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Inhaltsverzeichnis<br />

Seite<br />

Editorial 4<br />

Thema<br />

Mit Lothar Bisky nach Brüssel<br />

Gerd Sielski 6<br />

Eine bessere Bildung für ein anderes Europa ist nötig -<br />

wachsende Bewegung in europäischen Ländern<br />

Horst Bethge 7<br />

Manifest zur Europawahl<br />

EL Education Working Group 9<br />

Inklusion oder Exklusion durch Bildung?<br />

Anspruch und Wirklichkeit eines Menschenrechts<br />

Mona Motakef 12<br />

UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen<br />

(2006 Zeichnung – 2008 Ratifizierung in Deutschland) 19<br />

GEW: Inklusive Bildung – Jetzt<br />

Offener Brief an alle Kultusminister und Ministerpräsidenten der<br />

16 Bundesländer an die Bundeskanzlerin und die Bundesministerin<br />

für Bildung 21<br />

Appell baden-württembergischer Bildungsinitiativen anlässlich des<br />

8. deutschen Schulamoklaufs 22<br />

Aus den Bundesländern<br />

Schulpolitische Konferenz der Fraktion DIE LINKE und der Rosa-Luxemburg-Stiftung<br />

Sachsen-Anhalt: „Bildung, die ankommt.“<br />

Peter Joseph 25<br />

Schul-Visionen: Welches schulpolitische Konzept verfolgt DIE LINKE<br />

in Sachsen-Anhalt?<br />

Jutta Fiedler 28<br />

Schul-Plan: Unter welcher finanziellen und personellen Situation werden wir<br />

in Zukunft eine gute Schule in Sachsen-Anhalt gestalten können?<br />

Matthias Höhn im Anhang 1-6<br />

1<br />

20


Grundprobleme der Bildungsfinanzierung in Deutschland<br />

Plädoyer für einen nationalen Bildungspakt<br />

Bodo Ramelow 32<br />

Eine gute Schule für Berlin<br />

DIE LINKE 2. Landesparteitag, 2. Tagung 34<br />

Streiklisten im Auftrag des Kultusministeriums?<br />

Michaele Sojka 42<br />

Diskussion<br />

Erfahrungen aus 40 Jahren Einheitsschule in der DDR –<br />

Impulse für die Entwicklung der Gemeinschaftsschule<br />

Günter Wilms 43<br />

Gesamtschule oder Gemeinschaftsschule?<br />

Zur Perspektive zweier Reformmodelle nach PISA 2006<br />

Valentin Merkelbach 47<br />

Selbst verantwortete Schule – selbst verwalteter Mangel<br />

Ulrik Ludwig 62<br />

Aus dem Bundestag<br />

Schavan schreibt bei der <strong>Linke</strong>n ab<br />

Nele Hirsch 69<br />

Mehr Privat als Staat - FDP-Bildungspolitik auf dem Holzweg<br />

Volker Schneider 70<br />

Im Ausland erworbene Bildungs- und Berufsabschlüsse anerkennen<br />

Sevim Dagdelen 72<br />

Information/ Rezension<br />

Kindergrundsicherung und Chancengleichheit in der Bildung<br />

Rosemarie Hein 74<br />

GEW: „<strong>Die</strong> Richtung stimmt – Ausgaben für Infrastruktur jetzt<br />

um ‚Investitionspaket Bildung’ ergänzen“ 75<br />

Gemeinsame Pressemitteilung: BER – DPhV – Didacta Verband – GEW –<br />

VBE – VdS Bildungsmedien.<br />

Appell an Bund und Länder: Auch in Bildungsqualität investieren. 76<br />

2


Neuerscheinungen:<br />

Was war unsere Schule wert?<br />

Volksbildung in der DDR.<br />

Verlag Das Neue Berlin, 2009 77<br />

Karl-Heinz Braun: Wenn Bildung nicht ankommt: Schulversagen.<br />

Analysen und Alternativen<br />

Hrsg.: Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalt, Magdeburg 2009 78<br />

Veranstaltungen / Termine<br />

Berlin-Brandenburger Forum<br />

2.Halbjahr 2009 79<br />

In eigener Sache<br />

Einladung zur Beratung der Bundesarbeitsgemeinschaft am<br />

9./10.5.2009 in Berlin<br />

Rückmeldung 80<br />

Was ist die Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik und was will sie?<br />

Teilnahmeerklärung 82<br />

Bunte Reihe / Beihefte 84<br />

Bestellung 86<br />

Anhang Seite 1-6<br />

3


Editorial<br />

Der Europaparteitag von Essen ist Geschichte und schon steht der Parteitag in Berlin – am<br />

20. und 21. Juni – ins Haus.<br />

Bildungspolitik ist ein Schwerpunkt sowohl bei der Europawahl als auch bei der<br />

Bundestagswahl.<br />

<strong>Die</strong> Bundesarbeitsgemeinschaft und die Landesarbeitsgemeinschaften Bildungspolitik haben<br />

ihre Vorschläge für die Wahlprogramme eingebracht und mobilisieren ihre Mitglieder für die<br />

bildungspolitische Auseinandersetzung im Wahlkampf.<br />

Es hat auch ein Treffen der bildungspolitischen Sprecher von Parteien der EL in Brüssel<br />

stattgefunden. Horst Bethge war dabei und berichtet darüber. Es gibt auch ein gemeinsames<br />

Arbeitspapier, das wir veröffentlichen.<br />

Bildung als Menschenrecht verwirklichen, ist die Grundforderung der Partei DIE LINKE.<br />

Der Kampf hat sich gelohnt. Endlich ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit<br />

Behinderungen auch in Deutschland ratifiziert.<br />

Mona Motakef untersucht in ihrem Beitrag Anspruch und Wirklichkeit. Sie spricht auch die<br />

Forderung nach Inklusion an. <strong>Die</strong>se Problematik wird in diesen Tagen auch besonders<br />

diskutiert auch im Zusammenhang mit dem Gewerkschaftstag der GEW.<br />

Baden-Württembergische Bildungsinitiativen wenden sich mit einem Offenen Brief an die<br />

Kultusminister und Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer, an die Bundeskanzlerin und die<br />

Bundesministerin für Bildung aus Anlass des 8.deutschen Schulamoklaufs. <strong>Die</strong> Sprecher der<br />

Bundesarbeitsgemeinschaft unterstützen namens der BAG Bildungspolitik das Anliegen des<br />

Appells.<br />

Ein wichtiges Thema im Wahlkampf wird die Schulpolitik sein. Eine Schule für alle und wie<br />

kommen wir dahin.<br />

In Sachsen - Anhalt fand eine Schulpolitische Konferenz statt, auf der das Konzept der<br />

LINKEN im Land detailliert dargestellt wurde. Peter Joseph berichtet.<br />

Jutta Fiedler befasst sich mit der Frage: Welches schulpolitische Konzept verfolgt die LINKE in<br />

Sachsen-Anhalt , Matthias Höhn greift das Thema auf, in welcher finanziellen und personellen<br />

Situation in Zukunft eine gute Schule in Sachsen-Anhalt gestaltet werden kann und Bodo<br />

Ramelow leistet einen Beitrag zu Grundproblemen der Bildungsfinanzierung in Deutschland<br />

und plädiert für einen nationalen Bildungspakt.<br />

Der 2.Landesparteitag der LINKEN hat ein Programm zum weiteren Ausbau der<br />

Gemeinschaftsschule beschlossen. Es ist ein weitreichender Plan in die Zukunft, dessen<br />

Umsetzung eine verschärfte Auseinandersetzung auch mit dem Koalitionspartner SPD und<br />

dem Bildungssenator Jürgen Zöllner erfordert.<br />

PädagogInnen streiken in Thüringen und das Kultusministerium führt Streiklisten? Michaele<br />

Sojka geht der Sache nach.<br />

Ein Blick in die Geschichte ist immer interessant. Günter Wilms vermittelt Erfahrungen aus 40<br />

Jahren Einheitsschule in der DDR als Impuls für die Entwicklung der Gemeinschaftsschule.<br />

Zur Diskussion regt ein zugegeben längerer Artikel von Valentin Merkelbach an. Wenn auch<br />

gefragt werden muss, welche Auffassung von Gemeinschaftsschule dahinter steht, so ist hier<br />

doch eine profunde Analyse zum Stand und den Entwicklungstendenzen der<br />

Reformbestrebungen in verschiedenen Bundesländern vorgelegt worden.<br />

4


Neuerlich gibt es auch Diskussionen zum Problem „Selbständige“ Schule. Ulrik Ludwig hat<br />

aus linker Sicht seine Meinung aufgeschrieben.<br />

Aus dem Bundestag bringen wir Reden von Vertretern unserer Fraktion.<br />

Wir informieren über Standpunkte von Rosi Hein zur Kindergrundsicherung und der GEW, die<br />

fordert, auch mehr in die Bildungsqualität zu investieren.<br />

Hinweise auf Neuerscheinungen schließen die Ausgabe 3/2009 ab.<br />

Am 9. und 10. Mai kommt die Bundesarbeitsgemeinschaft in Berlin zusammen.<br />

Wir laden ein. Bitte die Rückmeldung beachten. Euer Gerd Sielski<br />

5


Thema<br />

Mit Lothar Bisky nach Brüssel<br />

Gerd Sielski<br />

Der Parteitag in Essen hat es mit großer Mehrheit beschlossen, dass Lothar Bisky die Partei in<br />

den Europawahlkampf führt.<br />

Beschlossen ist das Europawahlprogramm und die Kandidaten für die Wahlen zum<br />

Europäischen Parlament am 7.Juli 2009 stehen fest.<br />

Schwerpunkte des Programms unter den Stichworten „Solidarität, Demokratie, Frieden“ sind<br />

der Kampf für ein soziales und gerechtes Europa, gegen Militarisierung der EU und den<br />

Vertrag von Lissabon.<br />

<strong>Die</strong> Regierung hat einen Rettungsschirm für Banken ausgebreitet. Wir brauchen einen<br />

Rettungsschirm für die Menschen. Wir sagen Ja zur Schaffung von Arbeitsplätzen im<br />

öffentlichen Sektor. Der Investitionsstau dieser Gesellschaft liegt in der Kultur, in der Bildung,<br />

im Sozialen, in Pflege und Gesundheit und in ökologischen Lösungen. Das demokratische und<br />

solidarische Europa braucht einen neuen Anfang. Das geht nicht von heute auf morgen. Doch<br />

es gibt viele Menschen, die auf ein soziales und friedliches Europa setzen, so der<br />

Parteivorsitzende.<br />

Wir brauchen ein demokratisches Europa für die Jugend, für alle Menschen, unterstrich die<br />

Vertreterin der EL auf dem Parteitag.<br />

Erstmals sind in ein Europawahlprogramm der LINKEN Forderungen zur Bildungspolitik<br />

aufgenommen, dem Antrag der Koordinierungsgruppe der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

Bildungspolitik ist vom Parteitag entsprochen worden.<br />

DIE LINKE fordert bessere Bildung für ein anderes Europa.<br />

Ein demokratisches Europa braucht gute und demokratische Bildungssysteme.<br />

DIE LINKE tritt für ein Umsteuern in der europäischen Bildungspolitik ein. <strong>Die</strong> schrittweise<br />

Privatisierung von Bildungseinrichtungen und das Herausbilden einer kleinen Bildungselite<br />

müssen gestoppt werden. Bildung ist ein Menschenrecht und keine Ware. Sie muss allen<br />

Menschen offen stehen – unabhängig von ihrer kulturellen und sozialen Herkunft.<br />

(Siehe dazu auch: Zukunftswerkstatt linke Bildungspolitik 2/2009)<br />

Allen Kandidaten unseren Glückwunsch zur Wahl auf die Liste. Mit Ruth Firmenich, Ulrike<br />

Voltmer und Sascha Wagener haben wir kompetente Streiter auch für eine neue Kinder- und<br />

Jugendpolitik sowie Bildungspolitik in Europa.<br />

Gehen wir selbstbewusst in den Wahlkampf. Wir haben allen Grund dafür.<br />

Setzen wir all unsere Kraft ein, damit unsere Kandidaten bei der Europawahl gewählt und in<br />

das Europäische Parlament einziehen werden.<br />

Das Signal der LINKEN aus Essen heißt: Gemeinsam für den Wechsel in Europa!<br />

6


Eine bessere Bildung für ein anderes Europa ist nötig -<br />

wachsende Bewegung in europäischen Ländern<br />

Horst Bethge<br />

Am 28. 2. 09 traf sich in Brüssel im EL-Büro die „Education working group“ in der EL.<br />

VertreterInnen von Synaspismos (Gr), Rifondazione (IT), Dei Lenk (LUX), Linksblock (P), Left of<br />

Catalonia (ESP), Partei der Arbeit (CH), Izquierda (SP) und DIE LINKE trafen sich zu einer<br />

Arbeitssitzung zur gemeinsamen Bildungspolitik, auch mit Blick auf die Wahlen.<br />

1. Länderkurzberichte:<br />

• In Portugal entwickeln sich immer größere Proteste zur Verteidigung der<br />

öffentlichen Schulen, gegen die „Bürokratisierung“ (worunter die Portugiesen<br />

die enorme Zunahme der Testerei verstehen), gegen die mangelhafte<br />

Ausstattung der Bildungseinrichtungen.<br />

• In Luxemburg gab es einen Schülerstreik gegen die zunehmende<br />

Flexibilisierung im Bildungswesen auf Grund der neoliberalen Bildungsreform<br />

2002, deren Auswirkungen jetzt sichtbarer werden.<br />

• In der Schweiz mehrten sich vor allem die Proteste gegen das zunehmende<br />

Sponsoring von Hochschulen und Lehrstühlen durch die Industrie.<br />

• In Italien, das nach der Föderalisierung des Schulsystems (für das jetzt die 20<br />

Regionen zuständig sind, was 20 Schulsysteme bedeutet), gab es<br />

Massenproteste gegen die Zerschlagung des erfolgreichen integrativen<br />

Grundschulsystems durch Berlusconi. 15 000 Lehrer sollten entlassen werden<br />

(Budgetkürzung), die Klassenfrequenzen erhöht, der Fachunterricht<br />

abgeschafft werden. Studenten kämpften mit Lehrern, Schülern und Eltern<br />

(und ihren Gewerkschaften und Organisationen) gemeinsam erfolgreich:<br />

Berlusconi musste die „Reform“ aufschieben. Rifondazione hat ein Handbuch<br />

„Richtlinien für Lehrer und Eltern- was sie tun können“ herausgegeben.<br />

• Das spanische Bildungswesen ist in der tiefsten Bildungskrise seit langem.<br />

Dagegen gab es die größten Streiks und Demos, die Spanien seit 4 Jahren<br />

gesehen hatte- gegen den Bologna- Prozess innerhalb der Lissabon-Strategie.<br />

• <strong>Die</strong> griechischen Proteste, die sich zu regelrechten Jugendkämpfen entwickelt<br />

haben, sind Europaweit bekannt geworden. Weniger bekannt sind die<br />

Lehrerstreiks (Gehälter, Ausbildung) und die anhaltenden Besetzungen von<br />

Schulen und Uni-Instituten im ganzen Land. Synaspismos unterstützt alle diese<br />

Proteste, KKE tritt für Ordnung an den Einrichtungen ein.<br />

• In der BRD gab es Schülerstreiks gegen die überkommene Schulstruktur,<br />

personelle und finanzielle Mängel und das Lernklima, Lehrerstreiks wegen<br />

Erhöhung der Gehälter, Volksbegehren wegen Kita- Zahlungen der Eltern,<br />

Schulwegskosten, Schulschließungen und für Eine Schule für Alle sowie<br />

anhaltende Proteste gegen die Studiengebühren.<br />

• Auch auf die anhaltenden Streiks in Frankreich wurde hingewiesen (erstmals<br />

seit langem haben die acht großen Gewerkschaftsbünde zusammengewirkt!),<br />

die Sarkozy zwangen, zum zweiten Mal in kurzer Zeit seine „Reform“<br />

auszusetzen- diesmal die „Reform“ des Wissenschafts-Mittelbaus.<br />

7


2. Arbeit am „Europäischen (Bildungspolitischen) Manifest“ vom Juli 2008:<br />

Ergänzungen und Kritik, vor allem aus Griechenland, wurden eingearbeitet. Mehr dazu,<br />

wenn der Text vorliegt (den wir in der BRD übersetzen und verbreiten wollen als ein<br />

Mittel im Europawahlkampf).<br />

3. Bildung in der Krise:<br />

Der in Luxemburg erarbeitete dreiseitige, französischsprachige Text wurde gründlich<br />

diskutiert und bearbeitet. Er schätzt die aktuelle Lage ein und stellt heraus, dass die<br />

EL im Europawahlkampf vor allem an drei „Fronten“ engagieren will:<br />

1. <strong>Die</strong> gesellschaftliche Verantwortung für das Bildungswesen zu festigen und<br />

den öffentlichen Sektor zu rekonstruieren im Sinne einer „Schule“ der<br />

Emanzipation.<br />

2. Alle Formen der Ungleichheit und Exklusion, die ihren Ursprung in der<br />

gesellschaftlichen Spaltung der Gesellschaft haben, zu bekämpfen und<br />

abzubauen, sei es die aus dem Geschlecht, der Ethnie oder Urbanisation oder<br />

der psychischen bzw. physischen Behinderung<br />

3. Ein Wissen und Lerntechniken für alle zu garantieren, die nötig sind, die Welt<br />

von heute zu begreifen und aktiv darin teilnehmen zu können, speziell an dem,<br />

was Wissensgesellschaft genannt wird.<br />

4. Kernforderungen für den Europawahlkampf:<br />

<strong>Die</strong> folgenden Stichworte wurden zusammengetragen und diskutiert:<br />

1. Gegen soziale Selektion, sei es durch die Bildungsstruktur, Inhalte oder<br />

Methoden- für eine inklusive und integrierende Pädagogik und Bildungspolitik<br />

2. 7 % Bildungsausgaben für Bildung (ohne Forschung) als Investition zu rechnen<br />

in den aktuellen Antikrisenprogrammen<br />

3. Gebührenfreie Bildung, vom Kindergarten bis zur Hochschule. Freie Lehr- und<br />

Lernmittel.<br />

4. Für bessere Aus- und Weiterbildung der PädagogInnen, gegen Flexibilisierung<br />

und Prekarisierung der PädagogInnen- Arbeit<br />

5. Berufliche Erstausbildung für alle als Recht, lebenslanges Lernen für alle, und<br />

zwar nicht nur als berufliche Weiterbildung. Dafür staatliche Verantwortung.<br />

6. Bildung im emanzipierenden Sinn<br />

7. Für die Weiterentwicklung, nicht den Abbau des öffentlichen Bildungssektors<br />

<strong>Die</strong> Forderung nach „Längerem gemeinsamen Lernen“ ist für alle anderen kein Thema,<br />

da dies bereits in ihrem Bildungssystem realisiert wird.<br />

5. <strong>Die</strong> vom EL-Vorstand im Januar 2009 und dem 2. EL-Kongress in Prag (23.-25.11.08)<br />

gefassten Beschlüsse „Den Bologna-Prozess abschaffen, für eine Hochschulpolitik,<br />

die freies Wissen und freie Wissenschaft für alle ermöglicht“ und „Aktuelle<br />

bildungspolitische Situation in Europa“ sollen aktualisiert werden.<br />

Horst Bethge nahm im Auftrag der Koordinierungsgruppe der BAG Bildungspolitik an dem<br />

Treffen teil.<br />

8


Manifest zur Europawahl<br />

EL Education Working Group<br />

Über die Bildungskrise<br />

Während der letzten fünf Jahre gab es in Europa starke Protestbewegungen im<br />

Bildungsbereich. Sie sind ein Zeichen dafür, dass die neoliberale Bildungspolitik misslungen<br />

ist. <strong>Die</strong> Bildungskrise zeigt sich darin, dass es nicht gelang, die Inhalte und Methoden den<br />

neuen Anforderungen der gegenwärtigen Welt anzupassen. Ebenso misslang es, die Systeme<br />

so zu demokratisieren, dass allen gesichert wird, am kulturellen Leben teilnehmen zu<br />

können. .<br />

Das Allgemeine <strong>Die</strong>nstleistungsabkommen (GATS), in der WTO 1994 unterzeichnet, die beim<br />

Lissaboner Gipfel der EU 2000 ausgearbeitete Strategie, die OECD-Empfehlungen, die PISA-<br />

Vergleiche der Bildungssysteme - sie alle haben kritisiert:<br />

<strong>Die</strong> gegenwärtigen Bildungssysteme seien zwar kostenaufwändig, sie kämen aber dem Bedarf<br />

der Wirtschaft nicht nach, sie seien nicht leistungsfähig genug.<br />

Überdies: Durch die Liberalisierung, die kommerzielle Öffnung der Bildungssysteme können<br />

die multinationalen Konzerne heutzutage schulische Bedarfsgüter, Bildungsdienstleistungen<br />

und -module wie Handelswaren ein- und verkaufen.<br />

Der Rückschritt, der durch solcherart neoliberale Politik verursacht wird, gefährdet auch alle<br />

bisher erzielten Errungenschaften.<br />

Wahrlich, diese Politiken bringen formelle Bildungssysteme hervor, die mit unterschiedlicher<br />

Geschwindigkeit unter dem Druck des Wettbewerbs das jeweilige nationale Bildungswesen<br />

ruinieren und die Grundlagen der Kultur zerstören.<br />

Zahlreiche Protestbewegungen leisten diesem Prozess überall in Europa Widerstand.<br />

1. Für die Wiederherstellung des Rechts auf öffentliche und gebührenfreie Bildung<br />

Das Recht auf offen zugängliche Bildung bedeutet zuallererst, dass alle Leistungen im<br />

Bildungsbereich, von den Tagesmüttern und Kitas bis hin zu den Hochschulen, gebührenfrei<br />

sein müssen. Deshalb ist eine ausreichende öffentliche Finanzierung notwendig, und zwar in<br />

Höhe von zumindest 6 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP, GDP). <strong>Die</strong> Europäische Linkspartei<br />

(EL) ist dagegen, dass sich irgendwelche caritative und religiöse Institutionen die<br />

frühkindliche Bildung aneignen und unterordnen. Eine Politik, die auf die Verminderung der<br />

öffentlichen Finanzierung des Bildungswesens zielt, führt auch zu Privatisierungen im<br />

Hochschulwesen In der Grundlagenforschung , speziell in der Bildungsforschung, hemmt das<br />

fast jeden Schritt nach vorn. Es höhlt die Unabhängigkeit der Universitäten aus und unterwirft<br />

sie der Abhängigkeit von Sponsoren und privaten Firmen. Öffentliche Bildung ist immer nur<br />

möglich bei staatlicher Verantwortung und staatlicher Organisation. <strong>Die</strong>nstrechtliche<br />

Regelungen für das Lehrpersonal und alle anderen Beteiligten müssen deren Unabhängigkeit<br />

garantieren. <strong>Die</strong> EL opponiert deshalb gegen alle Managementsysteme, die den Modellen aus<br />

der Privatwirtschaft folgen, einschließlich der Allmacht für Direktorate. Lehrpersonal und<br />

Studierend zu heuern und zu feuern, um die Mittel zu konkurrieren und die wissenschaftliche<br />

Erkenntnisgewinnung und Meinungsbildung zu überwachen.<br />

2. Der Kampf gegen alle Formen der Chancenungleichheit und Exklusion<br />

Um Chancenungleichheit und Exklusion bekämpfen zu können, muss die Bildung unter einer<br />

gemeinsamen Regie und in einem gemeinsamen Schulmodell für alle vereint werden. Alle<br />

9


Schüler gleichen Alters sollen gemeinsam lernen können. Solch ein Bildungssystem sollte alle<br />

Kinder, beginnend im Alter von 3 Monaten in einem Netzwerk von Krippen und Kitas<br />

aufnehmen. Spezialbildende Elemente dürfen erst am Ende der Pflichtschulzeit zum Einsatz<br />

kommen. Also etwa im 18. Lebensjahr. Schulen und andere Bildungseinrichtungen sollten<br />

nicht das Recht haben, sich der Verantwortung für schwache Schüler zu entledigen, indem sie<br />

diese einfach in Bildungsghettos abschieben. <strong>Die</strong> EL fordert ein Bildungssystem, das die<br />

Unterschiedlichkeit der SchülerInnen berücksichtigt und jedem denselben Zugang zu Wissen<br />

und Kultur ermöglicht, Chancenungleichheit bekämpft und nicht Misserfolge oder<br />

Entwicklungsverzögerungen zum Maßstab des Vorgehens erhebt. Schulen müssen eine<br />

heterogene Wege erlaubende Kultur fördern.<br />

3. Jedem den Zugang zum Wissen garantieren<br />

<strong>Die</strong> EL kämpft für ein Bildungssystem, das SchülerInnen ermöglicht, ein kritisches<br />

Bewusstsein zu entwickeln. Das erfordert auf Hochschulniveau eine enge Verbindung von<br />

Lehre und Forschung ebenso wie ein von Markterfordernissen unabhängiges<br />

Forschungssystem. In der Berufsbildung verweigert sich die EL der Fragmentierung der<br />

Berufsbildungssysteme in verschiedene unverbundene Module. Sie unterstützt eine<br />

integrierte Ausbildung, die auch den Zugang zum Universitätsstudium eröffnet sowie auf ein<br />

lebenslanges Lernen vorbereitet.<br />

Bildung darf nicht den Anforderungen des Arbeitsmarktes unterworfen werden. Mehr noch: Es<br />

sollte mehr Nachdruck auf aktive Lernmethoden, auf Selbsttätigkeit, auf Experimentieren<br />

und Gemeinschaftsarbeit gelegt werden. <strong>Die</strong> kulturelle und künstlerische Bildung ist zu<br />

fördern, ohne irgendeine Form des Ausdrucks (körperlich, dramatisch, plastisch, musikalisch<br />

usw.) oder des Wissenserwerbs zu marginalisieren. In einem demokratischen Bildungssystem<br />

müssen den Schülern und Studenten eigene Rechte eingeräumt werden. Alle<br />

Hochschuldiplome sind in ganz Europa anzuerkennen. Überall ist die Zusammenarbeit mit den<br />

Eltern weiter zu entwickeln.<br />

<strong>Die</strong> EL kämpft gegen die neoliberale Bildungspolitik. Sie fordert:<br />

• <strong>Die</strong> Erhaltung bzw. die Wiederherstellung eines öffentlichen Bildungssektors,<br />

unabhängig von parteipolitischen, religiösen und ökonomischen Machteinflüssen.<br />

• <strong>Die</strong> Verhinderung jeder Art von Privatisierungen. <strong>Die</strong> Bildungsinvestitionen sind<br />

unzulänglich. So wird zudem eine Privatisierung des Schul- und Hochschulsystems<br />

vorbereitet. <strong>Die</strong>ser Trend ist umzukehren.<br />

• Freie und weltliche Bildung für alle ohne Ausnahmen, unabhängig vom sozialen<br />

oder ethnischen Herkommen, der Klasse oder Religion.<br />

• <strong>Die</strong> Sicherstellung der Koedukation von Mädchen und Jungen.<br />

• <strong>Die</strong> Bekämpfung von Diskriminierung durch Migrations- und<br />

Urbanisationsbedingungen, stattdessen die Integration von Kindern mit<br />

Migrationshintergrund und die Respektierung ihrer sprachlichen und kulturellen<br />

Charakteristika.<br />

10


• <strong>Die</strong> Garantie einer inklusiven Bildung für alle mit besonderem Förderbedarf,<br />

einschließlich der erforderlichen Infrastruktur, um Zugang und Förderung<br />

entsprechend den Förder- Erfordernissen auch wahrnehmen zu können.<br />

• Allgemeine Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr.<br />

• <strong>Die</strong> Garantie, dass alle den Zugang zum Wissen zum Verständnis der Welt<br />

erhalten- und die technischen Möglichkeiten dazu-, damit es jedem ermöglicht<br />

wird, einen aktiven Part zu ihrer Gestaltung zu spielen.<br />

• <strong>Die</strong> Beendigung von flexibilisierten und prekarisierenden Arbeitsverhältnissen im<br />

Bildungsbereich.<br />

Der Kampf gegen die neoliberale Agenda ist ein Anti-Krisen-Programm, ist ein Kampf<br />

um bessere Bildung!<br />

Brüssel, 28. 2. 09<br />

(Nichtautorisierte Übersetzung)<br />

11


Inklusion oder Exklusion durch Bildung?<br />

Anspruch und Wirklichkeit eines Menschenrechts<br />

Mona Motakef<br />

Über die hohe Bedeutung von Bildung für die Verteilung von Teilhabechancen besteht Konsens.<br />

Ob in der Bildungsforschung oder der -politik, bei Eltern- oder Wirtschaftsverbänden,<br />

niemand würde vermutlich den Autorinnen und Autoren des 3. Armut- und Reichtumsberichts<br />

der Bundesregierung zu ihren Ausführungen zu Bildungschancen widersprechen:<br />

„Bildung ist nicht nur eine wichtige Voraussetzung, um Zugang zum Arbeitsmarkt<br />

zu erhalten. Indem sie die individuellen Potenziale stärkt und erweitert, ist sie ein<br />

Schlüssel für kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe“ (BMAS 2008: 58).<br />

Vor dem Hintergrund der bekanntermaßen engen Kopplung von sozialer Herkunft und<br />

Bildungschancen in Deutschland sollte nicht darüber hinweg getäuscht werden, dass diese<br />

Aussage normativ ist. Sie spricht eher eine Zukunftsvision aus, als das sie sich als Analyse<br />

des Faktischen erweist. Tatsächlich wäre an Stelle des Indikativs der Imperativ, Bildung muss<br />

ein Schlüssel für Teilhabe sein, angemessener. Denn dieser Imperativ ist mit dem<br />

Menschenrecht auf Bildung in Deutschland gesetzlich verankert.<br />

Dagegen belegt die Bildungsforschung seit den 1960er Jahren 1 und insbesondere die PISA-<br />

Studie öffentlichkeitswirksam seit 2001, dass in Deutschland Bildungschancen vererbt<br />

werden. <strong>Die</strong> Schule übernimmt hierbei die Funktion, Kinder bereits in einem frühen Alter auf<br />

unterschiedliche Schulformen zu verteilen, in denen sie in der Regel verbleiben: Das Kind von<br />

Akademikern wird studieren, das Kind von ungelernten Arbeitern wird es ebenfalls seinen<br />

Eltern nach machen. 2 Bei Kindern, deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind, ist die<br />

Kopplung zwischen Herkunft und Abschluss noch größer (BMAS 2008: XXXVIII).<br />

Bildung ist nicht nur der zentrale Schlüssel für soziale Teilhabe, durch Bildung, d.h. durch das<br />

Bildungssystem wird Teilhabe auch massiv verhindert. Deutlich wird, dass es auf das wie, auf<br />

die Form und die Ziele von Bildung ankommt. Bildung muss gewissen Qualitätskriterien<br />

entsprechen. An sich ist Bildung mitnichten das Heilmittel für Chancengleichheit. Welchen<br />

Kriterien soll Bildung folglich entsprechen, so dass sie als Inklusionsstrategie genutzt werden<br />

kann?<br />

In diesem Beitrag nehme ich eine menschenrechtliche Perspektive auf Bildung ein. Wie in<br />

Deutschland leider kaum bekannt ist, ist Bildung ein Menschenrecht, dass, wie alle anderen<br />

Menschenrechte auch, für alle Menschen gleichermaßen gilt. Es gilt das Gebot der<br />

Diskriminierungsfreiheit. Im Folgenden stelle ich das Menschenrecht auf Bildung mit dem ihm<br />

inhärenten Diskriminierungsverbot dar und erläutere die Strukturelemente dieses Rechts.<br />

Abschließend weite ich den Blick: Mit der Vorstellung der bildungspolitischen Anstrengungen<br />

und formulierten Ziele der UNESCO verfolge ich das Anliegen, an internationale Diskurse zum<br />

Menschenrecht auf Bildung anzuknüpfen.<br />

1. Bildung als Menschenrecht<br />

Menschenrechte haben ihren Grund in der Würde des Menschen. Sie sind nicht an besondere<br />

Leistungen gebunden, sondern kommen jeder Person, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihres<br />

Geschlechts oder ihrer sozialen Herkunft zu. <strong>Die</strong> Würde des Menschen findet in den<br />

1<br />

Vgl. Dahrendorf 1965; Picht 1965; Bourdieu/Passeron 1971.<br />

2<br />

Daten zum engen Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungschancen bietet die<br />

Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008; BMAS 2008; in Bezug auf die Ergebnisse der PISA-<br />

Studie Stompe 2005.<br />

12


Menschenrechten ihre politisch-rechtliche Anerkennung und ihren Schutz. Da alle Menschen<br />

in ihrer Würde gleich zu achten sind, haben die Menschenrechte universelle Geltung – quer zu<br />

den Differenzen der Kulturen, Religionen oder Weltanschauungen. Rechtliche Verbindlichkeit<br />

erhalten Menschenrechte in nationalen Verfassungen und internationalen Konventionen.<br />

Menschenrechte sind in der Auseinandersetzung mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit<br />

gefordert und in Gesetzesverträgen festgeschrieben worden. Unter dem Eindruck zweier<br />

Weltkriege und der Existenz kolonialer Herrschaftssysteme setzte sich mit Gründung der<br />

Vereinten Nationen die Überzeugung durch, dass Einzelstaaten allein Menschenrechte nicht<br />

sichern können. <strong>Die</strong> Verantwortung für die Verwirklichung der Menschenrechte wurde als<br />

eine Aufgabe der Völkergemeinschaft definiert, die im Rahmen eines internationalen<br />

Menschenrechtsschutzsystems zusammenarbeiten sollte (vgl. Menke/Pollmann 2007).<br />

Vor sechzig Jahren, am 10. Dezember 1948 verkündete die Generalversammlung der<br />

Vereinten Nationen vor diesem Hintergrund die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte<br />

(AEMR). Sie bildet den Ausgangspunkt der gegenwärtigen Debatte um das Menschenrecht<br />

auf Bildung. Artikel 26 der AEMR lautet:<br />

„(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Der Unterricht muss wenigstens in<br />

der Elementar- und Grundschule unentgeltlich sein. Der Elementarunterricht ist<br />

obligatorisch. Fachlicher und beruflicher Unterricht soll allgemein zugänglich sein;<br />

die höheren Studien sollen alle nach Maßgaben ihrer Fähigkeiten und Leistung in<br />

gleicher Weise offen stehen.<br />

(2) <strong>Die</strong> Ausbildung soll die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und<br />

die Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Ziel<br />

haben. Sie soll Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Völkern<br />

und allen ethnischen oder religiösen Gruppen fördern und die Tätigkeit der<br />

Vereinten Nationen zur Aufrechterhaltung des Friedens begünstigen.<br />

(3) In erster Linie haben die Eltern das Recht, die Art der ihren Kindern zuteil<br />

werdenden Bildung zu bestimmen“.<br />

Artikel 26 der AEMR formuliert bereits die vier Kernforderungen des Rechts auf Bildung, die in<br />

späteren Dokumenten weiter ausdifferenziert werden: Erstens soll die Grundbildung<br />

obligatorisch und unentgeltlich gewährt werden. Zweitens dürfen die Erziehungsberechtigten<br />

Bildungsangebote für ihre Kinder wählen. Drittens gilt das Gebot der Diskriminierungsfreiheit,<br />

d.h. kein Mensch ist von dem Recht auf Bildung ausgenommen. Und viertens sind die<br />

Aufgaben und Ziele von Bildung definiert: Sie muss auf die Entfaltung der Persönlichkeit und<br />

auf die Stärkung der Achtung der Menschenrechte gerichtet sein. Dem Recht auf Bildung<br />

kommt damit eine besondere Bedeutung in Bezug auf die Förderung eines Wissens und<br />

Bewusstseins über Menschenrechte zu. Das Recht auf Bildung wird deswegen auch als ein<br />

Recht auf Menschenrechtsbildung charakterisiert (vgl. Lohrenscheit 2004).<br />

<strong>Die</strong>se Kernforderungen des Rechts auf Bildung werden auf der Ebene der Vereinten Nationen<br />

im Sozialpakt (1966) und in der Kinderrechtkonvention (1989) präzisiert. Darüber hinaus<br />

enthalten auch die Anti-Rassismuskonvention (1965), die Frauenrechtskonvention (1979)<br />

sowie die erst jüngst verabschiedete Behindertenrechtskonvention (2006) zentrale<br />

Bestimmungen zum Recht auf Bildung (vgl. Motakef 2006).<br />

Das Menschenrecht auf Bildung lässt sich als eigenständiges Menschenrecht beschreiben<br />

sowie – vor dem Hintergrund der Vermittlung von Teilhabechancen – als zentrales Instrument<br />

um andere Menschenrechte, wie das Recht auf Gesundheit oder Arbeit zu verwirklichen. Es<br />

ist ein ‚Schlüssel’ für den Zugang zu anderen Menschenrechten. Wenn Kinder und Jugendliche<br />

eine diskriminierungsfreie Bildung genießen, wird es zum Beispiel wahrscheinlicher, dass sie<br />

