Bezug auf diese kein Automatismus besteht, wie Fälle wie jener <strong>des</strong> ehemaligen<br />
deutschen Verteidigungsministers zu Guttenberg sowie zahlreiche andere<br />
Beispiele für Betrug in der Wissenschaft leider eindrücklich beweisen.) Die<br />
moralische Sozialisation <strong>und</strong> Selbstgestaltung findet meines Erachtens pr<strong>im</strong>är<br />
Der moralische Wert<br />
eines <strong>Studiums</strong> ist<br />
meines Erachtens <strong>im</strong><br />
Wesentlichen zu<br />
vernachlässigen.<br />
in früheren Lebensphasen<br />
statt. Nur in Ausnahmefällen<br />
wird dabei ein Studium<br />
einen Einfluss haben.<br />
Recht unzweifelhaft<br />
dürfte dagegen der gesellschaftliche<br />
Wert eines <strong>Studiums</strong><br />
sein. Eine Wissensgesellschaft<br />
braucht für ihr<br />
Bestehen <strong>und</strong> ihre Weiterentwicklung<br />
entsprechend<br />
qualifizierte Wissensarbeiter. (Was allerdings – wie schon angesprochen – beileibe<br />
keine Garantie für den Einzelnen ist, dass er/sie nach seinem Studium zu<br />
denen gehört, die tatsächlich gewollt <strong>und</strong> gebraucht werden.)<br />
Was noch bleibt, ist der emotionale Wert <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong>, der für viele recht<br />
hoch sein dürfte. Jedenfalls war <strong>und</strong> ist er das für mich. Der emotionale Wert<br />
<strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> hängt dabei eng mit den <strong>Erfahrungen</strong> zusammen, die man <strong>im</strong><br />
Studium gemacht hat, denke ich. Ich mochte mein Studium sehr <strong>und</strong> bin froh,<br />
es absolviert zu haben. Allerdings ist es für mich bislang nicht wirklich nützlich.<br />
Im Gegenteil, wahrscheinlich wäre ich heute schon viel weiter, wenn ich<br />
nicht studiert hätte. Wenn man nach dem Studium die Erfahrung macht, dass<br />
man mit allen Kompetenzen <strong>und</strong> all dem Wissen am Arbeitsmarkt erstmal nicht<br />
gebraucht wird (sei es auf Gr<strong>und</strong> von mangelnder Berufserfahrung oder irgendwelchen<br />
anderen Gründen), relativiert das den Wert <strong>des</strong> eigenen <strong>Studiums</strong> doch<br />
recht deutlich. Auch den emotionalen Wert.<br />
Was die <strong>Erfahrungen</strong> <strong>im</strong> Rahmen eines <strong>Studiums</strong> angeht, kann man festhalten,<br />
dass ein Studium nicht automatisch umfangreiche <strong>Erfahrungen</strong> oder<br />
auch nur Erlebnisse mit sich bringt. Gerade bei übervollen St<strong>und</strong>enplänen können<br />
Erlebnisse außerhalb <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> sowie die Reflexion (<strong>und</strong> damit die<br />
Erfahrung) <strong>im</strong> Studium zu kurz kommen. Auslandssemester <strong>und</strong> Exkursionen<br />
bieten höheres „Erfahrungspotential“. Die Gleichung „Studium = Erfahrung“<br />
werden aber mit Recht die wenigsten aufstellen wollen.<br />
These<br />
Als etwas pess<strong>im</strong>istisches Zwischenfazit lässt sich also konstatieren: Ein Studium<br />
ist weder für den Bereich der Erfahrung noch für den Bereich der <strong>Werte</strong><br />
sonderlich relevant. Was ist es also, das ein Studium trotzdem zu einer wertvollen<br />
Aktivität macht? Wo liegt neben dem Fachwissen der Wert eines <strong>Studiums</strong>,<br />
44<br />
45
wenn er weder <strong>im</strong> Bereich Erfahrung noch <strong>im</strong> Bereich der moralischen <strong>und</strong><br />
ethischen <strong>Werte</strong> liegt?<br />
Was man durch ein Studium bekommen kann (neben dem Wissen), ist eine<br />
kritische Haltung zu wissenschaftlichen Studien; <strong>und</strong> nicht nur das: eigentlich<br />
geht es sogar um eine gr<strong>und</strong>sätzlich kritische Haltung zur Welt. „Das Gegenteil<br />
ist auch wahr“ ist eine Aussage, die man mit entsprechender Reflexion häufig<br />
bestätigt finden kann. Die Komplexität unserer Welt sorgt dafür. Ich möchte<br />
daher sagen: Der Wert eines <strong>Studiums</strong> liegt pr<strong>im</strong>är in der Reflexionsfähigkeit,<br />
die man <strong>im</strong> Laufe eines <strong>Studiums</strong> erwerben bzw. deutlich ausbauen kann (<strong>und</strong><br />
sollte).<br />
Und diese Reflexionsfähigkeit ist wiederum von größter Bedeutung für den<br />
Umgang mit <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> Erfahrung. Zum einen ermöglicht Reflexionsfähigkeit<br />
einen bewussteren Umgang mit <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> zum anderen erhöht sie die Chance,<br />
neue <strong>Erfahrungen</strong> (wie sie eingangs definiert wurden) zu machen:<br />
Im Bereich der <strong>Werte</strong> schützt Reflexionsfähigkeit vor Fanatismus <strong>und</strong> Extremismus.<br />
Außerdem erlaubt sie es einem, tradierte <strong>Werte</strong> auf den Prüfstand<br />
zu stellen <strong>und</strong> sie entweder zu verwerfen oder durch Reflexion zu den eigenen<br />
<strong>Werte</strong>n zu machen, weil man sie nach kritischer Prüfung für gut bef<strong>und</strong>en hat.<br />
Im Bereich der Erfahrung ist Reflexionsfähigkeit der zentrale Schlüssel, um<br />
aus Erlebnissen Lehren zu ziehen <strong>und</strong> sie auf diese Weise zu <strong>Erfahrungen</strong> zu<br />
machen.<br />
All das geht natürlich auch ohne Studium. Nicht allerdings ohne Nachdenken.<br />
Und das Nachdenken <strong>und</strong> die Reflexionsfähigkeit fördert ein Studium <strong>im</strong><br />
Normalfall beträchtlich. Daher kann ein Studium für <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong><br />
doch relevanter sein als es auf den ersten <strong>und</strong> auch noch auf den zweiten Blick<br />
erscheinen mag.<br />
Salzburg, 29. Juli 2013<br />
„Es werde Licht!“<br />
von Maria Anegg,<br />
Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Tirol<br />
46<br />
47
Seit dem Wintersemester 2009 bin ich als Studentin Teil der Universität Innsbruck,<br />
aber bin ich auch ein wichtiger Teil? Haben ich <strong>und</strong> meine vielen Arbeiten<br />
<strong>und</strong> Gedanken zum <strong>und</strong> über das Studium einen Stellenwert? Mit dieser<br />
Möglichkeit, meine Gedanken öffentlich zu machen <strong>und</strong> zu teilen, erfahre ich<br />
in meiner Person <strong>und</strong> meinem Denken Wert. Diesen Wert vermisse ich in der<br />
medialen Wahrnehmung der Universität, in den Pflichtpraktikumsstellen, unter<br />
meinen StudienkollegInnen <strong>und</strong> an der Universität selbst.<br />
Überfüllte Hörsäle, wochenlanges Warten auf Prüfungsergebnisse, mangelnder<br />
Informationsfluss zwischen StudentInnen <strong>und</strong> ProfessorInnen, Zittern<br />
um Seminarplätze – ich kämpfe darum einen wertvollen Platz einzunehmen<br />
– einen Kampf, den ich mir so nicht vorgestellt hatte, mit dem ich aber schon<br />
früh Erfahrung machte: Ganz frisch auf der Universität angekommen, motiviert<br />
<strong>und</strong> offen für das viele Neue, fand ich mich in einem Seminarraum wieder,<br />
dicht gedrängt mit meinen MitstudentInnen, die sich aber als MitkonkurrentInnen<br />
herausstellen sollten. Die damals noch völlig ungewohnte Situation ist mir<br />
leider nun sehr vertraut, weil sie sich als Seminarplatzvergabe am Anfang je<strong>des</strong><br />
Semesters wiederholt. Meinen ersten Seminarplatz bekam ich durch das Ziehen<br />
eines Loses. Ich zog das heiß begehrte Los <strong>und</strong> wurde mit folgenden Worten <strong>im</strong><br />
Seminar begrüßt: „Gratuliere, Sie gehören zu den Glücklichen, die einen Seminarplatz<br />
ergattern konnten.“ Dass mir gratuliert wurde, weil ich einen „Platz<br />
ergattern“ konnte – obwohl ich doch schon ein Aufnahmeverfahren bestanden<br />
hatte, hat mich befremdet <strong>und</strong> gibt mir noch heute zu denken.<br />
Worum geht es nun an der Universität? Geht es darum einen „Platz zu<br />
ergattern“ oder einen wertvollen Platz einzunehmen <strong>und</strong> zu behalten? Welchen<br />
Stellenwert habe ich als Studentin? Bekomme ich diesen oder muss ich mir diesen<br />
erkämpfen? Während meiner acht Jahre Gymnasium habe ich die Universität<br />
stets mit hohen <strong>Werte</strong>n verb<strong>und</strong>en. Sie stand für mich als die Instanz der<br />
Wissensvermittlung <strong>und</strong> so habe ich dieses große Ziel angestrebt <strong>und</strong> viel dafür<br />
getan. In meinem ersten Kampf um Wertvolles erlebte ich gerade an der Universität<br />
Enttäuschung <strong>und</strong> mangelnde Wertschätzung. Aber auch das äußere Bild<br />
entspricht nicht dem, mit welchem ich in meiner schulischen Ausbildung vertraut<br />
gemacht wurde: die Universität als Ort von <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> Wissen. Was trägt<br />
die Universität selbst dazu bei, ihren besonderen Stellenwert zu präsentieren?<br />
Die Universität als die Vermittlerin von Wissen rückt in den Hintergr<strong>und</strong>,<br />
denn die der heutigen Zeit entsprechende Aufmerksamkeit gilt dem Kosten-<br />
Nutzen-Prinzip. Ökonomische Bedingungen, über deren notwendige Sicherung<br />
kein Zweifel besteht, dominieren die öffentliche Wahrnehmung. Mir scheint,<br />
diese Überbetonung verdunkelt das Licht, das <strong>im</strong> Inneren der Universität leuch-<br />
Gratuliere, Sie gehören<br />
zu den Glücklichen,<br />
die einen Seminarplatz<br />
ergattern konnten.“<br />
tet. Bewahrung von Wissen in Kontinuität einer reichen Tradition; Erweiterung<br />
von Wissen durch Lehre <strong>und</strong> Forschung; Überprüfung, Reflexion <strong>und</strong> Integration<br />
so gewonnener Kenntnisse zum Nutzen <strong>und</strong> zum Wohl der Gesellschaft <strong>im</strong><br />
Ganzen: Mein Bild der Universität ist ein leuchten<strong>des</strong>! Ich wünsche mir, meine<br />
Aufgaben als Studentin in diesem Licht zu erfüllen. Ich wünsche mir, in diesem<br />
Licht meinen eigenen Wert als ein nach Wissen <strong>und</strong> Wahrheit strebender Mensch<br />
zu finden. So viele StudentInnen es sind, so viele <strong>Werte</strong> können, sichtbar geworden<br />
durch dieses<br />
Licht, die Universität reflektieren<br />
<strong>und</strong> somit zu<br />
mehr Helligkeit an den<br />
unterschiedlichsten Lebensorten<br />
beitragen.<br />
Auf diese Weise<br />
erhält nicht nur jeder<br />
Mensch für sich, sondern<br />
auch die Universität<br />
durch ihn einen besonderen Stellenwert. Ein solcher kann nicht theoretisch<br />
vermittelt werden, wenn auch die Theorie das eigentliche Anliegen einer Universität<br />
ist. Einen Stellenwert zu haben, wertgeschätzt zu sein, das kann nur<br />
erfahren werden. Die Universität als ein Ort, an dem <strong>Werte</strong> nicht nur gelehrt <strong>und</strong><br />
gelernt, sondern gelebt werden, was braucht es dafür?<br />
