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Ludwig Mies van der Rohe, Brünn \(Tschechei\), Villa ... - home

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<strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong><br />

<strong>Villa</strong> Tugendhat in <strong>Brünn</strong><br />

1928-1930<br />

Bauhaus-Universität Weimar<br />

Lehrgebiet: Architekturtheorie<br />

Seminarleiterin: Dörte Kuhlmann<br />

Bearbeiterin: Iris Karstädt<br />

SRP/96/K<br />

Datum: 09.07.1998 SS 1998


„Der unverrückbare Wille, auf alles Nebensächliche zu verzichten, nur das Wesentliche zum Gegenstand <strong>der</strong><br />

Gestaltung zu machen, dieser Wille, sich nur auf klare Struktur zu beschränken, ist nicht nur eine Begrenzung,<br />

son<strong>der</strong>n auch eine große Hilfe. Struktur ist ein konstruierter Zusammenhang, eine sinnvoll in allen Einzelheiten<br />

durchdachte konstruktive Gestalt.“ 1 Diese Aussage formulierte <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong> und gelangte so zu einem<br />

Prinzip für seine Architektur: „Weniger ist mehr“.<br />

Werner Blaser äußerte sich über die Raumvorstellungen von <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>. Sie sind vielleicht ganz hilf-<br />

reich, um seine Bauwerke zu verstehen. „Die Überwindung <strong>der</strong> Spannung zwischen Innen und Außen ist also für<br />

den Baumeister in erster Linie eine menschlich-philosophische Aufgabe; es geht darum, eine Kontinuität von<br />

Raum zu erreichen. In einer begrenzten vorläufigen Form beginnt das Aufgeben <strong>der</strong> Schachtelung von Räumen,<br />

etwa beim Übergang von Arbeitszellen zu flexiblen, vielfach „lebbaren“ Großraum bei <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong> und<br />

es setzt sich fort im Bestreben, die geschlossene Körperlichkeit <strong>der</strong> Abgrenzung aufzulösen und eine Integration<br />

von Innen und Außen zu suchen. 2 Die Durchsichtigkeit von Raumbegrenzung führt im Extrem zur Skelettbau-<br />

weise, in <strong>der</strong> Glas zum den Zwischenraum füllenden Material wird: Solche Art von „Wand“ ist wie eine atmende<br />

Haut zwischen dem wohnenden Menschen und dem Außenraum.“ 3<br />

Ein entscheiden<strong>der</strong> Vorläufer für <strong>Mies</strong> könnte die Schule von Chicago sein, denn ihre Mitglie<strong>der</strong> sind die Pionie-<br />

re <strong>der</strong> Stahlskelettkonstruktion. 4 Die neuen Bauwerke <strong>der</strong> Chicagoer Architekten wurde durch eine Reihe techni-<br />

scher Erfindungen ermöglicht. Die Konstruktion mit Stahlskelett von Baron Jenney erlaubte es die Wände durch<br />

nahezu fortlaufende Fensterscheiben zu durchbrechen, um Licht in die Bauten einzulassen. 5 Diese Erfindungen<br />

konnten später <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>s Architekturkonzept verwirklichen.<br />

Das Werk <strong>Ludwig</strong> <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>s nach 1923 zeigt drei wichtige Einflüsse:<br />

1. die Backsteintradition Berlages und die Überzeugung, daß nichts gebaut werden sollte, was nicht klar kon-<br />

struiert ist;<br />

2. das Werk Frank Lloyd Wrights vor 1910, nachdem es durch den Filter <strong>der</strong> De Stijl-Gruppe gegangen war –<br />

ein Einfluß, <strong>der</strong> sich in den horizontal ausgreifenden Elementen manifestiert;<br />

3. Kasimir Malewitschs Suprematismus, interpretiert durch das Werk El Lissitzkys. Der Suprematismus führte<br />

<strong>Mies</strong> zur Entwicklung des freien Grundrisses. Der freie Grundriß tauchte in aller Konsequenz zum erstenmal bei<br />

dem Barcelona-Pavillon von 1929 auf.<br />

1<br />

Werner Blaser, <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong> – Die Kunst <strong>der</strong> Struktur, Artemis Verlag für Architektur, Zürich, 1965,<br />

S.10<br />

2<br />

Werner Blaser, West meets East – <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>, Birkhäuser-Verlag, Basel, 1996, S. 11<br />

3<br />

Werner Blaser, West meets East, S. 12<br />

4<br />

Kenneth Frampton, Die Architektur <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne: eine kritische Baugeschichte, Deutsche Verlags-Anstalt,<br />

Stuttgart, 1995, [Aus dem Englischen übertragen von Antje Pehnt], S. 46<br />

5<br />

Leonardo Benevolo, Geschichte <strong>der</strong> Architektur des 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, 1. Band, Verlag Georg D. W.<br />

Callwey, München, 1964, S. 274<br />

-2-


1927 schrieb <strong>Mies</strong> über sein Haus in Weißenhofsiedlung: „ [...] Diese immer steigende Differenzierung unserer<br />

Wohnbedürfnisse aber for<strong>der</strong>t auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite größere Freiheit in <strong>der</strong> Benützungsart. [...] Der Skelettbau ist<br />

hierzu das geeignetste Konstruktionssystem. Er ermöglicht eine rationelle Herstellung und läßt <strong>der</strong> inneren<br />

