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Erfahrungen und Werte im Lichte des Studiums - Bundesministerium ...

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<strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong><br />

<strong>des</strong> <strong>Studiums</strong><br />

Gedankenwettbewerb<br />

Europäisches Forum<br />

Alpbach 2013<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Forschung


Vorwort<br />

Wer heutzutage beginnt, von <strong>Werte</strong>n zu<br />

sprechen, hat sein Gegenüber oft schon<br />

vergrault. Kaum ein Begriff leidet unter<br />

einer solch inflationären Verwendung.<br />

Auch hohe Güter wie Gerechtigkeit, Freiheit,<br />

Gleichheit werden zu Schlagwörtern<br />

degradiert, <strong>und</strong> dabei rückt oft in<br />

den Hintergr<strong>und</strong>, was damit eigentlich<br />

gemeint war. Es ist wohl verständlich,<br />

dass solche Ideale in ihrer Abstraktheit oft schwer fassbar sind, doch<br />

wäre es fahrlässig, sie <strong>des</strong>wegen einfach beiseite zu legen. Wünschen<br />

wir uns doch gerade von den jungen Generationen, dass die <strong>Werte</strong>, die<br />

unser eigenes Handeln geleitet haben, auch von ihnen weitergetragen<br />

werden <strong>und</strong> ihre Bedeutung nicht verloren geht.<br />

In Anlehnung an das diesjährige Motto <strong>des</strong> Europäischen Forums<br />

Alpbach lautet das Thema <strong>des</strong> dritten Gedankenwettbewerbs, veranstaltet<br />

vom B<strong>und</strong>esministerium für Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung gemeinsam<br />

mit dem Netzwerk der Initiativgruppen <strong>und</strong> dem Standing Committee,<br />

„<strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong>“. Wir wünschen<br />

uns, damit neues Leben in die Debatte zu bringen <strong>und</strong> sie mit neuen<br />

Inhalten zu befüllen.<br />

1


Die Stipendiatinnen <strong>und</strong> Stipendiaten erarbeiten in ihren Beiträgen auf<br />

spannende Weise, welche <strong>Werte</strong> sie für wichtig erachten <strong>und</strong> wo die<br />

Schnittstelle zum Studium liegt. Faszinierend zu lesen sind die verschiedenen<br />

Herangehensweisen <strong>und</strong> Ansichten, die durch die vielfältigen<br />

Hintergründe der Teilnehmer/innen variieren. So lassen sich sowohl<br />

in der Definition der <strong>Werte</strong> wie auch in der Verknüpfung dieser mit<br />

Hochschulbildung verschiedenste Prägungen erkennen <strong>und</strong> ungleiche<br />

Interpretationen ableiten.<br />

Be<strong>im</strong> Forum Alpbach ergibt sich für die Stipendiat/innen eine hervorragende<br />

Gelegenheit, sich über die Bedeutung von <strong>Werte</strong>n in der<br />

heutigen Zeit auszutauschen. Die zahlreichen Einsendungen lassen<br />

erahnen, dass eine Diskussion über <strong>Werte</strong> nicht als altmodisch oder<br />

unzeitgemäß gilt, sondern dass sich eben diese junge Generation der<br />

Debatte stellen will.<br />

Ich möchte mich bei den Teilnehmerinnen <strong>und</strong> Teilnehmern für ihr<br />

Engagement be<strong>im</strong> dritten Gedankenwettbewerb <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esministeriums<br />

für Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung herzlich bedanken <strong>und</strong> freue mich<br />

über ihren Beitrag zu diesem wichtigen gesellschaftspolitischen Diskurs.<br />

<strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong><br />

<strong>des</strong> <strong>Studiums</strong><br />

Gedankenwettbewerb<br />

Europäisches Forum<br />

Alpbach 2013<br />

o. Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Töchterle<br />

B<strong>und</strong>esminister für Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung<br />

2 3


Inhalt<br />

Vorwort<br />

Sophie Zehetmayer<br />

Alexander C. W<strong>im</strong>mer<br />

Barbara Zelger<br />

Christina Wrann<br />

Marie-Luise Merz<br />

Ines Findenig<br />

Isabel Syrek<br />

Lena Sophie Franke<br />

Margit Perko<br />

Maria Anegg<br />

Marie Christine Lumper<br />

S<strong>im</strong>one Pesendorfer<br />

Stefanie Rieder<br />

Johanna Rainer<br />

Katharina Steinbrecher<br />

Verena Schaupp<br />

Mathias Jungbauer<br />

Magdalena Biereder<br />

01<br />

07<br />

11<br />

15<br />

19<br />

23<br />

29<br />

33<br />

37<br />

41<br />

47<br />

51<br />

55<br />

59<br />

63<br />

69<br />

73<br />

77<br />

83<br />

4 5


Etwas bricht auf<br />

von Sophie Zehetmayer,<br />

Stipendiatin der Initiativgruppe Alpbach Wien<br />

6 7


Der Versuch, von Erfahrung zu sprechen, hat für mich von vornherein ein gescheiterter<br />

zu sein – so vielfältig wie die Bedeutung von Erfahrung ist, fühle<br />

ich mich allein be<strong>im</strong> Erdenken eines Konzeptes für diesen Essay wie ein<br />

„Moneymaker“-Teilnehmer in der Gelddusche: verzweifelt haschend nach allem,<br />

was Gewinn bringen könnte, <strong>und</strong> es in die Taschen stopfend bis klar wird,<br />

dass das meiste einen bloß gestreift hat, oder, einmal eingefangen, wieder herabgefallen<br />

ist. Am Ende ist das, was man doch behält, bloß ein Bruchteil <strong>des</strong><br />

Möglichen <strong>und</strong> man steigt mit enttäuschtem Lächeln wieder heraus aus der<br />

Dusche, aus dem eigenen Kopf.<br />

Es sind die feinen Unterschiede verschiedenen Erfahrens, die mir zu definieren<br />

beinahe unmöglich, dennoch spürbar sind, semantische Abweichungen,<br />

Risse, die eine Schlucht aufreißen, sobald man sich die Zeit n<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> sein<br />

Auge daran hält be<strong>im</strong> Versuch, darunter etwas zu erkennen. Wird etwa einem<br />

Menschen Erfahrung zugesprochen, will zumeist vermittelt werden, er habe<br />

viel, somit Verschiedenstes, erlebt – dagegen, wenn er in etwas erfahren ist,<br />

kann er jahrelang dasselbe gemacht haben, ohne jemals in eine Ausnahmesituation<br />

gekommen zu sein – hier klingt der Unterschied zwischen Erfahrung (als<br />

etwas, das man innehat) <strong>und</strong> Erfahrenheit an, wobei letztere auch mit Weisheit<br />

konnotiert zu sein scheint… so auch weiter.<br />

Mein Ansatz ist ein sehr sprach-, sehr wortbezogener, <strong>und</strong> hier kommt der<br />

Anstoß durch das eigene Studium <strong>im</strong> Zusammenhang mit Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n<br />

ins Spiel, befasse ich mich durch mein Studium ständig mit Text- <strong>und</strong><br />

Sprachkritik, an Fremdem, an Eigenem, <strong>im</strong> Schreiben selbst, <strong>im</strong> darüber Reden.<br />

Pablo Neruda schreibt in seinem Essay „Poésie Impure“: „Es ist sehr nützlich,<br />

zu best<strong>im</strong>mten St<strong>und</strong>en <strong>des</strong> Tages oder der Nacht die ruhenden Dinge<br />

tief zu betrachten.“ In diesem Essay bezieht er sich, wie der Titel bereits in<br />

Ansätzen zeigt, auf die Lyrik – reduziert man den Satz jedoch noch weiter, auch<br />

wenn dadurch die gewollte Aussage Nerudas verloren geht, erhält er eine neue<br />

Aussage von allgemeinerer Gültigkeit: denn mir scheint es überhaupt, generell<br />

sehr nützlich zu sein, Dinge, <strong>und</strong> nicht mehr bloß ruhende Gegenstände, sondern<br />

auch Lebendiges, Geschehnisse, Gedanken, eben auch <strong>Werte</strong> etc., tief zu<br />

betrachten – zu hinterfragen, zu erklären suchen, um sie klarer zu sehen.<br />

Denn was folgt, ist eine andere Wahrnehmung der Bedeutung <strong>und</strong> ein Erkennen<br />

von Zusammenhängen, die sich auf den ersten Blick nicht deutlich zeigen<br />

wollen. In einem wieder neuen Sinn <strong>des</strong> Wortes ein Erfahren als sinnlich <strong>und</strong><br />

theoretisch fassbar werden, als Lernen, als Verstehen auch vor allem; somit als<br />

Öffnung <strong>des</strong> Denkens durch das Einbeziehen neuer Ansichten.<br />

Hier führe ich auch wieder zurück auf die genaue Betrachtung der Sprache:<br />

Sobald die Mehrschichtigkeit eines Wortes bemerkbar ist, erfährt es eine Wertsteigerung<br />

(<strong>und</strong> hier sind wir endlich bei den <strong>Werte</strong>n), die eine enorme ist: so<br />

wird die Sprache dann tatsächlich zu etwas Kostbarem.<br />

Wie mit allem Kostbaren<br />

ist daher auch bedacht damit<br />

umzugehen – diese Bedachtheit<br />

ermöglicht dann<br />

erst die Arbeit mit dem Material,<br />

eine Arbeit, deren Ziel<br />

es ist, tatsächlich gesagt zu<br />

haben was gemeint ist, somit:<br />

eine Klarheit der Aussage<br />

zu erreichen.<br />

Ein Missverständnis kann<br />

einzig aus einer Unklarheit<br />

der Kommunikation entstehen,<br />

wodurch die bestehende<br />

Unter-wertung <strong>des</strong> Wortes,<br />

die sich oftmals durch<br />

vorbeizielende Formulierungen<br />

in der Alltagssprache<br />

bemerkbar macht, auch zu<br />

einer Art Kommunikationskrise<br />

führt – somit zu Aussagen,<br />

die nichts aussagen,<br />

oder einander verfehlen.<br />

Dem entgegenzuwirken<br />

In einem wieder<br />

neuen Sinn <strong>des</strong><br />

Wortes ein Erfahren<br />

als sinnlich <strong>und</strong><br />

theoretisch fassbar<br />

werden, als Lernen,<br />

als Verstehen auch<br />

vor allem; somit als<br />

Öffnung <strong>des</strong> Denkens<br />

durch das Einbeziehen<br />

neuer Ansichten.<br />

fällt dabei äußerst schwer, insbesondere, wenn es die Alltagssprache betrifft<br />

– ein sowohl inhaltlich als eben auch sprachlich gänzlich reflektiertes Kommunizieren<br />

ist mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit überhaupt unmöglich; doch<br />

ein Versuch <strong>des</strong> Schärfens <strong>des</strong> Wahrnehmung von sprachlicher Bedeutung <strong>und</strong><br />

Klarheit kann nur ein Weiterdenken, daher etwas sehr Positives mit sich bringen.<br />

Soweit kann ich wohl in Bezug auf mein Studium über Erfahrung sprechen,<br />

über <strong>Werte</strong> – ein geklärterer Blick auf die Bedeutung eines Wortes, oder gar die<br />

Bedeutungen. Und die Erfahrung als eine Erweiterung <strong>des</strong> Denkraumes, die<br />

nicht dadurch entsteht, dass man etwas Neues findet – vielmehr wie etwas, das<br />

8<br />

9


man schon lange besaß <strong>und</strong> nun herausfindet, dass man es aufschrauben kann<br />

<strong>und</strong> noch etwas darin ist.<br />

Wodurch es mir noch lieber wird <strong>und</strong> noch viel mehr wert.<br />

Sophie Zehetmayer<br />

Dynamik<br />

von Alexander C. W<strong>im</strong>mer,<br />

Stipendiat <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esministeriums für Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Forschung<br />

10<br />

11


„Sei tolerant, zeige Solidarität <strong>und</strong> Respekt, schätze die Demokratie, Freiheit<br />

<strong>und</strong> Menschenrechte“ - durch eine adäquate Erziehung sind das die Worte, die<br />

einem recht bald auch unter dem Synonym „<strong>Werte</strong>“ geläufig sind.<br />

Eingangs sei zu erwähnen, dass <strong>Werte</strong> aktiv <strong>und</strong> passiv gelebt werden können.<br />

Wir können auf der einen Seite unserem Umfeld Respekt <strong>und</strong> Solidarität<br />

zeigen oder etwa dem politischen Wahlrecht nachgehen. Wenn wir aber auf der<br />

anderen Seite unnachhaltige Produkte kaufen oder einen verschwenderischen<br />

Lebensstil führen, geschieht dies meist auf Kosten Dritter. Als Beispiel seien<br />

hier Kleidungsstücke aus Billiglohnländern genannt, durch deren Kauf die Ausbeutung<br />

von Arbeitern gefördert <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> wie Menschenrechte <strong>und</strong> Freiheit<br />

gr<strong>und</strong>legend verletzt werden.<br />

Das aktive Leben der moralischen Gr<strong>und</strong>sätze ist intuitiv <strong>im</strong> menschlichen<br />

Wesen verankert, viele unabhängig voneinander entwickelte Religionen oder<br />

Völker weisen hier ähnliche Regelwerke für das friedliche Zusammenleben auf.<br />

Geprägt wird diese Intuition in der Zeit als Kind <strong>und</strong> Jugendlicher, in welcher<br />

Eltern, Bezugspersonen <strong>und</strong> Vorbilder (real <strong>und</strong> virtuell) eine große Verantwortung<br />

tragen, um der nächsten Generation <strong>Werte</strong>vorstellungen zu vermitteln.<br />

Die passive Einhaltung von <strong>Werte</strong>n gestaltet sich wesentlich schwieriger,<br />

da der Mensch auf seine Handlung keine unmittelbare Reaktion erfährt. Für<br />

Privatpersonen ist oft nur schwer nachvollziehbar, unter welchen Bedingungen<br />

Produkte <strong>und</strong> deren Rohstoffe hergestellt werden bzw. ob diese Produkte nachhaltig<br />

sind. Ein weiteres Problem stellt sich für Unternehmer der Industriestaaten,<br />

die am globalen Markt konkurrenzfähig bleiben müssen. In Bezug auf diese<br />

Thematik sehe ich Bildung als Schlüsselrolle, denn nur durch eine umfassende<br />

Bildung können wir uns einen Überblick verschaffen, der uns Konsequenzen<br />

abschätzen lässt.<br />

Welche Rolle spielt dabei ein Studium? Das hohe Bildungsniveau in unserem<br />

Land sichert uns einen hohen Lebensstandard. Durch Forschung <strong>und</strong><br />

dem daraus resultierenden Technologievorsprung erzielen Unternehmen eine<br />

hohe Wertschöpfung ohne dabei auf Billigarbeitskräfte angewiesen zu sein. Ein<br />

Studium trägt allein auf Gr<strong>und</strong> dieser Tatsache dazu bei, <strong>Werte</strong> zu sichern. Oft<br />

ist es schwierig, moralische Gr<strong>und</strong>sätze einzuhalten, sei es um als Unternehmen<br />

ertragsfähig zu bleiben oder weil die eigene finanzielle Situation es nicht<br />

erlaubt. Das Miteinander <strong>und</strong> Erfolge <strong>im</strong> Studium lassen aber erkennen, dass<br />

es durchaus vorteilhaft ist, sich nach gesellschaftlichen Gr<strong>und</strong>werten zu richten<br />

<strong>und</strong> diese zu leben.<br />

Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> dürfen nicht als statische Begriffe gesehen werden,<br />

sondern müssen einer ständigen Veränderung unterliegen, um auch zukünftig<br />

als Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> geschätzt <strong>und</strong> nicht als überholte, altmodische Begriffe<br />

angesehen zu werden. Selbst in der Technik, wie etwa der IT, aber auch aus<br />

dem unternehmerischen Anlagen- <strong>und</strong> Produktionsmanagement ist bekannt,<br />

dass das aktuell beste Produkt (Cash-<br />

Cow) zu den Verlierern von morgen<br />

(Poor-Dog) zählen wird, wenn es keiner<br />

Veränderung unterzogen wird.<br />

Erfahrung zeichnet sich dadurch aus,<br />

dass sie auf langjähriger Beobachtung,<br />

der Anwendung der eigenen Fähigkeiten,<br />

aber auch dem Lernen aus<br />

eigenen Fehlern fußt. Aber Erfahrung<br />

ist wertlos, wenn sie nicht durch das<br />

Gespräch mit Kollegen, vor allem aber<br />

„Wer aufhört,<br />

besser werden<br />

zu wollen, hört<br />

auf, gut zu sein“<br />

dem generationenübergreifenden Gespräch bereichert wird, da sonst die Gefahr<br />

der „Betriebsblindheit“ besteht <strong>und</strong> selbst eine umfassende Erfahrung zur<br />

„grauen Eminenz“ verkommt.<br />

Wer nur auf Erfahrung ohne den Willen <strong>und</strong> Mut zur Verbesserung vertraut,<br />

wird nicht erfolgreich bestehen können - oder wie es Marie von Ebner-Eschenbach<br />

formulierte: „Wer aufhört, besser werden zu wollen, hört auf, gut zu sein“.<br />

<strong>Werte</strong> sind ein Produkt aus oft mehreren 100 Jahre alten, kulturhistorisch<br />

geprägten Erlebnissen. Diese <strong>Werte</strong> würden aber heute nicht existieren, wenn<br />

sie nicht einer ständigen Veränderung unterlegen hätten. Veränderungen bergen<br />

<strong>im</strong>mer das Risiko, dass diese in eine falsche Richtung erfolgen. Hier muss man<br />

den Mut, aber auch die Courage besitzen, Fehler zu erkennen, zu korrigieren –<br />

<strong>und</strong> vielleicht am wichtigsten – aus ihnen zu lernen.<br />

Erlauben Sie mir als Techniker eine mathematische Betrachtung: Es zählt<br />

nicht nur der Trend von Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n (die Ableitung, das Differenzial),<br />

sondern das Produkt aus Vergangenheit, Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft (Integral) ist<br />

wesentlich für den Bestand von Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n. Oft ist es nötig, Erfahrung<br />

<strong>und</strong> <strong>Werte</strong> sorgfältig zu adaptieren, damit diese auch zukünftig Bestand<br />

haben. Übereilte Veränderungen, um kurzfristigen Trends zu folgen, sind wiederum<br />

vollkommen fehl am Platz, da sie wertvolle <strong>Werte</strong> zerstören können.<br />

Wesentlich sind dabei Respekt, Dankbarkeit <strong>und</strong> Aufrichtigkeit zwischen den<br />

Generationen, vor allem aber auch zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen<br />

Schichten. <strong>Erfahrungen</strong> können ohne die erfolgreiche Kommunikation<br />

zwischen den Generationen nicht weitergegeben werden, was ein Nachteil<br />

für Jung <strong>und</strong> Alt darstellt. Während die Jungen bei null beginnen müssten<br />

12<br />

13


<strong>und</strong> vielleicht die gleichen, schmerzhaften Fehler wie ihre Vorgänger begehen,<br />

geht das mühsam über Jahre aufgebaute Wissen verloren, <strong>und</strong> das oft für <strong>im</strong>mer.<br />

Auch der Austausch zwischen Theoretikern <strong>und</strong> Praktikern, nicht nur in<br />

der Wissenschaft, sondern auch der Wirtschaft ist wesentlich für den Bestand<br />

von <strong>Werte</strong>n. So wird es einem Schwerionenphysiker nicht gelingen, zwei Atomkerne<br />

zu verschmelzen, wenn nicht zuvor ein Techniker eine Anlage entwickelt<br />

oder ein Chemiker die Ausgangsstoffe synthetisiert hat. Das technisch beste<br />

Produkt wird nicht verkauft werden können, wenn das Management nicht für<br />

das notwendige Marketing sorgt <strong>und</strong> die Absatzmöglichkeiten zur Verfügung<br />

stellt. Ganz zu schweigen davon, dass das beste Management nicht erfolgreich<br />

sein kann, wenn nicht dahinter engagierte Mitarbeiter ein Produkt erdenken,<br />

entwickeln, herstellen <strong>und</strong> opt<strong>im</strong>ieren - basierend auf Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n.<br />

Das Begriffspaar „Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>“ ist durch den Begriff der Dynamik<br />

zu ergänzen, da einer Welt der ständigen Veränderung Rechnung getragen werden<br />

muss. Diese Dynamik findet sich auch <strong>im</strong> österreichischen Hochschulwesen<br />

wieder. Nicht durch Zufall zählen die technischen Universitäten in Österreich<br />

wie etwa die Montanuniversität zu den Top-10 Bildungsinstitutionen weltweit<br />

(Quelle: http://sti.epfl.ch/page-73094-en.html). Die Hochschullandschaft wird<br />

seit einigen Jahren in verstärktem Maße durch Fachhochschulen bereichert,<br />

was die Wichtigkeit der Dynamik mit Bedacht auf <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> Erfahrung unterstreicht.<br />

Der ständige Wille zur Verbesserung, verb<strong>und</strong>en mit lebensbegleitendem<br />

Lernen, fußend auf dem Bewusstsein von <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong>, ist der<br />

Schlüssel zum persönlichen, aber auch volkswirtschaftlichen Erfolg.<br />

Die Erfahrung von<br />

Gr<strong>und</strong>werten in einer<br />

vielfältigen sozialen<br />

Umgebung<br />

von Barbara Zelger,<br />

Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Südtirol<br />

14<br />

15


Es gibt Ideale, die unser Zusammenleben fördern. Diese sind aber wortwörtlich<br />

nur Ideale, die nicht voll <strong>und</strong> ganz erfüllt werden können. Die vier Ideale oder<br />

auch Gr<strong>und</strong>werte sind Respekt, Vertrauen, Hilfsbereitschaft (die Bereitschaft, jemanden<br />

gerade darin zu unterstützen, wo es für ihn notwendig oder wesentlich<br />

ist; ihm darin zu helfen, wo er selbst diese Hilfe nicht leisten kann) <strong>und</strong> das<br />

Interesse am Interesse der anderen (auch darin ist es nötig, da zu helfen, wo es<br />

angenommen werden kann; es darf nicht darum gehen, den anderen zu beeinflussen).<br />

Wenn diese Ideale annäherungsweise erfüllt sind, geht es in die Richtung,<br />

gemeinsame Ziele auszumachen. Diese Ziele handeln Bindungen zwischen den<br />

Personen aus. Solche Bindungen <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> gibt es zwischen Studierenden,<br />

sie werden <strong>im</strong>mer wieder neu ausgehandelt. Diese Art von Bindungen kann<br />

man nicht voll <strong>und</strong> ganz erfüllen, aber sie geben eine Richtung vor, da sie Gr<strong>und</strong>werte<br />

sind. Wenn diese Gr<strong>und</strong>werte annähernd erreicht werden, ergibt sich eine<br />