Eine Universität, die ihr wertvolles Licht leuchten lässt <strong>und</strong> jungen Menschen<br />
die Möglichkeit gibt, aus dem Schatten zu treten.<br />
Diese Möglichkeiten stellen selbst wieder große <strong>Werte</strong> dar. Um die Möglichkeiten<br />
zu verwerten, was braucht es dafür? Menschen, die freudig motiviert das<br />
tun, was sie lieben <strong>und</strong> lieben, was sie tun, weil sie erfahren, dass sie Wertvolles<br />
tun.<br />
Wertvolles tun aber heißt, sich seines eigenen <strong>Werte</strong>s bewusst zu sein -<br />
Selbstwert zu haben. Selbstwert macht unabhängig <strong>und</strong> eigenständig <strong>und</strong> stellt<br />
so die beste Sicherung dar, in dem uns unabweisbaren Bedürfnis nach einem<br />
„sich in seinen <strong>Werte</strong>gehalten steigernden Leben“.<br />
48<br />
49
Privatheit versus<br />
Sicherheit<br />
von Marie Christine Lumper,<br />
Stipendiatin <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esministeriums für Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Forschung<br />
50<br />
51
Als Absolventin <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> der Rechtswissenschaften bzw. Studentin der<br />
Betriebswirtschaftslehre erscheint mir in diesem Zusammenhang insbesondere<br />
das Lehrprogramm der Universitäten als zentraler Ansatzpunkt. Ursprünglich<br />
stand hierbei die reine Wissensvermittlung <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong>. So rührt der Begriff<br />
Vorlesung beispielsweise aus einer Zeit, in der nicht jeder Student grenzenlosen<br />
Zugang zu Wissen hatte, sondern vielmehr auf das Vorlesen der Dozenten<br />
aus unterschiedlichsten Werken angewiesen war. Insbesondere aber durch die<br />
rasante Entwicklung der Informationstechnologien erfolgte eine beträchtliche<br />
Ausweitung <strong>des</strong> Spielraums für den Umgang mit Wissen <strong>und</strong> Information. In der<br />
Folge begründen heutzutage das Beschaffen von bloßem Wissen auf Gr<strong>und</strong> <strong>des</strong><br />
<strong>im</strong>mensen Bestan<strong>des</strong> an einschlägiger Fachliteratur der verschiedensten Disziplinen<br />
<strong>und</strong> <strong>des</strong>sen (relativ) barrierefreier Zugang keine erheblichen Probleme<br />
mehr. Dafür ergeben sich aus dieser Vielfalt an Möglichkeiten aber ganz andere<br />
Fragestellungen. Ein diesbezüglicher Problemkreis, dem sich Universitäten in<br />
den letzten Jahren verstärkt gewidmet haben, ist jener der Plagiate. Insbesondere<br />
durch Plagiatsprüfungen mit Hilfe von Software-Programmen versuchen<br />
Universitäten das eigenständige Verfassen von wissenschaftlichen Arbeiten sicherzustellen.<br />
Es gilt aber in diesem Zusammenhang viel früher anzusetzen.<br />
Das Lehrprogramm von Universitäten sollte heutzutage in Ergänzung zur bloßen<br />
Wissensvermittlung ihren Studierenden präventiv ein vielfältiges Angebot<br />
an Lehrveranstaltungen bieten, das Studierende dazu anregt, einen verantwortungsbewussten<br />
Umgang mit technologischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Entwicklungen<br />
zu pflegen. Als Beispiel hierfür kann die <strong>im</strong> Sommersemester 2013<br />
an der Sozial- <strong>und</strong> Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-<br />
Universität Graz abgehaltene Lehrveranstaltung „Informationswissenschaft“<br />
angeführt werden, die als zentrales Thema den ethischen Umgang mit Wissen<br />
<strong>und</strong> Information behandelte. Unter anderem wurden Fragestellungen in Bezug<br />
auf den Themenkreis „Privatheit versus Sicherheit“ erarbeitet, wobei die Aktualität<br />
diesbezüglicher Problemstellungen wohl kaum zu überbieten ist (vgl.<br />
Spionageprogramm der National Security Agency). Zwar sind Einschränkungen<br />
der Privatsphäre unter best<strong>im</strong>mten rechtlichen Voraussetzungen hinzunehmen,<br />
diese sind aber insbesondere dann kritisch zu hinterfragen, wenn beispielsweise<br />
dem Sicherheitsinteresse ein höherer Stellenwert in der <strong>Werte</strong>skala zukommt<br />
als der Privatheit. In diesem Zusammenhang spielt die insbesondere von den<br />
Vorkommnissen <strong>des</strong> 11. September 2001 beeinflusste Umkehrung in der <strong>Werte</strong>hierarchie<br />
eine wesentliche Rolle. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die<br />
(un-)freiwillige Aufgabe von Privatheit nicht nur eine Gefahr für die Vorstellung<br />
autonomer Rechtssubjekte darstellt, sondern auch für das Konzept liberaler<br />
Festzuhalten ist an<br />
dieser Stelle, dass die<br />
(un-)freiwillige Aufgabe<br />
von Privatheit nicht<br />
nur eine Gefahr für die<br />
Vorstellung autonomer<br />
Rechtssubjekte darstellt,<br />
sondern auch für<br />
das Konzept liberaler<br />
Demokratie, das ein<br />
enormes Interesse an<br />
der Selbstbest<strong>im</strong>mung<br />
ihrer Rechtssubjekte<br />
hegt.<br />
Demokratie, das ein enormes<br />
Interesse an der<br />
Selbstbest<strong>im</strong>mung ihrer<br />
Rechtssubjekte hegt.<br />
Es zeigt sich daraus die<br />
erhebliche Reichweite<br />
einer Erosion gr<strong>und</strong>legender<br />
<strong>Werte</strong>, weswegen die<br />
Vermittlung <strong>und</strong> Förderung<br />
einer aktiven Auseinandersetzung<br />
mit den<br />
gesellschaftlichen Wertvorstellungen<br />
als unumgänglich<br />
erscheint. 1<br />
Darüber hinaus sollten<br />
Kurse <strong>und</strong> Seminare,<br />
die einen Einblick in die<br />
Praxis bieten, an dieser<br />
Stelle Erwähnung finden.<br />
Diese geben den Studierenden<br />
frühzeitig die für<br />
ihren späteren beruflichen<br />
Werdegang notwendigen<br />
praktischen <strong>Erfahrungen</strong><br />
mit. Stellenanzeigen verlangen<br />
regelmäßig einschlägige<br />
berufliche <strong>Erfahrungen</strong>,<br />
wobei es für Studierende bzw. junge Absolventen gerade <strong>des</strong>wegen<br />
nicht <strong>im</strong>mer leicht ist, in die Berufswelt einzusteigen. Ein Praxisbezug <strong>im</strong> Rahmen<br />
von Lehrveranstaltungen, der etwa durch Exkursionen hergestellt werden<br />
könnte, bietet die Möglichkeit eines ersten unverbindlichen Einblicks <strong>und</strong> kann<br />
auch als Gr<strong>und</strong>lage zusätzlicher Lernmotivation dienen. Außerdem besteht <strong>im</strong><br />
Rahmen einschlägiger Lehrveranstaltungen die Möglichkeit, über die Universität<br />
bzw. ihr Netzwerk den Kontakt zu Arbeitgebern herzustellen <strong>und</strong> sich so<br />
1<br />
Ausführlich dazu Kuhlen: Informationsethik. Umgang mit Wissen <strong>und</strong> Information in<br />
elektronischen Räumen (2004).<br />
52<br />
53
einen Praktikumsplatz zu sichern. Derartige berufsorientierte Praktika können<br />
unter gewissen Voraussetzungen auch als Lehrveranstaltungen angerechnet<br />
werden <strong>und</strong> so ein schnelleres Fortkommen <strong>im</strong> Studium ermöglichen.<br />
In Summe zeigt sich, dass sich die Universitäten an den Anforderungen<br />
der heutigen Zeit orientieren <strong>und</strong> ihr Angebot dementsprechend anpassen. Der<br />
Schwerpunkt <strong>des</strong> Bildungsauftrags der österreichischen Hochschulen scheint<br />
sich von der Wissensvermittlung hin zu einem nachhaltigen Umgang mit Wissen<br />
zu verlagern, wobei in diesem Zusammenhang auch die Diskussion <strong>und</strong> Reflexion<br />
der Wertvorstellungen unserer Gesellschaft Berücksichtigung finden.<br />
Fragen, die<br />
eine Gesellschaft<br />
nicht stellt.<br />
von S<strong>im</strong>one Pesendorfer,<br />
Stipendiatin der Initiativgruppe Alpbach Wien<br />
54<br />
55
Um der Frage nach <strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> entsprechend<br />
nachgehen zu können, möchte ich den Hintergr<strong>und</strong> ausleuchten, vor<br />
dem ich meine Überlegungen entfalten werde. Wenn von der Vermittlung von<br />
<strong>Werte</strong>n die Rede ist, so scheint es mir, der Irrtum habe sich eingeschlichen, sie<br />
seien etwas, das wie ein fester Gegenstand von Hand zu Hand weiterzureichen<br />
sei. Diese Form von genealogischer Weiter-Gabe innerhalb einer Generation/<br />
Volksgemeinschaft/Glaubensgemeinschaft ist für unsere Zeit zerbrochen <strong>und</strong><br />
nicht mehr möglich. Daher muss ganz zu Recht die Frage gestellt werden, wie<br />
von einer Weiterführung eines (ethischen) Erbes noch die Rede sein kann, wenn<br />
wir mittlerweile beobachten können, dass der <strong>Werte</strong>konsens innerhalb unserer<br />
Gesellschaft von Mal zu Mal geringer wird.<br />
Hochschulen <strong>und</strong> Universitäten sind Teil <strong>des</strong> öffentlichen Lebens, daher<br />
lohnt es sich, die Gründungsintention, welche diese Institutionen durchwebt,<br />
<strong>im</strong> Hinterkopf zu bewahren. Der Anspruch, der – damals wie heute – an sie ergeht,<br />
nämlich, ein Aufklärungsprojekt, sprich ein Ort <strong>des</strong> Mündig-Werdens, der<br />
Reflexion <strong>und</strong> Wissenschaft zu sein, beinhaltet zuallererst, der Platz zu sein, wo<br />
ein Diskurs über die Themen <strong>und</strong> Probleme, welche eine Gesellschaft bewegen<br />
<strong>und</strong> konstituieren, stattfinden muss.<br />
Darum denke ich, greift es viel zu kurz, wenn man von einer bloßen Sicherung<br />
der <strong>Werte</strong> spricht. Darin besteht nicht die pr<strong>im</strong>äre Aufgabe einer Universität,<br />
<strong>im</strong> Sinne einer Wächterpolizei; dieser Aspekt wäre zu wenig radikal<br />
– zumal man Gefahr laufen könnte, <strong>Werte</strong> als etwas verfügbar Gemachtes anzusehen,<br />
das man absichern kann. Es geht um die Offenheit <strong>des</strong> Raumes, in<br />
dem heranwachsende Menschen die Möglichkeit erhalten sollen – jenseits von<br />
Überlegungen der Verwertbarkeit <strong>und</strong> <strong>des</strong> wirtschaftlichen Nutzens – in einen<br />
Diskurs über die Frage, ob es in unserer Gesellschaft überhaupt noch <strong>Werte</strong><br />
<strong>und</strong> Normen gibt, treten zu können. Dies ist der Dienst, den eine Universität an<br />
der Öffentlichkeit, welche sie trägt <strong>und</strong> von der sie etwas erwarten darf, leisten<br />
muss. Ein Studium an solch einer Hochschule beinhaltet für mich die Chance,<br />
<strong>Erfahrungen</strong> zu machen, die in erster Linie meinen Blick <strong>und</strong> mein Denken<br />
weiten, ein unverfälschtes Interesse in mir entfachen <strong>und</strong> mich zu einer f<strong>und</strong>amentalen<br />
Auseinandersetzung mit den Fragestellungen unserer Zeit befähigen.<br />
Ob ein Studium <strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> mit sich bringen kann, hängt doch<br />
essenziell auch von der Frage ab, ob das Studieren an sich wert-voll ist. Ein<br />
Umfeld, in dem kritisches An- <strong>und</strong> Hinterfragen der eigenen Gehalte nie angestrebt<br />
