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Cicero, <strong>de</strong> oratore 2, 184-186(184) Ihren Charakter also in <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> als gerecht und lauter, gewissenhaftund scheu, als duldsam gegenüber Ungerechtigkeitendarzustellen, das wirkt wahre Wun<strong>de</strong>r. Dieses Mittel hat auch, wenn manes ansprechend und geschmackvoll einzusetzen weiß, in <strong>de</strong>r Einleitung,bei <strong>de</strong>r Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Sachverhalts o<strong>de</strong>r am Schluss <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong>solchen Einfluss, dass es oft mehr ausmacht als die Sache selbst. DerTon <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> hat in<strong>de</strong>ssen eine solche Wirkung, dass die Re<strong>de</strong>gleichsam ein Bild vom Charakter <strong>de</strong>s Re<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n entstehen lässt. Durchdie entsprechen<strong>de</strong> Art von Gedanken und Formulierungen kann man ja,wenn auch noch ein ruhiger und freundlich gestimmter Vortraghinzukommt, die Wirkung erzielen, dass man als ein braver, gutartiger,tüchtiger Mann erscheint. (185) An diese Art <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> schließt sich aberjene von ihr verschie<strong>de</strong>ne, die in ganz an<strong>de</strong>rer Art das Gemüt <strong>de</strong>rRichter zu bewegen sucht und sie zu Hass~ o<strong>de</strong>r zu Liebe treibt, zu Neido<strong>de</strong>r Wohlwollen, zu Furcht o<strong>de</strong>r Hoffnung, zu Begier<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Schau<strong>de</strong>r,zu Freu<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Trauer, zu Mitleid o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Wunsch nach Bestrafungund zu an<strong>de</strong>ren Gefühlen, die solchen Regungen etwa verwandt undähnlich sind. (186) Es wäre für <strong>de</strong>n Redner auch zu wünschen, dass dieRichter sich <strong>de</strong>m Fall von sich aus schon in einer spontanen Stimmung,die <strong>de</strong>m Interesse <strong>de</strong>s Redners angemessen ist, zuwen<strong>de</strong>n. Es ist jaleichter, wie man sagt, einen, <strong>de</strong>r schon in Fahrt ist, anzutreiben, alseinen Tragen erst in Fahrt zu bringen. Wenn <strong>de</strong>r Fall aber nicht so liegto<strong>de</strong>r zu undurchsichtig ist, dann mui3 man es so halten wie eingewissenhafter Arzt: Bevor er <strong>de</strong>m Patienten ein Heilmittel zu verordnensucht, muss er nicht nur die Krankheit <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>n er heilen will,son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n Gesundheitszustand und die körperliche Verfassungdiagnostizieren; so richte auch ich, wenn ich darangehe, bei einemungewissen, problematischen Fall auf die Richter einzuwirken, meinganzes Sinnen und Trachten auf das Ziel, dass ich mit möglichst feinerWitterung erspure, was sie <strong>de</strong>nken, was sie glauben, was sie erwarten,was sie wünschen und in welche Richtung sie wohl durch die Re<strong>de</strong> amleichtesten zu lenken sind.