Raumaufteilung jede Freiheit. Beschränkt man sich darauf, lediglich Küche und Bad ihrer Installation wegen als<br />

konstante Räume auszubilden und entschließt man sich dann noch, die übrige Wohnfläche mit verstellbaren<br />

Wänden aufzuteilen, so glaube ich, daß mit diesen Mitteln jedem berechtigten Wohnanspruch genügt werden<br />

kann.“ 6<br />

Diese Aussagen hätten genauso für die <strong>Villa</strong> Tugendhat von <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong> ausgesprochen werden.<br />

Sie ist ein Meisterwerk, das <strong>Mies</strong> nach <strong>der</strong> Fertigstellung <strong>der</strong> Weißenhofsiedlung um 1930 schuf. In dieser <strong>Villa</strong><br />

werden die Prinzipien des Barcelona-Pavillons auf ein Wohnhaus übertragen.Man kann sie auch als Versuch<br />

sehen, die geschichtete, mit Raumkompartimenten arbeitende Planung von Wrights Haus Robie – wo <strong>der</strong> Block<br />

mit den Nebenräumen hinter den Hauptwohnbereich gleitet – mit <strong>der</strong> typischen Loggiaform von Schinkels ita-<br />

lienisierenden Villen zu vereinen. 7<br />

Das Haus Tugendhat in <strong>Brünn</strong> ist das einzige größere Wohnhausprojekt, das <strong>Mies</strong> nach 1929 verwirklichen<br />

konnte. Ein Schlüsselbauwerk des Neuen Bauens, das <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nen Architektur entscheidende Impulse vermit-<br />

telt hat. 8 Walter Gropius nannte dieses Bauwerk ein „Sonntagshaus“. 9 Den Auftrag erhielt <strong>der</strong> Architekt 1928<br />

von dem Ehepaar Fritz und Grete Tugendhat. In Anlehnung an ein bestehendes Haus von <strong>Mies</strong> (Haus Wolf)<br />

hatte man auch für <strong>Brünn</strong> zunächst einen Klinkerbau in Erwägung gezogen. Da jedoch in diesem Teil Mährens<br />

eine entsprechende Tradition im Umgang mit vergleichbaren Materialien fehlte und somit im näheren Umkreis<br />

we<strong>der</strong> erfahrene Fachkräfte noch Verblendsteine von ausreichen<strong>der</strong> Qualität zur Verfügung standen, nahm <strong>Mies</strong><br />

von diesem Vorhaben bald wie<strong>der</strong> Abstand.<br />

Inwieweit die Bauherrn <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>s Entwurfskonzept verän<strong>der</strong>ten, zeigt die folgende Darstellung von<br />

Frau Tugendhat. »Der Plan gefiel uns aber sehr, wir baten <strong>Mies</strong> nur um drei Dinge, die er alle zusagte. Erstens,<br />

die Eisenstützen im oberen Stockwerk, also in den Schlafzimmern, sollten nicht, wie er geplant hatte, frei im<br />

Raum stehen, son<strong>der</strong>n in die Wände gelegt werden, weil wir Angst hatten, man würde sich in den kleinen Räu-<br />

men an ihnen stoßen. Zweitens, das Badezimmer, das freiliegend zwischen unseren beiden Schlafzimmern ge-<br />

plant war, so daß unsere Zimmer einen ungetrennten Raum bildeten - so wie es später in <strong>der</strong> Wohnung auf <strong>der</strong><br />

Berliner Bauausstellung verwirklicht war -, sollte abgetrennt und durch einen kleinen Vorraum zugänglich wer-<br />

den. Drittens sollten alle Fenster einen ausreichenden Sonnenschutz bekommen, da wir Angst hatten, die Räume<br />

würden sonst im Sommer zu heiß sein.<br />

6<br />

Kenneth Frampton, S. 142<br />

7<br />

Kenneth Frampton, S. 143<br />

8<br />

Wolf Tegethoff, <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong> – Die Villen und Landhausprojekte, Verlag Richard Bacht, Essen, 1981,<br />

S.90<br />

9<br />

Janos Bonta, <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>, Gemeinschaftsherausgabe des Henschelverlags Kunst und Gesellschaft, Ber-<br />

lin, 1983, S. 15<br />

-3-


Auf alle diese For<strong>der</strong>ungen ging <strong>Mies</strong>, wie gesagt, ohne weiteres ein. Als hingegen mein Mann bei einer späte-<br />

ren Unterredung sich dagegen wandte, daß alle Türen vom Boden bis zur Decke reichen sollten, weil sogenannte<br />

Fachleute ihm eingeredet hatten, diese Türen würden sich werfen, entgegnete <strong>Mies</strong>: „Dann baue ich nicht“.Hier<br />

war ein wesentliches Prinzip des Baues in Frage gestellt, und da ließ er nicht mit sich sprechen.«<br />