wird, sondern man sich ganz dem Schlagwort der Effizienz verschrieben<br />
hat, wird diese <strong>Erfahrungen</strong> nicht nur nicht hervorbringen – es wird sie auch als<br />
nicht wesentlich bewerten.<br />
Man kann ein Studium<br />
auf zweierlei Arten<br />
durchwandern, wie ich es<br />
selbst auch erlebt – <strong>und</strong><br />
in Fromms Unterscheidung<br />
von Haben oder<br />
Sein 1 , in versprachlichter<br />
Form auf den Punkt<br />
gebracht, gef<strong>und</strong>en habe:<br />
man hört, sammelt, bewahrt<br />
Wissen auf <strong>und</strong> gibt<br />
...einen Diskurs über<br />
die Frage, ob es in<br />
unserer Gesellschaft<br />
überhaupt noch <strong>Werte</strong><br />
<strong>und</strong> Normen gibt.<br />
sich mit der reinen Reproduzierbarkeit <strong>des</strong>sen zufrieden (so wie Fromm Lernen<br />
in der Existenzweise <strong>des</strong> Habens schildert) oder man wird von dem Gehörten<br />
verändert, beginnt Standpunkte zu entwickeln, lässt sich auf neue Denkweisen<br />
<strong>und</strong> Perspektiven ein. Welche <strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> ein Mensch dann für<br />
sich machen <strong>und</strong> ableiten kann, vermag ich nicht vorauszusagen, doch waren<br />
es rückblickend nicht die Fächer, in denen auswendig Gelerntes abgeprüft<br />
wurde, die mir eine wert-volle Erfahrung <strong>im</strong> Rahmen meines eigenen <strong>Studiums</strong><br />
ermöglichten.<br />
Ich selbst studiere Theologie <strong>und</strong> sehe diese nicht als eine Antwort, sondern<br />
als eine Radikalisierung der Frage, ob es <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> in unserer<br />
Gesellschaft überhaupt noch gibt. Ein Gedanke, der <strong>im</strong> Laufe meines <strong>Studiums</strong><br />
an Bedeutung gewann, kreist um die Frage, was der Beitrag einer Theologie<br />
heute sein kann? Der einzelne Mensch, die Universität <strong>und</strong> folglich auch die<br />
Gesellschaft hat dann etwas gewonnen, wenn das, was an einer Hochschule<br />
stattfindet, nicht stets abstrakt bleibt. Die große Aufgabe, vor die ich junge<br />
Menschen wie mich gestellt sehe, ist es, die <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> Traditionen der Generationen<br />
vor uns zu betrachten <strong>und</strong> gepaart mit den eigenen für unsere Zeit<br />
zu interpretieren, deren <strong>Erfahrungen</strong> ernst zu nehmen <strong>und</strong> ihre Fragen neu zu<br />
stellen. Wir müssen nach dem Raum suchen, der es ermöglicht <strong>Erfahrungen</strong><br />
zu machen, wie sie Hegel definiert: als das Verlassen eines Standpunktes <strong>des</strong><br />
Bewusstseins. Wenn von <strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n die Rede ist, muss es, meine<br />
ich, nicht nur darum gehen, nach den vorhanden Fragen neu zu fragen, sondern<br />
auch nach denen, die eine Gesellschaft nicht stellt.<br />
1<br />
Fromm, Erich: Haben oder Sein. Die seelischen Gr<strong>und</strong>lagen einer neuen Gesellschaft,<br />
München39 2012, S. 44-46.<br />
56<br />
57
Juristische Anatomie<br />
von Stefanie Rieder,<br />
Stipendiatin der Initiativgruppe Alpbach Wien<br />
58<br />
59
Sommersemester 2008: Ein Professor fragt Studierende <strong>im</strong> ersten Semester der<br />
Einführungsübung in die Rechtswissenschaft: „Inwiefern ist die eheliche Verpflichtung<br />
zur Mithilfe <strong>im</strong> Haushalt Ausdruck von Remoralisierungstendenzen<br />
<strong>im</strong> Recht?” Wintersemester 2009: Im einsemestrigen Crashkurs Rechtsterminologie<br />
erklärt ein sympathisch aufgeweckter Nicht-Jurist angehenden Juristen<br />
ohne Latinum die völkerrechtliche Bedeutung von ius sanguinis <strong>und</strong> das damit<br />
verb<strong>und</strong>ene Modell, die Staatsangehörigkeit eines Neugeborenen zu definieren.<br />
Studienjahr 2010: H<strong>und</strong>erte Studierende lernen erstmals die mit 1.1.2010 in<br />
Kraft getretenen Regelungen zum Ehe-Partnerschafts-Gesetz.<br />
Wir spulen einige Semester nach vorne. Juli 2013: Eine inzwischen um<br />
eine geballte Ladung an Auslands- <strong>und</strong> Praxiserfahrung bereicherte <strong>und</strong> nur<br />
noch zwei Prüfungen von ihrem Studienabschluss entfernte Studentin blickt<br />
zurück <strong>und</strong> zieht in Vorbereitung auf die Alpbach-Sommergespräche persönliches<br />
Resümee: Welche Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> schöpfe ich aus meinem Studium?<br />
Sind diese <strong>Werte</strong> überhaupt noch etwas wert <strong>und</strong> sichern unsere Universitäten<br />
<strong>und</strong> Hochschulen die ethischen Gr<strong>und</strong>werte?<br />
Be<strong>im</strong> Überfliegen der Fragen kam mir zunächst der Gedanke – ganz <strong>im</strong><br />
Sinne einer artig studentisch-methodischen Vorgehensweise – , einen rechtsphilosophischen<br />
Abstecher in das ursprüngliche Konzept ethischer Gr<strong>und</strong>werte<br />
zu machen. Dieses Bedürfnis wurde schnell verworfen. Und das nicht nur aufgr<strong>und</strong><br />
<strong>des</strong> 5000 Zeichen sprengenden Aufsatzrahmens. Vielmehr machte sich<br />
nach einem abendlichen Gedankenaustausch unter Studienkollegen folgende<br />
Überzeugung über konkrete <strong>Werte</strong>vermittlung <strong>im</strong> Rechtswissenschaftsstudium<br />
breit: Wer, wenn nicht der Gesetzgeber <strong>und</strong> das von ihm normierte geltende<br />
Recht, vermittelt seinen Adressaten ein Konzept von gesellschaftlichen <strong>Werte</strong>n?<br />
An dieser Stelle müssen die Klassiker herhalten: § 879 ABGB begrenzt Rechtsgeschäfte<br />
jeglicher Art mit der Schranke der Sittenwidrigkeit. Ähnlich auch §<br />
1295 Abs. 2 ABGB, der Schadenersatz in Zusammenhang mit der wertenden<br />
Grenze <strong>des</strong> Rechtsmissbrauchs stellt. Beiden Normen ist gemein, dass sie sowohl<br />
in universitären Prüfungskonstellationen, als auch <strong>im</strong> späteren Anwaltsberuf<br />
quasi die letzte Argumentationschance darstellen. „Wenn nichts mehr geht,<br />
dann argumentier´ Rechtsmissbrauch“. An dieser Stelle wäre es jedoch auch<br />
angebracht zu erwähnen, dass genau in diesem Schritt selbst der talentierteste<br />
Jus-Studierende ins Stocken gerät. Warum? Weil es nun eben nicht reicht, eine<br />
der Lehrbuch-Fallprüfungsschemata hervorzuholen, die Voraussetzungen 1., 2.,<br />
3. herunter zu prüfen, um den Sachverhalt schließlich mit zufriedenem Gesicht<br />
unter eine gesetzliche Norm subsumieren zu können. So ‚leicht’ ist es dann<br />
eben doch nicht. Weder in der Juristerei an sich, noch <strong>im</strong> Jus-Studium.<br />
Und so freut es mich <strong>im</strong> Zuge<br />
dieses Gedankenexper<strong>im</strong>ents<br />
auch mit einem gerne unter<br />
„Wenn nichts<br />
mehr geht, dann<br />
argumentier´<br />
Rechtsmissbrauch“.<br />
anderen Studienrichtungen<br />
verbreiteten Vorurteil aufräumen<br />
zu können. Die besagten<br />
Fallprüfungsschemata stehen<br />
nämlich nicht als einziger Anker<br />
in weiter Flur <strong>und</strong> begrenzen<br />
damit den Freigeist von uns Juslern. Ich will nicht bestreiten, dass derartige<br />
festgeschriebene Konzepte einen angenehm sicheren Boden geben. Nicht nur<br />
für die Prüfungssituation, sondern selbstredend auch für spätere schlüssige<br />
Argumentationslinien <strong>im</strong> Beruf. Ich denke aber, dass sich auch der Technik-<br />
Student freut, derart sicheren Boden unter sich zu haben, wenn er mathematische<br />
Formeln anwendet oder eine Medizin-Studentin, wenn sie gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
auf die anatomischen Basics <strong>des</strong> Körpers vertrauen darf.<br />
Blicke ich aber auf die anfangs gelisteten Auszüge meiner gesammelten<br />
Mitschriften, so denke ich dennoch feststellen zu können, dass die Juristische<br />
Schule in Widerspiegelung der wertegeladenen Gesetze, die <strong>Werte</strong>haltungen<br />
eines jungen Erwachsenen eindeutig in gesteigerter Form prägt. Diese Feststellung<br />
hat selbstverständlich zwei Seiten. Positiv ist diese Vermittlung, wenn<br />
die vorgehaltenen <strong>Werte</strong> nicht nur schlicht hingenommen, sondern kritisch reflektiert<br />
<strong>und</strong> in Frage gestellt werden. Negativ <strong>und</strong> ernüchternd ist <strong>Werte</strong>vermittlung<br />
meiner Meinung nach dann, wenn gerade diese kritische (Studien-)<br />
Chance verabsäumt wird.<br />
Und so möchte ich mit Blick auf meine Studienzeit persönlich folgen<strong>des</strong><br />
Resümee ziehen: Studierst du Jus, studierst du gesellschaftliche <strong>Werte</strong> in Form<br />
von Normen. Vereinfacht: du studierst das Gesetz. Das Gesetz kann – muss<br />
aber nicht – deine gedankliche Grenze bleiben. All die anfangs gelisteten <strong>und</strong><br />
seit meinem ersten Semester gesammelten Auszüge von Mitschriften haben<br />
etwas gemein: sie entfachten Diskussionen. Diskussionen <strong>im</strong> Seminarraum mit<br />
Professoren, in der Mensa unter Studierenden, <strong>im</strong> Dachgeschoß <strong>des</strong> Juridicums<br />
mit Podiumsgästen oder <strong>im</strong> Ausland <strong>im</strong> Rahmen von Erasmus oder Summerschools<br />
mit internationalen Studentenorganisationen. Der sich mir persönlich<br />
dadurch eröffnende Pool an <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> ist in seiner Vielseitigkeit<br />
kaum zu umschreiben. Und schon gar nicht in 5000 Wortzeichen. Mir bleibt<br />
daher nach diesem Gedankenexper<strong>im</strong>ent nur die zufriedene Erkenntnis, dass<br />
meine Studienzeit meine ursprünglichen Werthaltungen teils gestärkt, teils er-<br />
60<br />
61
schüttert <strong>und</strong> teils völlig neu begründet hat. Ob die Werthaltungen <strong>im</strong>mer jene<br />
meiner Hochschule widerspiegeln, bleibt allerdings dahingestellt. Dennoch<br />
sind meine <strong>Werte</strong> etwas wert. Ein gutes persönliches Resümee, wie ich finde.<br />
<strong>Werte</strong> in der Kunstkritik,<br />
in der zeitgenössischen<br />
Kunstproduktion <strong>und</strong><br />
welche Schlüsse sich<br />
daraus für unsere Bildungspolitik<br />
ziehen lassen<br />
von Johanna Rainer,<br />
Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Steiermark<br />
62<br />
63
Während <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> der Kunstgeschichte wurden uns die zentralen Aufgaben<br />
<strong>des</strong> Museums vermittelt - das Sammeln von Objekten, ihr Bewahren <strong>und</strong> Erforschen<br />
<strong>und</strong> in weiterer Folge das Ausstellen <strong>und</strong> Vermitteln. „Sammelnswert“<br />
ist, was dem Geschmacks- <strong>und</strong> Interessenskanon der jeweiligen Zeit entspricht<br />