Gesellschaft, die auch durch das Studium mitgeprägt wird.<br />

Meine <strong>Erfahrungen</strong> kommen von diesen Bindungen, von diesem erprobenden<br />

Erfüllen von Gr<strong>und</strong>werten, vom Studentenleben, vom Reisen, vom interkulturellen<br />

Austausch, vom Studienaufenthalt <strong>im</strong> Ausland, von einer internationalen<br />

Studentenkonferenz. Und natürlich auch aus der familiären Tradition<br />

<strong>und</strong> aus den Umgangsformen in der He<strong>im</strong>at. Sie gehen dabei einher mit <strong>Werte</strong>n,<br />

doch diese <strong>Werte</strong> können <strong>im</strong>mer wieder variiert werden, sie wandeln sich, werden<br />

durch das Erfahrungswissen von anderen Menschen, von WissenschaflterInnen<br />

<strong>und</strong> PraktikerInnen, von Mitmenschen aus anderen Lebenswelten, neu ausgehandelt.<br />

Dadurch werden meine <strong>Erfahrungen</strong>, meine <strong>Werte</strong> in einen größeren,<br />

breiteren Kontext gestellt. <strong>Werte</strong> <strong>des</strong> Menschseins, <strong>des</strong> Gleichseins, <strong>des</strong> wertfreien<br />

Einschätzens von subjektiven Andersheiten, von kulturellen Andersheiten,<br />

von „migrantischen“ Andersheiten. Meine subjektiven <strong>Erfahrungen</strong> werden durch<br />

Gruppenerfahrungen beeinflusst.<br />

In meiner Diplomarbeit Phänomene von Grenzüberschreitungen am Beispiel<br />

von Ilma Rakusas „Mehr Meer“ habe ich versucht, Aspekte der Hybridität<br />

<strong>und</strong> auch solche der L<strong>im</strong>inalität aufzuzeigen, wie sie ein Mensch mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

bei seiner (Sprach-)Grenzüberschreitung erfahren muss. Die <strong>Erfahrungen</strong>,<br />

die ein Mensch mit Migrationshintergr<strong>und</strong> erleben muss <strong>und</strong> darf, sind in<br />

unserer heutigen Migrationsgesellschaft von größtem Interesse für gesellschaftliche<br />

<strong>und</strong> politische Aspekte <strong>des</strong> Zusammenlebens. Von besonderem, persönlichem<br />

Interesse sind für mich die sprachlichen <strong>und</strong> literarischen Möglichkeiten<br />

eines Austausches, die zu innovativen Entwicklungen führen können. Doch auch<br />

diese meine Interessen, diese meine Schwerpunkte will ich <strong>im</strong>mer wieder in einen<br />

größeren Kontext stellen. Ich will neue Diskussionen mitkriegen, vorhandene<br />

Themen neu dargestellt kennenlernen. Liege ich richtig? Liege ich falsch? Im<br />

Hinblick auf den erweiterten Kontext <strong>des</strong> Denkens.<br />

Themen der Migration <strong>im</strong> gesellschaftlichen Kontext der neuen europäischen<br />

Mitgliedsstaaten. Integration <strong>und</strong> Migration in einem kulturellen, künstlerischen<br />

Kontext. <strong>Werte</strong>. <strong>Erfahrungen</strong>. Die anders sind, als die der anderen.<br />

Werden Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> in der Kunst als die dargestellt,<br />

die sie sind? Werden sie überhaupt dargestellt, abgesehen von den Werken ihrer<br />

eigenen Vertreter? Dies sollte<br />

reflektiert werden. Hierin sollten<br />

<strong>Erfahrungen</strong> erweitert <strong>und</strong><br />

<strong>Werte</strong> bereichert werden. Sind<br />

sie nicht schon zu festgefahren,<br />

meine Ansichten, deine Ideen?<br />

Was sind <strong>Werte</strong> hinsichtlich der<br />

<strong>Werte</strong> unserer MitbürgerInnen<br />

mit Migrationshintergr<strong>und</strong>?<br />

<strong>Erfahrungen</strong> <strong>im</strong>mer wieder<br />

erweitern, <strong>Werte</strong> bereichern,<br />

verändern, reflektieren in einer<br />

– meiner? – subjektiven Welt<br />

voll künstlerischer Illusionen<br />

wie auch Illusionen über ein<br />

Zusammenleben zwischen den<br />

Welten, zwischen den Kulturen<br />

<strong>und</strong> zwischen den sprachlichen<br />

wie künstlerischen Ausdrucksweisen,<br />

die keine Illusionen<br />

bleiben müssen!<br />

Die <strong>Erfahrungen</strong>,<br />

die ein Mensch mit<br />

Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

erleben muss<br />

<strong>und</strong> darf, sind in<br />

unserer heutigen<br />

Migrationsgesellschaft<br />

von größtem<br />

Interesse für gesellschaftliche<br />

<strong>und</strong><br />

politische Aspekte<br />

<strong>des</strong> Zusammenlebens.<br />

16<br />

17


Sophie Scholl jr.<br />

von Christina Wrann,<br />

Stipendiatin <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esministeriums für Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Forschung<br />

18<br />

19


AkademikerInnen<br />

sollten jedoch mehr<br />

sein, als Experten<br />

auf ihrem eigenen<br />

Gebiet.<br />

Vor kurzem habe ich zum Thema „Helden <strong>des</strong> Widerstands“ eine Dokumentation<br />

über Sophie Scholl gesehen, die sich mit ein paar Kommilitonen zur<br />

Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ zusammenschloss <strong>und</strong> pr<strong>im</strong>är mittels Flugblätter<br />

gegen den Nationalsozialismus aufbegehrte. Letzten En<strong>des</strong> wurde sie<br />

dafür wegen Hochverrats von einem Gericht verurteilt <strong>und</strong> hingerichtet. Beeindruckt<br />

vom Mut dieser jungen Frau überlegte ich, ob die österreichischen Studierenden<br />

von heute bereit wären, ihre Karriere oder gar Existenz für <strong>Werte</strong> wie<br />

Freiheit, Demokratie oder die Unantastbarkeit der Menschenwürde zu opfern.<br />

Die meisten Demokratie- bzw.<br />

Bürgerrechtsbewegungen weltweit<br />

gingen von den Studierenden<br />

aus oder wurden zumin<strong>des</strong>t<br />

maßgeblich von ihnen geprägt.<br />

Man denke nur an die Julirevolution<br />

von 1830 in Frankreich,<br />

die amerikanischen Antikriegs-<br />

Proteste in den 1960er Jahren<br />

oder die blutig niedergeschlagenen<br />

Demonstrationen <strong>im</strong> Jahr<br />

1989 in China, als Studierende<br />

den Platz <strong>des</strong> h<strong>im</strong>mlischen Friedens besetzten <strong>und</strong> in Hungerstreik traten, um<br />

sich Gehör zu verschaffen. Was müsste jetzt in Österreich passieren, damit<br />

sich die Hochschülerschaft – unabhängig von etwaigen Parteiinteressen – auf<br />

die Füße stellt <strong>und</strong> sich für etwas einsetzt? Zwar lehnt sich zumin<strong>des</strong>t ein Teil<br />

der Studierenden gegen Maßnahmen auf, die sie unmittelbar betreffen, aber<br />

was ist mit allgemeinen gesellschaftlichen Themen? Oder geht es uns allen (!)<br />

hierzulande einfach zu gut?<br />

Vor allem in Massenstudien steigt der Konkurrenzkampf, was Studierende<br />

dazu drängt, möglichst schnell <strong>und</strong> mit guten Noten zu studieren. Neben der<br />

„Ausbildung“ bleibt wenig Zeit <strong>und</strong> Energie für „Bildung“. Was zählt, ist der<br />

Lernerfolg, der Abschluss, die Karriere. Wozu also Zeit vergeuden <strong>und</strong> sich mit<br />

gesellschaftlichen Problemen <strong>im</strong> eigenen Land oder gar <strong>im</strong> Ausland beschäftigen?<br />

Über sogenannte geisteswissenschaftliche „Orchideenstudien“, die zur<br />

<strong>Werte</strong>vermittlung beitragen, wird meist abfällig gesprochen. Ethikfächer wie zB<br />

„Ethik in der Wirtschaft“ werden als lästig empf<strong>und</strong>en, meist sogar belächelt,<br />

<strong>und</strong> sind in Studienplänen daher oft nur noch als schwammiges Leitprinzip zu<br />

finden. Dabei gibt es kein Studium, in dem ethische Fragen keine Rolle spielen<br />

(sollten). Die starke Verschulung der Universitäten macht aus dem Großteil der<br />

HochschülerInnen einzelkämpferische „Brotstudenten“, die sich von Prüfung<br />

zu Prüfung hanteln, ohne über den Tellerrand hinauszublicken. AkademikerInnen<br />

sollten jedoch mehr sein, als Experten auf ihrem eigenen Gebiet. Sie sollten<br />

umfassend gebildete (nicht nur gut ausgebildete) kritische Geister sein, die ihr<br />

Wissen <strong>und</strong> Können zum Wohle der ganzen Gesellschaft einsetzen. Im sechsten<br />

<strong>und</strong> letzten Flugblatt fordern die Mitglieder der Weißen Rose ihre MitstudentInnen<br />

dazu auf, „ein neues geistiges Europa“ zu errichten. Unsere Generation<br />

sollte daran arbeiten, auf Basis unserer gemeinsamen europäischen <strong>Werte</strong> die<br />

geistige Entwicklung der Gesellschaft voranzutreiben. Doch die Universitäten<br />

müssen die Rahmenbedingungen schaffen, die dies möglich machen. Unsere<br />

ethischen Gr<strong>und</strong>werte müssen daher verstärkt Eingang in Lehre <strong>und</strong> Forschung<br />

finden. Natürlich gibt es Studienrichtungen <strong>und</strong> (meist fakultative) Lehrveranstaltungen<br />

r<strong>und</strong> um die Themen Menschenrechte <strong>und</strong> Demokratie; Ziel soll es<br />

jedoch sein, die Studierenden aller Disziplinen dazu anzuregen, unsere Gr<strong>und</strong>werte<br />

nicht nur zu kennen, sondern sie als Handlungsmax<strong>im</strong>e zu betrachten.<br />

20<br />

21


Menschenrechte,<br />

Respekt, Freiheit? Was<br />

sind diese Schlagwörter<br />

heute wert?<br />

von Marie-Luise Merz,<br />

Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Tirol<br />

22<br />

23


Hat das Bildungsangebot der Universität <strong>und</strong> Hochschule noch etwas mit der<br />

Sicherung ethischer Gr<strong>und</strong>werte zu tun?<br />

Wenn ein Studium so konzipiert ist, Antworten stupide auswendig zu lernen,<br />

wie kann der Mensch dann zu sich selbst finden <strong>und</strong> urteilsfähig entscheiden?<br />

Die Welt muss sich ihm als Frage-Raum öffnen, “Ich frage, also bin ich”.<br />

Von den ”Ohne mich”-Menschen gibt es genug.<br />

Ich habe die Aufgabe, <strong>im</strong> Leben Verantwortung für mich <strong>und</strong> die Gesellschaft<br />

zu übernehmen, mich der wahren Probleme einer Gesellschaft, z.B. der<br />

Armut <strong>und</strong> der vorherrschenden Ungleichheit, anzunehmen <strong>und</strong> wirkungsvoll<br />

damit auseinanderzusetzen.<br />

Meine Motivation gründet sich daher aus ganz verschiedenen Bereichen:<br />

mich interessieren komplexe Fragestellungen, welche nicht nur unsere Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> Wirtschaft betreffen, sondern <strong>im</strong> Zuge der Globalisierung weitreichende<br />

Auswirkungen verursachen. Probleme aus verschiedenen Perspektiven<br />

zu beleuchten, interdisziplinär zu hinterfragen, sowie Lösungsstrategien entwickeln<br />

<strong>und</strong> nicht nur eine kausale Abfolge vorgelegter Muster abzuarbeiten.<br />

Dies sind die gr<strong>und</strong>legenden „<strong>Werte</strong>“, die meiner Ansicht nach in dem Studium<br />

zu kurz kommen. In einer Gesellschaft, die mit <strong>im</strong>mer komplexeren Fragen<br />

konfrontiert wird, in welcher aber die breite Masse ein Desinteresse an gesellschaftspolitischen<br />

Fragestellungen zeigt, keine Initiativen ergreift, um wirklich<br />

nachhaltige Lösungen zu entwickeln, braucht es Menschen, die bereit sind Verantwortung<br />

zu übernehmen <strong>und</strong> mit kritischem Denken Lösungsansätze erarbeiten.<br />

Ein Hochschulstudium sollte so konzipiert sein, dass die persönliche<br />

Gestaltungsfreiheit gewährleistet ist <strong>und</strong> ein breites Wissensspektrum gebildet<br />

werden kann. Meiner Meinung nach wird der Impuls <strong>des</strong> “Querdenkens”<br />

momentan an den Universitäten nicht gefördert <strong>und</strong> das Blickfeld ein wenig<br />

eingeschränkt. Ein Fordern der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung <strong>und</strong><br />

der Verinnerlichung der <strong>Werte</strong> kann aber nur gelernt <strong>und</strong> gelebt werden, wenn<br />

ein Blick <strong>und</strong> ein Verständnis für die Kulturen, das Vernetzen der Umwelt <strong>und</strong><br />

<strong>des</strong> eigenen Wirkungskreises entwickelt wird <strong>und</strong> somit eine Multidisziplinarität<br />

entsteht.<br />

Werden <strong>im</strong> Studium <strong>Werte</strong> vermittelt?<br />

Die Fähigkeiten <strong>und</strong> „Erkenntnisse”, die ich durch meine <strong>Erfahrungen</strong> gesammelt<br />

habe, möchte ich auf andere Ebenen projizieren <strong>und</strong> nutzen. Ich möchte<br />

eine freiheitliche Bildung erlangen, hinter der ich vollkommen stehen kann,<br />

interdisziplinär gefordert werde, persönliche Gestaltungsfreiheit habe <strong>und</strong> nicht<br />

das Wissen passiv eingetrichtert bekomme. Es soll auf der einen Seite das<br />

Faktenwissen gebildet werden, aber auf der anderen Seite auch das Geisteswissenschaftliche<br />

nicht aus den Augen verloren werden. Ich sehe keine <strong>Werte</strong>vermittlung<br />

<strong>im</strong> gegenwärtigen<br />

Studium, eher eine Passivität,<br />

welche die Masse dazu verleitet,<br />

das „vorgekaute“ teilnahmslos<br />

durchzukauen. Es<br />

wird nicht zur Eigenverantwortlichkeit<br />

ermutigt, Handlungsweisen<br />

zu hinterfragen oder<br />

gar neue Strukturen zu entwickeln.<br />

Das Denken, Fühlen <strong>und</strong><br />

Handeln <strong>im</strong> Kontext Modernste<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> <strong>im</strong> internationalen<br />

Vergleich zu entwickeln<br />

<strong>und</strong> zu nutzen, sind Aspekte,<br />

die meines Erachtens fehlen.<br />

Zur Freiheit ermutigen! Die<br />

Chance zur eigenverantwortlichen<br />

Gestaltung von Studium<br />

<strong>und</strong> Forschung. Somit würden<br />

die gr<strong>und</strong>legenden <strong>Werte</strong> einer<br />

Gesellschaft verinnerlicht, die<br />

Meiner Meinung<br />

nach wird der Impuls<br />

<strong>des</strong> “Querdenkens”<br />

momentan<br />

an den Universitäten<br />

nicht gefördert<br />

<strong>und</strong> das Blickfeld<br />

ein wenig eingeschränkt.<br />

fachliche Kompetenz <strong>und</strong> persönlichen Ideale zum Wohle von Gesellschaft <strong>und</strong><br />

Umwelt würden individuell entwickelt werden. Das Verständnis für andere Kulturen<br />

müsste ebenso verstärkt gefördert werden.<br />

Die Frage nach Wahrheit: heranwachsende Menschen sollten ermutigt werden<br />

zu persönlichen <strong>Erfahrungen</strong>, zum methodischen Wechsel der Perspektiven<br />

als Voraussetzung geschärfter Urteilsfähigkeit, um somit Verantwortung für die<br />

Gesellschaft, ihr Handeln, Rechte, Toleranz <strong>und</strong> Achtung zu verinnerlichen.<br />

Nur so kann ein lebenslanges Lernen die Gr<strong>und</strong>lage für soziale Verantwortung<br />

sein <strong>und</strong> der <strong>Werte</strong>verlust verhindert werden. Freiheit bedingt Verantwortung.<br />

Deshalb müssen wir Studenten schon Verantwortung für unser eigenes Handeln<br />

<strong>und</strong> für kontinuierliche Weiterentwicklung übernehmen. Aus dem Privileg einer<br />

freiheitlichen Bildung soziale Verantwortung in Gesellschaft, Umwelt <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

entwickeln!<br />

24<br />

25


Der <strong>Werte</strong>verfall<br />

Für mich hat der gesellschaftliche <strong>Werte</strong>verfall fast ausschließlich mit der Globalisierung<br />

zu tun <strong>und</strong> den allgemeinen Ansichten zum Thema Geld. Geld ist<br />

ein symbolisches <strong>und</strong> diabolisches Leitmedium der Moderne! Der Mensch als<br />

gieriges Wesen?<br />

Eigentlich ist er ein pro-soziales Wesen mit altruistischer Tendenz, welche<br />

bei der zunehmenden Differenzierung der Gesellschaft (Einkommensschere)<br />

leider nicht anwachsen wird. Eine Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen,<br />

ökonomischen Entwicklung <strong>und</strong> den Gr<strong>und</strong>werten <strong>des</strong> Menschen. Das Studium/<br />

die Lehre sollte Schnittstelle zwischen diesen Themen sein <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>lage<br />

für die Entwicklung kritischer Lösungsansätze bieten. Gerade be<strong>im</strong> Wirtschaftsstudium<br />

sollte dem „ethisch“ wirtschaftlichen Handeln, dem <strong>Werte</strong>wandel der<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> die menschlichen Gr<strong>und</strong>werte <strong>im</strong> Blickwinkel der globalen<br />

Fragestellungen gelöst werden. Kerngebiete sollten auch die eigene Urteilsfähigkeit<br />

sein, Themen wie Gerechtigkeit <strong>und</strong> Moral sollten ebenso einen Platz<br />

bekommen <strong>und</strong> als Einzelwissenschaften integriert werden. <strong>Werte</strong>, Rechte,<br />

Pflichten, politische sowie philosophische Diskurse über Verantwortung gegenüber<br />

Menschen <strong>und</strong> Umwelt. Das Studium <strong>im</strong> Spannungsverhältnis zwischen<br />

Handeln, Entwickeln <strong>und</strong> Beibehalten moralischer Gr<strong>und</strong>werte.<br />

Mein Lösungsansatz wäre eine neue strukturelle Gr<strong>und</strong>basis <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong>.<br />

Neben der individuellen Vertiefungsrichtung müssten Module, z.B. zur Philosophie,<br />

existieren, nicht auf eine spezielle Methodologie begrenzt, sondern durch<br />

die Art der verschiedenen Fragestellungen verschiedene Handlungsweisen in<br />

unterschiedlichen Bereichen beleuchten. Dies ist für mich „Integration“/ Interdisziplinarität.<br />

Und genau diese Integration muss angegangen werden, um die<br />

verlorenen moralischen Voraussetzungen, <strong>Werte</strong>, Pflichten unserer Gesellschaft<br />

wieder neu zu beleben <strong>und</strong> zu erhalten. Bereiche der Logik (Wissenschaft <strong>des</strong><br />

folgerichtigen Denkens), Ethik (Wissenschaft <strong>des</strong> rechten Handelns) <strong>und</strong> der<br />

Metaphysik (Wissenschaft der Gründe <strong>des</strong> Seins <strong>und</strong> der Wirklichkeit) sollten<br />

die Gr<strong>und</strong>lage darstellen. Menschen, denen nichts fragwürdig erscheint, finden<br />

nicht zur Philosophie, nicht auf ein religiöses F<strong>und</strong>ament, sondern rein auf<br />

rationale Argumentation. Der Sinn: kritische Fragen an die Welt, resistent gegen<br />

Manipulationen, Unterdrückung, Machtspiele, das Hinterfragen der gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse <strong>und</strong> Herausarbeitung alternativer Modelle. Um nicht<br />

teilnahmslos <strong>und</strong> passiv zuzuschauen, sondern selbst die Initiative zu ergreifen<br />

<strong>und</strong> bewegen, dies sind Dinge die ich in meiner Erziehung erleben durfte, in<br />

meiner Rettungsdienstzeit umsetzen konnte <strong>und</strong> nun <strong>im</strong> Studium vermisse.<br />

Wir müssen eine Generation hervorbringen, die nicht wegschaut, sondern mit<br />

den f<strong>und</strong>amentalen <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> der vergangenen Jahren verändern<br />

möchte. Als heranwachsender Mensch sollte man ein selbstbest<strong>im</strong>mtes <strong>und</strong><br />

vernunftbasiertes Leben auf Gr<strong>und</strong>lage <strong>des</strong> eigenen „Nachdenkens“ führen,<br />

nur somit kann der <strong>Werte</strong>verfall verhindert werden. Probleme aus verschiedenen<br />

Perspektiven zu beleuchten, interdisziplinär zu hinterfragen, sowie Lösungsstrategien<br />

zu entwickeln <strong>und</strong> nicht nur eine kausale Abfolge vorgelegter Muster<br />

abzuarbeiten.<br />

Sind <strong>Werte</strong> heutzutage überhaupt noch etwas „wert“?<br />

In der Gesellschaft <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> muss Raum für Kreativität <strong>und</strong> kritisches Denken<br />

geschaffen werden. Man kann dem Menschen nur aus vielen Standpunkten<br />

nachhaltig helfen. Wie kann die Gesellschaft so geführt werden, dass ein größtmöglicher<br />

Profit, aus sozialer sowie ökonomischer Sichtweise erzielt wird?<br />

Wie können die Gr<strong>und</strong>bedürfnisse gesichert werden? “Ich frage, also bin ich”!<br />

Die ”Ohne mich”-Gesellschaft ist weit verbreitet. Ich habe mir die Aufgabe<br />

<strong>im</strong> Leben Gestellt, Verantwortung für mich <strong>und</strong> die Gesellschaft zu übernehmen,<br />

mich der wahren Probleme einer Gesellschaft, z.B. Armut <strong>und</strong> Ungleichheit,<br />

anzunehmen, mich damit auseinanderzusetzten <strong>und</strong> Lösungsansätze<br />

zu entwickeln. Ich möchte meine Persönlichkeit individuell entfalten dürfen,<br />

mitdenken <strong>und</strong> hinterfragen, interdisziplinär gefordert werden <strong>und</strong> persönliche<br />