13


eine Arbeit finden, mit der sie Lebensqualität und Gesundheit verbinden können. Umgekehrt<br />

mindert eine eingeschränkte Gewährung des Rechts auf Bildung die Wahrscheinlichkeit, dass<br />

eine Person ihr Recht auf Arbeit oder Meinungsfreiheit wahrnehmen kann. Anhand der<br />

Forderung der Unteilbarkeit der Menschenrechte lassen sich, wie eingangs bereits<br />

angedeutet, damit die Grenzen von Bildung ablesen, wenn sie nicht menschenrechtlich<br />

fundiert wird: Der Fokus auf Bildung ist, wenn andere Menschenrechte wie das Recht auf<br />

Gesundheit oder das Recht auf Arbeit außer Acht geraten, nicht zielführend. 3<br />

1. 1 Der Diskriminierungsbegriff des Menschenrechts auf Bildung<br />

Der Schutz vor Diskriminierungen bildet eine Kernforderung aller Menschenrechte. Das<br />

bedeutet, dass jedes Menschenrecht, wie auch das Recht auf Bildung, allen Menschen frei<br />

von Diskriminierung gewährt werden muss. Dimensionen von Diskriminierungen sind<br />

vielfältig. Unterscheiden lässt sich hierbei die direkte von der indirekten Diskriminierung.<br />

Direkte Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person aufgrund eines anerkannten<br />

Diskriminierungsmerkmals – wie aufgrund des Geschlechts – in einer vergleichbaren<br />

Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person. Sie würde<br />

vorliegen, wenn eine Lehrperson aufgrund ihrer Geschlechterstereotype beispielsweise bei<br />

gleicher Leistung einem Jungen eine schlechtere Deutschnote vergibt als einem Mädchen.<br />

Unter indirekten Diskriminierungen werden Benachteiligungen gefasst, die im Rahmen formal<br />

neutral erscheinender Regelungen für bestimmte Gruppen von Menschen entstehen. <strong>Die</strong>s ist<br />

ein wesentlicher Aspekt des den Menschenrechten inhärenten Diskriminierungsverbotes: Es<br />

zielt eben nicht nur auf die Herstellung formaler Gleichberechtigung, sondern auch auf die<br />

Gewährleistung gleicher Möglichkeiten zur tatsächlichen Ausübung von Menschenrechten. Im<br />

Bildungssystem drücken sich diese etwa dadurch aus, dass Kinder aus Familien mit wenig<br />

soziokulturellem Kapital auf den Haupt- und Sonderschulen überrepräsentiert sind und<br />

entsprechend an den Realschulen und Gymnasien unterrepräsentiert.<br />

1.2 <strong>Die</strong> Forderungen des Rechts auf Bildung<br />

Positiv gewendet ist das Menschenrecht auf Bildung umgesetzt, wenn folgende vier<br />

miteinander verbundene Forderungen umgesetzt sind: <strong>Die</strong> allgemeine Verfügbarkeit von<br />

Bildung, der diskriminierungsfreie Zugang zu Bildung, die Annehmbarkeit sowie die<br />

Adaptierbarkeit von Bildung. <strong>Die</strong>se vier Forderungen bilden die Strukturelemente des Rechts<br />

auf Bildung, die gleichzeitig und im Sinne der Diskriminierungsfreiheit zu gewähren sind.<br />

Wofür stehen diese Forderungen?<br />

<strong>Die</strong> allgemeine Verfügbarkeit von Bildung verlangt, dass Schulen in ausreichendem Maße zur<br />

Verfügung stehen und funktionsfähig sein sollen. Zum Beispiel muss an den Schulen<br />

gewährleistet sein, dass ausgebildete Lehrkräfte unterrichten und ausreichend<br />

Unterrichtsmaterialien vorhanden sind. <strong>Die</strong> Forderung des diskriminierungsfreien Zugangs zu<br />

Bildung schließt mehrere Faktoren mit ein. Keinem Menschen darf der Zugang zu Bildung<br />

rechtlich und faktisch verwehrt werden. Insbesondere für die schwächsten Gruppen muss<br />

Bildung frei zugänglich sein. <strong>Die</strong>s impliziert sowohl die wirtschaftliche als auch den<br />

physischen Zugang. <strong>Die</strong>se Forderung impliziert auch, dass zum Beispiel behinderte<br />

3<br />

Ohne menschenrechtlichen Bezug unterstreicht auch Christoph Butterwegge, dass Bildung<br />

allein Armut nicht überwinden kann. Er plädiert für eine Wirtschaftspolitik, die über<br />

Steuermehreinnahmen arme Familien stärker unterstützt („Bildung schützt vor Armut nicht“,<br />

13.06.2008, Frankfurter Rundschau).<br />

14


Menschen, freien Zugang zu Bildungseinrichtungen haben sollen. <strong>Die</strong> Annehmbarkeit von<br />

Bildung zielt auf die Form und den Inhalt von Bildung. Sie soll „relevant, kulturell angemessen<br />

und hochwertig“ sein (Deutsches Institut für Menschenrechte 2005: 263). <strong>Die</strong> Pädagogik<br />

sowie die Inhalte, die Schulbücher und Unterricht vermitteln, sollen Kinder und Jugendliche in<br />

der Entwicklung ihrer Persönlichkeit fördern. Form und Inhalt von Bildung sollen sich an den<br />

Lebenslagen der Kinder orientieren. Unterrichtshilfen sollen keine falschen oder überholten<br />

Informationen enthalten. In einem engen Zusammenhang mit der Forderung der<br />

Annehmbarkeit steht auch die Adaptierbarkeit der Bildung. Sie muss sich an die<br />

„Erfordernisse sich verändernden Gesellschaften und Gemeinwesen“ anpassen (ebd.). Wenn<br />

sich die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen ändern, dann muss sich das<br />

Bildungssystem darauf einstellen.<br />

Das Recht auf Bildung schließt damit nicht nur Zugangsrechte mit ein, sondern mit der<br />

Forderung nach Annehmbarkeit und Adaptierbarkeit ebenso Rechte in der Bildung sowie<br />

Rechte durch Bildung (Tomasevski 2001: 12).<br />

1.3 Freiheit vor Diskriminierung in der Bildung<br />

Aus den Menschenrechten lässt sich ein Bildungsbegriff ableiten, der nicht funktionalistisch<br />

ist, also nicht nur auf bestimmte vom Arbeitsmarkt gefragte Kompetenzen zielt, sondern<br />

darauf, dass Menschen ihre Umwelt gestalten. Im Zentrum steht die Idee von einer Bildung,<br />

die Teilhabe ermöglicht.<br />

Mit der Ratifizierung u.a. des UN-Sozialpakts hat sich Deutschland die Verpflichtung auferlegt,<br />

das Gebot der Diskriminierungsfreiheit in der Bildung umzusetzen. <strong>Die</strong>ses Gebot der<br />

Diskriminierungsfreiheit erfordert zum einen faktische Gleichberechtigung. Das heißt, kein<br />

Mensch darf vom Recht auf Bildung ausgenommen werden. Mit der Forderung nach<br />

allgemeiner Verfügbarkeit stellt sich hier z.B. die Frage, ob wirklich überall, auch in<br />

strukturschwachen ländlichen Gegenden mit hoher Abwanderungsquote ausreichend Schulen<br />

vorhanden sind, so dass Kinder und Jugendliche nicht von weit anreisen müssen, um<br />

Unterricht zu besuchen. Wie sieht es für Erwachsene aus, die Alphabetisierungskurse<br />

besuchen möchten? Gibt es ein flächendeckendes Angebot an Kursen? Mit der Forderung<br />

nach dem allgemeinen Zugang zu Bildung stellt sich auch die Frage nach den Bildungsrechten<br />

von Flüchtlingen und Kindern ohne Papiere. Sind sie schulpflichtig oder gilt für sie nur das<br />

Schulbesuchsrecht?<br />

Darüber hinaus geht mit dem Gebot der Diskriminierungsfreiheit auch die Forderung einher,<br />

zu prüfen ob tatsächlich auch trotz formaler Gleichberechtigung alle Menschen ihre<br />

Bildungsrechte einlösen können oder ob indirekte und nicht intendierte Diskriminierungen<br />

dies verhindern. Mit den Forderungen nach Annehmbarkeit und Adaptierbarkeit lässt sich z.B.<br />

fragen: Warum gibt es in den einzelnen Fächern Geschlechterunterschiede in den Leistungen?<br />

Warum scheitern so oft Jungen in der Schule, insbesondere arme Jungen und Jungen mit<br />

Migrationshintergrund?<br />

<strong>Die</strong> bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass die Frage nach der Umsetzung<br />

des Rechts auf Bildung und insbesondere das Gebot der Nicht-Diskriminierung auch für<br />

Deutschland relevant ist. Abschließend soll der Blick erweitert und auf die Tätigkeiten der<br />

UNESO gerichtet werden. In Deutschland wird in der Regel die Relevanz nach der Frage nach<br />

der Umsetzung von Menschenrechten als irrelevant abgetan. 4 Meines Erachtens wäre es<br />

4<br />

<strong>Die</strong>s belegten auch die abwertenden Reaktionen der Presse und der Politik auf den<br />

Deutschlandbesuch des zweiten UN-Sonderberichterstatters zum Recht auf Bildung Vernor Muñoz im<br />

Februar 2006.<br />

15


jedoch gerade für die deutschsprachige Debatte instruktiv, gäbe es mehr Verknüpfungen mit<br />

den menschenrechtsbasierten internationalen Diskursen zu Bildung.<br />

2. <strong>Die</strong> UNESCO als international tätige Akteurin des Rechts auf Bildung<br />

Eine zentrale und international tätige Akteurin des Rechts auf Bildung ist die „United Nations<br />

Educational, Scientific and Cultural Organization“ (UNESCO). <strong>Die</strong> UNESCO ist eine<br />

Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Paris und hat derzeit 193 Mitgliedsstaaten.<br />

<strong>Die</strong> UNESCO sieht in Bildung das wirksamste Mittel für gesellschaftliche<br />

Entwicklung und damit verbunden die Überwindung von Armut. Zudem gilt Bildung nach wie<br />

vor als das effektivste ‚Mittel’ gegen die Ausbreitung von AIDS.<br />

In den 1980er Jahren bemühte sich die UNESCO insbesondere um eine universelle<br />

Grundschulbildung. Seit den 1990er Jahren vollzog sich eine Wende. Mit dem Bildungsprogramm<br />

‚Education For All’ strebt die UNESCO einen umfassenden Bildungsansatz für alle<br />

Altersgruppen, also auch für Erwachsene, als Grundvoraussetzung für persönliche Entwicklung<br />

und gesellschaftliche Teilhabe an. Bis zum Jahr 2000, so das auf einer Bildungskonferenz<br />

im thailändischen Jomtien formulierte Ziel, sollte es keine Analphabeten mehr geben.<br />

Im senegalesischen Dakar fand zehn Jahre später das von der UNESCO veranstaltete<br />

Weltbildungsforum statt. Weiterhin gab es weltweit etwa 875 Millionen Analphabeten<br />

(BAADEN 2002). In Dakar verpflichteten sich Vertreterinnen und Vertreter von 164 Staaten,<br />

sechs Bildungsziele bis 2015 verwirklicht zu haben. Bei den Bildungszielen bildet<br />

Alphabetisierung weiterhin eine Priorität. Neben diesem Ziel ist die Forderung der Erhöhung<br />

der Bildungschancen von Mädchen ins Zentrum entwicklungspolitischer Interessen gerückt.<br />

Drei von sechs Zielen des auf diesem Gipfel verabschiedeten UNESCO-Bildungsprogramms<br />

sind explizit der Verbesserung der Bildungschancen von Mädchen gewidmet. Darüber hinaus<br />

tragen die Bildungsziele der Einsicht Rechnung, dass es nicht ausreichend ist, nur Schulbesuchsraten<br />

zu erhöhen. Auch die Qualität von Bildung steht mit Dakar im Zentrum bildungspolitischer<br />

Anstrengungen:<br />

Ziele des Aktionsplans Education For All in Dakar/Senegal 2000<br />

1. <strong>Die</strong> Vorschulerziehung und -betreuung soll besonders für sozial benachteiligte<br />

Kinder verbessert werden.<br />

2. Alle Kinder - auch Mädchen, Kinder in schwierigen Lebensumständen und Kinder<br />

von ethnischen Minderheiten - sollen Zugang zu kostenloser, verpflichtender und<br />

qualifizierter Grundschulbildung erhalten.<br />

3. Es soll sichergestellt werden, dass sowohl junge Menschen, als auch Erwachsene<br />

ihren Lernbedürfnissen entsprechend Zugang zu Lernprogrammen haben.<br />

4. <strong>Die</strong> Analphabetenrate soll um 50 Prozent gesenkt werden - besonders unter<br />

Frauen. Ein gerechter Zugang zu Grund- und Weiterbildung soll erreicht werden.<br />

5. Bis zum Jahre 2005 sollen Ungleichheiten im Bildungszugang von Mädchen und<br />

Jungen im Primär- und Sekundärbereich aufgehoben werden. <strong>Die</strong> Gleichheit der<br />

Geschlechter im Bildungsbereich soll bis zum Jahre 2015 erreicht sein.<br />

6. <strong>Die</strong> Qualität der Bildung soll in jeder Hinsicht verbessert werden, so dass<br />

wahrnehmbare und messbare Lernergebnisse von allen Beteiligten erreicht<br />

werden können, besonders in den Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen und<br />

bei den wesentlichen Lebensfertigkeiten (BAADEN 2002).<br />

Seit 2002 erscheint jährlich ein Weltbildungsbericht, in dem die UNESCO evaluiert, wie weit<br />

sich die Länder den Bildungszielen annähern, zu denen sie sich in Dakar verpflichtet haben.<br />

<strong>Die</strong>ser hat jeweils einen Schwerpunkt, der in Zusammenhang mit den Bildungszielen steht,<br />

16


wie z.B. die Gleichstellung der Geschlechter (2003), Alphabetisierung (2006) und<br />

frühkindliche Bildung (2007). <strong>Die</strong> Autor/innen des Bildungsberichts von 2008 stellen sich die<br />

Frage, wie realistisch es ist, dass die Bildungsziele von Dakar tatsächlich noch bis 2015<br />

verwirklicht werden. Der Bericht weist zwar auf Fortschritte in Richtung einer ‚Education for<br />

all’ hin, verdeutlicht jedoch, dass diese nicht ausreichen, um sich den Bildungszielen bis 2015<br />

zu nähern.<br />

Um der Erreichung der Bildungsziele näher zu kommen, eröffnete der UNO-Generalsekretär<br />

am 13. Februar 2003 in New York die UNO-Dekade zur Alphabetisierung. <strong>Die</strong> Resolution der<br />

UN-Generalversammlung zur Alphabetisierungsdekade appellierte an die Regierungen,<br />

verlässliche Daten zu Analphabetenrate zu eruieren, die Qualität der Bildung zu verbessern<br />

und damit Strategien zur Überwindung von Analphabetismus zu entwickeln. Der UN-<br />

Generalsekretär rief alle Regierungen – auch Industrienationen wie Deutschland – dazu auf,<br />

die sechs Ziele von Dakar zu verwirklichen. Denn gerade die Ziele, die in Verbindung mit<br />

Alphabetisierung stehen, gelten in Deutschland als nicht eingelöst.<br />

Auch in Bezug auf die Bildungssituation von Jugendlichen, die dem dritten Ziel zufolge „ihren<br />

Lernbedürfnissen entsprechend Zugang zu Bildungseinrichtungen haben“ sollten, besteht in<br />

Deutschland noch keine Chancengleichheit. Wie die internationalen Bildungsvergleichstudien<br />

gezeigt haben, entscheidet in Deutschland maßgeblich die soziale Herkunft über die<br />

Bildungskarriere. Hierbei werden auch Mängel in der Umsetzung des sechsten Ziels deutlich:<br />

der Qualität der Bildung. Wenn Bildungsangebote Jugendliche nicht mehr erreichen, müssen<br />

Überlegungen angestellt werden, wie sich die Schule in ihren Inhalten und in ihrer Didaktik<br />

auf ihre speziellen Lernbedürfnisse einstellen kann.<br />

Auch in Bezug auf das erste Ziel, das System der Vorschulbildung, lassen sich in Deutschland<br />

Defizite aufzeigen, die dazu führen können, dass junge Menschen in Deutschland die Schule<br />

verlassen ohne Schreiben, Lesen und Rechnen zu können: Es lässt sich konstatieren, dass es<br />

noch kein ausreichendes Angebot an Vorschulbildung gibt. Mehr als 10 Prozent der<br />

Schulanfänger waren in keiner vorschulischen Einrichtung. Das Fehlen einer geregelten<br />

Vorschulbildung wirkt sich besonders nachteilig für relativ arme Kinder aus.<br />

Herkunftsbedingte Nachteile können nicht kompensiert werden (vgl. BAADEN 2003).<br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass trotz zahlreicher Fortschritte, weiterhin großer<br />

Handlungsbedarf besteht. <strong>Die</strong> Autorinnen und Autoren des UNESCO-Berichts (2008) betonen,<br />

dass kein Ziel vorrangig behandelt werden darf, sondern dass die Idee von „Education For All“<br />

auf internationaler Ebene weiterhin Priorität haben muss. Deutlich wurde auch, dass die<br />

Umsetzung dieser Bildungsziele keine ausschließliche Angelegenheit von Entwicklungsländern<br />

darstellt oder höchstens als Thema der deutschen Entwicklungszusammenarbeit für<br />

Deutschland relevant wird. Zu wünschen bleibt folglich, dass sich auch die deutschsprachige<br />

Bildungsdebatte für die Perspektive des Menschenrechts auf Bildung öffnet.<br />

Diskriminierungsfreiheit in der Bildung sollte nicht nur medienwirksam als moralischer Appell<br />

fungieren, sondern muss strukturell als Instrument für soziale Teilhabe anerkannt und<br />

umgesetzt werden.<br />

3. Literatur<br />

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2008): Bildung in Deutschland. Bielefeld:<br />

Bertelsmann.<br />

Baaden, Andreas (2002): Bildung für Alle bis 2015? <strong>Die</strong> UNESCO und der Aktionsplan von<br />

Dakar, UNESCO heute online 8, 2002.<br />

Baaden, Andreas (2003): <strong>Die</strong> Ausgegrenzten integrieren. <strong>Die</strong> UNO-Alphabetisierungsdekade<br />

ist auch ein Thema für Deutschland. UNESCO heute online 6.<br />

17


BMAS (2008): Lebenslagen in Deutschland: Der 3. Armut- und Reichtumsbericht der<br />

Bundesregierung. Berlin.<br />

Bourdieu, Pierre; Jean-Claude Passeron (1971) : <strong>Die</strong> Illsuion der Chancengleichheit. Stuttgart.<br />

Dahrendorf, Ralf (1965): Bildung ist Bürgerrecht. Hamburg.<br />

Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.) (2005): <strong>Die</strong> „General Comments“ zu den VN-<br />

Menschenrechtsverträgen. Baden-Baden: Nomos.<br />

Lohrenscheit, Claudia (2004): Das Recht auf Menschenrechtsbildung. Grundlagen und<br />

Ansätze einer Pädagogik der Menschenrechte, Frankfurt: IKO.<br />

Menke, Christoph; Arnd Pollmann (2007): Philosophie der Menschenrechte zur Einführung.<br />

Hamburg: Junius.<br />

Motakef, Mona (2006): Das Menschenrecht auf Bildung und der Schutz vor Diskriminierung.<br />

Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte.<br />

Picht, Georg (1965): <strong>Die</strong> deutsche Bildungskatastrophe. München.<br />

Stompe, Annette (2005): „Armut und Bildung im Spiegel von PISA“ ZTG Bulletin 29+30 Texte.<br />

Tomasevski, Katarina (2001): Human Rights Obligations: Right to Education Primers Nr. 3.<br />

Gothenburg.<br />

UNESCO (2008): Bildung für alle bis 2015 – Werden wir es schaffen. Bonn, 2008.<br />

18


UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen<br />

Artikel 24 2006 Zeichnung - 2008 Ratifizierung in Deutschland<br />

<strong>Die</strong> Vertragsstaaten anerkennen das Recht behinderter Menschen auf Bildung. Um die<br />

Verwirklichung dieses Rechts ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der<br />

Chancengleichheit zu erreichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein inklusives*<br />

Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslange Fortbildung, mit dem Ziel,<br />

a) die menschlichen Möglichkeiten und das Gefühl der Würde und des eigenen Werts voll<br />

zur Entfaltung zu bringen und die Achtung vor den Menschenrechten, Grundfreiheiten<br />

und der menschlichen Vielfalt zu stärken;<br />

b) die Persönlichkeit, die Begabungen und die Kreativität sowie die geistigen und<br />

körperlichen Fähigkeiten von behinderten Menschen voll zur Entfaltung zu bringen;<br />

c) behinderten Menschen die wirksame Teilnahme an einer freien Gesellschaft zu<br />

ermöglichen.<br />

*In der deutschen Arbeitsübersetzung hat die Kultusministerkonferenz inclusive<br />

education system fälschlicherweise mit integratives Bildungssystem übersetzt.<br />

Inklusion: In Bildung und Erziehung die Wertschätzung der Unterschiedlichkeit aller, d.h.<br />

niemand bleibt außerhalb oder wird ausgesondert.<br />

Bei knapp sechs Prozent der Schülerinnen und Schüler wurde 2006 sonderpädagogischer<br />

Förderbedarf diagnostiziert. Ungefähr die Hälfte dieser Kinder gilt als lernbehindert.<br />

„DIE LINKE tritt als einzige politische Kraft im Bundestag und in den Länderparlamenten<br />

glaubwürdig und konsequent für die Durchsetzung des Rechts auf Bildung für alle ein. Wir<br />

wollen Kindern und Jugendlichen gute Bildung ermöglichen unabhängig von ihrer sozialen<br />

und kulturellen Herkunft sowie unabhängig vom Geschlecht oder einer Behinderung.“<br />

Aus dem Beschluss der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, Frankfurt 2009<br />

19


GEW: Inklusive Bildung – Jetzt!<br />

Ziemlich genau zwei Jahre – von Dezember 2006 bis Dezember 2008 – hat es in Deutschland<br />

gedauert, bis die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen alle<br />

parlamentarischen Hürden für die Ratifizierung genommen hat. Es geht der Konvention um<br />

eine inklusive Gesellschaft. Es geht nicht um die „Integration“ von Behinderten, um ihre<br />

Wiedereingliederung, nachdem sie zuvor ausgesondert wurden, es geht um ein anderes<br />

Verständnis von Gesellschaft. Inklusive Gesellschaften sondern nicht aus.<br />

Es gehören alle dazu, seien sie behindert oder nicht, Migranten oder Einheimische, jung oder<br />

alt, Männer oder Frauen, gleich- oder andersgeschlechtlich orientiert. <strong>Die</strong> Weltgemeinschaft –<br />

dies macht die UN-Konvention unmissverständlich klar – will Inklusion.<br />

Vor allem der Bildungsartikel 24 der Konvention erweist sich als große Herausforderung für<br />

die Bildungspolitik, aber auch für die einzelnen Bildungseinrichtungen. <strong>Die</strong> UN-Konvention<br />

fordert ein „inclusive education system“, das wir in Deutschland erkennbar nicht haben und<br />

das von der Mehrheit der Bundesländer auch nicht angestrebt wird. In der deutschen – nicht<br />

autorisierten – Übersetzung wurde deshalb „inclusive education system“ manipulativ mit<br />

„integratives Bildungssystem“ übersetzt. Von Ländern wie Baden-Württemberg wird dies so<br />

interpretiert, dass unser Schulsystem bereits „integrativ“ sei, weil die Sonderschulen den<br />

Auftrag hätten, dass sich die Schüler/innen in die Gesellschaft integrieren könnten. GEW und<br />

Behindertenorganisationen haben diese (Sprach-)Manipulation heftig kritisiert. Gemeinsam<br />

stellen wir uns auf den Standpunkt, dass das englischsprachige Original verbindlich ist und<br />

dass infolgedessen auch Deutschland verpflichtet ist, ein „inklusives Bildungssystem“ zu<br />

entwickeln.<br />

Mit dem Hinweis auf mangelnde Ressourcen oder unzureichende Ausstattung kann Menschen<br />

mit Behinderungen der Zugang zu Kitas, Schulen oder Hochschulen nicht länger verwehrt<br />

werden. <strong>Die</strong> Träger müssen die notwendigen Voraussetzungen bereitstellen und die<br />

Pädagog/innen müssen sich weiterbilden. Vermutlich werden sich die Gerichte demnächst<br />

mit den Fragen befassen, denn die UN-Konvention sieht erstmal auch ein individuelles<br />

Klagerecht vor.<br />

www.gew.de<br />

20


Offener Brief<br />

an alle Kultusminister und Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer,<br />

an die Bundeskanzlerin<br />

und die Bundesministerin für Bildung<br />

Appell anlässlich des 8. deutschen Schulamoklaufs<br />

Baden-Württemberg, 19. März 2009<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

der Amoklauf von Winnenden hat viele Eltern, Schüler und Lehrer tief erschüttert.<br />

Es herrschen Furcht und große Verunsicherung.<br />

Sieben mit dem Thema Schule befasste Bürgerinitiativen Baden-Württembergs haben sich<br />

deshalb zusammengetan. Denn uns allen war eines klar: <strong>Die</strong> sich wiederholenden Amokläufe<br />

haben auch etwas mit dem beklagenswerten Zustand der Schulen zu tun.<br />

Beiliegend finden Sie deshalb den „Appell baden-württembergischer Bildungsinitiativen an<br />

die Kultusministerinnen und Kultusminister anlässlich des 8. deutschen Schulamoklaufs in<br />

Winnenden (Baden-Württemberg)“.<br />

<strong>Die</strong>ser Appell liegt uns sehr am Herzen. Deshalb fordern wir Sie auf, im Schulwesen die seit<br />

langem ausstehenden Reformen vorzunehmen. Es kann nicht sein, dass unsere Kinder in der<br />

Schule zu Opfern werden! Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr!<br />

Wir warten auf Ihre Stellungnahme.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Im Auftrag der unterzeichnenden Initiativen:<br />

gez. Dr. Hans-Peter Waldrich, Petra Hoja<br />

Anlage: Appell<br />

21


Appell baden-württembergischer Bildungsinitiativen an die<br />

Kultusministerinnen und Kultusminister anlässlich des 8. deutschen<br />

Schulamoklaufs seit 1999<br />

Schulamokläufe haben viele Ursachen. Aber sie haben auch etwas mit dem Zustand der<br />

heutigen Schulen zu tun. <strong>Die</strong>se Tatsache wird in der Öffentlichkeit weitgehend ausgeblendet.<br />

Es muss aber endlich gesehen werden, dass die schrecklichen Taten von Schulamokläufern<br />

nur die Spitze des Eisbergs sind. Denn es sind nicht nur diese Jugendlichen, die sich im<br />

heutigen Schulsystem unglücklich fühlen. Das Schulsystem ist auch für viele andere Kinder<br />

und Jugendliche eine Institution, die Stress erzeugt, Ängste verstärkt und zu einer Vielzahl<br />

psychischer und psychosomatischer Erkrankungen führt. Schulamokläufer mögen<br />

vorgeschädigte Einzelgänger sein, dennoch sind ihre Probleme grundsätzlich auch die<br />

Probleme zahlloser anderer Schüler, auch wenn diese niemals auf die Idee kämen, in so<br />

grauenhafter Weise zu reagieren.<br />

Schulen sind immer noch Institutionen,<br />

• die Selektion und Ausgliederung wichtiger nehmen als ihren pädagogischen Auftrag,<br />

• in denen Kinder und Jugendliche zum Konkurrieren um oft fragwürdige Leistungen<br />

angetrieben werden,<br />

• in denen junge Menschen häufig gekränkt und beschämt werden,<br />

• in denen die Ziffernnote Ängste, Neid und Missgunst auslöst,<br />

• die eine wirkliche pädagogische Beziehung zwischen Lehrern und Schülern erschweren,<br />

• in denen alle unter Überlastung, Stofffülle und Zeithetze leiden.<br />

<strong>Die</strong>s muss sich endlich ändern!<br />

Schulen müssen sich in Einrichtungen verwandeln,<br />

• die Kinder und Jugendliche so annehmen können, wie sie heute sind: nämlich oft<br />

irritierte, problembeladene junge Menschen, die nach Orientierung suchen,<br />

• die eine echte pädagogische Beziehung zwischen Schülern und Lehrern ermöglichen,<br />

• die die Erziehungsaufgaben der Eltern partnerschaftlich einbeziehen.<br />

• die nicht auf Konkurrenz, sondern auf soziales und solidarisches Miteinander setzen,<br />

• die durch den Unterricht keinen zusätzlichen Stress erzeugen, sondern die natürliche<br />

Lernfreude der Kinder aufnehmen und pflegen,<br />

• die nicht nur von „Werten“ reden, sondern diese im Lebensraum der Schule tatsächlich<br />

umsetzen und praktisch verwirklichen.<br />

Wir fordern, dass es Schulen und Lehrern endlich ermöglicht wird, ihre pädagogische<br />

Verantwortung wahrzunehmen! Dazu müssen jedoch die Grundvoraussetzungen erfolgreichen<br />

Lernens ernst genommen werden.<br />

Gutes und erfolgreiches Lernen ist:<br />

• angstfrei,<br />

• in hohem Maße selbst bestimmt,<br />

• individualisiert,<br />

• frei von äußerem Zwang und Druck (z.B. durch die Ziffernnote),<br />

• kooperativ und gemeinschaftlich,<br />

Gutes Lernen ermöglicht partnerschaftliche Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern auf<br />

der Basis des Vertrauens.<br />

22


Deshalb müssen die Grundbedingungen der Schulen verbessert werden durch<br />

• kleinere Klassen (20 Schüler), in denen soziales Miteinander und der Aufbau echter<br />

Beziehungen möglich ist und leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler gezielt<br />

• gefördert werden können,<br />

• mehr Lehrer (120%) für eine gesicherte und bessere Unterrichtsversorgung,<br />

• Anpassung der Lehrer-Aus- und Weiterbildung an die veränderten<br />

Gesellschaftsverhältnisse sowie Entlastung der Lehrer durch Herabsetzung ihrer<br />

Verpflichtungen,<br />

• den Einsatz von mehr Sozialarbeitern, Schulpsychologen und Heilpädagogen, die<br />

Schwierigkeiten und Nöte der Schüler frühzeitig erkennen,<br />

• regelmäßige Gespräche zwischen Eltern und Schule für eine schülerorientierte<br />

Beratungsarbeit,<br />

• Stärkung des kreativen, sozialen und sportlichen Bereichs, um den Kindern nicht nur<br />

Wissen zu vermitteln, sondern auch Hilfestellung für die Lebensgestaltung an die Hand<br />

zu geben,<br />

• Stärkung der frühkindlichen Bildung, damit Defizite im Frühstadium erkannt und<br />

behoben werden können,<br />

• verbesserten Übergang von Schule in Studium und Beruf. Jugendliche brauchen eine<br />

Zukunftsperspektive und qualifizierte Beratung für ihre Studien- und Berufswahl.<br />

Schaffen Sie endlich das mehrfach gegliederte Schulsystem ab. Gehen sie von der Selektion<br />

zur Kooperation und Inklusion über! Befreien Sie die Schulen von ihren übergroßen<br />

Verpflichtungen: von der Stofffülle, der Überlastung der Lehrer und Schüler, dem<br />

chronischen Zeitmangel und Zeitdruck, mit bedingt durch unsere Halbtagsschulen!<br />

Ermöglichen Sie, dass an den Schulen Ruhe einkehrt und ein wirkliches pädagogisches<br />

Miteinander im Rahmen einer rhythmisierten verbindlichen Ganztagsschule entsteht. Das<br />

wäre ein wichtiger Beitrag gegen Schulamokläufe!<br />

Für Aktion Humane Schule Baden-Württemberg e.V.:<br />

Landesgeschäftsstelle: Eugen-Bolz-Str. 13, 73430 Aalen<br />

1. Vorsitzender Stellvertretende Vorsitzende<br />

gez. Dr. Hans-Peter Waldrich gez. Sabine Hergesell<br />

Für Schule mit Zukunft e.V.:<br />

Geschäftsstelle: Neue Weinsteige 6a, 70180 Stuttgart<br />

Vorsitzende Stellvertretende Vorsitzende<br />

gez. Petra Hoja gez. Katharina Georgi-Hellriegel<br />

Für den Arbeitskreis Gesamtelternbeiräte Baden-Württemberg:<br />

Geschäftsstelle: Jusistraße 7, 72644 Oberboihingen<br />

Vorsitzende Stellvertretende Vorsitzende<br />

gez. Doris Barzen gez. Waltraud Berndt-Mohr<br />

Für Länger gemeinsam lernen Baden-Württemberg e.V.:<br />

Geschäftsstelle: Anton-Kiene-Weg 2, 88279 Amtzell<br />

1. Vorsitzender Stellvertretender Vorsitzender<br />

23


gez. Rudolf Bosch gez. Bernd <strong>Die</strong>ng<br />

Für den Deutschen Familienverband Baden-Württemberg e.V.:<br />

Geschäftsstelle: St. Georgener Straße 10, 79111 Freiburg<br />

Vorsitzender<br />

gez. Uto R. Bonde<br />

Für den Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie Baden-Württemberg e.V.:<br />

Geschäftsstelle: Alemannenstr. 1 c, 79312 Emmendingen<br />

1. Vorsitzende 2. Vorsitzende<br />

gez. Ina-Maria Lienhart gez. Dr. Christiane Löwe<br />

Für die Initiative zur Förderung rechenschwacher Kinder Baden-Württemberg e.V.:<br />

Geschäftsstelle: Höhenstr. 20, 75239 Eisingen<br />

1. Vorsitzende<br />

gez. Margret Schwarz<br />

Aus den Bundesländern<br />

________________________________________________________________<br />

Schulpolitische Konferenz der Fraktion DIE LINKE und der Rosa-<br />

Luxemburg-Stiftung Sachsen-Anhalt „Bildung, die ankommt“<br />

24


Peter Joseph<br />

Fraktion und Stiftung haben am 7. März 2009 im Landtag von Sachsen-Anhalt eine<br />

Schulpolitische Konferenz abgehalten.<br />

Bereits im Wahljahr 2006 hat die Fraktion ein Programm und einen Gesetzentwurf der<br />

Öffentlichkeit präsentiert, nach dem sie schrittweise den Übergang zu einer<br />

Gemeinschaftsschule, einer Schule für alle Kinder, vollziehen will. Dem liegt eine umfassende<br />

Analyse der ungenügenden Leistungsbilanz der allgemein bildenden Schulen in Sachsen-<br />

Anhalt und der wachsenden sozialen Determiniertheit des Bildungserfolgs zu Grunde. <strong>Die</strong><br />

Fraktion verfolgt das Ziel, mit dem vorgelegten Schulkonzept die Dialektik von breiter<br />

Bildungsteilhabe und Absicherung sozial gerechter Lebensverhältnisse im politischen Raum<br />

auszugestalten.<br />

Seither ist eine intensive Arbeit geleistet worden. <strong>Die</strong> Strategie des Umbaus vom derzeitigen<br />

Schulsystem in Sachsen-Anhalt hin zu einem integrativen System mit einem gemeinsamen<br />

Bildungsgang für alle Schülerinnen und Schüler wurde umrissen und veröffentlicht.<br />

Gleichzeitig führt der zuständige Facharbeitskreis der Fraktion mit erheblichem Aufwand<br />

Arbeitsbesuche in allen Landkreisen an Schulen und Foren vor Ort durch, um den<br />

Reformansatz zu erläutern, für ihn zu werben und um in eine konstruktive Diskussion mit<br />

Schulpraktikerinnen und -praktikern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit<br />

weiteren Bildungsinteressierten einzutreten.<br />

In Sachsen-Anhalt hat sich 2007 auf Beschluss des Landtages ein Bildungskonvent<br />

konstituiert. Er vereint 37 Vertreterinnen und Vertreter aus allen Bereichen des öffentlichen<br />

Lebens, aus der Schule, der Wissenschaft, der Wirtschaft, aus Verbänden, Organisationen und<br />

Gewerkschaften, aus den Kirchen, den kommunalen Spitzenverbänden und der Politik. Der<br />

Bildungskonvent soll vor dem Hintergrund internationaler Vergleichsstudien sowie der<br />

demografischen Situation in Sachsen-Anhalt Empfehlungen für ein leistungsfähigeres<br />

allgemein bildendes und berufsbildendes Schulsystem, das den Anforderungen der Zukunft<br />

gerecht wird, erarbeiten. Auch dieses Forum, dem zwei Abgeordnete jeder Landtagsfraktion<br />

angehören, ist ein Ort des bildungspolitischen Diskurses, in den wir unsere Reformkonzepte<br />

einbringen. Seine Empfehlungen spiegeln den Grad des derzeitigen gesellschaftlich möglichen<br />

bildungspolitischen Konsenses, die Akzeptanz von Innovation und die gesellschaftlichen<br />