<strong>und</strong> die Entscheidungsgr<strong>und</strong>lagen hierfür liegen in den Wertvorstellungen der<br />
Gesellschaft begründet. Anhand von kunsthistorischen Fallbeispielen aus einem<br />
300 Jahre umfassenden Zeitabschnitt möchte ich aufzeigen, wie sich der<br />
Wert <strong>des</strong> Kunstwerks nicht autonom innerhalb <strong>des</strong> Kunstsystems ausbildet,<br />
sondern <strong>im</strong> Gegensatz in engem Zusammenhang mit gesellschaftspolitischen<br />
Entwicklungen <strong>und</strong> Wertvorstellungen steht.<br />
Lange Zeit wurde Kunst nur anhand ihrer kunstfertigen Ausführung in Hinblick<br />
auf Farbkomposition, Technik <strong>und</strong> Bildaufbau bewertet, <strong>und</strong> diese Beurteilung<br />
durfte nur von ausgewiesenen Fachmännern vorgenommen werden. Es<br />
waren dies die höheren Mitglieder der Kunstakademien, welche die Arbeiten<br />
ihrer rangniederen Kollegen begutachteten. Mit dem Aufstieg <strong>des</strong> Bürgertums<br />
<strong>im</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert kam es auch zu einer strukturellen Veränderung in der<br />
Bewertung von Kunst. Das Aufkommen der sogenannten Salons in Paris – der<br />
öffentlich zugänglichen Werkschauen der Akademiemitglieder – ermöglichte<br />
einer breiten Publikumsschicht den Zugang zu zeitgenössischer Kunst. Unweigerlich<br />
wollten Frau <strong>und</strong> Mann sich ein Urteil bilden, <strong>und</strong> neben einer Boulevard-Kritik<br />
bildete sich in dieser Zeit auch die Basis der modernen Kunstkritik<br />
heraus, welche maßgeblich vom französischen Schriftsteller, Philosophen <strong>und</strong><br />
Aufklärer Denis Diderot geprägt wurde. Diderot hatte unter anderem die große<br />
französische Encyclopédie mitherausgegeben, er war ein großer Intellektueller<br />
seiner Zeit. Mit demselben wissenschaftlichen Interesse widmete er sich der<br />
Kunst – <strong>und</strong> gab handschriftliche Salonberichte heraus, welche an Mitglieder<br />
<strong>des</strong> europäischen Hofes verschickt wurden. Um sein Werturteil bilden zu können,<br />
besuchte er die Künstler in ihren Ateliers, ließ sich ihre Techniken <strong>und</strong><br />
Ansichten erklären, eignete sich die Fachbegriffe an <strong>und</strong> wurde so zum Connaisseur.<br />
Für seine Salonberichte beließ er es aber nicht bei einer rein technischen<br />
Beurteilung, er verband sein Urteil mit den allgemein vorherrschenden<br />
moralischen Wertvorstellungen seiner Zeit. Eine idealistische, überhöhte oder<br />
auch zu laszive <strong>und</strong> freizügige Darstellung wurde von ihm nicht gutgeheißen –<br />
das ausklingende Rokoko wurde aufs Schärfste kritisiert, während tugendhafte<br />
Darstellungen aus dem beginnenden Klassizismus seine Wertschätzung fanden.<br />
Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert entwickelte sich eine Gegenbewegung zu den akademischen<br />
Werkschauen, die sogenannten Gegensalons, bei denen jene Künstler<br />
ausstellten, die nicht dem offiziellen ästhetischen Kanon entsprachen. Heutzutage<br />
werden vor allem jene Künstler aus dieser Zeit verehrt, die sich nicht nach<br />
den akademischen Regelwerken gerichtet haben – unter den ausstellenden<br />
Künstlern waren <strong>im</strong>merhin namhafte Vertreter <strong>des</strong> Impressionismus wie Monet,<br />
Pissarro, Renoir oder Degas vertreten. Während die Tagespresse die Arbeiten<br />
der Künstler zerriss, so zählen sie heute zu den wertvollsten Avantgarde-Werken<br />
überhaupt. Die Avantgarde lehnt sich gegen allgemein vorherrschende, akademisch<br />
erstarrte Wertvorstellungen auf <strong>und</strong> ihre Errungenschaften werden<br />
oft erst Jahre später<br />
erkannt <strong>und</strong> geschätzt.<br />
Dieser Exkurs in die<br />
Geschichte der Kunstkritik<br />
schließt mit einem<br />
Beispiel aus dem<br />
20. Jahrh<strong>und</strong>ert: Während<br />
nicht-akademische,<br />
avantgardistische<br />
Kunstwerke, welche vor<br />
allem der beginnenden<br />
Abstraktion <strong>und</strong> dem<br />
Expressionismus zuzuschreiben<br />
sind, zur Zeit<br />
Das zeitgenössische<br />
Kunstwerk <strong>im</strong> Kontext<br />
seiner Entstehungszeit<br />
kann als Abbild der<br />
vorherrschenden <strong>Werte</strong><br />
gelesen werden.<br />
<strong>des</strong> Nationalsozialismus als „entartet“ klassifiziert, verfolgt <strong>und</strong> vernichtet wurde,<br />
wurde die Abstraktion in der Nachkriegszeit maßgeblich von den USA <strong>und</strong><br />
einem ihrer einflussreichsten Kritiker, Clement Greenberg, als „demokratische,<br />
westliche Kunst“ gefördert <strong>und</strong> als Gegenpol zum Sozialistischen Realismus<br />
politisiert. Angeblich beeinflusste sogar der USGehe<strong>im</strong>dienst CIA entsprechende<br />
Texte über die demokratische, freie <strong>und</strong> somit abstrakte Kunst in diversen<br />
Kunstzeitschriften. Das zeitgenössische Kunstwerk <strong>im</strong> Kontext seiner Entstehungszeit<br />
kann als Abbild der vorherrschenden <strong>Werte</strong> gelesen werden. Was sagt<br />
die zeitgenössische Kunstproduktion somit über den derzeitigen Zustand unserer<br />
Gesellschaft aus?<br />
Der Begriff der Avantgarde ist heutzutage schon etwas verstaubt – bezeichnet<br />
er doch die maßgeblichen Entwicklungen in der Kunst <strong>des</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />
Was kann heutzutage in der Kunst noch bahnbrechend, revolutionär <strong>und</strong><br />
somit „avantgardistisch“ gelten? Welche <strong>Werte</strong> werden von den einflussreichsten<br />
Künstlerinnen <strong>und</strong> Künstlern <strong>und</strong> ihren Kritikerinnen <strong>und</strong> Kritikern vertreten?<br />
Während weltweit die Wirtschaftskrise die Menschheit in Angst <strong>und</strong> Schrecken<br />
versetzt – wobei der Usus der Boni-Zahlung wohl vorerst nur vom neuen<br />
64<br />
65
Papst für seine Kardinäle, nicht aber bei den großen Mitverursachern der Krise<br />
innerhalb der Wirtschaft abgeschafft wurden – hat sich die Kulturarbeiterin bereits<br />
an die vielbeschworene postfordistische Arbeitsform in all ihren prekären<br />
Ausformungen gewöhnt. Der Postfordismus wurde in der Kultur schon längst<br />
auf ein hochprofessionelles Niveau gehoben <strong>und</strong> gilt als Vorbild für andere Arbeitsfelder<br />
– die Kulturarbeiterin arbeitet selten in einer Vollzeitbeschäftigung,<br />
häufig auf Projektbasis, ist sozial somit schlecht abgesichert <strong>und</strong> hat paradoxerweise<br />
auch noch Spaß dabei – <strong>im</strong>merhin arbeitet sie voller Ideale <strong>und</strong> mit<br />
hohen Wertansprüchen an einem guten Leben <strong>und</strong> redet sich unsere Arbeitsverhältnisse<br />
gegenseitig schön. Schließlich kann sie ja froh sein, einen Job zu<br />
haben. Nachdem ihr Einkommen nur knapp über dem Min<strong>des</strong>tlohn liegt, unterstützt<br />
sie die Entwicklungen in der Schweiz <strong>und</strong> die drei Volksbegehren zum<br />
Thema Gerechtigkeit voll <strong>und</strong> ganz <strong>und</strong> hofft insgehe<strong>im</strong> auf eine Verbesserung<br />
der eigenen Situation. Kunst kann <strong>und</strong> muss hier ansetzen, indem sie diese Verhältnisse<br />
thematisiert <strong>und</strong> – nach Chantal Mouffe – Dissens erzeugt. Während<br />
sogenannte „Staatskunst“ den common sense reproduziert, kann widerständige<br />
Kunst der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten, einen Skandal provozieren<br />
<strong>und</strong> somit einen Diskurs eröffnen <strong>und</strong> <strong>im</strong> besten Fall Veränderung herbeirufen.<br />
Allerdings nur in einem zugegeben kleinen Rahmen. Wobei dieser Rahmen zunehmend<br />
min<strong>im</strong>iert wird, wenn bei Kunst <strong>und</strong> Kultur gespart wird <strong>und</strong> der ORF<br />
etwa das Musikprotokoll <strong>und</strong> den Bachmannpreis einsparen möchte, obwohl<br />
diese Formate einen Bruchteil der Kosten produzieren, die ein einziger Musikantenstadel<br />
oder eine einzige Formel 1-Übertragung verursachen. Ohne die<br />
Hochkultur kritisieren zu wollen – sie ist wichtig <strong>und</strong> richtig <strong>und</strong> hat ihre absolute<br />
Daseinsberechtigung, denn eine der zentralen Aufgaben von Kunst ist es<br />
nunmal, ihre Betrachter zu erfreuen – es muss genug finanziellen <strong>und</strong> medialen<br />
Spielraum für die „Gegensalons“ <strong>des</strong> 21. Jahrh<strong>und</strong>erts geben. Denn nur hier<br />
kann frei von den Erwartungen <strong>des</strong> Kunstmarkts <strong>und</strong> elitärer (akademisierter)<br />
Kunstkreise über die Gesellschaft reflektiert <strong>und</strong> auf Geschehnisse reagiert werden.<br />
Meine <strong>Erfahrungen</strong> <strong>im</strong> Studium haben mir leider aufgezeigt, dass die Analyse–<br />
<strong>und</strong> Kritikfähigkeit der jungen Menschen stärker gefördert werden muss.<br />
(Der Ursprung hierfür ist allerdings bereits in den Schulen zu suchen, in der<br />
ein Mehrsparten-Mittelmaß mehr wert ist, als Spezialisierung auf besondere<br />
Talente <strong>und</strong> Interessen). Die Universität sammelt, bewahrt <strong>und</strong> vermittelt Wissen<br />
<strong>und</strong> sie ist auch maßgeblicher Wissensproduzent. Je verschulter jedoch das<br />
System wird, umso mehr drängt sich die Geschichte der künstlerischen Avantgarde<br />
auf, die gegen die starren Strukturen der Akademie ankämpft, in deren<br />
Reihen nichts Neues entstehen kann. Wo kann diese Avantgarde <strong>im</strong> Bereich der<br />
Wenn Forschungsergebnisse<br />
„Wert“ bringen<br />
müssen, dann<br />
bedeutet dies das Aus<br />
für das Forschen ins<br />
Ungewisse <strong>und</strong> somit<br />
ins tatsächlich Neue,<br />
<strong>des</strong>sen Rentabilität<br />
nicht kalkulierbar ist.<br />
Wissensvermittlung/produktion<br />
entstehen? Die<br />
Ökonomisierung der<br />
Wissenschaft ist höchst<br />
problematisch. Wenn<br />
Forschungsergebnisse<br />
„Wert“ bringen müssen,<br />
dann bedeutet dies das<br />
Aus für das Forschen ins<br />
Ungewisse <strong>und</strong> somit<br />
ins tatsächlich Neue,<br />
<strong>des</strong>sen Rentabilität<br />
nicht kalkulierbar ist.<br />
Ein Staat, der nur<br />
den Besserverdienern<br />
eine Ausbildung ermöglicht,<br />
indem er strenge<br />
Studiengebühren einführt,<br />
hungert die nächste Generation intellektuell aus. Vielfalt muss gewährleistet,<br />
Chancengleichheit geschaffen werden. Die europäischen Universitäten<br />
dürfen sich nicht in eine Akademie-Starre begeben, sie müssen offen sein für<br />
neue avantgardistische Entwicklungen <strong>und</strong> gleichzeitig die europäischen <strong>Werte</strong><br />
verteidigen <strong>und</strong> verbreiten. Denn diese <strong>Werte</strong> werden derzeit massiv angegriffen,<br />
