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Leseprobe: Die Eroberungszüge der Kurgan-Krieger

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<strong>Die</strong> <strong>Eroberungszüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Kurgan</strong>-Hirtenkrieger<br />

Schon früher als die Sahara versteppte das Gebiet nördlich des Schwarzen und des<br />

Kaspischen Meeres. <strong>Die</strong> Ursache war das Ausbleiben des ostmediterranen Monsuns ab<br />

5000 vor Chr., wie Geologen erst vor kurzem nachweisen konnten. 1<br />

An<strong>der</strong>s als in <strong>der</strong> Sahara sind in <strong>der</strong> südrussischen Steppe keine Felszeichnungen zu<br />

finden, so dass <strong>der</strong> Einbruch des Patriarchats nicht direkt nachgewiesen werden kann.<br />

Sein Ergebnis waren die <strong>Kurgan</strong>-Hirtenkrieger, die zuvor die matriarchale Ackerbauphase<br />

durchlaufen hatten und nicht immer schon Nomaden – erst Jäger und dann Hirten – waren.<br />

„Darauf deuten viele <strong>der</strong> sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse über die indoeuropäische<br />

‚Ur‘-Sprache kurz vor ihrer Aufspaltung hin. Allen frühen Indoeuropäern waren feste<br />

Häuser und Dörfer, waren Ausdrücke für Getreidepflanzen und das Schwein bekannt, das<br />

sich nun einmal seiner Natur nach nicht als Haustier für Nomaden o<strong>der</strong> Halbnomaden<br />

eignet. Auch an<strong>der</strong>e indoeuropäische Worte ließen auf eine durchaus sesshafte,<br />

bäuerliche Lebensweise schließen“ 2 , genau wie die Tatsache, dass die <strong>Kurgan</strong>-Leute<br />

auch als patriarchales Volk noch zum Teil Ackerbau betrieben, allerdings in geringerem<br />

Umfang als früher.<br />

Das Pferd – „Motor“ <strong>der</strong> <strong>Kurgan</strong>-Kultur<br />

Grundlage <strong>der</strong> <strong>Kurgan</strong>-<strong>Krieger</strong>kultur war das Pferd, das sie als Zugtier für Streitwagen<br />

domestizierten. „Das schnelle Pferd wurde zum ‚Motor‘ <strong>der</strong> Fortbewegung. <strong>Die</strong>se<br />

Neuerung verkürzte die Zeit, um eine bestimmte Entfernung zurückzulegen, auf<br />

höchstens ein Fünftel; territoriale Grenzen, die es zuvor gegeben hatte, existierten dann<br />

praktisch nicht mehr. Sobald die Steppe einmal erobert war, wurde sie zum<br />

Ausgangspunkt ausgedehnter Wan<strong>der</strong>bewegungen“. 3<br />

<strong>Die</strong>se Mobilität <strong>der</strong> Streitwagenkrieger wurde geradezu zum Wesensmerkmal <strong>der</strong><br />

<strong>Kurgan</strong>kulturen und <strong>der</strong> später ständig in Europa und Eurasien umherziehenden<br />

indoeuropäischen Reiterkrieger. Parallel zu den schubweisen Trockenphasen sind auch<br />

die Auswan<strong>der</strong>ungswellen <strong>der</strong> <strong>Kurgan</strong>-Völker in <strong>der</strong> Zeit zwischen 4500 und 3000 vor Chr.<br />

nachweisbar.<br />

Der Experte zum Thema Indoeuropäer, Reinhard Schmoekel, schil<strong>der</strong>t im Folgenden, wie<br />

sich die zweite <strong>Kurgan</strong>-Expansion konkret zugetragen haben könnte.<br />

<strong>Die</strong> „Wan<strong>der</strong>ung des Geweihten Frühlings“<br />

„Unbarmherzig brannte die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Ohnmächtig, die Fäuste im<br />

Zorn geballt und die Tränen in den Augen, mussten die Hirten mit ansehen, wie ihre<br />

Lieblingskuh verendete, ihr in Jahrzehnten angesammelter Reichtum dahin schmolz. Selbst<br />

die genügsamen Pferde litten unter <strong>der</strong> Trockenheit. Warum grollte <strong>der</strong> Himmelsgott? Im<br />

vorigen Jahr, als die Dürre auch schon lange gedauert hatte, da hatten die Hirten versucht,


ihre Herden ein paar Tagesreisen nach Westen zu treiben, über das breite Flusstal auf die<br />

nächste Hochfläche. Doch kaum hatten sie den Fluss überquert, da stellte sich ihnen mit<br />

drohend geschwungenen Streitäxten <strong>der</strong> Häuptling des dortigen <strong>Kurgan</strong>-Stammes mit<br />

seinen Hirten-<strong>Krieger</strong>n entgegen, wütend entschlossen, bis zum Tod um die eigenen<br />

Wassergründe zu kämpfen und die unerwünschten Fresser zu vertreiben.<br />

Es half nichts, man musste einen an<strong>der</strong>en Ausweg finden. Frauen, Kin<strong>der</strong> und<br />

Hausgesinde saßen schweigend in den halb unter <strong>der</strong> Erdoberfläche liegenden<br />

Holzhütten, und lauschten nach draußen. Dort saß die Versammlung <strong>der</strong><br />

Familienoberhäupter des Dorfes, die Teuta, in lange und ernsthafte Beratungen vertieft.<br />

Es waren würdevolle Gestalten, die Dorfväter, Männer mit schmalen, scharf<br />

geschnittenen Gesichtern, ans Befehlen und Herrschen gewöhnt, selbst in <strong>der</strong> friedlichen<br />

Beratung die unentbehrliche Streitaxt am Gürtel, den Bogen in <strong>der</strong> Hand.<br />

Nachdem die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Teuta ihre Meinung kundgetan hatten, fasste <strong>der</strong> Uik-poti, <strong>der</strong><br />

Dorfherrscher, <strong>der</strong> auf erhöhtem Sitz den Ehrenplatz innehatte, den Willen <strong>der</strong> Götter in<br />

Worte: „Man muss einen Frühling weihen“. Still vor Entsetzen wurden die Männer und<br />

Frauen, als je<strong>der</strong> Hausherr zu den Frauen <strong>der</strong> Sippe trat und die in diesem Jahr<br />

geborenen Kin<strong>der</strong> in Empfang nahm. Man tötete sie nicht. Aber je<strong>der</strong> im Dorf wusste,<br />

welches Schicksal sie erwartete.<br />

Fünfzehn o<strong>der</strong> sechzehn Jahre waren vergangen seit jener Weihe. Nun war die Zeit <strong>der</strong><br />

Erfüllung des Opfers gekommen. Ein Fischer aus dem Vasallendorf unten am Fluss,<br />

dessen Sohn mit zum geweihten Frühling gehörte, reichte ein paar Fische und etwas<br />

Gemüse auf den Wagen, als Wegzehrung für die erste Zeit. In jedem Haus rüstete sich<br />

ein junger Mann o<strong>der</strong> ein junges Mädchen zum Abschied für immer. Der Sohn des<br />

Dorfhäuptlings, herrisch trotz seiner Jugend, sprang auf den Wagen. Mit heller Stimme<br />

befahl er den Aufbruch und <strong>der</strong> kleine Zug setzte sich in Bewegung. <strong>Die</strong> jungen Leute<br />

waren kräftig und geübt in allen Künsten des <strong>Krieger</strong>s, des Hirten und <strong>der</strong> Hausfrau.<br />

Irgendwo mussten sie doch eine Weide finden, wo das Gras saftig und die Götter wohl<br />

gesonnen waren. Und kämpfen wollten sie, wussten sie doch, dass die Männer mit ihren<br />

Pferden allen Nachbarvölkern überlegen waren …<br />

Als zum zweiten Mal nach ihrem Aufbruch die Bäume grün und die Eicheln reif geworden<br />

waren, da trafen die Auswan<strong>der</strong>er eine an<strong>der</strong>e Gruppe von <strong>Kurgan</strong>-Leuten, die schon vor<br />

Jahren denselben Marsch angetreten hatten: Hier in <strong>der</strong> Gegend konnte man bleiben. Es<br />

regnete häufig hier und das Gras war stets reichlich und saftig. Sie fanden zwischen den<br />

großen Wäl<strong>der</strong>n genug Flusstäler und Lichtungen, wo Rin<strong>der</strong>, Schafe und Pferde nach<br />

Herzenslust grasen und sich von <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung erholen konnten. Zwei entfernte<br />

Bergketten, das Erzgebirge und <strong>der</strong> Thüringer Wald, schützten das Land vor Stürmen.<br />

<strong>Die</strong> Menschen, die hier wohnten – Bauern nannten die zuerst angekommenen <strong>Kurgan</strong>-<br />

Leute sie verachtungsvoll –, waren friedlich und harmlos. Sie rodeten lieber Lichtungen im<br />

Walde, als dass sie die freien Flusstäler nutzten, die die <strong>Kurgan</strong>-Hirten für ihre Herden<br />

brauchten. „Nicht mehr lange“, lachte <strong>der</strong> fremde <strong>Kurgan</strong>-Häuptling, „und die Bauern tun<br />

alles, was wir ihnen sagen. <strong>Die</strong> haben Angst vor uns.“ 4


Den dritten Teil dieser Erzählung bildet die mehrmonatige Rückkehr mehrerer<br />

Auswan<strong>der</strong>er in ihr Heimatdorf, um Grüße ihres Dorfhäuptlings an seinen Vater zu<br />

überbringen und über ihr Wohlergehen in <strong>der</strong> neuen Heimat zu berichten. <strong>Die</strong>se<br />

Sensation spricht sich natürlich auch in den <strong>Kurgan</strong>-Nachbardörfern herum, alle lauschen<br />

gespannt, als die Auswan<strong>der</strong>er ihre Geschichte erzählen. Kein Wun<strong>der</strong>, dass das einstige<br />

„Opfer des geweihten Frühlings“ – die Auswan<strong>der</strong>ung – auf diese Weise zu einer<br />

Verheißung wurde, die vor allem junge Leute antrieb, während die Älteren in <strong>der</strong> immer<br />

mehr verödenden Steppe zurückblieben.<br />

<strong>Die</strong>se Erzählung ist zwar nur Phantasie, ihre Einzelheiten sind es aber nicht, es handelt<br />

sich um historisch belegte Fakten, die Schmoekel zu einer anschaulichen Geschichte<br />

zusammen getragen hat.<br />

Wissenschaftliche Belege<br />

Bei den „<strong>Kurgan</strong>-Völkern“ handelt es sich um einen Sammelbegriff, den die bekannte<br />

