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Juli 2011 - Der Neusser

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14<br />

Wir sind Familie<br />

„Die hat<br />

d r e i<br />

K i r -<br />

schen mehr, hab’s<br />

doch gesehen.“ Klar<br />

ist Tom schon satt<br />

und Kirschen mag<br />

er eh nicht besonders.<br />

Aber das ist<br />

kein Grund, seine<br />

Schwester zu bevorzugen.<br />

Genau wie<br />

gestern. „Schau mal<br />

wie putzig unsere<br />

Kleine in dem rosa<br />

Kleidchen aussieht?“,<br />

meinte Mama, stolz<br />

auf Anna und den<br />

neuen Einkauf. Und<br />

Tom: „Süß, wie ein<br />

Püppchen! Und<br />

ebenso strohdumm.“<br />

– Und Mama war<br />

sauer und die Stimmung<br />

dahin.<br />

Ja, darf man denn<br />

nicht eifersüchtig<br />

sein? Brave Jungs<br />

sind nicht neidisch.<br />

Hast du das verdient?<br />

Wo Neid wütet und Eifersucht quält<br />

Es ist das größere Tortenstückchen, die teure Markenjeans oder das<br />

hippe Videogame genauso wie Erfolg, Begabung oder Attraktivität:<br />

<strong>Der</strong> eine hat’s, der andere nicht, oder glaubt zumindest benachteiligt zu<br />

sein. Ruck, zuck ist es mit der Friedseligkeit dahin. Ein kleiner quälender<br />

Geist namens Neid keimt auf und treibt sein Unwesen. Eifersucht<br />

ist nicht gesellschaftsfähig und wird gern verleugnet, aber dennoch<br />

kennt sie jeder. Ein Grund zur Besorgnis oder eine allzu menschliche,<br />

harmlose Regung? Warum neiden wir; und darf mein Kind eifersüchtig<br />

sein? Marion Stuckstätte<br />

Schon gar nicht auf die eigene Schwester. – Stopp. Das ist Quatsch.<br />

Das ahnen wir und das sagen auch die Fachleute. Wer Geschwister<br />

hat, der wird sich an ihnen messen. Neidgefühle und Geschwisterrivalität<br />

sind unvermeidlich. Wird der Erstgeborene „entthront“, so<br />

braucht er Zeit, um sich neu zu positionieren. Das Selbstwertgefühl ist<br />

angekratzt, Psychologen sprechen hier von „narzisstischer Kränkung“.<br />

Wo der Kleine sich gerade noch durch uneingeschränkte Zuneigung<br />

in Allmachtgefühle bettet, wird er plötzlich von seinem Rang verdrängt,<br />

in Vergleich, vielleicht sogar in Konkurrenz gesetzt. Was sich<br />

da im frühesten Kindesalter vollzieht, findet im Laufe unseres Lebens<br />

immer wieder Anklang. Beschränkungen erfahren, Grenzen und eigene<br />

Unzulänglichkeiten erkennen, all das kann sehr schmerzhaft sein.<br />

Erst sind es die Dinge, die ein anderer hat, dann die Leistungen, die er<br />

vollbringt, später herausragende geistige und charakterliche Stärken<br />

eines anderen, die am eigenen Ego nagen. Neid ist vorprogrammiert.<br />

Die Persönlichkeit muss reifen, um mit Selbstvertrauen und Selbstbeherrschung<br />

dem störenden Unbehagen Herr zu werden.<br />

Selbstachtung bringt Kraft gegen Vergleiche<br />

Kleinkinder können das noch nicht. Mit etwa 2 Jahren entwickeln sie ein<br />

Ich-Bewusstsein und beginnen sich einzuordnen, indem sie sich vergleichen.<br />

Auch wenn Eltern nach Gleichbehandlung streben, gibt es immer<br />

Unterschiede. Und das ist okay. Jedes Kind ist anders, jedes hat seine eigenen<br />