Das auf einer Anhöhe im Norden <strong>der</strong> Stadt gelegene Grundstück bietet einen freien Blick auf <strong>Brünn</strong>. 10 Als prob-<br />

lematisch erwies sich die topographische Situation des Geländes, das nach Süden zu steil abfällt. Ein breit gela-<br />

gerter Komplex, wie ihn die frühen Landhausentwürfe zeigen, schied somit von vornherein aus. Statt dessen<br />

entstand hier eine kompaktere, zweigeschossige Anlage, die mit ihrer Rückfront stellenweise in den Hang ein-<br />

schneidet o<strong>der</strong> sich doch zumindest eng, an ihn anlehnt. Das untere Hauptgeschoß, das nicht über Straßenniveau<br />

hinausragt, bleibt dadurch dem Auge vorerst verborgen, da <strong>der</strong> sich von Norden nähernde Besucher zunächst nur<br />

die oberen Aufbauten wahrnimmt.<br />

Man gelangt somit zu ebener Erde sogleich auf die Dachterrasse, die sich gegen die Straße hin zu einem Vor-<br />

platz erweitert. Rechts ist die Garage bis zum Gehweg vorgezogen. Sie wurde mit <strong>der</strong> angrenzenden Chauf-<br />

feurswohnung zu einem rechteckigen Baublock zusammengefaßt, <strong>der</strong> bis auf eine unauffällige Seitentür keine<br />

Verbindung zur Terrasse besitzt. Die Wohnung des Chauffeurs ist von <strong>der</strong> Straße aus über eine an ihrer West-<br />

wand verlaufende balkonartig auskragende offene Galerie zu erreichen, zu <strong>der</strong> auch die Fenster hinausliegen.<br />

Der quer zum Gesamtkomplex gerichtete Trakt wirkt vollkommen in sich abgeschlossen und hebt sich im<br />

Grundriß scharf gegen den übrigen, komplexer gestalteten Teil des Obergeschosses ab. Zwischen beiden er-<br />

streckt sich zum vor<strong>der</strong>en Rand <strong>der</strong> Plattform ein etwa fünf bis sechs Meter breiter, gedeckter Durchgang.<br />

Der im Vergleich zum Garagentrakt ungefähr doppelt so große Südostflügel des Obergeschosses ist ausschließ-<br />

lich den Privaträumen <strong>der</strong> Tugendhats vorbehalten. Schlafzimmer und Bä<strong>der</strong> fügen sich jeweils zu einfachen<br />

rechteckigen Blöcken zusammen, die diesmal allerdings mit ihrer Breitseite zur Straße liegen. Die Raumgruppe<br />

an <strong>der</strong> Straße umfaßt ein Gäste- o<strong>der</strong> Mädchenzimmer mit Bad und Trockenkammer sowie einen von <strong>der</strong> Ein-<br />

gangshalle abgeson<strong>der</strong>ten Korridor, <strong>der</strong> zugleich die angrenzenden Kin<strong>der</strong>zimmer erschließt. Diese wie<strong>der</strong>um<br />

sind zu einem länglichen Riegel aneinan<strong>der</strong>gereiht.<br />

Es folgt <strong>der</strong> Elterntrakt. Er, ebenfalls mit Diele und Bad, ist zwischen zwei in die Wände eingelassene Stützen-<br />

reihen gespannt. Hier findet man keinerlei tektonischen Bezug auf das Untergeschoß, über dem <strong>der</strong> Körper frei<br />

zu schweben scheint. Ein kleiner Flur, durch den man vom Vestibül aus direkt auf die vor<strong>der</strong>e Dachterrasse<br />

gelangt, setzt die Schlafzimmer gegen die vor<strong>der</strong>e Raumgruppe ab und betont auch hier die Eigenständigkeit <strong>der</strong><br />

Trakte, die jedoch über den Flur miteinan<strong>der</strong> verbunden bleiben. Dieser ist seitlich durch Türen abgeteilt, wobei<br />

die äußere verglast, die innere in die Holzvertäfelung <strong>der</strong> Eingangshalle einbezogen ist, so daß man beim Durch-<br />

queren des Ganges von dort aus nicht gesehen werden kann. 11<br />

10 Wolf Tegethoff, S. 91<br />

11 Wolf Tegethoff, S. 92<br />

-4-


Mit Ausnahme des Gästezimmers, das als einziges nach Osten weist, öffnen sich sämtliche Räume nach Süden.<br />

Zusätzlich verfügt je<strong>der</strong> über einen eigenen Zugang zur Dachterrasse. Die Fenster selbst entsprechen noch weit-<br />

gehend herkömmlichen Vorstellungen, was den oberen Aufbauten einen wandhaft-geschlossenen Charakter<br />

verleiht. Diesen Eindruck bestärkt nicht zuletzt die Anlage <strong>der</strong> Straßenfront, die hier als glatte, lediglich von<br />

einem schmalen Fensterstreifen durchbrochene Fläche ausgebildet ist.<br />

Um so nachdrücklicher hebt sich dagegen die Eingangshalle ab. Anstelle <strong>der</strong> weißen Stahlbetonwände treten nun<br />

rechteckige Milchglasscheiben. Sie laufen halbkreisförmig um die Treppe. Dahinter verbirgt sich die Haustür. 12<br />

Die Anordnung des Eingangs erfolgte in einer Weise, die an Frank Lloyd Wrights frühe Arbeiten denken läßt. 13<br />