Archäologin Marija Gimbutas als Oberbegriff für die halbnomadischen, runde Hügelgräber<br />

bauenden Hirtenvölker aus dem heutigen Südrußland geprägt hat. Sie sind nach den<br />

auffälligen, riesigen <strong>Kurgan</strong>en (nach russ.-tatar. kurgán = Grabhügel) benannt, in denen<br />

eine ausgewählte Gruppe von Toten mit zahlreichen Grabbeigaben bestattet wurde.<br />

„Rundhügelgräber in Moldawien, Südrumänien und Ostungarn legen ein beredtes Zeugnis<br />

für die <strong>Kurgan</strong>völker-Wan<strong>der</strong>ungen ab. <strong>Die</strong> frühesten <strong>Kurgan</strong>gräber in Moldawien werden<br />

auf etwa 4.300 v. Chr. datiert. Im krassen Gegensatz zum ausgeglichenen Verhältnis<br />

zwischen männlichen und weiblichen Bestattungen auf den gleichzeitigen Friedhöfen des<br />

Alten Europa waren die <strong>Kurgan</strong>gräber fast ausschließlich für männliche Leichname<br />

ausgelegt. Während zu dieser Zeit im Alten Europa einfache Erdgruben üblich waren,<br />

bedeckten die <strong>Kurgan</strong>-Stämme ihre Gräber mit einem Erd- o<strong>der</strong> Steinhügel und<br />

bestatteten darin ausschließlich ihre <strong>Krieger</strong>fürsten zusammen mit <strong>der</strong>en bevorzugten<br />

Kriegswerkzeugen Speer, Pfeil und Bogen und Feuersteindolch o<strong>der</strong> Langmesser“ 5 .<br />

Offensichtlich glaubten die <strong>Kurgan</strong>-Völker an eine Auferstehung im Jenseits, so dass nach<br />

dem Tod eines Stammesführers auch seine Frauen und sein Gesinde getötet o<strong>der</strong> sogar<br />

lebendig beerdigt wurden, damit sie ihm im Jenseits weiter zu <strong>Die</strong>nsten sein konnten.<br />

Dazu kamen große Vorräte an Lebensmitteln, Waffen, später sogar Streitwagen und<br />

an<strong>der</strong>e Gegenstände, die ihm in seinem jenseitigen Dasein nützlich sein konnten.<br />

<strong>Die</strong> brutale Praxis <strong>der</strong> Lebendbegrabung „blieb nicht auf Südosteuropa beschränkt. Ein<br />

deutscher Archäologe fand 1951 in einer Höhle in Bamberg (Bayern) die Überreste von<br />

38 Personen. Nur ein Skelett stammte von einem Mann. <strong>Die</strong> übrigen Opfer waren 9<br />

Frauen, 28 Kin<strong>der</strong> und Jugendliche zwischen einem und vierzehn Jahren, die, nach den<br />

zertrümmerten Skeletten zu urteilen, einen grauenhaften Tod gefunden hatten. <strong>Die</strong><br />

Skelette werden auf ein Alter von etwa 5000 Jahren geschätzt; sie könnten in die Zeit<br />

nach <strong>der</strong> zweiten indo-europäischen Eroberungswelle datiert werden.“ 6<br />

Im Gegensatz dazu wurden in den Gräbern des matriarchalen Alteuropas nur wenige<br />

symbolische Grabbeigaben gefunden, die nicht als Nahrung, son<strong>der</strong>n als Symbole <strong>der</strong>


Wandlung und <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburt dienten. Auch wurden ihre Toten nicht auf dem Rücken<br />

liegend begraben, son<strong>der</strong>n in einer Hockstellung ähnlich den Embryos, denn die<br />

Menschen des Matriarchats erwarteten, dass ihre Ahnen bald wie<strong>der</strong>geboren<br />

würden. Natürlich gab es damals auch keine Tötung o<strong>der</strong> sogar Lebendbegrabung von<br />

Frauen.<br />

Es gibt aber noch viele an<strong>der</strong>e Anzeichen für das Eindringen gewalttätiger Eroberer nach<br />

Mittel- und Westeuropa: Bevölkerungsverschiebungen im alten Mitteleuropa nach Norden<br />

und Nordwesten weisen indirekt auf eine Katastrophe von so gewaltigem Ausmaß hin,<br />

dass sie für Gimbutas nicht mit klimatischen Verän<strong>der</strong>ungen o<strong>der</strong> Epidemien erklärbar<br />

sind. Dagegen ist für Gimbutas belegt, dass Reitervölker in diese Landstriche einfielen,<br />

weil zu diesem Zeitpunkt ein ganzer Komplex von gesellschaftlichen Zügen hervortrat, <strong>der</strong><br />

für die <strong>Kurgan</strong>-Kultur charakteristisch war: Höhensiedlungen, Haltung von Pferden, eine<br />

auf Weidewirtschaft ausgerichtete Ökonomie, Hinweise auf Gewaltbereitschaft und<br />

Patriarchat sowie religiöse Symbole, die auf einen Sonnenkult hinweisen.<br />

Radiokarbondaten siedeln diese Periode zwischen 4.400 und 3.900 an.<br />

In Gegensatz zu den massiven, oberirdisch gebauten Langhäusern <strong>der</strong> vorhergehenden<br />

Zeitspanne wurden die Trichterbecherhäuser klein und halb unterirdisch gebaut. Eine<br />

solche Siedlung liegt auf einer Hochfläche bei Halle an <strong>der</strong> Saale. Höhensiedlungen sind<br />

an <strong>der</strong> höchsten Stelle <strong>der</strong> Umgebung erbaut und von zwei o<strong>der</strong> drei Seiten durch Wasser<br />

o<strong>der</strong> steile Felshänge geschützt.<br />

Krieg <strong>der</strong> Kulturen<br />

Stießen die einwan<strong>der</strong>nden Hirtenkriegern auf matriarchale Ackerbau-Siedlungen, dann<br />

gab es vier Möglichkeiten:<br />

<strong>Die</strong> Einwan<strong>der</strong>er passten sich <strong>der</strong> vorhandenen Kultur an<br />

<strong>Die</strong>s war meisten dann <strong>der</strong> Fall, wenn die Einwan<strong>der</strong>er nur in geringer Zahl einsickerten,<br />

so dass sie nicht die militärische Kraft zu einer Eroberung hatten. Wuchs jedoch ihre Zahl<br />

und damit ihre militärische Schlagkraft in <strong>der</strong> Folge immer mehr an, dann unterwarfen sie<br />

das Matriarchat eben später o<strong>der</strong> Schritt für Schritt wie z. B. die Hethiter die matriarchalen<br />

Ureinwohner Kleinasiens. Übergangskulturen mit starken matriarchalen Wurzeln konnten<br />

sich dagegen leichter an die matriarchale Kultur des Gastlandes anpassen.<br />

Beide Kulturen existierten nebeneinan<strong>der</strong><br />

<strong>Die</strong> matriarchale Cucuteni-Kultur <strong>der</strong> westlichen Ukraine entsprach <strong>der</strong> zweiten<br />

Möglichkeit – Keramikfunde zeigten, dass sowohl die gut verarbeiteten und gebrannten<br />

Tonkrüge des Matriarchats als auch die <strong>Kurgan</strong>-Krüge von schlechter Qualität produziert<br />

wurden. Später zogen sich die Cucuteni-Bauern in besser zu verteidigende Gebiete hinter<br />

Flüssen o<strong>der</strong> aufgeschütteten Wällen zurück. Doch fast 1000 Jahre später wandten sich<br />

die Anführer <strong>der</strong> nordpontischen Region erneut „dem Cucuteni-Gebiet zu. Hier trafen sie<br />

auf eine blühende Zivilisation, die den ersten <strong>Kurgan</strong>vorstoß überlebt hatte. <strong>Die</strong>ses Mal


konnte sie einem Prozess <strong>der</strong> Verschmelzung mit <strong>Kurgan</strong>-Elementen nicht wi<strong>der</strong>stehen“ 7 .<br />

Auch diese für die Einheimischen günstigste Möglichkeit war also nur ein zeitlicher<br />

Aufschub, letztlich waren alle matriarchalen Kulturen zum Untergang verurteilt.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Kurgan</strong>-Kultur unterwarf die matriarchale Kultur<br />

„Für die Karanovo-Gumelnit-Kultur erwiesen sich die <strong>Kurgan</strong>-Einfälle als katastrophal. <strong>Die</strong><br />

kleinen Bauerndörfer wurden leicht eingenommen, und Karanovo-Gruppen sind wohl vom<br />

unteren Donaubecken westwärts geflüchtet“ 8 . <strong>Die</strong> neuen befestigten Cernavoda-<br />

Siedlungen <strong>der</strong> Eroberer lagen strategisch günstig auf höher gelegenen Flussterrassen.<br />

Ihre Werkzeuge aus Hirschhorn und Knochen sind mit Funden aus <strong>der</strong> Steppe nördlich<br />

des Schwarzen Meeres identisch. „<strong>Die</strong>se Menschen betrieben Viehzucht (auch<br />

Pferdezucht), jagten, fischten und betrieben primitiven Ackerbau. Aus dieser Zeit gibt es<br />

keine bemalte Keramik“. 9 Wer von den Einheimischen nicht geflüchtet war, wurde<br />

entwe<strong>der</strong> getötet o<strong>der</strong> unterworfen und versklavt. Von da an waren in dieser Region keine<br />

Spuren <strong>der</strong> alten Bauernkultur mehr zu finden.<br />

<strong>Die</strong> Einheimischen flohen in Rückzugsgebiete<br />

„<strong>Die</strong> Zerstörung <strong>der</strong> Varna-, Karanovo- und Vincakultur und die Vertreibung ihrer Träger<br />

(nach <strong>der</strong> ersten <strong>Kurgan</strong>-Welle) setzte eine Kette von Umsiedlungen in Jugoslawien,<br />

Ungarn, Tschechoslowakei und nach Westen bis zum oberen Donau-, oberen Elbe- und<br />

oberen O<strong>der</strong>becken in Gang“ 10 . Während die erste <strong>Kurgan</strong>-Welle sich nur bis nach<br />