Erwartungen an Bildung wider.<br />

Konventdebatten, Arbeitsbesuche und Expertengespräche haben deutlich gemacht, dass die<br />

von uns angestrebten Reformschritte nicht voraussetzungslos durch administrativen Akt<br />

umgesetzt werden können. Auch zahllose Studien und ermutigende wissenschaftliche<br />

Vorträge und Expertisen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass es gegenüber der<br />

Gemeinschaftsschule erhebliche Zweifel, Skepsis, soziale und kulturelle Vorbehalte gibt, die<br />

keineswegs nur im Lager konservativer Politikerinnen und Politiker anzutreffen sind, sie<br />

reichen in alle gesellschaftlichen Schichten und auch tief in die Lehrerschaft.<br />

Gegenstand unserer Konferenz war es daher, mit einem möglichst vielschichtigen Auditorium<br />

essentielle Rahmenbedingungen der von uns vorgeschlagenen Transformationsstrategie zu<br />

erörtern.<br />

25


1. Wir gehen davon aus, dass die entscheidende Voraussetzung für die Aufhebung der<br />

äußeren Bildungsgangdifferenzierung gereifte Fähigkeiten und Potentiale zur inneren<br />

Differenzierung von Bildungsprozessen sind.<br />

<strong>Die</strong>ses Problem ist auch bereits derzeit akut, weil in den verschiedenen Schulformen der<br />

Sekundarstufe I die für die „Gliederung“ immer zur Legitimierung gebrauchte Homogenität<br />

der Lerngruppen schon lange nicht mehr gegeben ist. Es gelingt aber in zahlreichen Schulen<br />

nicht, mit dieser Vielfalt produktiv umzugehen. Häufig kommt es zu einer Nivellierung, die die<br />

vermeintlich Schwachen nicht ausreichend zu fördern vermag und die angeblich Starken nicht<br />

zu wirklich herausragenden brillanten Leistungen anregt. In einer solchen Situation von den<br />

Schulen eine noch größere Integrationsleistung abzuverlangen, birgt die Gefahr des<br />

Scheiterns in sich.<br />

Der erste Schwerpunkt war deshalb aus wissenschaftlicher und schulpraktischer Sicht der<br />

Frage gewidmet, wie kann innere Differenzierung im Bildungsprozess der Sekundarstufe I<br />

gelingen, ist es realistisch, erfolgreiche Bildung – Bildung, die ankommt – in Lerngruppen zu<br />

gestalten, die unter verschiedenen Gesichtspunkten heterogen zusammengesetzt sind;<br />

heterogen in ihren Erfahrungswelten, heterogen in ihren sozialen und kulturellen<br />

Verwurzlungen, heterogen in ihren Bildungsmotivationen, heterogen in ihren Lernstilen und -<br />

kulturen, heterogen in ihren Interessen, heterogen in ihren Lernausgangsniveaus.<br />

Vorträge und Debatte konnten nicht alle Zweifel und alle Skepsis ausräumen. Es wurde aber<br />

deutlich, dass der Ansatz die Mühe lohnt. Unterschiedlich gelagerte Beispiele verdeutlichten,<br />

dass innere Differenzierung und Integration gelingen kann, wenn sie im ergebnisorientierten<br />

Methodenmix klug realisiert sind: in gut gemachtem Frontalunterricht im Wechsel mit<br />

kooperativen Lernformen und einem intelligent gestalteten Tutorensystem ebenso wie in<br />

handlungsorientiertem Unterricht mit seiner Krönung des Projektunterrichtes auf der<br />

Grundlage selbst organisierter (eigenverantwortlicher) Lernformen. Das heißt immer, dass<br />

wirklich alle Kinder und Jugendliche profitieren und nicht nur die in verschiedener Hinsicht<br />

Schwachen oder Benachteiligten bessere Chancen erhalten – das natürlich auch. <strong>Die</strong> Arbeit<br />

an einem Projekt in einer integrierten Gesamtschule belegte das genauso wie die an einer<br />

Sekundarschule, in der schon seit Jahren erfolgreich Schülerinnen und Schüler mit und ohne<br />

sonderpädagogischen Förderbedarf gemeinsam lernen.<br />

2. <strong>Die</strong> Reformschritte, die nach der Landtagswahl im Jahre 2011 bei einem entsprechenden<br />

Wahlergebnis möglich werden, müssen unter schwierigen personellen und materiellen<br />

Bedingungen stattfinden.<br />

Wir hielten es für extrem fahrlässig, uns darüber hinweg zu täuschen, in welche angespannte<br />

Personalsituation wir spätestens in der Mitte der nächsten Dekade geraten. <strong>Die</strong> Altersstruktur<br />

der Gesamtheit der Lehrkräfte nicht nur in Sachsen-Anhalt bringt es mit sich, dass ab 2012 /<br />

2013 zahlenmäßig starke Jahrgänge aus dem <strong>Die</strong>nst ausscheiden. <strong>Die</strong> Zahl der<br />

Pensionierungen und Verrentungen wird sich in den kommenden Jahren um ein mehrfaches<br />

erhöhen. Zwischen 2010 und 2020 wird die Gesamtschülerzahl aber nicht signifikant<br />

abfallen. Erst danach wird durch das demografische Echo der extrem rückläufigen<br />

Geburtenzahlen Anfang der 90iger Jahre ein erneuter deutlicher Einbruch in den<br />

Schülerzahlen die Bildungslandschaft nochmals radikal belasten.<br />

Wir gehen also einer Zeit entgegen, in der wir die bisher pädagogisch relativ günstige Schüler-<br />

Lehrer-Relation nicht mehr halten werden können, schon gar nicht verbessern. Und zwar<br />

unabhängig davon, wie viel wir Geld für die Bildung im Haushalt zur Verfügung stellen<br />

könnten. Leider auch unabhängig davon, was wir jetzt noch tun.<br />

26


Dennoch ist diese Lage nicht unabwendbar gewesen. Sie ist durch Versäumnisse und<br />

Ignoranz der Politik in Kauf genommen worden. Sie kann auch jetzt noch wenigstens in ihren<br />

Folgen abgemildert werden, was dringend geboten ist.<br />

Umgehend müssen die Einstellungskorridore erweitert werden, um die jetzt noch in<br />

erheblicher Zahl zur Verfügung stehenden Absolventinnen und Absolventen für die Arbeit an<br />

einer Schule in Sachsen-Anhalt zu gewinnen, müssen die Ausbildungskapazitäten an<br />

Universitäten und Staatlichen Seminaren vorübergehend deutlich erhöht werden.<br />

Das alles ändert nichts daran, die Reformen werden nur gelingen, wenn sie auch eine höhere<br />

Effektivität des Personaleinsatzes ermöglichen, ein deutlich flexibleres Personalmanagement<br />

an den Schulen beinhalten und neue Ressourcen für die Bildungsprozesse in den allgemein<br />

bildenden Schulen erschließen. <strong>Die</strong> Problemsicht zur diesen Fragen wurde durch eine<br />

detaillierte Analyse geschärft.<br />

Resümierend stellte Matthias Höhn, bildungspolitischer Sprecher und Landesvorsitzender der<br />

LINKEN am Ende seines Vortrages fest: „Angesichts knapper werdender personeller und<br />

finanzieller Ressourcen erscheint es umso anachronistischer, die wenigen Schülerinnen und<br />

Schüler, die wir noch haben, auch noch auf möglichst viele Schulformen aufzugliedern. Eine<br />

gut gemachte Schule für alle Kinder wäre nicht nur ein Gewinn aus pädagogischer und<br />

gesellschaftlicher Perspektive, es wäre auch eine vernünftige Antwort auf sinkende<br />

Lehrerzahlen und finanzpolitische Spielräume.“<br />

Peter Joseph ist wissenschaftlicher Referent der Fraktion DIE LINKE im Landtag von Sachsen-<br />

Anhalt<br />

Kontakt: joseph@dielinke.lt.sachsen-anhalt.de<br />

Schul-Visionen: Welches schulpolitische Konzept verfolgt DIE LINKE<br />

in Sachsen-Anhalt?<br />

27


Jutta Fiedler, Rede zur Schulpolitischen Konferenz am 7. März 2009<br />

Liebe Lernende,<br />

ich spreche Sie nicht nur deshalb so an, weil Sie hierher zu einer Schulpolitischen Konferenz<br />

gekommen sind (was uns sehr freut) und Schule immer mit Lernen verbunden wird, sondern<br />

auch deshalb, weil wir alle immerzu Lernende sind. Unser Gehirn - so sagen die<br />

Neurowissenschaftler - lernt immer, ob wir wollen oder nicht. Einer von ihnen hat für das<br />

Gehirn sogar den Begriff „Informationsstaubsauger“ geprägt. Das Dumme ist nur, dass unser<br />

Gehirn nicht immer das lernt, was es soll. Das ist besonders in der Schule der Fall, da kann<br />

sicher jeder von uns ein Lied davon singen. Bildung kommt also nicht immer an.<br />

Unsere Konferenz heute haben wir mit „Bildung, die ankommt“ betitelt. Das hübsche<br />

Wortspiel vom Ankommen hat jeder von Ihnen erkannt: Von den vielen<br />

Bedeutungsmöglichkeiten des Wortes „ankommen“ kommt es uns an auf „Bildung, die ihr Ziel<br />

gefunden hat“, manchmal erst nach Irrungen und Wirrungen, aber eben doch „angekommen“.<br />

Wenn Bildung nun aber ihr Ziel nicht oder nicht optimal gefunden hat? Gestern ging<br />

eine angeblich überraschende Studie des Landesverwaltungsamtes über die Schulabbrecher<br />

in den Sekundarschulen Sachsen-Anhalts durch die Medien, die MZ berichtete. Für mich ist<br />

der Inhalt nicht überraschend, nicht einmal, dass die Schulabbrecherquote unterschiedlich<br />

hoch ist an den einzelnen Schulen. Im Übrigen: Eine solche Rankingliste in dieser Verkürzung<br />

öffentlich an den Pranger zu stellen, halte ich für keine gute Sache. Wir haben es in der<br />

Schule eben nicht mit Maschinen, die blind nach unserem Willen arbeiten, zu tun, sondern mit<br />

Menschen und da ist Input oft nicht gleich <strong>Output</strong>. Sicher – es muss genau hingeschaut<br />

werden, was in Schulen nicht gelingt, Qualitätskontrolle ist immer gut, aber diese verkürzte<br />

öffentliche Zur-Schau-Stellung tut nicht gut. Also: <strong>Die</strong> Zahlen über die Höhe der<br />

Schulabbrecher sind weder überraschend noch neu, das Statistische Landesamt gibt jährlich<br />

die Schulabgängerstatistik des letzten Schuljahres heraus: 24,5 % der Schulabgänger<br />

Sachsen-Anhalts im Schuljahr 2007/2008 setzen ihre Bildungsbiografie unterhalb des<br />

Realschulabschlusses fort. Ähnliche Zahlen gibt es bei PISA 2006: 21,5% der 15jährigen in<br />

Sachsen-Anhalt weisen bei PISA 2006 immer noch eine so minimale Lesekompetenz<br />

aufweisen, dass sie potenzielle funktionale Analphabeten sind. Zu denen, bei denen Bildung<br />

nicht ankommt, gehören übrigens wesentlich mehr Jungen als Mädchen, das Verhältnis<br />

beträgt fast 2:1. Lernerfolg tritt also in der Schule nicht in jedem Fall ein. Aber vom Lernerfolg<br />

lebt der Lernprozess. Bleibt der schulische Erfolg aus, hört schulisches Lernen auf - bei dem<br />

einen vielleicht mehr und bei dem anderen weniger. Auf jeden Fall holt sich das Gehirn als ein<br />

sich selbst belohnendes System seine Erfolge dann eben anderswo. Was dann passiert, zeigt<br />

unsere Broschüre „Bildung, die nicht ankommt: Schulversagen“.<br />

Solche jungen Leute, wie sie hier vorgestellt werden, haben seit einigen Jahren in Sachsen-<br />

Anhalt die Möglichkeit, am Projekt „Produktives Lernen“ teilzunehmen. Was passiert dort?<br />

Jugendliche, die sich in der Nähe zum Schulabbruch oder zum Schulversagen befinden, gehen<br />

an drei Tagen in der Woche in ein Unternehmen und arbeiten dort an Aufgaben, die mit der<br />

Schule abgesprochen sind, und an zwei Tagen sind sie in der Schule und holen das Wissen<br />

nach, was ihnen zum Hauptschulabschluss fehlt. Den schaffen die meisten auch - von 98<br />

Abgängern im vergangenen Schuljahr immerhin 79 - weil sie durch die praktische Arbeit<br />

motiviert sind für die Lernarbeit. Für uns ist das der beste Beweis, dass unsere Forderung<br />

nach Verbindung zwischen praktischer Tätigkeit in der Lebenswirklichkeit und der Lernarbeit<br />

in der Schule als einer unserer Hauptschwerpunkte im Schulkonzept berechtigt ist. Wir<br />

28


wollen polytechnische Bildung für alle. Das ist mehr als das Projekt „Produktives Lernen“,<br />

das ist mehr als nur Technikunterricht, das ist mehr als Schülerpraktikum und mehr als<br />

Berufsorientierung. Polytechnische Bildung soll durch engen Praxisbezug Lernmotivation<br />

fördern, Technikverständnis ausprägen sowie Berufsorientierung und Berufsvorbereitung<br />

deutlich qualifizieren. <strong>Die</strong> Bedeutung davon wird mehr und mehr erkannt, vor allem von<br />

Vereinen und Kommunen. Stellvertretend nenne ich mal die Stadt Aschersleben. Als erste<br />

Kommune in Sachsen-Anhalt gründete die Stadt Aschersleben eine Bildungsstiftung, die im<br />

Bereich Jugend die polytechnische Bildung ab Klasse 7 zum Ziel hat. Dazu gibt es dort bereits<br />

ein polytechnisches Zentrum. Oder in Dessau-Roßlau: Dort arbeitet ein Arbeitskreis Schule<br />

Wirtschaft innerhalb der gleichnamigen Landesarbeitsgemeinschaft, außerdem ist dort die<br />

Initiative „Tradition und Zukunft“ tätig. Im Land laufen noch einige andere ähnliche Initiativen,<br />

wo junge Leute während ihrer Schulzeit schon berufspraktische Erfahrungen machen können.<br />

Allen gemeinsam ist der Denkansatz, dass in der allgemein bildenden Schule der Praxisbezug<br />

zum theoretisch orientierten Fachwissen gehört. Allen gemeinsam ist der Blick auf<br />

erfolgsorientiertes Arbeiten. Wenn es zum Beispiel der Ganztags-Sekundarschule „Am<br />

Zoberberg“ in Dessau durch die Verbindung zu „Tradition und Zukunft“ - und natürlich durch<br />

eine neue Art zu unterrichten gelungen ist - die Klassenwiederholungsquote auf Null zu<br />

fahren, dann zeigt das augenfällig, zu welchen Erfolgen ein solches Modell beitragen kann.<br />

Wir wollen polytechnische Bildung aber nicht nur für eine bessere Verwertbarkeit von<br />

Schulwissen, sondern als Ansatz für Persönlichkeitsbildung. Wir wollen sie nicht nur als<br />

kurzlebiges Projekt, dessen Finanzierung von Jahr zu Jahr unsicher ist, sondern als<br />

systemische Durchdringung des Schulwesens. Und wir wollen sie auch für das Gymnasium.<br />

Dort findet technische Bildung mit Bezug zur Lebenswirklichkeit fast nicht statt. Und wir<br />

wollen sie natürlich erst recht für die Sekundarschule, für deren Stärkung wir uns<br />

einsetzen: Stärkung durch Angleichung der Stundentafel und der Unterrichtsinhalte an das<br />

Gymnasium, damit die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen keine Einbahnstraße nach<br />

unten bleibt. Zurzeit kommen auf einen Schüler, der von der Sekundarschule zum Gymnasium<br />

wechselt, ca. 5 Schüler, die vom Gymnasium wieder zurück zur Sekundarschule gehen.<br />

Was wir vor allem wollen, ist: freier Zugang für jedes Kind zu jeder Art von Bildung, längeres<br />

gemeinsames Lernen und so viel individuelle Förderung, dass wirklich jeder den<br />

Realschulabschluss anstreben kann. Sie meinen, das ginge nicht? Ich will mal aus dem<br />

Nähkästchen meiner fast 40jährigen <strong>Die</strong>nstzeit plaudern: Als ich nach einem relativ methodik-<br />

und fachdidaktikabstinenten Studium als blutjunge Anfängerin an meine Schule kam, an der<br />

ich dann 26 Jahre bis zur Wende geblieben bin, habe ich anfangs genauso langweilig<br />

unterrichtet, wie ich es aus meiner eigenen Schulzeit kannte: jede Menge abfragende, von mir<br />

zentralistisch geführte Unterrichtsgespräche mit anschließendem Aufschreiben der<br />

wesentlichen Unterrichtsinhalte bzw. Abschreiben des Tafelbildes, wobei ich dem Auf- und<br />

Abschreiben sogar noch einen gewissen Kompetenz bildenden Wert beimessen möchte, aber<br />

nicht dem langweiligen Unterrichtsgespräch. Ich hatte trotzdem kaum Disziplinprobleme,<br />

meine Schüler machten das, was ich wollte. <strong>Die</strong> meisten kamen auch gut mit. Einige aber<br />

nicht. Das ließ mir zunehmend keine Ruhe und ich begann zu überlegen, wie ich dem abhelfen<br />

könnte. Ich fing an meinen Unterricht zu individualisieren, das heißt, ich stellte durch<br />

analytische Arbeit genau fest, wo jeder Schüler seine Stärken und Schwächen hatte, und<br />

begann darauf ein „Tutoren-System“ aufzubauen. Das war zeitraubend und mühsam, aber es<br />

gelang mir, kooperative Lernformen auf der Grundlage von individuell differenziertem<br />

Übungsmaterial so einzusetzen, dass die Stärken gestärkt und Schwächen geschwächt<br />

wurden. Meine Kollegen sagten - manche kopfschüttelnd, manche bewundernd: „Mensch,<br />

was du dir für Arbeit machst!“, mein Schulleiter war froh, ein Vorzeigeobjekt zu haben. <strong>Die</strong>se<br />

29


Achtung im Kollegium war mir natürlich auch wichtig, aber wichtiger war mir der Erfolg bei<br />

den Schülern: <strong>Die</strong> Leistungen gingen nach oben, die Zensuren ziffernmäßig nach unten, das<br />

Selbstwertgefühl von allen wuchs, die Sozialbeziehungen in den Klassen wurden<br />

harmonischer. Das habe ich nur geschafft, weil ich in diesen Lernkooperationen die gesamte<br />

Leistungsbreite zur Verfügung hatte, den sehr leistungsstarken Schüler ebenso wie den<br />

leistungsschwachen. Mein methodisches und fachdidaktisches Repertoire wuchs ungemein,<br />

ebenso ungemein wuchs zwar auch mein Zeitaufwand für die Unterrichtsvor- und -<br />

nachbereitung, aber ich hatte Spaß am Arbeiten wie selten zuvor. Uns Lehrern geht es ja<br />

genauso wie den Schülern: Der Erfolg beim Arbeiten bringt den Spaß am Arbeiten. Nie wieder<br />

musste ich so viel Phantasie in meine Unterrichtsvorbereitung investieren wie damals. Wenn<br />

also der Herr Kultusminister vor kurzem auf der Mitteldeutschen Bildungskonferenz in Erfurt<br />

meinte, wer die Einheitsschule wolle, der wäre nur phantasielos, dann weiß ich, dass er<br />

sowohl mit der abwertend gemeinten Bezeichnung „Einheitsschule“ für die von uns gewollte<br />

EINE SCHULE FÜR ALLE als auch mit der Einschätzung „Phantasielosigkeit“ absolut schief<br />

liegt. Noch ein paar Worte mehr aus dem Nähkästchen: Nach 1991 wurde ich stellvertretende<br />

Leiterin eines Lehrerseminars und unterrichtete noch einige Stunden pro Woche, von<br />

Schuljahr zu Schuljahr an einer anderen Schule. Ich wollte genauso weiter unterrichten, wie<br />

ich es gewohnt war. Das war schwierig, ging aber, die schönsten Stunden waren die in<br />

offenem Unterricht mit kooperativen Lernformen. Aber den Erfolg bei den Schülern hatte ich<br />

nicht mehr, musste ich doch das gewohnte Tutorensystem jetzt, an einer Sekundarschule,<br />

innerhalb einer ganz anderen Leistungsbreite organisieren. <strong>Die</strong> leistungsstarken Schüler, die<br />

selbst von dieser Tutorentätigkeit für ihre Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung in<br />

hohem Maße profitiert hatten, waren wegsortiert; die leistungsschwächeren bis sehr<br />

schwachen Schüler blieben unter sich. <strong>Die</strong>ses Sortieren in Gymnasium, Haupt- und<br />

Realschule und Förderschule bringt übrigens in meinen Augen viel eher eine Einheitsschule,<br />

als es unserer Gemeinschaftsschule vorgeworfen wird. Heterogenität gibt es im gegliederten<br />

Schulsystem innerhalb der einzelnen Schulformen auch noch, sicher, aber nur in begrenztem<br />

Maße. Sie produktiv zu nutzen für ein wirkliches Vorankommen in der Trias Sachkompetenz,<br />

Selbstkompetenz und Sozialkompetenz geht daher auch nur begrenzt. Längeres<br />

gemeinsames Lernen tut Not, die Gemeinschaftsschule darf keine Einheitsschule sein, innere<br />

Differenzierung in neuen methodischen Unterrichtsformen muss sein. Das sage ich hier als<br />

Mitglied der Partei DIE LINKE: aber ich sage es nicht nur als LINKE, sondern auch als Lehrerin,<br />

die ich die größten Erfolge für meine Schüler und für mich durch den produktive Umgang mit<br />

Vielfalt erreicht habe. Das wird auch durch eine andere Erfahrung von mir nicht geschmälert,<br />

die da heißt: Frontaler Unterricht muss ebenso sein wie der Unterricht in kooperativen<br />

Lernformen. Innere Differenzierung ist auch in gutem Frontalunterricht möglich, erst recht<br />

dann, wenn nicht nur das Lehrerkollegium, sondern ein multiprofessionelles Team in der<br />

Schule arbeiten könnte.<br />

Vor einiger Zeit hatte ich die Gelegenheit, mit einer Kollegin zu sprechen, die seit geraumer<br />

Zeit in Schweden unterrichtet. Sie sagte: „In Deutschland unterrichtete ich Klassen. In<br />

Schweden unterrichte ich Kinder.“ Das gab mir sehr zu denken. Ja, es stimmt: In Deutschland<br />

gehen wir Lehrer in die Klasse 2a oder 9b. Und wenn wir dem ersten Evaluationsbericht der<br />

Schulaufsicht aus dem vergangenen Jahr glauben wollen, tun Lehrer noch viel zu oft so, als<br />

hätten sie lauter gleiche Schüler vor sich sitzen. Aber in den Klassen sitzen 24 Kinder oder 24<br />

Jugendliche oder wie viel auch immer und jeder von ihnen ist anders, hat andere Stärken und<br />

andere Schwächen. Dass eine Schülerin mit dem Rechnen auf Kriegsfuß steht, wird in der<br />

Schule schnell erkannt. Aber weiß der Mathelehrer auch, wie sportlich das Mädchen ist? Der<br />

Deutschlehrer merkt sehr schnell, wie viel Fehler einer beim Schreiben macht. Aber weiß er<br />

auch, dass der Junge ein begnadeter Trompetespieler ist? Und bei mir selbst hat es eine Weile<br />

30


gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ein Schüler zwar ganz gut vorlesen, aber nicht so gut<br />

Sinn erfassend lesen kann. Und um zu bemerken, dass eine Schülerin zwar im<br />

Englischunterricht große Mühe hat, dafür aber ihre überragenden sozialen Kompetenzen so<br />

ganz nebenbei als tolle Streitschlichterin einsetzt, muss der Englischlehrer seine Schüler auch<br />

besser kennen als nur aus dem Unterricht. Und weil jeder Erfolg das Lernen beflügelt, muss<br />

jeder Lehrer jede Stärke eines Kindes kennen und jede Schwäche natürlich ebenso, damit<br />

sich dort keine Misserfolgsspirale entwickelt. Da muss sich der Lehrer nicht nur als<br />

Fachmann für das Wissen, sondern auch als Fachmann für das Lernen und besonders als<br />

Mensch verstehen, dem seine Schüler nicht gleichgültig sind. Und wenn dem so ist, dann wird<br />

er innere Differenzierung klug gestalten wollen.<br />

Natürlich gehören zu einem erfolgreichen Lernprozess auch und besonders die Eltern und<br />

die kommunalen Verantwortlichen. Ich habe heute erst einmal nur vor meiner eigenen Tür<br />

gekehrt und das ist die Schultür. In der Schule müssen wir als Lehrer und Lehrerinnen alles<br />

dafür tun, dass Lernen gelingen kann, ohne alle anderen Partner am Bildungsprozess zu<br />

vergessen, aber auch ohne mit dem Finger auf andere zu zeigen und die der Schule<br />

zukommende Verantwortung weg zu schieben. Das ist in der von uns angestrebten<br />

Gemeinschaftsschule ohnehin nicht möglich.<br />

Von weiteren Gelingensbedingungen wird heute noch zu reden sein, wir hoffen da auf Ihr Mit-<br />

Reden, denn unsere Konferenz heute ist für uns auch ein Innehalten, um darauf zu schauen,<br />

ob und wie unser Schulkonzept gelingen kann.<br />

Ich wünsche Ihnen dafür viele Ideen und ein paar anregende Stunden hier auf unserer<br />

Konferenz.<br />

Jutta Fiedler<br />

Bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Landtag von Sachsen-Anhalt<br />

Grundprobleme der Bildungsfinanzierung in Deutschland<br />

Plädoyer für einen nationalen Bildungspakt<br />

31


Bodo Ramelow<br />

<strong>Die</strong> öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland sind gering. <strong>Die</strong>s betrifft sowohl die<br />

Unterfinanzierung des Bildungssystems( Fehlende Kindergarten- und Studienplätze;<br />

ungenügende Sachmittel- und Personalausstattung), als auch den erheblichen Mehrbedarf für<br />

den Ausbau zu einem sozial gerechteren System. Ohne öffentliche Mehrausgaben kann auch<br />

das vom Wissenschaftsrat geforderte Niveau der Bildungsbeteiligung nicht erreicht werden.1<br />

<strong>Die</strong> Bildungsausgaben in Deutschland sind gemessen an der Wirtschaftskraft (BIP) seit Jahren<br />

rückläufig. Setzt sich dieser Trend fort, droht die Gestaltung der Wissensgesellschaft in<br />

Deutschland zu scheitern. Um den von Experten/innen für die Modernisierung des<br />

Bildungswesens als notwendig erachteten finanziellen Handlungsbedarf erbringen zu können,<br />

müssten die Bildungsausgaben um einen Anteil von bis zu 1,9 Prozent des BIP (2004)<br />

gesteigert werden.2 <strong>Die</strong>se Steigerung würde bei Berücksichtigung der Schüler/Innen und<br />

Studierendenzahlen noch unter den Bildungsausgaben von 1975 liegen. Damit würde<br />

Deutschland zwar noch nicht die internationalen Spitzenwerte, z.B. der skandinavischen<br />

Staaten erreichen. <strong>Die</strong> Finanzierung von zentralen Projekten, wie einem flächendeckenden<br />

Ganztags- und Gemeinschaftsschulnetz und der bedarfsgerechte Ausbau des Angebots an<br />

Studienplätzen wären jedoch möglich.<br />

Deutschland liegt im OECD- Vergleich der öffentlichen Bildungsausgaben auf platz 21 der 29<br />

untersuchten Staaten. Deutschland gab im Jahre 2003 4,7 Prozent des BIP für Bildung aus,<br />

gefolgt von Island (7,8%), Norwegen (7,6%) und Schweden (7.5%). <strong>Die</strong> Schweiz (6,0%) und<br />

Österreich (5,5%), als deutschsprachige Länder mit dualem System, wenden öffentlich<br />

ebenfalls wesentlich mehr Geld für Bildung auf als die Bundesrepublik. <strong>Die</strong>ser Rückstand<br />

durch eine Erhöhung der privaten Bildungsausgaben kompensieren wollen, würde<br />

Fehlentwicklungen noch vertiefen, zumal Deutschland bei den privaten Bildungsausgaben<br />

neben Korea, den USA, Kanada, Japan, Mexiko, Neuseeland und Großbritannien im vorderen<br />

Drittel der OECD-Staaten liegt.<br />

Der haushaltspolitische Handlungsbedarf wird von Expert/innen auf bis zu 43 Mrd. Euro<br />

beziffert. Allein für den Ausbau eines flächendeckenden, gebührenfreien Kita- Netzes<br />

veranschlagt Karl Lauterbach (SPD) 23,5 Mrd. Euro – was 12 Mrd. Euro mehr sind als heute.<br />

Derzeit werden rund 102 Mrd. Euro von Bund, Ländern und gemeinden für öffentliche Bildung<br />

ausgegeben (vgl. BLK 2006a, S.7). Ohne eine andere Steuerpolitik ist der bildungspolitische<br />

Reformbedarf daher nicht zu finanzieren. Bundestag und Bundesrat haben sich mit der<br />

Föderalismusreform II die Aufgabe gestellt, die Bund- Länder- Finanzbeziehungen mit dem Ziel<br />

der Verbesserung von Wachstum und Beschäftigung zu modernisieren. <strong>Die</strong> Mobilisierung der<br />

Ressourcen für den Umbau des Bildungssystems ist die zentrale haushaltspolitische Aufgabe<br />

der Republik. <strong>Die</strong>s reicht weit über den rahmen, der der Föderalismusreform gesetzt ist,<br />

hinaus. Im Rahmen der Reform sollten jedoch Schritte zur Modernisierung der<br />

Finanzverfassung unternommen und Bildung neu als Gemeinschaftsaufgabe definiert werden.<br />

Denn ohne, dass der rahmen für die Bildungsfinanzierung neu gesetzt wird, bleibt offen, wie<br />

Bund, Länder und Kommunen die neuen Aufgaben schultern können.<br />

Es gibt im Deutschen Föderalismus Anreize für die Bundesländer, geringe Ausgaben für<br />

Bildung zu tätigen und diese Ausgaben auf andere Bundesländer zu überwälzen<br />

(„Trittbrettfahrer- Verhalten“). Es gibt Hinweise auf einen innerdeutschen Brain Drain in die<br />

südlichen Bundesländer. Darauf muss die Föderalismuskommission reagieren. Der<br />

aufkommende Wettbewerbsföderalismus birgt das Risiko des „Bildungsdumpings“.<br />

32


<strong>Die</strong> Starke Verlagerung der Bildungsfinanzierung auf die Gliedstaaten, die durch die<br />

Föderalismusreform I gestärkt wurde, ist ein deutscher Sonderweg. In anderen föderale<br />

Staaten trägt die zentrale Ebene im höheren Maße die Finanzierung von Bildungsausgaben.<br />

Alternativ werden die Kosten über Lastenausgleichsregelungen auf die einzelnen Gliedstatten<br />

verteilt. <strong>Die</strong>s gilt für Österreich und die Schweiz, die ähnlich wie Deutschland über ein starkes<br />

duales System verfügen. Das betrifft z.B. die zentrale Finanzierung der Lehrer/Innengehälter<br />

in Österreich und den Hochschulfinanzausgleich in der Schweiz.<br />

Als erste Schritte für eine bessere Finanzierung der Bildung sollten im Rahmen der<br />

Föderalismusreform II die Möglichkeit geschaffen werden, Programme der<br />

Bildungsfinanzierung als neue Gemeinschaftsaufgabe in das Grundgesetz (Art.91b) zu<br />

übernehmen. Das sog. Kooperationsverbot in Art. 104b muss entfallen. Außerdem sollte in<br />

Anlehnung an das österreichische Beispiel über bundesweite Ausstattungsstandards<br />

(Personal und Sachmittel) gesprochen werden. Werden diese Standards dauerhaft<br />

unterschritten, müssen die betroffenen Länder mit finanziellen Sanktionen rechnen.<br />

Mittelfristig müssen so Voraussetzungen geschaffen werden, um zu einem nationalen<br />

Bildungspakt von Bund und Ländern zu gelangen. Bund und Länder sollten sich in diesem<br />

Pakt verpflichten, die Bildungsausgaben dauerhaft an einem Anteil des BIP zu indexieren, der<br />

Deutschland an den Durchschnitt der Industriestaaten heranführt. Als Indikator bietet sich die<br />

Größe „Bildungsausgaben in Prozent des Bruttoinlandsproduktes je eine Million<br />

Schüler/Innen bzw. Studierende“ an. <strong>Die</strong>se Indexierung könnte zu einer Entlastung des<br />

Bildungsbereiches von kontraproduktiven Sparzwängen beitragen. Mit einem nationalen<br />

Bildungspakt können Maßnahmen für die Errichtung eines flächendeckenden gebührenfreien<br />

Netzes von Kindertagesstätten und Gemeinschaftsschulen sowie die Steigerung der Anzahl<br />

der Studienplätze und der Absolvent/innen ergriffen werden.<br />

<strong>Die</strong> Bundesrepublik hat sich bereits 1975 im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale<br />

und kulturelle Rechte auf die Gewährleistung des Rechtes auf Bildung verpflichtet. Damit ist<br />

die Verwirklichung dieses Rechtes Staatsziel. Jedes land hat die Pflicht, sein Bildungssystem<br />

entsprechend zu öffnen und seiner Bevölkerung das Recht auf Bildung zu ermöglichen.<br />

1 Der Wissenschaftsrat (2006) fordert eine Studienberechtigungsquote von 50% (derzeit 42,5%), eine<br />

Studienanfänger/innenquote von mindestens 40% (derzeit 37%) und eine Hochschulabsolvent/innenquote an der<br />

gleichaltrigen Bevölkerung von 35% (derzeit21,1%).<br />

2 <strong>Die</strong>se bis zu 1,9% ergeben sich aus Mehrausgaben für Bildung in Höhe von 43 Mrd.€, wie ver.di dies fordert. Bei einem BIP<br />

von 2.322 Mrd.€ entspricht dies 1,85%.<br />

Bodo Ramelow ist stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und<br />

Mitglied der gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der<br />

Bund-Länder-Finanzbeziehungen (Föderalismuskommission)<br />

Eine gute Schule für Berlin!<br />

2. Landesparteitag • 2. Tagung<br />

33


A. Der Landesparteitag stellt fest:<br />

1. Wir wollen eine »Schule für alle«<br />

DIE LINKE Berlin bekräftigt ihr Ziel, das gegliederte Schulsystem aus Kaiserzeiten endlich<br />

zugunsten einer nicht auslesenden Gemeinschaftsschule für alle zu überwinden. Wir können<br />

es uns aus sozialen, demokratischen und demografischen Gründen nicht länger leisten,<br />

Kinder aus benachteiligten Milieus und viele Kinder mit Migrationshintergrund von guter<br />

Bildung fernzuhalten. Weder soziale Herkunft noch Migrationshintergrund dürfen eine<br />

gleichberechtigte Teilhabe an Bildung verhindern.<br />

2. Pilotphase erfolgreich gestartet<br />

Zu Beginn dieses Schuljahres haben 17 Schulen in elf Schulverbünden begonnen, sich zu<br />

Gemeinschaftsschulen zu entwickeln bzw. zusammenzuschließen. Damit geben wir uns nicht<br />

zufrieden. Nächstes Schuljahr werden weitere vier Gemeinschaftsschulen hinzukommen. An<br />

einigen Gemeinschaftsschulen übersteigt die Zahl der Anmeldungen die Anzahl der<br />

vorhandenen Plätze deutlich. Viele bildungsbewusste Eltern haben die Chance erkannt. Sie<br />

wollen, dass ihre Kinder gemeinsam in Gemeinschaftsschulen lernen können – von der ersten<br />

Klasse bis zum Abitur.<br />

Wir wissen – ein Jahr ist für eine neue Schulform ein zu begrenzter Zeitabschnitt, der nur eine<br />

bedingte Evaluation der Erfolge zulässt. Dennoch halten wir diesen Einstieg für politisch<br />

bedeutsam und ermutigend.<br />

3. Berlin diskutiert endlich über neue Schulstruktur!<br />

DIE LINKE Berlin hat die Gemeinschaftsschule als Schule für alle zum Thema gemacht.<br />

Dadurch wurde die nach PISA aufgebaute Blockade durchbrochen und endlich auch über<br />

notwendige Veränderungen in der Schulstruktur geredet. Der Start der ersten<br />

Gemeinschaftsschulen hat die Diskussion in der Stadt um Chancengleichheit befördert.<br />

Zugleich gibt es mit ihnen erste praktisch erfahrbare Beispiele für gute Schulen. <strong>Die</strong><br />

Gemeinschaftsschule ist dadurch bundesweit zum Markenzeichen linker Bildungspolitik<br />

geworden. Trotzdem ist es uns noch nicht gelungen die Gemeinschaftsschule als einzige<br />