Gestaltungsfreiheit haben, <strong>und</strong> vor allem mich aktiv <strong>und</strong> <strong>im</strong> internationalen Vergleich<br />

an den Gr<strong>und</strong>themen der Gesellschaft, Entwicklung, Wohlstand, <strong>Werte</strong><br />

<strong>und</strong> Vernetzung beteiligen. Tatsache ist, dass die freie Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

auf gemeinsamen <strong>Werte</strong>n fußt. Sie kann nicht funktionieren, wenn die<br />

Menschen nicht zentrale moralische Auffassungen miteinander „teilen“.<br />

Die Moral kann durch das Gesetz weder erzwungen noch ersetzt werden.<br />

Eine Gemeinschaft, in der alles geregelt wäre, erscheint unmenschlich <strong>und</strong><br />

könnte wirklich nicht überleben. An Bedeutung verloren hat leider auch die<br />

Verantwortung, welche einen f<strong>und</strong>amentalen Beitrag an der „Krise der <strong>Werte</strong>“<br />

einn<strong>im</strong>mt.<br />

Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen,<br />

Marie-Luise Merz<br />

26<br />

27


1 0 4 8 9 2 7<br />

Studierende<br />

sind Nummern<br />

von Ines Findenig,<br />

Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Steiermark<br />

28<br />

29


Überzahl an Studierenden, überlaufende Studiengänge, überfüllte Lehrsäle,<br />

überarbeitete Lehrende, überteuerte Studienunterlagen, überlastete Betreuungsverhältnisse,<br />

über, über, über, zu viel, zu viel, zu viel von allem, zu viel<br />

von Bildung, ergo zu viel für Bildung für alle? Was passiert mit dem Status der<br />

tertiären Bildung? Ein „Über“ kann sehr schnell auch zu einem gegensätzlichen<br />

„Unter“ führen, wie es derzeit an den österreichischen Universitäten geschieht<br />

– unterdurchschnittliche Leistungen, unterforderte Hochbegabte, untergrabene<br />

Motivation, unter, unter, unter, ergo minder.<br />

Studierende sind Nummern. Wie sollen Gr<strong>und</strong>werte durch ein Objektivieren<br />

von Subjekten vermittelt werden? Es stellt sich die Frage, wenn man/<br />

frau selbst nur als eine/r von vielen betrachtet wird <strong>und</strong> <strong>im</strong> Studium regelrecht<br />

darum kämpfen muss, aus der Masse herauszustechen, inwiefern dann zum<br />

Beispiel Menschenrechte, Respekt, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Toleranz,<br />

Solidarität <strong>und</strong> weitere essentielle Gr<strong>und</strong>werte <strong>im</strong> Laufe eines Hochschulstudiums<br />

überhaupt vermittelt werden können? Ist es notwendig <strong>und</strong> Ziel eines<br />

<strong>Studiums</strong> sich „wertvoll zu sein“ zu erkämpfen, <strong>im</strong> Sinne von „vollgestopft mit<br />

<strong>Werte</strong>n“ zu sein? Beginnt die Tradierung von <strong>Werte</strong>n nicht schon <strong>im</strong> Zuge der<br />

pr<strong>im</strong>ären Sozialisationsinstanz, <strong>und</strong> zwar der Familie, oder lässt sich die <strong>Werte</strong>vorstellung<br />

auch noch in einem höheren Alter in einem hohen Maße modifizieren?<br />

Ein Studium, auch <strong>im</strong> Sinne von einem Selbststudium, kann, muss aber<br />

nicht dazu beitragen, die jeweiligen eigenen Gr<strong>und</strong>werte zu transformieren.<br />

Ein/e jede/r ist ab einem best<strong>im</strong>mten Grad dafür selbst verantwortlich,<br />

sich <strong>Werte</strong> anzueignen oder diese zu erweitern beziehungsweise zu modifizieren,<br />

weil davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei Studierenden an<br />

Universitäten <strong>und</strong> weiteren Hochschulen um verantwortungsbewusste Individuen<br />

handelt. Im Zuge <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> wird ein Repertoire an <strong>Werte</strong>n wie besonders<br />

auch an Wissen von den jeweiligen Institutionen/Fachkräften zur Verfügung<br />

gestellt, <strong>und</strong> es liegt absolut <strong>im</strong> eigenem Ermessen, was <strong>und</strong> wie viel ein/e<br />

Studierende/r davon selbst entscheidet anzunehmen beziehungsweise mitzunehmen.<br />

Ein gewisses Maß an Eigenverantwortung <strong>und</strong> Offenheit gegenüber<br />

Neuem <strong>und</strong> Unbekanntem wird in der Forschung wie auch in der Lehre an Universitäten<br />

vorausgesetzt, es bedarf von Seiten der Studierenden nur ein wenig<br />

Mut, dies auch zuzulassen; um <strong>im</strong> Sinne <strong>und</strong> in Worten von Immanuel Kant zu<br />

sprechen: „Habe Mut dich deines Verstan<strong>des</strong> zu bedienen!“<br />

Durch den offenen Zugang zu tertiärer Bildung in Österreich <strong>und</strong> durch<br />

die Abschaffung der Studiengebühren (welche nebenbei betrachtet einerseits<br />

sehr gering <strong>im</strong> Vergleich zu anderen Staaten ausfallen <strong>und</strong> andererseits wenn,<br />

dann 100 % der Universität zustehen sollten) entsteht der enorme Vorteil, dass<br />

Bildung für jede/n zugänglich gemacht wird. Dass dies einen Vorteil darstellt,<br />

steht außer Frage, da dies <strong>im</strong> Sinne Wilhelm von Humboldts „Bildung für alle“<br />

absolut dem Gr<strong>und</strong>wert <strong>des</strong> Menschenrechtes entgegenkommt. Jedoch stellt<br />

sich gleichzeitig auch die Frage, ob dies sozusagen „wert“ ist, dafür eventuell<br />

eine Senkung <strong>des</strong> Qualitätsstandards zu riskieren?<br />

Ein Beispiel dafür stellt die Betreuung von Masterarbeiten dar. Ein/e<br />

jede/r Studierende/r hat das Recht auf eine ausgewogene Beratung <strong>und</strong> Hilfestellung<br />

seitens einer Person aus dem wissenschaftlichen<br />

Bereich <strong>im</strong> Zuge der schriftlichen<br />

Abschlussarbeit. Je mehr Studierende<br />

auf eine Person aus dem Betreuungsbereich<br />

kommen, <strong>des</strong>to weniger Zeit <strong>und</strong> dementsprechend<br />

weniger Intensität erhalten jene<br />

Studierende bei der individuellen Unterstützung.<br />

Ergo je mehr Studierende, <strong>des</strong>to weniger<br />

„wertvolle“ Einzelbetreuung. Dies lässt<br />

sich auch auf die einzelnen Seminare (<strong>und</strong><br />

auch Vorlesungen) übertragen, welche <strong>im</strong><br />

„Habe Mut<br />

dich deines<br />

Verstan<strong>des</strong><br />

zu bedienen!“<br />

derzeitigen Lehrbetrieb sozusagen überquellen. Übungen <strong>und</strong> Seminare, welche<br />

eine eigentliche Max<strong>im</strong>e von 25/35 TeilnehmerInnen haben, werden mit<br />

einer mehr als weit unverträglichen Anzahl an Studierenden abgehalten. Aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>des</strong>sen kommt die Qualität bezüglich einer individuellen <strong>und</strong> intensiven<br />

Zusammenarbeit mit den Lehrenden/Vortragenden <strong>und</strong> auch der Betreuung <strong>und</strong><br />

Auseinandersetzung mit Themen/Ereignissen teilweise viel zu kurz. Somit wird<br />

teilweise auch das Gefühl eines wertvollen, wertevermittelnden <strong>und</strong> ganzheitlichen<br />

Umgangs zwischen Studierenden <strong>und</strong> Lehrenden zeitweise leider untergraben.<br />

Wie schon erwähnt, Studierende sind Nummern.<br />

Es bedarf einer gründlichen Überlegung, wie dies geändert werden könnte,<br />

da Zugangsbeschränkungen auch nicht den idealsten Weg darstellen, genauso<br />

wenig wie die Einführung der, <strong>und</strong> später zum Teil falsch verwendeten,<br />

Studiengebühren. Denn Wissen <strong>und</strong> ebenso auch <strong>Werte</strong> qualitativ hochwertig<br />

weiterzuvermitteln <strong>und</strong> weitervermittelt zu bekommen, sollte ein gemeinsames,<br />

erstrebenswertes Ziel von tertiärer Bildung darstellen.<br />

30<br />

31


Modern T<strong>im</strong>es<br />

von Isabel Syrek,<br />

Stipendiatin der Initiativgruppe Alpbach Wien<br />

32<br />

33


In ihrem Gr<strong>und</strong>gedanken kann universitäre Bildung mit ästhetischen <strong>Erfahrungen</strong><br />

verglichen werden. Wer sich auf Bilder einlässt, die vielseitige Bedeutungen<br />

ermöglichen <strong>und</strong> dabei die Offenheit bewahrt, verschiedene Interpretationen<br />

ohne Vorbehalt zu berücksichtigen, wird aus dem Gewöhnlichen in das<br />

Ungewohnte geführt <strong>und</strong> erhält die Chance zu lernen.<br />

Der britische Künstler Tino Sehgal beispielsweise führt die Teilnehmer<br />

seiner „konstruierten Situationen“ in Begebenheiten, in denen sie nicht wissen,<br />

was sie erwartet. Auf der Biennale von Venedig-2005 umtanzten Museumswächter<br />

die Besucher <strong>und</strong> sangen dabei „Oooooh, this is so contemporary“.<br />

Diese zeitbegrenzten <strong>Erfahrungen</strong> dürfen von den Besuchern nicht dokumentarisch<br />

festgehalten werden <strong>und</strong> werden zudem mit min<strong>im</strong>alem Einsatz von<br />

Ressourcen durchgeführt. Sie bleiben nur in der Erinnerung <strong>des</strong> Betrachters,<br />

der selber entscheidet, wohin er diese Erfahrung gedanklich führt. Etwas zu<br />

initiieren, ist für Sehgal der größte Teil eines Urheberrechts an einem Werk. 1<br />

Vergleichsweise wird an den Universitäten Urheberschaft an Gedankengut<br />

durch die damit verb<strong>und</strong>enen Regeln erklärt. Auch wenn die Forderung,<br />

geistiges Eigentum anderer deutlich in Arbeiten zu kennzeichnen, einen der<br />

Gr<strong>und</strong>werte in der universitären Forschung darstellt, distanziert sich unter anderen<br />

die Universität Wien von Formulierungen wie „<strong>Werte</strong>“. Viel eher lenkt<br />

die Bildungsinstitution ihre Aufmerksamkeit darauf, „Forschung <strong>und</strong> Lehre in<br />

höchster Qualität zu schaffen <strong>und</strong> zu erhalten“. Diese Orientierung soll die<br />

Wissensstätte attraktiv für die „besten Köpfe“ 2 machen.<br />

Für mich erklärt sich die Vermeidung <strong>des</strong> Wortes „Wert“ durch die Assoziierung<br />

mit Religion, die in unserem geographischen Bereich die historische<br />

Prägung durch die katholische Kirche meint. Die moderne Lebensphilosophie<br />

seit ca. 1800 wurde, abgesehen von der Industrialisierung <strong>und</strong> der Demokratisierung,<br />

auch von der Entscheidung für wissenschaftliche Beweise geprägt.<br />

Von Gesellschaften <strong>und</strong> Institutionen geprägte <strong>Werte</strong> können fehlerhaft sein,<br />

während die Wissenschaft den Anspruch erhebt, die Wirklichkeit akkurat widerzuspiegeln.<br />

Dabei stützt sie sich auf Beobachtungen <strong>und</strong> messbare Ergebnisse.<br />

1<br />

„(…) “I work on a piece for a long t<strong>im</strong>e in my head,” he explains. Mr Sehgal doesn’t<br />

typically accept commissions because he feels that artworks should arise from personal<br />

concerns rather than architectural settings or institutional needs. “Initiating<br />

something,” he declares, “is the largest part of authorship.”, nachzulesen auf:<br />

http://www.economist.com/blogs/prospero/2012/07/tino-sehgal<br />

2<br />

Nachzulesen auf: http://www.univie.ac.at/universitaet/<br />

Je weiter ich in meinem Studium fortschreite, <strong>des</strong>to mehr lerne ich aus dieser<br />

Erfahrung, dass auch wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierte Argumentationen in die Irre<br />

führen können. Vor allem in den Sozialwissenschaften kann eine gewählte Hypothese<br />

zu selektiver Wahrnehmung <strong>und</strong> insoweit zu falschen Ergebnissen <strong>und</strong><br />

Schlussfolgerungen führen.<br />

Kunst hingegen lässt Unsichtbares<br />

sichtbar werden: In<br />

dem Werk „The Matter of T<strong>im</strong>e“<br />

von dem amerikanischen Künstler<br />

Richard Serra stellt dieser<br />

das Zeit-Raum-Kontinuum dar.<br />

Acht Skulpturen aus Stahl organisieren<br />

in kreisförmigen Bewegungen<br />

<strong>und</strong> unterschiedlichen<br />

Größen sowie Stellungen zueinander<br />

den Raum, in welchem<br />

sie sich befinden. Der Besucher<br />

soll sich dabei zwischen den<br />

Gebilden bewegen <strong>und</strong> mit dem<br />

Der Student von<br />

heute ist nicht<br />

Entdecker nach<br />

Humboldt‘schem<br />

Ideal, er ist vielmehr<br />

Unternehmer.<br />

vorhandenen Raum sowie den entstehenden Klängen exper<strong>im</strong>entieren. Das<br />

ikonoklastische Werk, das die Frage nach der Richtigkeit der gesellschaftlichen<br />

Definition von Zeit aufwirft, beschreibt auch meine persönliche Vorstellung<br />

von Bildung. Wissenserwerb braucht Zeit, um Fragen aufwerfen zu können<br />

<strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich erkannte Muster nach ihrem Ursprung zu hinterfragen. Mein<br />

Verständnis von Bildung wurde sicherlich zu einem großen Teil durch meinen<br />

Besuch eines United World Colleges bestärkt, wo außer dem akademischen<br />

Programm auch die außerschulischen Aktivitäten als persönlichkeitsbildend<br />

angesehen wurden. Unter Bildung verstehe ich die ganzheitliche Gestaltung<br />

<strong>des</strong> Charakters, wobei Neugierde auf unterschiedliche Lebenskonzepte <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong><br />

genauso gefördert werden, wie das Übernehmen von Verantwortung<br />

für das eigene Handeln <strong>und</strong> die Beibehaltung einer gewissen Demut be<strong>im</strong> Herantasten<br />

an neue Gebiete.<br />

Dennoch geht ein starker Trend, der die Bildung an Hochschulen beeinflusst,<br />

in Richtung ihrer Ökonomisierung. Bei der Studienwahl fragen wir<br />

uns - als Studenten - nicht zuletzt, welches Fach unsere Interessen mit arbeitsmarktrelevanten<br />

Fähigkeiten kombiniert <strong>und</strong> wie wir die Kombination aus<br />

einem guten Notendurchschnitt, einer akzeptablen Studiendauer <strong>und</strong> außeruniversitären<br />

Engagement so gut wie möglich hinkriegen. Die Universitäten<br />

34<br />

35


selber locken mit internationalen Partnerschaften <strong>und</strong> Kursen, in denen soziale<br />

Kompetenzen verbessert werden sollen. Der Student von heute ist nicht Entdecker<br />

nach Humboldt‘schem Ideal, er ist vielmehr Unternehmer. Er lernt sich<br />

selber <strong>und</strong> sein Wissen um Marktlücken gekonnt in Szene zu setzen <strong>und</strong> dabei<br />

zu profitieren. Selbst wenn Studenten unternehmerisch handeln: universitäre<br />

Bildung braucht <strong>Werte</strong>, <strong>und</strong> diese können nur aus <strong>Erfahrungen</strong> entstehen. Um<br />

diese sammeln zu können, braucht es Professoren, die die Studenten aus ihrer<br />

Komfortzone holen <strong>und</strong> aus Fehlern lernen lassen. Ein vermehrter Austausch<br />

zwischen akademischen Disziplinen könnte ein Anfang sein, um alleine die unterschiedlichen<br />

Perspektiven auf den Nutzen eines <strong>Studiums</strong> kennenzulernen<br />

<strong>und</strong> um für sich selber zu entscheiden, welche <strong>Werte</strong> man aus seiner Studienzeit<br />

mitnehmen möchte.<br />

„Ich gelobe“<br />

von Lena Sophie Franke,<br />

Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Steiermark<br />

36<br />

37


„Sie wollen also versprechen: Die Kenntnisse <strong>und</strong> Fähigkeiten, die Sie erworben<br />

haben, zu pflegen <strong>und</strong> ständig durch Fortbildung zu erweitern <strong>und</strong> zu<br />

verbessern, der Wissenschaft zu dienen, deren Ziele zu fördern <strong>und</strong> dadurch<br />

verantwortlich zur Lösung der Probleme der menschlichen Gesellschaft <strong>und</strong><br />

deren gedeihlicher Weiterentwicklung beizutragen, nach Wahrheit zu streben<br />

<strong>und</strong> wissenschaftliche Erkenntnisse nicht zu unterdrücken oder zu verfälschen,<br />

Ihr Wissen <strong>und</strong> Können zum Wohle der Menschen ohne Ansehung der Person<br />

einzusetzen, die Menschenwürde <strong>und</strong> die Menschenrechte stets zu achten, Ihre<br />

beruflichen Pflichten mit gleicher Menschlichkeit gegen alle auszuüben <strong>und</strong><br />

weder eigenen Schwächen noch äußerem Druck oder Drohung nachzugeben,<br />

der Karl-Franzens-Universität Graz in Treue verb<strong>und</strong>en zu bleiben <strong>und</strong> sich <strong>des</strong><br />

verliehenen akademischen Gra<strong>des</strong> in Leben <strong>und</strong> Beruf würdig zu erweisen.“<br />

Dieses Versprechen geben die Absolventen <strong>und</strong> Absolventinnen der Karl-<br />

Franzens-Universität Graz be<strong>im</strong> akademischen Festakt nach Beendigung ihres<br />

<strong>Studiums</strong>. In der Formel ist neben den fachlichen Kenntnissen, die gepflegt<br />

<strong>und</strong> gefördert werden sollen, auch die Rede von Verantwortung, Streben nach<br />

Wahrheit, dem Wohl der Menschen, der Menschenwürde, den Menschenrechten<br />

<strong>und</strong> der Gleichheit aller Menschen. Be<strong>im</strong> genaueren Lesen dieser Zeilen<br />

entdeckt man auch <strong>Werte</strong> wie Respekt, Toleranz, Freiheit <strong>und</strong> Solidarität, die<br />

zu verfolgen von den JungakademikerInnen feierlich versprochen wird. Die Formulierung<br />

dieses Gelöbnisses zeigt ganz deutlich, dass die Universitäten ihre<br />

Aufgabe nicht nur darin sehen, eine f<strong>und</strong>ierte fachliche Ausbildung, sondern<br />

auch umfassende, „wert-volle“ Bildung zu vermitteln. Die Absolvierung eines<br />

<strong>Studiums</strong> erschöpft sich in diesem Sinne nicht <strong>im</strong> Erlernen <strong>und</strong> der Vertiefung<br />

von wissenschaftlichen Inhalten, sondern verfolgt zudem die Vermittlung <strong>und</strong><br />

Einübung akademischer <strong>und</strong> allgemein ethischer Gr<strong>und</strong>werte.<br />

Doch werden die Universitäten heute ihrem Selbstverständnis als Institutionen,<br />

die ganzheitliche Bildung, also auch ethische Gr<strong>und</strong>werte, sichern,<br />

überhaupt noch gerecht? Oder geht der Versuch, den Spagat zwischen einer<br />

anforderungsgerechten Berufsausbildung <strong>und</strong> einer wertbezogenen, humanistischen<br />

Bildung schaffen zu wollen, zugunsten <strong>des</strong> Arbeitsmarktes aus? Kern<br />

all dieser Fragestellungen ist demnach, ob <strong>und</strong> wenn ja, auf welche Art <strong>und</strong><br />

Weise an den Universitäten gesellschaftliche Gr<strong>und</strong>werte vermittelt werden. Als<br />

gesellschaftliche Gr<strong>und</strong>werte sind in diesem Fall all die elementaren Ideale anzusehen,<br />

nach denen Menschen ihr Leben ausrichten <strong>und</strong> die die Gr<strong>und</strong>pfeiler<br />

<strong>des</strong> menschlichen Zusammenlebens bilden.<br />

Bereits ein Blick in die verschiedenen Studienrichtungen zeigt, dass nicht<br />

überall zentrale soziale <strong>Werte</strong> die gleiche Rolle spielen. Im Studium der Rechts-<br />

wissenschaften schwingt<br />

die Frage nach Gr<strong>und</strong>werten,<br />

zumin<strong>des</strong>t <strong>im</strong> Hintergr<strong>und</strong>,<br />

<strong>im</strong>mer mit. Die<br />

Rechtsordnung kann als<br />

Sammlung aller Regeln<br />

<strong>des</strong> gesellschaftlichen Zusammenlebens<br />

aufgefasst<br />

werden, die ein friedvolles<br />

Miteinander gewährleisten<br />

sollen. Das bedeutet, dass<br />

die gelebten <strong>Werte</strong> einer<br />

Gesellschaft, also ihre<br />

moralischen Gr<strong>und</strong>sätze,<br />

in normhafte Form gegossen<br />

werden. Bei der intensiven<br />

Auseinandersetzung<br />

mit rechtlichen Belangen<br />

muss daher zwangsläufig<br />

eine Betrachtung der dahinterstehenden<br />

Prinzipien<br />

erfolgen. Dabei handelt<br />

es sich um jene bereits<br />

Im Angesicht dieser<br />

Tatsache, nämlich,<br />

dass größeres Wissen<br />

auch größere Verantwortung<br />

mit sich bringt,<br />

kommt die Beschäftigung<br />

mit ethischen<br />

Gr<strong>und</strong>werten abseits<br />

<strong>des</strong> spezifisch fachlichen<br />

Gebietes, in den<br />

Curricula der Universitäten<br />

noch zu kurz.<br />

angesprochenen Gr<strong>und</strong>werte der Gesellschaft, wie Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Respekt,<br />

die unserer Rechtsordnung <strong>im</strong>manent sind. Das Studium der Rechtswissenschaften<br />

verlangt folglich eine tiefgehende Befassung mit Bereichen der<br />

Ethik. Diesem Bedürfnis wird auch durch entsprechende Lehrveranstaltungen<br />

Rechnung getragen.<br />

Ganz egal, welche Studienwahl getroffen oder welcher Wissenschaftszweig<br />

gewählt wurde, je weiter <strong>und</strong> intensiver man in die Materie eindringt, <strong>des</strong>to<br />

drängender wird oft die Frage nach der Moral. Um mit solchen kritischen Situationen<br />

reflektiert <strong>und</strong> verantwortungsbewusst umgehen zu können, ist eine<br />

gefestigte Gr<strong>und</strong>einstellung mit hohen Wertansprüchen notwendig. Dieser hohe<br />