Ungarn und in die Ukraine ausbreitete und damit kleine Inseln am Rande des<br />

europäischen Matriarchats bildete, erfasste die zweite großräumig den gesamten<br />

mitteleuropäischen Raum mit Vorstößen bis zur Schweiz und in die Po-Ebene.<br />

Matriarchale Rückzugsräume wie in den südlichen Karpaten bildeten nur noch kleine<br />

Inseln im großen Meer des <strong>Kurgan</strong>-Patriarchats.<br />

<strong>Die</strong> Gesellschaftsstruktur <strong>der</strong> <strong>Kurgan</strong>-Stämme ähnelt schon sehr <strong>der</strong> unseren – statt<br />

großer Langhäuser, in <strong>der</strong> die ganze matriarchale Sippe zusammenwohnte, gab es eine<br />

Ansammlung kleiner Häuser. In jedem herrschte <strong>der</strong> Hausherr über seine Großfamilie, in<br />

<strong>der</strong> die Generationenfolge <strong>der</strong> väterlichen Linie folgte. Wie <strong>der</strong> Häuptling, so strebten<br />

auch die patriarchalen Familienväter nach Macht und Reichtum.<br />

Zusammenfassung<br />

<strong>Die</strong> Gesellschaft <strong>der</strong> <strong>Kurgan</strong>hirten, die so an<strong>der</strong>s war als die matriarchalen<br />

Gesellschaften, in die sie einfiel, wurde von Reinhard Schmoekel folgen<strong>der</strong>maßen<br />

beschrieben: „Sie waren vor allem Großviehhirten und betrieben Ackerbau nur nebenbei.<br />

<strong>Die</strong> Männer fühlten sich im Besitz ihrer Pferde und ihrer Waffen, wie bereits oben<br />

erwähnt, allen Fußgängern und Bauern haushoch überlegen, und sie waren rücksichtslos<br />

genug, ihre Überlegenheit auch, wenn nötig, mit harter Hand durchzusetzen. Es war eine<br />

patriarchale Gesellschaft, in <strong>der</strong> die Männer – und vor allem die reichen Männer – allein<br />

zu bestimmen hatten. Sie, die erfolgreichen <strong>Krieger</strong>, unterschieden sich in ihren Rechten<br />

im Stamm und im Haus von den Frauen und auch von den dienenden Knechten (meist


aus unterworfenen Völkern). Nur die – natürlich ebenfalls männlichen – Priester genossen<br />

ein ebenso hohes Ansehen wie die <strong>Krieger</strong>. Und die Götter waren selbstverständlich<br />

männlich und verkörperten Naturgewalten wie den leuchtenden Himmel, das Feuer, den<br />

Donner – o<strong>der</strong> die göttlichen Pferde, die den <strong>Kurgan</strong>-Hirten ihre unvergleichliche<br />

Überlegenheit verliehen“ 11 .<br />

<strong>Die</strong> Terror-Kultur <strong>der</strong> Eroberer<br />

In allen Gebieten mit matriarchaler Urbevölkerung, die von patriarchalen <strong>Krieger</strong>völkern<br />

erobert wurden, brauchte es mehrere Jahrhun<strong>der</strong>te und viele harte<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzungen zwischen Eindringlingen und Einheimischen, bis sich die Kultur<br />

<strong>der</strong> Eroberer endgültig durchgesetzt und zu herrschenden geworden war.<br />

Dabei lassen sich zwei Phasen unterscheiden:<br />

• <strong>Die</strong> chaotische Phase <strong>der</strong> Eroberung und Unterwerfung <strong>der</strong> Urbevölkerung, die durch<br />

unvorstellbare Grausamkeiten <strong>der</strong> Eroberer und Blutopfer <strong>der</strong> Unterworfenen gekenn-<br />

zeichnet ist<br />

• <strong>Die</strong> legalistische Phase, als das Volk <strong>der</strong> Eroberer alle wi<strong>der</strong>strebenden Elemente von<br />

Mensch und Kultur vernichtet hatte und auf dieser „tabula rasa“ ihre neue Ordnung, Kultur<br />

und Religion aufbauen und perfektionieren konnte. Gerade weil die Eroberer über die<br />

absolute Macht verfügten, konnten sie auf Terror weitgehend verzichten und mit den<br />

Besiegten religiöse und kulturelle Kompromisse schließen, wobei die ursprüngliche<br />

Religion immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurde.<br />

<strong>Die</strong>se zwei Phasen haben auch in <strong>der</strong> Mythologie ihre Spuren hinterlassen, denn auch<br />

nach <strong>der</strong> patriarchalen Machtergreifung existierten immer noch matriarchale Doppelorden<br />

im Untergrund, <strong>der</strong>en Trauer über die „verlorene Zeit“ <strong>der</strong> alten Weltordnung in ihren<br />

Mythen überliefert wurde. Aber auch diese Gegenmythen entgingen nicht dem Schicksal,<br />

von den herrschenden Mächten und Priestern verfälscht zu werden.<br />

<strong>Die</strong> Terror-Religion des Ur-Patriarchats<br />

Der Einbruch des Patriarchats, entwe<strong>der</strong> endogen durch Zerfall <strong>der</strong> matriarchalen<br />

Spiritualität innerhalb eines Stammes o<strong>der</strong> exogen durch kriegerische Eroberung,<br />

bedeutete immer den Sturz <strong>der</strong> matriarchalen Gesellschaftsordnung und die<br />

Durchsetzung <strong>der</strong> patriarchalen Herrschaft. Das wichtigste und vordringliche Ziel dieser<br />

Revolution war die Entmachtung des matriarchalen Doppelordens und seine Ersetzung<br />

durch den patriarchalen Kult. Sein Symbol und Erkennungszeichen war die unipolare,<br />

männliche Gottheit. Der neue Gott – wir können ihn auch den Ur-Jahwe nennen – war das<br />

genaue Gegenteil des alten:<br />

• Er vertrat nicht die Einheit des weiblichen und männlichen Prinzips, son<strong>der</strong>n nur noch das<br />

männliche Prinzip. Es galt als schöpferisch und geistig, das weibliche dagegen als bloß<br />

empfangend und völlig vom Mann abhängig.


• Der unipolare Männergott stand jenseits <strong>der</strong> Welt und <strong>der</strong> Menschen, die er geschaffen<br />

hatte.<br />

• Der Ur-Jahwe verkörperte das männliche „Ich-Nichtich-Bewusstsein“, also ein von allen<br />

an<strong>der</strong>en Menschen getrenntes und selbstherrliches Bewusstsein, das glaubt, seinen<br />

Willen den „Nicht-Ichs“ auch mit Gewalt aufzuzwingen zu müssen.<br />

Das Urpatriarchat breitete sich wie ein Ölfleck von wenigen Zentren aus unaufhaltsam<br />

immer weiter aus, was nur dadurch möglich war, dass es auch vor den grausamsten<br />

Methoden des Kampfes gegen das verhasste Matriarchat und seine<br />

doppelgeschlechtliche Gottheit nicht zurückschreckte. Insgesamt ruht die Durchsetzung<br />

<strong>der</strong> neuen Ordnung auf drei sich ergänzenden Säulen: körperlicher Terror, Terror durch<br />

schwarze Magie und patriarchale Initiationsriten.<br />

Körperlicher Terror<br />

• Entmannung: So „kastrierte in Griechenland <strong>der</strong> patriarchale „Kronosbund den gnostischgynäkokratischen<br />

Orden des Uranos. Das gleiche Schicksal traf auch die männliche Hälfte<br />

des androgynen Doppelordens Rhea-Attis.“ 12<br />

• Vergewaltigung: <strong>Die</strong> Vergewaltigung von Frauen war die demonstrative und gewalttätige<br />

Durchsetzung <strong>der</strong> patriarchalen Form einer sexuellen Vereinigung, die eigentlich nicht als<br />

Vereinigung, son<strong>der</strong>n nur als Unterwerfung bezeichnet werden kann. Damit wurde<br />

unmissverständlich die neue Form <strong>der</strong> Beziehung zwischen den Geschlechtern geltend<br />

gemacht: Entscheidend ist <strong>der</strong> Wille des Mannes, <strong>der</strong> keine Rücksicht auf sein weibliches<br />

Gegenüber mehr zu nehmen braucht.<br />

• Zerstückelung: „So zerstückelte in Ägypten <strong>der</strong> hoministische (patriarchale) Gott seinen<br />

gynäkokratischen Bru<strong>der</strong> Osiris und ebenso wurde im vorhellenischen Griechenland<br />

Dionysos mit seinem Orden von dem hoministischen Titanenbund zerstückelt.“ 13<br />

• Verbrennung: <strong>Die</strong>se Methode wurde vor allem im Zweistromland bei <strong>der</strong> Liquidation <strong>der</strong><br />

matriarchalen Priester bevorzugt.<br />

• Pfählen (Kreuzigung): Platon berichtet von dem Mythos des Pfählens des absolut<br />

Gerechten, nachdem er zuvor gefesselt, gegeißelt und geblendet wurde. Damit ist<br />

wahrscheinlich <strong>der</strong> „Ur-Jeschua“ in Palästina gemeint, in <strong>der</strong> Überlieferung „das Lamm“<br />

genannt, <strong>der</strong> geopfert wurde – eine Todesart, die dann auch sein Nachfolger<br />

Jesus erdulden musste.<br />

Terror durch schwarze Magie<br />

Während die matriarchale Doppelgottheit des Einen das kosmischen Einheitsbewusstsein<br />

versinnbildlichte, erzeugte die patriarchal-animis-tische Gegenphilosophie ein sinn- und<br />

zusammenhangloses Weltbild. „Alle Dinge sind boshafte lebendige Wesen, die einan<strong>der</strong><br />

mit Neid und Hass betrachten. Da es mit <strong>der</strong> Verneinung des Einen kein Ganzes mehr<br />

gab, konnte es auch keinen Sinn, kein Telos (Ziel) des Ganzen mehr geben; es gab nur<br />

die blinde Notwendigkeit, dass das stärkere Lebendige, seien es Himmelskörper o<strong>der</strong><br />

