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Schöne Sache, Erfolg. - Konzerthaus Dortmund

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AnFAng Und EndE AllEr MUSiK<br />

WErKE Für KlAviEr von JoHAnn SEBASTiAn BAcH<br />

»Wenn ich nur ein Werk auf die einsame insel mitnehmen darf«, sagte einst der Komponist<br />

györgy ligeti, »so wähle ich Koroliovs Bach, denn diese Platte würde ich, einsam verhungernd<br />

und verdurstend, bis zum letzten Atemzug immer wieder hören.« das ist schon mehr als<br />

ein Kompliment für den russischen, heute in Hamburg lebenden Pianisten Evgeni Koroliov.<br />

doch dieser ist sich seiner verantwortung bewusst – nicht nur ligeti gegenüber, sondern<br />

auch Johann Sebastian Bach. in Koroliovs Spiel stehen Kalkül und Emotion in meisterhafter<br />

Balance zueinander, weshalb Bachs Musik und auch andere niemals nur reine »Ergetzlichkeit<br />

der ohren« oder »bloßes divertissement der gedanken« sein werden, sondern stets eine<br />

existenzielle Aussage.<br />

Werke von Bach und chopin hat Koroliov gewählt; zwei Komponisten, die stilistisch auf<br />

den ersten Blick wenig zu verbinden scheint. doch chopin war ein großer Bach-Bewunderer,<br />

die Präludien und Fugen aus dem »Wohltemperierten Klavier« spielte er mit großer Wonne –<br />

bestimmt auch Bachs chromatische Fantasie und Fuge d-moll BWv 903, doch dies ist nicht<br />

überliefert. Es hätte zu ihm gepasst, denn welcher Klaviervirtuose wollte nicht mit Bachs<br />

aufregendem, ungeheuerlich expressivem Meisterstück glänzen? »Unendliche Mühe habe ich<br />

mir gegeben, noch ein Stück dieser Art von Bach aufzufinden«, schrieb bereits Bachs erster<br />

Biograf Johann nikolaus Forkel. »Aber vergeblich. diese Fantasie ist einzig und hat nie ihresgleichen<br />

gehabt.« Kühn und ekstatisch, regelrecht entfesselt fantasiert Bach in auf- und<br />

abjagenden zweiunddreißigstel-läufen durch den ganzen, dank wohltemperierter Stimmung<br />

neu gewonnenen tonalen und harmonischen raum, krönt die Fantasie mit einem fulminant<br />

pompösen Schluss und leitet zu einer Fuge über, die einen faszinierenden gegenpol bildet.<br />

Bachs Autograf ging leider verloren, das Werk aber stammt aus den ruhigen Jahren zwischen<br />

1717 und 1723, in denen Bach als Kapellmeister dem Fürsten leopold von Anhalt in Köthen<br />

bei Halle diente.<br />

der Hof in Köthen war kalvinistisch, doch der Fürst von liberaler gesinnung – was seine<br />

Untertanen nicht daran hinderte, religiöse Streitereien am Hofe anzuzetteln. Ausnahmsweise<br />

mischte sich Bach nicht ein und begnügte sich damit, die Wünsche des Fürsten zu erfüllen,<br />

den er gar einen die »Music sowohl liebenden auch als kennenden Fürsten« nannte. überhaupt<br />

war Bachs Stellung in Köthen glänzend; man bedenke, dass er das gleiche gehalt wie<br />

der Hofmarschall bezog, nämlich vierhundert Taler! Und da der Fürst ihm alle erdenklichen<br />

Freiheiten ließ, fand Bach zeit, unablässig zu komponieren. neben der chromatischen Fantasie<br />

entstanden unter anderem Teile des »Wohltemperierten Klaviers« Teil i, die Brandenburgischen<br />

Konzerte und die Französischen Suiten. überschattet wurden diese Jahre allerdings<br />

10i11<br />

durch den Tod von Bachs Frau Maria Barbara, die am 20. Juni 1720 starb. in diesem schweren<br />