<strong>und</strong> anders als es so manche populistische Partei darstellen möchte,<br />
kommt dieser Angriff nicht aus dem Osten, sondern aus dem Westen.<br />
Was bedeutet es für Europa, wenn GPMorgan Chase & Co, die größte USamerikanische<br />
Bank, den Wiederaufbau von Europa nach dem zweiten Weltkrieg<br />
mit bürgerlich-demokratischen Verfassungen kritisiert <strong>und</strong> die Einführung autoritärer<br />
Reg<strong>im</strong>e begrüßt, da knallharte Sparmaßnahmen in einer Wirtschaftskrise<br />
so viel effizienter durchgesetzt werden könnten?<br />
Was bedeutet es für Europa, wenn <strong>im</strong> britischen Elite-College Eton 13-jährigen<br />
Schülern folgende Fragestellung für einen Aufsatz über Führungsqualitäten<br />
gestellt wird: “The year is 2040. There have been riots in the streets of<br />
London after Britain has run out of petrol because of an oil crisis in the Middle<br />
East. Protesters have attacked public buildings. Several policemen have died.<br />
Consequently, the government has deployed the army to curb the protests. After<br />
two days the protests have stopped but 25 protestors have been killed by the<br />
army,” <strong>und</strong> sie darauf eine Rede für den Premierminister schreiben sollen, der<br />
66<br />
67
die Militärgewalt gegen Protestierende als politisch <strong>und</strong> moralisch gerechtfertigt<br />
darstellt?<br />
<strong>Werte</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> sind in einer finanzialisierten <strong>und</strong> digitalisierten<br />
Welt wichtiger als jemals zuvor – gleich den Museen müssen die Universitäten<br />
diese intellektuellen, diese nichtmateriellen Güter sammeln, bewahren, erforschen<br />
<strong>und</strong> einen besonderen Wert auf das Ausstellen <strong>und</strong> Vermitteln dieses<br />
Gedankenguts legen.<br />
<strong>Erfahrungen</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong><br />
<strong>des</strong> <strong>Studiums</strong><br />
von Katharina Steinbrecher,<br />
Stipendiatin <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esministeriums für Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Forschung<br />
68<br />
69
„<strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong>“ – der Titel, den dieser Essay<br />
tragen soll, lässt sich schwer überfliegen oder überlesen. Er klingt <strong>im</strong> Kontext<br />
der gewohnt schwarzmalerischen Bildungsdebatten vergangener Jahre fast utopisch,<br />
opt<strong>im</strong>istisch <strong>und</strong> etwas nostalgisch jedenfalls, vielleicht sogar euphemistisch,<br />
denn dieser Titel suggeriert, dass Studieren ganz gr<strong>und</strong>sätzlich etwas<br />
Belichten<strong>des</strong>, Erhellen<strong>des</strong> ist.<br />
Ich versuche die Begriffe, um deren Deutung ich hier gebeten wurde, <strong>im</strong><br />
Folgenden zu deuten, <strong>und</strong> zwar aus meinem momentanen Verständnis heraus,<br />
„so ganz ohne jetzt zu googlen“, wie man diese rare Form <strong>des</strong> schriftlichen<br />
Ausdrucks gern augenzwinkernd ;-) nennt.<br />
Zunächst einmal ist ein Studium in seiner prozesshaften Erlebbarkeit eine<br />
Erfahrung. Im Unterschied zu einem reinen Erlebnis ist die Erfahrung ein Sinneseindruck,<br />
der durch seine geistige Verarbeitung <strong>und</strong> Reflexion einen Mehrwert<br />
erhält, durchaus, wenn man so will, eine Art Belichtung, die ihn erst zur<br />
Erfahrung macht. Im Gegensatz zur Empirie ist eine Erfahrung subjektiv <strong>und</strong><br />
ihre Verarbeitung keinen methodischen Regeln unterworfen.<br />
<strong>Werte</strong> hingegen sind gr<strong>und</strong>sätzlich abstrakt <strong>und</strong> werden daher treffend synonym<br />
auch als Wertvorstellungen bezeichnet, sie sind eng verknüpft mit Ideen<br />
<strong>und</strong> Idealen: auch diese Begriffe werden wie <strong>im</strong> Falle der <strong>Werte</strong> bevorzugt <strong>im</strong><br />
Plural gebraucht.<br />
Ich nehme an, wir fühlen uns damit wohler, denn der Singular n<strong>im</strong>mt diesen<br />
Begriffen das Abstrakte, Entrückte <strong>und</strong> hat in seiner erzwungenen Konkretheit<br />
fast etwas Bedrohliches, als wären wir uns sicher, an der Aufgabe, <strong>Werte</strong> in<br />
zwei Sätzen zu definieren, zu scheitern.<br />
Das Studium ist eine Erfahrung, aber Bildung an sich kann ein Wert sein,<br />
was <strong>im</strong>mer dann betont wird, wenn es um die Frage geht, ob Studieren als Mittel<br />
zum Zweck die Befähigung zu einer Berufsausübung ist, oder eben darüber<br />
hinaus einen Mehr-Wert besitzt.<br />
Ich habe Anfang zwanzig eine Studienwahl getroffen, die ganz klar wertorientiert<br />
war. Ich hielt den Schauspielberuf für etwas Erhabenes, Edles <strong>und</strong><br />
Gutes <strong>und</strong> hielt mich für befähigt, ihn auszuüben. Für Studierende einer Kunstuniversität<br />
(wie mittlerweile auch in anderen Studienrichtungen) kommt hinzu,<br />
dass die Studienwahl nur zu einem Teil von einem selbst getroffen wird; letztlich<br />
entscheidet das Ergebnis der Aufnahmeprüfung.<br />
Als Schauspielstudentin habe ich ein Fach gewählt, das sich, wie es den<br />
Künsten eigen ist, einer eindeutigen Abgrenzung zwischen dem Privaten <strong>und</strong><br />
dem Professionellen entzieht. Es ist eine professionelle Anforderung, das Private<br />
für die Arbeit zur Verfügung zu stellen, dies gilt aber nicht uneingeschränkt:<br />
alles Unschöne, Unnütze, alle Probleme sollten „an der Garderobe abgegeben<br />
werden“. Diese Idealvorstellungen arten nicht selten aus in eine Art Wunschkonzert<br />
der Regisseur/innen, die gern <strong>im</strong>mer dann inspiriert werden möchten,<br />
wenn ihnen die Ideen ausgehen, sonst aber sei man, bitte schön, Wachs in dem<br />
Händen eines Genies: „Ein Schauspieler soll empfindsam, aber nicht empfindlich<br />
sein“ wird gern doziert.<br />
Heinrich von Kleist war noch radikaler, als er 1810 in seinem Aufsatz „Über<br />
das Marionettentheater“ eine Beobachtung wiedergab, nämlich, dass ein lebender<br />
Schauspieler ohnehin kaum die ästhetische Vollkommenheit einer Marionette<br />
entwickeln, <strong>und</strong> ihr<br />
daher letztlich nicht das<br />
„Ein Schauspieler<br />
soll empfindsam, aber<br />
nicht empfindlich<br />
sein“ wird gern<br />
doziert.<br />
Wasser reichen könne.<br />
Kleist erklärt das damit,<br />
dass das Bewusstsein,<br />
<strong>und</strong> damit die Motive<br />
<strong>und</strong> Impulse <strong>des</strong> Marionettenkörpers<br />
außerhalb<br />
<strong>des</strong>selben (nämlich in<br />
der Person <strong>des</strong> Marionettenspielers)<br />
liegen <strong>und</strong><br />
nicht wie be<strong>im</strong> Schauspieler<br />
<strong>im</strong> Körper selbst. Der Marionette, diesem Körper ohne Bewusstsein, ist<br />
Eitelkeit fremd, sie beobachtet sich selbst nicht. Ihr kann der Schauspieler nur<br />
ähnlich werden, wenn er sein Bewusstsein bis zur Vollkommenheit entwickelt,<br />
denn nur ein vollkommenes Bewusstsein ist frei von Eitelkeit <strong>und</strong> ermöglich die<br />
gleiche Anmut wie die Abwesenheit von Bewusstsein.<br />
Die Konfrontation mit diesem Text, als einem der wichtigsten ästhetischen<br />
Schriften zum Theater, kann <strong>im</strong> zweiten Jahr <strong>des</strong> Schauspielstudiums durchaus<br />
zu einer <strong>Werte</strong>krise führen. Er etabliert ein Ideal, das abstrakter <strong>und</strong> weltfremder<br />
nicht sein könnte <strong>und</strong> erklärt damit das eigene Bemühen, eine gute Schauspielerin<br />
zu werden, als völlig wert-loses Unterfangen, denn: wozu das alles,<br />
wenn wir ohnehin nie so gut werden können wie ein Stück totes Holz? Hierin<br />
drückt sich ganz klar ein <strong>Werte</strong>wandel aus: Das ästhetische Ideal technisierter<br />
Vollkommenheit wurde <strong>im</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert durch das Interesse am „Menschlichen“<br />
in all seinen Facetten abgelöst.<br />
Wir alle können be<strong>im</strong> Besuch von Theateraufführungen feststellen, dass<br />
ein belebter Körper, ein lebendiger Mensch, <strong>im</strong>stande sein kann, künstlerisch<br />
Großes <strong>und</strong> Wertvolles zu leisten <strong>und</strong> dass diese Größe gerade an dem Umstand<br />
70<br />
71
liegt, dass es sich um einen „echten Menschen“ handelt. Hier hat ganz klar<br />
ein <strong>Werte</strong>wandel stattgef<strong>und</strong>en, der natürlich parallel zu den gesellschaftlichen<br />
<strong>und</strong> politischen Veränderungen geschah, aber ich habe das damals nicht historisch,<br />
sondern absolut gesehen <strong>und</strong> war wirklich depr<strong>im</strong>iert.<br />
Kleists ästhetische Spinnereien – <strong>und</strong> ich sage das mit Respekt, denn ich<br />
halte ihn für einen der interessantesten Autoren überhaupt – sind als Ideen <strong>im</strong>mer<br />
noch interessant <strong>und</strong>, etwas interdisziplinärer gedacht, als Ausdruck seines<br />
Welt- <strong>und</strong> Menschenbil<strong>des</strong> sehr ergiebig, aber: Die Theatertheorie ist für die<br />
Theaterpraxis weniger wichtig als umgekehrt, <strong>und</strong> das soll auch so sein. Die<br />
Erfahrung schlägt in der Praxis die (ästhetischen) Wertvorstellungen haushoch,<br />
denn Wertvorstellungen sind oft auch ein Korrektiv, eine Einschränkung <strong>und</strong><br />
eine Zensur, oder wie mein geschätzter Prof. Rolf Stahl so treffend zu sagen<br />
pflegte: „...darum ist politische Kunst meistens schlecht.“<br />
Das war eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Schauspielstudium:<br />
dass nämlich die Theorie für die Spielpraxis gar nichts taugt. Und da wäre<br />
Kleist sicher wieder meiner Meinung, denn ein Schauspieler, der die ganze Zeit<br />
angestrengt nachdenkt über das was er tut; genau davor graute ihm ja so sehr.<br />
Wenn man Kunst studiert, dann ist die Entscheidung, danach eine Dissertation<br />
in Angriff zu nehmen, fast wie noch einmal etwas völlig anderes zu studieren.<br />
Herangehensweise, Studienalltag, Arbeitsweise <strong>und</strong> Methoden sind gr<strong>und</strong>legend<br />
anders (vor allem ist man auf sich allein gestellt, anstatt in eine Gruppe<br />
<strong>und</strong> einen verschulten Studienplan eingeb<strong>und</strong>en), ähnlich bleibt lediglich der<br />
Inhalt. Trotzdem habe ich es getan, <strong>und</strong> die Entscheidung dafür war stärker als<br />
bei meinem Magisterstudium von Erfahrung beeinflusst. Vielleicht weil sich<br />
<strong>Werte</strong> als unbeständiger erwiesen haben als gedacht.<br />
Was ich hier über <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> geschrieben habe, ist nicht repräsentativ<br />