Im Gegensatz zum einheitlichen Linoleumbelag <strong>der</strong> übrigen Räume erhielt die Halle einen Boden aus quadrati-<br />

schen Travertinplatten, <strong>der</strong> dem <strong>der</strong> Dachterrasse entspricht. Dabei findet zwischen Vestibül und gedeckter Vor-<br />

halle eine geringfügige Niveauverschiebung statt, die sich außen als schmales, vor dem Eingang zu einer Tritt-<br />

stufe verbreitertes Sockelband abzeichnet. Der einheitliche Travertinbelag wie die vollständig durch Glas ersetz-<br />

ten Außenwände kennzeichnen die Eingangshalle als Übergangszone zwischen Innen- und Außenraum - ein<br />

Motiv, das uns schon bei früheren Projekten <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>s begegnete.<br />

Der mächtige und leicht ausladende Kaminblock, <strong>der</strong> einen kräftigen Gegenakzent zur horizontalen Trauflinie<br />

des flachgestreckten Obergeschosses bildet, dient <strong>der</strong> Eingangshalle zugleich als Abschluß gegen die angrenzen-<br />

de Raumgruppe an <strong>der</strong> Staßenfront. Die Dachplatte ruht mit ihrer vor<strong>der</strong>en Hälfte auf zwei kreuzförmigen, bron-<br />

zeverkleideten Stützen, von denen die eine frei auf <strong>der</strong> äußeren Terrasse, die an<strong>der</strong>e im Drehpunkt <strong>der</strong> inneren<br />

Wendeltreppe steht. 14<br />

Im Obergeschoß wurde bewußt auf Axialität und spiegelbildliche Entsprechungen verzichtet. Die parallel aus-<br />

gerichteten o<strong>der</strong> rechtwinklig gegeneinan<strong>der</strong> verschobenen Blöcke fügen sich zu einem gleichmäßig verteilten<br />

geometrischen Muster, das sich nur scheinbar am Raster <strong>der</strong> Plattform orientiert. In Wirklichkeit aber bleibt es<br />

aus statischen Gründen vorwiegend an das punktförmige Stützensystem gebunden. Der asymmetrischen Mas-<br />

sengruppierung zum Trotz entsteht so ein in sich stabiles Gesamtgebilde mit festem Ordnungsschema, in dem<br />

jedes <strong>der</strong> aufeinan<strong>der</strong> abgestimmten Einzelelemente seinen festumrissenen und unverrückbaren Platz erhält und<br />

selbst die kleinste Verän<strong>der</strong>ung eine empfindliche Störung des harmonischen Gleichgewichts zu Folge hätte. Mit<br />

ihrer Ausgewogenheit erinnert die Komposition des oberen Grundrisses an das lineare Spiel <strong>der</strong> Wände bei <strong>Mies</strong><br />

<strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>s Landhaus aus Backstein. Der entscheidende Unterschied ist, daß anstelle <strong>der</strong> Wände nunmehr<br />

Volumen treten und das Ganze eher plastische Dimensionen erhält. 15<br />

Der räumliche Schwerpunkt des Hauses liegt ohne Frage im Wohnbereich (15x24m), <strong>der</strong> etwa zwei Drittel <strong>der</strong><br />

Grundfläche des unteren Hauptgeschosses in Anspruch nimmt und von <strong>der</strong> oberen Eingangshalle aus über die<br />

Wendeltreppe direkt zu erreichen ist.<br />

12 Wolf Tegethoff, S. 93<br />

13 David Spaeth, <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong> – <strong>der</strong> Architekt <strong>der</strong> technischen Perfektion, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart,<br />

1986, [Aus dem Amerikanischen übertragen von Antje Pehnt], S. 67<br />

14 Wolf Tegethoff, S. 93<br />

15 Wolf Tegethoff, S. 94<br />

-5-


Seine Südfront ist zum Garten auf ihrer gesamten Breite in voller Raumhöhe verglast, wobei sich zwei <strong>der</strong> grö-<br />

ßeren Scheiben ganz im Boden versenken lassen. Dadurch wird <strong>der</strong> Innenraum nach außen erweitert und gleich-<br />

zeitig die Natur ins Innere geholt. Den Abschluß nach Osten bildet ein schmaler Wintergarten. Am an<strong>der</strong>en Ende<br />

des Raumes gelangt man durch eine gläserne Außentür auf die untere Terrasse, von wo aus eine breite Freitreppe<br />

an <strong>der</strong> Hauswand entlang zum Garten führt.<br />

Diese tief in den Baukörper einschneidende Terrasse, über die die Brüstung <strong>der</strong> oberen Plattform als schmaler<br />

Wandstreifen gerade hinwegläuft, wie auch die Position <strong>der</strong> Treppe vor dem durchgehenden Fensterband des<br />

Hauptgeschosses plagiieren die Gartenfassade <strong>der</strong> <strong>Villa</strong> Stein in Garches von Le Corbusier, die bereits 1927<br />

fertiggestellt war. Das Innere des Erdgeschosses umfaßt eine lockere Folge von ineinan<strong>der</strong> übergehenden Raum-<br />

zonen. 16 Die asymmetrische Form des Grundrisses verlangte eine nicht richtungsbezogene Stützenform. Des-<br />

halb wählte <strong>Mies</strong> hier, wie schon beim Barcelona-Pavillon, kreuzförmige Stützen. 17<br />

Die tragende Funktion des Eisenskeletts gelangt nur im Hauptgeschoß zum Ausdruck. Im Obergeschoß wurden<br />

die Stützen ja auf beson<strong>der</strong>en Wunsch <strong>der</strong> Auftraggeber größtenteils in die Wände gesetzt. Wie beim Barcelona<br />