erkennen<strong>de</strong> Anwendung Stilmittel im Dt.Abi mit Stil?1985 hielt eine bun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>utsche Abiturientin eine Re<strong>de</strong>, die vermutlich repräsentativfür <strong>de</strong>n „Zeitgeist“ ihrer Schülergeneration war und <strong>de</strong>shalb große Beachtung fand.Wir blicken in keine rosige Zukunft. Keiner von uns hat das Gefühl,jetzt heraustreten zu dürfen, um die Welt zu erobern. JugendlicherÜberschwang, i<strong>de</strong>alistische Begeisterung, Sturm und Drang, dieseBegriffe passen auf uns nicht.Wir sind nicht wie die Schülergeneration <strong>de</strong>r Nachkriegsjugend, zu <strong>de</strong>rviele von Ihnen, liebe Eltern und Lehrer, gehörten. Auch sind wir nichtzu vergleichen mit <strong>de</strong>r Schülergeneration von 1968. Wir sind keineProtestler. Manche behaupten sogar, wir seien zu angepasst.Wir feiern also unser Abitur unter ganz an<strong>de</strong>ren Vorzeichen. Wirhaben eine Hür<strong>de</strong> genommen - die erste. Darauf sind wir stolz. Aberunser Abiturzeugnis? Ein wertloser Berechtigungsschein. Für alleLehrberufe, für alle Ausbildungsberufe gibt es Eignungstests undWartelisten, für das Studium <strong>de</strong>n Numerus clausus; dieArbeitslosigkeit bedroht auch uns - wir wer<strong>de</strong>n uns immer wie<strong>de</strong>ranstrengen müssen. Wir glauben nicht, dass wir alles erreichenkönnen, was wir wollen. Wir haben ein äußerst unsicheres Verhältniszu unserer Zukunft.Ursache sind äußere Umstän<strong>de</strong>, für die Sie, liebe Lehrer, nichtverantwortlich sind. Doch einen Punkt möchte ich hier anführen, <strong>de</strong>rSie betrifft. Wer sich in <strong>de</strong>r Schule ernsthaft für ein Fach interessierthat, wird sich leichter ein Ziel setzen können. Wer sogar erfahren hat,dass es viele interessante Fächer gibt, wird bereit sein, weiter zulernen, zu vertiefen. Dieser Schüler wird auch nicht so schnellresignieren. In diesem Punkt nehmen Sie als Lehrer ganzentschei<strong>de</strong>nd auf unser Leben Einfluss. Ich behaupte, dass es keinenvon vornherein <strong>de</strong>sinteressierten Schüler gibt. Natürlich stumpfen wirim Schulbetrieb oft ab. Aber je<strong>de</strong>s Mal, wenn wir in unserer Schulzeitein neues Fach, einen neuen Lehrer bekommen haben, waren wirvoller Erwartung, gespannt, was nun kommen wür<strong>de</strong>. Ich behaupte,dass ein Lehrer, <strong>de</strong>r seine Schüler von vornherein für einen


uninteressierten Haufen hält, einen schweren, unentschuldbarenFehler begeht. Gelangweilte Lehrer, abgestumpfte Schüler - einTeufelskreis, <strong>de</strong>r oftmals schon in <strong>de</strong>r Mittelstufe begonnen bat. In <strong>de</strong>rOberstufe geht’s dann auf das Abitur zu - Interesse ist da ein Luxus,<strong>de</strong>n höchstens noch Religionslehrer für selbstverständlich halten.Auch die Kameradschaftlichkeit, eine tolle Sache und einsympathischer Zug vieler unserer Lehrer, ersetzt nicht, worauf eswirklich ankommt: dass Sie als Lehrer zu <strong>de</strong>m Fach stehen, das Sieschließlich selber einmal gewählt und studiert haben, dass Sie in <strong>de</strong>nSchülern das gleiche Interesse wecken, das Sie dazu gebracht bat,das Fach, Ihr Fach zu studieren. (Mathematiklehrer wissen, dassMathematik Spaß macht, 90 Prozent <strong>de</strong>r Schüler wissen es nicht.)Sonst wäre es tatsächlich einfacher, wenn <strong>de</strong>r Schüler das Schulbuchnimmt und es zu Hause durchliest.Damit unsere Nachfolger nicht so <strong>de</strong>nken, wünsche ich mir, dass Sie,liebe Lehrer, Stellung nehmen, und uns, die Neu1inge, zu IhremWissen hinführen. Um Schüler von einem Fach zu faszinieren, reichenFakten