Bedürfnisse, Fähigkeiten und Schwächen. Gleichstellung ist nicht<br />

gleichbedeutend mit Gerechtigkeit. Es bedarf viel Fingerspitzengefühl,<br />

um die kleinen Individuen zu stärken und fair zu behandeln. Eifersucht<br />

lässt sich nicht verhindern, muss aber nicht zwingend schädigend sein.<br />

„Ist doch läppisch, das kann ich locker!“, kann auch anspornen. Aus<br />

dem Vergleich bilden sich Werte und können Ziele geformt werden,<br />

Kinder loben, für das, was sie sind,<br />

nicht nur was sie leisten<br />

Foto: Marion Stuckstätte<br />

z.B. sportliche oder<br />

schulische Leistungen<br />

zu verbessern,<br />

sich mehr zu pflegen<br />

oder auf etwas zu<br />

sparen. Nur sollten<br />

Eltern Neid nicht bedienen.<br />

„Hör auf zu<br />

quengeln, ich kaufe<br />

es dir ja“, bringt<br />

nichts. Vielmehr<br />

benötigt das Kind<br />

Aufmerksamkeit,<br />

um ein Selbstwertgefühl<br />

aufzubauen<br />

und damit Begrenzungen<br />

der eigenen<br />

Person zu akzeptieren.<br />

Wer das nicht<br />

lernt, nicht stark genug<br />

wird, positives<br />

Lebensgefühl aus<br />

eigenen Ressourcen<br />

zu entwickeln, läuft<br />

Gefahr, sich am Messen<br />

zu anderen aufzureiben<br />

und kann<br />

kaum glücklich und<br />

zufrieden leben.<br />

Das geht einen Schritt nach dem anderen, kann bei fehlender Hilfestellung<br />

oder Fehlverhalten der Eltern durch Leistungsdruck und stetigen<br />

Wettbewerb zu ernsthaften Problemen führen. Ist der Mensch<br />

in sich selbst verunsichert und orientierungslos, so kann Neid in<br />

hasserfülltes Streben ausarten. <strong>Der</strong> Betroffene nimmt sich minderwertig<br />

wahr und versucht, die innere Abwertung zu kompensieren,<br />

indem er den vermeintlich Bevorzugten diffamiert, auch bekämpft.<br />

Konflikte, Intrigen, Mobbing, die Folgen können massiv sein. Neidforscher,<br />

wie Rolf Haubl vom Sigmund-Freud-Institut, warnen: „Tolerant<br />

kann nur jemand sein, der so gefestigt in der eigenen Position<br />

ist, dass ihn die Begegnung mit etwas Fremdem nicht erschüttert.“<br />

Sonst stelle jedes Anderssein das Selbstsein in Frage und sei latente<br />

Bedrohung. Dann gehe der sich benachteiligt Fühlende auf andere<br />

los, teils im Kollektiv.<br />

Neid gibt es, immer und überall. Doch die Ausprägungen sind sehr<br />

verschieden, können von anspornender Wirkung bis zur Selbst- und<br />

Fremdzerstörung weit unterschiedlich wirken. Die Wurzeln werden<br />

früh gelegt. Selbstwert ist hier das Zauberwort. Eltern können viel<br />

tun, indem sie ihr Kind schätzen, stützen und gemeinsam nach<br />

Bewältigungsstrategien suchen. Loben kann helfen, aber nicht für<br />

die Highlights und Höchstleistungen, die errungen werden. Es sind<br />

die Zwischentöne wie Neigungen und Anstrengungen und die positiven<br />

Wesenszüge, die ein Kind schon alleine mit sich bringt, an<br />

denen es wächst und Wertschätzung erfährt. Sich selbst als etwas<br />

Besonderes begreifen, ermöglicht, zu eigenen Unzulänglichkeiten<br />

zu stehen.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Neusser</strong> 07.<strong>2011</strong>

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