dafür, wie ich darüber in anderen Belangen denke. Ich würde in vielem<br />
<strong>Werte</strong> den <strong>Erfahrungen</strong> überordnen, besonders wenn es um kollektive Belange<br />
geht. Aber mir als Individuum sind letztlich die <strong>Erfahrungen</strong> näher.<br />
Global studies<br />
von Verena Schaupp,<br />
Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Steiermark<br />
73
Ein Vortrag auf der Fachhochschule, Studiengang für Journalismus. Der externe<br />
Referent, ein weithin bekannter Auslandsreporter. Es folgt ein Witz: „Geht ein<br />
Journalist an einer Bar vorbei.“ Möchte die journalistische Karriere tatsächlich<br />
angestrebt werden, sollte man, wie nach diesem Vortrag klar wird, trinkfest sein,<br />
einer Zigarette nicht abgeneigt, ach ja, <strong>und</strong> um es einmal harmlos zu formulieren,<br />
so wirklich nett sollte man auch nicht sein. Außerdem fügt der Vortragende<br />
noch hinzu, dass die meisten Journalisten ein abgebrochenes Jus-Studium<br />
hinter sich haben. Da sitzt man nun als FH-Anfängerin nach abgebrochenem<br />
Studium der Rechtwissenschaften in einem Hörsaal, <strong>und</strong> fragt sich, warum man<br />
nicht bereits Chefredakteurin von irgendeinem Blatt ist, anstatt zu überlegen,<br />
wie man sich als mehr gemeinschaftlich als egoistisch orientierter Mensch in<br />
der Berufswelt durchsetzen wird können. Ethische Gr<strong>und</strong>werte folgen später<br />
<strong>im</strong> Studium, zunächst zeigt der erste Vortrag aus der Praxis, dass Talent <strong>und</strong><br />
Ehrgeiz gefragt sind. Und das gilt für alle Bereiche. Talente haben viele, <strong>und</strong><br />
Talente können gefördert werden, doch Ehrgeiz ist wichtig, will man auf der<br />
Karriereleiter nach oben klettern. Aber um welchen Preis?<br />
Eine Statistik-Vorlesung ist in beinahe jedem Lehrplan enthalten, eine für<br />
Logik ebenso. Doch wie steht es um ein Ethik-Seminar oder ein Kolloquium<br />
zum Thema Moral? „Diese Statistik zeigt...“, „daraus resultiert logischerweise...“,<br />
solche Floskeln hört man ständig in Wirtschaft <strong>und</strong> Politik. Ein Experte,<br />
der sich auf ethische <strong>und</strong> moralische <strong>Werte</strong> beruft, sammelt möglicherweise<br />
Sympathiepunkte be<strong>im</strong> Publikum oder be<strong>im</strong> Wähler, kann er aber auch die<br />
Kollegen überzeugen oder zählt hier nur der starke Auftritt? Das Darwin’sche<br />
Prinzip wird schon an der Universität gelehrt. Der Stärkere setzt sich durch. Bereits<br />
zu Beginn vieler Studien, vor allem aber den sogenannten Massenstudien<br />
wie Medizin oder Jus, gibt es Knock-Out-Prüfungen, nur wer beinhart lernt <strong>und</strong><br />
sich durchkämpft, zieht geradlinig vorbei an seinen Kommilitonen <strong>und</strong> schafft<br />
es am Ende bis zum heißbegehrten Doktortitel. Konkurrenzdenken wird genau<br />
hier geschürt, in einem Hörsaal mit H<strong>und</strong>erten von Mitstudenten, wissend,<br />
herausragen zu müssen aus der Masse, noch mehr Leistung zu erbringen als<br />
die anderen. Außercurriculare Aktivitäten sind gefragt, Auslandserfahrungen erwünscht,<br />
je mehr Praktika absolviert werden, <strong>des</strong>to besser <strong>und</strong> am besten alles<br />
vor seinen „Kollegen“.<br />
Wie kann hier ethisches Denken entstehen, wenn der Wert, der vermittelt<br />
wird, Konkurrenz heißt? Leistung zu erbringen <strong>und</strong> Leistung als positiven Wert<br />
weiterzugeben ist wichtig an einer Universität, doch Leistung muss nicht bedeuten,<br />
alleine zu handeln. Gemeinschaftlich ist viel zu erreichen, wie man an<br />
den unzähligen Studentenbewegungen weltweit sieht. Allein in Österreich kam<br />
es durch Zusammenschlüsse von Studierenden <strong>im</strong>mer wieder zu Protesten, wie<br />
etwa den Demonstrationen gegen die Studiengebühren. Sei einmal der Beweggr<strong>und</strong><br />
dahingestellt, da Österreich – verglichen mit dem anglo-amerikanischen<br />
Raum, wo jeder Student <strong>und</strong> jede Studentin gut <strong>und</strong> gerne mehrere tausend<br />
Dollar für die Absolvierung eines <strong>Studiums</strong> ausgibt – seinen Studierenden viel<br />
Geld erspart, so ist die Welle, die gemeinschaftlich losgetreten werden kann, erstaunlich.<br />
Dennoch werden Begriffe wie Gemeinwohl oft nur in best<strong>im</strong>mten Studienrichtungen<br />
thematisiert. Und eben jene Studien sind es, die auch oftmals<br />
belächelt werden. Neue Masterstudien wie „Angewandte Ethik“, „Global Studies“<br />
oder „Politische,<br />
Rechtliche <strong>und</strong> Ökonomische<br />
Philosophie“<br />
zählen etwa dazu. Für<br />
einen Doktoranden der<br />
Medizin oder Rechtswissenschaften<br />
mögen<br />
diese Studien als-<br />
Mischmasch-Studien<br />
ohne genaues Berufsziel<br />
erscheinen. Bis zu<br />
einem gewissen Grad<br />
Das Darwin’sche<br />
Prinzip wird schon an<br />
der Universität gelehrt.<br />
Der Stärkere setzt<br />
sich durch.<br />
wird der Dissertant dabei auch Recht behalten. Eines haben alle diese Masterstudien<br />
nämlich gemeinsam: eine präzise Berufsbezeichnung lässt sich nicht<br />
für sie finden. Sicherlich wird es schwer sein, einer Arbeitgeberin zu erklären,<br />
wie ein solches Studium aufgebaut ist, doch nur, weil es selbst den anderen<br />
Studierenden noch nicht verständlich ist. In den angeführten Studien wird<br />
diskutiert, über <strong>Werte</strong>, Wertvorstellungen <strong>und</strong> noch vieles mehr. Eine f<strong>und</strong>ierte<br />
Gr<strong>und</strong>ausbildung zu einem Fachexperten in Medizin oder Recht wird noch<br />
lange eine höherrangige Stellung einnehmen, <strong>und</strong> das ist auch gerechtfertigt<br />
hinsichtlich <strong>des</strong> Lernaufwan<strong>des</strong> in diesen beiden Studienrichtungen, doch die<br />
Universitäten bedürfen eines Umdenkens in ihrer <strong>Werte</strong>vermittlung. Wer würde<br />
von einem Mediziner behandelt werden wollen, der Ethik <strong>im</strong> Nebenfach belegte,<br />
wenn die andere Wahl ein Mediziner wäre, dem während <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong><br />
ausführlich ethisches Hintergr<strong>und</strong>wissen vermittelt wurde?<br />
Natürlich muss hierbei zuallererst <strong>im</strong> universitären Bereich reformiert werden,<br />
ehe sich die allgemeine Meinung ändern kann. Denn kaum ein Klient<br />
würde in einem eisernen Rechtsstreit einen moralisch tadellosen Anwalt engagieren,<br />
wenn die Gegenseite das Schiff der Moral bereits verlassen hat. Dies ist<br />
74<br />
75
allerdings ein Problem unserer Gesellschaft, die zuerst streitet, bevor sie miteinander<br />
zu sprechen versucht. Es muss Aufgabe unserer Universitäten sein,<br />
ethische Gr<strong>und</strong>werte verstärkt zu vermitteln <strong>und</strong> dadurch ein Stück weit zur<br />
Änderung der Gesellschaft beizutragen.<br />
Und an den Journalisten ist es dann, darüber zu berichten. Vielleicht ohne<br />
Zigarette <strong>und</strong> zumin<strong>des</strong>t ein bisschen nett..<br />
Freiheit<br />
<strong>und</strong> Gleichheit?<br />
von Mathias Jungbauer,<br />
Stipendiat <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esministeriums für Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Forschung<br />
76<br />
77
Sofern es überhaupt einen Zusammenhang zwischen <strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n<br />
gibt, kann dieser nur darin bestehen, dass die Bildung von <strong>Werte</strong>n stets als eine<br />
Reaktion auf best<strong>im</strong>mte <strong>Erfahrungen</strong> vor sich geht. Eine solche <strong>Werte</strong>bildung<br />
zielt dabei darauf ab, eine Veränderung der sozialen Wirklichkeit herbeizuführen,<br />
um auf diese Weise eine Ausflucht aus einer unerträglichen Situation zu<br />
ermöglichen. Gerade <strong>des</strong>halb darf es kaum verw<strong>und</strong>ern, wenn ausgerechnet<br />
ein Zeitalter der Unterdrückung unterprivilegierter sozialer Gruppen, fast einem<br />
Naturgesetz gemäß, <strong>Werte</strong> wie Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit hervorbringt. Doch die<br />
Schaffung dieser <strong>Werte</strong> erfolgt niemals als eine unmittelbare Reaktion auf die<br />
Unterdrückungshandlungen, sondern sie sind das Produkt eines oftmals langwierigen<br />
Prozesses. Sosehr <strong>Werte</strong> Gegenstände unseres Denkens sind, sosehr<br />
müssen sie auch Gegenstand unserer Sprache sein. Eine Wirklichkeit, die über<br />
die einfache Wahrnehmungswelt hinausgeht (wie etwa die soziale Wirklichkeit),<br />
kann nur mittels Sprache eingefangen werden. Die Bewertung von <strong>Erfahrungen</strong><br />
erfolgt durch die Sprache. Gerade <strong>des</strong>halb kommt es bei der Bewertung der<br />
sozialen Wirklichkeit auf die konkreten Mittel an, die die Sprache zur Verfügung<br />
stellt. So kommt es einerseits, dass <strong>Erfahrungen</strong> kurzfristig nur am Maßstab der<br />
Sprache bewertet werden können, dass aber andererseits <strong>Erfahrungen</strong> langfristig<br />
eine Veränderung der Sprache bewirken können. Mit anderen Worten hieße<br />
das, dass eine Veränderung der Sprache eine Veränderung der <strong>Erfahrungen</strong>,<br />
gleichzeitig aber auch eine Veränderung der <strong>Erfahrungen</strong> eine Veränderung der<br />
Sprache nach sich ziehen kann. Bei<strong>des</strong> vollzieht sich in einem Prozess, der<br />
mitunter sehr langwierig ausfallen kann. <strong>Werte</strong> sind dabei das Produkt der Veränderung<br />
der Sprache, <strong>und</strong> somit auch <strong>des</strong> Denkens, aufgr<strong>und</strong> der Veränderung<br />
von <strong>Erfahrungen</strong>, das heißt also aufgr<strong>und</strong> neuer <strong>Erfahrungen</strong>. <strong>Erfahrungen</strong><br />
wiederum sind zunächst stets emotionalen Charakters, es sind Gefühle, die<br />
sich aufgr<strong>und</strong> von Wahrnehmungen <strong>und</strong> Erinnerungen einstellen. Unter der Annahme<br />
der Richtigkeit der Prämissen, dass die Sprache <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>en<br />
unser Denken Einfluss auf unsere <strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> damit auf unsere Gefühle<br />
nehmen kann, umgekehrt aber auch unsere <strong>Erfahrungen</strong> (Gefühle) unsere<br />
Sprache (Denken) verändern können, findet der inzwischen weitestgehend anerkannte<br />
korrelative Zusammenhang zwischen Denken <strong>und</strong> Fühlen eine weitere<br />
Bestätigung.<br />
Ich möchte beispielhaft zwei historische Ereignisse nennen, die ein neues<br />
<strong>Werte</strong>denken markieren: zum einen nämlich die Französische Revolution, zum<br />
anderen die Geschehnisse <strong>des</strong> zweiten Weltkrieges. Der für uns interessante<br />
