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Wir sind Familie<br />
„Die hat<br />
d r e i<br />
K i r -<br />
schen mehr, hab’s<br />
doch gesehen.“ Klar<br />
ist Tom schon satt<br />
und Kirschen mag<br />
er eh nicht besonders.<br />
Aber das ist<br />
kein Grund, seine<br />
Schwester zu bevorzugen.<br />
Genau wie<br />
gestern. „Schau mal<br />
wie putzig unsere<br />
Kleine in dem rosa<br />
Kleidchen aussieht?“,<br />
meinte Mama, stolz<br />
auf Anna und den<br />
neuen Einkauf. Und<br />
Tom: „Süß, wie ein<br />
Püppchen! Und<br />
ebenso strohdumm.“<br />
– Und Mama war<br />
sauer und die Stimmung<br />
dahin.<br />
Ja, darf man denn<br />
nicht eifersüchtig<br />
sein? Brave Jungs<br />
sind nicht neidisch.<br />
Hast du das verdient?<br />
Wo Neid wütet und Eifersucht quält<br />
Es ist das größere Tortenstückchen, die teure Markenjeans oder das<br />
hippe Videogame genauso wie Erfolg, Begabung oder Attraktivität:<br />
<strong>Der</strong> eine hat’s, der andere nicht, oder glaubt zumindest benachteiligt zu<br />
sein. Ruck, zuck ist es mit der Friedseligkeit dahin. Ein kleiner quälender<br />
Geist namens Neid keimt auf und treibt sein Unwesen. Eifersucht<br />
ist nicht gesellschaftsfähig und wird gern verleugnet, aber dennoch<br />
kennt sie jeder. Ein Grund zur Besorgnis oder eine allzu menschliche,<br />
harmlose Regung? Warum neiden wir; und darf mein Kind eifersüchtig<br />
sein? Marion Stuckstätte<br />
Schon gar nicht auf die eigene Schwester. – Stopp. Das ist Quatsch.<br />
Das ahnen wir und das sagen auch die Fachleute. Wer Geschwister<br />
hat, der wird sich an ihnen messen. Neidgefühle und Geschwisterrivalität<br />
sind unvermeidlich. Wird der Erstgeborene „entthront“, so<br />
braucht er Zeit, um sich neu zu positionieren. Das Selbstwertgefühl ist<br />
angekratzt, Psychologen sprechen hier von „narzisstischer Kränkung“.<br />
Wo der Kleine sich gerade noch durch uneingeschränkte Zuneigung<br />
in Allmachtgefühle bettet, wird er plötzlich von seinem Rang verdrängt,<br />
in Vergleich, vielleicht sogar in Konkurrenz gesetzt. Was sich<br />
da im frühesten Kindesalter vollzieht, findet im Laufe unseres Lebens<br />
immer wieder Anklang. Beschränkungen erfahren, Grenzen und eigene<br />
Unzulänglichkeiten erkennen, all das kann sehr schmerzhaft sein.<br />
Erst sind es die Dinge, die ein anderer hat, dann die Leistungen, die er<br />
vollbringt, später herausragende geistige und charakterliche Stärken<br />
eines anderen, die am eigenen Ego nagen. Neid ist vorprogrammiert.<br />
Die Persönlichkeit muss reifen, um mit Selbstvertrauen und Selbstbeherrschung<br />
dem störenden Unbehagen Herr zu werden.<br />
Selbstachtung bringt Kraft gegen Vergleiche<br />
Kleinkinder können das noch nicht. Mit etwa 2 Jahren entwickeln sie ein<br />
Ich-Bewusstsein und beginnen sich einzuordnen, indem sie sich vergleichen.<br />
Auch wenn Eltern nach Gleichbehandlung streben, gibt es immer<br />
Unterschiede. Und das ist okay. Jedes Kind ist anders, jedes hat seine eigenen<br />
Bedürfnisse, Fähigkeiten und Schwächen. Gleichstellung ist nicht<br />
gleichbedeutend mit Gerechtigkeit. Es bedarf viel Fingerspitzengefühl,<br />
um die kleinen Individuen zu stärken und fair zu behandeln. Eifersucht<br />
lässt sich nicht verhindern, muss aber nicht zwingend schädigend sein.<br />
„Ist doch läppisch, das kann ich locker!“, kann auch anspornen. Aus<br />
dem Vergleich bilden sich Werte und können Ziele geformt werden,<br />
Kinder loben, für das, was sie sind,<br />
nicht nur was sie leisten<br />
Foto: Marion Stuckstätte<br />
z.B. sportliche oder<br />
schulische Leistungen<br />
zu verbessern,<br />
sich mehr zu pflegen<br />
oder auf etwas zu<br />
sparen. Nur sollten<br />
Eltern Neid nicht bedienen.<br />
„Hör auf zu<br />
quengeln, ich kaufe<br />
es dir ja“, bringt<br />
nichts. Vielmehr<br />
benötigt das Kind<br />
Aufmerksamkeit,<br />
um ein Selbstwertgefühl<br />
aufzubauen<br />
und damit Begrenzungen<br />
der eigenen<br />
Person zu akzeptieren.<br />
Wer das nicht<br />
lernt, nicht stark genug<br />
wird, positives<br />
Lebensgefühl aus<br />
eigenen Ressourcen<br />
zu entwickeln, läuft<br />
Gefahr, sich am Messen<br />
zu anderen aufzureiben<br />
und kann<br />
kaum glücklich und<br />
zufrieden leben.<br />
Das geht einen Schritt nach dem anderen, kann bei fehlender Hilfestellung<br />
oder Fehlverhalten der Eltern durch Leistungsdruck und stetigen<br />
Wettbewerb zu ernsthaften Problemen führen. Ist der Mensch<br />
in sich selbst verunsichert und orientierungslos, so kann Neid in<br />
hasserfülltes Streben ausarten. <strong>Der</strong> Betroffene nimmt sich minderwertig<br />
wahr und versucht, die innere Abwertung zu kompensieren,<br />
indem er den vermeintlich Bevorzugten diffamiert, auch bekämpft.<br />
Konflikte, Intrigen, Mobbing, die Folgen können massiv sein. Neidforscher,<br />
wie Rolf Haubl vom Sigmund-Freud-Institut, warnen: „Tolerant<br />
kann nur jemand sein, der so gefestigt in der eigenen Position<br />
ist, dass ihn die Begegnung mit etwas Fremdem nicht erschüttert.“<br />
Sonst stelle jedes Anderssein das Selbstsein in Frage und sei latente<br />
Bedrohung. Dann gehe der sich benachteiligt Fühlende auf andere<br />
los, teils im Kollektiv.<br />
Neid gibt es, immer und überall. Doch die Ausprägungen sind sehr<br />
verschieden, können von anspornender Wirkung bis zur Selbst- und<br />
Fremdzerstörung weit unterschiedlich wirken. Die Wurzeln werden<br />
früh gelegt. Selbstwert ist hier das Zauberwort. Eltern können viel<br />
tun, indem sie ihr Kind schätzen, stützen und gemeinsam nach<br />
Bewältigungsstrategien suchen. Loben kann helfen, aber nicht für<br />
die Highlights und Höchstleistungen, die errungen werden. Es sind<br />
die Zwischentöne wie Neigungen und Anstrengungen und die positiven<br />
Wesenszüge, die ein Kind schon alleine mit sich bringt, an<br />
denen es wächst und Wertschätzung erfährt. Sich selbst als etwas<br />
Besonderes begreifen, ermöglicht, zu eigenen Unzulänglichkeiten<br />
zu stehen.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Neusser</strong> 07.<strong>2011</strong>