November 2012 - Evangelisch in Bedburg
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Es wurde immer schlimmer…<br />
Gehe ich <strong>in</strong> mich, und frage ich mich, wo ich<br />
jemandem etwas schuldig geblieben b<strong>in</strong> – im<br />
Grunde weiß ich gar nicht so recht, wo anfangen,<br />
wo aufhören; ich habe vielmehr das<br />
Gefühl: das passiert mir laufend. Oder vielleicht<br />
sollte ich richtiger sagen: ich habe den<br />
E<strong>in</strong>druck, dass ich laufend anderen etwas<br />
schuldig bleibe.<br />
Als besonders fatal erlebe ich dabei e<strong>in</strong>e Art<br />
Sogwirkung, und wie man da immer tiefer<br />
<strong>in</strong> etwas h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerät, wie es immer schlimmer<br />
wird:… Ich kann mich er<strong>in</strong>nern, dass<br />
ich früher e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Zeitlang von jemandem<br />
sehr viele, extrem lange Briefe bekam,<br />
mit allerd<strong>in</strong>gs vordergründig nicht sonderlich<br />
persönlichen Erörterungen, jedes Mal mehrere<br />
engbeschriebene Seiten. Irgendwann kam ich<br />
mit dem Lesen gar nicht mehr h<strong>in</strong>terher, geschweige<br />
denn mit dem Reagieren. Also legte<br />
Die Begebenheit fällt <strong>in</strong> die<br />
Anfangszeit me<strong>in</strong>er Arbeit als<br />
Pfarrer <strong>in</strong> dieser Geme<strong>in</strong>de –<br />
aber sie geht mir bis heute<br />
nach. Zu me<strong>in</strong>en Aufgaben<br />
gehörte die Betreuung des<br />
Altenheims <strong>in</strong> Fliesteden.<br />
E<strong>in</strong>es Tages bekam ich e<strong>in</strong>en<br />
Zettel <strong>in</strong> die Hand gedrückt, auf dem<br />
stand: „Die Angehörigen von Frau x haben<br />
gefragt, ob Sie die Mutter besuchen können.<br />
Bitte besuchen Sie Frau x!“ Mehr Informationen<br />
hatte ich nicht. Es war e<strong>in</strong>e Woche, die<br />
randvoll war mit Term<strong>in</strong>en, Veranstaltungen,<br />
Besuchen ... und so hat es sich verzögert, bis<br />
ich mich auf den Weg gemacht habe. ... Als<br />
ich schließlich <strong>in</strong>s Altenheim kam, war Frau<br />
x verstorben. Ich weiß noch, wie geschockt<br />
ich war. Ke<strong>in</strong>er hatte mir gesagt, dass es so<br />
dr<strong>in</strong>gend ist! Ich hätte doch anderes verschoben<br />
oder abgesagt und wäre sofort losgefahren!<br />
Frau x hätte mich gebraucht und ich<br />
leserInnen zum Schwerpunktthema<br />
ich den nächsten Brief<br />
irgendwo ungeöffnet ab;<br />
und als ich dann e<strong>in</strong>en<br />
weiteren bekam, g<strong>in</strong>g das<br />
fast zwangsweise so weiter;<br />
ich phantasierte mit wüste<br />
Beschimpfungen des anderen<br />
über me<strong>in</strong> Nichtreagieren<br />
zusammen, konnte me<strong>in</strong> Versäumnis<br />
nicht anerkennen …und von e<strong>in</strong>em Mal zum<br />
anderen wurde alles nur schlimmer, me<strong>in</strong>e<br />
Schuld größer – es war wie e<strong>in</strong> Sog, <strong>in</strong> den ich<br />
da geraten war. Und dabei wuchs der Stapel an<br />
ungeöffneten Briefen jenes Absenders. Heute<br />
weiß ich, das nur Klarheit zu e<strong>in</strong>em frühen<br />
Zeitpunkt hätte helfen können; und wenn ich<br />
nur gesagt hätte: es wird mir zu viel! Besser<br />
wäre das allemal gewesen.<br />
Matthias Bertenrath<br />
„Bitte besuchen Sie Frau x!“<br />
war nicht da. Ich b<strong>in</strong> ihr bzw. den Angehörigen<br />
diesen wahrsche<strong>in</strong>lich wichtigen Besuch<br />
schuldig geblieben. Mit diesem Versäumnis<br />
muss ich leben. – Seitdem ist für mich klar:<br />
Wenn jemand um e<strong>in</strong>en Besuch bittet, frage<br />
ich immer genau nach, worum es geht und<br />
wie dr<strong>in</strong>gend es ist. Im Zweifelsfall lasse ich<br />
alles stehen und liegen – und mache mich<br />
- wenn es eben geht - auf den Weg. Denn<br />
das gehört zu den wichtigsten Kennzeichen<br />
me<strong>in</strong>es Berufs: Dann da zu se<strong>in</strong>, wenn Menschen<br />
mich als Seelsorger brauchen. – Ich<br />
weiß, dass ich nicht perfekt se<strong>in</strong> kann und ich<br />
auch als Pfarrer begrenzt b<strong>in</strong>. Es wird immer<br />
wieder Situationen geben, <strong>in</strong> denen ich etwas<br />
versäume oder besser hätte machen können.<br />
Aber dass ich damals nicht genauer nachgefragt<br />
habe, werfe ich mir bis heute vor. Als<br />
Mahnung habe ich jahrelang den Zettel an<br />
me<strong>in</strong>em Schreibtisch hängen gehabt: „Bitte<br />
besuchen Sie Frau x!“<br />
Pfarrer Thorsten Schmitt<br />
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