Lebewesen, das schwächere seinen egoistischen Daseinsinteressen unterwerfen<br />

muss.“ 14<br />

Das ist nichts an<strong>der</strong>es als Animismus, entsprungen aus <strong>der</strong> Angst vor <strong>der</strong> Bedrohung<br />

durch das geistig Stärkere und dazu bestimmt, Angst zu erzeugen, um stärker zu werden<br />

o<strong>der</strong> zu bleiben. <strong>Die</strong> Meister dieses Animismus waren die Schamanen, Magier und


Zauberer. Magie bedeutet die geistige o<strong>der</strong> feinstoffliche Wechselwirkung, mit <strong>der</strong> alle<br />

Erscheinungen in <strong>der</strong> Welt – bewusst o<strong>der</strong> unbewusst – miteinan<strong>der</strong> in Verbindung<br />

stehen. <strong>Die</strong> Kunst des Magiers bestand also darin, durch bewusste und willentliche<br />

Konzentration eine starke magische Kraft zu erzeugen, mit <strong>der</strong> er den an<strong>der</strong>en, magisch<br />

schwächeren menschlichen Wesen seinen Willen aufzwingen konnte. Der Magier hielt<br />

sich für allmächtig und fähig, Sonne, Mond und Sterne zu bannen und erschien auch so,<br />

solange es ihm gelang, seinen Stamm von seiner magischen Allmacht zu überzeugen.<br />

Dadurch befreit er seine Stammesangehörigen von ihrer Angst, von stärkeren magischen<br />

Mächten überwältigt zu werden, allerdings nur für den Preis ihrer beängstigenden<br />

Abhängigkeit von ihm.<br />

Wehe den Stammesmitglie<strong>der</strong>n, die die Allmacht des Magiers anzweifelten o<strong>der</strong> aus<br />

an<strong>der</strong>en Gründen seinen Zorn herauf beschwörten! Ein schrecklicher Fluch des Magiers<br />

traf sie, <strong>der</strong> sie töten musste, solange sie von ihm noch geistig abhängig waren. „Konnte<br />

man aber den Verfluchten nicht selbst erreichen, so genügte es, ein symbolisches Bild<br />

von ihm herzustellen, seine Lebenskraft hineinzubannen und es dann langsam zu<br />

zerstören. So lehrte man in den hoministischen Priesterschulen auch die raffiniertere<br />

Opfermethode durch die schwarze Magie. Beson<strong>der</strong>s diese magisch-satanistische<br />

Opferweise musste die untergehende alte Welt mit lähmendem Entsetzen vor <strong>der</strong> Macht<br />

des urjahwistischen Priesterstandes erfüllen, denn nun konnte niemand mehr wissen,<br />

wann die Reihe an ihn kam.“ 15<br />

Da die Magier und Schamanen im <strong>Die</strong>nste des Männerhauses standen, war ihre Magie<br />

vor allem gegen die Frauen gerichtet, um auch die kleinsten Ansätze von weißer Magie<br />

sofort im Ansatz zu zerstören. Aus heutiger Sicht wirken die Schwirrhölzer, Masken und<br />

Tänze <strong>der</strong> Schamanen lächerlich, weil sie nur diejenigen beeindrucken konnten, die sich<br />

von ihnen beeindrucken ließen – doch das eigentliche Machtpotential <strong>der</strong> Magier waren<br />

Menschenopfer und satanistische Rituale, die ihre realen und potentiellen Opfer in Angst<br />

und Schrecken versetzten und damit die Grundlage für die magische Terrorherrschaft<br />

schufen. „Beim Anblick dieser satanistischen Magie musste, wie die männlichen<br />

Geheimbünde kalkulierten, den Frauen das Blut erstarren.“ 16<br />

<strong>Die</strong>se schwarze Magie und ihre Methoden waren es auch, die den patriarchalen Göttern<br />

eine gehorsame und vor Furcht zitternde Anhängerschaft verschaffte. „Wenn man den<br />

hebräischen Urjahwe, den aztekischen Huitzilipotchli, den keltischen Teutates, den<br />

germanischen Odin, den hinduistischen Schiwa, um nur einige <strong>der</strong> fürchterlichsten<br />

Varianten zu nennen, die alle samt ihren grausamen Riten dem magischen Animismus<br />

entstammen, zusammen betrachtet, erst dann bekommt man eine Ahnung von dem<br />

versteinerten Entsetzen, das die Menschheit bei <strong>der</strong> Offenbarung des monotheistischen<br />

Urgottes gepackt haben muss, <strong>der</strong> alle diese Gräuelgestalten latent in sich trug.“ 17<br />

In späteren Zeiten wurden die Gottheiten und die von ihnen ausgesprochenen Strafen<br />

humanisiert, ihre Religion versachlicht und moralisiert, so dass <strong>der</strong> Schrecken von ihnen<br />

wich und sie endlich als gütige Vatergestalten verehrt werden konnten. Doch im<br />

Hintergrund lauerte immer <strong>der</strong> Terror, bereit, je<strong>der</strong>zeit zu Hilfe zu eilen, wenn einmal die


Verehrung nachlassen o<strong>der</strong> gar matriarchalen Gottheiten gelten sollte. Das beste Beispiel<br />

dafür war <strong>der</strong> inquisitorische Terror <strong>der</strong> katholischen Kirche, <strong>der</strong> beim Vordringen <strong>der</strong><br />

gnostischen Gegengottheiten aus <strong>der</strong> geschichtlichen Versenkung geholt wurde und<br />

tatsächlich den gleichen durchschlagenden Erfolg wie schon im Urpatriarchat erzielte.<br />

Initiationsriten<br />

Kultische Riten, mit denen die Jugendlichen an <strong>der</strong> Schwelle des Erwachsenen feierlich<br />

auf die religiösen Werte und Ziele ihrer Gemeinschaft verpflichtet wurden, gab es schon<br />

im Matriarchat. Im Verlauf <strong>der</strong> patriarchalen Revolution übernahmen männliche<br />

Initiationsriten eine zentrale Bedeutung bei <strong>der</strong> Austreibung aller Erinnerungen an das<br />

ursprüngliche Matriarchat und bei <strong>der</strong> Schaffung eines patriarchalen Charakters. <strong>Die</strong><br />

schwarzmagischen Initiationsriten lassen sich als eine Abfolge von fünf aufeinan<strong>der</strong><br />

aufbauenden Initiationsstufen 1 verstehen, die die Novizen bestehen mussten, um als<br />

vollwertiges männliches Stammesmitglied zu gelten:<br />

• <strong>Die</strong> Novizen verlassen ihren Stamm, um in <strong>der</strong> Loge des patriarchalen Priesterbundes im<br />

„Zauberwald“ eingeweiht zu werden<br />

• Dort sterben sie nach einer hypnotischen Behandlung durch den Magier einen magischen<br />

Tod.<br />

• Nach seiner Rückkehr in das Tagesbewusstsein fühlt sich <strong>der</strong> „Erweckte“ als<br />

Wie<strong>der</strong>geborener, bei dem jede Erinnerung an seine alte Vergangenheit ausgelöscht ist,<br />

so dass er oft sogar die Sprache neu lernen muss. Er ist jetzt sozusagen eine tabula rasa,<br />

eine leere Tafel, auf <strong>der</strong> <strong>der</strong> Magier sein patriarchales Stammesgesetz schreiben kann.<br />

• „Es folgt die Beschneidung des Erweckten. Sie ist das Zeichen <strong>der</strong> zum Kampf gegen die<br />

gnostische Gynäkokratie geeinten Männerbünde.“ 18 Dabei wurde symbolisch <strong>der</strong><br />

Körperteil bestraft, mit dem die Männer im Matriarchat gesündigt hatten, indem sie bei<br />

ihrer sexuellen Vereinigung zugleich die kosmische Vereinigung des weiblichen und des<br />

männlichen Teils <strong>der</strong> Urgottheit vollzogen hatten. <strong>Die</strong> patriarchale Form des<br />

Sexualverkehrs hatte mit einer solchen „sündigen Form“ nichts zu tun, sie galt als<br />

Demonstration männlicher Macht und Stärke und zugleich als Sieg über die Frau, <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Mann seinen Willen aufgezwungen hatte.<br />

• Wie Fremde kehren die Eingeweihten in ihre Stämme zurück, um hier, im Geiste <strong>der</strong><br />

neuen Offenbarungen, ein neues Leben zu führen, vor allem aber, um die patriarchale<br />

Religion zu verbreiten und durchzusetzen. <strong>Die</strong> Geheimbünde <strong>der</strong> Priester waren zugleich<br />

Kampfbünde, meist in enger Zusammenarbeit mit dem Häuptling und <strong>der</strong> Führungsschicht<br />

seines Stammes.<br />

<strong>Die</strong> Möglichkeit des Rückfalls in die alte matriarchale Kultur war jedoch in dieser<br />

chaotischen Übergangszeit stets gegenwärtig; die Beschneidungsriten und an<strong>der</strong>e<br />

Formen <strong>der</strong> rituellen Verstümmelung waren symbolische Strafen für die vergangenen und<br />

zukünftigen Missetaten in diesem Sinn.<br />

Der Ursprung <strong>der</strong> Homosexualität<br />

Um die Möglichkeit einer selbstvergessenen und daher „sündigen“ Hingabe an die Frau<br />

beim Geschlechtsverkehr auszuschließen, wurde in dieser Zeit oft die Homosexualität<br />

1 <strong>Die</strong>se Stufenfolge wurde von O. Eberz aus <strong>der</strong> ethnologischen Literatur, vor allem Frazers „Golden Bough“<br />

herausdestilliert


praktiziert. Auch diese Form <strong>der</strong> Sexualität war eine Art von Vergewaltigung – <strong>der</strong><br />

spartanische Ausdruck für die homosexuelle Liebe bedeutete im wörtlichen Sinn „die<br />

Seele einhauchen“. Der homosexuelle Liebhaber war oft ein Magier, <strong>der</strong> mit diesem Mittel<br />

dem Geliebten seinen patriarchalen Willen aufprägte. Seine neue sexuelle Identität war<br />

daher zugleich eine magische, bei <strong>der</strong> <strong>der</strong> Geliebte zugleich mit dem patriarchalen Gott<br />

verbunden wurde, dessen Mission <strong>der</strong> Magier verkörperte. So verwun<strong>der</strong>t es nicht, dass<br />

die Elitetruppe im griechischen Theben aus Homosexuellen bestand, <strong>der</strong>en Kampfeinsatz<br />

zugleich Gottesdienst war.<br />

Nach <strong>der</strong> Etablierung <strong>der</strong> patriarchalen Ordnung gab es keine Notwendigkeit für die<br />

homosexuelle Liebe mehr, denn auch die Frauen waren dann die patriarchale Form <strong>der</strong><br />