Pavillon sind auch im Tugendhat-Haus die einzelne Joche des Rasters nicht streng quadratisch ausgerichtet,<br />

son<strong>der</strong>n leicht in einer Richtung gedehnt. 18 Zur weiteren Glie<strong>der</strong>ung dient neben dem regelmäßigen Raster <strong>der</strong><br />

chromummantelten Stützen eine Wand aus Makassarholz, die den Eßplatz in einem etwas mehr als halbkreis-<br />

förmigen Raster umschließt, sowie eine freistehende Onyxwand im Rücken <strong>der</strong> Sitzgruppe. 19<br />

An<strong>der</strong>s als ihre Vorgängerin im Barcelona Pavillon besteht die hier aus massiven Blöcken gefüllte Marmorwand<br />

aus insgesamt fünf rechteckigen Platten von nur acht Zentimeter Stärke. Die Sitzgruppe ist leicht aus <strong>der</strong> Achse<br />

gerückt. Eine auf weißem Sockel ruhende Plastik von Wilhelm Lehmbruck ist auf die Sitzgruppe bezogen. Jen-<br />

seits <strong>der</strong> Onyxwand schließt <strong>der</strong> Arbeitsplatz des Hausherrn an, <strong>der</strong> in die Bibliothek übergeht. Zwischen dem<br />

Halbrund des Eßplatzes und dem unteren Treppenhals spannt sich eine von <strong>der</strong> Rückseite her beleuchtete Milch-<br />

glasscheibe, vor <strong>der</strong> ein kleiner Rauchtisch mit vier <strong>Brünn</strong>-Stühlen steht. Abschließend wäre noch ein im hinte-<br />

ren Teil des Raumes aufgestellter Flügel zu erwähnen. 20<br />

Der großzügige Wohnraum ist eine Weiterentwicklung des freien Grundrisses, <strong>der</strong> als erstes im Landhaus aus<br />

Backstein (1923) realisiert wurde. 21 Der Entwurf war ein Vesuch zeitgemäße Möglichkeiten <strong>der</strong> Raumgestaltung<br />

und -ordnung zu finden. 22 Der hier verwendete Einraum besitzt einen universalen Charakter, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Trag-<br />

und raumbegrenzenden Konstruktion geprägt wird, und eignet sich für verschiedenartige Funktionen und auch<br />

für mit <strong>der</strong> Zeit sich wandelnde Anfor<strong>der</strong>ungen.<br />

16 Wolf Tegethoff, S. 95<br />

17 Kenneth Frampton, S. 199<br />

18 Wolf Tegethoff, S. 95<br />

19 Wolf Tegethoff, S. 95<br />

20 Wolf Tegethoff, S. 96<br />

21 L. Hilberseimer, <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>, Copyright Paul Theobald and Company, Chicago, 1956, S. 62<br />

22 Janos Bonta, S. 13<br />

-6-


<strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>s universale, flexible Räume bestehen also aus zwei Konstruktionssystemen: <strong>der</strong> aus standort-<br />

gebundenen Elementen zusammengesetzten Tragkonstruktion und den wechselnden Bedürfnissen entsprechend<br />

versetzbaren Elementen. Sie lenken und begrenzen den fließenden Raum. 23 Diese Raumkonzeption ging zwar<br />

von Wright aus, war aber von <strong>der</strong> Sensibilität <strong>der</strong> G-Gruppe und den metaphysischen Raumvorstellungen <strong>der</strong> De<br />

Stijl-Gruppe beeinflußt. 24<br />

Einzelne Bereiche des <strong>Brünn</strong>er Wohnraumes lassen sich nach Bedarf durch an Schienen verlaufende Stoffbah-<br />

nen abteilen, ohne daß dadurch die Einheit des Ganzen gestört wäre. Bei Dunkelheit können Vorhänge vor <strong>der</strong><br />

Gartenfront zugezogen werden. Mit Arbeitszimmer und Bibliothek, Wintergarten, Musik- und Rauch-„Salon“<br />

entspricht das Raumprogramm des Tugendhat-Hauses allen Anfor<strong>der</strong>ungen einer großbürgerlichen <strong>Villa</strong> des<br />

ausgehenden neunzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />

Im Hinblick auf Erlesenheit und Vielfalt <strong>der</strong> Materialien (neben Makassar-Ebenholz, Chrom und honigelbem<br />

Onyx: smaragdgrünes Rindsle<strong>der</strong>, rubinroter Samt, weißes Pergament für die Stühle und Sessel, schwarzer Samt<br />

sowie schwarze und silbergraue Shantung-Seide für die Vorhänge) übertrifft die Ausstattung bei weitem die<br />

Vorstellung von nüchterner Sachlichkeit. 25 Das Haus Tugendhat wie schon <strong>der</strong> Barcelona-Pavillon demonstriert<br />

nicht nur <strong>Mies</strong>` meisterhafte Beherrschung des freien Grundrisses, son<strong>der</strong>n zeugten auch vom Einfluß <strong>der</strong> Mo-<br />

deentwerferin Lilly Reich. Vorher war <strong>Mies</strong> bei <strong>der</strong> Verwendung von Farben und Texturen zurückhaltend gewe-<br />

sen. Aber Lilly Reich konnte ihn zum Mut zur Farbe überreden.<br />

Die Innenausstattung stellte also eine kühne Mischung aus Farben und Materialien dar. 26 Die Möbel sind vom<br />