nicht aus. Die Hintergrün<strong>de</strong> und die Zusammenhänge IhresGebietes müssen die Fakten anreichern. Und dazu gehört, die Schülerals mündige Menschen ernst zu nehmen.Einen Lehrplan, <strong>de</strong>r Sie langweilt, in anonyme Köpfe zu stopfen, istsinnlos und fatal. Na klar, sagen Sie, wer will nicht <strong>de</strong>n(unerreichbaren) I<strong>de</strong>alzustand! Ich möchte aber nicht nur ein paarschöne I<strong>de</strong>en ausbreiten, ich möchte Sie bitten, das Verhältnis zuIhrem Beruf ernsthaft zu über<strong>de</strong>nken: Wir können nichts dafür, wennmanche von Ihnen ihr eigenes Fach langweilt.Aber für uns geht es um alles: um unsere Einstellung zur Zukunft. Siehatten die Macht, uns zu helfen, mit <strong>de</strong>n düsteren Zukunftsprognosenfertig zu wer<strong>de</strong>n. Nicht wenige von Ihnen haben uns durch Ihrsachliches Engagement geholfen, unseren Weg zu fin<strong>de</strong>n. Oft, viel zuoft, wur<strong>de</strong>n wir aber auch enttäuscht, abgeblockt, nicht ernstgenommen, und ich glaube, wir sind ein eher <strong>de</strong>primierter Jahrgang.Die Lichtblicke wer<strong>de</strong> ich jedoch nicht vergessen, und ich möchte allenLehrern danken, die uns im Laufe <strong>de</strong>r Schulzeit geholfen haben


Birgit Jähnke: Lektion für die Lehrer. DIE ZEIT: Nr.35 (l985}. 1. Beschreibe bitte kurz und spontan, welche Stimmung diese Re<strong>de</strong> in Dir auslöst. 2. Nimm bitte inhaltlich Stellung zu dieser Re<strong>de</strong>. Überlege dann, ob Birgit ihrberechtigtes/unberechtigtes Anliegen gut „rüberbringt“. Mache Deine Einschätzungbitte an einigen rhetorischen (stilistischen o<strong>de</strong>r/und inhaltlichen) Kriterien fest. 3. Suche bitte aus <strong>de</strong>m Text Elemente <strong>de</strong>r Ich-, Du- und Sachorientierung herausund versuche die vorherrschen<strong>de</strong> Orientierung Re<strong>de</strong> zu ermitteln. 4. Sammle bitte die rhetorischen Figuren, die Birgit verwen<strong>de</strong>t hat. 5. Stelle Dir vor, Du müsstest selbst eine Abiturre<strong>de</strong> halten - wobei Deine Situationevtl. an<strong>de</strong>rs ist als die Mitte <strong>de</strong>r achtziger Jahre. Überlege Dir einen Zielsatz, ehe Duan die Vorbereitung Deiner Re<strong>de</strong> gehst. Folge dann <strong>de</strong>r Schrittfolge <strong>de</strong>r antikenRhetorik (mit Ausnahme <strong>de</strong>r „memoria“ natürlich).© F.S.; anh. St. Gora: Grundkurs Rhetorik - Eine Hinführung zum freien Sprechen(Arbeitsmaterialien Deutsch), Stuttgart u.a. 1992, S.40-41.


erkennen<strong>de</strong> Anwendung im Dt. ZUR ABIREDE 1985Abi mit Stil - aber welcher?Terminus technicus Erklärung Zuordnung vonTextstellenMetapherbildhafte Übertragung aus einem an<strong>de</strong>ren BereichMetonymieIronieWortspielSchlagwortAlliterationAnapherSynonymieKlimaxAntiklimaxParallelismusChiasmusAnre<strong>de</strong>Rhetorische FrageZitatBegriffsersetzung aus <strong>de</strong>mselben BereichLautwie<strong>de</strong>rholungwörtliche Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>s SatzanfangsWie<strong>de</strong>rholung durch Wörter gleicher und ähnlicherBe<strong>de</strong>utungSteigerungParallelstellung gleichartiger Satzglie<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>rBe<strong>de</strong>utungenÜberkreuzstellung gleichartiger Satzglie<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>rBe<strong>de</strong>utungen (wie <strong>de</strong>r griech. Buchstabe χ = chi)(Parallelismus und Chiasmus dienen meist einerGegenüberstellung/Antithese.) 