Unterschied zwischen diesen beiden Ereignissen liegt darin, dass ersteres die<br />
Manifestation, die Wirkung also, eines <strong>Werte</strong>wandels darstellt, der sich langsam<br />
vollzogen hat, während zweiteres <strong>im</strong> Gegensatz dazu die Ursache eines <strong>Werte</strong>wandels<br />
war, der sich relativ rasch vollzogen hat. Am Beispiel der Französischen<br />
Revolution zeigt sich, wie langwierig der Prozess der <strong>Werte</strong>bildung sein kann,<br />
wenn unsere <strong>Erfahrungen</strong> die Sprache nur allmählich zu verändern <strong>im</strong>stande<br />
sind, wie die St<strong>im</strong>me <strong>des</strong> Volkes allmählich lauter wird, bis sie schließlich jedermann<br />
vern<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> ihre Aussagen für sich als <strong>Werte</strong>, als Leitsätze also, anerkennt<br />
<strong>und</strong> übern<strong>im</strong>mt. Die Geschehnisse <strong>des</strong> zweiten Weltkrieges hingegen sind<br />
ein Beispiel dafür, dass eine emotional besonders intensive Erfahrung einen<br />
raschen <strong>Werte</strong>wandel, <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>en einen raschen Wandel von Sprache<br />
<strong>und</strong> Denken, herbeiführen<br />
kann. Diese<br />
Raschheit <strong>des</strong> ansonsten<br />
relativ langwierigen<br />
<strong>Werte</strong>wandels kann<br />
hierbei wohl auf zweierlei<br />
Gründe zurückgeführt<br />
werden: erstens<br />
die außergewöhnliche<br />
emotionale Qualität<br />
der Geschehnisse, die<br />
die Erfahrung umso<br />
spürbarer <strong>und</strong> damit<br />
umso mehr zu einer<br />
eigenständigen Erfahrung<br />
werden lässt, <strong>und</strong><br />
zweitens der Umstand,<br />
dass die Sprache der<br />
entdeckten <strong>Werte</strong> bereits<br />
(fast zweih<strong>und</strong>ert<br />
<strong>Werte</strong> sind dabei das<br />
Produkt der Veränderung<br />
der Sprache,<br />
<strong>und</strong> somit auch <strong>des</strong><br />
Denkens, aufgr<strong>und</strong> der<br />
Veränderung von <strong>Erfahrungen</strong>,<br />
das heißt<br />
also aufgr<strong>und</strong> neuer<br />
<strong>Erfahrungen</strong>.<br />
Jahre zuvor) gesprochen wurde <strong>und</strong> vielleicht noch nicht ganz in Vergessenheit<br />
geraten ist. Nach dem zweiten Weltkrieg kam es also vielmehr zu einer Wiederentdeckung<br />
bzw. Rückbesinnung auf die <strong>Werte</strong> der Französischen Revolution.<br />
Konkret handelt es sich bei diesen wiederentdeckten <strong>Werte</strong>n um das auf der<br />
Idee von Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit basierende Konzept der Menschenwürde sowie<br />
um die ebenfalls der Idee von Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit entspringende politische<br />
Forderung nach Demokratie. Wenn wir heute von der europäischen <strong>Werte</strong>gemeinschaft<br />
sprechen oder die Möglichkeit einer allmählichen <strong>Werte</strong>erosion diskutieren,<br />
so sind damit stets die soeben angeführten <strong>Werte</strong> Freiheit, Gleichheit,<br />
78<br />
79
Menschenwürde <strong>und</strong> Demokratie oder doch zumin<strong>des</strong>t damit in unmittelbaren<br />
Zusammenhang stehende <strong>Werte</strong> wie Menschenrechte, Respekt, Toleranz <strong>und</strong><br />
Solidarität angesprochen. Das soll uns zu bedenken geben wie sehr wir die Erben<br />
<strong>des</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>erts sind, wie sehr unser <strong>Werte</strong>denken auch heute noch in<br />
den Texten einer intellektuellen Elite <strong>im</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert gründet, die zugegeben<br />
wiederum sehr stark von gewissen philosophischen Strömungen der Antike<br />
inspiriert wurden.<br />
Die Beobachtung der Geschichte legt den Schluss nahe, dass einer Phase<br />
<strong>des</strong> Aufflammens der genannten <strong>Werte</strong> eine Phase der Abkühlung folgt, die<br />
mangels der Max<strong>im</strong>enqualität der von diesen <strong>Werte</strong>n ableitbaren ethischen<br />
Prinzipien Handlungen <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> ermöglicht, die uns wiederum auf diese<br />
<strong>Werte</strong> zurückwerfen. Die Geschichte würde sich demzufolge als ein (ewiger?)<br />
Kreislauf von Verlust <strong>und</strong> Wiedergewinn dieser <strong>Werte</strong> darstellen. Im <strong>Lichte</strong> der<br />
hier formulierten These würde die häufig diskutierte Annahme einer aktuellen<br />
Erosion dieser <strong>Werte</strong> bedeuten, dass wir uns gerade in einer Phase <strong>des</strong> <strong>Werte</strong>verlusts<br />
befinden.<br />
Die Wiederentdeckung der <strong>Werte</strong> hat in der Geschichte bislang zur Schaffung<br />
von Institutionen geführt, die Gewähr für die Realisierung dieser <strong>Werte</strong><br />
leisten sollten. Das große Problem dabei ist allerdings, dass man vielleicht zu<br />
sehr dazu geneigt ist, sich auf die Wirksamkeit der Institutionen zu verlassen<br />
<strong>und</strong> die VertreterInnen der Institutionen in ihrem Selbstverständnis nicht ihr eigenes<br />
Handeln der Verantwortlichkeit für die <strong>Werte</strong> unterstellen, sondern in der<br />
bloßen Schaffung ihrer Institution bereits hinlänglichen Schutz erblicken. Und<br />
so waren es oftmals genau diese Institutionen, die <strong>im</strong> Namen von Demokratie,<br />
Freiheit, Gleichheit etc. eben die Menschenwürde am stärksten verletzt haben.<br />
Eine gewisse Skepsis ist daher niemals fehl am Platze.<br />
So erhebt sich an dieser Stelle unter anderem die berechtigte Frage, inwiefern<br />
Universitäten ihrer Rolle diesen <strong>Werte</strong>n zuzuarbeiten überhaupt (noch)<br />
gerecht werden. Was sich durch die allmähliche Zurückdrängung <strong>des</strong> humboldtschen<br />
Universitätsmodells jedenfalls abzeichnet, ist ein Abbau <strong>des</strong> humanistischen<br />
Bildungsauftrages von Universitäten. Nicht zuletzt durch die Straffung<br />
der Curricula, die <strong>im</strong>mer weniger studienfremde Gr<strong>und</strong>lagenfächer sowie freie<br />
Wahlfächer vorsehen, verwandeln sich Universitäten von Bildungseinrichtungen<br />
<strong>im</strong>mer mehr zu Ausbildungsstätten, die nun eben keine humanistischen <strong>Werte</strong><br />
mehr vermitteln, sondern ihre Studierenden auf ein erfolgreiches Erwerbsleben<br />
vorbereiten. Doch auch die Universitäten sind nur Teil eines Gesamtsystems,<br />
von <strong>des</strong>sen Institutionen zuweilen ein bisschen zu viel erwartet wird. Schließlich<br />
leisten sie nicht ausreichend Gewähr für den Schutz der diskutierten <strong>Werte</strong>.<br />
Sie mögen zwar eine notwendige, können aber niemals zugleich auch eine hinreichende<br />
Bedingung hierfür sein. So wird aus einer Politik der Verantwortung<br />
schnell eine Politik der Pflicht <strong>und</strong> es setzt sich der Trend durch, nur mehr<br />
individuelle Interessen <strong>im</strong> Bereich <strong>des</strong> zulässigen Rahmens zu fördern. Überindividuelle<br />
Interessen, wie es der unbedingte Schutz der Menschenwürde ist,<br />
laufen dabei Gefahr <strong>im</strong>mer mehr auf der Strecke zu bleiben. Ein liberalistisches<br />
Argument für eine Verschiebung<br />
hin zu einer<br />
zunehmenden Förderung<br />
von individuellen<br />
Interessen lautet zwar,<br />
dass sich der Schutz<br />
Gerade ein Studium<br />
schafft die Möglichkeit<br />
individuelle Interessen<br />
zu fördern.<br />
der überindividuellen<br />
Interessen eben gerade<br />
aus der Förderung individueller<br />
Interessen ergeben<br />
würde, doch darf<br />
man dabei nicht übersehen, dass eine individuelle Förderung, so sehr sie auch<br />
Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit dienen mag, auch in Spannung dazu treten kann.<br />
Gerade ein Studium schafft die Möglichkeit individuelle Interessen zu fördern.<br />
Während meines <strong>Studiums</strong> hat sich der Eindruck <strong>im</strong>mer mehr verstärkt,<br />
dass es pr<strong>im</strong>är gar nicht darauf abzielen würde soziale Verantwortung zu vermitteln,<br />
sondern eben darauf, eine möglichst große Chance auf eine günstige<br />
Position <strong>im</strong> Erwerbsleben zu sichern. Natürlich wird die soziale Verantwortung,<br />
die man <strong>im</strong> Erwerbsleben trägt, an verschiedener Stelle eingemahnt (so heißt<br />
es etwa <strong>im</strong> Gelöbnis auf die Universität Innsbruck: Ich verspreche <strong>und</strong> gelobe,<br />
[…] mein Wissen <strong>und</strong> Können in sozialer Verantwortung zu nutzen, zum Abbau<br />
von Vorurteilen beizutragen <strong>und</strong> mich um eine Kultur der geistigen Freiheit <strong>und</strong><br />
Toleranz zu bemühen), doch scheint man dabei davon auszugehen, dass eine<br />
pflichtgemäße Erfüllung der Aufgaben, die ein Beruf mit sich bringt, bereits<br />
ausreichend Gewähr für sozial verantwortungsvolles Handeln leisten soll. Doch<br />
scheint diese Haltung ein wenig zu kurz zu greifen. Denn dort wo Pflichterfüllung<br />
mit sozialer Verantwortung gleichgesetzt wird, droht letztere verloren zu<br />
gehen. Die Pflicht würde demzufolge also, wie bereits angeführt, die Verantwortung<br />
ersetzen. Pflichterfüllung kann zwar sehr wohl Teil der sozialen Verantwortung<br />
sein, doch darf sich die Verantwortung dabei niemals aus der Pflicht<br />
ergeben, sondern muss sich umgekehrt die Pflicht stets aus der Verantwortung<br />
ergeben. Soziale Verantwortung, die Förderung überindividueller Interessen,<br />
80<br />
81
muss also <strong>im</strong>mer pr<strong>im</strong>är bleiben. Tut sie es nicht, droht der <strong>Werte</strong>verlust, der<br />
uns <strong>Erfahrungen</strong> aufnötigt, die uns wiederum zu einer Wiederentdeckung der<br />
verlorenen <strong>Werte</strong> bewegen. Ob die gegenwärtige Wirtschaftskrise bereits eine<br />
solche Erfahrung darstellt, sei dahingestellt. Viel eher scheint sie ein Vorbote zu<br />
sein, in dem sich ein <strong>Werte</strong>verlust ankündigt, der für die Zukunft <strong>Erfahrungen</strong><br />
bereit hält, die uns zu einer abermaligen Umwertung der <strong>Werte</strong> nötigen könnten.<br />
Ein Edm<strong>und</strong> Husserl hat nicht unrecht, wenn er schreibt, dass „das Subjekt<br />
auf ein sich in seinen Wertgehalten steigern<strong>des</strong> Leben“ abzielt. Allerdings<br />
warne ich davor, seine Einsicht allzu opt<strong>im</strong>istisch zu interpretieren. Denn damit<br />
ist noch lange nicht gesagt, dass die erlangten <strong>Werte</strong> stets auch der Förderung<br />
überindividueller Interessen dienen müssen. Das Streben nach <strong>Werte</strong>n kann<br />
wohl mit dem Streben nach Sinn gleichgesetzt werden. Es geht also darum,<br />
