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Juli 2011 - Der Neusser

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Literarischer Sommer mit prominenten Gästen<br />

Käfige des Lebens und Reisen ans Ende der Welt<br />

Foto: Anita Affentranger<br />

Auf fünf Erdteilen war Roger Willemsen unterwegs, erkundete<br />

Vulkanlandschaft in Sibirien und Gefängnisleben in Chile, war<br />

an Bord eines russischen Eisbrechers oder Schiffsinsasse auf<br />

dem Pazifik. Reiseerfahrungen jenseits des Massentourismus brachte<br />

er von den fernen Welten mit nach Hause; beseelte, schockierende<br />

und anrührende Erlebnisse. Es waren unpopuläre, einsame Orte, die er<br />

besuchte und kuriose Menschen, denen er begegnete. Es waren seine<br />

ganz eigenen Enden der Welt, geografisch wie subjektiv. Enden der<br />

Illusion, der Ordnung und der Verständigung, auch der Liebe. Und mit<br />

diesen Reisen an die Grenzen des Seins findet er sich wieder unter den<br />

Mitbestreitern des Festivals. Denn es sind die Randzonen der Existenz,<br />

die auf dem Festival einen großen Raum einnehmen. In Nicol Ljubis<br />

Roman „Meeresstille“ ist es eine Liebe in Deutschland, die von politischen<br />

Geistern belagert wird. Robert liebt Ana und Ana liebt ihn. Sie<br />

sind in Berlin und der Jugoslawien-Krieg ist lange vorbei. Doch Ana ist<br />

Serbin, Robert Kroate, und auch wenn Robert sich noch nie wirklich<br />

mit seiner Herkunft beschäftigt hat, so spürt er die Last serbischer<br />

Kriegsverbrechen bis in seine Welt.<br />

Auch Guy Helminger begibt sich auf die Spuren des Lebens fernab<br />

der Heimat. Gleich zwei Zeitebenen und zwei Erzählstränge bindet<br />

er in seinem Buch „Neubrasilien“ zu einem. Hier die Bauerntochter<br />

Josette, die sich 1828 auf den Weg von Luxemburg nach Brasilien begibt.<br />

Daneben Tiha mit ihrer Familie, die kurz vor der Wende zum<br />

21. Jahrhundert aus dem kriegszerstörten Montenegro nach Luxemburg<br />

zieht. 170 Jahre liegen zwischen ihnen, aber die Suche nach Gemeinschaft<br />

und einem besseren Leben vereint sie; genauso wie die<br />

Geschichte einer tiefen Sehnsucht nach heiler Welt.<br />

„Mein Abschied vom Himmel“ heißt es bei Hamed Abdel-Samad,<br />

wenn er von einem Muslim berichtet, der in seiner Kindheit sexuell<br />

missbraucht wird und sich als Erwachsener auf eine Reise durch<br />

Ägypten, Japan und Deutschland begibt, um Antworten auf die quälenden<br />

Fragen seiner Vergangenheit zu finden. In seinem Buch begegnet<br />

er Marxisten, Fundamentalisten, Buddhisten und Psychologen,<br />

die ihm Orientierung geben sollen. Er hält Orient und Okzident<br />

gleichermaßen den Spiegel vor, berichtet am Beispiel seines eigenen<br />

Lebens von Spannungen und Konflikten, wie sie in jeder Kultur bei<br />

näherer Betrachtung zum Vorschein kommen.<br />

20 Autoren sind auf dem Festival zu Gast. Oliver Uschmann erzählt<br />

von Sven, der am Ziel angekommen ist: ganz unten. Diane Broeckhoven<br />

schreibt über den 36-jährigen Sylvain, der mit <strong>Juli</strong>enne und<br />

Gaby lebt; seiner Mutter und seiner Schildkröte. Und Ralf Husmanns<br />

<strong>Der</strong> <strong>Neusser</strong> 07.<strong>2011</strong><br />

<strong>Neusser</strong> Kultur<br />

Ist es der Nordpol, der eine Grenze fürs menschliche Dasein setzt?<br />

Oder ist es das Bordell in Bombay, in dem sich eine von Aids gezeichnete<br />

Frau zum Kauf anbietet? „Die Enden der Welt“ nennt<br />

Roger Willemsen solche Orte, die er bereiste, um die Limits des<br />

Lebens zu erkunden. Mit der Lesung aus seinem ganz besonderen<br />

Reiseführer eröffnet er am Montag, den 11.7. den Literarischen<br />

Sommer <strong>2011</strong>. Zehn Städte beteiligen sich am deutsch-niederländischen<br />

Literaturfestival, das zum 12. Mal, diesjährig unter der Leitung<br />

der <strong>Neusser</strong> Stadtbibliothek, stattfindet. Ein anspruchsvolles<br />

und spannendes Programm mit 26 Veranstaltungen, gestaltet von<br />

räumlichen und literarischen „Grenzgängern“, wie dem Preisträger<br />

der Leipziger Buchmesse Clemens J. Setz. Marion Stuckstätte<br />

Roman „Vorsicht vor Leuten“ erzählt von Lorenz, dem Sachbearbeiter,<br />

der sich vom Leben nicht alles gefallen lässt. Seine Frau hat ihn<br />

verlassen, drum erntet sie Drohgedichte. Seine Kollegen mögen ihn<br />

nicht, daher tut er alles, dass es so bleibt.<br />

Wie skurril mögen Menschen sein, wie verzweifelt manch Lebensweg,<br />

das zeichnen die Beiträge in verschiedensten Facetten. Mal sind es die<br />

Kriege, die sie dahin bringen, die territorialen und die menschlichen.<br />

Häufig sind sie es auch selbst. Und schnell findet sich der Einzelne im<br />

Extremstadium wieder; gelähmt, verlassen und im Alltag versteckt.<br />

Unter dieser Prämisse darf ein Buch auf dem Festival nicht fehlen und<br />

glücklicherweise kommt der Autor auch nach Neuss: Clemens J. Setz.<br />

18 Geschichten in einem Band mit leicht verstaubtem Titel „Die Liebe<br />

zur Zeit des Mahlstädter Kindes“ bringt er mit. Das mag sich seltsam<br />

anhören und entspricht nicht ganz dem, was der Buchmarkt sonst<br />

derzeit zu betiteln hat. Es ist nicht frisch, im Sinne von leicht, nicht<br />

jung, im Sinne von frech. Doch der Name, der dahinter steht, mischt<br />

das Literaturgeschäft mit kühner, ungesüßter Eigenart gerade kräftig<br />

auf. Ob FAZ, ob Die Zeit, sie alle haben den jungen österreichischen<br />

Autor längst für sich entdeckt, seine außergewöhnliche Gabe, Welt in<br />

düster beklemmende, poetisch fesselnde Bildgewalt zu sperren. Ein<br />

Hauch von Beckett<br />

schwebt durch seine<br />

Seiten. Auf der<br />

Leipziger Buchmesse<br />

wurde er<br />

in diesem Jahr für<br />

sein Können ausgezeichnet.<br />

Am 12.<br />

August ist Clemens<br />

J. Setz im Rahmen<br />

des Literarischen<br />

Sommers <strong>2011</strong> zu<br />

Gast in der <strong>Neusser</strong><br />

Stadtbibliothek.<br />

(Nähere Infos zum<br />

Programm, den<br />

Veranstaltungsstätten<br />

und den<br />

Preisen unter<br />

www.literarischersommer.eu<br />

)<br />

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