„Liebe“ gewohnt und lehnten sich nicht mehr gegen sie auf. „Nur in Griechenland, wo <strong>der</strong><br />

Geschlechterkampf <strong>der</strong> Vorzeit überaus leidenschaftliche Formen angenommen hatte,<br />

erhielt sich auch <strong>der</strong> ursprünglich religiöse Homosexualismus gesellschaftsfähig.“ 19 <strong>Die</strong><br />

griechischen Frauen hatten wohl immer noch das Erbe <strong>der</strong> hohen pelasgischen Kultur<br />

bewahrt, so dass sie die patriarchale Form <strong>der</strong> Liebe verachteten und sich gegen sie<br />

wehrten.<br />

Matriarchale Apokalypsen<br />

Überall, wo sich die Indoeuropäer und ihre patriarchale Ordnung mit physischem und<br />

magischem Terror etabliert hatten, entstanden im Untergrund neue Männer- und<br />

Frauenorden. Nach dem Scheitern des gewaltsamen Wi<strong>der</strong>standes versuchten sie das<br />

Erbe des Matriarchats zumindest in <strong>der</strong> Erinnerung und in <strong>der</strong> Hoffnung auf seine später<br />

Wie<strong>der</strong>kehr zu bewahren. Das Ergebnis waren matriarchale Apokalypsen, die das Drama<br />

des Einbruchs des Patriarchats und die Hoffnung auf die Rückkehr zur alten Ordnung in<br />

einer mythologischen Erzählung überlieferten, die aus drei Akten bestand:<br />

• Der erste Akt „kann das goldene Zeitalter heißen. Das göttliche Liebespaar genießt sein<br />

ungetrübtes Glück.“ 20 Mit dem göttlichen Liebespaar ist die zweigeschlechtliche Gottheit<br />

<strong>der</strong> Jungsteinzeit gemeint.<br />

• Der zweite Akt erzählt die Geschichte vom verlorenen Paradies, weil neben dem<br />

göttlichen Paar ein negatives Prinzip als Antithese zum Goldenen Zeitalter erscheint, das<br />

im Teufel, Satan, Ahriman o<strong>der</strong> in an<strong>der</strong>en Unholden verkörpert wird. <strong>Die</strong>ser böse Feind<br />

tötet die männliche Hälfte des göttlichen Paares und verwandelt die weibliche in eine<br />

Göttin des Leids.<br />

• Im dritten Akt wird alles wie<strong>der</strong> gut, <strong>der</strong> böse Feind wird besiegt, die Liebe und Trauer <strong>der</strong><br />

Göttin erwecken ihren männlichen Geliebten wie<strong>der</strong> zum Leben.<br />

<strong>Die</strong>se matriarchalen Apokalypsen sind in fast allen Weltgegenden überliefert, was im<br />

Umkehrschluss die Existenz eines globalen Matriarchats beweist. „<strong>Die</strong> frohe Botschaft<br />

des Zweigeschlechterwesens und seines Doppelordens“ 21 wurde zwar lange Zeit in<br />

matriarchalen Mysterienbünden gehütet und überliefert, jedoch fast immer von den<br />

Priesterbünden des unipolaren Gottes o<strong>der</strong> von Abtrünnigen des Matriarchats in ihrem<br />

Sinn verfälscht. „Lei<strong>der</strong> ist uns keine einzige <strong>der</strong> gnostisch-gynäkokratischen Apokalypsen<br />

in ihrer Urfassung erhalten geblieben; aber das Material, sie zu rekonstruieren, ist<br />

ausreichend.“ 22 Im Folgenden sollen einige <strong>der</strong> matriarchalen Apokalypsen einschließlich


ihrer nachträglichen Verfälschungen beschrieben werden, wie sie durch mehrere<br />

Jahrtausende überliefert wurden.<br />

Ägypten<br />

<strong>Die</strong> ägyptische Göttin Isis bildete in <strong>der</strong> ägyptischen Mythologie den weiblichen Part <strong>der</strong><br />

Doppelgottheit, ihr Geliebter Osiris den männlichen. Er wurde nach dem Eindringen<br />

patriarchaler Stämme – im 2. Akt des apokalyptischen Dreiakters – vom patriarchalen<br />

Wüstengott Seth in 14 Teile auseinan<strong>der</strong> gerissen. <strong>Die</strong>s bedeutete in <strong>der</strong> Praxis wohl den<br />

grausamen Tod einer Zerstückelung o<strong>der</strong> zumindest die Entmannung seiner Priester,<br />

letzteres wird auch auf einer ägyptischen Bildtafel dargestellt. Isis wird in dieser Phase zur<br />

weinenden Göttin, Osiris verschwindet im Totenreich, nachdem ihn Isis wie<strong>der</strong> notdürftig<br />

zusammengeflickt und mumifiziert hat. Isis ist aber fest überzeugt, nach dem<br />

Zusammenbruch des Patriarchats ihren geliebten Osiris wie<strong>der</strong> neu zum Leben erwecken<br />

zu können. Das ist die eschatologische Verheißung <strong>der</strong> 3. Phase, die auch als<br />

Wie<strong>der</strong>aufrichtung des Matriarchats bezeichnet werden kann.<br />

Wie alle an<strong>der</strong>en matriarchalen Apokalypsen zeigt auch die ägyptische deutlich die<br />

Spuren einer patriarchalen Verfälschung. In diesem Fall wurde dem Totengott Osiris das<br />

patriarchale Dogma untergeschoben, im Jenseits bestrafen o<strong>der</strong> belohnen zu können.<br />

Noch seltsamer ist es, dass Isis ein Kind namens Horus bekommen haben soll – <strong>der</strong> als<br />

Falke symbolisierte Horus war ursprünglich ein Gefährte von Seth und wurde auch selbst<br />

als Kriegsgott verehrt.<br />

Dass in vielen Isis-Darstellungen das Horuskind, also <strong>der</strong> spätere patriarchale Kriegsgott<br />

auf dem Schoß <strong>der</strong> Göttin <strong>der</strong> Weisheit sitzt, zeigt deutlich die nachträgliche Verfälschung<br />

des ursprünglich matriarchalen Mythos durch das Patriarchat, das in Ägypten die Macht<br />

eroberte und sich mit den traditionellen Insignien <strong>der</strong> Weisheit schmückte, die eigentlich<br />

dem matriarchalen Priesterbund zustünden.<br />

Juda<br />

<strong>Die</strong> matriarchale Apokalypse erscheint im Alten Testament in stark verzerrter Form, weil<br />

die heiligen Schriften <strong>der</strong> Thora von Jahwepriestern mit dem Ziel verfasst wurden, die<br />

matriarchale Tradition zu verschweigen, zu verleugnen o<strong>der</strong> zu verunglimpfen. <strong>Die</strong><br />

matriarchale Apokalypse wurde auf dieser Weise zu einer patriarchalen Gegen-<br />

Apokalypse, die aber ihren Gegensatz in negierter Form enthält.<br />

1. Akt: <strong>Die</strong> ursprüngliche spirituelle Führung <strong>der</strong> Frauen im Matriarchat zeigte sich in <strong>der</strong><br />

jüdischen Schöpfungsgeschichte darin, dass Eva zuerst vom Baum <strong>der</strong> Erkenntnis aß und<br />

diesen „Erkenntnis-Apfel“ dann Adam reichte, um ihn ebenfalls einzuweihen.<br />

2. Akt: Aus dem ursprünglichen Götterpaar Eva-Adam machte die Thora das erste<br />

Menschenpaar, denn <strong>der</strong> eifersüchtige Gott Jahwe legte großen Wert darauf, als einziger<br />

verehrt zu werden. Der Inhalt des 2. Aktes in <strong>der</strong> matriarchalen Apokalypse – die<br />

Vertreibung des Menschen aus dem Paradies – wurde in <strong>der</strong> jüdischen<br />

Schöpfungsgeschichte ganz unverhüllt genannt, allerdings ganz an<strong>der</strong>s interpretiert. Nicht<br />

die patriarchalen Eroberer und Jahwe-Priester seien schuld an dieser Vertreibung,<br />

son<strong>der</strong>n die Menschen selbst, weil sie die Weisungen des patriarchalen Schöpfergottes


nicht befolgt hätten. Jahwe drohte den Abtrünnigen sogar mit dem Tod – ein deutlicher<br />

Hinweis auf die grausame Verfolgung und Ausrottung aller AnhängerInnen <strong>der</strong> alten<br />

Ordnung.<br />

3. Akt: Von einer Wie<strong>der</strong>aufrichtung des Matriarchats ist im Alten Testament natürlich nie die<br />

Rede. Deutliche Spuren finden wir allerdings in <strong>der</strong> apokalyptischen Offenbarung <strong>der</strong><br />

Johannes, die den Kampf <strong>der</strong> Göttin Sophia – „ein Weib, mit <strong>der</strong> Sonne bekleidet, und <strong>der</strong><br />

Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone mit zwölf goldenen Sternen“ 23<br />

mit dem Drachen des Patriarchats beschreibt; <strong>der</strong> Kampf endet mit dem Sieg über den<br />

Drachen. Das ist dann das Neue Jerusalem: „Und Gott wird abwischen alle Tränen von<br />

ihren Augen, und <strong>der</strong> Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz<br />

wird mehr sein“ 24 .<br />

Sumer-Babylon<br />

Das Reich von Babylon war <strong>der</strong> Nachfolger <strong>der</strong> sumerischen Stadtstaaten im<br />

Zweistromland, wo die matriarchale Apokalypse zuerst entstand. <strong>Die</strong> alte<br />

zweigeschlechtliche Doppelgottheit hieß dort Inanna-Dumuzi, semitisch Ischtar-Tammuz.<br />

<strong>Die</strong> drei Phasen zeigen sich in folgenden Inhalten:<br />

• Der Name „Dumuzi“ bedeutet „echter Sohn“ – wahrscheinlich sollte dieser Name<br />

schon damals die echte Überlieferung von seinem patriarchalen Zerrbild abgrenzen.<br />

• Wie <strong>der</strong> Orden des Tammuz unterging, wird im Mythos nicht beschrieben, wohl aber<br />

die Klage <strong>der</strong> Ischtar um seinen Tod. Ischtar selbst wurde im patriarchalen Mythos zur<br />