für sich einen Sinn <strong>im</strong> Leben zu schaffen. Dieser Sinn kann allerdings auf rein<br />
individuellen <strong>Werte</strong>n basieren, von denen eine soziale Verantwortung <strong>im</strong> weitesten<br />
Sinn nicht zu erwarten ist. Unter sozialer Verantwortung <strong>im</strong> weitesten Sinn<br />
verstehe ich den unbedingten Schutz der Menschenwürde. Nur bedingt ist der<br />
Schutz der eigenen Würde <strong>und</strong> der Schutz der Würde seiner Nächsten (Familie,<br />
Berufsstand, Nation, Kulturkreis,…), ohne etwa „Fremde“ oder zukünftige<br />
Generationen mit zu berücksichtigen. Was der Würde der einen nützt, kann<br />
schließlich die Würde der anderen verletzen. Auch ein in seinen Wertgehalten<br />
gesteigertes Leben, kann daher hinsichtlich <strong>des</strong> (unbedingten) <strong>Werte</strong>s der Menschenwürde<br />
problematisch erscheinen.<br />
Wenn mein Bef<strong>und</strong> <strong>und</strong> meine Prognose damit einen zu pess<strong>im</strong>istischen<br />
Eindruck erwecken mögen, so muss ich zur Ehrenrettung der Universitäten<br />
doch zugeben, dass es um sie gar nicht so schlecht bestellt sein muss. Meine<br />
<strong>Erfahrungen</strong> sind schließlich äußerst ambivalent. So oft ich auch den Eindruck<br />
hatte, vielen Studierenden läge es fern durch ihr Studium in erster Linie soziale<br />
Verantwortung übernehmen zu wollen (was wohl auch darauf zurückzuführen<br />
ist, dass ihnen ihr Studium diese soziale Verantwortung gar nicht erst ausdrücklich<br />
vermittelt, d. h. dass man sich als Teil <strong>des</strong> Studienplanes gar nicht erst<br />
explizit mit dem Thema der sozialen Verantwortung durch Gebrauch <strong>des</strong> erworbenen<br />
Wissens <strong>und</strong> Könnens auseinandersetzen muss), so habe ich dennoch<br />
oft genug die Erfahrung gemacht, dass viele ihren angestrebten Beruf auch<br />
hinsichtlich ethischer Aspekte hinterfragen. Ein Studium kann also durchaus<br />
dazu anregen, sich mit <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> sozialer Verantwortung zu befassen. Denn<br />
am Ende kommt es <strong>im</strong>mer darauf an, was man selbst daraus macht.<br />
Man nehme vor allem<br />
den Begriff Gleichheit<br />
von Magdalena Biereder,<br />
Stipendiatin der Initiativgruppe Alpbach Oberösterreich<br />
82<br />
83
<strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong>!<br />
Im Impulstext, der diesem Essay zugr<strong>und</strong>e liegt, heißt es, wir erleben eine Krise<br />
bisher unhinterfragter <strong>Werte</strong>. Es ist von <strong>Werte</strong>n wie Menschenrechten, Respekt,<br />
Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Toleranz, Solidarität <strong>und</strong> der Frage nach<br />
dem Wert <strong>des</strong> menschlichen Lebens die Rede. All diese Begriffe werden einer<br />
angenommenen westlichen <strong>Werte</strong>gemeinschaft zugeordnet. Der vermeintliche<br />
<strong>Werte</strong>verfall, genauso wie das System der westlichen <strong>Werte</strong>gesellschaft – <strong>im</strong><br />
Widerspruch zu „fremden Wertsystemen“ stellen derzeit oft gehörte Schlagwörter<br />
dar. Entgegen dieser allgemeinen Meinung möchte ich es an dieser Stelle<br />
wagen, Widerspruch zu äußern.<br />
Begriffe wie Menschenrechte, Respekt, Freiheit, Demokratie, Gleichheit,<br />
Toleranz <strong>und</strong> Solidarität sind für sich gesehen leere Worthülsen ohne jegliche<br />
Bedeutung, denen erst durch Kontextualisierung Gehalt verschafft wird. Trotzdem<br />
werden sie seit jeher als Inbegriff der notwendigen Attribute liberaler Gesellschaftssysteme<br />
verstanden. Man nehme vor allem den Begriff Gleichheit:<br />
Die Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder wurde spätestens seit der Französischen<br />
Revolution 1798, wenn nicht sogar schon in der Antike als zu erstrebenswertes<br />
Ziel gesehen. Doch wer oder was als gleich anzusehen ist, ist konstant<br />
der Veränderung unterlegen. Man denke etwa nur an den Gleichheitssatz<br />
in der österreichischen Judikatur. 1947 entschied der Verfassungsgerichtshof<br />
etwa, dass eine ungleiche Zuteilung von Zigaretten an Männer <strong>und</strong> Frauen dem<br />
Gleichheitsgr<strong>und</strong>satz entspricht. Ein heute <strong>und</strong>enkbares Urteil. Frauen, Homosexuelle,<br />
Menschen unterschiedlicher Hautfarben, Menschen unterschiedlicher<br />
sozialer Herkunft, verschiedene Religionsangehörige wurden jahrh<strong>und</strong>ertelang<br />
diskr<strong>im</strong>iniert <strong>und</strong> erfahren auch in der sogenannten westlichen <strong>Werte</strong>gemeinschaft<br />
erst verhältnismäßig kurze Zeit keine oder zumin<strong>des</strong>t geringere Diskr<strong>im</strong>inierung.<br />
Stellt man dies der langen Dauer gegenüber, seit der sich europäische Demokratien<br />
der Gleichbehandlung ihrer Bürger rühmt, scheint die Umsetzung ihrer<br />
<strong>Werte</strong> auf den ersten Blick armselig auszufallen. Auf den zweiten Blick kann<br />
man aber feststellen, dass es doch Schritt für Schritt besser mit der Gleichheit<br />
zu werden scheint. Mit der fortschreitenden Gleichbehandlung gesellschaftlicher<br />
Randgruppen scheinen wir es also nicht mit einem <strong>Werte</strong>verfall, sondern<br />
mit dem schieren Gegenteil zu tun zu haben – einem Aufschwung von <strong>Werte</strong>n.<br />
Und dies trifft ebenso auf die anderen genannten <strong>Werte</strong> zu. Demokratie wurde<br />
noch niemals so stark gelebt wie heute. Wir haben freie Wahlen in mehr<br />
Ländern als je zuvor. In Österreich erfährt Basisdemokratie gerade ein noch<br />
nie dagewesenes Hoch, wie man an der steigenden Zahl direktdemokratischer<br />
Initiativen wie Volksbefragungen oder Volksbegehren sieht. Toleranz gegenüber<br />
anderen Religionen oder Weltanschauungen wurde mühsam erkämpft <strong>und</strong> war<br />
noch <strong>im</strong> vergangenen Jahrh<strong>und</strong>ert keine Selbstverständlichkeit.<br />
Anstatt von einer Erosion dieser f<strong>und</strong>amentalen <strong>Werte</strong> zu sprechen, könnte<br />
man sogar meinen, dass wir <strong>im</strong> Gegenteil historisch gesehen, gerade die Hochblüte<br />
eines konstanten <strong>Werte</strong>aufschwunges erleben. Wie kommt es nun, dass<br />
wir trotz dieser positiven Bilanz den Verfall unseres <strong>Werte</strong>systems diskutieren?<br />
Nun, wie so vieles, liegt wohl auch dies <strong>im</strong> Auge <strong>des</strong> jeweiligen Betrachters.<br />
Während meine Generation über die Einführung der Ehe für homosexuelle Paare<br />
jubelnd von Meilensteinen<br />
hinsichtlich mehr<br />
Freiheit in unserer Gesellschaft<br />
spricht, so<br />
sehen viele andere genau<br />
hier - <strong>im</strong> mangelnden<br />
Respekt für althergebrachte<br />
Institutionen<br />
<strong>und</strong> Traditionen wie die<br />
klassische Ehe - ein<br />
typisches Beispiel von<br />
<strong>Werte</strong>verfall.<br />
Was mit diesem<br />
Beispielen gezeigt werden<br />
soll, ist, dass <strong>Werte</strong><br />
sich konstant verändern.<br />
Sie verschwinden<br />
nicht, sondern müssen<br />
einfach als nicht-absolute<br />
Größe angesehen<br />
Die Gleichheit aller<br />
Gesellschaftsmitglieder<br />
wurde spätestens<br />
seit der französischen<br />
Revolution 1798,<br />
wenn nicht sogar<br />
schon in der Antike als<br />
zu erstrebenswertes<br />
Ziel gesehen.<br />
werden. Den oben genannten Schlagwörtern werden kontinuierlich neue Bedeutungen<br />
zugewiesen. Auch der Vorwurf <strong>des</strong> <strong>Werte</strong>verfalles an sich ist nichts<br />
genuin Neues in unserer Zeit, sondern scheint eine dauerhafte Begleiterscheinung<br />
der, die menschliche Existenz begleitende Debatten, über Leitprinzipien<br />
darstellen. Die <strong>Werte</strong>verfallsdebatte lässt sich in Wirklichkeit auf einen s<strong>im</strong>plen<br />
Generationenkonflikt zurückführen. <strong>Werte</strong> wandeln sich. Alte Vorstellungen verlieren<br />
an Bedeutung <strong>und</strong> müssen neuen Ideen <strong>und</strong> Konzepten Platz machen,<br />
die bei der älteren Generation auf Unverständnis stoßen. Und hier kommen die<br />
<strong>Erfahrungen</strong> ins Spiel. Was gemeinhin als Wertvorstellungen bezeichnet wird,<br />
84<br />
85
esultiert meiner Meinung nach nämlich aus der Summe der individuellen <strong>Erfahrungen</strong><br />
in einer Gesellschaft. Da sich die Lebensrealitäten ständig wandeln<br />
<strong>und</strong> Menschen andere <strong>und</strong> neue <strong>Erfahrungen</strong> <strong>im</strong> Vergleich zur alten Generation<br />
machen, wandeln sich gezwungenermaßen auch die individuellen Wertvorstellungen<br />
<strong>und</strong> damit die gesamten Leitideen <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> einer Gesellschaft. Ohne<br />
jegliche <strong>Werte</strong> - <strong>und</strong> hiermit muss Husserl Recht gegeben werden - geht es aber<br />
zu keiner Zeit. Der Mensch bedarf <strong>im</strong>mer gewisser Orientierungshilfen. Sei es<br />
in Form von Religion, Rechtsnormen, individuellen <strong>Werte</strong>n oder Moralvorstellungen.<br />
All dies wird wohl in unterschiedlichem Ausmaß <strong>im</strong>mer präsent sein.<br />
Und hier soll nun an die Universitäten verwiesen werden. Universitäten waren<br />
<strong>im</strong>mer ein Hort <strong>des</strong> Gedankenaustausches <strong>und</strong> <strong>des</strong> intellektuellen Diskurses.<br />
Auch in meiner Studienzeit konnte ich dies so erleben. In unserer postmodernen<br />
Zeit muss allerdings hinsichtlich <strong>Werte</strong> wie Wohlstand, Sicherheit <strong>und</strong><br />
Glück auf meine soeben genannten Ausführungen verwiesen werden. Es handelt<br />
sich hierbei um Begriffe denen erst ihr Kontext <strong>im</strong> Raum-Zeit-Gefüge Bedeutung<br />
verleiht. Was die Universitäten heute jedoch nach wie vor lehren, sind<br />
kritisches Denkvermögen, Durchhaltevermögen, Ausdauer <strong>und</strong> <strong>im</strong> Kant’schen<br />
Sinne den Mut, seinen eigenen Verstand zu benützen <strong>und</strong> eigene Gedanken abseits<br />
breitgetretener Pfade zu formulieren. Raum für solchen Erkenntnisgewinn<br />
<strong>und</strong> persönliche Weiterentwicklung zu bieten, ist was Universitäten in einer<br />
postmodernen <strong>Werte</strong>vermittlungsdebatte außerordentlich wertvoll macht.<br />
86<br />
87
Impressum:<br />
für den Inhalt verantwortlich<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung<br />
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Tel: +43 (1) 53120 0<br />
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Grafic Design: Ateliersmetana
B<strong>und</strong>esministerium für Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Forschung