Alternative zu einem mehrgliedrigen Schulsystem im Bewusstsein einer Mehrheit der<br />

Gesellschaft zu verankern.<br />

4. Berlin braucht verbindliche Bildungsziele<br />

Eine Schulstrukturreform ist kein Selbstzweck. Wir wollen eine Vereinbarung darüber erzielen,<br />

welche Ergebnisse die Berliner Schule erreichen soll. Für DIE LINKE sind drei Bildungsziele<br />

zentral. Aus diesen Bildungszielen ergeben sich notwendige Veränderungen für Inhalt und<br />

Struktur der Schule. Reformschritte müssen daraufhin geprüft werden, ob sie im Sinne der<br />

Bildungsziele wirken.<br />

a. Der Bildungserfolg darf nicht von der sozialen Herkunft abhängen<br />

DIE LINKE will die sozialen Disparitäten in der Berliner Schule abbauen. In 10 Jahren wollen<br />

wir schrittweise die Zahl der Abiturabschlüsse von Kindern aus bildungsfernen und<br />

einkommensschwachen Haushalten mindestens verdoppeln.<br />

b. Alle Schülerinnen und Schüler erwerben einen Schulabschluss<br />

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DIE LINKE will, dass innerhalb der nächsten 10 Jahre alle Schülerinnen und Schüler einen<br />

Abschluss der allgemeinbildenden Schule erreichen. Als Zwischenschritt wollen wir in den<br />

nächsten fünf Jahren die Abbrecherquote halbieren.<br />

c. Deutlich mehr Schülerinnen und Schüler erreichen das Abitur<br />

<strong>Die</strong> OECD attestiert der Bundesrepublik einen drohenden Fachkräftemangel, bedingt durch zu<br />

niedrige Studienabschlussquoten. Auch vor dem Hintergrund der demographischen<br />

Entwicklung ist es notwendig, insgesamt deutlich mehr junge Menschen zum bestmöglichen<br />

Schulabschluss zu führen und ihnen ein Hochschulstudium zu ermöglichen.<br />

Dazu will die <strong>Linke</strong> die Voraussetzung dafür schaffen, dass es mehr Schülerinnen und<br />

Schülern ermöglicht wird, ein Studium aufzunehmen. Dazu müssen über eine gezielte<br />

Förderung die schulischen Leistungen den Anforderungen des Abiturs angepasst werden.<br />

DIE LINKE will schrittweise innerhalb der nächsten 10 Jahre die Abiturquote in Berlin auf zwei<br />

Drittel eines Altersjahrganges erhöhen und damit mehr Schülerinnen und Schülern<br />

ermöglichen, ein Studium aufzunehmen.<br />

5. Bildungsziele durch gute Schulen erreichen!<br />

Um diese Bildungsziele zu erreichen, brauchen wir einen Paradigmenwechsel. Gute Schulen<br />

sind für DIE LINKE Schulen,<br />

• die alle Schüler/innen mit ihren unterschiedlichen Ausgangslagen akzeptieren und individuell<br />

fördern, statt sie nach vermeintlicher Eignung und Leistungsfähigkeit auszulesen,<br />

• die Verschiedenheit als Reichtum verstehen und sie kreativ als Ressource zur Entwicklung<br />

sozialer Kompetenzen und für gemeinsames Lernen nutzen,<br />

• die das Lernen der Schüler/innen als aktiven und individuellen Prozess in den Mittelpunkt<br />

stellen und sich nicht auf ein überwiegend frontales Belehren beschränken,<br />

• in der die LehrerInnentätigkeit als Teamwork begriffen und umgesetzt wird,<br />

• die sich als Schulen verstehen, in denen Mit- und Selbstbestimmungsprozesse der<br />

SchülerInnen ermöglicht und unterstützt werden, um Demokratieverständnis in der Praxis zu<br />

lehren,<br />

• die in ihrem Kiez verankert sind und sich der Gesellschaft öffnen.<br />

6. <strong>Die</strong> geplante Strukturreform kann Sackgasse oder Zwischenschritt zur<br />

Gemeinschaftsschule werden<br />

Der Vorschlag des Senates für die Schulstrukturreform betrifft vor allem die Sekundarstufe I.<br />

Kern des Vorschlages ist, ab 2010/2011 anstelle der bisherigen Haupt-, Real- und<br />

Gesamtschulen nur noch eine Schulform neben den Gymnasien und Gemeinschaftsschulen zu<br />

etablieren. <strong>Die</strong> neue Oberschule, die dort als Sekundarschule bezeichnet wird, soll zu allen<br />

Schulabschlüssen führen und ausnahmslos als gebundene Ganztagsschule eingerichtet<br />

werden. Das Abitur kann dort in 12 oder 13 Jahren erworben werden.<br />

35


<strong>Die</strong>ser Vorschlag überwindet die Hauptschule, reduziert die Gliederung des Schulsystems und<br />

führt eine Reihe integrativer Elemente der Gemeinschaftsschule über die Pilotphase hinaus in<br />

der Fläche ein.<br />

<strong>Die</strong>ser Weg birgt – da er die auslesende Gliederung des Schulsystems letztendlich nicht<br />

überwinden kann – die Gefahr in sich, in die Sackgasse der endgültigen Zweigliedrigkeit zu<br />

führen.<br />

Er bietet aber auch die Chance, einen Schritt in Richtung einer »... nicht auslesenden Schule,<br />

wie es dem Ziel und dem Selbstverständnis der Berliner Gemeinschaftsschule entspricht« zu<br />

gehen, wie sie das Senats-Papier selbst vorgibt.<br />

Inwieweit der Reformschritt diesem Ziel gerecht wird, hängt von den Bedingungen, seiner<br />

Ausgestaltung und seiner Einbettung in eine Perspektive zur Gemeinschaftsschule ab. DIE<br />

LINKE steht für die Schaffung neuer Restschulen nicht zur Verfügung, sondern befördert<br />

einen Prozess, der zu mehr Chancengleichheit und individuellem Lernen führt.<br />

Deshalb stellt DIE LINKE folgende Anforderungen an die anstehende Schulreform:<br />

B. Anforderungen der LINKEN an die Schulstrukturreform<br />

1. Ziel bleibt die Gemeinschaftsschule als Schule für alle<br />

Auch ein Zwischenschritt muss Richtung und Maß haben. <strong>Die</strong> anstehende Strukturreform<br />

muss sich, um nicht in der Sackgasse der Zweigliedrigkeit zu enden, am Ziel einer<br />

Gemeinschaftsschule orientieren. Und sie muss sich daran messen lassen, inwieweit sie einer<br />

Entwicklung hin zu einer nicht auslesenden Schule zuträglich ist.<br />

2. »Pilotphase Gemeinschaftsschule« wird fortgesetzt und ausgeweitet<br />

<strong>Die</strong> Pilotphase wird fortgesetzt und ausgeweitet. In ihr gehen Schulen den direkten Weg zur<br />

nicht auslesenden Schule und gewinnen Erfahrungen für ein ungegliedertes Schulsystem, in<br />

dem das individuelle Lernen im Mittelpunkt steht. <strong>Die</strong> Praxis des gemeinsamen Lernens von<br />

der ersten bis zur zehnten Klasse ohne Auslese nach der Grundschule, trägt dazu bei,<br />

Vorbehalte abzubauen. <strong>Die</strong> Erfahrungen der Pilotphase werden wissenschaftlich begleitet und<br />

ausgewertet und liefern so Erkenntnisse für die Entwicklung der Berliner Schule. Für die<br />

Ausweitung der Pilotphase sind folgende Punkte maßgeblich und in die Schulstrukturreform<br />

einzubringen:<br />

• <strong>Die</strong> Ausweitung der Pilotphase darf nicht an den Beschränkungen des bisher dafür<br />

vereinbarten Pilotfonds scheitern. Für die Fortführung und Ausweitung der Pilotphase sind die<br />

entsprechenden Haushaltsmittel in den Doppelhaushalt 2010/2011 einzustellen.<br />

• Jedem Kind, das es wünscht, muss der Zugang zur Gemeinschaftsschule ermöglicht werden.<br />

Der Bedarf an Plätzen ist an vielen Gemeinschaftsschulen größer als das vorhandene<br />

Angebot. <strong>Die</strong>ser Bedarf seitens der Schüler/innen und Eltern muss gedeckt werden, z.B.<br />

durch die Aufnahme weiterer Klassenzüge an bestehenden Standorten oder durch neue<br />

Gemeinschaftsschulgründungen.<br />

• DIE LINKE wird sich in den Bezirken dafür einsetzen, dass die Entwicklung von<br />

Gemeinschaftsschulen mit entsprechender Finanzierung Priorität bekommt.<br />

• Um weitere Grundschulen zu diesem Schritt zu ermutigen, setzt sich DIE LINKE dafür ein, die<br />

laufbahnrechtlichen Hindernisse für die Gründung und Entwicklung von<br />

Gemeinschaftsschulen zu beseitigen<br />

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• DIE LINKE will Schulen ermutigen, sich angesichts der bevorstehenden Schulstrukturreform<br />

zu entscheiden, sich zu einer Gemeinschaftsschule mit Grundstufe zu entwickeln und sich<br />

nicht auf die Reform in der Sekundarstufe I zu beschränken.<br />

3. Alle Schulen sollen sich integrativ entwickeln<br />

Ziel der Schulreform muss die Qualitätssteigerung in allen Schulen sein. Deshalb sollen sich<br />

alle Schulen – nicht nur die Gemeinschaftsschulen und die neuen Oberschulen – integrativ<br />

entwickeln.<br />

3.1. Auf den Anfang kommt es an – Grundschulen und Kitas stärken<br />

<strong>Die</strong> Kita und die Grundschule sind Bildungseinrichtungen, die bereits nach dem Prinzip des<br />

gemeinsamen Lernens arbeiten. Auch wenn der Kern des anstehenden Reformschrittes die<br />

Sekundarstufe I betrifft, dürfen wir die Grundschulen und die Kitas nicht vernachlässigen, weil<br />

hier die Grundlagen für Bildungserfolg und Chancengleichheit gelegt werden.<br />

DIE LINKE wird sich deshalb weiter dafür einsetzen, dass:<br />

• der Zugang zu den Bildungsangeboten der Kitas erleichtert und ihre Qualität durch eine<br />

bessere Ausstattung erhöht wird,<br />

• der Übergang zwischen Kitas und Grundschulen durch eine stärkere Zusammenarbeit<br />

erleichtert wird und dafür auf beiden Seiten die notwendigen Ressourcen zur Verfügung<br />

stehen,<br />

• die Lern- und Arbeitsbedingungen in der Schulanfangsphase wesentlich verbessert werden,<br />

• alle Kinder in der Grundschule ein Recht auf Ganztagsförderung ohne Bedarfsprüfung auch in<br />

den Klassenstufen fünf und sechs erhalten,<br />

• keine Ganztagsangebote allein aus Kostengründen in freie Trägerschaft verlagert werden,<br />

• für Ganztagsangebote qualifiziertes Personal in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt<br />

wird,<br />

• die fünften und sechsten Klassen und die Schnellläuferzüge an Gymnasien auslaufen,<br />

• die Bildungsgangempfehlungen abgeschafft werden.<br />

3.2. Anforderungen an die neue Oberschule<br />

Im Zentrum der Strukturreform steht die neue Oberschule. Damit sie sich im Sinne der Ziele<br />

der Reform entwickeln kann, muss sie eine gleichwertige Alternative zum Gymnasium werden<br />

und integrativ arbeiten.<br />

3.2.1. <strong>Die</strong> neuen Oberschulen und Gymnasium müssen gleichwertig sein<br />

<strong>Die</strong> neuen Oberschulen dürfen sich ihrem Selbstverständnis und ihrer Aufgabenstellung nach<br />

nicht darauf beschränken, Schulen für diejenigen zu sein, die es nicht ans Gymnasium<br />

geschafft haben. Sie müssen Kinder aller Leistungsvoraussetzungen zu einem größtmöglichen<br />

Lernfortschritt führen. Sie müssen deshalb explizit den Anspruch haben, auch<br />

Spitzenleistungen zu fördern.<br />

Gleichwertigkeit in diesem Sinne bedeutet:<br />

• Keine unterschiedlichen Vorgaben zur Anzahl der Klassenzüge<br />

• Gleiche Übergangsregelungen<br />

• Keine Schule existiert auf Kosten der anderen. Es gibt kein zwangsweises Abschulen mehr.<br />

37


• Beide Schulformen führen zu den gleichen Abschlüssen, einschließlich des direkten Weges<br />

zum Abitur, und bieten die entsprechenden Standards an.<br />

• Beide Schulformen führen alle Schüler/innen zum bestmöglichen Abschluss.<br />

3.2.2. <strong>Die</strong> neue Oberschule muss eine integrativ arbeitende Schule sein<br />

<strong>Die</strong> neue Oberschule soll eine nicht auslesende, eine integrative Schule sein, in der die<br />

Lernenden auch im Inneren nicht mehr in Bildungsgänge eingeteilt werden. Sie muss das<br />

Organisationsprinzip der verpflichtenden Aufteilung der Schüler/innen in nach<br />

Leistungsniveaus differenzierte Lerngruppen zugunsten von Binnendifferenzierung und<br />

individuellem Lernen überwinden. Das Sitzenbleiben wird abgeschafft, stattdessen wird auf<br />

individuelle Förderung gesetzt. Jahrgangswiederholungen sollen nur noch im Einzelfall und auf<br />

Grundlage einer Fördervereinbarung zwischen Schüler/innen, Eltern und Schule erfolgen.<br />

3.3. Neue Anforderungen an das Gymnasium<br />

Das Gymnasium muss sich weiterentwickeln. Es darf nicht mehr auf Kosten anderer<br />

Schulformen existieren. Das heißt, Schülerinnen und Schüler, mit denen das Gymnasium<br />

bisher nicht zurechtkommt, darf es nicht mehr gegen ihren Willen abschieben. Es muss sie<br />

am Gymnasium zu den bestmöglichen Lernfortschritten und Abschlüssen führen und so<br />

seinen Beitrag dazu leisten, die Bildungsziele zu erreichen.<br />

4. Übergang in die Sekundarstufe I neu regeln<br />

Im Zuge der stufenweisen Überwindung des gegliederten Schulsystems, muss der Übergang<br />

von der Grundschule in die Sekundarstufe I neu geregelt werden. Dabei geht es nicht<br />

vorrangig um eine Zugangsregelung für die Gymnasien, sondern in erster Linie um eine<br />

Regelung für alle Schulen der Sekundarstufe I, an denen die Nachfrage auf Grund des<br />

Elternwillens die Zahl der vorhandenen Plätze übersteigt. Dabei kommt es entscheidend<br />

darauf an, dass jede Schule einen Beitrag zum Abbau der sozialen Disparitäten leistet.<br />

<strong>Die</strong> Regelungen für den Übergang von der Grundschule in die Schulen der Sekundarstufe<br />

müssen sich daran messen lassen, ob und inwieweit sie einer sozialen Segregation<br />

entgegenwirken und der Gleichwertigkeit beider Schulformen in der Sekundarstufe Rechnung<br />

tragen.<br />

In jedem Fall soll der gemeinsame Übergang von Lerngruppen aus der Grundschule in die<br />

Schulen der Sekundarstufe auf Elternwunsch ermöglicht werden.<br />

5. Inklusion und Integration weiter vorantreiben<br />

Eine Schulreform, die sich am Ziel der nicht auslesenden Schule orientiert, muss die Inklusion<br />

und Integration auch in Bezug auf Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

verwirklichen. <strong>Die</strong> notwendige Überwindung der Hauptschule darf nicht zu einem Abschieben<br />

von Schülerinnen und Schüler insbesondere an die Sonderschulen mit dem<br />

Förderschwerpunkt »Lernen« führen.<br />

Mittelfristig setzt sich DIE LINKE für die Integration aller Schüler/innen mit<br />

sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen ein. Voraussetzung dafür ist eine<br />

entsprechende personelle, bauliche, infrastrukturelle und finanzielle Ausstattung der<br />

Regelschulen, die sicherstellt, dass Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

auch in den Regelschulen entsprechend ihren Bedürfnissen gefördert werden.<br />

38


<strong>Die</strong> Mittel aus den Sonderschulen müssen sukzessive in den gemeinsamen Unterricht<br />

überführt werden.<br />

Der Vorrang des gemeinsamen Unterrichts muss an allen Schulen – auch am Gymnasium –<br />

umgesetzt werden. Das erfordert auch dort eine entsprechende Ausstattung. <strong>Die</strong> Deckelung<br />

der dafür zu Verfügung stehenden Ressourcen muss aufgehoben werden. Im Rahmen der<br />

baulichen Investitionen ist darauf zu achten, dass auch die Schulen barrierefrei gestaltet<br />

werden.<br />

6. Praktisches Lernen für alle<br />

Praktisches Lernen ist ein wichtiger Bestandteil eines ganzheitlichen Bildungsangebots.<br />

Deshalb soll das duale Lernen nicht nur an der neuen Oberschule, sondern in allen Schulen<br />

seinen Platz haben und allen Schüler/innen offenstehen. Es darf nicht als<br />

abschlussbezogenes Lernangebot für ehemalige HauptschülerInnen behandelt werden.<br />

Großer Anstrengung bedarf das Bereitstellen einer entsprechenden Anzahl geeigneter<br />

Schülerarbeitsplätze.<br />

7. <strong>Die</strong> Rahmenbedingungen müssen stimmen.<br />

Wenn über die Ausstattung von Schule diskutiert wird, sind »Klassenfrequenzen«, »Zügigkeit«<br />

und »Unterrichtsstunden« zentrale Begriffe. Organisatorischer Rahmen für erfolgreiches<br />

Lernen sind allerdings nicht zwingend der Klassenverband, der Jahrgang oder die 45minütige<br />

Unterrichtsstunde. Entscheidend ist vielmehr, dass die Schulen eine gute Ausstattung<br />

erhalten, mit der sie eigenverantwortlich und flexibel das Lernen gestalten können. <strong>Die</strong><br />

folgenden Aussagen zu Frequenzen und Zügigkeit sollen daher lediglich der Berechnung der<br />

Ausstattung dienen. <strong>Die</strong> Bewertung der Arbeitsbelastung muss neuen Erfordernissen<br />

Rechnung tragen.<br />

7.1. Keine unterfinanzierte Schulreform, sondern verlässliche Voraussetzungen<br />

DIE LINKE steht nicht für Schulreformen zur Verfügung, die nicht vernünftig finanziert sind. In<br />

der Vergangenheit haben viele sinnvolle Bildungsreformen daran gekrankt, dass sie<br />

unterfinanziert waren. Das hat innerhalb der Kollegien und bei Schülerinnen und Schülern wie<br />

Eltern zu Recht zu Protesten geführt und ist auch ein Grund für die Reformverdrossenheit an<br />

vielen Schulen. <strong>Die</strong> bevorstehende Schulstrukturreform braucht deshalb verlässliche<br />

Voraussetzungen. Das gilt sowohl für die künftige Ausstattung der Schulen als auch den<br />

Prozess der Errichtung der neuen Oberschulen.<br />

• <strong>Die</strong> Schulleitungen und das pädagogische Personal müssen an der Gestaltung und Umsetzung<br />

der Reform beteiligt und dabei unterstützt werden. Sie brauchen daher schulbezogene<br />

Fortbildungsprogramme insbesondere für das Lernen in heterogenen Gruppen, Hilfe und<br />

Coaching bei der Entwicklung der Schulen und Hilfe für selbstorganisiertes und freies Lernen.<br />

• Eine starre Vierzügigkeitsvorgabe für die neuen Oberschulen ist nicht sachgerecht. Bei einem<br />

entsprechenden pädagogischen Konzept muss mit der Schulgröße flexibel umgegangen<br />

werden.<br />

• Ein Musterraumprogramm für die neuen Oberschulen muss entsprechend den pädagogischen<br />

Anforderungen den Raumbedarf definieren. Es muss insbesondere die räumlichen<br />

Bedingungen für den Ganztagsbetrieb, für die Arbeit in kleinen Gruppen und<br />

Arbeitsmöglichkeiten für das pädagogische Personal schaffen.<br />

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Das System der Bezirkszuweisungen für die Schulträgerfunktion muss die Reform<br />

unterstützen. Es muss für den Übergangszeitraum der Umsetzung der Reform das parallele<br />

Auslaufen und die Neugründung an verschiedenen Standorten finanziell gesichert werden.<br />

7.2. Zusätzliche Aufgaben brauchen zusätzliche Mittel.<br />

<strong>Die</strong> Ausstattung der neuen Oberschulen soll zum einen der der bisherigen Gesamtschulen<br />

entsprechen und zum anderen sollen sie darüber hinaus für zusätzliche Aufgaben auch<br />

zusätzliche Mittel erhalten. <strong>Die</strong>s gilt für die Angebote praktischen Lernens ebenso wie für den<br />

Wegfall des Sitzenbleibens. <strong>Die</strong> Ausweitung des Ganztagsangebotes muss mit einer<br />

entsprechenden zusätzlichen Ausstattung mit Lehrer/innen, Erzieher/innen und<br />

Sozialarbeiter/innen einhergehen.<br />

Durch den Wegfall der äußeren Differenzierung können frei werdende Ressourcen zur<br />

Senkung der Klassenfrequenzen eingesetzt werden. Auf dieser Grundlage streben wir eine<br />

Frequenz von 25 Schüler/innen je Klasse an. Für die integrative Bildung und Betreuung von<br />

Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf sollen an den neuen Oberschulen<br />

Sonderpädagogen/innen tätig sein.<br />

<strong>Die</strong>ser kindbezogene Mehrbedarf muss auch für die Arbeit mit dem Kind zum Einsatz<br />

kommen.<br />

7.3. Unterschiedliche Voraussetzungen unterschiedlich behandeln.<br />

Darüber hinaus fordert DIE LINKE, die Sach- und Personal-Ausstattung von der sozialen Lage<br />

und dem daraus erwachsenden Förderbedarf der Schüler/innen abhängig zu machen.<br />

8. Lehrer/innen-Ausbildung auf die neuen Erfordernisse der Berliner Schule<br />

ausrichten<br />

Sowohl der weitere Ausbau der Pilotphase Gemeinschaftsschule als auch die<br />

Weiterentwicklung der Schulstruktur, insbesondere in der Sekundarstufe, erfordern<br />

Veränderungen in der Lehrer/innen - Ausbildung, die über die bisherigen Reformen<br />

hinausgehen. Dazu gehören<br />

• die Befähigung künftiger Lehrerinnen und Lehrer zum Umgang mit der Unterschiedlichkeit der<br />

Schülerinnen und Schüler, zum Lehren und Lernen in heterogenen Schülergruppen und zum<br />

Umgang mit Schülerinnen und Schülern verschiedener Herkunftssprachen,<br />

• der Übergang zu einer einheitlichen Lehrer/innen - Ausbildung mit einem 4-semestrigen<br />

Masterstudium für alle Lehramtsstudiengänge,<br />

• die deutliche Erhöhung des Praxisbezugs und der Berufswissenschaften sowie der<br />

Praxisanteile im Studium insgesamt und insbesondere in der Bachelorphase.<br />

8.1. Personalmangel entgegenwirken<br />

Angesichts des bundesweiten Lehrermangels und der bundesweit zu geringen<br />

Ausbildungszahlen soll sich Berlin dafür einsetzen, dass eine ruinöse Abwerbungspraxis<br />

verhindert wird. Das ist nicht durch das Engagement einzelner Bundesländer zu lösen. Durch<br />

gemeinsame Regelungen von Bund und Ländern muss sichergestellt werden, dass<br />

bundesweit ausreichend Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden und für<br />

überdurchschnittliche Ausbildungsleistungen einzelner Länder ein finanzieller Ausgleich<br />

stattfindet. Gleichzeitig muss in Berlin die Kapazität der Ausbildung von Lehrerinnen und<br />

Lehrern, aber auch von Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie Erzieherinnen und<br />

Erziehern dem Berliner Bedarf entsprechen. <strong>Die</strong> Anhebung der Einstiegsgehälter für<br />

40


Lehrerinnen und Lehrer muss umgesetzt und tariflich abgesichert werden. Punktuelle<br />

Verbesserungen für eine begrenzte Beschäftigtengruppe beseitigen die Ursache für den<br />

vorhandenen Lehrermangel nicht auf Dauer.<br />

Ein Grund für den Mangel an Lehrkräften ist der Weggang von Lehrerinnen und Lehrern aus<br />

Berlin in andere Bundesländer aus tariflichen Gründen. Auch deshalb setzt sich DIE LINKE für<br />

den Wiedereintritt Berlins in den Tarifverbund der Länder und Kommunen ein.<br />

C. Nächster Schritt zur »Schule für alle«<br />

<strong>Die</strong> Schulreform kann unter den zuvor benannten Bedingungen ein wichtiger Schritt auf dem<br />

Weg zur »Schule für alle« sein. Weitere Schritte sind notwendig und dürfen durch die<br />

Schulstrukturreform ausdrücklich nicht ausgeschlossen werden. Nur so bleibt das Ziel der<br />

flächendeckenden Gemeinschaftsschule erreichbar.<br />

DIE LINKE schlägt daher für die nächste Wahlperiode die schrittweise Zusammenführung der<br />

Grundschulen mit den neuen Oberschulen vor. Dadurch würde das längere gemeinsame<br />

Lernen von der ersten bis zur zehnten Klasse – ohne Zäsur nach der Grundschule – zum<br />

Regelfall werden.<br />

D. Schule gemeinsam verändern<br />

Veränderung in der Schule ist nötig, aber wir wissen, dass Lernen eine lebenslange Aufgabe<br />

ist und nicht nur in der Schule stattfindet. Wenn in diesem Antrag frühkindliche und<br />

vorschulische Bildung, Jugendhilfe, Berufliche Bildung, Studium, Weiterbildung kaum erwähnt<br />

sind, heißt das nicht, dass wir diese Felder für unwichtig hielten oder dort nichts zu verändern<br />

wäre. Es ist lediglich der begrenzten Themenstellung dieses Antrages geschuldet.<br />

<strong>Die</strong>ser Schritt der Schulstrukturreform wird umfangreiche Veränderungen notwendig machen.<br />

Gerade weil sie für uns nur ein Zwischenschritt ist und wir weitere Veränderungen wollen,<br />

drängt DIE LINKE auf einen partizipativen Reformprozess. Wir wollen, dass sich gerade die<br />

Betroffenen einbringen können. Sie sind es, die die Bedingungen vor Ort kennen. Deshalb<br />

kann die Reform nur mit ihnen gelingen.<br />

Wenn wir erreichen wollen, dass die Schulreform nicht im Zwischenschritt stecken bleibt,<br />

müssen wir die gesellschaftliche Unterstützung für die Idee der Gemeinschaftsschule<br />

verbreitern. Wir werden mit unseren Bündnispartnern weiter eng zusammen arbeiten und<br />

neue gewinnen.<br />

Beim Ringen um die Gemeinschaftsschule geht es nicht nur einfach um einen Punkt in einem<br />

Wahlprogramm. Sondern wir führen eine gesellschaftliche Auseinandersetzung um<br />

Chancengleichheit in der Bildung und damit um Gerechtigkeit und Emanzipation. Wir werden<br />

darin nur erfolgreich sein, wenn wir sie gemeinsam bestreiten.<br />

Thüringer Landtag Erfurt, 19. Februar 2009<br />

Fraktion DIE LINKE<br />

41


M ü n d l i c h e A n f r a g e der Abgeordneten Sojka (DIE LINKE)<br />

Streiklisten im Auftrag des Kultusministeriums?<br />

Am 11. Februar 2009 wurden nach Aufruf durch die Lehrergewerkschaften in mehreren<br />

Thüringer Städten zweistündige Warnstreiks ab 12 Uhr durch angestellte Lehrerinnen und<br />

Lehrer durchgeführt, um den bundesweiten Tarifforderungen im öffentlichen <strong>Die</strong>nst<br />

Nachdruck zu verleihen. Laut Pressemeldung vom 13. Februar 2009 und mir vorliegenden<br />

Schreiben wurden die Schulleiterinnen und Schulleiter in den Schulamtsbereichen Erfurt und<br />

Schmalkalden durch die Schulamtsleiter aufgefordert, die Streikenden namentlich zu erfassen<br />

und die Namenslisten an die Schulämter zu übermitteln. Darüber hinaus wurden die<br />

Schulleitungen aufgefordert, die Namen der beim Warnstreik anwesenden Beamten sofort zu<br />

melden.<br />

Ich frage die Landesregierung:<br />

1. Handelten die Schulamtsleiter mit ihrem Schreiben im Auftrag des Kultusministeriums<br />

und wurde in anderen Schulämtern ebenfalls so verfahren, wenn ja an welchen?<br />

2. Wie viele am Warnstreik beteiligte angestellte und wie viele verbeamtete Lehrerinnen und<br />

Lehrer wurden durch die Schulleiter gemeldet, wo werden die Namen gesammelt, wie<br />

lange aufbewahrt und wie viele Meldungen wurden von den Schulen bzw. von den<br />

Schulaufsichtsbehörden an die Bundesagentur für Arbeit gegeben?<br />

3. Zu welchem Zweck wurden die Namen erfasst und mit welchen Konsequenzen müssen<br />

die gemeldeten angestellten bzw. verbeamteten Pädagoginnen und Pädagogen rechnen?<br />

4. Welche Gehaltseinsparungen wurden auf Grund des zweistündigen Warnstreiks durch das<br />

Land erzielt?<br />

Michaele Sojka<br />

42


Diskussion<br />

Erfahrungen aus 40 Jahren Einheitsschule in der DDR –<br />

Impulse für die Entwicklung der Gemeinschaftsschule<br />

Günter Wilms<br />

I.<br />

Das öffentliche Bildungswesen der Bundesrepublik befindet sich seit langem in einer Krise,<br />

weil sich in ihm alle ökonomischen, sozialen und kulturellen Widersprüche der Gesellschaft<br />

widerspiegeln.<br />

Dass das Bildungswesen in Deutschland einer grundlegenden demokratischen Reformierung<br />

bedarf, und dass es dabei in erster Linie um die Verwirklichung des Rechts auf Bildung für<br />

alle, um die Sicherung einer guten Bildung für alle geht, das wussten linke politische Kräfte<br />

auch vor PISA und vor der Anfang 2007 vorgelegten vernichtenden Kritik des UN-<br />

Sonderberichterstatters für das Menschenrecht auf Bildung.<br />

Bildungsfragen sind Fragen der Gesamtentwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse und<br />

müssen in den Kampf für deren Veränderung eingeordnet werden. Bildung hat immer etwas<br />

mit Gegenwart und Zukunft und deren Gestaltung zu tun.<br />

<strong>Die</strong> Veränderung / Reformierung des Bildungswesens beginnt mit der Schaffung besserer<br />

Lebens-, Entwicklungs- und Sozialisationsbedingungen für alle Kinder, insbesondere für die<br />

Kinder aus benachteiligten sozialen Schichten, und schließt ausdrücklich die Betreuung,<br />

Bildung und Erziehung der Kinder im Vorschulalter durch hochschulgemäß ausgebildete<br />

ErzieherInnen ein.<br />

II.<br />

Ein Blick in die Geschichte des Bildungswesens und der Pädagogik macht deutlich, dass die<br />

Forderung nach Bildung für alle Kinder und Jugendlichen und die darauf basierende<br />

Einheitsschulidee tief in den pädagogischen und bildungspolitischen Auffassungen<br />

progressiver pädagogischer und philosophischer Denker der vergangenen Jahrhunderte, in<br />

der sich im 19. Jahrhundert entwickelnden Lehrerbewegung und vor allem in der<br />

Arbeiterbewegung verankert ist.<br />

In fast allen Ländern Europas entwickeln sich nach der Zerschlagung des Faschismus –<br />

eingeordnet in die Prozesse einer sehr unterschiedlich interpretierten und praktizierten<br />

allgemeinen Demokratisierung – Einheitsschulsysteme. In allen Ländern, außer der BRD,<br />

Österreichs und einem Teil der Schweiz, wird der Übergang von dualistischen bzw. vertikal<br />

mehrgliedrigen Schulsystemen mit einer frühen Auslese und Festlegung der Kinder auf<br />

verschiedene Bildungswege unterschiedlicher Dauer hin zu einer gemeinsamen Schule für alle<br />

vollzogen.<br />

<strong>Die</strong> internationalen Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass die mit der<br />

Einheitsschulidee verbundenen pädagogischen und bildungspolitischen Anliegen nur dann voll<br />

verwirklicht werden können, wenn in einem Land ein flächendeckendes Einheitsschulsystem<br />

entsteht.<br />

Auch in Deutschland, sowohl in der sowjetischen wie in den westlichen Besatzungszonen, gab<br />

es nach der Zerschlagung des Faschismus Bestrebungen und Aktivitäten zur Entwicklung von<br />

Einheitsschulmodellen.<br />

Im Jahr 1948 verabschiedete die „Konferenz der deutschen Erziehungsminister“ auf ihrer<br />

Tagung am 19. und 20. Februar in Stuttgart-Hohenheim eine Entschließung, die auf eine<br />

43


demokratische bildungspolitisch progressive Entwicklung des Schulwesens in allen deutschen<br />

Ländern orientierte:<br />

„<strong>Die</strong> in Stuttgart versammelten Erziehungsminister aller deutschen Länder haben zur Frage<br />

der Schulreform einstimmig folgende Entschließung gefasst:<br />

Das gesamte Schulwesen bildet eine organische Einheit.<br />

Der äußere und innere Auf- und Ausbau der Schule muss im Geiste der Demokratie, der<br />

sozialen Gerechtigkeit, des Friedens und der Völkerverständigung erfolgen.<br />

Jedem Kind muss die Möglichkeit zur allseitigen Entwicklung seiner körperlichen, geistigen<br />

und sittlichen Kräfte gegeben werden.<br />

Der Bildungsgang der Jugend darf nicht abhängig sein von der sozialen und wirtschaftlichen<br />

Lage des Elternhauses.<br />

Bei aller Verschiedenheit des äußeren Bildungsweges müssen die Unterrichtsziele in den<br />

deutschen Ländern einander angeglichen werden.<br />

<strong>Die</strong> Leistungshöhe aller Schulen muss gesteigert werden; dabei ist besonderer Wert auf die<br />

Entwicklung der gemeinsamen Grundstufe und die Förderung des ländlichen und beruflichen<br />

Schulwesens zu legen.<br />

In bewusster Abkehr zur zurückliegenden Zeit muss das Ziel der Erziehung die Heranbildung<br />

des selbständig urteilenden, verantwortungsbewusst handelnden und guten Menschen für<br />

Beruf und Leben sein.“<br />

Im Zuge der Restauration der alten gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik<br />

Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre wurde das Schulwesen im Anschluss an die<br />

Organisationsstrukturen der Weimarer Zeit wiederhergestellt und konsolidiert.<br />

III.<br />

In der sowjetischen Besatzungszone wurde zielstrebig auf der Grundlage der Verfassungen<br />

und der Ländergesetze zur Demokratisierung der deutschen Schule daran gearbeitet, die<br />

demokratische Einheitsschule und damit die Überwindung des alten bürgerlichen<br />

Bildungsprivilegs und das Recht auf Bildung für alle Wirklichkeit werden zu lassen. Alle Kinder<br />

erhielten eine einheitliche achtjährige Grundschulausbildung mit naturwissenschaftlichem<br />

Fachunterricht und Unterricht in einer Fremdsprache. Damit verbunden war<br />

• die Schaffung einer neuen Lehrerschaft,<br />

• die Bildung antifaschistisch-demokratischer Schulverwaltungen,<br />

• die Überwindung der Rückständigkeit des Landschulwesens und<br />

• die Sicherung einer beruflichen Ausbildung für alle Jugendlichen (für alle Abgänger der<br />

8. Klassen, die nicht über die vierjährige Oberschule die Hochschulreife anstrebten).<br />

Eine wichtige Aufgabe der bildungspolitischen Entwicklung in den 40er und 50er Jahren, die<br />

auch in den folgenden Jahrzehnten aktuell blieb, war die Förderung der im bürgerlichen<br />

Bildungssystem benachteiligten Arbeiter- und Bauernkinder. Ihrer Realisierung dienten außer<br />

speziellen schulorganisatorischen Maßnahmen und der Gründung der Arbeiter- und Bauern-<br />

Fakultäten (zunächst „Vorstudienanstalten“) vor allem die Aktivitäten der Lehrer und Erzieher<br />

im Unterricht und im alltäglichen pädagogischen Geschehen.<br />

IV.<br />

<strong>Die</strong> weitere Ausgestaltung der demokratischen Einheitsschule begann in der DDR in den 50er<br />

Jahren mit der schrittweisen Verlängerung der Pflichtschulzeit von acht auf zehn Jahre. Sie<br />

fand ihre umfassende sachliche Ausgestaltung im „Gesetz über das einheitliche sozialistische<br />

44


Bildungssystem“ von 1965, das bis 1989 Grundlage der Entwicklung des DDR-<br />

Bildungswesens war.<br />

Auf der Einheitsschulidee fußend und sie weiterführend charakterisiert dieses Gesetz<br />

erstmalig und bis heute in der Geschichte des deutschen Bildungswesens einmalig über alle<br />

früheren Schranken hinweg die Gesamtheit der staatlichen Bildungseinrichtungen und<br />