Wertmaßstab ist Produkt <strong>und</strong> auch Teil der wissenschaftlichen Betätigung.<br />

Ein abgeschlossenes Universitätsstudium ist der in Österreich höchste zu erreichende<br />

Bildungsgrad. Diejenigen, die sich auf das Wagnis eines <strong>Studiums</strong><br />

einlassen, sollen später gesellschaftliche Schlüsselrollen einnehmen, sollen<br />

Denker, Forscher <strong>und</strong> Vorreiter sein. Sie sollen diejenigen sein, die die Weiter-<br />

38<br />

39


entwicklung einer Gesellschaft formen <strong>und</strong> lenken können. Ihre Aufgabe wird es<br />

sein, zu entscheiden, welche <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> ethische Gr<strong>und</strong>sätze als gut <strong>und</strong> wichtig<br />

gewahrt werden sollen <strong>und</strong> was verändert werden muss. Im Angesicht dieser<br />

Tatsache, nämlich, dass größeres Wissen auch größere Verantwortung mit sich<br />

bringt, kommt die Beschäftigung mit ethischen Gr<strong>und</strong>werten abseits <strong>des</strong> spezifisch<br />

fachlichen Gebietes, in den Curricula der Universitäten noch zu kurz. Diese<br />

Lücke zu schließen, ist oft der Eigeninitiative der Studierenden überlassen.<br />

Aus Lehrveranstaltungen alleine können <strong>Werte</strong> nicht vermittelt werden. <strong>Werte</strong><br />

zieht man auch aus <strong>Erfahrungen</strong>, also aus „wert-vollen“ Erlebnissen, die prägend<br />

für die persönliche Weiterentwicklung sind. Durch <strong>Erfahrungen</strong> wird die<br />

eigene Wertordnung stetig verändert <strong>und</strong> bereichert. Einem interessierten <strong>und</strong><br />

engagierten Studierenden bietet sich eine Vielzahl an Möglichkeiten <strong>Erfahrungen</strong><br />

zu machen, wodurch <strong>Werte</strong> vermittelt werden, die über das hinausgehen,<br />

was <strong>im</strong> Rahmen der jeweiligen fachlich-wissenschaftlichen Inhalte gelehrt wird.<br />

Damit einher geht natürlich auch das „Risiko“, über den Tellerrand <strong>des</strong> eigenen<br />

<strong>Studiums</strong> hinauszuschauen. Dieses Wagnis wird aber durch die Entwicklung<br />

eines vernetzten, interdisziplinären Denkens mehr als belohnt. Die Ermutigung,<br />

sich auf ein solches Exper<strong>im</strong>ent einzulassen, ist unbedingt förderungswürdig,<br />

denn mit Hilfe einer verknüpften <strong>und</strong> weitsichtigen Herangehensweise lassen<br />

sich kommende Herausforderungen besser <strong>und</strong> nachhaltiger bewältigen als<br />

durch rein fachspezifische Zugänge.<br />

Um das oben zitierte Versprechen wahrhaft abgeben zu können, sind also<br />

Eigeninitiative <strong>und</strong> eigene <strong>Erfahrungen</strong> nötig, aber auch ein noch größeres Augenmerk<br />

auf die Vermittlung von <strong>Werte</strong>n <strong>im</strong> Studium. Dass ein großer Fokus auf<br />

die Sicherung <strong>und</strong> Weitergabe ethischer Gr<strong>und</strong>sätze nötig ist, steht somit unzweifelhaft<br />

fest. Die Anforderungen an zukünftige Generationen werden <strong>im</strong>mer<br />

höher. Einerseits sind die bereits angesprochenen interdisziplinären Ansätze zur<br />

Problemlösung <strong>im</strong>mer gefragter, andererseits drängen sich auch <strong>im</strong>mer schwieriger<br />

zu beantwortende Fragen zu ethisch-kritischen Situationen auf. Gerade<br />

Absolventen <strong>und</strong> Absolventinnen einer Universität sind insofern angehalten,<br />

derartigen Problemstellungen mit dem nötigen „Rüstzeug“ zu begegnen <strong>und</strong><br />

verantwortungsvolle, nachhaltige <strong>und</strong> weitsichtige Lösungen herbeizuführen. Es<br />

ist also als Aufforderung an die Universitäten als auch an Studierende selbst zu<br />

sehen, den Status quo weiter auszubauen. Die Vermittlung von <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> das<br />

Ermöglichen von <strong>Erfahrungen</strong> müssen <strong>im</strong> Studium einen größeren Stellenwert<br />

einnehmen, um den Anforderungen einer sich wandelnden Gesellschaft gerecht<br />

zu werden.<br />

Arbeitslose Akademiker,<br />

der Sinn eines <strong>Studiums</strong><br />

<strong>und</strong> die Kompetenz der<br />

Reflexionsfähigkeit<br />

von Margit Perko,<br />

Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Steiermark<br />

40<br />

41


Der österreichische Wissenschaftsminister stellt den Stipendiaten <strong>des</strong> Europäischen<br />

Forums Alpbach 2013 in diesem Essaywettbewerb zum Thema „<strong>Erfahrungen</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong>“ unter anderem die Frage, ob<br />

unsere Universitäten die ethischen Gr<strong>und</strong>werte sichern. Aus meiner Sicht ist<br />

die Antwort auf diese Frage ein klares „Nein“. Diese Aufgabe können Universitäten<br />

nicht erfüllen, auch nicht die besten. Wie ich zu dieser Aussage komme<br />

<strong>und</strong> warum ein Studium auf individueller <strong>und</strong> gesellschaftlicher Ebene trotzdem<br />

vorteilhaft in Bezug auf <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> sein kann, möchte ich <strong>im</strong><br />

Folgenden ausführen.<br />

Zunächst einige Anmerkungen zur Klärung der Begriffe<br />

„Erfahrung“ <strong>und</strong> „<strong>Werte</strong>“.<br />

Erfahrung<br />

Eine Erfahrung ist mehr als ein Erlebnis. Eine Erfahrung ist ein Erlebnis, aus<br />

dem Schlüsse gezogen <strong>und</strong> etwas gelernt wurde. Wenn man etwas erlebt hat,<br />

ohne daraus irgendetwas zu lernen, kann man eigentlich nicht von einer Erfahrung<br />

sprechen. Daraus folgt, dass man auf zwei Arten wenig <strong>Erfahrungen</strong> haben<br />

kann: Zum einen, indem man bislang wenig erlebt hat, <strong>und</strong> zum anderen, indem<br />

man das Erlebte nicht durch Reflexion zur Erfahrung gemacht hat.<br />

Welche Arten von Lernen sind <strong>im</strong> Rahmen einer Erfahrung möglich? Man kann<br />

lernen,<br />

(a) etwas nicht mehr zu machen,<br />

(b) etwas in Zukunft völlig anders zu machen,<br />

(c) etwas künftig besser zu machen; man kann lernen,<br />

(d) Dinge anders zu beurteilen, weil man Zusammenhänge jetzt anders/besser<br />

versteht, man kann<br />

(e) eigene <strong>Werte</strong> ändern oder zumin<strong>des</strong>t modifizieren <strong>und</strong> man kann sich<br />

(f) in den eigenen <strong>Werte</strong>n bestätigt fühlen. Die ersten drei Lehren <strong>im</strong> Rahmen<br />

einer Erfahrung kann man als Lehren für das Handeln zusammenfassen, während<br />

die letzen drei Lehren Lehren für das eigene Weltbild, das Weltverstehen<br />

sind.<br />

<strong>Werte</strong><br />

„Wert“ ist ein vielfältigerer Begriff als „Erfahrung“. Um den Begriff etwas aufzufächern,<br />

seien hier fünf verschiedene Arten von <strong>Werte</strong>n (ethische, moralische,<br />

ökonomische, emotionale <strong>und</strong> gesellschaftliche <strong>Werte</strong>) angesprochen, die<br />

allerdings zusammen nicht als Typologie zu verstehen sind, sondern nur als<br />

Anreißen von Aspekten. Moralische <strong>Werte</strong> sind meines Erachtens wichtiger als<br />

ethische <strong>Werte</strong>, weil sie tiefer sitzen <strong>und</strong> <strong>im</strong> Zweifelsfall zuverlässiger sind.<br />

Wenn ein einzelner Mensch handelt, kommen eher moralische <strong>Werte</strong> zum Zuge<br />

als ethische Überlegungen. So wichtig die Ethik als Wissenschaft über die Moral<br />

für eine Gesellschaft ist, glaube ich doch, dass es vor allem die moralischen<br />

<strong>Werte</strong> sind, die die Basis für das gesellschaftliche Zusammenleben bilden.<br />

Erschließt die Ethik neue <strong>Werte</strong> (wie z.B. die Idee der Menschenrechte), so<br />

muss das Ziel dennoch die Verinnerlichung der <strong>Werte</strong> als moralische <strong>Werte</strong> <strong>des</strong><br />

Einzelnen sein. Nur so können sie voll zum Tragen kommen <strong>und</strong> sich wirklich<br />

etablieren.<br />

Auch wenn häufig ein (angeblicher) <strong>Werte</strong>verfall beklagt wird, sehe ich <strong>im</strong><br />

Großen doch eine erhöhte moralische Sensibilität der Menschheit als zu früheren<br />

Zeiten. Nicht überall <strong>und</strong> ohne Rückschläge, aber insgesamt sind die<br />

Ansprüche an moralisch richtiges Verhalten heute höher denn je (vlg. z.B. die<br />

Konzepte der Nachhaltigkeit <strong>und</strong> die Idee der Tierrechte).<br />

Ein moralischer Wert ist meines Erachtens allerdings nur dann wirklich als<br />

ein echter Wert einer Person anzusehen, wenn die Person bereit ist, sich anzustrengen,<br />

um den Wert zu erreichen (oder ihm zumin<strong>des</strong>t näher zu kommen).<br />

Und wenn eine Person <strong>im</strong> Konfliktfall zu Verzicht <strong>und</strong> zur Einschränkung (bei<br />

anderen Dingen/<strong>Werte</strong>n) bereit ist, um in Einklang mit diesem Wert zu leben.<br />

<strong>Werte</strong> müssen nämlich gelebt <strong>und</strong> verkörpert werden. Und zwar nicht nur dann,<br />

wenn es gerade einfach ist, sondern auch <strong>und</strong> gerade, wenn es einmal schwierig<br />

ist. Schönwetterwerte, die nur befolgt werden, wenn es einfach ist, sind meines<br />

Erachtens <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e keine echten (= gelebte) <strong>Werte</strong>. Nichts<strong>des</strong>totrotz beginnt<br />

die Entwicklung neuer <strong>Werte</strong> oft mit der bloßen Proklamation von <strong>Werte</strong>n, die<br />

erst nach <strong>und</strong> nach zu gelebten <strong>Werte</strong>n werden (können). Insofern ist auch das<br />

bloße Proklamieren von <strong>Werte</strong>n schon ein wichtiger Teil der Entwicklung der<br />

gesellschaftlichen <strong>und</strong> persönlichen Moral.<br />

Analytisch muss man natürlich auch zwischen moralischen <strong>und</strong> ökonomischen<br />

<strong>Werte</strong>n unterscheiden (auch wenn manche das gleichsetzen mögen, weil<br />

ihr wichtigster moralischer Wert der ökonomische Erfolg ist.).<br />

Es gibt auch einen emotionalen Wert. Ein Wert, der weder moralisch noch<br />

ökonomisch begründet ist, sondern nur (oder hauptsächlich) auf unseren Gefühlen<br />

beruht. Eine Person, die wir lieben, ist uns schließlich nicht aus ökonomischen<br />

oder moralischen Gründen viel wert.<br />

Eine fünfte Art von <strong>Werte</strong>n (den anderen gleichsam übergeordnet) sind die<br />

gesellschaftlichen <strong>Werte</strong>. Also jene <strong>Werte</strong>, die von einem großen Teil der Gesellschaft<br />

geteilt <strong>und</strong> bejaht werden. Sie sind sowohl für die Konstruktion eines<br />

42<br />

43


politischen Systems als auch für politische, gesellschaftliche <strong>und</strong> persönliche<br />

Entscheidungen von großer Bedeutung. Daher ist auch der (<strong>im</strong>mer wieder neu<br />

zu führende) Diskus über gesellschaftliche <strong>Werte</strong> sehr zentral für jede Gesellschaft.<br />

Die Entscheidungen <strong>des</strong> Einzelnen betreffen nämlich in ihren Folgen<br />

häufig auch viele andere Menschen. Daher ist eine Verhandlung über gesellschaftliche<br />

<strong>Werte</strong>, an die sich der Einzelne in dieser Gesellschaft halten sollte,<br />

<strong>im</strong>mer wieder wichtig <strong>und</strong> keinesfalls eine obsolete Aktivität für religiöse Eiferer<br />

<strong>und</strong> sonstige Moralapostel. Moral geht alle an.<br />

Wert eines <strong>Studiums</strong>, Studium <strong>und</strong> Erfahrung<br />

Wie ist es nun um die Relevanz <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> <strong>im</strong> Hinblick auf Erfahrung <strong>und</strong><br />

die verschiedenen Kategorien von <strong>Werte</strong>n bestellt?<br />

Zunächst zum ökonomischen Wert eines <strong>Studiums</strong>. Zumin<strong>des</strong>t theoretisch<br />

bringt ein tertiärer Bildungsabschluss höhere Chancen auf beruflichen Erfolg<br />

<strong>und</strong> ein überdurchschnittliches Einkommen. In der Praxis erleben heute aber<br />

viele Akademiker, dass ein Studium keine Garantie für irgendetwas ist (war es<br />

wahrscheinlich nie, aber die Entwicklung scheint sich doch verstärkt zu haben).<br />

In Südeuropa, China aber durchaus auch <strong>im</strong> deutsprachigen Raum gibt es viele<br />

junge Menschen, die trotz (<strong>und</strong> teilweise sogar wegen) ihres <strong>Studiums</strong> keine<br />

Arbeitsstelle finden. Und jene, die Arbeit finden, arbeiten teilweise für Gehälter<br />

um die 1000 Euro <strong>und</strong> darunter. Es gibt Stellenanzeigen für unbezahlte<br />

Praktika, die einen Studienabschluss, mehrere Sprachen fließend, Berufs- <strong>und</strong><br />

Auslandserfahrung sowie diverse Kompetenzen voraussetzen. Und nicht wenige<br />

von diesen Anzeigen tragen den Vermerk, dass überhaupt nur „short listed candidates“<br />

kontaktiert werden. Selbst für diese unbezahlten Vollzeitpraktika über<br />

mehrere Monate geht also eine Flut von Bewerbungen ein. Der ökonomische<br />

Wert eines <strong>Studiums</strong> ist für den Einzelnen also mitunter durchaus fragwürdig.<br />

Insbesondere abseits der technischen Studienfächer.<br />

Der moralische Wert eines <strong>Studiums</strong> ist meines Erachtens <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

zu vernachlässigen. Ich habe durch mein Studium keinen Wert erworben, den<br />

ich nicht schon vorher gehabt hätte. Selbst die wissenschaftliche Redlichkeit<br />

hatte ich <strong>im</strong> Prinzip schon vor meinem Studium verinnerlicht. Ich glaube daher<br />

nicht, dass ein Studium geeignet ist, irgendwelche <strong>Werte</strong> zu vermitteln. Insbesondere<br />

nicht über die wissenschaftlichen <strong>Werte</strong> hinausgehend. (Wobei selbst<br />

in Bezug auf diese kein Automatismus besteht, wie Fälle wie jener <strong>des</strong> ehemaligen<br />

deutschen Verteidigungsministers zu Guttenberg sowie zahlreiche andere<br />

Beispiele für Betrug in der Wissenschaft leider eindrücklich beweisen.) Die<br />

moralische Sozialisation <strong>und</strong> Selbstgestaltung findet meines Erachtens pr<strong>im</strong>är<br />

Der moralische Wert<br />

eines <strong>Studiums</strong> ist<br />

meines Erachtens <strong>im</strong><br />

Wesentlichen zu<br />

vernachlässigen.<br />

in früheren Lebensphasen<br />

statt. Nur in Ausnahmefällen<br />

wird dabei ein Studium<br />

einen Einfluss haben.<br />

Recht unzweifelhaft<br />

dürfte dagegen der gesellschaftliche<br />

Wert eines <strong>Studiums</strong><br />

sein. Eine Wissensgesellschaft<br />

braucht für ihr<br />

Bestehen <strong>und</strong> ihre Weiterentwicklung<br />

entsprechend<br />

qualifizierte Wissensarbeiter. (Was allerdings – wie schon angesprochen – beileibe<br />

keine Garantie für den Einzelnen ist, dass er/sie nach seinem Studium zu<br />

denen gehört, die tatsächlich gewollt <strong>und</strong> gebraucht werden.)<br />

Was noch bleibt, ist der emotionale Wert <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong>, der für viele recht<br />

hoch sein dürfte. Jedenfalls war <strong>und</strong> ist er das für mich. Der emotionale Wert<br />

<strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> hängt dabei eng mit den <strong>Erfahrungen</strong> zusammen, die man <strong>im</strong><br />

Studium gemacht hat, denke ich. Ich mochte mein Studium sehr <strong>und</strong> bin froh,<br />

es absolviert zu haben. Allerdings ist es für mich bislang nicht wirklich nützlich.<br />

Im Gegenteil, wahrscheinlich wäre ich heute schon viel weiter, wenn ich<br />

nicht studiert hätte. Wenn man nach dem Studium die Erfahrung macht, dass<br />

man mit allen Kompetenzen <strong>und</strong> all dem Wissen am Arbeitsmarkt erstmal nicht<br />

gebraucht wird (sei es auf Gr<strong>und</strong> von mangelnder Berufserfahrung oder irgendwelchen<br />

anderen Gründen), relativiert das den Wert <strong>des</strong> eigenen <strong>Studiums</strong> doch<br />

recht deutlich. Auch den emotionalen Wert.<br />

Was die <strong>Erfahrungen</strong> <strong>im</strong> Rahmen eines <strong>Studiums</strong> angeht, kann man festhalten,<br />

dass ein Studium nicht automatisch umfangreiche <strong>Erfahrungen</strong> oder<br />

auch nur Erlebnisse mit sich bringt. Gerade bei übervollen St<strong>und</strong>enplänen können<br />

Erlebnisse außerhalb <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> sowie die Reflexion (<strong>und</strong> damit die<br />

Erfahrung) <strong>im</strong> Studium zu kurz kommen. Auslandssemester <strong>und</strong> Exkursionen<br />

bieten höheres „Erfahrungspotential“. Die Gleichung „Studium = Erfahrung“<br />

werden aber mit Recht die wenigsten aufstellen wollen.<br />

These<br />

Als etwas pess<strong>im</strong>istisches Zwischenfazit lässt sich also konstatieren: Ein Studium<br />

ist weder für den Bereich der Erfahrung noch für den Bereich der <strong>Werte</strong><br />

sonderlich relevant. Was ist es also, das ein Studium trotzdem zu einer wertvollen<br />

Aktivität macht? Wo liegt neben dem Fachwissen der Wert eines <strong>Studiums</strong>,<br />

44<br />

45


wenn er weder <strong>im</strong> Bereich Erfahrung noch <strong>im</strong> Bereich der moralischen <strong>und</strong><br />

ethischen <strong>Werte</strong> liegt?<br />

Was man durch ein Studium bekommen kann (neben dem Wissen), ist eine<br />

kritische Haltung zu wissenschaftlichen Studien; <strong>und</strong> nicht nur das: eigentlich<br />

geht es sogar um eine gr<strong>und</strong>sätzlich kritische Haltung zur Welt. „Das Gegenteil<br />

ist auch wahr“ ist eine Aussage, die man mit entsprechender Reflexion häufig<br />

bestätigt finden kann. Die Komplexität unserer Welt sorgt dafür. Ich möchte<br />

daher sagen: Der Wert eines <strong>Studiums</strong> liegt pr<strong>im</strong>är in der Reflexionsfähigkeit,<br />

die man <strong>im</strong> Laufe eines <strong>Studiums</strong> erwerben bzw. deutlich ausbauen kann (<strong>und</strong><br />

sollte).<br />

Und diese Reflexionsfähigkeit ist wiederum von größter Bedeutung für den<br />

Umgang mit <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> Erfahrung. Zum einen ermöglicht Reflexionsfähigkeit<br />

einen bewussteren Umgang mit <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> zum anderen erhöht sie die Chance,<br />

neue <strong>Erfahrungen</strong> (wie sie eingangs definiert wurden) zu machen:<br />

Im Bereich der <strong>Werte</strong> schützt Reflexionsfähigkeit vor Fanatismus <strong>und</strong> Extremismus.<br />

Außerdem erlaubt sie es einem, tradierte <strong>Werte</strong> auf den Prüfstand<br />

zu stellen <strong>und</strong> sie entweder zu verwerfen oder durch Reflexion zu den eigenen<br />

<strong>Werte</strong>n zu machen, weil man sie nach kritischer Prüfung für gut bef<strong>und</strong>en hat.<br />

Im Bereich der Erfahrung ist Reflexionsfähigkeit der zentrale Schlüssel, um<br />

aus Erlebnissen Lehren zu ziehen <strong>und</strong> sie auf diese Weise zu <strong>Erfahrungen</strong> zu<br />

machen.<br />

All das geht natürlich auch ohne Studium. Nicht allerdings ohne Nachdenken.<br />

Und das Nachdenken <strong>und</strong> die Reflexionsfähigkeit fördert ein Studium <strong>im</strong><br />

Normalfall beträchtlich. Daher kann ein Studium für <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong><br />

doch relevanter sein als es auf den ersten <strong>und</strong> auch noch auf den zweiten Blick<br />

erscheinen mag.<br />

Salzburg, 29. Juli 2013<br />

„Es werde Licht!“<br />

von Maria Anegg,<br />

Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Tirol<br />

46<br />

47


Seit dem Wintersemester 2009 bin ich als Studentin Teil der Universität Innsbruck,<br />

aber bin ich auch ein wichtiger Teil? Haben ich <strong>und</strong> meine vielen Arbeiten<br />