Architekten selbst entworfen worden: die Barcelona-Sessel und –Hocker, die Tugendhat-Armlehnstühle mit<br />

ihren verchromten Stahlrohrgestellen und Bezügen aus feinem Kalbsle<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Kaffeetisch mit X-förmigem<br />

Gestell aus verchromtem Stahl und dicker Glasplatte sowie die sogenannten MR-Stahlrohrstühle, die in Anleh-<br />

nung an die Modelle Marcel Breuers entstanden sind. 27<br />

Anstelle einer eingehenden Analyse <strong>der</strong> Bewohnbarkeit sollen hier die Einwohner <strong>der</strong> <strong>Villa</strong> selbst zu Wort<br />

kommen. Grete Tugendhat äußert sich folgen<strong>der</strong>maßen: „ [ ] Ich habe die Räume nie als pathetisch empfunden,<br />

wohl aber als streng und groß – jedoch in einem Sinn, <strong>der</strong> nicht erdrückt, son<strong>der</strong>n befreit. Diese Stenge verbietet<br />

ein nur auf Ausruhen und Sich-Gehen-Lassen gerichtetes Die-Zeit-Verbringen – und gerade dieses Zwingen zu<br />

etwas an<strong>der</strong>em hat <strong>der</strong> vom Beruf ermüdete und dabei leergelassene Mensch heute nötig und empfindet es als<br />

Befreiung. [...] Der Rhythmus des Raumes ist so stark, daß kleine Verän<strong>der</strong>ungen unwesentlich bleiben. 28<br />

[...] So wichtig auch die Verbundenheit von drinnen und draußen ist, so ist <strong>der</strong> Raum doch ganz geschlossen und<br />

ruht in sich -, die Glaswand wirkt in diesem Sinn vollkommen als Begrenzung. Wenn es an<strong>der</strong>s wäre, glaube ich<br />

selbst, daß man ein Gefühl <strong>der</strong> Unruhe und Ungeborgenheit hätte. So aber hat <strong>der</strong> Raum – gerade durch seinen<br />

Rhythmus – eine ganz beson<strong>der</strong>e Ruhe, wie sie ein geschlossenes Zimmer gar nicht haben kann.“<br />

23 Janos Bonta, S. 23<br />

24 Kenneth Frampton, S. 143<br />

25 Wolf Tegethoff, S. 96<br />

26 David Spaeth, S. 69<br />

27 Janos Bonta, S. 15<br />

28 Wolf Tegethoff, S. 97<br />

-7-


Fritz Tugendhat sagt über sein Haus: „ [...] Die einzelnen Plätze des Hauptraumes sind durch schwere Vorhänge<br />

hinreichend in geschlossene Räume zu verwandeln. [...] Einzelne Gesellschaftsgruppen stören sich nicht mehr<br />

als in den zimmergeteilten alten Häusern.“ 29<br />

Mo<strong>der</strong>ne Kritiker sind zu einer sehr positiven Einschätzung <strong>der</strong> <strong>Villa</strong> Tugendhat gekommen. Beispielsweise<br />

äußerte G. Grassi: „Das Haus Tugendhat ist ein Meisterwerk <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nen Bewegung, eine großartige Synthese,<br />

eine Arbeit <strong>der</strong> Kunst“. 30 Wie schon erwähnt besteht eine starke Ähnlichkeit zwischen den Gartenfassaden <strong>der</strong><br />

<strong>Villa</strong> Tugendhat und <strong>der</strong> <strong>Villa</strong> Stein in Garches von Le Corbusier. Doch auch im Konzept lassen sich weitere<br />

Gemeinsamkeiten entdecken.<br />

Bei <strong>der</strong> <strong>Villa</strong> Stein kann Le Corbusier endlich mit verhältnismäßig reichen Mitteln und einem geräumigen<br />

Grundstück arbeiten. Wie immer dient das Gebäude dazu, ein allgemeines Konzept zu demonstrieren, in diesem<br />

Fall die Fünf- Punkte-Theorie (Konstruktion aus Einzelpfeilern, <strong>der</strong> Dachgarten, freier Grundriß, freie Fassade,<br />

Fensterband im Querformat). 31 Allerdings treten die Fünf-Punkte in einer neuen Version auf: Pilotis (Stützen<br />

o<strong>der</strong> Pfeiler) gibt es nur im Inneren, wo sie einen Rhythmus schaffen. 32 Alle Punkte, die Le Corbusier in <strong>der</strong><br />

<strong>Villa</strong> in Garches verwirklichte, treffen grundsätzlich auch auf <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>s <strong>Villa</strong> in <strong>Brünn</strong> zu.<br />

Gekurvten Trennwände umschließen Badewannen, Vestibüle und Spiraltreppen und kontrastieren mit <strong>der</strong> abs-<br />

trakten Mathematik des Rasters <strong>der</strong> Fassadenflächen, außerdem bestimmen sie den Weg durch das Haus. 33<br />