Dirne gemacht, und mit ihr ihre Priesterinnen, die babylonischen Tempelhuren, die das<br />

Geld in den Kassen <strong>der</strong> patriarchalen Priester klingen ließen. Passend dazu waren die<br />

Tempel außerdem auch die Vorläufer von Banken, die viel Gold aufbewahrten und<br />

später das Münzrecht besaßen.<br />

• Nachdem Tammuz in die Unterwelt verbannt worden war, wollte ihn Ischtar durch<br />

ihren Gang in die Unterwelt wie<strong>der</strong> herausholen und auf diese Weise die Wie<strong>der</strong>kehr<br />

des Goldenen Zeitalters ermöglichen.<br />

Griechenland<br />

Mit beson<strong>der</strong>er Grausamkeit wütete das Patriarchat in Griechenland. Dort hieß die<br />

Doppelgott-heit Gaia-Uranos. Dass es sich um eine solche handelte, geht eindeutig aus<br />

<strong>der</strong> Beschreibung von Hesiod hervor: „<strong>Die</strong> Erde aber gebar zuerst den bestirnten Uranos,<br />

damit er sie ganz umhülle“ 25 .<br />

<strong>Die</strong> weibliche Erde und <strong>der</strong> männliche Himmel bildeten also eine Einheit; das weibliche<br />

Prinzip war zuerst da, weil die Frau zuerst die matriarchale Spiritualität entwickelte und an<br />

den Mann weitergab.<br />

• Dem Einbruch des Patriarchats entsprach in <strong>der</strong> Götterwelt die Entmannung des Uranos<br />

durch den Moloch Kronos, <strong>der</strong> im Olymp die Herrschaft übernahm, bis er von Zeus gestürzt<br />

wurde.<br />

• Damit endet dieser Mythos, er ist nur eine patriarchale Geschichtserzählung, die natürlich<br />

keine Hoffnung auf einen Sturz des Patriarchats enthält – ganz im Gegensatz zu drei<br />

weiteren griechischen Mythen, die im Folgenden kurz erzählt werden sollen.


Das Leiden und die Auferstehung <strong>der</strong> Kore<br />

Hier handelt es sich um den Mythos <strong>der</strong> eleusinischen Mysterien, <strong>der</strong> in späterer Zeit in<br />

patriarchal verfälschter Form eine große Bedeutung bekam, vor allem in <strong>der</strong> römischen<br />

Kaiserzeit – zu den Eingeweihten gehörten auch die Kaiser Augustus und Julian<br />

Apostata, <strong>der</strong> letzte heidnische Kaiser.<br />

<strong>Die</strong> Handlung wird durch drei Gottheiten bestimmt: <strong>Die</strong> Göttin Demeter vertritt die<br />

matriarchalen Frauen, ihr Wi<strong>der</strong>sacher ist <strong>der</strong> Gott Pluto, <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> des Zeus und<br />

Wächter <strong>der</strong> Unterwelt, <strong>der</strong> nicht nur die Verstorbenen richtete, son<strong>der</strong>n wohl auch viele<br />

Lebende vom Leben zum Tod beför<strong>der</strong>te. Hinter Pluto verbirgt sich eine unheimliche<br />

patriarchale Priesterkorporation, <strong>der</strong>en finstere Magie Furcht und Schrecken verbreitete.<br />

<strong>Die</strong> dritte Gottheit ist Kore, <strong>der</strong>en Name nur „Mädchen o<strong>der</strong> Jungfrau“ bedeutet und die<br />

später mit <strong>der</strong> Unterweltsgöttin Persephone gleichgesetzt wurde. Kore vertritt den<br />

matriarchalen Jungfrauenorden, <strong>der</strong> die geistige Führung hatte, denn laut Eberz waren die<br />

matriarchalen Priesterinnen Jungfrauen, die nur so die spirituelle Reinheit erreichen<br />

konnten, die für ihr Amt notwendig war.<br />

Kore-Persephone wurde von Pluto in die Unterwelt entführt, <strong>der</strong> sie gewaltsam zu seiner<br />

Gattin machte – mit an<strong>der</strong>en Worten, sie wurde vergewaltigt und verschleppt, so dass die<br />

matriarchalen Frauen ihrer spirituellen Führung beraubt waren. <strong>Die</strong> Demeter-<br />

Anhängerinnen suchten überall verzweifelt nach ihrer verlorenen Mitte, dem<br />

Jungfrauenorden <strong>der</strong> Kore. Das Ziel war die Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> alten Ordnung.<br />

<strong>Die</strong>se Geschichte wurde von patriarchalen Theologen völlig ihres revolutionären Inhalts<br />

entkleidet, in ihrem Mythos schloss Pluto einen faulen Kompromiss mit Kore: Sie durfte<br />

zusammen mit ihm das Totenreich regieren, wenn sie sich seiner Herrschaft unterwarf – die<br />

Frauenbünde bekamen also einen kleinen Anteil an <strong>der</strong> Macht <strong>der</strong> Eroberer, wenn sie<br />

ihnen dienen wollten. Auch Demeter, die Mutter <strong>der</strong> Kore, <strong>der</strong>en Traurigkeit nach <strong>der</strong><br />

Entführung ihrer Tochter durch das Verdorren des Landes symbolisiert wurde, musste in<br />

einen solchen Kompromiss einwilligen – wenn sie dem Land seine Fruchtbarkeit<br />

wie<strong>der</strong>gab, konnte sie sich im Frühjahr über ihre aus <strong>der</strong> Unterwelt auferstandene Tochter<br />

freuen, musste sie aber im Herbst an den finsteren Unterweltgott abgeben.<br />

Eine gegenständliche Deutung aus dem patriarchalen Dunstkreis versteht die<br />

Eleusinischen Mysterien als Symbol für das Wachsen und Vergehen des durch Demeter<br />

verkörperten Getreides, eine psychologische Deutung betont die Wandlung <strong>der</strong><br />

individuellen Seele in <strong>der</strong> Unterwelt nach dem Tod und ihre Auferstehung in einem neuen<br />

Leben – <strong>der</strong> ursprüngliche Sinn ist völlig entstellt.<br />

Prometheus und Pandora<br />

Prometheus gehörte zu den Titanen, mit denen Zeus am Anfang seiner Herrschaft<br />

schwere Kämpfe ausfechten musste, bis er sie am Schluss alle besiegt hatte. <strong>Die</strong> Titanen<br />

waren das Symbol für die matriarchalen Urbewohner Griechenlands, die die griechischen<br />

Invasoren wie<strong>der</strong> zu vertreiben versuchten, nachdem sie erkannt hatten, dass diese ihre<br />

Kultur und Religion vernichten wollten. <strong>Die</strong>se von den Eroberern später als „Heroenzeit“


verklärte Epoche, als das Land in ein Chaos von Gewalt und Blutvergießen gestürzt<br />

wurde, muss wohl viele Jahrhun<strong>der</strong>te gedauert haben.<br />

Das Schicksal des Titanen Prometheus war noch schrecklicher als das <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Götter bzw. ihrer männlichen Orden im ostmediterranen Raum: „Prometheus wurde<br />

lebendig an einen Felsen des Kaukasus geschmiedet; jeden Tag fraß <strong>der</strong> Adler des Zeus<br />

an <strong>der</strong> Leber des Opfers, die nachts wie<strong>der</strong> nachwuchs.“ 26 Im Matriarchat war<br />

Prometheus das Symbol des vereinten Frauen- und Männerordens. Als solcher war er <strong>der</strong><br />

Feuerbringer, <strong>der</strong> das heilige Herdfeuer überall dorthin brachte, wo <strong>der</strong> Doppelorden neue<br />

Siedlungen gründete; Pandora aber hütete die heilige Bundeslade, ihr sakramentales<br />

Fass, in dem die Bundessymbole untergebracht waren – die „Büchse <strong>der</strong> Pandora“. Bei<br />

beson<strong>der</strong>en Gelegenheiten wurde das heilige Fass geöffnet, das Symbol zur Verehrung<br />

herausgenommen und danach wie<strong>der</strong> hineingelegt. Daher kam auch <strong>der</strong> Name <strong>der</strong><br />

Pandora: die Allschenkende und Allgütige; das Heiligtum im Fass verkörperte die Zukunft<br />

und die Hoffnung des ganzen Bundes.<br />

Um Pandora zu verleumden, wandten die Theologen des patriarchalen Zeus-Bundes die<br />

gleiche Methode an wie ihre Kollegen im <strong>Die</strong>nst des jüdischen Jahwe: Sie setzten ihren<br />

Gott an den Anfang <strong>der</strong> Menschheitsgeschichte und machten die Göttin zu einer später<br />

hinzugekommenen Verführerin <strong>der</strong> Menschheit, die das Unheil über sie gebracht hätte –<br />

Eva durch den Paradiesapfel, den sie Adam überreichte, Pandora durch ihre Büchse, die<br />

sie Epimetheus schenkte. Beim Öffnen entwichen alle Übel <strong>der</strong> Welt, die in ihr verborgen<br />

waren. In dieser patriarchalen Version <strong>der</strong> Sage war Pandora nur ein von Zeus<br />

geschaffenes Kunstwerk in Frauengestalt, das von den Göttern des Olymps mit allen<br />

denkbaren Verführungskünsten ausgestattet worden war. In diesem Sinne war sie nicht<br />

mehr die Allschenkende, son<strong>der</strong>n die All-Beschenkte, die alle ihre Gaben von den Göttern<br />

des Olymps bekommen hatte.<br />

Der germanische Mythos von Bal<strong>der</strong> und Nanna<br />

„Bal<strong>der</strong> und Nanna haben we<strong>der</strong> Vater noch Mutter; sie waren vom Anfang des<br />

gnostischen Äons an da; sie sind <strong>der</strong> Urandrogyn.“ 27 Wie Krishna starb Bal<strong>der</strong> durch<br />

einen Pfeil und wie dieser wurde er nachträglich zu einem patriarchalen Gott gemacht; in<br />

diesem Fall dadurch, dass er zum Sohn dessen erklärt wurde, <strong>der</strong> ihn ermorden ließ:<br />

Odin. Um die Schuld Odins zu verschleiern, wurde <strong>der</strong> Tod Bal<strong>der</strong>s dem Lügengott Loki in<br />

die Schuhe geschoben, <strong>der</strong> jedoch nur eine Kopie von Odin war, denn auch Odin war ein<br />