1. Im folgen<strong>de</strong>n sind verschie<strong>de</strong>ne Stellen aus <strong>de</strong>r Abiturre<strong>de</strong> und z.T. aus an<strong>de</strong>ren Textenaufgeführt, die alle ein bestimmtes Stilmittel darstellen. Als Beobachtungsübung ordne bitte dieseStellen passend zu, in<strong>de</strong>m Du die Nummer <strong>de</strong>s Zitats passend in die Tabelle einträgst.1. im Elfenbeinturm sitzen2. das Licht <strong>de</strong>r Wahrheit3. Eintrag und Notenbuch mögen ihren Schrecken verloren haben, Lexikon und Taschenrechnerwer<strong>de</strong>n in unserem Leben aber weiterhin eine Rolle spielen.4. Anpassung und Konkurrenzkampf wur<strong>de</strong>n so zu Tugen<strong>de</strong>n ersten Ranges.5. Ich habe das Haus schon voller, ich habe es auch schon leerer gesehen, aber so voller Lehrer habeich das Haus noch nie gesehen (v. Bülow).6. Wir haben eine erste Hür<strong>de</strong> genommen.7. gelangweilte Lehrer, abgestumpfte Schüler - ein Teufelskreis....8. So soll es sein.9. Ich behaupte, ... Ich behaupte, ...10. Wir wollten nicht nur Lehrstoff in uns hineinstopfen, wir wollten vielmehr eigene Erfahrungensammeln, wir wollten eigene I<strong>de</strong>en ausprobieren.11. Jugendlicher Überschwang, i<strong>de</strong>alistische Begeisterung, Sturm und Drang, diese Begriffe passenauf uns nicht.12. Nichts gegen Goethe und seinen ,Faust'. Aber ich halte es lieber mit <strong>de</strong>n ,Physikern', die wirebenfalls im Deutschunterricht besprochen haben. Ganz nüchtern bringt es Dürrenmatt nämlichauf <strong>de</strong>n Punkt: „Je planmäßiger die Menschen vorgehen, <strong>de</strong>sto wirksamer vermag sie <strong>de</strong>r Zufallzu treffen.“ Diese These, meine Damen und Herren, ist Ausgangspunkt für ...13. Oft, viel zu oft, wur<strong>de</strong>n wir aber auch enttäuscht, abgeblockt, nicht ernst genommen, und ichglaube, wir sind eher ein <strong>de</strong>primierter Jahrgang.


14. Anfangs einfach nur Neugier<strong>de</strong>, dann die Erfahrung, dass man mit so einem Computer selbstetwas programmieren kann, schließlich Begeisterung nicht nur über ein neugewonnenes Hobby,son<strong>de</strong>rn auch über eine Berufsperspektive.15. Neugier<strong>de</strong> und Spaß am Lernen, Enttäuschung und Frustration lagen oft dicht beieinan<strong>de</strong>r.16. Riesig war das Engagement <strong>de</strong>s Schülersprechers, beschei<strong>de</strong>n war die Resonanz bei <strong>de</strong>rSchülerschaft.17. ... wünsche ich mir, dass Sie, liebe Lehrer, Stellung nehmen....18. Die Kunst ist lang, und kurz ist unser Leben (Goethe).19. Wer viel re<strong>de</strong>t, erfährt wenig.20. Wir wer<strong>de</strong>n wohl weiter warten müssen21. Das Rektorat hüllt sich zu diesem Problem in Schweigen.22. Wir sind nicht wie die Schülergeneration, zu <strong>de</strong>r viele von Ihnen, liebe Eltern und Lehrer, gehörten.23. Haben wir als Schüler wirklich alle unsere Chancen genutzt?24. Keine Abi-Re<strong>de</strong> ohne ,Faust'-Zitat - so scheint es merkwürdigerweise die Tradition zu wollen. Indiesem Punkt muss ich Ihre Erwartungen jedoch enttäuschen: Ich wer<strong>de</strong> mich we<strong>de</strong>r als „armer Tor,... so klug als wie zuvor“, noch als Mensch, <strong>de</strong>r irrt, „solang' er strebt“, zu erkennen geben.25. Ist es <strong>de</strong>mokratisch, wenn Entscheidungen, die vor allem uns Schüler angehen, über die Köpfe<strong>de</strong>r Betroffenen hinweg gefällt wer<strong>de</strong>n?26. Anfangs noch Begeisterung, dann gleichgültiges Mitmachen <strong>de</strong>r mündlichen Note wegen,schließlich Leistungsverweigerung aus Prinzip ...© F.S.; anh. St. Gora: Grundkurs Rhetorik - Eine Hinführung zum freien Sprechen (ArbeitsmaterialienDeutsch), Stuttgart u.a. 1992, S.42-43.

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