<strong>und</strong> Gedanken zum <strong>und</strong> über das Studium einen Stellenwert? Mit dieser<br />

Möglichkeit, meine Gedanken öffentlich zu machen <strong>und</strong> zu teilen, erfahre ich<br />

in meiner Person <strong>und</strong> meinem Denken Wert. Diesen Wert vermisse ich in der<br />

medialen Wahrnehmung der Universität, in den Pflichtpraktikumsstellen, unter<br />

meinen StudienkollegInnen <strong>und</strong> an der Universität selbst.<br />

Überfüllte Hörsäle, wochenlanges Warten auf Prüfungsergebnisse, mangelnder<br />

Informationsfluss zwischen StudentInnen <strong>und</strong> ProfessorInnen, Zittern<br />

um Seminarplätze – ich kämpfe darum einen wertvollen Platz einzunehmen<br />

– einen Kampf, den ich mir so nicht vorgestellt hatte, mit dem ich aber schon<br />

früh Erfahrung machte: Ganz frisch auf der Universität angekommen, motiviert<br />

<strong>und</strong> offen für das viele Neue, fand ich mich in einem Seminarraum wieder,<br />

dicht gedrängt mit meinen MitstudentInnen, die sich aber als MitkonkurrentInnen<br />

herausstellen sollten. Die damals noch völlig ungewohnte Situation ist mir<br />

leider nun sehr vertraut, weil sie sich als Seminarplatzvergabe am Anfang je<strong>des</strong><br />

Semesters wiederholt. Meinen ersten Seminarplatz bekam ich durch das Ziehen<br />

eines Loses. Ich zog das heiß begehrte Los <strong>und</strong> wurde mit folgenden Worten <strong>im</strong><br />

Seminar begrüßt: „Gratuliere, Sie gehören zu den Glücklichen, die einen Seminarplatz<br />

ergattern konnten.“ Dass mir gratuliert wurde, weil ich einen „Platz<br />

ergattern“ konnte – obwohl ich doch schon ein Aufnahmeverfahren bestanden<br />

hatte, hat mich befremdet <strong>und</strong> gibt mir noch heute zu denken.<br />

Worum geht es nun an der Universität? Geht es darum einen „Platz zu<br />

ergattern“ oder einen wertvollen Platz einzunehmen <strong>und</strong> zu behalten? Welchen<br />

Stellenwert habe ich als Studentin? Bekomme ich diesen oder muss ich mir diesen<br />

erkämpfen? Während meiner acht Jahre Gymnasium habe ich die Universität<br />

stets mit hohen <strong>Werte</strong>n verb<strong>und</strong>en. Sie stand für mich als die Instanz der<br />

Wissensvermittlung <strong>und</strong> so habe ich dieses große Ziel angestrebt <strong>und</strong> viel dafür<br />

getan. In meinem ersten Kampf um Wertvolles erlebte ich gerade an der Universität<br />

Enttäuschung <strong>und</strong> mangelnde Wertschätzung. Aber auch das äußere Bild<br />

entspricht nicht dem, mit welchem ich in meiner schulischen Ausbildung vertraut<br />

gemacht wurde: die Universität als Ort von <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> Wissen. Was trägt<br />

die Universität selbst dazu bei, ihren besonderen Stellenwert zu präsentieren?<br />

Die Universität als die Vermittlerin von Wissen rückt in den Hintergr<strong>und</strong>,<br />

denn die der heutigen Zeit entsprechende Aufmerksamkeit gilt dem Kosten-<br />

Nutzen-Prinzip. Ökonomische Bedingungen, über deren notwendige Sicherung<br />

kein Zweifel besteht, dominieren die öffentliche Wahrnehmung. Mir scheint,<br />

diese Überbetonung verdunkelt das Licht, das <strong>im</strong> Inneren der Universität leuch-<br />

Gratuliere, Sie gehören<br />

zu den Glücklichen,<br />

die einen Seminarplatz<br />

ergattern konnten.“<br />

tet. Bewahrung von Wissen in Kontinuität einer reichen Tradition; Erweiterung<br />

von Wissen durch Lehre <strong>und</strong> Forschung; Überprüfung, Reflexion <strong>und</strong> Integration<br />

so gewonnener Kenntnisse zum Nutzen <strong>und</strong> zum Wohl der Gesellschaft <strong>im</strong><br />

Ganzen: Mein Bild der Universität ist ein leuchten<strong>des</strong>! Ich wünsche mir, meine<br />

Aufgaben als Studentin in diesem Licht zu erfüllen. Ich wünsche mir, in diesem<br />

Licht meinen eigenen Wert als ein nach Wissen <strong>und</strong> Wahrheit strebender Mensch<br />

zu finden. So viele StudentInnen es sind, so viele <strong>Werte</strong> können, sichtbar geworden<br />

durch dieses<br />

Licht, die Universität reflektieren<br />

<strong>und</strong> somit zu<br />

mehr Helligkeit an den<br />

unterschiedlichsten Lebensorten<br />

beitragen.<br />

Auf diese Weise<br />

erhält nicht nur jeder<br />

Mensch für sich, sondern<br />

auch die Universität<br />

durch ihn einen besonderen Stellenwert. Ein solcher kann nicht theoretisch<br />

vermittelt werden, wenn auch die Theorie das eigentliche Anliegen einer Universität<br />

ist. Einen Stellenwert zu haben, wertgeschätzt zu sein, das kann nur<br />

erfahren werden. Die Universität als ein Ort, an dem <strong>Werte</strong> nicht nur gelehrt <strong>und</strong><br />

gelernt, sondern gelebt werden, was braucht es dafür?<br />

Eine Universität, die ihr wertvolles Licht leuchten lässt <strong>und</strong> jungen Menschen<br />

die Möglichkeit gibt, aus dem Schatten zu treten.<br />

Diese Möglichkeiten stellen selbst wieder große <strong>Werte</strong> dar. Um die Möglichkeiten<br />

zu verwerten, was braucht es dafür? Menschen, die freudig motiviert das<br />

tun, was sie lieben <strong>und</strong> lieben, was sie tun, weil sie erfahren, dass sie Wertvolles<br />

tun.<br />

Wertvolles tun aber heißt, sich seines eigenen <strong>Werte</strong>s bewusst zu sein -<br />

Selbstwert zu haben. Selbstwert macht unabhängig <strong>und</strong> eigenständig <strong>und</strong> stellt<br />

so die beste Sicherung dar, in dem uns unabweisbaren Bedürfnis nach einem<br />

„sich in seinen <strong>Werte</strong>gehalten steigernden Leben“.<br />

48<br />

49


Privatheit versus<br />

Sicherheit<br />

von Marie Christine Lumper,<br />

Stipendiatin <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esministeriums für Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Forschung<br />

50<br />

51


Als Absolventin <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> der Rechtswissenschaften bzw. Studentin der<br />

Betriebswirtschaftslehre erscheint mir in diesem Zusammenhang insbesondere<br />

das Lehrprogramm der Universitäten als zentraler Ansatzpunkt. Ursprünglich<br />

stand hierbei die reine Wissensvermittlung <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong>. So rührt der Begriff<br />

Vorlesung beispielsweise aus einer Zeit, in der nicht jeder Student grenzenlosen<br />

Zugang zu Wissen hatte, sondern vielmehr auf das Vorlesen der Dozenten<br />

aus unterschiedlichsten Werken angewiesen war. Insbesondere aber durch die<br />

rasante Entwicklung der Informationstechnologien erfolgte eine beträchtliche<br />

Ausweitung <strong>des</strong> Spielraums für den Umgang mit Wissen <strong>und</strong> Information. In der<br />

Folge begründen heutzutage das Beschaffen von bloßem Wissen auf Gr<strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>im</strong>mensen Bestan<strong>des</strong> an einschlägiger Fachliteratur der verschiedensten Disziplinen<br />

<strong>und</strong> <strong>des</strong>sen (relativ) barrierefreier Zugang keine erheblichen Probleme<br />

mehr. Dafür ergeben sich aus dieser Vielfalt an Möglichkeiten aber ganz andere<br />

Fragestellungen. Ein diesbezüglicher Problemkreis, dem sich Universitäten in<br />

den letzten Jahren verstärkt gewidmet haben, ist jener der Plagiate. Insbesondere<br />

durch Plagiatsprüfungen mit Hilfe von Software-Programmen versuchen<br />

Universitäten das eigenständige Verfassen von wissenschaftlichen Arbeiten sicherzustellen.<br />

Es gilt aber in diesem Zusammenhang viel früher anzusetzen.<br />

Das Lehrprogramm von Universitäten sollte heutzutage in Ergänzung zur bloßen<br />

Wissensvermittlung ihren Studierenden präventiv ein vielfältiges Angebot<br />

an Lehrveranstaltungen bieten, das Studierende dazu anregt, einen verantwortungsbewussten<br />

Umgang mit technologischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Entwicklungen<br />

zu pflegen. Als Beispiel hierfür kann die <strong>im</strong> Sommersemester 2013<br />

an der Sozial- <strong>und</strong> Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-<br />

Universität Graz abgehaltene Lehrveranstaltung „Informationswissenschaft“<br />

angeführt werden, die als zentrales Thema den ethischen Umgang mit Wissen<br />

<strong>und</strong> Information behandelte. Unter anderem wurden Fragestellungen in Bezug<br />

auf den Themenkreis „Privatheit versus Sicherheit“ erarbeitet, wobei die Aktualität<br />

diesbezüglicher Problemstellungen wohl kaum zu überbieten ist (vgl.<br />

Spionageprogramm der National Security Agency). Zwar sind Einschränkungen<br />

der Privatsphäre unter best<strong>im</strong>mten rechtlichen Voraussetzungen hinzunehmen,<br />

diese sind aber insbesondere dann kritisch zu hinterfragen, wenn beispielsweise<br />

dem Sicherheitsinteresse ein höherer Stellenwert in der <strong>Werte</strong>skala zukommt<br />

als der Privatheit. In diesem Zusammenhang spielt die insbesondere von den<br />

Vorkommnissen <strong>des</strong> 11. September 2001 beeinflusste Umkehrung in der <strong>Werte</strong>hierarchie<br />

eine wesentliche Rolle. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die<br />

(un-)freiwillige Aufgabe von Privatheit nicht nur eine Gefahr für die Vorstellung<br />

autonomer Rechtssubjekte darstellt, sondern auch für das Konzept liberaler<br />

Festzuhalten ist an<br />

dieser Stelle, dass die<br />

(un-)freiwillige Aufgabe<br />

von Privatheit nicht<br />

nur eine Gefahr für die<br />

Vorstellung autonomer<br />

Rechtssubjekte darstellt,<br />

sondern auch für<br />

das Konzept liberaler<br />

Demokratie, das ein<br />

enormes Interesse an<br />

der Selbstbest<strong>im</strong>mung<br />

ihrer Rechtssubjekte<br />

hegt.<br />

Demokratie, das ein enormes<br />

Interesse an der<br />

Selbstbest<strong>im</strong>mung ihrer<br />

Rechtssubjekte hegt.<br />

Es zeigt sich daraus die<br />

erhebliche Reichweite<br />

einer Erosion gr<strong>und</strong>legender<br />

<strong>Werte</strong>, weswegen die<br />

Vermittlung <strong>und</strong> Förderung<br />

einer aktiven Auseinandersetzung<br />

mit den<br />

gesellschaftlichen Wertvorstellungen<br />

als unumgänglich<br />

erscheint. 1<br />

Darüber hinaus sollten<br />

Kurse <strong>und</strong> Seminare,<br />

die einen Einblick in die<br />

Praxis bieten, an dieser<br />

Stelle Erwähnung finden.<br />

Diese geben den Studierenden<br />

frühzeitig die für<br />

ihren späteren beruflichen<br />

Werdegang notwendigen<br />

praktischen <strong>Erfahrungen</strong><br />

mit. Stellenanzeigen verlangen<br />

regelmäßig einschlägige<br />

berufliche <strong>Erfahrungen</strong>,<br />

wobei es für Studierende bzw. junge Absolventen gerade <strong>des</strong>wegen<br />

nicht <strong>im</strong>mer leicht ist, in die Berufswelt einzusteigen. Ein Praxisbezug <strong>im</strong> Rahmen<br />

von Lehrveranstaltungen, der etwa durch Exkursionen hergestellt werden<br />

könnte, bietet die Möglichkeit eines ersten unverbindlichen Einblicks <strong>und</strong> kann<br />

auch als Gr<strong>und</strong>lage zusätzlicher Lernmotivation dienen. Außerdem besteht <strong>im</strong><br />

Rahmen einschlägiger Lehrveranstaltungen die Möglichkeit, über die Universität<br />

bzw. ihr Netzwerk den Kontakt zu Arbeitgebern herzustellen <strong>und</strong> sich so<br />

1<br />

Ausführlich dazu Kuhlen: Informationsethik. Umgang mit Wissen <strong>und</strong> Information in<br />

elektronischen Räumen (2004).<br />

52<br />

53


einen Praktikumsplatz zu sichern. Derartige berufsorientierte Praktika können<br />

unter gewissen Voraussetzungen auch als Lehrveranstaltungen angerechnet<br />

werden <strong>und</strong> so ein schnelleres Fortkommen <strong>im</strong> Studium ermöglichen.<br />

In Summe zeigt sich, dass sich die Universitäten an den Anforderungen<br />

der heutigen Zeit orientieren <strong>und</strong> ihr Angebot dementsprechend anpassen. Der<br />

Schwerpunkt <strong>des</strong> Bildungsauftrags der österreichischen Hochschulen scheint<br />

sich von der Wissensvermittlung hin zu einem nachhaltigen Umgang mit Wissen<br />

zu verlagern, wobei in diesem Zusammenhang auch die Diskussion <strong>und</strong> Reflexion<br />

der Wertvorstellungen unserer Gesellschaft Berücksichtigung finden.<br />

Fragen, die<br />

eine Gesellschaft<br />

nicht stellt.<br />

von S<strong>im</strong>one Pesendorfer,<br />

Stipendiatin der Initiativgruppe Alpbach Wien<br />

54<br />

55


Um der Frage nach <strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> entsprechend<br />

nachgehen zu können, möchte ich den Hintergr<strong>und</strong> ausleuchten, vor<br />

dem ich meine Überlegungen entfalten werde. Wenn von der Vermittlung von<br />

<strong>Werte</strong>n die Rede ist, so scheint es mir, der Irrtum habe sich eingeschlichen, sie<br />

seien etwas, das wie ein fester Gegenstand von Hand zu Hand weiterzureichen<br />

sei. Diese Form von genealogischer Weiter-Gabe innerhalb einer Generation/<br />

Volksgemeinschaft/Glaubensgemeinschaft ist für unsere Zeit zerbrochen <strong>und</strong><br />

nicht mehr möglich. Daher muss ganz zu Recht die Frage gestellt werden, wie<br />

von einer Weiterführung eines (ethischen) Erbes noch die Rede sein kann, wenn<br />

wir mittlerweile beobachten können, dass der <strong>Werte</strong>konsens innerhalb unserer<br />

Gesellschaft von Mal zu Mal geringer wird.<br />

Hochschulen <strong>und</strong> Universitäten sind Teil <strong>des</strong> öffentlichen Lebens, daher<br />

lohnt es sich, die Gründungsintention, welche diese Institutionen durchwebt,<br />

<strong>im</strong> Hinterkopf zu bewahren. Der Anspruch, der – damals wie heute – an sie ergeht,<br />

nämlich, ein Aufklärungsprojekt, sprich ein Ort <strong>des</strong> Mündig-Werdens, der<br />

Reflexion <strong>und</strong> Wissenschaft zu sein, beinhaltet zuallererst, der Platz zu sein, wo<br />

ein Diskurs über die Themen <strong>und</strong> Probleme, welche eine Gesellschaft bewegen<br />

<strong>und</strong> konstituieren, stattfinden muss.<br />

Darum denke ich, greift es viel zu kurz, wenn man von einer bloßen Sicherung<br />

der <strong>Werte</strong> spricht. Darin besteht nicht die pr<strong>im</strong>äre Aufgabe einer Universität,<br />

<strong>im</strong> Sinne einer Wächterpolizei; dieser Aspekt wäre zu wenig radikal<br />

– zumal man Gefahr laufen könnte, <strong>Werte</strong> als etwas verfügbar Gemachtes anzusehen,<br />

das man absichern kann. Es geht um die Offenheit <strong>des</strong> Raumes, in<br />

dem heranwachsende Menschen die Möglichkeit erhalten sollen – jenseits von<br />

Überlegungen der Verwertbarkeit <strong>und</strong> <strong>des</strong> wirtschaftlichen Nutzens – in einen<br />

Diskurs über die Frage, ob es in unserer Gesellschaft überhaupt noch <strong>Werte</strong><br />

<strong>und</strong> Normen gibt, treten zu können. Dies ist der Dienst, den eine Universität an<br />

der Öffentlichkeit, welche sie trägt <strong>und</strong> von der sie etwas erwarten darf, leisten<br />

muss. Ein Studium an solch einer Hochschule beinhaltet für mich die Chance,<br />

<strong>Erfahrungen</strong> zu machen, die in erster Linie meinen Blick <strong>und</strong> mein Denken<br />

weiten, ein unverfälschtes Interesse in mir entfachen <strong>und</strong> mich zu einer f<strong>und</strong>amentalen<br />

Auseinandersetzung mit den Fragestellungen unserer Zeit befähigen.<br />

Ob ein Studium <strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> mit sich bringen kann, hängt doch<br />

essenziell auch von der Frage ab, ob das Studieren an sich wert-voll ist. Ein<br />

Umfeld, in dem kritisches An- <strong>und</strong> Hinterfragen der eigenen Gehalte nie angestrebt<br />

wird, sondern man sich ganz dem Schlagwort der Effizienz verschrieben<br />

hat, wird diese <strong>Erfahrungen</strong> nicht nur nicht hervorbringen – es wird sie auch als<br />

nicht wesentlich bewerten.<br />

Man kann ein Studium<br />

auf zweierlei Arten<br />

durchwandern, wie ich es<br />

selbst auch erlebt – <strong>und</strong><br />

in Fromms Unterscheidung<br />

von Haben oder<br />

Sein 1 , in versprachlichter<br />

Form auf den Punkt<br />

gebracht, gef<strong>und</strong>en habe:<br />

man hört, sammelt, bewahrt<br />

Wissen auf <strong>und</strong> gibt<br />

...einen Diskurs über<br />

die Frage, ob es in<br />

unserer Gesellschaft<br />

überhaupt noch <strong>Werte</strong><br />

<strong>und</strong> Normen gibt.<br />

sich mit der reinen Reproduzierbarkeit <strong>des</strong>sen zufrieden (so wie Fromm Lernen<br />

in der Existenzweise <strong>des</strong> Habens schildert) oder man wird von dem Gehörten<br />

verändert, beginnt Standpunkte zu entwickeln, lässt sich auf neue Denkweisen<br />

<strong>und</strong> Perspektiven ein. Welche <strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> ein Mensch dann für<br />

sich machen <strong>und</strong> ableiten kann, vermag ich nicht vorauszusagen, doch waren<br />

es rückblickend nicht die Fächer, in denen auswendig Gelerntes abgeprüft<br />

wurde, die mir eine wert-volle Erfahrung <strong>im</strong> Rahmen meines eigenen <strong>Studiums</strong><br />

ermöglichten.<br />

Ich selbst studiere Theologie <strong>und</strong> sehe diese nicht als eine Antwort, sondern<br />

als eine Radikalisierung der Frage, ob es <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> in unserer<br />

Gesellschaft überhaupt noch gibt. Ein Gedanke, der <strong>im</strong> Laufe meines <strong>Studiums</strong><br />

an Bedeutung gewann, kreist um die Frage, was der Beitrag einer Theologie<br />

heute sein kann? Der einzelne Mensch, die Universität <strong>und</strong> folglich auch die<br />

Gesellschaft hat dann etwas gewonnen, wenn das, was an einer Hochschule<br />

stattfindet, nicht stets abstrakt bleibt. Die große Aufgabe, vor die ich junge<br />

Menschen wie mich gestellt sehe, ist es, die <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> Traditionen der Generationen<br />

vor uns zu betrachten <strong>und</strong> gepaart mit den eigenen für unsere Zeit<br />

zu interpretieren, deren <strong>Erfahrungen</strong> ernst zu nehmen <strong>und</strong> ihre Fragen neu zu<br />

stellen. Wir müssen nach dem Raum suchen, der es ermöglicht <strong>Erfahrungen</strong><br />

zu machen, wie sie Hegel definiert: als das Verlassen eines Standpunktes <strong>des</strong><br />

Bewusstseins. Wenn von <strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n die Rede ist, muss es, meine<br />

ich, nicht nur darum gehen, nach den vorhanden Fragen neu zu fragen, sondern<br />

auch nach denen, die eine Gesellschaft nicht stellt.<br />

1<br />

Fromm, Erich: Haben oder Sein. Die seelischen Gr<strong>und</strong>lagen einer neuen Gesellschaft,<br />

München39 2012, S. 44-46.<br />

56<br />

57


Juristische Anatomie<br />

von Stefanie Rieder,<br />

Stipendiatin der Initiativgruppe Alpbach Wien<br />

58<br />

59


Sommersemester 2008: Ein Professor fragt Studierende <strong>im</strong> ersten Semester der<br />

Einführungsübung in die Rechtswissenschaft: „Inwiefern ist die eheliche Verpflichtung<br />

zur Mithilfe <strong>im</strong> Haushalt Ausdruck von Remoralisierungstendenzen<br />

<strong>im</strong> Recht?” Wintersemester 2009: Im einsemestrigen Crashkurs Rechtsterminologie<br />

erklärt ein sympathisch aufgeweckter Nicht-Jurist angehenden Juristen<br />

ohne Latinum die völkerrechtliche Bedeutung von ius sanguinis <strong>und</strong> das damit<br />

verb<strong>und</strong>ene Modell, die Staatsangehörigkeit eines Neugeborenen zu definieren.<br />

Studienjahr 2010: H<strong>und</strong>erte Studierende lernen erstmals die mit 1.1.2010 in<br />

Kraft getretenen Regelungen zum Ehe-Partnerschafts-Gesetz.<br />

Wir spulen einige Semester nach vorne. Juli 2013: Eine inzwischen um<br />

eine geballte Ladung an Auslands- <strong>und</strong> Praxiserfahrung bereicherte <strong>und</strong> nur<br />

noch zwei Prüfungen von ihrem Studienabschluss entfernte Studentin blickt<br />

zurück <strong>und</strong> zieht in Vorbereitung auf die Alpbach-Sommergespräche persönliches<br />

Resümee: Welche Erfahrung <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> schöpfe ich aus meinem Studium?<br />