Bildungsbestrebungen von der frühen Kindheit bis zur Hochschul- und Erwachsenenbildung in<br />

ihrer inneren Einheit und Kontinuität, eingeschlossen die Aus- und Weiterbildung der<br />

PädagogInnen. Der Mitwirkung verschiedenster gesellschaftlicher Kräfte an der Bildung und<br />

Erziehung der Jugend werden durch das Gesetz umfassende Möglichkeiten eröffnet.<br />

Mit dem Gesetz wurden Voraussetzungen dafür geschaffen, die einzelnen Glieder des<br />

Bildungssystems so zusammenzufügen, dass sie eine geschlossene, in sich abgeschlossene<br />

Gesamtstruktur bildeten. Deshalb wurde in der DDR vom einheitlichen sozialistischen<br />

Bildungssystem gesprochen und nicht von Einheitsschule.<br />

V.<br />

Rückblickend muss mit Nachdruck hervorgehoben werden, dass das Bildungswesen der DDR<br />

gute Bedingungen für eine umfassende Entwicklung und Bildung aller Kinder und Jugendlichen<br />

schuf. Gesichert wurden im Prozess der Verwirklichung des Gesetzes von 1965 die<br />

gemeinsame ganztägige vorschulische Betreuung, Bildung und Erziehung faktisch aller Kinder<br />

und die Nachmittags- und Frühbetreuung der Kinder der Klassen 1-4 in den Schulhorten. Alle<br />

jungen Menschen konnten sich in der zehnjährigen Oberschule eine solide Allgemeinbildung<br />

auf hohem Niveau aneignen. Zum Abitur führten nicht nur die die Klassen 11 und 12<br />

umfassende Erweitere Oberschule. In wachsendem Maße erwarben viele Jugendliche in den<br />

Klassen Berufsausbildung mit Abitur die Hochschulreife. In einem anderswo kaum<br />

anzutreffenden Maße hatte die Schule der DDR mit der Entwicklung der Polytechnik und der<br />

Einführung spezieller polytechnischer Unterrichtsfächer die Welt der Arbeit und der Technik in<br />

ihr Bildungskonzept eingebunden.<br />

Grundlage für die Ausgestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems waren die<br />

gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen die Förderung der Jugend einen<br />

zentralen Platz einnahm, sowie speziell die Aktivitäten staatlicher Organe und<br />

gesellschaftlicher Kräfte zur ständigen Verbesserung der allgemeinen Lebens- und<br />

Entwicklungsbedingungen der Kinder und Jugendlichen. Nicht zuletzt muss auf die<br />

hervorragende Arbeit zehntausender Pädagoginnen und Pädagogen und deren Bemühungen<br />

um die Förderung jedes einzelnen Schülers / jeder einzelnen Schülerin verwiesen werden.<br />

Ein entscheidendes Element des Bildungswesens der DDR war die Vielfalt von Möglichkeiten<br />

außerunterrichtlicher und außerschulischer Betätigungen für die Kinder und Jugendlichen,<br />

getragen sowohl von den Schulen als auch in besonders starkem Umfang von den<br />

verschiedensten gesellschaftlichen Kräften und Organisationen und den volkseigenen – und<br />

genossenschaftlichen Betrieben. <strong>Die</strong> Schulen verstanden sich nicht nur als unterrichtende,<br />

sondern in gleicher Weise als in den Kommunen, in den Wohngebieten sozial verankerte<br />

Einrichtungen, die im Zusammenwirken mit „verbündeten“ Erziehungsträgern im Territorium<br />

das Leben der Kinder und Jugendlichen und damit auch die Förderung und Entwicklung ihrer<br />

Neigungen und Interessen pädagogisch mitzugestalten halfen<br />

VI.<br />

Alle im Bildungswesen der DDR Tätigen ließen sich von einem wahrhaft humanistischen<br />

Bildungsideal leiten, das im Kern beinhaltet, dass jeder Mensch entwicklungs- und<br />

bildungsfähig ist, dass Anlagen, Fähigkeiten, Begabungen und Talente eines jeden Menschen<br />

umfassend gefördert werden müssen. Daraus wurden im pädagogischen Alltag umfassende<br />

45


Maßnahmen zur Förderung eines jeden Kindes, eingeschlossen die Kinder mit<br />

Lernschwierigkeiten, abgeleitet.<br />

Ausgehend von der wissenschaftlich begründeten Überzeugung, dass Begabung nicht etwas<br />

durch Geburt Vorherbestimmtes ist und dass jedes Kind begabt ist – unterschiedlich wofür -,<br />

wurde der Förderung der Interessen und Neigungen, Fähigkeiten und Talente der<br />

Schülerinnen und Schüler große Aufmerksamkeit gewidmet. Das begann mit differenzierten<br />

Aufgabenstellungen im Unterricht und setzte sich mit einem sehr breiten Angebot<br />

außerunterrichtlicher und außerschulischer Betätigungsmöglichkeiten (u.a. in sog. Stationen<br />

junger Naturforscher und Techniker und in Pionierhäusern, z.B. im Pionierpalast Berlin) und<br />

der Durchführung verschiedener Wettbewerbe auf Schul-, Kreis-, Bezirks- und Republiksebene<br />

fort (Messe der Meister von Morgen, Olympiaden, Spartakiaden u.a.).<br />

Besondere Möglichkeiten zur Entwicklung und Förderung spezieller Begabungen boten die<br />

z.T. schon ab 3. Schuljahr beginnenden Spezialschulen (für künstlerische-, mathematische-,<br />

naturwissenschaftliche- und sportliche Gebiete).<br />

VII.<br />

Mit dem Blick auf die Nutzung der Erfahrungen des DDR-Bildungswesens dürfen bestimmte<br />

Defizite, die sich vor allem in den letzten Jahren der DDR-Entwicklung herausgebildet hatten,<br />

und die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr korrigiert bzw. überwunden werden<br />

konnten, nicht unberücksichtigt bleiben. Das bezieht sich z.B. auf mangelnde<br />

Differenzierungsmöglichkeiten vor allem in den oberen Klassenstufen der Oberschule, auf<br />

eine zu große Stofffülle in den Lehrplänen und auch auf eine gewisse Einförmigkeit in der<br />

Gestaltung des Unterrichts und der täglichen pädagogischen Arbeit. Das von Anti-DDR-<br />

Kräften in den Vordergrund gerückte Argument der ideologischen Überfrachtung muss<br />

allerdings differenziert gewertet werden, denn die großen Anstrengungen der PädagogInnen<br />

zur Erziehung der Jugend im Geiste des Friedens, der Völkerfreundschaft und der Solidarität<br />

gehören zweifellos zum „positiven Erbe“ des DDR-Bildungswesens.<br />

VIII.<br />

Generell gilt:<br />

Das Bildungswesen der DDR hat insgesamt den Beweis erbracht, dass – eingebettet in eine<br />

das ganze gesellschaftliche Leben durchziehende Forderung und Förderung des<br />

Bildungsstrebens aller werktätigen Menschen und unter relativ ausgeglichenen<br />

Entwicklungsbedingungen der Heranwachsenden in Bezug auf die Unterschiede zwischen arm<br />

und reich und die Unterschiede zwischen Stadt und Land – sowohl hohe Bildungsziele als<br />

auch gleiche Bildungsmöglichkeiten für alle erreichbar und realisierbar sind.<br />

<strong>Die</strong>se Gesamtwertung und in sie eingeschlossen Erfahrungen auf verschiedenen<br />

Einzelgebieten führten zu hoher internationaler Anerkennung z.B. durch die UNESCO.<br />

Pädagogen und Bildungspolitiker aus Entwicklungsländern, aber auch aus europäischen<br />

Staaten, z.B. auch aus Finnland, studierten die Erfahrungen mit dem Blick auf die Nutzung für<br />

eigene Reformvorhaben. Nicht zuletzt diese Tatsache macht deutlich, dass DDR- Erfahrungen<br />

auf dem Gebiet des Bildungswesens auch heute noch nicht nur Impulse für die Entwicklung<br />

der Gemeinschaftsschule, sondern auch vielfältige Anregungen für konkrete Lösungen bei der<br />

Verwirklichung der der Einheitsschulidee zugrunde liegenden bildungspolitischen und<br />

pädagogischen Anliegen unter den konkreten Bedingungen der BRD vermitteln können.<br />

Prof. Dr. Günter Wilms ist Mitglied des Ältestenrates und der Koordinierungsgruppe der BAG<br />

Bildungspolitik<br />

46


Gesamtschule oder Gemeinschaftsschule?<br />

Zur Perspektive zweier Reformmodelle nach PISA 2006<br />

Valentin Merkelbach<br />

Der unaufhaltsame Aufstieg Sachsens im PISA- Ranking der 3.Ländervergleichsstudie 2006<br />

wird die Debatte über eine Reduktion der Schulformen von vier oder drei auf zwei neue<br />

Nahrung geben (PISA 2006). Schon das gute Abschneiden von Sachsen in PISA 2003, aber<br />

auch das von Thüringen und Sachsen-Anhalt, hatte die Frage aufgeworfen, ob nicht ein<br />

zweigliedriges System mit Gymnasium und einer Zweitschule für die Leistungsschwächeren<br />

ein gangbarer Weg sein könnte, um aus dem Mittelmaß der deutschen Schule im<br />

Internationalen Vergleich herauszukommen. Man könnte sich so auch die eskalierenden<br />

Probleme mit der Hauptschule vom Halse schaffen und vielleicht ließe sich sogar die Zahl<br />

derer vermindern, die nach wie vor und seit PISA 2000 mit neuen Argumenten eine Schule für<br />

alle Kinder vom 1. bis 10.Schuljahr fordern und dabei vor allem auf das PISA- Siegerland<br />

Finnland verweisen.<br />

Zweigliedrigkeit auf Kosten einer für alle Kinder offenen Schule?<br />

Als erstes Bundesland hat nach PISA 2003 das CDU- regierte Hamburg mit seinen fünf<br />

Schulformen über ein zweigliedriges System nachgedacht. Das Ergebnis steht seit 2008 im<br />

schwarz-grünen Koalitionsvertrag: Nach einer sechsjährigen Primarschule gibt es nur noch<br />

das "wissenschaftsorientierte" Gymnasium und eine "berufsorientierte" Stadtteilschule, zu<br />

der Haupt-, Real- und Gesamtschulen fusionieren. Es folgt nach sechs Grundschuljahren eine<br />

für Eltern verbindliche Bildungsempfehlung der Grundschule und damit eine Separierung der<br />

Zwölfjährigen in eher praktisch begabte und eher theoretisch begabte. Es gibt also in<br />

Hamburg nach diesem Plan keine Schule mehr, die von ihrem Anspruch her eine für alle<br />

Kinder offene Schule ist. (Merkelbach Juni 2008).<br />

Dass eine solche Separierung zehn- oder zwölfjähriger Kinder pädagogisch sinnvoll ist,<br />

entgegen allen begabungstheoretischen Erkenntnissen, dient nach wie vor als zentrale<br />

Begründung auch dem sächsischen System aus Gymnasium und Mittelschule und ist letztlich<br />

die Legitimation für jede Form der Zuweisung von zehn- oder zwölfjährigen Kindern zu<br />

unterschiedlich anspruchsvollen Schulformen. Das unterschiedlich Anspruchsvolle bestimmt<br />

das Maß an theoriegeleiteter Praxis in einer Schulform.<br />

Nach PISA 2006 wird nun nicht das zweigliedrige Hamburger System, das sich ja noch nicht<br />

als PISA-tauglich erweisen konnte, favorisiert, sondern das besonders erfolgreiche<br />

sächsische, mit einer ersten verbindlichen Zuweisung nach Klasse 4 zu Gymnasium und<br />

Mittelschule und einer zweiten Sortierung der Schüler/innen der Mittelschule in<br />

"abschlussbezogene" Haupt- oder Realschulklassen.<br />

Der Leiter der deutschen PISA-Studie, Manfred Prenzel, will in einem Interview "keine<br />

Werbung für eine bestimmte Schulstruktur machen" und sieht PISA lediglich als<br />

"Rückmeldung" für die Politik, sympathisiert aber dann doch ganz offen mit der "simpel<br />

gestrickten Schulstruktur" Sachsens. Man habe sich nach der Wende weder die<br />

Dreigliedrigkeit noch die Gesamtschuldebatte aufdrängen lassen, halte "Frieden an der<br />

Schulstrukturfront" und Politik und Lehrer/innen konzentrierten sich aufs "Kerngeschäft".<br />

Auch in Bayern werde man sich sicher fragen, "ob die Trennung in Haupt- und Realschulen,<br />

die vor einigen Jahren von der siebten auf die fünfte Klasse verlegt wurde, mehr Leistung und<br />

Gerechtigkeit gebracht hat". (Zeit, 20.11.08, S.89)<br />

47


Klaus Hurrelmann, der seit den 1990er Jahren für ein zweigliedriges System ohne<br />

Hauptschule wirbt und die konzeptionelle Vorlage für den Schulplan der Hamburger CDU<br />

nach PISA 2003 geliefert hat, favorisiert 2008 nicht mehr das, was in Hamburg inzwischen<br />

aus seinem Konzept geworden ist, sondern zeigt sich jetzt tief beeindruckt vom PISA- Erfolg<br />

der sächsischen Schule. Bei genauem Hinsehen komme das Ergebnis "einer schulpolitischen<br />

Revolution" gleich. Sachsen sei ein "Befreiungsschlag für die künftige Schulpolitik in<br />

Gesamtdeutschland" gelungen: neben dem Gymnasium eine Mittelschule "mit einem<br />

deutlichen Akzent auf berufsnahe, praxisorientierte und projektbezogene Arbeitsweisen". Das<br />

lange ausschließlich CDU- regierte Land zeige, dass "Höchstleistungen jenseits des<br />

dreigliedrigen Schulsystems" möglich sind. Da alle Bundesländer vor der Frage stünden, "wie<br />

sie mit der Schulform Hauptschule umgehen sollen", zeige "ihnen Sachsen einen praktikablen<br />

Weg". (Frankfurter Rundschau, 24.11.08, =.12)<br />

Klaus Hurrelmann und Manfred Prenzel plädieren im Grunde für das alte bayerische System<br />

einer doppelten Auslese nach Klasse 4 und 6, das offensichtlich nach der Wende das Vorbild<br />

für das sächsische Modell gewesen ist. Beide Wissenschaftler akzeptieren, wohl auch aus<br />

einem nüchternen Kalkül der gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die Zuweisung der Kinder<br />

in unterschiedliche Lernmilieus und plädieren, auf dieser Basis endlich "Frieden an der<br />

Schulstrukturfront" einkehren zu lassen. Prenzel bedauert deshalb in dem Interview, dass in<br />

den westlichen Ländern "viel Kraft in die Schulstrukturdebatte gesteckt" werde. Statt Haupt-<br />

und Realschulen zusammenzulegen, packten die einen "noch die Gemeinschaftsschule dazu",<br />

die anderen verlängerten die Grundschulzeit. Damit schaffe man sich „viel Ärger" und<br />

"kleinkarierte Debatten", während man die Kraft doch "besser in die Schulentwicklung und<br />

den Unterricht investieren" könnte.<br />

Dass es sich beim Engagement derer, die mit pädagogischen und gesellschaftlichen<br />

Argumenten gemeinsames Lernen bis zum Ende der Pflichtschulzeit fordern, um<br />

"kleinkarierte Debatten" handelt, ist kein besonderer Beitrag zum "Frieden in der<br />

Schulstrukturdebatte". Der wird mit der von Prenzel und Hurrelmann gewünschten<br />

Zweigliedrigkeit nicht einkehren, auch nicht in Sachsen. Auch dort geht es längst um die<br />

Frage, wie eine Schule aussehen muss, die auf jede Form der Auslese verzichtet, die ein<br />

Lernangebot enthält für alle Kinder, für die Leistungsstarken, die Leistungsschwächeren und<br />

für Kinder mit Handicaps, und die die beiden für den Berufseinstieg relevanten Abschlüsse,<br />

den Mittleren Abschluss und die Hochschulreife, auf einem direkten Weg anbietet. Es geht in<br />

der Auseinandersetzung der nächsten Jahre konkret um die Frage: Darf die Gesamtschule wie<br />

in Hamburg einfach in einer "berufsorientierten" Zweitschule verschwinden? Und wohin soll<br />

sich eine Schule für alle in den Bundesländern entwickeln, die sich bereits in<br />

Koalitionsvereinbarungen auf den neuen Schultyp Gemeinschaftsschule als Angebot neben<br />

dem Gymnasium geeinigt haben? Das sind Schleswig-Holstein, Berlin und das PISA-<br />

Siegerland Sachsen.<br />

<strong>Die</strong> Gesamtschule vor dem Aus?<br />

<strong>Die</strong> deutsche Gesamtschule, wie sie sich seit den frühen 1970er Jahren in sozialdemokratisch<br />

regierten Bundesländern etabliert hat, war ein mühsam ausgehandelter Kompromiss mit den<br />

Konservativen. Dabei sah es in der ersten Großen Koalition 1966 bis 1969 so aus, als ob sich<br />

die beiden Volksparteien einigen könnten auf den "Strukturplan für das Bildungswesen" des<br />

Deutschen Bildungsrates. Dessen Kernaussage hat der Historiker Karl <strong>Die</strong>trich Erdmann,<br />

Vorsitzender des Gremiums und Mitglied der CDU, in der Einleitung des Plans so<br />

zusammengefasst: "Kein Platz ist mehr für das unverbundene nebeneinander von Schulen, die<br />

48


sich – volkstümliche Bildung für die einen, wissenschaftliche für die anderen – von<br />

verschiedenen Bildungsideen legitimieren." (zitiert nach: Herrlitz 2007) Dass der Konsens<br />

zerbrach, führt Hans-Georg Herrlitz wesentlich auf den Ausgang der Bundestagswahl 1969<br />

und den Beginn der sozialliberalen Koalition zurück, die die CDU zum ersten Mal in der<br />

Nachkriegszeit auf die harten Bänke der Opposition verwies. Deren Kompromissbereitschaft<br />

habe sich seitdem "mehr und mehr in eine Fundamentalopposition" verwandelt (Herrlitz<br />

2007).<br />

Es trat das ein, was bereits die Schulpolitik der Weimarer Republik prägte: der massive<br />

Widerstand gegen die sozialdemokratische Idee einer Schule für alle Kinder bis zum Ende der<br />

Pflichtschulzeit, nachdem es der SPD in der Reichsschulkonferenz von 1920 gelungen war,<br />

wenigstens die vierjährige Grundschule für alle Kinder durchzusetzen und die "Vorschulen" als<br />

direkten Zugang der Kinder bürgerlicher Schichten zum Gymnasium abzuschaffen. Während<br />

in den 1960er Jahren das Parlament in Helsinki mit den Stimmen der konservativen<br />

Bauernpartei die Gesamtschule für ganz Finnland beschloss, machten die Konservativen bei<br />

uns nun wieder Front gegen jede Form einer integriert arbeitenden Schule, die sie mit Blick<br />

auf die Verhältnisse in der DDR als "sozialistische Einheitsschule" diffamierten.<br />

Nachdem es weder im Bund noch in einem der sozialdemokratisch regierten Bundesländer<br />

gelungen war, die Gesamtschule in der Fläche einzuführen, hatte diese neue Schule im<br />

Kompromiss mit den Konservativen unter einem doppelten Handicap zu leiden. Sie konnte in<br />

der Konkurrenz zu Realschule und Gymnasium nie eine Schule für alle Kinder, eine Gesamt-<br />

Schule, werden. Statt bis zum Ende der Pflichtschulzeit dann wenigstens ohne Auslese<br />

arbeiten zu können, musste sie, um von den CDU- regierten Ländern in der<br />

Kultusministerkonferenz ihre Abschlüsse anerkannt zu bekommen, akzeptieren, vom<br />

7.Schuljahr durch äußere Differenzierung in Leistungsgruppen das dreigliedrige System<br />

abzubilden.<br />

<strong>Die</strong>ser massive Eingriff in das ursprüngliche Konzept von gemeinsamem Lernen hat die SPD<br />

nicht dazu gebracht, unter diesen Bedingungen doch lieber auf die Gründung von<br />

Gesamtschulen als Regelschulen zu verzichten und statt dessen auf integriert arbeitende<br />

Versuchsschulen zu setzen. Dass die neuen Schulen von Anfang ganz überwiegend von<br />

Kindern besucht werden, die die Grundschule für die Haupt- oder Realschule empfiehlt, hat<br />

die Konservativen nicht davon abhalten können, die Ergebnisse der Gesamtschule immer mit<br />

denen des Gymnasiums zu vergleichen und dabei ihr Scheitern zu konstatieren. Das<br />

geschieht auch noch mit Blick auf die Ergebnisse der PISA- Studien 2000 bis 2006.<br />

Erst in neueren Untersuchungen, die nicht wie PISA den Leistungsstand zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt messen und vergleichen, sondern der Frage nachgehen, ob und inwieweit es<br />

Schulen gelingt, ihre Schüler/innen von ihren Ausgangsbedingungen her zu erkennbarem<br />

Lernzuwachs zu führen, erfährt die Gesamtschule eine Rehabilitierung ihrer Arbeit. Es gelingt<br />

ihr, trotz der geschilderten Handicaps, offensichtlich besser ihre Schüler/innen individuell zu<br />

fördern und zu einem qualifizierten Abschluss zu führen als das gegliederte System.<br />

(Leistungsstarke Gesamtschulen 2007; Merkelbach Oktober 2007)<br />

Eine Bestätigung erfährt dieses Ergebnis auch in einer jüngsten Studie aus Nordrhein-<br />

Westfalen, die die Schullaufbahn von Schüler/innen an Gesamtschulen untersucht, die 2004<br />

die 11.Klasse besuchten. Es sind ganz überwiegend Schüler/innen mit einer Haupt- oder<br />

Realschulempfehlung von der Grundschule. Während die Landesregierung versucht, mit<br />

49


Fördermaßnahmen die Hauptschule am Leben zu halten und die CDU-Schulministerin nicht<br />

müde wird, die Gesamtschule als gescheitertes Auslaufmodell zu deklarieren, kommt die<br />

Studie zu dem Ergebnis: 90 Prozent aller Schüler/innen an Gesamtschuloberstufen in NRW<br />

schließen mit der Hochschulreife ab; 71 Prozent erreichen die allgemeine Hochschulreife und<br />

19 Prozent die Fachhochschulreife. Darunter sind nicht wenige, die vom selektiven System<br />

aussortiert und an Gesamtschulen aufgenommen wurden. Nur 10 Prozent der Schüler/innen<br />

verlassen also die Oberstufe ohne einen höheren Abschluss, während 20 Prozent der<br />

Schüler/innen an Gymnasien vorzeitig die Schule verlassen.<br />

Es sind offensichtlich nicht nur die prominenten Gesamtschulen, die beim Deutschen<br />

Schulpreis mit Auszeichnungen glänzen. Auch die vielen unbekannten Gesamtschulen<br />

scheinen ihrem Anspruch der individuellen Förderung und dem Verzicht auf selektive<br />

Instrumente wie Nichtversetzung und Abschulung näher zu kommen als Schulen des<br />

gegliederten Systems. Entgegen dem Image in der Öffentlichkeit übersteigt seit Jahren und in<br />

wachsendem Umfange die Zahl der an Gesamtschulen angemeldeten Kinder die zur<br />

Verfügung stehenden Plätze. Der Druck der Eltern nach weiteren Gesamtschulen wächst,<br />

ohne dass sich die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft wesentlich zu ändern scheint.<br />

Es sind wohl zunehmend Eltern, die die Hauptschule, aber auch verstärkt die Realschule<br />

vermeiden wollen und der Gesamtschule mehr Vertrauen schenken, ihr Kind zu einem<br />

qualifizierten Abschluss zu führen.<br />

<strong>Die</strong> Gemeinschaftsschule – eine weiterentwickelte Gesamtschule?<br />

Wenn die Gesamtschule, wie Studien zeigen, so viel besser ist als ihr Ruf, stellt sich die Frage,<br />

was Sozialdemokraten in einzelnen Bundesländern veranlasst, sich neuerdings von dieser<br />

Schulform zu verabschieden und es mit einem anderen integrativen Schultyp zu versuchen.<br />

Hat die neue Gemeinschaftsschule noch denselben Anspruch wie die Gesamtschule, ein das<br />

gegliederte System ersetzende Schule, zu sein? Wofür steht die Gemeinschaftsschule dort,<br />

wo sie bereits in Koalitionsvereinbarungen Eingang gefunden hat?<br />

Schleswig-Holstein<br />

Seit der Weimarer Republik hat sich die Bezeichnung Gemeinschaftsschule gegenüber der<br />

älteren Bezeichnung Simultanschule durchgesetzt. Sie war im Unterschied zur Konfessions-<br />

oder Bekenntnisschule offen für Schüler/innen verschiedener christlicher Konfessionen,<br />

nichtchristlicher Religionen und für konfessionslose Schüler/innen. <strong>Die</strong> Gemeinschaftsschule<br />

war also im nach Schulformen und Schulstufen gegliederten System eine Schule für alle<br />

Kinder, unabhängig von Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung.<br />

Hier liegt wohl der Anknüpfungspunkt dafür, dass Ernst Rösner vom Dortmunder Institut für<br />

Schulentwicklungsforschung in einem Gutachten für die schleswig-holsteinische SPD 2004<br />

die bereits vorhandene Bezeichnung aufgriff. <strong>Die</strong> neue Gemeinschaftsschule sollte allerdings<br />

nicht nur auf eine Selektion nach religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnissen<br />

verzichten, sondern auch die Separierung der Kinder in unterschiedlich anspruchsvolle<br />

Schulformen überwinden.<br />

Schleswig-Holstein war lange ein CDU- regiertes Land. Als die SPD an die Regierung kam, hat<br />

sich schulpolitisch nicht viel geändert. Erst 1995 wurde die deutsch-dänische Schule in<br />

Eckernförde als die erste Gesamtschule gegründet und in der 2.Ländervergleichsstudie PISA<br />

2003 betrug der Schüler/innen- Anteil der Gesamtschule gerade einmal 6,5 Prozent. Es gab<br />

50


also 2003 keine lange Tradition der Gesamtschule und es gab sie ausschließlich in den<br />

kreisfreien Städten, während das übrige Land "gesamtschulfrei" blieb. (Höppner 2007)<br />

Auf einem bildungspolitischen Parteitag beschloss die SPD 2004 mit großer Mehrheit die<br />

Abkehr vom dreigliedrigen System. Langfristiges Ziel sei, „dass die Schüler/innen auch in<br />

Deutschland wie in den meisten europäischen Ländern von der 1.bis zur 10. Klasse<br />

gemeinsam unterrichtet werden". "Langfristig" hieß: Es müsse "Übergangsschritte" geben;<br />

man müsse die betroffenen, Lehrkräfte und Eltern, mitnehmen und der Ausstieg aus der<br />

gegliederten Schule müsse im bestehenden System erfolgen. Damit brach ein SPD-<br />

Landesverband im Einvernehmen mit einer rot-grünen Landesregierung das auch nach PISA<br />

2000 von der KMK hartnäckig verteidigte Tabu der Strukturfrage. Das Bildungsministerium<br />

beauftragte dann Ernst Rösner mit einem Gutachten, das mit wesentlichen Aussagen Eingang<br />

fand ins Wahlprogramm der SPD für die Landtagswahl 2005. (Johannsen 2007, S.138 f.)<br />

Ernst Rösners Gutachten basiert auf harten Fakten demografischer Veränderungen: Einem<br />

absehbaren Rückgang der Schülerzahlen, was unter den Bedingungen des gegliederten<br />

Systems zu Standortgefährdungen und Schulschließungen vor allem im ländlichen Raum<br />

führen müsse. Es müsse darum die Frage zulässig sein, meint Rösner, ob es strukturelle<br />

Alternativen gibt, die zu mehr Standortsicherheit führen und zugleich bessere Bedingungen<br />

schaffen für individuelle Förderung und Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler.<br />

Auch wenn bei PISA "der Leistungsvorsprung von Ländern mit integrierten Systemen<br />

gegenüber Deutschland" "keine kausale Beweisführung zur Überlegenheit integrierter<br />

Systeme" erlaube, so sei "die Vermutung wohl fundiert, dass in einem Set inhaltlicher und<br />

organisatorischer Veränderungen des Schulsystems die Ursachen variierender<br />

Leistungsstärke zu suchen" sei. Für Rösner sind allerdings strukturelle Reformen allein<br />

ebenso wenig eine "Lösung des Leistungsproblems des deutschen Schulwesens" wie eine<br />

"Begrenzung von Reformen auf Lerninhalte, Diagnostik und Evaluation". (Rösner 2004, S.5)<br />

Rösner gibt für seine längerfristige Zielprojektion einer Schule für alle Kinder die Bezeichnung<br />

Gesamtschule auf. Sie ist für ihn im Jahrzehnte währenden Schulstreit verschlissen und nicht<br />

mehr brauchbar für eine Schule, die sich aus dem bestehenden System in unterschiedlich<br />

großen Schritten entwickelt und auch ein Angebot sein soll für den ländlichen Raum.<br />

Nach der Landtagswahl 2005 kam es bekanntlich in Schleswig-Holstein nicht zur Fortführung<br />

von Rot-Grün, sondern die beiden bildungspolitischen Kontrahenten im Wahlkampf mussten<br />

sich in der Großen Koalition auf einen schulpolitischen Kompromiss einigen, der in der<br />

Novellierung des Schulgesetzes vom Februar 2007 die folgenden Eckpunkte enthielt:<br />

• Statt der bestehenden eigenständigen Haupt- und Realschulen soll es ab dem Schuljahr<br />

2010/11 nur noch eine "Regionalschule" geben, die die beiden Bildungsgänge vereinigt,<br />

mit einer gemeinsamen Orientierungsstufe in 5/6. Danach geht es getrennt in Haupt-<br />

und Realschulklassen bis 9 bzw. 10 weiter. (Das sächsische Modell der Mittelschule)<br />

• Daneben wird es auf Antrag des Schulträgers Gemeinschaftsschulen geben, in denen<br />

Schüler/innen bis Ende 10 gemeinsam unterrichtet werden, den Haupt- oder<br />

Realschulabschluss erwerben und den Übergang auf die gymnasiale Oberstufe erreichen<br />

können. Abitur dann nach Klasse 13.<br />

• Gemeinschaftsschulen können auch mit der Grundschule beginnen und bei<br />

entsprechender Größe eine eigene Oberstufe haben.<br />

51


• Bis zum Schuljahr 2010/11 sollen alle Gesamtschulen sich in Gemeinschaftsschulen<br />

umwandeln.<br />

• Auch die Regionalschule oder das Gymnasium können, wenn der Schulträger das<br />

beantragt, allein oder mit anderen Schulen zusammen, Gemeinschaftsschulen<br />

werden.(siehe: http://www.spd.ltsh.de/)<br />

<strong>Die</strong> eigentliche Differenz zum Schulplan der SPD im Wahlkampf ist nicht die Regionalschule,<br />

auf der die CDU bestand. Sie war als notwendiger Zwischenschritt schon im Rösner-<br />

Gutachten vorgesehen und heißt dort "kleine Gemeinschaftsschule" im Unterschied zur<br />

"großen", die den gymnasialen Bildungsgang enthält und auch mit der Grundschule beginnen<br />

kann. Es wird schwer sein für die Regionalschule, sich längerfristig neben der für Eltern und<br />

Schulträger attraktiveren Gemeinschaftsschule zu behaupten. Innerhalb von zwei Jahren<br />

haben bereits 55 "große Gemeinschaftsschulen" ihren Betrieb aufgenommen. Ein<br />

wesentlicher Unterschied im Kompromiss der Großen Koalition ist die Bestandsgarantie für<br />

das Gymnasium, das nicht mehr gehalten ist, sich auch in eine integriert arbeitende Schule<br />

weiterzuentwickeln.<br />

Während die Realschulen, Lehrende und Eltern, nach heftigem Protest gegen die Fusion mit<br />

der Hauptschule, inzwischen zu Befürwortern der Gemeinschaftsschule geworden sind,<br />

scheint das Gymnasium im schwarz-roten Schulkompromiss ungeschoren davon zu kommen.<br />

Oder wird es in absehbarer Zeit doch die Konkurrenz reüssierender Gemeinschaftsschulen zu<br />

spüren bekommen? Es gibt erste Hinweise, dass Eltern für ihre gymnasial empfohlenen<br />

Kinder die wohnortnahe Gemeinschaftsschule dem entfernten städtischen Gymnasium<br />

vorziehen. Doch zu einem fairen Wettbewerb besitzt das Gymnasium noch Privilegien genug<br />

und die Gemeinschaftsschule leidet noch unter zu vielen Handicaps.<br />

• An Gemeinschaftsschule arbeiten noch ganz überwiegend Haupt- und<br />

Realschullehrer/innen. Wo es gelingt, auch Gymnasiallehrer/innen für die neue Schule<br />

zu gewinnen, brauchen diese zurzeit noch weniger Stunden zu unterrichten als ihre<br />

Kolleginnen und Kollegen und werden dazu noch besser bezahlt. <strong>Die</strong> Spanne erstreckt<br />

sich zwischen 24,5 und 27,5 Unterrichtsstunden. Das ist nicht gerade förderlich für ein<br />

gutes Betriebsklima in Kollegien, die ohne eine entsprechende Ausbildung ein<br />

integratives Unterrichtskonzept bis zum 10.Schuljahr entwickeln sollen und ab Klasse 7,<br />

wie Gesamtschulen immer schon, ihre Schüler/innen, ob nun durch äußere<br />

Differenzierung oder durch eine innere Differenzierung im Klassenverband, auf den<br />

Haupt- oder Realschulabschluss oder den Übergang auf die gymnasiale Oberstufe<br />

vorbereiten müssen.<br />

• Vor diesem Hintergrund hat ein Gymnasium, das sich entschließt, möglichst auf Selektion<br />

zu verzichten und eine förderorientierte Unterrichtskultur zu entwickeln, mit seinen<br />

überwiegend leistungsstärkeren Schüler/innen die weitaus besseren Möglichkeiten als<br />

eine Gemeinschaftsschule.<br />

• Wie wird sich für Schüler/innen der Gemeinschaftsschule der Übergang zur gymnasialen<br />

Oberstufe gestalten, wenn eine Schule keine eigene Oberstufe füllt? Wird es dann<br />

Oberstufenzentren geben oder müssen Schüler/innen dann doch wieder zum<br />

traditionellen Gymnasium wechseln?<br />

• Wie werden sich Gesamtschul-Kollegien verhalten, die sich nicht, die Regionalschulen<br />

und Gymnasien, allein oder mit anderen Schulen zusammen, freiwillig in<br />

Gemeinschaftsschulen umwandeln können, sondern bis 2010/11 dies tun müssen?<br />

Werden sie zur Kooperation mit den im Aufbau befindlichen Gemeinschaftsschulen bereit<br />

52


sein und ihre langjährigen Erfahrungen mit integriertem Unterricht einbringen, - auch die<br />

leidvollen Erfahrungen mit der Differenzierung nach Bildungsgängen ab Klasse 7?<br />

<strong>Die</strong> offene Baustelle Gemeinschaftsschule mag jetzt schon ein attraktives Angebot für Eltern<br />

und Schulträger im ländlichen Raum sein. Wer jedoch an einem fairen pädagogischen<br />

Wettbewerb der neuen Schule mit dem Gymnasium interessiert ist, wird ernsthaft an der<br />

Beseitigung der genannten Handicaps arbeiten müssen. Vordringlich dürfte dabei sein, mit<br />

der Hauptschule auch den von der Wirtschaft immer weniger akzeptierten<br />

Hauptschulabschluss zugunsten eines Mittleren Abschlusses abzuschaffen; d.h. eine solide<br />

Grundbildung für alle auf der Basis von Mindeststandards vorzugeben. (Merkelbach Dezember<br />

2007)<br />

Solange die KMK, die ja bei wichtigen Entscheidungen im Konsens beschließen muss, die<br />

Abschaffung des Hauptschulabschlusses blockiert, können Gemeinschaftsschulen und<br />

Gymnasien nur dann gleichberechtigt in einen pädagogischen Wettbewerb treten, wenn beide<br />

Schulformen auch beide Abschlüsse der Sekundarstufe I vorbereiten und durchführen; wenn<br />

also auch das Gymnasium seine von der Grundschule übernommenen Schüler/innen<br />

wenigstens bis zum Hauptschulabschluss fördern muss. Solange Gymnasien den<br />

Bildungsgang Hauptschule und den entsprechenden Abschluss nicht anbieten, müssen die<br />

übrigen Schulen, das sind in Schleswig-Holstein Regionalschule, Gemeinschaftsschule und bis<br />

2010 die Gesamtschule, die als leistungsschwach abgeschobenen Schüler/innen von<br />