Kummer suchte er Trost in der Arbeit, instinktiv reagierte er nach jedem Unglück so. Bald<br />

aber sollte Bach wieder seine Mitte finden mit Anna Magdalena Wilcken, der Tochter eines<br />

Hoftrompeters, die er im dezember 1721 ehelichte.<br />

Bach widmete der seinerzeit erst 20 Jahre jungen Frau ein erstes von zwei »Klavierbüchlein«.<br />

darin finden sich in seiner eigenen Handschrift die Frühfassungen seiner Französischen<br />

Suiten 1 bis 5. Später hat er sie überarbeitet und eine sechste hinzugefügt. die Suite bezeichnet<br />

eine meist lose gefügte Folge von überwiegend kurzen tanzartigen Stücken oder Tänzen;<br />

für sie gilt als allgemeines Kennzeichen – im gegensatz zur Sonate – die Einheit der Tonart<br />

(Ausnahme: die trioartigen Teile) sowie der Besetzung. in der Suite kann der Barock seinem<br />

Wesen gemäß allerlei Kontraste miteinander vereinen: Hoftänze finden sich neben volkstänzen,<br />

deutsches neben Französischem, italienisches neben Spanischem und Englischem,<br />

langsames trifft auf Schnelles. das grundschema der Suite lautete meist: Allemande, courante,<br />

Sarabande und gigue. dazwischen fügte Bach bei der hier interpretierten Suite nr. 5 in<br />

g-dur BWv 816 drei weitere Tänze ein.<br />

zu Beginn schreitet eine Allemande im gemessenen 4/4-Takt daher. »das Bild eines zufriedenen<br />

oder vergnügten gemüts, das sich an guter ruhe und ordnung erfreut. [...] Eine<br />

ehrliche teutsche Erfindung«, fand der Musikkritiker Johann Mattheson. Mehr gelaufen als<br />

gesprungen schließt sich die courante (italienisch »corrente«: »läufer«) im 3/4-Takt an, gefolgt<br />

von der Sarabande. über ihren Ursprung wurden abenteuerliche versionen verbreitet:<br />

Sie sei von Seefahrern und Piraten aus der karibischen Heimat nach Spanien gebracht, dort<br />

aber von weltlichen wie geistlichen instanzen entsetzt als unmoralisch abgestempelt worden.<br />

Sie galt als spanischer volkstanz sehr freizügigen charakters. Wie sie an den französischen<br />

Königshof kam, ist unklar. dort wurde sie »gezähmt« und erschien als vornehmer, ernster, ja<br />

langsamer Hoftanz in gemessenem dreiertakt und mit einer drehung auf dem zweiten Taktteil.<br />

Als solchen begreift auch Bach die Sarabande. Auf sie folgt eine gavotte; sie soll angeblich<br />

aus der Umgebung der Stadt gap im département Hautes-Alpes stammen, in der sich die<br />

Bewohner »gavots« nennen. Sie steht im geraden Takt und enthielt einst viele Sprünge, die<br />

bei ihrem Aufstieg zum Hoftanz entfielen. danach folgt eine Bourrée. Ursprünglich ein froher,<br />

ländlicher Tanz in Frankreich, soll ihr name angeblich vom französischen »branler« (»wanken«)<br />

kommen. denkbar, dass die Bauern zu den brummenden, fast pedantisch abrollenden<br />

Bassfiguren die Weintrauben zerstampften. Auf die ebenfalls französische loure im 6/4-Takt<br />

folgt als wirbelnder Schlusssatz eine gigue im 12/16-Takt. ihr Ursprung wurde durch legenden<br />

ausgeschmückt. Sie scheint aus England zu stammen, deutsche suchten den namen von<br />

»giga«, dem Urwort von geige, abzuleiten. Wahrscheinlicher ist es, dass er von »jig« abstammt,<br />

einem Wort, das erstmals in Shakespeares »Much Ado about nothing« (»viel lärm um nichts«)<br />

WErKE

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