23.11.2012 Aufrufe

November 2012 - Evangelisch in Bedburg

November 2012 - Evangelisch in Bedburg

November 2012 - Evangelisch in Bedburg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Es wurde immer schlimmer…<br />

Gehe ich <strong>in</strong> mich, und frage ich mich, wo ich<br />

jemandem etwas schuldig geblieben b<strong>in</strong> – im<br />

Grunde weiß ich gar nicht so recht, wo anfangen,<br />

wo aufhören; ich habe vielmehr das<br />

Gefühl: das passiert mir laufend. Oder vielleicht<br />

sollte ich richtiger sagen: ich habe den<br />

E<strong>in</strong>druck, dass ich laufend anderen etwas<br />

schuldig bleibe.<br />

Als besonders fatal erlebe ich dabei e<strong>in</strong>e Art<br />

Sogwirkung, und wie man da immer tiefer<br />

<strong>in</strong> etwas h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerät, wie es immer schlimmer<br />

wird:… Ich kann mich er<strong>in</strong>nern, dass<br />

ich früher e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Zeitlang von jemandem<br />

sehr viele, extrem lange Briefe bekam,<br />

mit allerd<strong>in</strong>gs vordergründig nicht sonderlich<br />

persönlichen Erörterungen, jedes Mal mehrere<br />

engbeschriebene Seiten. Irgendwann kam ich<br />

mit dem Lesen gar nicht mehr h<strong>in</strong>terher, geschweige<br />

denn mit dem Reagieren. Also legte<br />

Die Begebenheit fällt <strong>in</strong> die<br />

Anfangszeit me<strong>in</strong>er Arbeit als<br />

Pfarrer <strong>in</strong> dieser Geme<strong>in</strong>de –<br />

aber sie geht mir bis heute<br />

nach. Zu me<strong>in</strong>en Aufgaben<br />

gehörte die Betreuung des<br />

Altenheims <strong>in</strong> Fliesteden.<br />

E<strong>in</strong>es Tages bekam ich e<strong>in</strong>en<br />

Zettel <strong>in</strong> die Hand gedrückt, auf dem<br />

stand: „Die Angehörigen von Frau x haben<br />

gefragt, ob Sie die Mutter besuchen können.<br />

Bitte besuchen Sie Frau x!“ Mehr Informationen<br />

hatte ich nicht. Es war e<strong>in</strong>e Woche, die<br />

randvoll war mit Term<strong>in</strong>en, Veranstaltungen,<br />

Besuchen ... und so hat es sich verzögert, bis<br />

ich mich auf den Weg gemacht habe. ... Als<br />

ich schließlich <strong>in</strong>s Altenheim kam, war Frau<br />

x verstorben. Ich weiß noch, wie geschockt<br />

ich war. Ke<strong>in</strong>er hatte mir gesagt, dass es so<br />

dr<strong>in</strong>gend ist! Ich hätte doch anderes verschoben<br />

oder abgesagt und wäre sofort losgefahren!<br />

Frau x hätte mich gebraucht und ich<br />

leserInnen zum Schwerpunktthema<br />

ich den nächsten Brief<br />

irgendwo ungeöffnet ab;<br />

und als ich dann e<strong>in</strong>en<br />

weiteren bekam, g<strong>in</strong>g das<br />

fast zwangsweise so weiter;<br />

ich phantasierte mit wüste<br />

Beschimpfungen des anderen<br />

über me<strong>in</strong> Nichtreagieren<br />

zusammen, konnte me<strong>in</strong> Versäumnis<br />

nicht anerkennen …und von e<strong>in</strong>em Mal zum<br />

anderen wurde alles nur schlimmer, me<strong>in</strong>e<br />

Schuld größer – es war wie e<strong>in</strong> Sog, <strong>in</strong> den ich<br />

da geraten war. Und dabei wuchs der Stapel an<br />

ungeöffneten Briefen jenes Absenders. Heute<br />

weiß ich, das nur Klarheit zu e<strong>in</strong>em frühen<br />

Zeitpunkt hätte helfen können; und wenn ich<br />

nur gesagt hätte: es wird mir zu viel! Besser<br />

wäre das allemal gewesen.<br />

Matthias Bertenrath<br />

„Bitte besuchen Sie Frau x!“<br />

war nicht da. Ich b<strong>in</strong> ihr bzw. den Angehörigen<br />

diesen wahrsche<strong>in</strong>lich wichtigen Besuch<br />

schuldig geblieben. Mit diesem Versäumnis<br />

muss ich leben. – Seitdem ist für mich klar:<br />

Wenn jemand um e<strong>in</strong>en Besuch bittet, frage<br />

ich immer genau nach, worum es geht und<br />

wie dr<strong>in</strong>gend es ist. Im Zweifelsfall lasse ich<br />

alles stehen und liegen – und mache mich<br />

- wenn es eben geht - auf den Weg. Denn<br />

das gehört zu den wichtigsten Kennzeichen<br />

me<strong>in</strong>es Berufs: Dann da zu se<strong>in</strong>, wenn Menschen<br />

mich als Seelsorger brauchen. – Ich<br />

weiß, dass ich nicht perfekt se<strong>in</strong> kann und ich<br />

auch als Pfarrer begrenzt b<strong>in</strong>. Es wird immer<br />

wieder Situationen geben, <strong>in</strong> denen ich etwas<br />

versäume oder besser hätte machen können.<br />

Aber dass ich damals nicht genauer nachgefragt<br />

habe, werfe ich mir bis heute vor. Als<br />

Mahnung habe ich jahrelang den Zettel an<br />

me<strong>in</strong>em Schreibtisch hängen gehabt: „Bitte<br />

besuchen Sie Frau x!“<br />

Pfarrer Thorsten Schmitt<br />

7

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!