Gymnasien übernehmen, - zu den vielen leistungsschwachen Schüler/innen, die sie ohnehin<br />

von der Grundschule übernommen haben.<br />

Erst ein Gymnasium, das dieses fragwürdige Privileg der Abschulung verliert, steht vor der<br />

Notwendigkeit, gerade in den schwierigen Jahren der Pubertät schwächelnde Jugendliche<br />

individuell zu fördern. Sie nur mitzuschleppen bis zum Hauptschulabschluss würde dann wohl<br />

auch den pädagogischen Ruf der Schule beschädigen. Für eine solche Entwicklung an<br />

Gymnasien könnte auch der Rückgang der Schülerzahlen eine wichtige Rolle spielen, der ja<br />

ein zentrales Motiv für Ernst Rösners Konzept der Gemeinschaftsschule war.<br />

Sachsen<br />

Was in Schleswig-Holstein begonnen hat, steht inzwischen auch in Sachsen in einer schwarzroten<br />

Koalitionsvereinbarung: die Gemeinschaftsschule als Möglichkeit, in der verfahrenen<br />

Strukturdebatte zu einem Kompromiss zu kommen. Sachsen hatte, wie Thüringen und<br />

Sachsen-Anhalt, für kurze Zeit nach der Wende ein dreigliedriges System und danach neben<br />

dem Gymnasium nur noch eine "Mittelschule", in der Haupt- und Realschule vereinigt sind. In<br />

der Mittelschule wird bis Ende Klasse 6 integriert unterrichtet. Von Klasse 7 an gibt es wieder<br />

"abschlussbezogene" Haupt- und Realschulklassen.<br />

<strong>Die</strong> guten Ergebnisse des Landes in der Ländervergleichsstudie PISA 2003 waren bereits<br />

Anlass zu der Frage, ob das bis Klasse 6 zweigliedrige System nicht ein Modell für andere<br />

Bundesländer sein könnte. Der Ländervergleich PISA 2006 mit Sachsen an der Spitze wird,<br />

wie oben angedeutet, die Diskussion über ein partiell zweigliedriges System noch einmal<br />

intensivieren. Ob das allerdings eine Lösung für das Problem der sozialen Selektion und der<br />

nach wie vor eklatanten Leistungsschwäche des gegliederten Systems im unteren<br />

Kompetenzbereich sein kann und ob dies, über bessere Rankingplätze im nationalen und<br />

internationalen Vergleich hinaus, zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen wird, lässt sich wohl in<br />

den nächsten Jahren in keinem Bundesland besser studieren als in Sachsen.<br />

53


Im selben Jahr 2006, in dem die Daten für den PISA- Ländervergleich erhoben wurden,<br />

erschien eine "Expertise für die Landeshauptstadt Dresden" zum "Schulformwechsel von<br />

Gymnasien zu Mittelschulen". Darin wird auch für ganz Sachsen eine Entwicklung<br />

beschrieben, die in den Daten von PISA 2006 noch keinen Niederschlag gefunden hat. Für die<br />

Studie des Instituts für Schulpädagogik der TU Dresden hat sich der bundesweite Trend eines<br />

wachsenden Gymnasialbesuchs in Sachsen noch einmal verstärkt, seit im Februar 2005 die<br />

Zugangsbedingung für das Gymnasium geändert wurde. Statt eines Notendurchschnitts von<br />

2,0 reicht seitdem bereits eine 2,5 für eine verbindliche gymnasiale Bildungsempfehlung der<br />

Grundschule.<br />

Während der Schüler/innen- Anteil der Mittelschule in den PISA- Daten von 2003 bis 2006<br />

sich kaum verändert hat (61,3 zu 61,2 Prozent) und am Gymnasium gleich geblieben ist (32<br />

Prozent), ermittelt die Dresdener Studie im Schuljahr 2005/06 für Dresden bereits mehr<br />

Kinder am Gymnasium (52,94 Prozent) als an Mittelschulen. Im Landesdurchschnitt gingen<br />

44,54 Prozent aufs Gymnasium, also 12 Prozent mehr als von PISA 2006 ermittelt. <strong>Die</strong>ser<br />

Trend hat sich für die Verfasser der Studie im Schuljahr 2006/07 fortgesetzt. <strong>Die</strong>ser<br />

verstärkte Creaming-Effekt bedeutet für die Mittelschule einen wachsenden Verlust an<br />

leistungsstärkeren Schüler/innen und die Gefahr, dass die Mittelschule zu dem wird, was in<br />

anderen Bundesländern das traurige Schicksal der Hauptschule und eines Teils der<br />

Realschulen ist. (Schulformwechsel 2006, S.16 f.; Merkelbach Februar 2008).<br />

In einem Beitrag mit dem Titel "Schaut auf Sachsen!" versucht Jeannette Otto hinter das<br />

Erfolgsgeheimnis des sächsischen PISA- Erfolgs zu kommen (Zeit, 20.11.08, S.87 f.). Sie<br />

bezieht sich bei ihrem Versuch auf die Erfahrungen einer "Reise durch die sächsische<br />

Bildungslandschaft". Sachsen gebe jeden vierten Euro für Bildung aus; nur 11 bis 15<br />

Schüler/innen kommen auf einen Lehrer; das Land hat die höchste Stundenzahl in den<br />

naturwissenschaftlichen Fächern. 80 Prozent der sächsischen Lehrer/innen, erfährt<br />

Jeannette Otto, haben eine "klassische Ost-Biografie" und haben in der DDR eine sehr<br />

praxisorientierte Ausbildung genossen. Dass Schule über Leistung definiert wird und auch<br />

Druck erzeugen kann, sei nichts, was diese Lehrer/innen nach der Wende erst hätten lernen<br />

müssen. In der DDR sei "der Lehrer für das Versagen eines Schülers verantwortlich gemacht"<br />

worden; da habe "keiner gewagt, die Schuld auf die Dummheit des Schülers oder das sozial<br />

verwahrloste Elternhaus zu schieben". "Es ging darum, jeden mitzunehmen. Und darum geht<br />

es in Sachsen auch heute."<br />

Am Ende ihres Beitrags kommt Jeannette Otto auch auf die Schattenseiten des sächsischen<br />

Erfolgsmodells zu sprechen. Sie zitiert die Vorsitzende des Landeselternrates, für die die<br />

Schüler/innen der 11. und 12.Klasse (Sachsen hat seit der Wende G8) je nach<br />

Fächerkombination "auf bis zu 41 Wochenstunden – plus Hausaufgaben" kommen. Sie könne<br />

darum nicht glauben, "dass man mit dem Durchpeitschen dieser Fächer lustvolles Lernen<br />

fördern wird" und erlebt die sächsische Schule "als zu notenfixiert". Zu viele "Potenziale"<br />

blieben dabei auf der Strecke. Aber die Schüler/innen, stellt sie resigniert fest, seien "extrem<br />

leidensfähig". Sie bekämen vermittelt: "Das Leben ist hart. Schule auch." Und das<br />

akzeptierten sie.<br />

Den enormen Leistungsdruck auf das G8-Gymnasium bekommen dann auch die Mittelschulen<br />

zu spüren, die die am Gymnasium gescheiterten Schüler/innen aufnehmen müssen. Viermal<br />

so hoch, berichtet Jeanette Otto, ist der Anteil derer, die zur Mittelschule abgeschoben<br />

werden im Vergleich zu denen, die den Aufstieg in den höheren Bildungsgang schaffen. Damit<br />

54


estätigt die die oben zitierte Studie, dass durch die Zugangserleichterung zum Gymnasium<br />

die Mittelschulen inzwischen "kaum noch leistungsstarke Schüler aus der Grundschule"<br />

bekommen. Während die Gymnasien sich "vor zuviel Durchschnitt" fürchteten, kämpften "die<br />

Mittelschulen gerade in sozial belasteten Gebieten schon jetzt gegen den Ruf der<br />

Restschule". Von der Leiterin einer Leipziger Mittelschule erfährt Jeannette Otto, es gehe oft<br />

nur noch um =Schadensbegrenzung" und darum, ihre Schüler/innen wenigstens<br />

"lebenstüchtig" aus der Schule zu entlassen, was Jeannette Otto zu dem ernüchternden Fazit<br />

kommen lässt: „Selbst im Pisa-Siegerland Sachsen gelangt man schnell an jene wunden<br />

Stellen des Systems, die durch reines Leistungsstreben nicht zu heilen sind."<br />

Eine wunde Stelle des Systems ist für Yvonne Globert, wie Jeannette Otto auf der Suche nach<br />

Sachsens Erfolgsgeheimnis, auch der hohe Schüler/innen- Anteil der sächsischen<br />

Sonderschulen, der trotz eines dramatischen Rückgangs der Schülerzahlen in den anderen<br />

Schulen in den vergangenen Jahren noch zugenommen hat. Während PISA 2006 den Anteil<br />

mit 4,1 Prozent angibt (PISA 2006, S.41), ermittelt Yvonne Globert, dass mehr als 20 000<br />

Schüler/innen laut statistischem Landesamt 2006/07 in Sachsen eine Sonderschule<br />

besuchten. Das sind mehr als sechs Prozent aller Schüler/innen. Für Yvonne Globert ist das<br />

die "weniger hübsche Seite eines Landes, das gelobt wird, weil es auf die Hauptschule<br />

verzichtet". (Frankfurter Rundschau, 19.11.2008, S.10 f.)<br />

Ein Gymnasium, in das immer mehr Kinder drängen, eine wachsende Sonderschule und eine<br />

Mittelschule auf dem Weg zur "Restschule" haben nicht nur die sächsische Gewerkschaft<br />

Erziehung und Wissenschaft auf den Plan gerufen mit der Forderung nach einer "Schule für<br />

alle Kinder", sondern auch die SPD, der Juniorpartner in der Großen Koalition nach der<br />

Landtagswahl 2004. im Koalitionsvertrag konnte sie durchsetzen, dass der Schulträger eine<br />

Gemeinschaftsschule als "Schulversuch" beantragen kann. Im Schuljahr 2006/07 wurden<br />

zwei Gemeinschaftsschulen genehmigt, 2007/08 kamen vier weitere hinzu. Das Interesse<br />

von Kommunen wächst, die Schule als wichtigen Standortfaktor auch bei rückläufigen<br />

Schülerzahlen zu halten. (Merkelbach Februar 2008, S.5 f.)<br />

Der von der sächsischem CDU ungeliebte und eher behinderte als geförderte Schulversuch<br />

"Gemeinschaftsschule" (das wird sich nach PISA 2006 kaum ändern) beginnt in der Regel mit<br />

Klasse 5. Möglich ist auch der Einbezug einer Grundschule sowie von Kindern mit Handicaps,<br />

wenn die sonderpädagogische Förderung gesichert ist. <strong>Die</strong> Gemeinschaftsschule kann<br />

abweichen von der äußeren Differenzierung in die Bildungsgänge Hauptschule, Realschule<br />

und Gymnasium, also in A-, B- und C-Kurse in bestimmten Fächern, wenn sie die<br />

Differenzierung in anderer Form nachweisen kann. Das Gymnasium hat dieses Problem nicht<br />

und behält das "Privileg" des Abschulens.<br />

Zum unsicheren Status "Schulversuch", wohl auch aufgrund der schwachen Position der SPD<br />

innerhalb der Koalition, leidet die sächsische Gemeinschaftsschule unter den gleichen<br />

Handicaps wie die in Schleswig-Holstein und die Gesamtschule generell, die es in Sachsen<br />

nicht gibt. <strong>Die</strong> neue Schule mag überall dort, wo kein Gymnasium in der Nähe ist, für<br />

Schulträger und Eltern ein besseres Angebot sein als die Mittelschule, hat aber in ihrer<br />

augenblicklichen Konstruktion noch wenig Chancen, mit dem Gymnasium ebenbürtig um die<br />

Gunst der Eltern zu werben.<br />

55


Berlin<br />

Während in Schleswig-Holstein in PISA 2003 nur 6,5 Prozent der Schüler/innen an einer<br />

Gesamtschule einen Platz fanden (PISA 2006: 7,1), waren es in Berlin 2003 immerhin 27,3<br />

Prozent (2006: 27,7). Dass man es trotz dieses breiten Angebots an Gesamtschulen in der<br />

Stadt mit einem neuen Schultyp, der Gemeinschaftsschule, versuchen will, statt die<br />

Weiterentwicklung der Gesamtschule zu fördern, ist das Ergebnis der<br />

Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Linkspartei 2006. Während die Linkspartei eine<br />

Einführung der Gemeinschaftsschule in der Fläche von 1 bis 10 forderte, unter Einschluss des<br />

Gymnasiums, setzte die SPD in einem Kompromiss eine Pilotphase Gemeinschaftsschule<br />

durch, die von 2008/09 bis 2012/13 gehen soll und an der sich jede Berliner Schule, ob<br />

allein oder mit anderen Schulen zusammen, beteiligen kann. Erst danach sollen die<br />

Ergebnisse des wissenschaftlich begleiteten Schulversuchs ausgewertet und eine<br />

Grundsatzentscheidung über eine andere Schulstruktur getroffen werden.<br />

• In Berlin sollen Gemeinschaftsschulen alle Jahrgänge vom 1.Schuljahr bis zur<br />

Hochschulreife umfassen. Wo dies noch nicht der Fall ist, muss für die Teilnahme an der<br />

Pilotphase der Übergang aus der vorangehenden und der folgenden Schulstufe durch<br />

verbindliche Kooperation mit benachbarten Schulen so geregelt sein.<br />

• Gemeinschaftsschulen sind grundsätzlich Ganztagsschulen, über deren<br />

Organisationsform (freiwillig oder verpflichtend) die Schulkonferenz entscheidet.<br />

• Es gibt keine Probezeit. Alle Kinder haben das Recht, bis zum Abschluss auf ihrer Schule<br />

zu bleiben.<br />

• Solange dieses Recht nicht für alle Schulen in Berlin gilt, sind Gemeinschaftsschulen<br />

nicht verpflichtet, die Schüler/innen von anderen Schulen aufzunehmen.<br />

• Klassenwiederholung findet nur in Ausnahmefällen auf Wunsch bzw. im Einverständnis<br />

der Schüler/innen und ihrer Eltern statt.<br />

• <strong>Die</strong> bislang für die Klassenwiederholung verwendeten Mittel stehen den<br />

Gemeinschaftsschulen anteilmäßig für Maßnahmen individueller Förderung zur<br />

Verfügung.<br />

• Alle Kinder und Jugendliche, auch die mit Behinderungen oder mit besonderen<br />

Potenzialen (Hochbegabte), lernen gemeinsam.<br />

• Es wird nicht erwartet, dass alle in gleicher Zeit das Gleiche lernen. Eine äußere<br />

Leistungsdifferenzierung als durchgängiges Prinzip findet nicht statt.<br />

• "Inklusionspädagogik", d.h., Grund- und Praxisfragen gemeinsamen Lernens in<br />

heterogenen Gruppen sind in Aus- und Fortbildung dauerhaft als Schwerpunkt verankert.<br />

(Gemeinschaftsschule Berlin 2007)<br />

Für Siegfried Arnz, der das Projekt Gemeinschaftsschule in der Berliner Bildungsverwaltung<br />

leitet, resultiert ein Teil des Drucks auf das gegliederte Schulsystem aus der immer<br />

schwierigeren Situation an Berliner Hauptschulen, die nur noch von weniger als zehn Prozent<br />

besucht werden. <strong>Die</strong> von einigen Ländern angestrebte Zweigliedrigkeit aus fusionierter Hauptund<br />

Realschule neben dem Gymnasium eröffne zwar "den Weg des gemeinsamen Lernens der<br />

Schüler/innen der Hauptschulen mit leistungsfähigeren und sozial stärkeren Schüler/innen<br />

der Realschulen", verzichte aber "auf das ganze Spektrum der Heterogenität" und werde<br />

"insbesondere von den meisten Realschulen (Lehrkräften, Eltern und Schüler/innen) nicht als<br />

sinnvolle Perspektive angenommen". (Arnz 2007, S.15)<br />

Erfolg oder Misserfolg der Gemeinschaftsschule wird daran gemessen werden, ob und wie<br />

weit für alle Kinder eine Inklusion in Schule und Unterricht sowie optimale Förderung gelingt,<br />

sowohl derjenigen, die auf niedrigem Niveau lernen – einschließlich der Kinder mit<br />

56


sonderpädagogischem Förderbedarf – als auch derjenigen, die leistungsstark sind und<br />

besondere Begabungen mitbringen bzw. entwickeln. Dabei hat es einen hohen Stellenwert,<br />

die Akzeptanz der gemeinsamen Schule durch bildungsorientierte Familien zu gewinnen –<br />

ohne den Preis der Ausgrenzung sozial- und leistungsschwacher Schüler/innen. <strong>Die</strong> bewusste<br />

Berücksichtigung der "special needs" für diese Schülerschaft, u.a. durch eine systematische<br />

Einbeziehung der Jugendhilfe, hat dabei besondere Bedeutung. (Arnz 2007, 15 f.)<br />

Arnz verweist auf die pädagogischen Probleme, wenn eine Schule auf selektive Instrumente<br />

verzichtet und sich der Verantwortung für die Schüler/innen in aller Konsequenz stellt. Er<br />

berichtet von den Ergebnissen eines ersten Durchgangs der Schulinspektion an 45 Berliner<br />

Schulen, die unter dem Aspekt "Unterrichtsgestaltung" neben viel Positivem problematische<br />

Befunde ergeben habe "hinsichtlich der Indikatoren ´Innere Differenzierung´,<br />

´Selbstständiges Lernen´ und ´eigene Lösungen entwickeln `". <strong>Die</strong>s mache deutlich, "dass<br />

die Sorgen vieler Kritiker, integrative Schulformen führten zu ´Niveauverflachung´ hier ihre<br />

Grundlage" hätten und "ein erfolgreiches Lernen in sehr heterogenen Lerngruppen ein<br />

entsprechendes Qualifizierungsprogramm mit hoher Verbindlichkeit für die Lehrkräfte der<br />

beteiligten Schulen" erfordere. Deshalb werde "ein in den konkreten Anforderungen der<br />

Schulen orientiertes Qualifizierungs- und Unterstützungsprogramm im Zentrum der Pilotphase<br />

der Gemeinschaftsschule stehen". Neben der "Unterstützung des jeweiligen<br />

Schulentwicklungsprozesses" und einer "direkten, mit den konkreten Bedarfssituationen der<br />

Schulen abgestimmten Lehrerfortbildung" ist für Arnz auch notwenig eine Vernetzung der<br />

Schulen untereinander, die Entwicklung gemeinsamer Lernprozesse und "der Blick über den<br />

Berliner Tellerrand durch Austausch mit erfolgreichen Schulen im In- und =Ausland". (Arnz<br />

2007, S.17)<br />

Nach dem Aufruf zur Beteiligung an der Pilotphase im Mai 2007 bekundeten 65 Berliner<br />

Schulen ihr Interesse an dem Projekt, darunter Grundschulen, Haupt- und Realschulen,<br />

Gesamtschulen mit und ohne gymnasiale Oberstufe. Kein einziges Gymnasium. Von diesen 65<br />

Schulen erhielten 16 aufgrund ihres Bewerbungsantrags die Genehmigung, sich vom<br />

Schuljahr 2008/09 an der Pilotphase zu beteiligen.<br />

Von der Moses-Mendelsohn-Gesamtschule im Bezirk Mitte, die mit der James Krüss-<br />

Grundschule zusammen eine Gemeinschaftsschule aufbauen will, erfahren wir aus dem<br />

Bericht einer Lehrerin und eines Lehrers, warum diese Gesamtschule sich an der Pilotphase<br />

beteiligt. <strong>Die</strong> Schule hat bislang eine entschieden integrative Pädagogik praktiziert, mit<br />

Jahrgangsteams, mit einem über Jahre hin entwickelten Konzept für Schüler/innen mit<br />

besonderem Förderbedarf, selbst für "Schwerstmehrfachbehinderungen". Es ist eine Schule,<br />

in die nach der Grundschule vor allem Schüler/innen mit einer Hauptschulempfehlung gehen,<br />

in der 80 Prozent aller Schüler/innen türkischer, kurdischer oder arabischer Herkunft sind<br />

und überwiegend aus "bildungsfernen" Familien kommen. Es ist der Wunsch des Kollegiums,<br />

in der mit 22 Millionen geförderten Pilotphase eng und verbindlich mit dem Kollegium der<br />

Grundschule zusammenzuarbeiten und die Schüler/innen, die nicht mit dem Ende der<br />

Pflichtschulzeit die Schule verlassen, in einer eigenen Oberstufe mit dem inklusiven<br />

pädagogischen Konzept zum Abitur zu führen. (Schmidthals/Sarlak 2008, S.38-40)<br />

Für Sabeth Schmidthals und Alain Sarlak hängt für das Gelingen des Projekts viel davon ab,<br />

ob für Lehrer/innen, die sich nicht an der Weiterentwicklung der Schule beteiligen wollen, in<br />

Zusammenarbeit mit der Schulaufsicht die Möglichkeit besteht, an andere Schulen zu<br />

57


wechseln und ob nur Lehrer/innen an die Schule kommen, die das Projekt aktiv unterstützen<br />

und vorantreiben wollen. (Schmidthals/Sarlak 2008, S.41)<br />

Es stellt sich auch für das ambitionierte Konzept der Berliner Gemeinschaftsschule die Frage<br />

nach ihren Chancen, in einen fairen pädagogischen Wettbewerb mit dem Gymnasium<br />

einzutreten. Wird es eine ernsthafte Debatte geben über das, was nach der Pilotphase am<br />

Ende des Schuljahres 2012/13 werden soll? Oder wird die Gemeinschaftsschule dann doch<br />

zur "Stadtteilschule" für die Kinder aus "bildungsfernen" Elternhäusern und zugleich<br />

"Entlastungsschule" für das Gymnasium, das neben den Privatschulen die Kinder der materiell<br />

und kulturell Privilegierten unterrichtet?<br />

Einem Beitrag von Felicitas Tesch, der bildungspolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion im<br />

Berliner Abgeordnetenhaus, ist zu entnehmen, dass schon in der vergangenen<br />

Legislaturperiode, auch auf Druck des Koalitionspartners, der damaligen PDS, längeres<br />

gemeinsames Lernen unter Einschluss des Gymnasiums beschlossen, aber nicht umgesetzt<br />

wurde. Im zurückliegenden Wahlkampf hat es die SPD wieder propagiert, doch der<br />

"regierende Bürgermeister setzte dagegen": "Wir werden das Gymnasium nicht abschaffen."<br />

Teile der SPD und der Grünen sympathisierten mit der Zweigliedrigkeit. (Tesch 2007, S.69)<br />

Für den regierenden Bürgermeister war es deshalb konsequent, den alt gedienten Jürgen<br />

Zöllner aus Mainz 2006 zum neuen Bildungssenator zu machen. Zöllner, der die Vereinbarung<br />

einer Pilotphase Gemeinschaftsschule bei seiner Ernennung schon vorfand, stehe zwar, wie<br />

Felicitas Tesch berichtet, zu der Vereinbarung, habe aber um eine Prüfung gebeten, ob eine<br />

äußere Differenzierung in den Klassenstufen 9 und 10 nicht doch sinnvoll wäre. <strong>Die</strong> SPD-<br />

Bildungspolitiker/innen waren dagegen mit der Begründung, dass das "nicht über das<br />

Verfahren bei Gesamtschulen" hinausgehe. (Tesch 2007, S.69)<br />

Wie wenig das alles Jürgen Zöllner kümmert, zeigt ein Interview, das Peter Pahmeyer am<br />

27.9.08 mit dem Bildungssenator führte. Zöllner hatte kurz vorher Eckpunkte für die<br />

Weiterentwicklung der Berliner Schulstruktur vorgelegt. Danach sollen ab dem Schuljahr<br />

2010/11 die Haupt- und Realschulen zusammengefasst werden zu Integrierten Haupt- und<br />

Realschulen, an denen die Schüler/innen alle Abschlüsse und den Übergang in die<br />

gymnasiale Oberstufe erreichen können. Das Gymnasium bleibt als selbständige Schule<br />

erhalten. Mit Blick auf Zöllners Eckpunkte fragt Pahmeyer, welche Gemeinsamkeiten und<br />

Unterschiede er sehe, wenn er sein Konzept mit den Plänen der schwarz-grünen Regierung in<br />

Hamburg vergleiche. Zöllner:<br />

Im Grundmodell gibt es zwischen meinem Vorschlag und den Hamburger Plänen ein hohes<br />

Maß an Übereinstimmung. Das hat damit zu tun, dass wir aus meiner Sicht nur erfolgreich<br />

sein können, wenn wir eine breite gesellschaftliche Mehrheit für eine Strukturreform finden<br />

und den Elternwillen respektieren. Ein im Kern zweigliedriges Schulsystem bietet diese<br />

Chance. Neben dem Gymnasium entwickelt sich eine Regionalschule, die stärker auf<br />

integrative Lernformen setzt und alle Bildungsabschlüsse bis hin zum Abitur bietet.<br />

Jürgen Zöllners Interesse scheint es nicht zu sein, die Pilotphase Gemeinschaftsschule zu<br />

einem durchschlagenden Erfolg zu bringen. Ihm geht es um die Integration von Haupt- und<br />

Realschule zu einer "Regionalschule", ein =Schultyp, den er selber für Rheinland-Pfalz kreiert<br />

hat. In diese Schule können dann, um zur Zweigliedrigkeit zu kommen, wie in der Hamburger<br />

Stadtteilschule auch die zahlreichen Berliner Gesamtschulen integriert werden, die ja<br />

58


weitgehend dieselbe Schülerschaft unterrichten. Als Manfred Prenzel bei der Vorstellung von<br />

PISA 2006, wie in dem oben zitierten Zeit-Interview, offen die komplizierte Schulstruktur der<br />

Bundesländer mit ihren unterschiedlichen Modellen kritisierte und auf das einfache und so<br />

erfolgreiche sächsische System verwies, war das ein Stichwort für Jürgen Zöllner. Man könne<br />

relativ leicht, meinte er, eine einheitliche Schulstruktur für ganz Deutschland finden. <strong>Die</strong><br />

strukturellen Veränderungen in einigen Bundesländern zielten ja alle bereits in dieselbe<br />

Richtung: auf ein zweigliedriges System wie beim PISA- Siegerland Sachsen. (<strong>Die</strong><br />

Tageszeitung, 19.11.08, S.18)<br />

Es wird schwer sein für den "Runden Tisch Gemeinschaftsschule Berlin" ("eine<br />

verbandsübergreifende Berliner Initiative für die gemeinsame Schule für alle"), zusammen mit<br />

Teilen der SPD und mit der Linkspartei, gegen die Pläne Zöllners, eine wirklich offene<br />

Strukturdebatte zu führen. Der von SPD und Linkspartei vereinbarte Kompromiss, eine<br />

Pilotphase Gemeinschaftsschule einer Einführung in der Fläche vorzuschalten, könnte sich<br />

sehr bald als Farce erweisen, wenn das Projekt nur dazu dient, neben dem Gymnasium,<br />

zuständig für den mittleren Abschluss und das Abitur, eine Zweitschule einzurichten, mit allen<br />

Abschlüssen, die die Sekundarstufe I anzubieten hat. Das sind zurzeit in Berlin der<br />

Berufsorientierte Abschluss für Schüler/innen mit besonderem Förderbedarf, der<br />

Hauptschulabschluss, der erweiterte Hauptschulabschluss und der Mittlere Abschluss. Wer<br />

mag dann dieser Schule, um die zu geringe Abiturquote zu erhöhen und "Begabungsreserven<br />

auszuschöpfen", noch verwehren, dass sie auch für "begabte Kinder" aus den unteren<br />

Sozialschichten die Möglichkeit bereithält, die Hochschulreife zu erlangen?<br />

Sollte auch im rot-rot regierten Berlin die Machtfrage zugunsten des Gymnasiums<br />

entschieden sein, dann muss es, neben dem Gymnasium und der von Zöllner angestrebten<br />

Regionalschule, eine Schule geben, die entweder weiterhin Gesamtschule heißt oder, wie für<br />

eine Pilotphase konzipiert, Gemeinschaftsschule. Ein fairer Wettbewerb dieser Schule mit<br />

dem Gymnasium setzt, wie oben für Schleswig-Holstein und Sachsen beschrieben, denselben<br />

Bildungsanspruch voraus, den auch das Gymnasium erhebt. Sie führt alle ihre Schüler/innen<br />

auf der Basis von Mindeststandards zu einem Mittleren Abschluss und die Leistungsstarken<br />

zur Hochschulreife. Auch für die, die die Standards des Mittleren Abschlusses nicht erreichen,<br />

muss es ein Abgangszeugnis geben, was nicht ihre Leistungsschwächen in Ziffernnoten<br />

dokumentiert, sondern vor allem das beschreibt, was auch diese Jugendlichen aufgrund<br />

individueller Förderung Positives geleistet und an Kompetenzen entwickelt haben.<br />

Solange die KMK allerdings auf dem Bildungsgang Hauptschule und dem<br />

Hauptschulabschluss besteht, muss auch das Berliner Gymnasium für diesen Abschluss<br />

zuständig sein und kann nicht mehr leistungsschwach gewordene Schüler/innen gegen deren<br />

Willen und den ihrer Eltern an andere Schulen abschieben. Das betrifft in Berlin nach einer<br />

sechsjährigen Grundschule die Klassenstufen 7 bis 9, die als Krisenzeit der Pubertät<br />

besonderes pädagogisches Feingefühl erfordern.<br />

Vieles deutet darauf hin, dass auch in den alten Bundesländern, wie schon in Sachsen,<br />

Thüringen und Sachsen-Anhalt, das dreigliedrige Schulsystem durch ein bis Ende Klasse 6<br />

zweigliedriges ersetzt wird, weil die Hauptschule selbst durch opulente Förderprogramme<br />

nicht mehr als eigenständige Schulform zu retten ist. Auch in Bayern und den anderen<br />

konservativ regierten Bundesländern wird das mittelfristig der Ausweg aus der<br />

Hauptschulmisere sein: eine Schule für alle, die die Grundschule nicht fürs Gymnasium<br />

59


empfiehlt und die zugleich das Gymnasium weiterhin von den Schüler/innen entlastet, die<br />

sich als nicht "gymnasial" erweisen.<br />

Eine solche Entwicklung ist kein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer Schule für alle,<br />

sondern die Bestandsgarantie für eine "höhere Schule" über einer Schule für die<br />

Leistungsschwächeren. So wird sich das zentrale Problem des deutschen Schulwesens, die<br />

soziale Selektion, nicht lösen lassen. Wer gemeinsames Lernen in einer Schule für alle Kinder,<br />

die Kinder mit Handicaps eingeschlossen, bis zum Ende der Pflichtschulzeit will, - das sind<br />

mehrheitlich SPD, Grüne und Linkspartei, Teile der Kirchen und Handwerkskammern, das sind<br />

Lehrer/innen- Organisationen wie GEW und VBE, das sind Eltern- und Bürgerinitiativen in<br />

einer ganzen Reihe von Bundesländern, - wer eine solche Schule will, wird sich mit einer<br />

hierarchischen Zweigliedrigkeit nicht abfinden. Um eine inklusive Schule wird es in der<br />

politischen Auseinandersetzung der nächsten Jahre gehen. Wird sie zu einer Schule, die dem<br />

Gymnasium gleichgestellt ist, die nur noch die Abschlüsse anbietet, die auch das Gymnasium<br />

anbieten muss, die wirklich integriert arbeiten kann, aber auch, der Zusammensetzung ihrer<br />

Schülerschaft entsprechend, materielle und personelle Unterstützung erfährt? Eine<br />

Zweigliedrigkeit wie in Sachsen jedenfalls wird uns dem "Frieden in der Schulstrukturdebatte"<br />

nicht näher bringen.<br />

Literatur<br />

Arnz, Siegfried: Auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule. Über den schwierigen Versuch, die Gestaltung<br />

des Lernens in heterogenen Gruppen durch Systemveränderungen anzugehen. In: Pädagogik, 2007,<br />

H.12, =.14-17.<br />

Gemeinschaftsschule Berlin. Ziele, Grundsätze und Regelungen. Positionspapier; Stand: 23.5.07.<br />

http://www.rt.gemeinschaftsschule-berlin.de/.<br />

Herrlitz, Hans-Georg: <strong>Die</strong> Gliederung des Schulsystems - ein ungelöstes Dauerproblem der deutschen<br />

Schulgeschichte. Unveröffentlichtes Manuskript, erscheint 2008 in der Zeitschrift "Lernende Schule".<br />

Höppner, Henning: Längeres gemeinsames Lernen in Schleswig-Holstein. In: Länger gemeinsam<br />

lernen! Fortschritte und Konzepte in der Schulpolitik aus sieben Bundesländern. Dokumentation einer<br />

Tagung des Landesbüros Thüringen der Friedrich-Ebert-Stiftung am 8./9. Juni 2007, S.74-81. Auch<br />

Veröffentlicht in: http://www.forum-kritische-paedagogik.de/ November =007.<br />

Johannsen, Hans-Werner: Auf dem Weg zu einer Schule für alle? <strong>Die</strong> Gemeinschaftsschule weist einen<br />

Ausweg aus der deutschen Schulstrukturkrise. In: <strong>Die</strong> Deutsche Schule, H.2, 20007, S.136-146.<br />

Leistungsstarke Gesamtschulen. Gesamtschulen im Spiegel empirischer Schulleistungsvergleiche. In:<br />

Blaue Reihe der GGG, H.57, 2007.<br />

Merkelbach, Valentin: Hat die deutsche Gesamtschule eine Zukunft? user.unifrankfurt.de/~merkeba/<br />

Oktober 2007.<br />

Merkelbach, Valentin: Wozu ein Hauptschulabschluss ohne Hauptschule? =A class=extern<br />

href="http://user.uni-frankfurt.de/~merkelba/"target=_blank>user.uni-frankfurt.de/ ~merkelba/<br />

Dezember 2007.<br />

Merkelbach, Valentin: <strong>Die</strong> sächsische Schule – ein Modell für Deutschland? Zu einer Studie über den<br />

Schulformwechsel vom Gymnasium zur Mittelschule. user.uni-frankfurt.de/~merkelba/ Februar<br />

2008.<br />

60


Merkelbach, Valentin: Der Schulkompromiss von Schwarz-Grün in Hamburg. user.unifrankfurt.de/~merkelba/<br />

Juni 2008.<br />

PISA 2006 in Deutschland. <strong>Die</strong> Kompetenzen der Jugendlichen im dritten =Ländervergleich. Hrsg.:<br />

PISA-Konsortium Deutschland. Münster =.a. 2008.<br />

Rösner, Ernst: Veränderungen der Schulstruktur in Schleswig-Holstein als Konsequenz demografischer<br />

und gesellschaftlicher Entwicklungen. Gutachten des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS).<br />

Universität Dortmund. September 2004.<br />

Schmidthals, Sabeth/ Sarlak, Alain: Auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule. Neue Lernformen für<br />

einen gemeinsamen Bildungsgang entwickeln. In: Pädagogik, 2008, H.9, S.38-41.<br />

Schulformwechsel von Gymnasien zu Mittelschulen. Eine Expertise für die Landeshauptstadt Dresden.<br />

Hrsg. Eva-Maria Stange und Wolfgang Melzer, unter Mitarbeit von Stefan Heimpold, Luise Ludwig und<br />

Gerit Thomas, Oktober =006. (Technische Universität Dresden, Fakultät Erziehungswissenschaften,<br />

Institut für Schulpädagogik, 01217 Dresden, Weberplatz 5).<br />

Tesch, Felicitas: Auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule – die Entwicklung in Berlin. In: Länger<br />

gemeinsam lernen! (Siehe oben: Höppner), =007, S.65-73.<br />

Zur Person<br />

Prof. Dr. Valentin Merkelbach ist emeritierter Professor für Didaktik der deutschen Sprache und<br />

Literatur an der Johann Wolfgang Goethe-Universität.<br />

Quelle: user.uni-frankfurt.de/~merkelba/<br />

Bildungsklick.de<br />

61


Selbst verantwortete Schule – selbst verantworteter Mangel<br />

Ulrik Ludwig<br />

Selbstverantwortete Schule, selbstverwaltete Schule, selbständige Schule – die<br />

Bezeichnungen in den Bundesländern sind unterschiedlich, nicht jedoch ihre Merkmale:<br />

Gewisse, eng bemessene Kompetenzen dürfen sie selbst regeln und verwalten, teils die<br />

Schul- oder Lehrerkonferenzen, teils die Schulleiter. Dazu gehören die Budgets, der<br />

zugewiesene Personalbestand, z. T. mit der Befugnis für den Schulleiter, selbst einzustellen<br />

oder (mit)auszuwählen, wer eingestellt wird, die Erstellung eines Schulprogramms oder -<br />

profils. Der Schulleiter wird in aller Regel <strong>Die</strong>nstvorgesetzter. <strong>Die</strong> Schulleitungen sind die<br />