Gott <strong>der</strong> politischen Lüge und des Verrats.<br />

Nach <strong>der</strong> germanischen Götterdämmerung, <strong>der</strong> Ragnarök, soll es <strong>der</strong> Sage nach zu einer<br />

Wie<strong>der</strong>auferstehung von Bal<strong>der</strong> und Nanna kommen. Doch auch diese Sage von <strong>der</strong><br />

Götterdämmerung zeigt schon die Spur einer patriarchalen Nachbearbeitung: Nachdem<br />

die Welt von den patriarchalen Asen und Wanen befreit wurde, kehrten ihre Nachfolger<br />

wie<strong>der</strong> zurück – das Spiel konnte von vorne beginnen.<br />

<strong>Die</strong>se hier beschriebenen matriarchalen Apokalypsen in den von Indoeuropäern o<strong>der</strong><br />

Semiten eroberten Regionen waren nicht die einzigen auf <strong>der</strong> Welt – das Drama des


Einbruchs des Patriarchats war ein globales. Das zeigt die Existenz matriarchaler<br />

Apokalypsen u. a. in Japan, in Mittelamerika o<strong>der</strong> in Finnland, die von Eberz beschrieben<br />

wurden.<br />

Menschenopfer als<br />

„Anti-Apokalypsen“<br />

<strong>Die</strong> matriarchalen Apokalypsen beschrieben die Ermordung des göttlichen Androgyns –<br />

<strong>der</strong> zweigeschlechtlichen Gottheit – und damit des matriarchalen Männer- und<br />

Frauenordens; diese Erzählung wurde von ihren Nachfolgern im Untergrund als<br />

Mysterienspiel, als kultisch-dramatische Messe gefeiert, in <strong>der</strong> die Ermordung des<br />

Urandrogyns betrauert und seine zukünftige Auferstehung gefeiert wurde.<br />

<strong>Die</strong>se geheimen matriarchalen o<strong>der</strong> weißen Messen wurden von den neuen Herren in<br />

ihren schwarzen Messen parodiert, in denen <strong>der</strong> Tod des Urandrogyns nicht bloß gespielt,<br />

son<strong>der</strong>n in Form eines Menschenopfers tatsächlich realisiert wurde – <strong>der</strong> Tod des<br />

matriarchalen Gottes wurde dabei nicht betrauert, son<strong>der</strong>n gefeiert. <strong>Die</strong> Ermordung <strong>der</strong><br />

Göttin wurde dabei allerdings meistens weggelassen, denn nach patriarchalem<br />

Verständnis kam es vor allem auf den Männergott an. <strong>Die</strong>s ist <strong>der</strong> Hintergrund, auf dem<br />

die ansonsten nur schwer verständlichen Institutionen des Winterkönigs in Nordeuropa<br />

und des Narrenkönigs in Südeuropa einen Sinn ergeben.<br />

Der Winterkönig<br />

Wie im Matriarchat, so spielte auch im Patriarchat <strong>der</strong> Jahreskreis eine wichtige Rolle in<br />

<strong>der</strong> Mythologie und den religiösen Kulten. Das Ende des Winters wurde in <strong>der</strong> patriarchalen<br />

Mythologie auch gleichzeitig als Ende <strong>der</strong> matriarchalen Epoche und <strong>der</strong> Aufstieg <strong>der</strong><br />

Sonne im Frühling als Aufstieg des neuen, männlichen Weltalters gefeiert. „Durch das<br />

Fest des sogenannten Winteraustreibens wurde also symbolisch <strong>der</strong> alte Äon vom neuen<br />

verjagt; alle Kraft des schamanistischen (Patriarchats) wurde aufgeboten, um die<br />

magische Gegenkraft, die von <strong>der</strong> gnostischen weiblichen Messe ausging, durch eine<br />

schwarze Gegenmesse zu paralysieren.“ 28 Später wurde das Winteraustreiben – z. B. in<br />

<strong>der</strong> alemannischen Fasnacht – zu einem bloßen Brauchtums-Spektakel ohne Blutopfer,<br />

dessen eigentlicher Sinn vergessen war.<br />

Der Winterkönig stand also für das verhasste Matriarchat und als solcher musste er<br />

immer wie<strong>der</strong> neu ermordet werden, um seinen Untergang zu feiern und den<br />

„eifersüchtigen Gott“ des Patriarchats durch dieses Opfer immer wie<strong>der</strong> neu zu<br />

versöhnen. In alten Zeiten war <strong>der</strong> Geopferte wohl meistens ein Priester des Urandrogyns,<br />

später traten oft Sklaven an seine Stelle, wenn ein echter „Ketzer“ nicht mehr<br />

greifbar war.<br />

Der Narrenkönig<br />

Auch <strong>der</strong> Narrenkönig, <strong>der</strong> in den südlichen Län<strong>der</strong>n Europas und in Vor<strong>der</strong>asien geopfert<br />

wurde, war eine Karikatur des matriarchalen Sakralpriesters. „Seinem Wesen und


Ursprung nach ist auch das Narrenfest sehr bezeichnend ein Neujahrsfest, nämlich das<br />

Siegesfest des neuen Äons über den alten weiblichen. Hatte <strong>der</strong> nördliche Hominismus<br />

die Einschränkung des individuellen Egoismus des männlichen Geschlechts als eine<br />

winterliche Erstarrung <strong>der</strong> Kräfte empfunden, von <strong>der</strong> dieses durch die Sonne des neuen<br />

Zeitalters befreit wurde, so verhöhnte das hoministische Narrenfest die alte<br />

Gesellschaftsordnung des Goldenen Zeitalters als Narrenfreiheit.“ 29<br />

Beson<strong>der</strong>s deutlich wurde diese Bedeutung des Narrenfestes bei den Babyloniern. Ihr<br />

patriarchaler Hauptgott hieß Marduk, er war ein eingewan<strong>der</strong>ter Gott, <strong>der</strong> im 3.<br />

Jahrtausend in Mesopotamien noch unbekannt war und von einem einfachen Stadtgott<br />

zum babylonischen Reichsgott aufstieg – mit an<strong>der</strong>en Worten, er war <strong>der</strong> Gott <strong>der</strong> aus <strong>der</strong><br />

Wüste eingedrungenen semitischen Wüstenstämme, die Schritt für Schritt die<br />

sumerischen Stadtstaaten eroberten und das babylonische Reich schufen. <strong>Die</strong> Mythologie<br />

erzählt, dass „die jungen Göttergenerationen mit ihrem lärmenden Treiben bald Tiamat,<br />

die Urmutter aller Götter, sowie ihren Gatten Kingu (stören)“ 30 . Es kam zum Kampf<br />

zwischen <strong>der</strong> doppelgeschlechtlichen Urgottheit und Marduk, den dieser gewann, das<br />

Götterandrogyn auseinan<strong>der</strong> riss, beide tötete und aus <strong>der</strong> Leiche <strong>der</strong> Urgöttin die Erde,<br />

aus <strong>der</strong> Leiche des Urgottes Kingu die Menschheit formte.<br />

<strong>Die</strong>se „Neuschöpfung“ war also nichts an<strong>der</strong>es als die neue Welt des Patriarchats, die all<br />

das umstürzte, was im Matriarchat heilig gewesen war. <strong>Die</strong>ser Sieg und damit die<br />

Inthronisation des Marduk als Reichsgott wurde jedes Jahr am babylonischen<br />

Neujahrsfest gefeiert, das zugleich auch das Fest des Frühlings war. <strong>Die</strong> Vernichtung des<br />

Kingu, die Grundlage für diese Inthronisation, wurde dabei auch rituell und real vollzogen,<br />

zuerst an Kingu-Priestern, später an zum Tode verurteilten Kriminellen. Bevor <strong>der</strong><br />

jeweilige Opferkandidat nackt ausgezogen, gegeißelt und auf dem Scheiterhaufen<br />

verbrannt wurde, konnte er einige Tage in königlicher Narrenfreiheit leben, sogar die<br />

Benutzung des königlichen Harems war ihm gestattet. „Denn dieser Narrenkönig war für<br />

die Zeit seiner Narrenfreiheit, durch die das weibliche Zeitalter parodiert werden sollte, zu<br />

dem Gott geworden, den er selbst darstellte.“ 31<br />

<strong>Die</strong> Verspottung von Ketzern als Narrenkönige o<strong>der</strong> als Könige des Teufels und ihre<br />

anschließende grausame Hinrichtung gehört seitdem zum eisernen Traditionsbestand des<br />

Patriarchats. <strong>Die</strong> Spur dieses Kultes lässt sich auch bei Jesus erkennen, den die<br />

römische Soldateska als Narrenkönig verhöhnte, indem sie ihm einen roten Mantel anzog<br />

und eine Dornenkrone aufsetzte, bevor er gekreuzigt wurde. Auch die Ketzer des<br />

Mittelalters wurden als Narrenkönige verhöhnt, denen bei ihrem Gang zum<br />

Scheiterhaufen die Teufelsmaske aufgesetzt wurde.<br />

Das Kin<strong>der</strong>opfer<br />

Ebenfalls aus dieser terroristischen Epoche stammt das rituelle Opfer des erstgeborenen<br />

Sohnes, das <strong>der</strong> Urjahwe befahl. Was war <strong>der</strong> Sinn des urpatriarchalen Kin<strong>der</strong>opfers?<br />

„<strong>Die</strong>se dem Vater-Gott dargebrachten Kin<strong>der</strong>opfer waren <strong>der</strong> symbolische Ausdruck für<br />

die neue, an Stelle des gnostischen Matriarchats getretene patriarchale Familienordnung,


die dem Familienvater das souveräne Recht über Leben und Tod von Frau und Kin<strong>der</strong>n<br />

gab. Der Vater wurde zu einer angsteinflößenden, fast übermenschlichen Terrorgestalt,<br />

wie <strong>der</strong> Gott des Väterbundes selbst, dessen Gesetz er repräsentierte und vollzog. Das<br />

Kin<strong>der</strong>opfer bestätigte ihn als den Herrn seines eigenen Geschöpfes.“ 32<br />

Sein wichtigster Zweck war wohl die Demütigung und Abwertung <strong>der</strong> Mutter und ihrer<br />