Sind diese <strong>Werte</strong> überhaupt noch etwas wert <strong>und</strong> sichern unsere Universitäten<br />

<strong>und</strong> Hochschulen die ethischen Gr<strong>und</strong>werte?<br />

Be<strong>im</strong> Überfliegen der Fragen kam mir zunächst der Gedanke – ganz <strong>im</strong><br />

Sinne einer artig studentisch-methodischen Vorgehensweise – , einen rechtsphilosophischen<br />

Abstecher in das ursprüngliche Konzept ethischer Gr<strong>und</strong>werte<br />

zu machen. Dieses Bedürfnis wurde schnell verworfen. Und das nicht nur aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>des</strong> 5000 Zeichen sprengenden Aufsatzrahmens. Vielmehr machte sich<br />

nach einem abendlichen Gedankenaustausch unter Studienkollegen folgende<br />

Überzeugung über konkrete <strong>Werte</strong>vermittlung <strong>im</strong> Rechtswissenschaftsstudium<br />

breit: Wer, wenn nicht der Gesetzgeber <strong>und</strong> das von ihm normierte geltende<br />

Recht, vermittelt seinen Adressaten ein Konzept von gesellschaftlichen <strong>Werte</strong>n?<br />

An dieser Stelle müssen die Klassiker herhalten: § 879 ABGB begrenzt Rechtsgeschäfte<br />

jeglicher Art mit der Schranke der Sittenwidrigkeit. Ähnlich auch §<br />

1295 Abs. 2 ABGB, der Schadenersatz in Zusammenhang mit der wertenden<br />

Grenze <strong>des</strong> Rechtsmissbrauchs stellt. Beiden Normen ist gemein, dass sie sowohl<br />

in universitären Prüfungskonstellationen, als auch <strong>im</strong> späteren Anwaltsberuf<br />

quasi die letzte Argumentationschance darstellen. „Wenn nichts mehr geht,<br />

dann argumentier´ Rechtsmissbrauch“. An dieser Stelle wäre es jedoch auch<br />

angebracht zu erwähnen, dass genau in diesem Schritt selbst der talentierteste<br />

Jus-Studierende ins Stocken gerät. Warum? Weil es nun eben nicht reicht, eine<br />

der Lehrbuch-Fallprüfungsschemata hervorzuholen, die Voraussetzungen 1., 2.,<br />

3. herunter zu prüfen, um den Sachverhalt schließlich mit zufriedenem Gesicht<br />

unter eine gesetzliche Norm subsumieren zu können. So ‚leicht’ ist es dann<br />

eben doch nicht. Weder in der Juristerei an sich, noch <strong>im</strong> Jus-Studium.<br />

Und so freut es mich <strong>im</strong> Zuge<br />

dieses Gedankenexper<strong>im</strong>ents<br />

auch mit einem gerne unter<br />

„Wenn nichts<br />

mehr geht, dann<br />

argumentier´<br />

Rechtsmissbrauch“.<br />

anderen Studienrichtungen<br />

verbreiteten Vorurteil aufräumen<br />

zu können. Die besagten<br />

Fallprüfungsschemata stehen<br />

nämlich nicht als einziger Anker<br />

in weiter Flur <strong>und</strong> begrenzen<br />

damit den Freigeist von uns Juslern. Ich will nicht bestreiten, dass derartige<br />

festgeschriebene Konzepte einen angenehm sicheren Boden geben. Nicht nur<br />

für die Prüfungssituation, sondern selbstredend auch für spätere schlüssige<br />

Argumentationslinien <strong>im</strong> Beruf. Ich denke aber, dass sich auch der Technik-<br />

Student freut, derart sicheren Boden unter sich zu haben, wenn er mathematische<br />

Formeln anwendet oder eine Medizin-Studentin, wenn sie gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

auf die anatomischen Basics <strong>des</strong> Körpers vertrauen darf.<br />

Blicke ich aber auf die anfangs gelisteten Auszüge meiner gesammelten<br />

Mitschriften, so denke ich dennoch feststellen zu können, dass die Juristische<br />

Schule in Widerspiegelung der wertegeladenen Gesetze, die <strong>Werte</strong>haltungen<br />

eines jungen Erwachsenen eindeutig in gesteigerter Form prägt. Diese Feststellung<br />

hat selbstverständlich zwei Seiten. Positiv ist diese Vermittlung, wenn<br />

die vorgehaltenen <strong>Werte</strong> nicht nur schlicht hingenommen, sondern kritisch reflektiert<br />

<strong>und</strong> in Frage gestellt werden. Negativ <strong>und</strong> ernüchternd ist <strong>Werte</strong>vermittlung<br />

meiner Meinung nach dann, wenn gerade diese kritische (Studien-)<br />

Chance verabsäumt wird.<br />

Und so möchte ich mit Blick auf meine Studienzeit persönlich folgen<strong>des</strong><br />

Resümee ziehen: Studierst du Jus, studierst du gesellschaftliche <strong>Werte</strong> in Form<br />

von Normen. Vereinfacht: du studierst das Gesetz. Das Gesetz kann – muss<br />

aber nicht – deine gedankliche Grenze bleiben. All die anfangs gelisteten <strong>und</strong><br />

seit meinem ersten Semester gesammelten Auszüge von Mitschriften haben<br />

etwas gemein: sie entfachten Diskussionen. Diskussionen <strong>im</strong> Seminarraum mit<br />

Professoren, in der Mensa unter Studierenden, <strong>im</strong> Dachgeschoß <strong>des</strong> Juridicums<br />

mit Podiumsgästen oder <strong>im</strong> Ausland <strong>im</strong> Rahmen von Erasmus oder Summerschools<br />

mit internationalen Studentenorganisationen. Der sich mir persönlich<br />

dadurch eröffnende Pool an <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> ist in seiner Vielseitigkeit<br />

kaum zu umschreiben. Und schon gar nicht in 5000 Wortzeichen. Mir bleibt<br />

daher nach diesem Gedankenexper<strong>im</strong>ent nur die zufriedene Erkenntnis, dass<br />

meine Studienzeit meine ursprünglichen Werthaltungen teils gestärkt, teils er-<br />

60<br />

61


schüttert <strong>und</strong> teils völlig neu begründet hat. Ob die Werthaltungen <strong>im</strong>mer jene<br />

meiner Hochschule widerspiegeln, bleibt allerdings dahingestellt. Dennoch<br />

sind meine <strong>Werte</strong> etwas wert. Ein gutes persönliches Resümee, wie ich finde.<br />

<strong>Werte</strong> in der Kunstkritik,<br />

in der zeitgenössischen<br />

Kunstproduktion <strong>und</strong><br />

welche Schlüsse sich<br />

daraus für unsere Bildungspolitik<br />

ziehen lassen<br />

von Johanna Rainer,<br />

Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Steiermark<br />

62<br />

63


Während <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong> der Kunstgeschichte wurden uns die zentralen Aufgaben<br />

<strong>des</strong> Museums vermittelt - das Sammeln von Objekten, ihr Bewahren <strong>und</strong> Erforschen<br />

<strong>und</strong> in weiterer Folge das Ausstellen <strong>und</strong> Vermitteln. „Sammelnswert“<br />

ist, was dem Geschmacks- <strong>und</strong> Interessenskanon der jeweiligen Zeit entspricht<br />

<strong>und</strong> die Entscheidungsgr<strong>und</strong>lagen hierfür liegen in den Wertvorstellungen der<br />

Gesellschaft begründet. Anhand von kunsthistorischen Fallbeispielen aus einem<br />

300 Jahre umfassenden Zeitabschnitt möchte ich aufzeigen, wie sich der<br />

Wert <strong>des</strong> Kunstwerks nicht autonom innerhalb <strong>des</strong> Kunstsystems ausbildet,<br />

sondern <strong>im</strong> Gegensatz in engem Zusammenhang mit gesellschaftspolitischen<br />

Entwicklungen <strong>und</strong> Wertvorstellungen steht.<br />

Lange Zeit wurde Kunst nur anhand ihrer kunstfertigen Ausführung in Hinblick<br />

auf Farbkomposition, Technik <strong>und</strong> Bildaufbau bewertet, <strong>und</strong> diese Beurteilung<br />

durfte nur von ausgewiesenen Fachmännern vorgenommen werden. Es<br />

waren dies die höheren Mitglieder der Kunstakademien, welche die Arbeiten<br />

ihrer rangniederen Kollegen begutachteten. Mit dem Aufstieg <strong>des</strong> Bürgertums<br />

<strong>im</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert kam es auch zu einer strukturellen Veränderung in der<br />

Bewertung von Kunst. Das Aufkommen der sogenannten Salons in Paris – der<br />

öffentlich zugänglichen Werkschauen der Akademiemitglieder – ermöglichte<br />

einer breiten Publikumsschicht den Zugang zu zeitgenössischer Kunst. Unweigerlich<br />

wollten Frau <strong>und</strong> Mann sich ein Urteil bilden, <strong>und</strong> neben einer Boulevard-Kritik<br />

bildete sich in dieser Zeit auch die Basis der modernen Kunstkritik<br />

heraus, welche maßgeblich vom französischen Schriftsteller, Philosophen <strong>und</strong><br />

Aufklärer Denis Diderot geprägt wurde. Diderot hatte unter anderem die große<br />

französische Encyclopédie mitherausgegeben, er war ein großer Intellektueller<br />

seiner Zeit. Mit demselben wissenschaftlichen Interesse widmete er sich der<br />

Kunst – <strong>und</strong> gab handschriftliche Salonberichte heraus, welche an Mitglieder<br />

<strong>des</strong> europäischen Hofes verschickt wurden. Um sein Werturteil bilden zu können,<br />

besuchte er die Künstler in ihren Ateliers, ließ sich ihre Techniken <strong>und</strong><br />

Ansichten erklären, eignete sich die Fachbegriffe an <strong>und</strong> wurde so zum Connaisseur.<br />

Für seine Salonberichte beließ er es aber nicht bei einer rein technischen<br />

Beurteilung, er verband sein Urteil mit den allgemein vorherrschenden<br />

moralischen Wertvorstellungen seiner Zeit. Eine idealistische, überhöhte oder<br />

auch zu laszive <strong>und</strong> freizügige Darstellung wurde von ihm nicht gutgeheißen –<br />

das ausklingende Rokoko wurde aufs Schärfste kritisiert, während tugendhafte<br />

Darstellungen aus dem beginnenden Klassizismus seine Wertschätzung fanden.<br />

Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert entwickelte sich eine Gegenbewegung zu den akademischen<br />

Werkschauen, die sogenannten Gegensalons, bei denen jene Künstler<br />

ausstellten, die nicht dem offiziellen ästhetischen Kanon entsprachen. Heutzutage<br />

werden vor allem jene Künstler aus dieser Zeit verehrt, die sich nicht nach<br />

den akademischen Regelwerken gerichtet haben – unter den ausstellenden<br />

Künstlern waren <strong>im</strong>merhin namhafte Vertreter <strong>des</strong> Impressionismus wie Monet,<br />

Pissarro, Renoir oder Degas vertreten. Während die Tagespresse die Arbeiten<br />

der Künstler zerriss, so zählen sie heute zu den wertvollsten Avantgarde-Werken<br />

überhaupt. Die Avantgarde lehnt sich gegen allgemein vorherrschende, akademisch<br />

erstarrte Wertvorstellungen auf <strong>und</strong> ihre Errungenschaften werden<br />

oft erst Jahre später<br />

erkannt <strong>und</strong> geschätzt.<br />

Dieser Exkurs in die<br />

Geschichte der Kunstkritik<br />

schließt mit einem<br />

Beispiel aus dem<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>ert: Während<br />

nicht-akademische,<br />

avantgardistische<br />

Kunstwerke, welche vor<br />

allem der beginnenden<br />

Abstraktion <strong>und</strong> dem<br />

Expressionismus zuzuschreiben<br />

sind, zur Zeit<br />

Das zeitgenössische<br />

Kunstwerk <strong>im</strong> Kontext<br />

seiner Entstehungszeit<br />

kann als Abbild der<br />

vorherrschenden <strong>Werte</strong><br />

gelesen werden.<br />

<strong>des</strong> Nationalsozialismus als „entartet“ klassifiziert, verfolgt <strong>und</strong> vernichtet wurde,<br />

wurde die Abstraktion in der Nachkriegszeit maßgeblich von den USA <strong>und</strong><br />

einem ihrer einflussreichsten Kritiker, Clement Greenberg, als „demokratische,<br />

westliche Kunst“ gefördert <strong>und</strong> als Gegenpol zum Sozialistischen Realismus<br />

politisiert. Angeblich beeinflusste sogar der USGehe<strong>im</strong>dienst CIA entsprechende<br />

Texte über die demokratische, freie <strong>und</strong> somit abstrakte Kunst in diversen<br />

Kunstzeitschriften. Das zeitgenössische Kunstwerk <strong>im</strong> Kontext seiner Entstehungszeit<br />

kann als Abbild der vorherrschenden <strong>Werte</strong> gelesen werden. Was sagt<br />

die zeitgenössische Kunstproduktion somit über den derzeitigen Zustand unserer<br />

Gesellschaft aus?<br />

Der Begriff der Avantgarde ist heutzutage schon etwas verstaubt – bezeichnet<br />

er doch die maßgeblichen Entwicklungen in der Kunst <strong>des</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

Was kann heutzutage in der Kunst noch bahnbrechend, revolutionär <strong>und</strong><br />

somit „avantgardistisch“ gelten? Welche <strong>Werte</strong> werden von den einflussreichsten<br />

Künstlerinnen <strong>und</strong> Künstlern <strong>und</strong> ihren Kritikerinnen <strong>und</strong> Kritikern vertreten?<br />

Während weltweit die Wirtschaftskrise die Menschheit in Angst <strong>und</strong> Schrecken<br />

versetzt – wobei der Usus der Boni-Zahlung wohl vorerst nur vom neuen<br />

64<br />

65


Papst für seine Kardinäle, nicht aber bei den großen Mitverursachern der Krise<br />

innerhalb der Wirtschaft abgeschafft wurden – hat sich die Kulturarbeiterin bereits<br />

an die vielbeschworene postfordistische Arbeitsform in all ihren prekären<br />

Ausformungen gewöhnt. Der Postfordismus wurde in der Kultur schon längst<br />

auf ein hochprofessionelles Niveau gehoben <strong>und</strong> gilt als Vorbild für andere Arbeitsfelder<br />

– die Kulturarbeiterin arbeitet selten in einer Vollzeitbeschäftigung,<br />

häufig auf Projektbasis, ist sozial somit schlecht abgesichert <strong>und</strong> hat paradoxerweise<br />

auch noch Spaß dabei – <strong>im</strong>merhin arbeitet sie voller Ideale <strong>und</strong> mit<br />

hohen Wertansprüchen an einem guten Leben <strong>und</strong> redet sich unsere Arbeitsverhältnisse<br />

gegenseitig schön. Schließlich kann sie ja froh sein, einen Job zu<br />

haben. Nachdem ihr Einkommen nur knapp über dem Min<strong>des</strong>tlohn liegt, unterstützt<br />

sie die Entwicklungen in der Schweiz <strong>und</strong> die drei Volksbegehren zum<br />

Thema Gerechtigkeit voll <strong>und</strong> ganz <strong>und</strong> hofft insgehe<strong>im</strong> auf eine Verbesserung<br />

der eigenen Situation. Kunst kann <strong>und</strong> muss hier ansetzen, indem sie diese Verhältnisse<br />

thematisiert <strong>und</strong> – nach Chantal Mouffe – Dissens erzeugt. Während<br />

sogenannte „Staatskunst“ den common sense reproduziert, kann widerständige<br />

Kunst der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten, einen Skandal provozieren<br />

<strong>und</strong> somit einen Diskurs eröffnen <strong>und</strong> <strong>im</strong> besten Fall Veränderung herbeirufen.<br />

Allerdings nur in einem zugegeben kleinen Rahmen. Wobei dieser Rahmen zunehmend<br />

min<strong>im</strong>iert wird, wenn bei Kunst <strong>und</strong> Kultur gespart wird <strong>und</strong> der ORF<br />

etwa das Musikprotokoll <strong>und</strong> den Bachmannpreis einsparen möchte, obwohl<br />

diese Formate einen Bruchteil der Kosten produzieren, die ein einziger Musikantenstadel<br />

oder eine einzige Formel 1-Übertragung verursachen. Ohne die<br />

Hochkultur kritisieren zu wollen – sie ist wichtig <strong>und</strong> richtig <strong>und</strong> hat ihre absolute<br />

Daseinsberechtigung, denn eine der zentralen Aufgaben von Kunst ist es<br />

nunmal, ihre Betrachter zu erfreuen – es muss genug finanziellen <strong>und</strong> medialen<br />

Spielraum für die „Gegensalons“ <strong>des</strong> 21. Jahrh<strong>und</strong>erts geben. Denn nur hier<br />

kann frei von den Erwartungen <strong>des</strong> Kunstmarkts <strong>und</strong> elitärer (akademisierter)<br />

Kunstkreise über die Gesellschaft reflektiert <strong>und</strong> auf Geschehnisse reagiert werden.<br />

Meine <strong>Erfahrungen</strong> <strong>im</strong> Studium haben mir leider aufgezeigt, dass die Analyse–<br />

<strong>und</strong> Kritikfähigkeit der jungen Menschen stärker gefördert werden muss.<br />

(Der Ursprung hierfür ist allerdings bereits in den Schulen zu suchen, in der<br />

ein Mehrsparten-Mittelmaß mehr wert ist, als Spezialisierung auf besondere<br />

Talente <strong>und</strong> Interessen). Die Universität sammelt, bewahrt <strong>und</strong> vermittelt Wissen<br />

<strong>und</strong> sie ist auch maßgeblicher Wissensproduzent. Je verschulter jedoch das<br />

System wird, umso mehr drängt sich die Geschichte der künstlerischen Avantgarde<br />

auf, die gegen die starren Strukturen der Akademie ankämpft, in deren<br />

Reihen nichts Neues entstehen kann. Wo kann diese Avantgarde <strong>im</strong> Bereich der<br />

Wenn Forschungsergebnisse<br />

„Wert“ bringen<br />

müssen, dann<br />

bedeutet dies das Aus<br />

für das Forschen ins<br />

Ungewisse <strong>und</strong> somit<br />

ins tatsächlich Neue,<br />

<strong>des</strong>sen Rentabilität<br />

nicht kalkulierbar ist.<br />

Wissensvermittlung/produktion<br />

entstehen? Die<br />

Ökonomisierung der<br />

Wissenschaft ist höchst<br />

problematisch. Wenn<br />

Forschungsergebnisse<br />

„Wert“ bringen müssen,<br />

dann bedeutet dies das<br />

Aus für das Forschen ins<br />

Ungewisse <strong>und</strong> somit<br />

ins tatsächlich Neue,<br />

<strong>des</strong>sen Rentabilität<br />

nicht kalkulierbar ist.<br />

Ein Staat, der nur<br />

den Besserverdienern<br />

eine Ausbildung ermöglicht,<br />

indem er strenge<br />

Studiengebühren einführt,<br />

hungert die nächste Generation intellektuell aus. Vielfalt muss gewährleistet,<br />

Chancengleichheit geschaffen werden. Die europäischen Universitäten<br />

dürfen sich nicht in eine Akademie-Starre begeben, sie müssen offen sein für<br />

neue avantgardistische Entwicklungen <strong>und</strong> gleichzeitig die europäischen <strong>Werte</strong><br />

verteidigen <strong>und</strong> verbreiten. Denn diese <strong>Werte</strong> werden derzeit massiv angegriffen,<br />

<strong>und</strong> anders als es so manche populistische Partei darstellen möchte,<br />

kommt dieser Angriff nicht aus dem Osten, sondern aus dem Westen.<br />

Was bedeutet es für Europa, wenn GPMorgan Chase & Co, die größte USamerikanische<br />

Bank, den Wiederaufbau von Europa nach dem zweiten Weltkrieg<br />

mit bürgerlich-demokratischen Verfassungen kritisiert <strong>und</strong> die Einführung autoritärer<br />

Reg<strong>im</strong>e begrüßt, da knallharte Sparmaßnahmen in einer Wirtschaftskrise<br />

so viel effizienter durchgesetzt werden könnten?<br />

Was bedeutet es für Europa, wenn <strong>im</strong> britischen Elite-College Eton 13-jährigen<br />

Schülern folgende Fragestellung für einen Aufsatz über Führungsqualitäten<br />

gestellt wird: “The year is 2040. There have been riots in the streets of<br />

London after Britain has run out of petrol because of an oil crisis in the Middle<br />

East. Protesters have attacked public buildings. Several policemen have died.<br />

Consequently, the government has deployed the army to curb the protests. After<br />

two days the protests have stopped but 25 protestors have been killed by the<br />

army,” <strong>und</strong> sie darauf eine Rede für den Premierminister schreiben sollen, der<br />

66<br />

67


die Militärgewalt gegen Protestierende als politisch <strong>und</strong> moralisch gerechtfertigt<br />

darstellt?<br />

<strong>Werte</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> sind in einer finanzialisierten <strong>und</strong> digitalisierten<br />

Welt wichtiger als jemals zuvor – gleich den Museen müssen die Universitäten<br />

diese intellektuellen, diese nichtmateriellen Güter sammeln, bewahren, erforschen<br />

<strong>und</strong> einen besonderen Wert auf das Ausstellen <strong>und</strong> Vermitteln dieses<br />

Gedankenguts legen.<br />

<strong>Erfahrungen</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong><br />

<strong>des</strong> <strong>Studiums</strong><br />

von Katharina Steinbrecher,<br />

Stipendiatin <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esministeriums für Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Forschung<br />

68<br />

69


„<strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong>“ – der Titel, den dieser Essay<br />

tragen soll, lässt sich schwer überfliegen oder überlesen. Er klingt <strong>im</strong> Kontext<br />

der gewohnt schwarzmalerischen Bildungsdebatten vergangener Jahre fast utopisch,<br />

opt<strong>im</strong>istisch <strong>und</strong> etwas nostalgisch jedenfalls, vielleicht sogar euphemistisch,<br />

denn dieser Titel suggeriert, dass Studieren ganz gr<strong>und</strong>sätzlich etwas<br />

Belichten<strong>des</strong>, Erhellen<strong>des</strong> ist.<br />

Ich versuche die Begriffe, um deren Deutung ich hier gebeten wurde, <strong>im</strong><br />

Folgenden zu deuten, <strong>und</strong> zwar aus meinem momentanen Verständnis heraus,<br />

„so ganz ohne jetzt zu googlen“, wie man diese rare Form <strong>des</strong> schriftlichen<br />