Gewinner an Kompetenzen, aber die Kontrolle wird computergesteuert verschärft .Insofern ist<br />

das nachfolgend geschilderte Beispiel Hamburg kein besonderes, sondern mühelos auf<br />

andere Länder sinngemäß zu übertragen.<br />

<strong>Die</strong> Frage der Finanzierung des Bildungswesens konzentriert sich meistens zu Recht auf die<br />

Größe des bereitgestellten Budgets und die Art des Aufkommens. Das ist verständlich,<br />

betrachtet die Landesregierungen diesen großen Ausgabenbereich doch gerne als<br />

bevorzugtes Feld für offene oder verdeckte Kürzungen. Als Argument muss in der Regel der<br />

um die Mittel zur gesellschaftlichen Umverteilung von unten nach oben gekürzten Haushalt<br />

herhalten. In der Begründung wird immerhin eine Art Beweisnot erkennbar. <strong>Die</strong> meisten<br />

Menschen, selbst wenn sie nicht zu den von bildungspolitischen Entscheidungen direkt<br />

betroffenen Gruppen (Eltern, Schüler, LehrerInnen) gehören, sind nämlich der Auffassung,<br />

dass gute Bildung entsprechende Mittel benötigt.<br />

Viel weniger Aufmerksamkeit wird dagegen der Art und Weise gewidmet, wie die Schulen die<br />

für ihre Arbeit notwendigen Ressourcen erhalten. Am Beispiel Hamburg soll im Folgenden die<br />

Bedeutung dieser Frage veranschaulicht werden.<br />

Während noch vor einigen Jahren die politisch entschiedenen Zuweisungen nach einem zuvor<br />

diskutierten Bedarf an die Schulen flossen, möchte die Bildungsbehörde in Hamburg dazu<br />

übergehen, die Schulen nach ihren Erfolg zu versorgen. <strong>Die</strong>ser wiederum soll im<br />

Wettbewerb zwischen den Schulen ermittelt werden. Ein genauerer Blick auf die damit<br />

verbundene neue Verfasstheit der Schulen ist für eine linke Partei notwendig, die<br />

Auswirkungen sind nämlich beträchtlich.<br />

<strong>Die</strong>se Art der Ressourcenverteilung ist mit dem Konzept verbunden, jede Schule zu einer<br />

eigenständigen <strong>Die</strong>nststelle zu erklären und damit sowohl Personal-, als auch Budgetrecht zu<br />

übergeben. Wenn nun auch noch die Schulverfassung – so wie in Hamburg – so angelegt<br />

wird, dass die Schulen in eine verschärfte Konkurrenz geraten, dann entstehen<br />

Marktverhältnisse, in denen diese ähnlich wie privatwirtschaftliche Betriebe geführt werden<br />

müssen – auch ohne eine offen ausgewiesene Privatisierung. Ein besonderer Charme dieses<br />

Konzepts liegt für die Regierung auch darin, dass Kürzungen (in Publikationsdeutsch zumeist<br />

„Einsparungen“ genannt) von diesen „Betrieben“ selbst betrieben und verantwortet werden<br />

müssen – und nicht direkt auf politische Entscheidungen der Landesregierung zurückgeführt<br />

werden.<br />

Im Hamburgischen Schulreformgesetz vom 21.02.2006 ist die Bezeichnung „Selbst<br />

verantwortete Schule“ (SvS) gewählt worden. Obwohl ausdrücklich nicht die Rede von<br />

„Selbstverwaltung“ ist und jede Ähnlichkeit mit der „Schulautonomie“ von der Hamburger<br />

62


Schulsenatorin vehement abgelehnt wird, sind linke Debatten immer noch häufig von<br />

Begriffsverwirrungen geprägt. Ein kurzer Blick zurück soll dazu dienen, die Dinge zu klären.<br />

<strong>Die</strong> Autonomiedebatte<br />

Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts blickte man – nicht nur in Hamburg – nach<br />

Dänemark, in die Niederlande und vor allem nach England, und es wurde eine engagierte<br />

Autonomiediskussion geführt. In diesen Ländern konnten sich z.B. Schulen aus den<br />

Gemeindeverwaltungen herauslösen (opting out) und mit einem Gesamtbudget inklusive<br />

privater Sponsorengelder selbst bewirtschaften – natürlich gerne mit einer richtigen<br />

ManagerIn neben der Schulleitung. Das fand Nachahmer: In Bremen z.B. betrieb 1992/93 die<br />

„Ampelkoalition“ die „stärkere Autonomie der Schule“ (Freiräume in der<br />

Unterrichtsgestaltung, Öffnung zum Stadtteil, autonome LehrerInnenauswahl und<br />

Ressourcenverwendung usw.). In Hamburg wurde daraus schließlich der bescheidene<br />

„Modellversuch Selbstbewirtschaftungsfonds für die Ersatz- und Ergänzungsbeschaffung von<br />

Schulmobiliar etc.“ von 1993.<br />

In der GEW Hamburg gipfelte die Diskussion über das Pro und Kontra in der Autonomie-<br />

Tagung im Mai 1993. Eine „Autonomie- Kommission“ wurde mit dem Ziel eingerichtet, die<br />

Debatte zu befördern und die Erkenntnisse zu verallgemeinern. Man war sich zwar<br />

weitgehend einig, dass Regierungen und Kultusbürokratien vor allem eine kostensparende<br />

Verwaltungsreform anstrebten, aber die Schlussfolgerungen unterschieden sich: Das eine<br />

Lager sah eine Chance darin, mit eigenen Konzepten eine pädagogisch fortschrittliche Wende<br />

zur Demokratisierung der Schule herbeizuführen. Das andere Lager der Kritiker dagegen<br />

befürchtete eine Verbetriebswirtschaftlichung der Schule mit einer Öffnung zur Privatisierung<br />

und warnte vor einer Schwächung des Widerstandspotentials gegen Bildungsabbau.<br />

Steht die <strong>Linke</strong> jetzt – mit der Einführung der Selbst verantworteten Schule (SvS) – vor der<br />

Aufgabe diese Debatte wieder aufzunehmen? Können wir andocken an bereits erarbeitete<br />

Positionen und optimistisch in die nächste Entwicklungsphase der Hamburgischen<br />

Schullandschaft hineingehen? <strong>Die</strong> Antwort lautet bedauerlicherweise in beiden Fällen<br />

kategorisch: Nein!<br />

Druck von oben<br />

Das Hamburger SvS-Konzept der Senatorin Dinges-<strong>Die</strong>rig (CDU) strebt keineswegs<br />

Eigenständigkeit und Autonomie an, schon gar nicht irgendeine Form von Demokratisierung.<br />

Sie versucht, durch geschickt eingesetzte Euphemismen und absichtlich missverständliche<br />

Sprachregelungen wie „Eigenverantwortung“ alte und neue Hoffnungen bei Lehrerinnen und<br />

Lehrern zu wecken. Dabei formuliert sie ihre Vorstellungen durchaus immer wieder<br />

unmissverständlich: „<strong>Die</strong> Selbst verantwortete Schule ist keine autonome Schule“ belehrte<br />

sie am 18. August 2006 die Lehrerkammer. Ihre Ziele sind: Kürzungen im Bildungsetat<br />

„kompensieren“, Verantwortlichkeit auf die Schulen abwälzen, die Schulen zu<br />

<strong>Die</strong>nstleistungsbetrieben umbauen, Mitbestimmung abbauen – und damit letztlich die<br />

Privatisierung im Bildungswesen vorantreiben.<br />

Ergeben sich durch das Projekt SvS größere Spielräume für die Schulen? Wohl kaum: <strong>Die</strong><br />

Behörde für Bildung und Sport (BBS) zeigt keinerlei Anzeichen, den Schulen tatsächlich mehr<br />

Selbständigkeit zu gewähren, sondern vielmehr eine ungebremste Regelungswut:<br />

63


• Abschlussprüfungen und Vergleichsarbeiten, die mehr negativen und bürokratisierenden<br />

Einfluss auf den Unterrichtsablauf haben, als jeder reformerische Ansatz jemals in der<br />

einzelnen Schule ausgleichen kann;<br />

• das sozialpolitisch verheerende Büchergeld, das den Schulen aufgebürdet wurde und das<br />

laufend neue Ungereimtheiten und Fehler preisgibt und SchulsekretärInnen und<br />

KollegInnen bürokratische Mehrarbeit schafft;<br />

• Kürzungen und Erhöhungen der Basisfrequenz, die pädagogische Ansätze<br />

konterkarieren und den Unterricht verschlechtern – auch wenn Dinges-<strong>Die</strong>rig nicht müde<br />

wird das Gegenteil zu behaupten;<br />

• <strong>Die</strong>nstanweisungen, in denen KollegInnen im Interesse der Eltern zu einer »täglichen<br />

Erreichbarkeit « verpflichtet werden (als wenn der Kontakt zwischen LehrerInnen und<br />

Eltern bislang ein Problem gewesen wäre und deswegen einer verbindlichen Neuregelung<br />

bedurft hätte);<br />

• Richtlinien für Schulfahrten, in denen filigrane Definitionen von Aufsicht festgelegt und<br />

gleichzeitig die pädagogischen Kriterien für Klassenreisen abgeschafft werden;<br />

• Nach der Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells und der damit verbundenen<br />

Arbeitsverdichtung ist die Umsetzung der mit dem SvS-Projekt verknüpften Schulreform<br />

mit einer weiteren Belastung der Kollegien durch Mehrarbeit verbunden.<br />

Verwaltungsreform<br />

<strong>Die</strong> Tiefe der Veränderung wird jedoch erst sichtbar, wenn die neuen Elemente mit den<br />

bereits vorgenommenen Schritten verknüpft werden. Eine gestreckte Zeitschiene über die<br />

Jahre 2006 bis 2010 ermöglicht die stufenweise Einführung, das heißt die Analyse muss<br />

bereits Etabliertes mit Geplantem verknüpfen. Tut man dies, dann wird erstens sichtbar, dass<br />

die SvS ein elementarer Bestandteil einer weitreichenden Verwaltungsreform für Schulen ist<br />

und zweitens die entsprechenden Konzepte der vorangegangenen rot-grünen und der CDU-<br />

dominierten Regierungen über eine große Konvergenz verfügen.<br />

• <strong>Die</strong> Schulen werden <strong>Die</strong>nststellen mit Budget- und Personalhoheit. <strong>Die</strong> Folge ist u.a.<br />

schulisch eingebundene und damit geschwächte und tendenziell entpolitisierte „örtliche<br />

Personalräte“.<br />

• <strong>Die</strong> Mitbestimmung wird über eine Gesetzesnovelle des Personalvertretungsgesetzes<br />

für den öffentlichen <strong>Die</strong>nst insgesamt abgebaut. <strong>Die</strong> Lehrerinnen und Lehrer sind<br />

weniger geschützt vor Vorgesetztenwillkür und erhöhter Arbeitsbelastung.<br />

• <strong>Die</strong> Schulleitungen sind nunmehr <strong>Die</strong>nstvorgesetzte und mit mehr Macht ausgestattet<br />

(z.B. perspektivisch bei der Einstellung, der Beförderung, der Entlassung des Personals<br />

usw.).<br />

• Zwischen Schulleitungen und dem Kollegium werden Ziel- und Leistungsvereinbarungen<br />

abgeschlossen, diese bilden Selbstverpflichtungen der KollegInnen ohne<br />

entsprechende Zusagen der Behörde.<br />

• <strong>Die</strong> Schulen werden über die verordnete Erstellung von Schulprogrammen diversifiziert<br />

und damit produktdifferenziert. <strong>Die</strong> Konkurrenz um die attraktiveren Konzepte, die<br />

höheren Anmeldezahlen und dadurch auch das höhere Budget ist damit eröffnet.<br />

• Ein als „Orientierungsrahmen“ bezeichneter Katalog legt fest, welche Art von<br />

„Leistung“ in und von der Schule erbracht werden soll.<br />

• Mittels „Indikatoren“ werden darin Maßstäbe zur Bewertung der Schulqualität<br />

erstellt. <strong>Die</strong>se wird durch eine externe Evaluation überprüft – die (Analyse und<br />

Bewertung) wird von Schulinspektoren vorgenommen.<br />

64


Verschärfung der Arbeitsbedingungen<br />

Eine wesentliche Zielsetzung der SvS ist die Verbilligung der Lehrerarbeit. Dazu dienen unter<br />

anderem so genannte Ziel- und Leistungsvereinbarungen (ZLV). Es handelt sich dabei um<br />

vertragsähnliche Selbstverpflichtungen der Kollegien. Über ihre Zielsetzung schwärmt die<br />

BBS: „Zielvereinbarungen schaffen und gewährleisten allen Beschäftigten Entscheidungs-<br />

und Handlungsfreiheit bei ihrer Aufgabenwahrnehmung. Gemeinsam vereinbarte Ziele haben<br />

eine Motivationsfunktion.“<br />

<strong>Die</strong> Art und Weise, wie diese abgeschlossen wurden, entlarvt die Akzeptanzrhetorik. Nur in<br />

einigen SvS waren die Lehrerkonferenzen tatsächlich mit den Texten befasst. So wurde die<br />

„Vereinbarungen“ entweder über die Köpfe der KollegInnen, die immerhin die Inhalte in die<br />

Tat umsetzen sollten, hinweg formuliert oder nach einer Diskussion im Kollegium nachträglich<br />

ohne viel Federlesen geändert, d.h. mit den Vorstellungen der BBS-Projektleitung in Einklang<br />

gebracht.<br />

Auch hier gilt: <strong>Die</strong> Ziele, die mit der SvS angestrebt werden, sind grundsätzlicher Natur.<br />

Tatsache ist, wie die LehrerInnen bereits bei den Schulprogrammen feststellen mussten, dass<br />

durch diese Vereinbarungen einseitige Selbstverpflichtungen der Beschäftigten<br />

festgeschrieben werden, ohne dass die andere Seite, der <strong>Die</strong>nstherr oder der Betrieb oder<br />

wie immer dies künftig zu nennen sein wird, sich in der Frage der Arbeitsbedingungen,<br />

Bezahlung, Zeit usw. in irgendeiner Weise festlegt – wahrhaft „größere Freiräume“ für den<br />

„Einsatz von Ressourcen“! Besonders gut funktioniert das bei den zu erwartenden weiteren<br />

Streichungen im Bildungsetat: Dann haben wir die SkS – die „Selbst kürzende Schule“!<br />

<strong>Die</strong> Verbilligung der LehrerInnentätigkeit und die Übertragung der Verantwortung auf die<br />

Einzelschule – die eigentlichen Ziele des Senats – laufen ungebremst. In den<br />

Ganztagsschulen erleben wir bereits die systematische Übernahme von pädagogischer Arbeit<br />

und Unterrichtstätigkeit durch SozialpädagogInnen, durch 1-€- Jobs, durch Honorarkräfte<br />

usw.<br />

Durch die tägliche Arbeitsverdichtung (immer noch eine Aufgabe draufgesattelt) wird der<br />

Spagat zwischen Arbeitsbedingungen und beruflichen Zielen immer größer und<br />

schmerzhafter: Mangelverwaltung, Arbeitshetze, burn out, Krankheit … – nur in der SvS ist<br />

diese Entwicklung das Problem der einzelnen Schule, die BBS ist fein raus.<br />

„Es wird Druck erzeugt, weil wir die Ergebnisse festlegen“<br />

Ein alter Traum der Reformpädagogik war die pädagogische Freiheit und der Abbau der<br />

Bürokratie. Ist die „Selbstverantwortung“ der Schulen bei all ihren Auswirkungen auf die<br />

Arbeitsbedingungen möglicherweise ein Schritt in eine größere Freiheit der pädagogischen<br />

Zielsetzung?<br />

<strong>Die</strong> Mittelbehörde „Schulaufsicht“ wird tatsächlich perspektivisch abgebaut, die<br />

Schulleitung wird dafür gestärkt. Es wird aber vor allem die Rolle der Zentrale, der BBS<br />

ausgebaut. <strong>Die</strong> Aufgaben der bisherigen Schulaufsicht werden mehr und mehr in die<br />

einzelnen Schulleitungen verlagert, was eine weitere Hierarchisierung nach unten, ins<br />

Kollegium zur Folge hat. So sieht das neue Beurteilungswesen z.B. KollegInnen als<br />

BeurteilerInnen vor. Den inhaltlichen Kern des Konzeptes SvS hat Dinges-<strong>Die</strong>rig in einem<br />

Presse- Gespräch am 10.08.05 selbst treffend in einem Motto zusammengefasst: „Es wird<br />

Druck erzeugt, weil wir die Ergebnisse festlegen.“ Das Hauptinstrument dazu ist der<br />

„Orientierungsrahmen Schulqualität“.<br />

65


Ein näherer Blick in die Broschüre macht deutlich, welche Art von Veränderung insgesamt<br />

erreicht werden soll. Nichts liegt dem Orientierungsrahmen ferner, als die kollegiale<br />

Schulentwicklung oder gar die demokratische Schule zu stärken. Der zentrale Begriff des<br />

Textes ist: Führung. Er kommt 35-mal vor, gerne in Verbindung mit dem Begriff Management.<br />

Auf Seite 9 steht vorsorglich in roten Lettern am Rand, dort, wo man in wichtigen Texten<br />

gelegentlich Vermerke macht: „Führung als Schlüsselfunktion“.<br />

Ziel: Ranking<br />

Das hamburgische Schulreformgesetz erklärt mit der Einführung der SvS den „Wechsel von<br />

der Input-Steuerung zur ergebnisorientierten Steuerung (<strong>Output</strong>- oder Outcomesteuerung) …“<br />

(Senats- Drucksache 18/3780, S.5). Dazu muss festgelegt werden, welche der vielen<br />

Resultate des komplexen Wirkens in der Schule als „Ergebnisse“ gelten sollen. Könnte es<br />

sich zum Beispiel im Fremdsprachenunterricht um die lebenslange Freude an der<br />

Beherrschung einer anderen Sprache und ein großes Interesse an einer anderen Kultur<br />

drehen? Aber wie wollte man das in Zahlen messen? Genau! Geht nicht. Es wird als<br />

„Ergebnis“ definiert, was messbar und zählbar ist. Mit dem Orientierungsrahmen wird von<br />

der Behörde festgelegt, in welchen Gebieten nach Ergebnissen gesucht werden<br />

(„Qualitätsbereiche“) und anhand welcher Kriterien diese Ergebnisse eingeschätzt werden<br />

(„Indikatoren“).<br />

<strong>Die</strong> letztgenannten werden mehrfach gebraucht. Wenn zum Beispiel „die Schule“ (genau<br />

müsste es lauten: die Schulleitung) Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit der Behörde<br />

vereinbart, dann hat dies ausschließlich auf der Basis der „Indikatoren“ zu geschehen. Und<br />

wenn die Schulinspektion sich einfindet, um die „Schulqualität“ zu überprüfen, dann<br />

geschieht dies auf derselben Grundlage. Genau so erfolgt die Abfassung eines neuen<br />

Schulprogramms: Es enthält künftig klare Ansagen zu den „Indikatoren“! Und kommt es<br />

künftig zur Beurteilung der KollegInnen, damit die Behörde weiß, wie sie ihre<br />

Leistungszulagen verteilen soll oder wer für den Aufstieg nach A 13 in Frage kommt, dann<br />

möchte die Behörde die entsprechenden Beurteilungsbögen gleich so gestalten, dass der<br />

individuelle Beitrag der Beurteilten für die Erfüllung der „Indikatoren“ entscheidet.<br />

<strong>Die</strong> Vorlage für ihren „Orientierungsrahmen” bezieht die Behörde von der „European<br />

Foundation for Quality Management“, kurz EFQM. <strong>Die</strong>se Stiftung wurde 1989 von<br />

Vorstandvorsitzenden und Geschäftsführern von Großunternehmen gegründet, um<br />

Managementmodelle zu entwickeln. So wirbt die Organisation auf ihrer Webseite für ihr<br />

Produkt: „Unabhängig von Branche, Größe, Struktur oder Reifegrad brauchen<br />

Organisationen ein geeignetes Managementsystem, wenn sie erfolgreich sein wollen. Das<br />

EFQM-Modell ist ein praktisches Werkzeug, das Hilfestellung gibt für den Aufbau und die<br />

kontinuierliche Weiterentwicklung eines umfassenden Managementsystems und das aufzeigt,<br />

wo Sie sich auf der Reise zu Excellence befinden.“ Der Begriff „Exzellenz“ wird auch im<br />

„Orientierungsrahmen“ verwendet (S.9). Ob Managementmethoden in Schulen anwendbar<br />

oder überhaupt sinnvoll sind, ist zumindest eine offene Frage und „Excellence“ – also eine<br />

hervorragende Leistung – kann nur im Vergleich ermittelt werden. Das bedeutet: Ranking.<br />

Staatliche Verantwortung?<br />

Inwiefern der Satz im Schulreformgesetz der Wahrheit entspricht, demzufolge der<br />

„Orientierungsrahmen“ „das Ergebnis einer achtzehnmonatigen Diskussion mit Schulen und<br />

schulinteressierter Öffentlichkeit“ ist, ist durch eine einfache Befragung der Hamburger<br />

66


KollegInnen zu klären: Viele von ihnen wissen heute noch nicht, was genau in der Broschüre<br />

steht. Wahr ist allerdings, dass es viele Versionen des Textes gegeben hat, bevor er an die<br />

Schulen verschickt wurde. Bezeichnenderweise wurden folgende zwei Sätze gestrichen:<br />

„Dass Schule Verantwortung für Qualität übernimmt, bedeutet selbstverständlich nicht,<br />

dass der Staat sich aus seiner Gewährleistungsverantwortung zurückzieht. Auch hierfür<br />

gelten Qualitätsansprüche. Sie sind allerdings nicht Gegenstand dieses<br />

Orientierungsrahmens.“ Zwar wurde einschränkend festgestellt, dass der<br />

„Orientierungsrahmen“ keinerlei Festlegung enthält, welche Verantwortung für die<br />

„Schulqualität“ bei Behörde und Senat liegen, aber es wurde immerhin anerkannt, dass es<br />

auch hier „Qualitätsansprüche“ gibt. In der Endfassung heißt es jetzt lapidar: „<strong>Die</strong><br />

Gewährleistungsverantwortung des Staates bleibt davon unberührt.“<br />

Damit rundet sich das Bild ab. Mit dem „Orientierungsrahmen“ wird erstens (zusammen mit<br />

den „zentralen Leistungs- und Kompetenzprüfungen“) der bisherige komplexe<br />

Bildungsbegriff drastisch reduziert, der an den meisten Schulen bislang stillschweigender<br />

Konsens war und für die große Mehrzahl der KollegInnen die Grundlage ihrer Arbeit bildet. Er<br />

ermöglicht zweitens den Einstieg in das betriebliche Rechnungswesen in der Schule und<br />

bildet drittens die entscheidende Voraussetzung für die verschärfte Konkurrenz und ein<br />

künftiges Ranking der Schulen. Er drückt viertens die Übergabe der Verantwortung für die<br />

Ergebnisse der Hamburger Bildungspolitik an die einzelnen Schulen aus, die mit der<br />

Umwandlung in SvS vorgenommen wird. Last not least wird er künftig in Verbindung mit den<br />

„Ziel- und Leistungsvereinbarungen“ und der Schulinspektion das entscheidende<br />

Disziplinierungsinstrument darstellen. Das soziale Recht auf bedarfsgerechte Versorgung der<br />

Schulen ist damit entsorgt und die ehemals staatliche Verpflichtung der Einzelschule als<br />

Betrieb aufgebürdet. <strong>Die</strong> letzten Stellschrauben sind Arbeitsbedingungen und Bezahlung der<br />

Lehrkräfte.<br />

Eine internationale Kampagne<br />

Wie vielleicht deutlich geworden ist, enthält das Hamburger Modell der SvS eine Reihe von<br />

spezifischen Elementen. Gleichwohl steht es in seiner Anlage auch im Einklang mit einem<br />

internationalen Konzept zur Entwicklung der Bildungssysteme. Auf dem EU-Gipfel von<br />

Lissabon wurde vor fünf Jahren die Produktion von profitablem Humankapital zum Hauptziel<br />

der europäischen Bildungspolitik ausgerufen. Damit soll die ökonomische<br />

Wettbewerbsfähigkeit langfristig abgesichert werden. Doch die Umgestaltung der staatlichen<br />

Bildungssysteme im Sinne dieses neoliberalen Programms ist nicht so einfach zu<br />

bewerkstelligen. Denn welche sozialen Akteure sollen den Prozess vorantreiben? <strong>Die</strong> Lehrer<br />

ganz bestimmt nicht: Sie gelten als unzuverlässig und werden eher als Teil des Problems<br />

gesehen und nicht als dessen Lösung.<br />

Richard Hatcher, Forschungsdirektor der University of Central England in Birmingham<br />

(Großbritannien), gibt am Beispiel England eine Antwort 5: <strong>Die</strong> Labour-Regierung hat drei neue<br />

Instrumente entwickelt, um – auf der Basis der in der Thatcher-Ära gelegten Fundamente –<br />

das Schulsystem umzubauen. Da gibt es erstens neue, mächtige Unternehmen, privatisierte<br />

ehemalige Behörden wie das Ofsted (das Office for Standards in Education) oder die Teacher<br />

Training Agency. Das Ofsted ist für strenge Schulinspektionen, die Agency für die Aufsicht<br />

über die Aus- und Fortbildung der Lehrer zuständig. Zweitens sollen, um die Spielräume der<br />

Schulen zu erweitern, die Schulleiter in mächtige Manager verwandelt werden, die sich dem<br />

5 Le Monde diplomatique (Deutsche Ausgabe), 13.05.2005; „<strong>Die</strong> Sponsoren kommen“<br />

67


Regierungsprogramm verpflichtet fühlen. Und drittens ist der private Sektor über die<br />

Möglichkeit von Betrieben, Vereinen und Organisationen zur Einrichtung von Academies zu<br />

einem wichtigen Element im Transformationsprozess geworden. <strong>Die</strong> Academies konkurrieren<br />

mit den staatlichen Schulen um die Anmeldung von Schülern und bekommen vom Staat<br />

einen an der Schülerzahl orientierten Beitrag, der dann und „selbst verantwortet“ verwaltet<br />

wird.<br />

In England werden also Schulbetriebe nur zum Teil direkt privatisiert, vor allem aber werden<br />

private Unternehmen immer häufiger mit der praktischen Umsetzung von neuen<br />

Bildungsstrategien oder lokalen Bildungsangeboten betraut, bieten Beratungsstunden für<br />

LehrerInnen an, arbeiten Kriterien für Leistungslöhne und die Kontrolle von Schulleitungen<br />

aus usw.<br />

Dazu passt bereits die Ankündigung auf dem „Bildungsserver“ der BS: <strong>Die</strong><br />

Bertelsmannstiftung bietet ein Beispiel für eine Best Practice Plattform, wie sie demnächst<br />

auch auf dieser Seite entstehen soll. <strong>Die</strong> "Toolbox Bildung" der Bertelsmannstiftung bietet eine<br />

Plattform für den Austausch gelungener Unterrichtsinnovation in NRW. In ihrem<br />

Schulentwicklungs- und Innovationsprozess können Schulen einander inspirieren und<br />

voneinander lernen. In Kürze soll es auch in Hamburg eine solche Plattform für die Schulen<br />

geben.<br />

In Hamburg ist das „Controlling“ durch eine „Schulinspektion“ bereits Realität. Noch ist es<br />

nicht geplant, diese in die Hände von Privatfirmen zu legen, die Möglichkeit besteht aber<br />

jederzeit.<br />

Es geht lokal in Hamburg, ebenso wie international<br />

• um die Öffnung eines großen Sektors des Öffentlichen <strong>Die</strong>nstes für private Anleger,<br />

• um den Abbau eines staatlichen Aufgabenbereiches und damit potentiell möglicher<br />

demokratischer Gestaltungsmöglichkeiten,<br />

• um die weitere Senkung der aufzuwenden Steueranteile für Bildung und die Einführung<br />

von verschiedenen Varianten von Schulgeld,<br />

• um Lohndumping in einem großen Beschäftigungssegment und<br />

• um den Einfluss auf unmittelbar verwertbare Bildungsprozesse durch<br />

privatwirtschaftliche Betriebe.<br />

Das Bildungssystem insgesamt wird in diesem Konzept „optimiert“ durch Wettbewerb, eine<br />

entscheidende Voraussetzung für Kompatibilität mit der Erwirtschaftung von Profit.<br />

Für DIE LINKE wird es darauf ankommen, parteiintern die Kenntnisse von diesen Konzepten<br />

zu verbreitern, eine klare Position gegenüber allen Formen der Privatisierung zu beziehen und<br />

in Abstimmung mit den Gewerkschaften Ansatzpunkte zum Widerstand gegen diesen Umbau<br />

der Bildungsinstitutionen zu finden. <strong>Die</strong>s wird nur gelingen, wenn der politische<br />

Zusammenhang zwischen Verarmung der öffentlichen Kassen einerseits und Privatisierung<br />

und ihre Folgen prinzipiell aufgezeigt und angegangen wird.<br />

Ulrik Ludwig ist Mitglied der LAG Hamburg<br />

Der Aufsatz ist zuerst erschienen in: PISA-Schock: Was sagt DIE LINKE?<br />

VSA-Verlag Hamburg 2008<br />

www.vsa-verlag.de<br />

68


Aus dem Bundestag<br />

06.12.2008<br />

Pressemitteilung von Nele Hirsch<br />

Schavan schreibt bei der <strong>Linke</strong>n ab<br />

„DIE LINKE begrüßt, dass Bundesbildungsministerin Annette Schavan den Vorschlag<br />

der LINKEN zu einem bildungspolitischen Infrastrukturprogramm gegen die drohende<br />

Rezession aufgreift", so Nele Hirsch. <strong>Die</strong> bildungspolitische Sprecherin der Fraktion<br />

DIE LINKE weiter:<br />

„Ministerin Schavan sollte nun nach dem erfolgreichen Abschreiben nicht mehr zaudern und<br />

zögern, sondern die geplanten Maßnahmen schon jetzt im Kabinett zur Diskussion stellen<br />

und sie nicht erst vage für später ankündigen. Zudem ist die von ihr vorgeschlagene<br />

Größenordnung längst nicht ausreichend. Angesichts der chronischen Unterfinanzierung der<br />

Schulen und Hochschulen sind 5 Milliarden bei weitem zu wenig. Auch die drohende<br />

Rezession macht es erforderlich, zu klotzen anstatt kleckern.<br />

Anstatt nachträglich abzuschreiben, hätte Ministerin Schavan auch einfach den Anträgen der<br />

LINKEN in der Haushaltsdebatte zustimmen können. Unter anderem dort war ihre jetzt<br />

aufgeworfene Forderung nach Investitionen für Schulen und Hochschulen enthalten."<br />

69


Mehr Privat als Staat - FDP-Bildungspolitik auf dem Holzweg<br />

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):<br />

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Patrick Meinhardt, die<br />

Worte hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.<br />

(Patrick Meinhardt (FDP): Dir fehlt der Glaube?)<br />

Bezüglich der freien gemeinnützigen Träger könnten wir uns schnell einigen. Aber es gibt nun<br />

einmal auch private Träger, die ein Profitinteresse haben, und auch die sind unzweifelhaft<br />

Gegenstand dieses Antrags. Daher sage ich: <strong>Die</strong>ser Antrag ist ein Schlag ins Gesicht der<br />

Chancengleichheit. Einmal mehr wird von der FDP gefordert: Weniger Staat und mehr privat.<br />

Das hieß im ersten Schritt: Entlastung der Unternehmen, der Vermögenden, der Besser- und<br />

Bestverdienenden. De facto bedeutet dies weniger Einnahmen für die öffentlichen Haushalte,<br />

die dafür bei Arbeitslosen, Rentnern, Sozialleistungsbeziehern und Geringverdienern kräftig<br />

sparen. Sicher, da hat sich die FDP die Finger überhaupt nicht schmutzig machen müssen.<br />

Das haben Rot-Grün und Schwarz-Rot schon in hervorragender Weise geleistet. Ich erinnere<br />

mich, dass Guido Westerwelle schon 1999 einmal gesagt hat: Hätten wir diese Politik<br />

umgesetzt, wären wir als Partei des Turbokapitalismus beschimpft worden. Wo er recht hat,<br />

hat er recht.<br />

(Beifall bei der LINKEN)<br />

Zurück zu den öffentlichen Haushalten. Nach Berechnungen des Wirtschaftsweisen Bofinger<br />

waren die Einnahmen des Staates 2008 im Vergleich zu 1999 aufgrund der genannten<br />

Umverteilung zugunsten von Unternehmen, Vermögenden und Bestverdienenden um 118<br />

Milliarden Euro niedriger. <strong>Die</strong>se Einnahmen fehlen jetzt in jedem Jahr, zum Beispiel für den<br />

Bereich der Bildung. Wenn ich ein derart großes Loch in die Kasse reiße, darf ich mich nicht<br />

wundern, wenn ich im internationalen Vergleich weniger ausgeben kann als andere Länder.<br />

Als Sozialarbeiter kenne ich Schulen, in denen es durch das Dach regnet, in denen der Kalk<br />

von den Wänden rieselt, in denen sich Funktionsräume in einem bedauernswerten Zustand<br />

befinden, in denen es an Lehrkräften mangelt und folglich massiver Unterrichtsausfall zu<br />

beklagen ist. Jetzt beklagt die FDP scheinheilig, der Staat könne es nicht richtig. Das ist<br />

schon dreist. In Wahrheit geht es doch nur darum, dass man den eigenen Kindern nicht die<br />

Schulen zumuten will, die man im Grunde genommen selber zugrunde gerichtet hat. Das<br />

erforderliche Schulgeld zu zahlen, ist für Vermögende und Bestverdienende angesichts ihrer<br />

Einkommenszuwächse in den letzten Jahren eine Kleinigkeit. Kurz: Dadurch, dass in der Breite<br />

und an vielen Schulen gespart wird, lassen sich die De-luxe-Angebote für eine privilegierte<br />

Minderheit der Bevölkerung finanzieren. Eine Entsolidarisierung der Gesellschaft, das ist doch<br />

der wahre Kern Ihrer Politik.<br />

70


Um den unsozialen Kern ihrer Politik zu verbergen, greift die FDP tief in die<br />

Argumententrickkiste. Da heißt es zum Beispiel, Privatschulen seien bezogen auf die<br />

Leistungsergebnisse besser als öffentliche Schulen. <strong>Die</strong> Studie, auf die Sie sich dabei stützen,<br />

ist mal wieder aus der Abteilung „Meine Birne schmeckt mehr nach Birne als der öffentliche<br />

Apfel“; denn Tatsache ist: <strong>Die</strong>se Schulen schneiden keinen Deut besser ab. Das wird deutlich,<br />

sobald man die Schüler ähnlicher sozialer Herkunft in beiden Schulformen vergleicht. <strong>Die</strong><br />

angebliche Überlegenheit der Privatschulen begründet sich allein dadurch, dass die soziale<br />

Auswahl zulasten von Problemschülern so gut funktioniert. Genauso unsinnig ist die<br />

Behauptung, Privatschulen beförderten den Wettbewerb und würden damit zu einer<br />

Anhebung des Niveaus öffentlicher Schulen führen. Sie verweisen dabei auf die PISA-Studie<br />

und die höhere Privatschulquote in Ländern wie den Niederlanden und Großbritannien, die im<br />

PISA-Vergleich vor uns liegen.<br />

(Patrick Meinhardt (FDP): Mehr Eigenverantwortung!)<br />

Lieber Patrick Meinhardt, konsequenterweise müsstest du eigentlich gegen Privatschulen<br />

argumentieren; denn die Privatschulquote bei den Spitzenreitern Schweden und Finnland ist<br />

niedriger als bei uns.<br />

(Beifall bei der LINKEN)<br />

Wir <strong>Linke</strong> sagen klar und deutlich: Schulen sind nicht dazu da, um mit ihnen Geld zu<br />

verdienen. Schulen sind dazu da, das Recht auf Bildung zu verwirklichen, und zwar völlig<br />

unabhängig von der sozialen Herkunft. Jedem ein Optimum an Bildung zukommen zu lassen<br />

und nicht nur einer kleinen privilegierten Schicht, ist nicht nur ein Gebot der sozialen<br />

Gerechtigkeit, sondern auch eine zwingende Notwendigkeit für ein Land, dessen wesentliche<br />

Ressource das Leistungsvermögen seiner Menschen ist.<br />

Herzlichen Dank.<br />

(Beifall bei der LINKEN)<br />

30.01.2009<br />

71


Im Ausland erworbene Bildungs- und Berufsabschlüsse anerkennen<br />

Sevim Dagdelen, Rede im Bundestag<br />

Ich bezweifle, dass diese Bundesregierung und auch die sozialdemokratische Fraktion<br />

wirklich etwas verändern möchten. Denn das Problem ist seit längerem bekannt, ebenso die<br />

Analyse; die Studien liegen vor. Aber die Bundesregierung setzt das, was sie weiß, nicht um.<br />

Sie tut so, als ob sie es nicht wüsste, und verliert sich in Absichtserklärungen im Nationalen<br />