Hervorstechend ist die ähnliche Raumkompositionen <strong>der</strong> beiden Häuser, jedoch ist die Anordnung <strong>der</strong> Zimmer<br />

innerhalb <strong>der</strong> verschiedenen Geschosse abgewandelt, denn das Haus Tugenhat wird aufgrund seiner Hanglage<br />

von oben betreten, während sich die <strong>Villa</strong> Stein auf flachem Gelände befindet.<br />

In Garches sind Garage und Gärtnerwohnung im Erdgeschoß untergebracht, Küche, Salon und Speisezimmer mit<br />

Terrasse im ersten Geschoß, die Privaträume im zweiten Geschoß zu beiden Seiten <strong>der</strong> Achse und darüber eine<br />

Dachterrasse mit Mädchenzimmern. Zum Garten hinaus sind die Räume ebenfalls offen. Der Dienstbotenflügel<br />

tritt aus dem Hauptblock hervor, <strong>der</strong> über eine Anfahrt zu erreichen war. 34 Das Haus kombiniert die Symmetrie<br />

und Formalität eines klaren, dem Goldenen Schnitt entsprechenden Blocks mit einer kurvigen räumlichen Bewe-<br />

gung und Asymmetrie. Das Konstruktionsraster hat den Rhythmus 2:1:2:1:2, gerechnet von einer seitlichen<br />

Giebelwand zur an<strong>der</strong>en.<br />

29 Wolf Tegethoff, S. 98<br />

30 Dusan Riedl, The <strong>Villa</strong> of the Tugendhats created by <strong>Ludwig</strong> <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong> in Brno, Brno City Museum,<br />

1997, 2. Auflage, S. 41<br />

31 Leonardo Benevolo, Geschichte <strong>der</strong> Architektur des 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, 2. Band, Verlag Georg D. W.<br />

Callwey, München, 1964, S. 88<br />

32 William J. R. Curtis, Le Corbusier Ideen und Formen, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1987, S. 96<br />

33 William J. R. Curtis, S. 96<br />

34 William J. R. Curtis, S. 93<br />

-8-


Die Konstruktion besteht aus Betonpilotis, Scheiben und Trägern. Wände und Trennelemente bestanden aus<br />

zementüberzogenem, verputztem Backstein, damit die typische Glätte des Maschinenzeitalters erreicht wurde. 35<br />

Dem Betrachter <strong>der</strong> <strong>Villa</strong> Stein fällt sofort das hohe, weitgehend geschlossene Attikageschoß über den Fenster-<br />

bän<strong>der</strong>n auf. Es schließt den Baukörper als breite Fläche gegen oben ab und kann u. a. von <strong>der</strong> Dachgartenforde-<br />

rung und dem durchgehenden Fenster abgeleitet werden und zwar, weil Le Corbusier den Dachgarten meist nach<br />

oben öffnet und seitlich abschließt. Nur wenige seitliche Öffnungen werden in <strong>der</strong> Fassade <strong>der</strong> hohen Stirn ange-<br />

ordnet. 36 Auch hier ist wie<strong>der</strong> ein Bezug zu <strong>Brünn</strong> zu erkennen , allerdings gibt es nicht wie in Garches eine ein-<br />

heitliche hohe Stirn, son<strong>der</strong>n ein kompaktes Obergeschoß aus Baukörpern aufgebaut, die über dem darunterlie-<br />

genden Fensterband schweben.<br />

1965 schreibt <strong>Mies</strong>: „Heute, wie seit langem, glaube ich, daß Baukunst wenig o<strong>der</strong> nichts zu tun hat mit <strong>der</strong><br />

Erfindung interessanter Formen noch mit persönlicher Neigung. Wahre Baukunst ist immer objektiv und ist<br />

Ausdruck <strong>der</strong> inneren Struktur <strong>der</strong> Epoche aus <strong>der</strong> sie wächst.“ 37<br />

35<br />

William J. R. Curtis, S. 96<br />

36<br />

Benedikt Huber, Le Corbusier im Brennpunkt, Verlag für Fachvereine an den Schweizerischen Hochschulen<br />

und Techniken, Zürich, 1988, S. 134<br />

37<br />

Hanno Walter Kruft, Geschichte <strong>der</strong> Architekturtheorie: von <strong>der</strong> Antike bis zur Gegenwart, Verlag C. H. Beck,<br />

München, 1991, Studienausgabe, 3. Auflage, S. 447, (Zitat aus <strong>Ludwig</strong> <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>, The Art of Structure,<br />

1965)<br />

-9-


Vergleich <strong>der</strong> <strong>Villa</strong> Tugendhat in <strong>Brünn</strong> von <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong> mit <strong>der</strong> <strong>Villa</strong> Savoye in<br />

Poissy von Le Corbusier<br />

Die <strong>Villa</strong> Savoye und die <strong>Villa</strong> Tugendhat wurden von zwei <strong>der</strong> bedeutendsten Architekten <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne entwor-<br />

fen. Beide Villen entstanden etwa zeitgleich (um 1930) und zeichnen sich durch ihre reinen geometrischen For-<br />

men aus. Hier wird <strong>der</strong> konventionelle Villentypus überwunden. Die Baukörper glie<strong>der</strong>n sich horizontal. Dies<br />

wird mit Hilfe durchgehen<strong>der</strong> horizontaler Fensterbän<strong>der</strong> im jeweiligen Hauptgeschoß unterstützt. Dachgärten<br />