Ausdrucks gern augenzwinkernd ;-) nennt.<br />

Zunächst einmal ist ein Studium in seiner prozesshaften Erlebbarkeit eine<br />

Erfahrung. Im Unterschied zu einem reinen Erlebnis ist die Erfahrung ein Sinneseindruck,<br />

der durch seine geistige Verarbeitung <strong>und</strong> Reflexion einen Mehrwert<br />

erhält, durchaus, wenn man so will, eine Art Belichtung, die ihn erst zur<br />

Erfahrung macht. Im Gegensatz zur Empirie ist eine Erfahrung subjektiv <strong>und</strong><br />

ihre Verarbeitung keinen methodischen Regeln unterworfen.<br />

<strong>Werte</strong> hingegen sind gr<strong>und</strong>sätzlich abstrakt <strong>und</strong> werden daher treffend synonym<br />

auch als Wertvorstellungen bezeichnet, sie sind eng verknüpft mit Ideen<br />

<strong>und</strong> Idealen: auch diese Begriffe werden wie <strong>im</strong> Falle der <strong>Werte</strong> bevorzugt <strong>im</strong><br />

Plural gebraucht.<br />

Ich nehme an, wir fühlen uns damit wohler, denn der Singular n<strong>im</strong>mt diesen<br />

Begriffen das Abstrakte, Entrückte <strong>und</strong> hat in seiner erzwungenen Konkretheit<br />

fast etwas Bedrohliches, als wären wir uns sicher, an der Aufgabe, <strong>Werte</strong> in<br />

zwei Sätzen zu definieren, zu scheitern.<br />

Das Studium ist eine Erfahrung, aber Bildung an sich kann ein Wert sein,<br />

was <strong>im</strong>mer dann betont wird, wenn es um die Frage geht, ob Studieren als Mittel<br />

zum Zweck die Befähigung zu einer Berufsausübung ist, oder eben darüber<br />

hinaus einen Mehr-Wert besitzt.<br />

Ich habe Anfang zwanzig eine Studienwahl getroffen, die ganz klar wertorientiert<br />

war. Ich hielt den Schauspielberuf für etwas Erhabenes, Edles <strong>und</strong><br />

Gutes <strong>und</strong> hielt mich für befähigt, ihn auszuüben. Für Studierende einer Kunstuniversität<br />

(wie mittlerweile auch in anderen Studienrichtungen) kommt hinzu,<br />

dass die Studienwahl nur zu einem Teil von einem selbst getroffen wird; letztlich<br />

entscheidet das Ergebnis der Aufnahmeprüfung.<br />

Als Schauspielstudentin habe ich ein Fach gewählt, das sich, wie es den<br />

Künsten eigen ist, einer eindeutigen Abgrenzung zwischen dem Privaten <strong>und</strong><br />

dem Professionellen entzieht. Es ist eine professionelle Anforderung, das Private<br />

für die Arbeit zur Verfügung zu stellen, dies gilt aber nicht uneingeschränkt:<br />

alles Unschöne, Unnütze, alle Probleme sollten „an der Garderobe abgegeben<br />

werden“. Diese Idealvorstellungen arten nicht selten aus in eine Art Wunschkonzert<br />

der Regisseur/innen, die gern <strong>im</strong>mer dann inspiriert werden möchten,<br />

wenn ihnen die Ideen ausgehen, sonst aber sei man, bitte schön, Wachs in dem<br />

Händen eines Genies: „Ein Schauspieler soll empfindsam, aber nicht empfindlich<br />

sein“ wird gern doziert.<br />

Heinrich von Kleist war noch radikaler, als er 1810 in seinem Aufsatz „Über<br />

das Marionettentheater“ eine Beobachtung wiedergab, nämlich, dass ein lebender<br />

Schauspieler ohnehin kaum die ästhetische Vollkommenheit einer Marionette<br />

entwickeln, <strong>und</strong> ihr<br />

daher letztlich nicht das<br />

„Ein Schauspieler<br />

soll empfindsam, aber<br />

nicht empfindlich<br />

sein“ wird gern<br />

doziert.<br />

Wasser reichen könne.<br />

Kleist erklärt das damit,<br />

dass das Bewusstsein,<br />

<strong>und</strong> damit die Motive<br />

<strong>und</strong> Impulse <strong>des</strong> Marionettenkörpers<br />

außerhalb<br />

<strong>des</strong>selben (nämlich in<br />

der Person <strong>des</strong> Marionettenspielers)<br />

liegen <strong>und</strong><br />

nicht wie be<strong>im</strong> Schauspieler<br />

<strong>im</strong> Körper selbst. Der Marionette, diesem Körper ohne Bewusstsein, ist<br />

Eitelkeit fremd, sie beobachtet sich selbst nicht. Ihr kann der Schauspieler nur<br />

ähnlich werden, wenn er sein Bewusstsein bis zur Vollkommenheit entwickelt,<br />

denn nur ein vollkommenes Bewusstsein ist frei von Eitelkeit <strong>und</strong> ermöglich die<br />

gleiche Anmut wie die Abwesenheit von Bewusstsein.<br />

Die Konfrontation mit diesem Text, als einem der wichtigsten ästhetischen<br />

Schriften zum Theater, kann <strong>im</strong> zweiten Jahr <strong>des</strong> Schauspielstudiums durchaus<br />

zu einer <strong>Werte</strong>krise führen. Er etabliert ein Ideal, das abstrakter <strong>und</strong> weltfremder<br />

nicht sein könnte <strong>und</strong> erklärt damit das eigene Bemühen, eine gute Schauspielerin<br />

zu werden, als völlig wert-loses Unterfangen, denn: wozu das alles,<br />

wenn wir ohnehin nie so gut werden können wie ein Stück totes Holz? Hierin<br />

drückt sich ganz klar ein <strong>Werte</strong>wandel aus: Das ästhetische Ideal technisierter<br />

Vollkommenheit wurde <strong>im</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert durch das Interesse am „Menschlichen“<br />

in all seinen Facetten abgelöst.<br />

Wir alle können be<strong>im</strong> Besuch von Theateraufführungen feststellen, dass<br />

ein belebter Körper, ein lebendiger Mensch, <strong>im</strong>stande sein kann, künstlerisch<br />

Großes <strong>und</strong> Wertvolles zu leisten <strong>und</strong> dass diese Größe gerade an dem Umstand<br />

70<br />

71


liegt, dass es sich um einen „echten Menschen“ handelt. Hier hat ganz klar<br />

ein <strong>Werte</strong>wandel stattgef<strong>und</strong>en, der natürlich parallel zu den gesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> politischen Veränderungen geschah, aber ich habe das damals nicht historisch,<br />

sondern absolut gesehen <strong>und</strong> war wirklich depr<strong>im</strong>iert.<br />

Kleists ästhetische Spinnereien – <strong>und</strong> ich sage das mit Respekt, denn ich<br />

halte ihn für einen der interessantesten Autoren überhaupt – sind als Ideen <strong>im</strong>mer<br />

noch interessant <strong>und</strong>, etwas interdisziplinärer gedacht, als Ausdruck seines<br />

Welt- <strong>und</strong> Menschenbil<strong>des</strong> sehr ergiebig, aber: Die Theatertheorie ist für die<br />

Theaterpraxis weniger wichtig als umgekehrt, <strong>und</strong> das soll auch so sein. Die<br />

Erfahrung schlägt in der Praxis die (ästhetischen) Wertvorstellungen haushoch,<br />

denn Wertvorstellungen sind oft auch ein Korrektiv, eine Einschränkung <strong>und</strong><br />

eine Zensur, oder wie mein geschätzter Prof. Rolf Stahl so treffend zu sagen<br />

pflegte: „...darum ist politische Kunst meistens schlecht.“<br />

Das war eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Schauspielstudium:<br />

dass nämlich die Theorie für die Spielpraxis gar nichts taugt. Und da wäre<br />

Kleist sicher wieder meiner Meinung, denn ein Schauspieler, der die ganze Zeit<br />

angestrengt nachdenkt über das was er tut; genau davor graute ihm ja so sehr.<br />

Wenn man Kunst studiert, dann ist die Entscheidung, danach eine Dissertation<br />

in Angriff zu nehmen, fast wie noch einmal etwas völlig anderes zu studieren.<br />

Herangehensweise, Studienalltag, Arbeitsweise <strong>und</strong> Methoden sind gr<strong>und</strong>legend<br />

anders (vor allem ist man auf sich allein gestellt, anstatt in eine Gruppe<br />

<strong>und</strong> einen verschulten Studienplan eingeb<strong>und</strong>en), ähnlich bleibt lediglich der<br />

Inhalt. Trotzdem habe ich es getan, <strong>und</strong> die Entscheidung dafür war stärker als<br />

bei meinem Magisterstudium von Erfahrung beeinflusst. Vielleicht weil sich<br />

<strong>Werte</strong> als unbeständiger erwiesen haben als gedacht.<br />

Was ich hier über <strong>Werte</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> geschrieben habe, ist nicht repräsentativ<br />

dafür, wie ich darüber in anderen Belangen denke. Ich würde in vielem<br />

<strong>Werte</strong> den <strong>Erfahrungen</strong> überordnen, besonders wenn es um kollektive Belange<br />

geht. Aber mir als Individuum sind letztlich die <strong>Erfahrungen</strong> näher.<br />

Global studies<br />

von Verena Schaupp,<br />

Stipendiatin <strong>des</strong> Club Alpbach Steiermark<br />

73


Ein Vortrag auf der Fachhochschule, Studiengang für Journalismus. Der externe<br />

Referent, ein weithin bekannter Auslandsreporter. Es folgt ein Witz: „Geht ein<br />

Journalist an einer Bar vorbei.“ Möchte die journalistische Karriere tatsächlich<br />

angestrebt werden, sollte man, wie nach diesem Vortrag klar wird, trinkfest sein,<br />

einer Zigarette nicht abgeneigt, ach ja, <strong>und</strong> um es einmal harmlos zu formulieren,<br />

so wirklich nett sollte man auch nicht sein. Außerdem fügt der Vortragende<br />

noch hinzu, dass die meisten Journalisten ein abgebrochenes Jus-Studium<br />

hinter sich haben. Da sitzt man nun als FH-Anfängerin nach abgebrochenem<br />

Studium der Rechtwissenschaften in einem Hörsaal, <strong>und</strong> fragt sich, warum man<br />

nicht bereits Chefredakteurin von irgendeinem Blatt ist, anstatt zu überlegen,<br />

wie man sich als mehr gemeinschaftlich als egoistisch orientierter Mensch in<br />

der Berufswelt durchsetzen wird können. Ethische Gr<strong>und</strong>werte folgen später<br />

<strong>im</strong> Studium, zunächst zeigt der erste Vortrag aus der Praxis, dass Talent <strong>und</strong><br />

Ehrgeiz gefragt sind. Und das gilt für alle Bereiche. Talente haben viele, <strong>und</strong><br />

Talente können gefördert werden, doch Ehrgeiz ist wichtig, will man auf der<br />

Karriereleiter nach oben klettern. Aber um welchen Preis?<br />

Eine Statistik-Vorlesung ist in beinahe jedem Lehrplan enthalten, eine für<br />

Logik ebenso. Doch wie steht es um ein Ethik-Seminar oder ein Kolloquium<br />

zum Thema Moral? „Diese Statistik zeigt...“, „daraus resultiert logischerweise...“,<br />

solche Floskeln hört man ständig in Wirtschaft <strong>und</strong> Politik. Ein Experte,<br />

der sich auf ethische <strong>und</strong> moralische <strong>Werte</strong> beruft, sammelt möglicherweise<br />

Sympathiepunkte be<strong>im</strong> Publikum oder be<strong>im</strong> Wähler, kann er aber auch die<br />

Kollegen überzeugen oder zählt hier nur der starke Auftritt? Das Darwin’sche<br />

Prinzip wird schon an der Universität gelehrt. Der Stärkere setzt sich durch. Bereits<br />

zu Beginn vieler Studien, vor allem aber den sogenannten Massenstudien<br />

wie Medizin oder Jus, gibt es Knock-Out-Prüfungen, nur wer beinhart lernt <strong>und</strong><br />

sich durchkämpft, zieht geradlinig vorbei an seinen Kommilitonen <strong>und</strong> schafft<br />

es am Ende bis zum heißbegehrten Doktortitel. Konkurrenzdenken wird genau<br />

hier geschürt, in einem Hörsaal mit H<strong>und</strong>erten von Mitstudenten, wissend,<br />

herausragen zu müssen aus der Masse, noch mehr Leistung zu erbringen als<br />

die anderen. Außercurriculare Aktivitäten sind gefragt, Auslandserfahrungen erwünscht,<br />

je mehr Praktika absolviert werden, <strong>des</strong>to besser <strong>und</strong> am besten alles<br />

vor seinen „Kollegen“.<br />

Wie kann hier ethisches Denken entstehen, wenn der Wert, der vermittelt<br />

wird, Konkurrenz heißt? Leistung zu erbringen <strong>und</strong> Leistung als positiven Wert<br />

weiterzugeben ist wichtig an einer Universität, doch Leistung muss nicht bedeuten,<br />

alleine zu handeln. Gemeinschaftlich ist viel zu erreichen, wie man an<br />

den unzähligen Studentenbewegungen weltweit sieht. Allein in Österreich kam<br />

es durch Zusammenschlüsse von Studierenden <strong>im</strong>mer wieder zu Protesten, wie<br />

etwa den Demonstrationen gegen die Studiengebühren. Sei einmal der Beweggr<strong>und</strong><br />

dahingestellt, da Österreich – verglichen mit dem anglo-amerikanischen<br />

Raum, wo jeder Student <strong>und</strong> jede Studentin gut <strong>und</strong> gerne mehrere tausend<br />

Dollar für die Absolvierung eines <strong>Studiums</strong> ausgibt – seinen Studierenden viel<br />

Geld erspart, so ist die Welle, die gemeinschaftlich losgetreten werden kann, erstaunlich.<br />

Dennoch werden Begriffe wie Gemeinwohl oft nur in best<strong>im</strong>mten Studienrichtungen<br />

thematisiert. Und eben jene Studien sind es, die auch oftmals<br />

belächelt werden. Neue Masterstudien wie „Angewandte Ethik“, „Global Studies“<br />

oder „Politische,<br />

Rechtliche <strong>und</strong> Ökonomische<br />

Philosophie“<br />

zählen etwa dazu. Für<br />

einen Doktoranden der<br />

Medizin oder Rechtswissenschaften<br />

mögen<br />

diese Studien als-<br />

Mischmasch-Studien<br />

ohne genaues Berufsziel<br />

erscheinen. Bis zu<br />

einem gewissen Grad<br />

Das Darwin’sche<br />

Prinzip wird schon an<br />

der Universität gelehrt.<br />

Der Stärkere setzt<br />

sich durch.<br />

wird der Dissertant dabei auch Recht behalten. Eines haben alle diese Masterstudien<br />

nämlich gemeinsam: eine präzise Berufsbezeichnung lässt sich nicht<br />

für sie finden. Sicherlich wird es schwer sein, einer Arbeitgeberin zu erklären,<br />

wie ein solches Studium aufgebaut ist, doch nur, weil es selbst den anderen<br />

Studierenden noch nicht verständlich ist. In den angeführten Studien wird<br />

diskutiert, über <strong>Werte</strong>, Wertvorstellungen <strong>und</strong> noch vieles mehr. Eine f<strong>und</strong>ierte<br />

Gr<strong>und</strong>ausbildung zu einem Fachexperten in Medizin oder Recht wird noch<br />

lange eine höherrangige Stellung einnehmen, <strong>und</strong> das ist auch gerechtfertigt<br />

hinsichtlich <strong>des</strong> Lernaufwan<strong>des</strong> in diesen beiden Studienrichtungen, doch die<br />

Universitäten bedürfen eines Umdenkens in ihrer <strong>Werte</strong>vermittlung. Wer würde<br />

von einem Mediziner behandelt werden wollen, der Ethik <strong>im</strong> Nebenfach belegte,<br />

wenn die andere Wahl ein Mediziner wäre, dem während <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong><br />

ausführlich ethisches Hintergr<strong>und</strong>wissen vermittelt wurde?<br />

Natürlich muss hierbei zuallererst <strong>im</strong> universitären Bereich reformiert werden,<br />

ehe sich die allgemeine Meinung ändern kann. Denn kaum ein Klient<br />

würde in einem eisernen Rechtsstreit einen moralisch tadellosen Anwalt engagieren,<br />

wenn die Gegenseite das Schiff der Moral bereits verlassen hat. Dies ist<br />

74<br />

75


allerdings ein Problem unserer Gesellschaft, die zuerst streitet, bevor sie miteinander<br />

zu sprechen versucht. Es muss Aufgabe unserer Universitäten sein,<br />

ethische Gr<strong>und</strong>werte verstärkt zu vermitteln <strong>und</strong> dadurch ein Stück weit zur<br />

Änderung der Gesellschaft beizutragen.<br />

Und an den Journalisten ist es dann, darüber zu berichten. Vielleicht ohne<br />

Zigarette <strong>und</strong> zumin<strong>des</strong>t ein bisschen nett..<br />

Freiheit<br />

<strong>und</strong> Gleichheit?<br />

von Mathias Jungbauer,<br />

Stipendiat <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esministeriums für Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Forschung<br />

76<br />

77


Sofern es überhaupt einen Zusammenhang zwischen <strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong>n<br />

gibt, kann dieser nur darin bestehen, dass die Bildung von <strong>Werte</strong>n stets als eine<br />

Reaktion auf best<strong>im</strong>mte <strong>Erfahrungen</strong> vor sich geht. Eine solche <strong>Werte</strong>bildung<br />

zielt dabei darauf ab, eine Veränderung der sozialen Wirklichkeit herbeizuführen,<br />

um auf diese Weise eine Ausflucht aus einer unerträglichen Situation zu<br />

ermöglichen. Gerade <strong>des</strong>halb darf es kaum verw<strong>und</strong>ern, wenn ausgerechnet<br />

ein Zeitalter der Unterdrückung unterprivilegierter sozialer Gruppen, fast einem<br />

Naturgesetz gemäß, <strong>Werte</strong> wie Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit hervorbringt. Doch die<br />

Schaffung dieser <strong>Werte</strong> erfolgt niemals als eine unmittelbare Reaktion auf die<br />

Unterdrückungshandlungen, sondern sie sind das Produkt eines oftmals langwierigen<br />

Prozesses. Sosehr <strong>Werte</strong> Gegenstände unseres Denkens sind, sosehr<br />

müssen sie auch Gegenstand unserer Sprache sein. Eine Wirklichkeit, die über<br />

die einfache Wahrnehmungswelt hinausgeht (wie etwa die soziale Wirklichkeit),<br />

kann nur mittels Sprache eingefangen werden. Die Bewertung von <strong>Erfahrungen</strong><br />

erfolgt durch die Sprache. Gerade <strong>des</strong>halb kommt es bei der Bewertung der<br />

sozialen Wirklichkeit auf die konkreten Mittel an, die die Sprache zur Verfügung<br />

stellt. So kommt es einerseits, dass <strong>Erfahrungen</strong> kurzfristig nur am Maßstab der<br />

Sprache bewertet werden können, dass aber andererseits <strong>Erfahrungen</strong> langfristig<br />

eine Veränderung der Sprache bewirken können. Mit anderen Worten hieße<br />

das, dass eine Veränderung der Sprache eine Veränderung der <strong>Erfahrungen</strong>,<br />

gleichzeitig aber auch eine Veränderung der <strong>Erfahrungen</strong> eine Veränderung der<br />

Sprache nach sich ziehen kann. Bei<strong>des</strong> vollzieht sich in einem Prozess, der<br />

mitunter sehr langwierig ausfallen kann. <strong>Werte</strong> sind dabei das Produkt der Veränderung<br />

der Sprache, <strong>und</strong> somit auch <strong>des</strong> Denkens, aufgr<strong>und</strong> der Veränderung<br />

von <strong>Erfahrungen</strong>, das heißt also aufgr<strong>und</strong> neuer <strong>Erfahrungen</strong>. <strong>Erfahrungen</strong><br />

wiederum sind zunächst stets emotionalen Charakters, es sind Gefühle, die<br />

sich aufgr<strong>und</strong> von Wahrnehmungen <strong>und</strong> Erinnerungen einstellen. Unter der Annahme<br />

der Richtigkeit der Prämissen, dass die Sprache <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>en<br />

unser Denken Einfluss auf unsere <strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> damit auf unsere Gefühle<br />

nehmen kann, umgekehrt aber auch unsere <strong>Erfahrungen</strong> (Gefühle) unsere<br />

Sprache (Denken) verändern können, findet der inzwischen weitestgehend anerkannte<br />

korrelative Zusammenhang zwischen Denken <strong>und</strong> Fühlen eine weitere<br />

Bestätigung.<br />

Ich möchte beispielhaft zwei historische Ereignisse nennen, die ein neues<br />

<strong>Werte</strong>denken markieren: zum einen nämlich die Französische Revolution, zum<br />

anderen die Geschehnisse <strong>des</strong> zweiten Weltkrieges. Der für uns interessante<br />

Unterschied zwischen diesen beiden Ereignissen liegt darin, dass ersteres die<br />

Manifestation, die Wirkung also, eines <strong>Werte</strong>wandels darstellt, der sich langsam<br />

vollzogen hat, während zweiteres <strong>im</strong> Gegensatz dazu die Ursache eines <strong>Werte</strong>wandels<br />

war, der sich relativ rasch vollzogen hat. Am Beispiel der Französischen<br />

Revolution zeigt sich, wie langwierig der Prozess der <strong>Werte</strong>bildung sein kann,<br />

wenn unsere <strong>Erfahrungen</strong> die Sprache nur allmählich zu verändern <strong>im</strong>stande<br />

sind, wie die St<strong>im</strong>me <strong>des</strong> Volkes allmählich lauter wird, bis sie schließlich jedermann<br />

vern<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> ihre Aussagen für sich als <strong>Werte</strong>, als Leitsätze also, anerkennt<br />

<strong>und</strong> übern<strong>im</strong>mt. Die Geschehnisse <strong>des</strong> zweiten Weltkrieges hingegen sind<br />

ein Beispiel dafür, dass eine emotional besonders intensive Erfahrung einen<br />

raschen <strong>Werte</strong>wandel, <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>en einen raschen Wandel von Sprache<br />