Integrationsplan oder auf irgendwelchen Gipfeln.<br />

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bezweifle, dass diese<br />

Bundesregierung und auch die sozialdemokratische Fraktion wirklich etwas verändern<br />

möchten. Denn das Problem ist seit längerem bekannt, ebenso die Analyse; die Studien<br />

liegen vor. Aber die Bundesregierung setzt das, was sie weiß, nicht um. Sie tut so, als ob sie<br />

es nicht wüsste, und verliert sich in Absichtserklärungen im Nationalen Integrationsplan oder<br />

auf irgendwelchen Gipfeln, wo sie von Scheinwerfern angestrahlt wird, und das war es.<br />

Das Problem der Menschen beheben Sie nicht, seit Jahrzehnten nicht. Sie berauben die<br />

Menschen ihrer gesellschaftlichen Teilhabe und der Möglichkeiten, die sie aufgrund ihrer<br />

Erwerbsbiografien und ihrer Qualifikationen haben. Es ist nicht so, dass das Problem nicht<br />

erkannt wurde. Es fehlt nur einfach der Wille, dieses Problem zu lösen. Es gibt keinen<br />

Integrationswillen seitens der Bundesregierung. Wir haben in den letzten Tagen über die<br />

Studie des Berliner Instituts mehrfach in den Medien hören und lesen können.<br />

Am Montag überraschte uns die Integrationsbeauftragte Frau Maria Böhmer - ausnahmsweise<br />

ist sie heute bei dieser Debatte anwesend –<br />

(Widerspruch bei der CDU/CSU)<br />

mit ihrer vermeintlichen Entschlossenheit, den Betroffenen der von ihr mitzuverantwortenden<br />

Desintegrationspolitik helfen zu wollen. Sie will sich nun dafür einsetzen, dass sich die<br />

Situation der halben Million Menschen in Deutschland, die über einen ausländischen<br />

akademischen Abschluss verfügen, der aber nicht anerkannt wird, ändert. „Dringendsten<br />

Handlungsbedarf“ sah sie auch im Focus vom 20. Oktober 2008. Da kündigte sie auch an,<br />

dass sie den „Anerkennungsdschungel lichten“ wolle.<br />

Wie ich gesagt habe: Das Problem ist bekannt. <strong>Die</strong> Versuche, Zugang zum Arbeitsmarkt zu<br />

finden, führen in Deutschland viele Migrantinnen und Migranten mit im Ausland erworbenen<br />

Abschlüssen oft in Sackgassensituationen. Das hat Frau Kollegin Laurischk hier schon<br />

deutlich gemacht. Bildung allein ist eben nicht der Schlüssel zur Integration, was die<br />

Sozialdemokraten seit Jahrzehnten immer herunterbeten.<br />

(Dr. Ernst <strong>Die</strong>ter Rossmann (SPD): Kommen Sie herunter! Haben Sie Feindbilder?)<br />

In der Studie des Berliner Instituts wird das ganz deutlich gesagt. Darin heißt es: Bildung<br />

bedeutet aber nicht automatisch eine gelungene Integration, denn nach wie vor baut die<br />

Gesellschaft Hürden für Migranten auf: Selbstständigen wird die Niederlassung erschwert,<br />

Abschlüsse werden nicht anerkannt ...<br />

72


Wenn man das Problem seit Jahren kennt, dann frage ich mich, warum man es nicht behebt.<br />

<strong>Die</strong>ses Problem wurde schon im ersten Memorandum des ersten Ausländerbeauftragten aus<br />

dem Jahre 1979 angesprochen.<br />

(René Röspel (SPD): Sie werden es garantiert nicht beheben!)<br />

Ich sage für meine Fraktion: Es geht nicht, dass man den Menschen die Möglichkeit nimmt,<br />

am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ich sage auch: Frau Böhmer, Sie haben genug<br />

geredet. Es ist Zeit für Taten. Viele Migrantinnen und Migranten in Deutschland haben dank<br />

Ihrer Politik und der Politik der Bundesregierung viele Jahre verloren.<br />

(Dr. Ernst <strong>Die</strong>ter Rossmann (SPD): Wir haben das BAföG verbessert! Wir haben das Meister-<br />

BaföG verbessert! Registrieren Sie das, Kollegin!)<br />

Versuchen Sie doch einmal, in der Integrationspolitik nicht hinter anderen Ländern der<br />

Europäischen Union hinterherzuhinken! Schaffen Sie eine gesetzliche Grundlage wie zum<br />

Beispiel in Dänemark! Es gibt eine Website, die nur die Aufgabe hat, das Chaos zu verwalten.<br />

Sorgen Sie stattdessen dafür, dass ein Konzept entwickelt wird! Sorgen Sie dafür, dass die<br />

Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen bundesweit vereinheitlicht,<br />

vereinfacht und beschleunigt wird! Wir brauchen ein System mit Rechtsansprüchen zur<br />

Feststellung, Einordnung und auch Zertifizierung von Abschlüssen. Dafür zu sorgen, ist die<br />

Aufgabe der Bundesregierung und nicht die Aufgabe von einzelnen Personen. <strong>Die</strong><br />

Bundesregierung muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen; sie trägt dafür die<br />

Verantwortung und nicht einzelne Personen.<br />

Wenn Sie wollen, finden Sie auch einen Weg. Deshalb plädiere ich dafür, endlich Taten folgen<br />

zu lassen und nicht immer nur darüber zu sprechen, dass man Integration wolle. Der Wille<br />

allein genügt nicht. <strong>Die</strong> Bundesregierung ist dazu aufgerufen, endlich zu handeln.<br />

(Beifall bei der LINKEN - René Röspel (SPD): Mit solchen Reden integriert man aber auch nicht<br />

29.01.2009<br />

73


Information / Rezension<br />

Kindergrundsicherung und Chancengleichheit in der Bildung<br />

Zu den Befürchtungen des deutschen Kinderschutzbundes erklärt das Mitglied des<br />

Parteivorstandes Rosemarie Hein:<br />

<strong>Die</strong> vom Kinderschutzbund geäußerten Befürchtungen muss die Regierung ernst nehmen und<br />

handeln. Es ist höchste Zeit, sich nicht nur um die Zukunft der Banken zu sorgen, sondern um<br />

die Kinder in dieser Gesellschaft.<br />

Kinder brauchen eine eigenständige finanzielle Absicherung und uneingeschränkten Zugang<br />

zu allen<br />

Bildungseinrichtungen. Deshalb fordert DIE LINKE seit Jahren eine Kindergrundsicherung. <strong>Die</strong><br />

Anstrengungen zur Umsetzung des Kinderfördergesetzes des Bundes sind völlig<br />

unzureichend. Außerdem bedarf es einer entschieden größeren Zahl von Ganztagsangeboten,<br />

damit jedes Kind umfassend gefördert werden kann. Wenn sich der Bund nach den<br />

notwendigen Mitteln zur Schulsanierung nicht endlich auch an der Finanzierung der<br />

Betreuungsangebote selbst und an der notwendigen qualifizierten Personalausstattung<br />

beteiligt, bleiben vollmundige Versprechungen leere Worte. <strong>Die</strong> Politik darf nicht weiter auf<br />

Zeit spielen, sondern muss entschieden mehr für gleiche Teilhabechancen für Kinder tun.<br />

Jedem Kind ein vollwertiges Mittagessen, unentgeltliche Lernmittel und Schülerbeförderung<br />

ohne Eigenbeteiligung bis zum Abitur sind Forderungen der Stunde. Notwendig sind weiterhin<br />

deutlich mehr Studienplätze und Stellen für angehende Lehrerinnen und Lehrer, die<br />

Ausbildung tausender Erzieherinnen und Erzieher. Hier müssen sich Bund und Länder stärker<br />

engagieren.<br />

Mit der ständigen Subventionierung und steuerlichen Entlastung der Reichen und<br />

Superreichen, mit der Übernahme ihrer Zockerschulden ist diese Aufgabe nicht zu leisten.<br />

<strong>Die</strong>ses Geld fehlt in den Haushalten vom Bund bis zu den Kommunen. Es kann nicht sein,<br />

dass ausgerechnet die Kinder die Spekulationsfehler der Banken am Ende zahlen müssen.<br />

„Schuldenbremsen“ werden diese schwere Hypothek auf die Zukunft nicht auffangen können.<br />

9. März 2009<br />

74


GEW: „<strong>Die</strong> Richtung stimmt – Ausgaben für Infrastruktur jetzt um<br />

‚Investitionspaket Bildung’ ergänzen“<br />

Bildungsgewerkschaft zum Konjunkturpaket II: großer Nachholbedarf im gesamten<br />

Bildungsbereich<br />

Frankfurt/Berlin – <strong>Die</strong> Investitionspläne zur Verbesserung der kommunalen Infrastruktur<br />

insbesondere im Bildungsbereich sind nach Auffassung der Gewerkschaft Erziehung und<br />

Wissenschaft (GEW) ein notwendiger und richtiger Schritt. GEW-Vorsitzender Ulrich Thöne<br />

wies jedoch darauf hin, dass die im Rahmen des Konjunkturpakets II geplanten Ausgaben in<br />

Höhe von rund 6,5 Milliarden Euro nicht ausreichten. Aufgrund der chronischen<br />

Unterfinanzierung vergangener Jahre seien viele Bildungseinrichtungen durch und durch<br />

marode. Um diese zu sanieren und modernisieren, sei eine größere Anstrengung notwendig.<br />

„Wir brauchen 73 Milliarden Euro bis 2020, um allein die Schulen in Form zu bringen“, sagte<br />

der Gewerkschafter am Freitag mit Blick auf eine Studie des „Deutschen Instituts für<br />

Urbanistik“. Er erinnerte daran, dass IG BAU und GEW ein 20 Milliarden-Programm zur<br />

Verbesserung der kommunalen Infrastruktur vorgeschlagen hatten. <strong>Die</strong>ses sollte Herzstück<br />

des zweiten Konjunkturpakets gegen die Wirtschaftskrise werden. Ziel war, rund 400.000<br />

Arbeitsplätze zu sichern.<br />

„Ein ‚Investitionspaket für Bildung’ muss die kurzfristige Stärkung der Binnennachfrage und<br />

die Investitionen in die Infrastruktur als dritte Säule eines Stabilisierungsprogramms<br />

ergänzen“, unterstrich der GEW-Vorsitzende. „Einen wirksamen ‚Schutzschirm für<br />

Arbeitsplätze’ gibt es nur dann, wenn nachhaltig in die Bildung der Menschen investiert und<br />

Bildungsarmut bekämpft werden. Im Bildungsbereich haben wir einen großen Nachholbedarf“,<br />

begründetet er seinen Vorstoß. Deutschland gebe lediglich 4,4 Prozent des<br />

Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus öffentlichen Mitteln für das Bildungswesen aus. <strong>Die</strong>se Quote<br />

müsse dringend auf mindestens sieben Prozent des BIP wie in Schweden angehoben werden.<br />

Mit dieser Maßnahme stünden dem Bildungsbereich jährlich rund 43 Milliarden Euro<br />

zusätzlich zur Verfügung „Mit diesem Geld kann Deutschland international den Anschluss<br />

schaffen und die Qualität seines Bildungsangebots entscheidend verbessern“, sagte Thöne.<br />

„Ausgaben für Bildung, für Kitas, Schulen und Volkshochschulen, aber auch Hochschulen sind<br />

Zukunftsinvestitionen, von denen künftige Generationen profitieren“, betonte der GEW-<br />

Vorsitzende. Von Investitionen in die öffentliche Infrastruktur gingen – im Vergleich zu<br />

anderen konjunkturpolitischen Maßnahmen – die stärksten Impulse auf wirtschaftliches<br />

Wachstum und Arbeitsplätze aus.<br />

Es reiche jedoch nicht, marode Einrichtungen einfach nur durch neue zu ersetzen. Bei<br />

architektonischen Maßnahmen und Sanierungsarbeiten müsse darauf geachtet werden, dass<br />

beispielsweise Schulen und Kitas modernen pädagogischen Anforderungen genügen. „<strong>Die</strong><br />

Architektur muss Lehrende und Lernende zum gemeinsamen Arbeiten einladen und<br />

Wertschätzung signalisieren“, sagte Thöne. Zudem müsse die Wärmedämmung der Gebäude<br />

verbessert und damit ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden. Nicht zuletzt solle<br />

die Modernisierung der Gebäude auch dem Arbeits- und Gesundheitsschutz genügen.<br />

PM vom 13.02.2009<br />

75


Gemeinsame Pressemitteilung: BER – DPhV – Didacta Verband – GEW –<br />

VBE – VdS Bildungsmedien Appell an Bund und Länder:<br />

Auch in Bildungsqualität investieren<br />

Aus Anlass der heutigen Sondersitzung des Bundesrates zum Konjunkturprogramm II warnen<br />

Bundeselternrat (BER), Deutscher Philologenverband (DPhV), Didacta Verband, Gewerkschaft<br />

Erziehung und Wissenschaft (GEW), Verband Bildung und Erziehung (VBE) und VdS<br />

Bildungsmedien eindringlich: „Ein Konjunkturprogramm im Bildungsbereich darf sich nicht<br />

darin erschöpfen, die Investitionen ausschließlich für Baumaßnahmen vorzusehen.“<br />

<strong>Die</strong> Verbände haben sich deshalb in gemeinsamen Schreiben an Bundeskanzlerin Angela<br />

Merkel und an Bundesratspräsident Peter Müller gewandt. „An die Entscheidung der<br />

Bundesregierung knüpfen die Verbände die Erwartung“, heißt es darin, „dass der<br />

Bildungsbereich künftig nachhaltiger finanziert wird: Es geht nicht nur darum, unsere Schulen<br />

zu sanieren; sie müssen modernisiert und die Bildungsqualität muss weiterentwickelt<br />

werden.“ Neben intakten Gebäuden benötigten die Schulen auch eine Erneuerung des<br />

Mobiliars, der Einrichtung von Labor- und Arbeitsräumen und eine Modernisierung der Lehr-<br />

und Lernmittel. <strong>Die</strong> unterzeichnenden Verbandschefs <strong>Die</strong>ter Dornbusch (BER), Heinz-Peter<br />

Meidinger (DPhV), Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios Fthenakis (Didacta Verband), Ulrich Thöne<br />

(GEW), Dr. Ludwig Eckinger (VBE) und Wilmar <strong>Die</strong>pgrond (VdS Bildungsmedien) appellieren<br />

„an Bundesregierung und Bundesrat, bei den laufenden Beratungen zum<br />

Zukunftsinvestitionsgesetz dafür zu sorgen,<br />

- dass die Förderung nicht auf die bauliche Sanierung von Bildungsinstitutionen beschränkt<br />

bleibt,<br />

- dass auch die Modernisierung der Ausstattung und Einrichtung, der Lehr- und Lernmittel<br />

ermöglicht wird und<br />

- dass die Investitionsentscheidungen nach Dringlichkeit in enger Abstimmung mit den<br />

Schulen selbst erfolgen.“<br />

PM vom 20.02.2009<br />

76


Was war unsere Schule wert? Volksbildung in der DDR.<br />

Autorenkollektiv<br />

Schule- das ist immer ein Stück Heimat.<br />

Beinahe jeder Fünfte der heute lebenden Deutschen hat seine Lernjahre im Schulsystem der<br />

DDR verbracht.<br />

Das prägt.<br />

Gleiche Bildungschancen für alle . so lautet der früh verkündete gesellschaftliche Anspruch<br />

der Bildungsreformer in der DDR. <strong>Die</strong> Schüler aus dem Osten brachten nicht nur<br />

hervorragende mathematisch-naturwissenschaftliche Kenntnisse in die deutsche Einheit ein.<br />

Schule in der DDR – das waren auch polytechnischer Unterricht,<br />

Schülerarbeitsgemeinschaften, Unterrichtstage in der Produktion, Praktika verschiedener Art,<br />

Patenschaften mit Brigaden und betriebskollektiven.<br />

Was ist diese Ausbildung heute noch wert?<br />

Lehrer und Schüler, Pädagogikwissenschaftler und Pionierleiter, Soziologen, und<br />

Sexualwissenschaftler kommen zu Wort. Zeitzeugen geben eigenes Erleben wieder. Sie<br />

können qualifiziert beurteilen, welchen Stellenwert die Schule in der DDR besaß. <strong>Die</strong>ses Buch<br />

beschreibt Stärken und Schwächen der DDR-Volksbildung. Zugleich bietet es eine menge<br />

Stoff zum Nachdenken über nicht genutzte Chancen für die Entwicklung einer neuen Schule,<br />

die den Herausforderungen der Globalisierung gewachsen sein könnte und dennoch<br />

Menschen bildet.<br />

www.das-neue-berlin.de<br />

ISBN 978-3-360-01965-3<br />

14,90€<br />

77


Karl-Heinz Braun: Wenn Bildung nicht ankommt: Schulversagen<br />

Analysen und Alternativen<br />

Herausgegeben von der Fachgruppe Bildungspolitik im Arbeitskreis Bildung und Soziales der<br />

Fraktion DIE LINKE. im Landtag von Sachsen-Anhalt<br />

Erste Auflage 2009<br />

In diesem Heft werden aus der Praxis heraus Ursachen und Gründe des Schulversagens<br />

dargestellt. Aus kritischer Sicht werden Schulversagen (versagt der Schüler oder die Schule),<br />

Schulsozialarbeit und die Notwendigkeit innerer Schulreformen in einem Zusammenhang<br />

gesehen. Es wird auf die Verschärfung der gesellschaftlichen Ungleichheiten durch das<br />

gegliederte Schulsystem ebenso verwiesen, wie auf die subjektiven Gründe der<br />

Bildungsarmut. Der Autor zeigt sozialpädagogische Perspektiven und Wege zur Überwindung<br />

des Schulversagens auf und formuliert pädagogische Entwicklungsansprüche an die<br />

Schulsozialarbeit. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass zur inneren Schulreform<br />

nachhaltige Maßnahmen der äußeren Schulreform, eine deutliche Verlängerung des<br />

gemeinsamen Lernens (z.B. in Form von Gemeinschaftsschulen), ein erheblicher Ausbaus der<br />

Ganztagsschulen und eine systematische Verknüpfung der Bildungs- und Erziehungsaufgaben<br />

aller öffentlichen Einrichtungen in Form von Ganztagsbildung und der regionalen<br />

Bildungslandschaften kommen müssen.<br />

<strong>Die</strong> inhaltlichen Pro<strong>file</strong> dieser Reformvorhaben sollen in einer folgenden Publikation<br />

dargestellt werden.<br />

Nicht nur für linke Schulreformer lesenswert.<br />

78


Veranstaltungen / Termine<br />

Schule und Erziehungswissenschaften<br />

Veranstaltungen des Berlin-Brandenburger Forums „Schule, Pädagogik, Gesellschaft“<br />

im 2. Halbjahr 2009<br />

Veranstaltungsort: Rosa- Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin<br />

Zeit: 16.00 bis 18.00 Uhr<br />

30.9.<br />

(189) Kinderheim Königsheide - ein historischer Rückblick<br />

Mit: <strong>Die</strong>ter Engler (Berlin)<br />

28.10.<br />

(190) Für welches Allgemeinbildungskonzept müssten sich <strong>Linke</strong> heute einsetzen?<br />

Mit: Dr. Hans-Joachim Hausten (Berlin)<br />

25.11.<br />

(191) Das Berliner Gemeinschaftsschulkonzept und das Zwei-Säulen-Modell<br />

Mit: N.N. (Berlin)<br />

16.12.<br />

(192) Naturwissenschaftlicher Unterricht am Scheideweg<br />

Mit: Prof. Dr. Eberhard Rossa (Berlin)<br />

Ansprechpartner:<br />

Prof. Dr. Werner Lemm, Heidekampweg 88,<br />

12437 Berlin, Tel.: 030/5325276<br />

Prof. Dr. Horst Weiß, Lindenpromenade 32,<br />

15344 Stausberg, Tel.: 03341/422087<br />

79


In eigener Sache<br />

________________________________________________________<br />

DIE LINKE. BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT BILDUNGSPOLITIK<br />

Sprecherteam: Horst Bethge, Gerrit Große, Cornelia Hirsch, Gerhard Sielski, Henrik Volkert<br />

Einladung zur Beratung der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik<br />

<strong>Die</strong> Sprecher der BAG Bildungspolitik laden ein zu einer Beratung der BAG zum<br />

9./10.5.2009 nach Berlin ein. Beginn am Sonnabend um 13.00 Uhr.<br />

Tagungsort: Bürohaus (ND-Gebäude), Mehring- Platz 1, 10243 Berlin (Nähe Ostbahnhof)<br />

Münzenbergsaal 1, 1.Obergeschoss<br />

Sonnabend, den 9.5. (13.00 – 18.00 Uhr )<br />

Thema: Wege zur Gemeinschaftsschule<br />

1. Eine Schule für alle – Wege zur Gemeinschaftsschule<br />

• Vortrag: Prof. Dr. Matthias von Saldern, Leuphana Universität üneburg<br />

2. Gesprächsforum mit Prof. Dr. Matthias von Saldern,<br />

• Lothar Sack, Vorsitzender der Gemeinnützigen Gesellschaft<br />

Gesamtschule,<br />

• Robert Giese, Schulleiter der Fritz- Karsen- Schule/Pilotprojekt Berlin<br />

Anfragen und Diskussion<br />

Sonntag, den 10.5. (9.00 – 13.00 Uhr)<br />

Wahlen und Bildungspolitik (Leitung: Horst Bethge, Nele Hirsch)<br />

Darlegungen von Sprechern einzelner LAG, die Erfahrungen werten und Ideen erläutern,<br />

wie sie den Wahlkampf auf bildungspolitischem Gebiet führen wollen.<br />

Einführende Beiträge: (Vorschläge angefragt)<br />

� Inge Sturm, LAG Hessen: Unser Wahlkampf - Inhalte und Lehren<br />

� Henning Feige, LAG Hamburg: Lehren der Volksinitiative in Hamburg<br />

� Steffen Zillich, LAG Berlin: Unser Programm zum Ausbau der<br />

Gemeinschaftsschule<br />

� Jutta Fiedler: LAG Sachsen-Anhalt: Unser schulpolitisches Konzept<br />

Anfragen und Diskussion<br />

Abschlussbemerkungen: Bildungspolitik im Wahlkampf 2009<br />

Informationen aus der Parteivorstandssitzung am 10.5.<br />

Rosemarie Hein, Mitglied des Parteivorstandes der DIE<br />

LINKE<br />

Hinweise für Teilnehmer:<br />

80


Anreise: ICE, S-Bahn bis Berlin- Ostbahnhof<br />

Fußweg: ca. 5 Minuten zum Bürogebäude (ND/Rosa-Luxenburg-Stiftung)<br />

PKW - Navi: 10243 Berlin, Mehringplatz 1 (Parkplatz vorhanden)<br />

Hotels in der Nähe:<br />

Hotel Comenius<br />

Grünberger Str.22<br />

10243 Berlin<br />

030/ 27 571535<br />

(45.-/69.-€)<br />

Pegasus Hostel<br />

Str.der Pariser Kommune 35<br />

10243 Berlin<br />

030/2977360<br />

Hotel Ibis Berlin City Ost<br />

An der Schillingbrücke 2<br />

10243 Berlin<br />

030/ 257600<br />

Inter City Hotel Berlin<br />

Gebührenfreie Hotline 00800-78468357<br />

Rückmeldung an:<br />

DIE LINKE. Parteivorstand<br />

BAG Bildungspolitik<br />

Maritta Böttcher<br />

Kleine Alexanderstr.28<br />

10178 Berlin<br />

Mail: maritta.boettcher@die-linke.de<br />

DIE LINKE. Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik<br />

Wer wir sind und wie man bei uns mitarbeiten kann<br />

81


Wer wir sind<br />

<strong>Die</strong> Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik ist eine Arbeitsgemeinschaft der neuen<br />

Partei: <strong>Die</strong> <strong>Linke</strong>.<br />

Sie ist eine Gruppe von Mitgliedern und Symphatisanten, die sich mit bildungspolitischen<br />

Problemen befasst, aktuelle bildungspolitische Probleme analysiert, Erfahrungen in<br />

bildungspolitischen Auseinandersetzungen wertet und Vorschläge erarbeitet, in welcher<br />

Weise die Partei <strong>Die</strong> <strong>Linke</strong>. Einfluss auf notwendige Veränderungen im Bildungssystem<br />

nehmen kann.<br />

Viele ihrer Mitglieder kennen als Kindergärtnerinnen und Kindergärtner, Lehrerinnen und<br />

Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Eltern- und SchülerInnenvertreter, in der Berufsbildung<br />

oder im Hochschulwesen als Lehrende und Studierende wie in der Wissenschaft Tätige, die<br />

aktuellen bildungspolitischen Probleme aus ihrer täglichen Erfahrung. Es gibt eine enge<br />

Zusammenarbeit mit Abgeordneten der Fraktionen <strong>Die</strong> <strong>Linke</strong>. im Bundestag und in den<br />

Landtagen, zwischen den verschiedenen Arbeitsgemeinschaften auf Bundesebene, mit den<br />

Gewerkschaften sowie mit Verbänden und Bewegungen, die Einfluss auf bildungspolitische<br />

Fragen nehmen.<br />

In den Bundesländern gibt es bei den Landesvorständen ebenfalls<br />

Landesarbeitsgemeinschaften Bildungspolitik, die mit der Bundesarbeitsgemeinschaft ein<br />

Netzwerk bilden und ihre Erfahrungen austauschen. Wir arbeiten auf internationaler Ebene im<br />

bildungspolitischen Netzwerk der Europäischen Linkspartei mit.<br />

Kurz: Wir sind eine Gruppe von Engagierten, die täglich sowohl mit dem Bildungswesen wie<br />

mit der Politik Kontakt hat. Wir halten das Bildungswesen in der Bundesrepublik für<br />

gründlich veränderungbedürftig und wollen dazu eine Menge beitragen.<br />

Was wir wollen<br />

Grundlage unserer Tätigkeit sind die programmatischen Beschlüsse der Partei.<br />

Es ist unser Ziel, das Menschenrecht auf Bildung für alle auch in der Bundesrepublik zu<br />

verwirklichen.<br />

Wir fordern gleiche Bildungsmöglichkeiten für alle Kinder und Jugendlichen.<br />

Wir wollen, dass endlich Schluss gemacht wird, mit der extrem hohen Abhängigkeit der<br />

Bildungsmöglichkeiten und des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft.<br />

Eine grundlegende, sozial gerechte, demokratische Bildungsreform ist in diesem Lande<br />

notwendig.<br />

Wir treten für ein längeres gemeinsames lernen in einer Gemeinschaftsschule ein, als<br />

Alternative zum Bestehenden.<br />

Dazu arbeiten wir mit allen Reformwilligen zusammen und wirken in verschiedenen<br />

gemeinsamen Aktivitäten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Initiativen auf diese<br />

Ziele hin.<br />

Das heißt für unsere konkrete Arbeit:<br />

• Analyse der bildungspolitischen Entwicklungen,<br />

• Diskussion bildungspolitischer Probleme,<br />

• Ausarbeitung von bildungspolitischen Alternativen,<br />

• Mitarbeit an Beschlüssen der Partei, Partei- und Wahlprogrammen,<br />

• Einflussnahme auf programmatische wie aktuelle Debatten,<br />

• Beteiligung an Demonstrationen und Protestveranstaltungen im Lande und auf<br />

internationaler Ebene.<br />

82


Wir veranstalten etwa viermal im Jahr eine bundesweite öffentliche Beratung -<br />

das Bildungsplenum - auf dem bildungspolitische Themen diskutiert und Erfahrungen<br />

ausgetauscht werden.<br />

Rund alle zwei Jahre findet unsere Bildungspolitische Konferenz in einem größeren Rahmen<br />

statt.<br />

Wir unterstützen die Landesarbeitsgemeinschaften Bildungspolitik und weitere kommunale<br />

und regionale Gruppen.<br />

Unsere regelmäßige Publikation mit dem Titel „ Zukunftswerkstatt Schule“ erscheint<br />

mindestens vierteljährlich.<br />

In regelmäßigen Abständen informieren wir über unserer aktuelle Arbeit und<br />

bildungspolitische Entwicklungen im Internet und in einem Newsletter linke Bildungspolitik.<br />

Wie man bei uns mitarbeiten kann<br />

Wir freuen uns über alle, die in unseren bundesweiten Zusammenschluss von an linker<br />

Bildungspolitik Interessierten mitarbeiten wollen.<br />

Jede kritische und konstruktive Meinung und Mitarbeit ist gefragt.<br />

Dazu kann man:<br />

An unseren Beratungen sowohl auf Bundes- als auf Landesebene teilnehmen; sich in Fragen<br />

der Vorschulerziehung, der Schulpolitik, der Berufsbildungspolitik oder der Hochschulpolitik<br />

wie der Weiterbildung einbringen; in einer der regionalen Gruppen mitarbeiten oder mit ihnen<br />

zusammenarbeiten; unsere Publikationsorgane abonnieren oder daran mitarbeiten,<br />

insbesondere als Autor von Beiträgen; bei verschiedenen Projekten und bildungspolitischen<br />

Kampagnen mitmachen; unsere Arbeit finanziell durch einmalige oder regelmäßige Spenden<br />

unterstützen.<br />

Kontakte über:<br />

AG Bildungspolitik Tel.: 030/ 24 009 615<br />

Maritta Böttcher Fax: 030/ 24 009 645<br />

Kleine Alexanderstr.28 Mail: maritta.boettcher@die-linke.de<br />

10178 Berlin<br />

Unsere Bunte Reihe / Beihefte<br />

<strong>Die</strong> BAG Bildungspolitik beim Parteivorstand der Partei DIE LINKE gibt in loser Folge Aufsätze<br />

(Broschüre) von Wissenschaftlern, Praktikern, Schul- und Bildungspolitikern heraus mit dem<br />

Ziel, die offene Diskussion um linke Schul- und Bildungsprogrammatik zu unterstützen und zu<br />

fördern.<br />

83


Bisher sind erschienen:<br />

Horst Adam<br />

Jugend und Konflikte - pädagogische Überlegungen zur gewaltlosen Konfliktbewältigung<br />

Horst Adam<br />

Gesellschaftlicher Bruch und Erziehungsverständnis<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

Max Horkheimer und die Bildung - Das autonome Subjekt als Schöpfer seiner selbst?<br />

(Zum 100. Geburtstag von M. Horkheimer)<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

Das Eigene im Fremden und das Fremde im Eigenen<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

Zukunftsfähige Entwicklung von Bildung und Wissenschaft<br />

Gerhard Sielski<br />

Deutsches Bildungswesen zwischen Reform, Restauration und Alternativversuchen<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

<strong>Die</strong> Ostdeutschen und der Weg zu mehr Demokratie<br />

<strong>Die</strong> Transformation in Ostdeutschland als Sonderfall der internationalen Transformation von historisch<br />

gewachsenen Gesellschaften<br />

Karl-Heinz Schimmelmann<br />

Schule und Arbeitswelt - zur Integration von Arbeit, Wirtschaft und Technik in die Allgemeinbildung<br />

Gerhard Sielski<br />

<strong>Die</strong> schulpolitische Landschaft im heutigen Deutschland und Ansätze einer linken Bildungspolitik<br />

Eberhard Mannschatz<br />

Gemeinschaftserziehung und Individualerziehung<br />

Wolfgang Altenburger / Ulrike Wend<br />

Erlebnispädagogik - Praxis gestern und heute<br />

Wolfgang Lobeda<br />

Politische Bildung - Historisches und Aktuelles<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

Hat die Zukunft eine Zukunft? Bildung für das kommende Jahrhundert<br />

Edgar Drefenstedt<br />

Deutsche Pädagogen in der Zeit des Kalten Krieges<br />

Aus der Geschichte des gesamtdeutschen Schwelmer Kreises<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

Globales Lernen - ein Beitrag zur Globalisierung des Lebens<br />

Alexander Bolz<br />

Gemeinschaftserziehung im Nationalsozialismus<br />

Horst Kühn<br />

Chancengleichheit der Geschlechter und Koedukation<br />

Marianne Berge<br />

Das Bild von einer künftigen Gesamtschule für alle<br />

Eberhard Mannschatz<br />

Jugendhilfe und Heimerziehung in der DDR und über die Rolle im heutigen sozialpädagogischen<br />

Diskurs<br />

Eberhard Mannschatz<br />

A. S. Makarenko über den Zugang zu seinen pädagogischen Auffassungen<br />

Horst Kühn / Wolfgang Lobeda<br />

Blick auf die Jugend und die politische Bildung<br />

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Peter Blankenburg<br />

150 Jahre Manifest der Kommunistischen Partei<br />

Reflexionen zur Bildungs- und Schulpolitik<br />

Bernhard Claußen<br />

„Autoritarismus“ und die „Mitte der Gesellschaft“<br />

Bernhard Claußen<br />

Bildung und Kultur als Politikum in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus<br />

Bernhard Claußen<br />

Bildungspolitische Aspekte der Politischen Bildung in Deutschland<br />

AG Bildungspolitik<br />

„Forum Bildung“ und PISA-Diskussion – Ansatz einer Bildungsreform in Deutschland?<br />

AG Bildungspolitik<br />

Nationale Bildungsstandards ein Schritt zur Bildungsreform in Deutschland?<br />

Günter Wilms<br />

Das Bildungswesen der DDR – Ein Rückblick mit Anregungen für eine Bildungsreform in Deutschland<br />

Lothar Gläser<br />

Das deutsche Bildungswesen im Abseits<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

Freie humanistische Allgemeinbildung für alle contra verkaufte Bildung. Das neoliberale<br />

Bildungskonzept und Alternativen zur Erneuerung der Bildung<br />

Wolfgang Lobeda, Gerhard Sielski u.a.<br />

Schule in Europa zwischen PISA und Sparprogrammen –Streiflichter Teil I –<br />

Wolfgang Lobeda, Gerhard Sielski u.a.<br />

Schule in Europa zwischen PISA und Sparprogrammen – Streiflichter Teil II - Zur<br />

Bildungsprogrammatik linker Kräfte in europäischen Ländern<br />

INFORMATION – DOKUMENTATION Bildungspolitik 1/2006<br />

Bildungspolitische Aussagen von CDU,CSU,SPD, FDP und Bündnis90/<strong>Die</strong> Grünen<br />

Werner Kienitz<br />

Für eine Schulreform von Skandinavien lernen? Ja, aber sehen, wie es dort anfing.<br />

Volker Hoffmann, Edgar Günther-Schellheimer<br />

Zum 120.Geburtstag von A.S.Makkarenko<br />

Preis je Broschüre 1,50 Euro<br />

Erhältlich bei: BAG Bildungspolitik beim Parteivorstand der Partei DIE LINKE,<br />

Kleine Alexanderstraße 28<br />

10178 Berlin<br />

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ZUKUNFTSWERKSTATT<br />

LINKE BILDUNGSPOLITIK<br />

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,<br />

die „Zukunftswerkstatt LINKE BILDUNGSPOLITIK“ ist das Mitteilungsheft der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

Bildungspolitik beim Parteivorstand der Partei DIE LINKE.<br />

In ihm wird aus linker Sicht zu bildungspolitischen Themen Stellung genommen. Analysen,<br />

Positionen, Entwürfe, Streitpunkte und Informationen über Aktivitäten der Partei DIE LINKE,<br />

ihrer Abgeordneten in den Ländern geben einen Einblick in bildungspolitische Diskussionen,<br />

Positionen und Forderungen sowie Erfahrungen in der Arbeit der auf bildungspolitischem<br />

Gebiet Tätigen, neuerlich auch in Zusammenarbeit mit anderen linken Gruppen.<br />

Wir wenden uns damit an einen breiten Leserkreis von Bildungsaktivisten, Pädagogen,<br />

Wissenschaftlern, Studenten, Eltern, Schülern und bildungspolitisch Interessierten.<br />

Unsere Leser sind aufgerufen, unser Blatt mit Artikeln, Kritiken und Verbesserungsvorschlägen<br />

mit zu gestalten. Es erscheint mindestens 4x im Jahr.<br />

Unsere Bunte Reihe begleitet das Heft mit bildungspolitischen Themen aus der Feder von<br />

Bildungspolitikern und Erziehungswissenschaftlern.<br />

Das Heft wird von einer ehrenamtlichen Redaktion gestaltet, wie auch die Autoren auf ein<br />

Honorar verzichten.<br />

Unsere Anschrift:<br />

Parteivorstand der Partei DIE LINKE<br />

Ansprechpartnerin: Maritta Böttcher<br />

Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin<br />

Tel.:030/24009615<br />

E-Mail: maritta.boettcher@die-linke.de<br />

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Ich möchte:<br />

o Ein Probe-Exemplar Ich spende für die<br />

o Alle Ausgaben Zukunftswerkstatt 10 € / 20 €<br />

• Zusätzlich …..Exemplare zur Werbung<br />

Spendenkonto:<br />

Name, Vorname: ............................................. Parteivorstand der Partei DIE<br />

LINKE<br />

Konto - Nr.: 4384840000<br />

Straße: ………………………………………………………… BLZ: 100 200 00<br />

Berliner Bank AG<br />

PLZ: ...................... Ort: …………..………........ Kennwort: Bildungspolitik<br />

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