(Terrassen) und Fensterbän<strong>der</strong> stellen eine Verbindung von Gebäude und Natur her. 38 Jedoch nimmt <strong>der</strong> Bau-<br />

körper <strong>der</strong> <strong>Villa</strong> Tugendhat stärkeren Bezug auf die Umgebung (in einen Hang gebaut), während die <strong>Villa</strong> Sa-<br />

voye eher mit <strong>der</strong> Natur kontrastiert.<br />

Als Konstruktion verwendeten beide Architekten „unnatürliche“ mo<strong>der</strong>ne Materialien wie Stahlbeton, Eisen<br />

dazwischen Glas. Ihre weiß verputzten Flächen sind ein Merkmal des hygienischen Funktionalismus. Im Inneren<br />

zeigt sich, daß beide Häuser für wohlhabende Familien konzipiert wurden, denn sie haben ein ähnlich komplexes<br />

Raumangebot, das Chauffeurswohnungen, Dienstmädchenzimmer, einen großen Wohnbereich, mehrere Schlaf-<br />

zimmer u.s.w. anbietet. Im Wohngeschoß zeichnet sich ein wichtiges Gestaltungsmerkmal ab – <strong>der</strong> freie Grund-<br />

riß. Dieser frei fließende Raum wird durch die Unterglie<strong>der</strong>ung mit freistehenden Stützen realisiert. In den übri-<br />

gen Geschossen sind die Stützen in Wände eingebaut.<br />

Abschließend kann festgestellt werden, daß Le Corbusiers Fünf-Punkte-Plan, den er konsequent bei <strong>der</strong> <strong>Villa</strong><br />

Savoye anwandte, auch in abgeän<strong>der</strong>ter Form auf das Haus Tugendhat zutrifft. Freier Grundriß, Dachgarten,<br />

Fensterbän<strong>der</strong> und freie Fassadengestaltung sind an beiden Bauwerken ersichtlich. Allerdings bei <strong>der</strong> Anwen-<br />

dung des Punktes „freistehende Stützen“ gibt es Unterschiede. In Poissy tragen Pfeiler im Erdgeschoß das Bau-<br />

werk; sie heben es vom Boden ab. An<strong>der</strong>erseits sind die Stützen in <strong>Brünn</strong> vollkommen nach innen versetzt.<br />

Die <strong>Villa</strong> Tugendhat und die <strong>Villa</strong> Savoye verbinden viele konzeptionelle Gemeinsamkeiten, die vielleicht auf<br />

einen regen Erfahrungsaustausch <strong>der</strong> Architekten dieser Zeit (um 1930) zurückzuführen ist.<br />

38 Elemer Nagy, Le Corbusier, Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin, 1977, [Aus dem Ungarischen<br />

übersetzt von Andras Kubinsky] S. 22<br />

-10-


Bibliographie<br />

Leonardo Benevolo. Geschichte <strong>der</strong> Architektur des 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. 1. Band. Verlag Georg D. W.<br />

Callwey. München. 1964<br />

Leonardo Benevolo. Geschichte <strong>der</strong> Architektur des 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. 2. Band. Verlag Georg D. W.<br />

Callwey. München. 1964<br />

Werner Blaser. <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong> – Die Kunst <strong>der</strong> Struktur. Artemis Verlag für Architektur. Zürich. 1965<br />

Werner Blaser. West meets East – <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>. Birkhäuser-Verlag. Basel. 1996<br />

Janos Bonta. <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>. Gemeinschaftsherausgabe des Henschelverlags Kunst und Gesellschaft. Berlin.<br />

1983<br />

William J. R. Curtis. Le Corbusier Ideen und Formen. Deutsche Verlags-Anstalt. Stuttgart. 1987<br />

Kenneth Frampton. Die Architektur <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne: eine kritische Baugeschichte. Deutsche Verlags-Anstalt.<br />

Stuttgart. 1995. [Aus dem Englischen übertragen von Antje Pehnt]<br />

L. Hilberseimer. <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong>. Copyright Paul Theobald and Company. Chicago. 1956<br />

Benedikt Huber. Le Corbusier im Brennpunkt. Verlag für Fachvereine an den Schweizerischen Hochschulen und<br />

Techniken. Zürich. 1988<br />

Hanno Walter Kruft. Geschichte <strong>der</strong> Architekturtheorie: von <strong>der</strong> Antike bis zur Gegenwart. Verlag C. H. Beck.<br />

München. 1991. Studienausgabe. 3. Auflage<br />

Elemer Nagy, Le Corbusier, Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin, 1977, [Aus dem Ungarischen über-<br />

setzt von Andras Kubinsky]<br />

Dusan Riedl. The <strong>Villa</strong> of the Tugendhats created by <strong>Ludwig</strong> <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong> in Brno. Brno City Museum.<br />

1997. 2. Auflage<br />

David Spaeth. <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong> – <strong>der</strong> Architekt <strong>der</strong> technischen Perfektion. Deutsche Verlags-Anstalt. Stutt-<br />

gart. 1986. [Aus dem Amerikanischen übertragen von Antje Pehnt]<br />

Wolf Tegethoff. <strong>Mies</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Rohe</strong> – Die Villen und Landhausprojekte. Verlag Richard Bacht. Essen. 1981.<br />

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