<strong>und</strong> Denken, herbeiführen<br />

kann. Diese<br />

Raschheit <strong>des</strong> ansonsten<br />

relativ langwierigen<br />

<strong>Werte</strong>wandels kann<br />

hierbei wohl auf zweierlei<br />

Gründe zurückgeführt<br />

werden: erstens<br />

die außergewöhnliche<br />

emotionale Qualität<br />

der Geschehnisse, die<br />

die Erfahrung umso<br />

spürbarer <strong>und</strong> damit<br />

umso mehr zu einer<br />

eigenständigen Erfahrung<br />

werden lässt, <strong>und</strong><br />

zweitens der Umstand,<br />

dass die Sprache der<br />

entdeckten <strong>Werte</strong> bereits<br />

(fast zweih<strong>und</strong>ert<br />

<strong>Werte</strong> sind dabei das<br />

Produkt der Veränderung<br />

der Sprache,<br />

<strong>und</strong> somit auch <strong>des</strong><br />

Denkens, aufgr<strong>und</strong> der<br />

Veränderung von <strong>Erfahrungen</strong>,<br />

das heißt<br />

also aufgr<strong>und</strong> neuer<br />

<strong>Erfahrungen</strong>.<br />

Jahre zuvor) gesprochen wurde <strong>und</strong> vielleicht noch nicht ganz in Vergessenheit<br />

geraten ist. Nach dem zweiten Weltkrieg kam es also vielmehr zu einer Wiederentdeckung<br />

bzw. Rückbesinnung auf die <strong>Werte</strong> der Französischen Revolution.<br />

Konkret handelt es sich bei diesen wiederentdeckten <strong>Werte</strong>n um das auf der<br />

Idee von Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit basierende Konzept der Menschenwürde sowie<br />

um die ebenfalls der Idee von Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit entspringende politische<br />

Forderung nach Demokratie. Wenn wir heute von der europäischen <strong>Werte</strong>gemeinschaft<br />

sprechen oder die Möglichkeit einer allmählichen <strong>Werte</strong>erosion diskutieren,<br />

so sind damit stets die soeben angeführten <strong>Werte</strong> Freiheit, Gleichheit,<br />

78<br />

79


Menschenwürde <strong>und</strong> Demokratie oder doch zumin<strong>des</strong>t damit in unmittelbaren<br />

Zusammenhang stehende <strong>Werte</strong> wie Menschenrechte, Respekt, Toleranz <strong>und</strong><br />

Solidarität angesprochen. Das soll uns zu bedenken geben wie sehr wir die Erben<br />

<strong>des</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>erts sind, wie sehr unser <strong>Werte</strong>denken auch heute noch in<br />

den Texten einer intellektuellen Elite <strong>im</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert gründet, die zugegeben<br />

wiederum sehr stark von gewissen philosophischen Strömungen der Antike<br />

inspiriert wurden.<br />

Die Beobachtung der Geschichte legt den Schluss nahe, dass einer Phase<br />

<strong>des</strong> Aufflammens der genannten <strong>Werte</strong> eine Phase der Abkühlung folgt, die<br />

mangels der Max<strong>im</strong>enqualität der von diesen <strong>Werte</strong>n ableitbaren ethischen<br />

Prinzipien Handlungen <strong>und</strong> <strong>Erfahrungen</strong> ermöglicht, die uns wiederum auf diese<br />

<strong>Werte</strong> zurückwerfen. Die Geschichte würde sich demzufolge als ein (ewiger?)<br />

Kreislauf von Verlust <strong>und</strong> Wiedergewinn dieser <strong>Werte</strong> darstellen. Im <strong>Lichte</strong> der<br />

hier formulierten These würde die häufig diskutierte Annahme einer aktuellen<br />

Erosion dieser <strong>Werte</strong> bedeuten, dass wir uns gerade in einer Phase <strong>des</strong> <strong>Werte</strong>verlusts<br />

befinden.<br />

Die Wiederentdeckung der <strong>Werte</strong> hat in der Geschichte bislang zur Schaffung<br />

von Institutionen geführt, die Gewähr für die Realisierung dieser <strong>Werte</strong><br />

leisten sollten. Das große Problem dabei ist allerdings, dass man vielleicht zu<br />

sehr dazu geneigt ist, sich auf die Wirksamkeit der Institutionen zu verlassen<br />

<strong>und</strong> die VertreterInnen der Institutionen in ihrem Selbstverständnis nicht ihr eigenes<br />

Handeln der Verantwortlichkeit für die <strong>Werte</strong> unterstellen, sondern in der<br />

bloßen Schaffung ihrer Institution bereits hinlänglichen Schutz erblicken. Und<br />

so waren es oftmals genau diese Institutionen, die <strong>im</strong> Namen von Demokratie,<br />

Freiheit, Gleichheit etc. eben die Menschenwürde am stärksten verletzt haben.<br />

Eine gewisse Skepsis ist daher niemals fehl am Platze.<br />

So erhebt sich an dieser Stelle unter anderem die berechtigte Frage, inwiefern<br />

Universitäten ihrer Rolle diesen <strong>Werte</strong>n zuzuarbeiten überhaupt (noch)<br />

gerecht werden. Was sich durch die allmähliche Zurückdrängung <strong>des</strong> humboldtschen<br />

Universitätsmodells jedenfalls abzeichnet, ist ein Abbau <strong>des</strong> humanistischen<br />

Bildungsauftrages von Universitäten. Nicht zuletzt durch die Straffung<br />

der Curricula, die <strong>im</strong>mer weniger studienfremde Gr<strong>und</strong>lagenfächer sowie freie<br />

Wahlfächer vorsehen, verwandeln sich Universitäten von Bildungseinrichtungen<br />

<strong>im</strong>mer mehr zu Ausbildungsstätten, die nun eben keine humanistischen <strong>Werte</strong><br />

mehr vermitteln, sondern ihre Studierenden auf ein erfolgreiches Erwerbsleben<br />

vorbereiten. Doch auch die Universitäten sind nur Teil eines Gesamtsystems,<br />

von <strong>des</strong>sen Institutionen zuweilen ein bisschen zu viel erwartet wird. Schließlich<br />

leisten sie nicht ausreichend Gewähr für den Schutz der diskutierten <strong>Werte</strong>.<br />

Sie mögen zwar eine notwendige, können aber niemals zugleich auch eine hinreichende<br />

Bedingung hierfür sein. So wird aus einer Politik der Verantwortung<br />

schnell eine Politik der Pflicht <strong>und</strong> es setzt sich der Trend durch, nur mehr<br />

individuelle Interessen <strong>im</strong> Bereich <strong>des</strong> zulässigen Rahmens zu fördern. Überindividuelle<br />

Interessen, wie es der unbedingte Schutz der Menschenwürde ist,<br />

laufen dabei Gefahr <strong>im</strong>mer mehr auf der Strecke zu bleiben. Ein liberalistisches<br />

Argument für eine Verschiebung<br />

hin zu einer<br />

zunehmenden Förderung<br />

von individuellen<br />

Interessen lautet zwar,<br />

dass sich der Schutz<br />

Gerade ein Studium<br />

schafft die Möglichkeit<br />

individuelle Interessen<br />

zu fördern.<br />

der überindividuellen<br />

Interessen eben gerade<br />

aus der Förderung individueller<br />

Interessen ergeben<br />

würde, doch darf<br />

man dabei nicht übersehen, dass eine individuelle Förderung, so sehr sie auch<br />

Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit dienen mag, auch in Spannung dazu treten kann.<br />

Gerade ein Studium schafft die Möglichkeit individuelle Interessen zu fördern.<br />

Während meines <strong>Studiums</strong> hat sich der Eindruck <strong>im</strong>mer mehr verstärkt,<br />

dass es pr<strong>im</strong>är gar nicht darauf abzielen würde soziale Verantwortung zu vermitteln,<br />

sondern eben darauf, eine möglichst große Chance auf eine günstige<br />

Position <strong>im</strong> Erwerbsleben zu sichern. Natürlich wird die soziale Verantwortung,<br />

die man <strong>im</strong> Erwerbsleben trägt, an verschiedener Stelle eingemahnt (so heißt<br />

es etwa <strong>im</strong> Gelöbnis auf die Universität Innsbruck: Ich verspreche <strong>und</strong> gelobe,<br />

[…] mein Wissen <strong>und</strong> Können in sozialer Verantwortung zu nutzen, zum Abbau<br />

von Vorurteilen beizutragen <strong>und</strong> mich um eine Kultur der geistigen Freiheit <strong>und</strong><br />

Toleranz zu bemühen), doch scheint man dabei davon auszugehen, dass eine<br />

pflichtgemäße Erfüllung der Aufgaben, die ein Beruf mit sich bringt, bereits<br />

ausreichend Gewähr für sozial verantwortungsvolles Handeln leisten soll. Doch<br />

scheint diese Haltung ein wenig zu kurz zu greifen. Denn dort wo Pflichterfüllung<br />

mit sozialer Verantwortung gleichgesetzt wird, droht letztere verloren zu<br />

gehen. Die Pflicht würde demzufolge also, wie bereits angeführt, die Verantwortung<br />

ersetzen. Pflichterfüllung kann zwar sehr wohl Teil der sozialen Verantwortung<br />

sein, doch darf sich die Verantwortung dabei niemals aus der Pflicht<br />

ergeben, sondern muss sich umgekehrt die Pflicht stets aus der Verantwortung<br />

ergeben. Soziale Verantwortung, die Förderung überindividueller Interessen,<br />

80<br />

81


muss also <strong>im</strong>mer pr<strong>im</strong>är bleiben. Tut sie es nicht, droht der <strong>Werte</strong>verlust, der<br />

uns <strong>Erfahrungen</strong> aufnötigt, die uns wiederum zu einer Wiederentdeckung der<br />

verlorenen <strong>Werte</strong> bewegen. Ob die gegenwärtige Wirtschaftskrise bereits eine<br />

solche Erfahrung darstellt, sei dahingestellt. Viel eher scheint sie ein Vorbote zu<br />

sein, in dem sich ein <strong>Werte</strong>verlust ankündigt, der für die Zukunft <strong>Erfahrungen</strong><br />

bereit hält, die uns zu einer abermaligen Umwertung der <strong>Werte</strong> nötigen könnten.<br />

Ein Edm<strong>und</strong> Husserl hat nicht unrecht, wenn er schreibt, dass „das Subjekt<br />

auf ein sich in seinen Wertgehalten steigern<strong>des</strong> Leben“ abzielt. Allerdings<br />

warne ich davor, seine Einsicht allzu opt<strong>im</strong>istisch zu interpretieren. Denn damit<br />

ist noch lange nicht gesagt, dass die erlangten <strong>Werte</strong> stets auch der Förderung<br />

überindividueller Interessen dienen müssen. Das Streben nach <strong>Werte</strong>n kann<br />

wohl mit dem Streben nach Sinn gleichgesetzt werden. Es geht also darum,<br />

für sich einen Sinn <strong>im</strong> Leben zu schaffen. Dieser Sinn kann allerdings auf rein<br />

individuellen <strong>Werte</strong>n basieren, von denen eine soziale Verantwortung <strong>im</strong> weitesten<br />

Sinn nicht zu erwarten ist. Unter sozialer Verantwortung <strong>im</strong> weitesten Sinn<br />

verstehe ich den unbedingten Schutz der Menschenwürde. Nur bedingt ist der<br />

Schutz der eigenen Würde <strong>und</strong> der Schutz der Würde seiner Nächsten (Familie,<br />

Berufsstand, Nation, Kulturkreis,…), ohne etwa „Fremde“ oder zukünftige<br />

Generationen mit zu berücksichtigen. Was der Würde der einen nützt, kann<br />

schließlich die Würde der anderen verletzen. Auch ein in seinen Wertgehalten<br />

gesteigertes Leben, kann daher hinsichtlich <strong>des</strong> (unbedingten) <strong>Werte</strong>s der Menschenwürde<br />

problematisch erscheinen.<br />

Wenn mein Bef<strong>und</strong> <strong>und</strong> meine Prognose damit einen zu pess<strong>im</strong>istischen<br />

Eindruck erwecken mögen, so muss ich zur Ehrenrettung der Universitäten<br />

doch zugeben, dass es um sie gar nicht so schlecht bestellt sein muss. Meine<br />

<strong>Erfahrungen</strong> sind schließlich äußerst ambivalent. So oft ich auch den Eindruck<br />

hatte, vielen Studierenden läge es fern durch ihr Studium in erster Linie soziale<br />

Verantwortung übernehmen zu wollen (was wohl auch darauf zurückzuführen<br />

ist, dass ihnen ihr Studium diese soziale Verantwortung gar nicht erst ausdrücklich<br />

vermittelt, d. h. dass man sich als Teil <strong>des</strong> Studienplanes gar nicht erst<br />

explizit mit dem Thema der sozialen Verantwortung durch Gebrauch <strong>des</strong> erworbenen<br />

Wissens <strong>und</strong> Könnens auseinandersetzen muss), so habe ich dennoch<br />

oft genug die Erfahrung gemacht, dass viele ihren angestrebten Beruf auch<br />

hinsichtlich ethischer Aspekte hinterfragen. Ein Studium kann also durchaus<br />

dazu anregen, sich mit <strong>Werte</strong>n <strong>und</strong> sozialer Verantwortung zu befassen. Denn<br />

am Ende kommt es <strong>im</strong>mer darauf an, was man selbst daraus macht.<br />

Man nehme vor allem<br />

den Begriff Gleichheit<br />

von Magdalena Biereder,<br />

Stipendiatin der Initiativgruppe Alpbach Oberösterreich<br />

82<br />

83


<strong>Erfahrungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong> <strong>des</strong> <strong>Studiums</strong>!<br />

Im Impulstext, der diesem Essay zugr<strong>und</strong>e liegt, heißt es, wir erleben eine Krise<br />

bisher unhinterfragter <strong>Werte</strong>. Es ist von <strong>Werte</strong>n wie Menschenrechten, Respekt,<br />

Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Toleranz, Solidarität <strong>und</strong> der Frage nach<br />

dem Wert <strong>des</strong> menschlichen Lebens die Rede. All diese Begriffe werden einer<br />

angenommenen westlichen <strong>Werte</strong>gemeinschaft zugeordnet. Der vermeintliche<br />

<strong>Werte</strong>verfall, genauso wie das System der westlichen <strong>Werte</strong>gesellschaft – <strong>im</strong><br />

Widerspruch zu „fremden Wertsystemen“ stellen derzeit oft gehörte Schlagwörter<br />

dar. Entgegen dieser allgemeinen Meinung möchte ich es an dieser Stelle<br />

wagen, Widerspruch zu äußern.<br />

Begriffe wie Menschenrechte, Respekt, Freiheit, Demokratie, Gleichheit,<br />

Toleranz <strong>und</strong> Solidarität sind für sich gesehen leere Worthülsen ohne jegliche<br />

Bedeutung, denen erst durch Kontextualisierung Gehalt verschafft wird. Trotzdem<br />

werden sie seit jeher als Inbegriff der notwendigen Attribute liberaler Gesellschaftssysteme<br />

verstanden. Man nehme vor allem den Begriff Gleichheit:<br />

Die Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder wurde spätestens seit der Französischen<br />

Revolution 1798, wenn nicht sogar schon in der Antike als zu erstrebenswertes<br />

Ziel gesehen. Doch wer oder was als gleich anzusehen ist, ist konstant<br />

der Veränderung unterlegen. Man denke etwa nur an den Gleichheitssatz<br />

in der österreichischen Judikatur. 1947 entschied der Verfassungsgerichtshof<br />

etwa, dass eine ungleiche Zuteilung von Zigaretten an Männer <strong>und</strong> Frauen dem<br />

Gleichheitsgr<strong>und</strong>satz entspricht. Ein heute <strong>und</strong>enkbares Urteil. Frauen, Homosexuelle,<br />

Menschen unterschiedlicher Hautfarben, Menschen unterschiedlicher<br />

sozialer Herkunft, verschiedene Religionsangehörige wurden jahrh<strong>und</strong>ertelang<br />

diskr<strong>im</strong>iniert <strong>und</strong> erfahren auch in der sogenannten westlichen <strong>Werte</strong>gemeinschaft<br />

erst verhältnismäßig kurze Zeit keine oder zumin<strong>des</strong>t geringere Diskr<strong>im</strong>inierung.<br />

Stellt man dies der langen Dauer gegenüber, seit der sich europäische Demokratien<br />

der Gleichbehandlung ihrer Bürger rühmt, scheint die Umsetzung ihrer<br />

<strong>Werte</strong> auf den ersten Blick armselig auszufallen. Auf den zweiten Blick kann<br />

man aber feststellen, dass es doch Schritt für Schritt besser mit der Gleichheit<br />

zu werden scheint. Mit der fortschreitenden Gleichbehandlung gesellschaftlicher<br />

Randgruppen scheinen wir es also nicht mit einem <strong>Werte</strong>verfall, sondern<br />

mit dem schieren Gegenteil zu tun zu haben – einem Aufschwung von <strong>Werte</strong>n.<br />

Und dies trifft ebenso auf die anderen genannten <strong>Werte</strong> zu. Demokratie wurde<br />

noch niemals so stark gelebt wie heute. Wir haben freie Wahlen in mehr<br />

Ländern als je zuvor. In Österreich erfährt Basisdemokratie gerade ein noch<br />

nie dagewesenes Hoch, wie man an der steigenden Zahl direktdemokratischer<br />

Initiativen wie Volksbefragungen oder Volksbegehren sieht. Toleranz gegenüber<br />

anderen Religionen oder Weltanschauungen wurde mühsam erkämpft <strong>und</strong> war<br />

noch <strong>im</strong> vergangenen Jahrh<strong>und</strong>ert keine Selbstverständlichkeit.<br />

Anstatt von einer Erosion dieser f<strong>und</strong>amentalen <strong>Werte</strong> zu sprechen, könnte<br />

man sogar meinen, dass wir <strong>im</strong> Gegenteil historisch gesehen, gerade die Hochblüte<br />

eines konstanten <strong>Werte</strong>aufschwunges erleben. Wie kommt es nun, dass<br />

wir trotz dieser positiven Bilanz den Verfall unseres <strong>Werte</strong>systems diskutieren?<br />

Nun, wie so vieles, liegt wohl auch dies <strong>im</strong> Auge <strong>des</strong> jeweiligen Betrachters.<br />

Während meine Generation über die Einführung der Ehe für homosexuelle Paare<br />

jubelnd von Meilensteinen<br />

hinsichtlich mehr<br />

Freiheit in unserer Gesellschaft<br />

spricht, so<br />

sehen viele andere genau<br />

hier - <strong>im</strong> mangelnden<br />

Respekt für althergebrachte<br />

Institutionen<br />

<strong>und</strong> Traditionen wie die<br />

klassische Ehe - ein<br />

typisches Beispiel von<br />

<strong>Werte</strong>verfall.<br />

Was mit diesem<br />

Beispielen gezeigt werden<br />

soll, ist, dass <strong>Werte</strong><br />

sich konstant verändern.<br />

Sie verschwinden<br />

nicht, sondern müssen<br />

einfach als nicht-absolute<br />

Größe angesehen<br />

Die Gleichheit aller<br />

Gesellschaftsmitglieder<br />

wurde spätestens<br />

seit der französischen<br />

Revolution 1798,<br />

wenn nicht sogar<br />

schon in der Antike als<br />

zu erstrebenswertes<br />

Ziel gesehen.<br />

werden. Den oben genannten Schlagwörtern werden kontinuierlich neue Bedeutungen<br />

zugewiesen. Auch der Vorwurf <strong>des</strong> <strong>Werte</strong>verfalles an sich ist nichts<br />

genuin Neues in unserer Zeit, sondern scheint eine dauerhafte Begleiterscheinung<br />

der, die menschliche Existenz begleitende Debatten, über Leitprinzipien<br />

darstellen. Die <strong>Werte</strong>verfallsdebatte lässt sich in Wirklichkeit auf einen s<strong>im</strong>plen<br />

Generationenkonflikt zurückführen. <strong>Werte</strong> wandeln sich. Alte Vorstellungen verlieren<br />

an Bedeutung <strong>und</strong> müssen neuen Ideen <strong>und</strong> Konzepten Platz machen,<br />

die bei der älteren Generation auf Unverständnis stoßen. Und hier kommen die<br />

<strong>Erfahrungen</strong> ins Spiel. Was gemeinhin als Wertvorstellungen bezeichnet wird,<br />

84<br />

85


esultiert meiner Meinung nach nämlich aus der Summe der individuellen <strong>Erfahrungen</strong><br />

in einer Gesellschaft. Da sich die Lebensrealitäten ständig wandeln<br />

<strong>und</strong> Menschen andere <strong>und</strong> neue <strong>Erfahrungen</strong> <strong>im</strong> Vergleich zur alten Generation<br />

machen, wandeln sich gezwungenermaßen auch die individuellen Wertvorstellungen<br />

<strong>und</strong> damit die gesamten Leitideen <strong>und</strong> <strong>Werte</strong> einer Gesellschaft. Ohne<br />

jegliche <strong>Werte</strong> - <strong>und</strong> hiermit muss Husserl Recht gegeben werden - geht es aber<br />

zu keiner Zeit. Der Mensch bedarf <strong>im</strong>mer gewisser Orientierungshilfen. Sei es<br />

in Form von Religion, Rechtsnormen, individuellen <strong>Werte</strong>n oder Moralvorstellungen.<br />

All dies wird wohl in unterschiedlichem Ausmaß <strong>im</strong>mer präsent sein.<br />

Und hier soll nun an die Universitäten verwiesen werden. Universitäten waren<br />

<strong>im</strong>mer ein Hort <strong>des</strong> Gedankenaustausches <strong>und</strong> <strong>des</strong> intellektuellen Diskurses.<br />

Auch in meiner Studienzeit konnte ich dies so erleben. In unserer postmodernen<br />

Zeit muss allerdings hinsichtlich <strong>Werte</strong> wie Wohlstand, Sicherheit <strong>und</strong><br />

Glück auf meine soeben genannten Ausführungen verwiesen werden. Es handelt<br />

sich hierbei um Begriffe denen erst ihr Kontext <strong>im</strong> Raum-Zeit-Gefüge Bedeutung<br />

verleiht. Was die Universitäten heute jedoch nach wie vor lehren, sind<br />

kritisches Denkvermögen, Durchhaltevermögen, Ausdauer <strong>und</strong> <strong>im</strong> Kant’schen<br />

Sinne den Mut, seinen eigenen Verstand zu benützen <strong>und</strong> eigene Gedanken abseits<br />

breitgetretener Pfade zu formulieren. Raum für solchen Erkenntnisgewinn<br />

<strong>und</strong> persönliche Weiterentwicklung zu bieten, ist was Universitäten in einer<br />

postmodernen <strong>Werte</strong>vermittlungsdebatte außerordentlich wertvoll macht.<br />

86<br />

87


Impressum:<br />

für den Inhalt verantwortlich<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung<br />

Minoritenplatz 5, 1014 Wien<br />

Tel: +43 (1) 53120 0<br />

mailto:infoservice@bmwf.gv.at<br />

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Grafic Design: Ateliersmetana


B<strong>und</strong>esministerium für Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Forschung

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