Mutterliebe – ihr eigener Mann wurde im Auftrag seines Gottes zum Mör<strong>der</strong> des<br />

gemeinsamen Kindes und damit zu ihrem Feind, den sie aber lieben und ehren sollte. Auf<br />

diese Weise wurde die Persönlichkeit und Selbstachtung <strong>der</strong> Frauen zerstört, sie wurden<br />

zu Sklavinnen ihrer Männer und <strong>der</strong> patriarchalen Männergesellschaft.<br />

Wie geläufig den Juden das religiöse Kin<strong>der</strong>opfer war, zeigt die zehnte <strong>der</strong> im Alten<br />

Testament beschriebenen ägyptischen Plagen: „So spricht <strong>der</strong> Herr (Jahwe): Um<br />

Mitternacht will ich durch Ägyptenland gehen, und alle Erstgeburt in Ägyptenland soll<br />

sterben, vom ersten Sohn des Pharao an, bis zum ersten Sohn <strong>der</strong> Magd“ 33 . In <strong>der</strong><br />

Königszeit Israels und Judas kam es zu einer Renaissance <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>morde in Form<br />

ritueller Kin<strong>der</strong>verbrennungen, auch König Herodes soll in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Geburt Jesu die<br />

Tötung <strong>der</strong> Erstgeborenen befohlen haben. <strong>Die</strong>se religiös motivierten Kindstötungen waren<br />

keine speziell jüdische Erfindung – auch <strong>der</strong> grausame Gott Baal befahl die rituelle<br />

Kin<strong>der</strong>verbrennung, sogar in Indien war dieser Brauch eine Zeitlang üblich.<br />

Ritueller Kannibalismus<br />

<strong>Die</strong> Menschen- und Tieropfer hatten drei Zwecke: Sie waren Sühneopfer für den Abfall<br />

vom Vatergott, sie dienten <strong>der</strong> Verherrlichung seiner Allmacht, die durch diese<br />

Opferungen bewiesen wurde, und sie waren Bittopfer für seinen endgültigen Sieg. Im Ur-<br />

Opfer waren diese drei Zwecke noch vereint, später gab es so viele Opferarten wie<br />

Intentionen <strong>der</strong> Opferung.<br />

Nachdem das Opfer durch Handauflegen für den Männergott geweiht und geschlachtet<br />

worden war, wurde es zu etwas Heiligem – seine Schuld war gesühnt, das Opfer war von<br />

Gott angenommen und von seiner Kraft und Herrlichkeit bestätigt worden. Fleisch und<br />

Blut des Opfers galten damit ebenfalls als heilig und von göttlicher Kraft erfüllt; wer dieses<br />

Fleisch und Blut genoss, konnte an dieser Kraft teilhaben. Wirkungsvoller als das<br />

Tieropfer galt das Menschenopfer, das kannibalische Sakrament verschmolz die<br />

Gläubigen zu einer Gemeinschaft <strong>der</strong> Geheiligten, die so zu Heiligen wurden.<br />

<strong>Die</strong> Legende vom matriarchalen Menschenopfer<br />

<strong>Die</strong> „Blütezeit“ <strong>der</strong> Menschenopfer war die Zeit nach <strong>der</strong> Eroberung des Matriarchats<br />

durch das Patriarchat. Im Alten Testament wird diese Schreckenszeit schamhaft<br />

verschwiegen, es gibt nur einige indirekte Hinweise auf diese patriarchale Grün<strong>der</strong>zeit.<br />

Dazu zählt auch die Erzählung von <strong>der</strong> Sintflut, mit <strong>der</strong> Jahwe fast alle sündigen<br />

Menschen auslöschte, so dass am Schluss nur noch <strong>der</strong> fromme Noah und seine Familie<br />

übrig blieben, die vor Jahwe Gnade gefunden hatten und so zum Begrün<strong>der</strong> eines neuen<br />

Menschengeschlechts werden durften. <strong>Die</strong>se neue Menschheit nach <strong>der</strong> Liquidierung <strong>der</strong>


alten war wohl nichts an<strong>der</strong>es als das Ergebnis eines fürchterlichen Gemetzels unter dem<br />

Volk von Kanaan, in dessen Land die Israeliten eindrangen und alle töteten, die sich nicht<br />

ihrem Gott unterwarfen.<br />

<strong>Die</strong> archäologisch und mythologisch nachweisbaren Menschenopfer lagen so viele<br />

Jahrtausende zurück, dass sie viele mo<strong>der</strong>ne Archäologen aufgrund ungenauer<br />

Datierungsmethoden in die Zeit des Matriarchats verlegten. Neue Untersuchungen eines<br />

„Opferschachts“ in <strong>der</strong> „Jungfernhöhle“ bei Tiefenellern, <strong>der</strong>en Knochen eindeutig aus <strong>der</strong><br />

matriarchalen Bandkeramikerzeit stammten, brachten folgendes Ergebnis: Der<br />

„Opferschacht“ war in Wirklichkeit ein Friedhof. Der Mediziner Jörg Orschiedt entdeckte<br />

„bei seiner neuen Untersuchung <strong>der</strong> Gebeine mit Hilfe gerichtsmedizinischer Methoden<br />

…, dass die Knochen zertrümmert wurden, als diese Menschen schon lange Zeit tot<br />

waren. Auch bei den Schädelverletzungen handelt es sich nach Darstellung des<br />

Mediziners nicht um „frische“ Öffnungen, son<strong>der</strong>n um spätere „Sprödbrüche“ ohne<br />

Anzeichen von menschlicher Gewalt.“ 34 Es handelte sich hier wie in an<strong>der</strong>en Fällen um<br />

Sekundärbestattungen, wobei an den Toten rituelle Handlungen vorgenommen wurden,<br />

<strong>der</strong>en Sinn noch unklar ist – die matriarchalen „Menschenopfer“ waren in Wirklichkeit also<br />

„Totenopfer“.<br />

Tieropfer<br />

Der Jahwe, <strong>der</strong> Abraham die Opferung seines Sohnes verbot und ihm stattdessen einen<br />

Wid<strong>der</strong> zu opfern befahl, war <strong>der</strong> „Deuterojahwe“ (zweiter Jahwe) aus <strong>der</strong> legalistischen<br />

Phase, als <strong>der</strong> maßlose Terror <strong>der</strong> patriarchalen Grün<strong>der</strong>zeit nicht mehr notwendig war –<br />

das Menschenopfer wurde durch das Tieropfer ersetzt. Ein ähnlicher Umbruch wird vom<br />

griechischen Dichter Hesiod erwähnt: Zeus hätte das zuvor bei Kronos übliche<br />

Menschenopfer verworfen und stattdessen die Opferung von Tieren befohlen 35 .<br />

Noch zur Zeit Jesu war <strong>der</strong> Tempel von Jerusalem ein großer Schlachtplatz, auf dem<br />

ununterbrochen Tiere für die verschiedensten Zwecke geschlachtet wurden – die<br />

Gläubigen brachten ihre Opfertiere mit o<strong>der</strong> konnten sie gegen Bezahlung erwerben, auch<br />

die rituelle Opferung selbst ließ das Geld im Opferstock <strong>der</strong> Tempelpriester klingen;<br />

anschließend konnten sie die Reste des Opfertiers zum Verzehr nach Hause tragen.<br />

Beson<strong>der</strong>s beliebt war überall im Patriarchat das Stieropfer, weil <strong>der</strong> Stier als Symbol <strong>der</strong><br />

Männlichkeit, <strong>der</strong> mit seinen Hörnern zugleich das weibliche Mondsymbol trug, ideal zur<br />

symbolischen Bestrafung <strong>der</strong> doppelgeschlechtlichen Gottheit des Matriarchats geeignet<br />

war. Ein Relikt dieses alten Opferkultes ist <strong>der</strong> Stierkampf in Spanien, wo die Stiere<br />

symbolisch mit Speeren gequält und anschließend rituell getötet werden. Schon im Alten<br />

Testament galt ein junger Stier als edelstes Opfertier, das in <strong>der</strong> Hingabe einem<br />

Menschenleben gleichzusetzen war. Daher wird auch im Christentum <strong>der</strong> Opfertod Jesu<br />

Christi durch einen Stier symbolisiert.


Symbolische Menschenopfer<br />

Einen weiteren religiösen Umbruch bedeutete <strong>der</strong> Übergang vom Tieropfer zum<br />

symbolischen Menschenopfer, <strong>der</strong> allerdings nur von einem Teil <strong>der</strong> jüdischen<br />

Priesterschaft vollzogen wurde. Sein Ausgangspunkt war das Doppelsakrament <strong>der</strong><br />

matriarchalen Doppelgottheit, bei dem die weibliche Potenz durch das feste Brot, die<br />

männliche durch den flüssigen Wein symbolisiert wurde. Nachdem die Priesterinnen den<br />

Priestern das Brot und diese den Priesterinnen den Wein angeboten hatten, verzehrten<br />

sie gemeinsam in einer kultischen Handlung Brot und Wein zur Feier <strong>der</strong> Vereinigung des<br />

weiblichen und des männlichen Elements und damit <strong>der</strong> Gottheit des Einen.<br />

Ein Relikt dieser uralten matriarchalen Zeremonie war in Griechenland die Verehrung <strong>der</strong><br />

Göttin Demeter als Göttin des reifen Getreides, während <strong>der</strong> griechische Gott Dionysos<br />

<strong>der</strong> Gott des Weines war. Auch im Alten Testament finden sich Spuren dieses Kultes. Im<br />

9. Kapitel des Buches Sarcharja mit <strong>der</strong> Überschrift: „Ankündigung des Kommens des<br />

Friedenskönigs zum Heil Israels“ heißt es: „Korn macht Jünglinge und Most macht<br />

Jungfrauen blühen.“<br />

Im Judentum wurde das matriarchale Doppelsakrament von Brot und Wein vom<br />

jahwistischen Priesterorden des Melchisedek aufgegriffen und pervertiert. Während im<br />

Urpatriarchat <strong>der</strong> Winterkönig stellvertretend für die androgyne Gottheit geopfert wurde,<br />

opferte <strong>der</strong> Melchisedek-Orden stellvertreten für die androgyne Gottheit Mirjam-Jeschua<br />

die matriarchalen Sakramente Brot und Wein, die anschließend symbolisch konsumiert<br />

wurden – es handelte sich hier also um einen symbolischen Kannibalismus.<br />

Auch Jesus zelebrierte eine solche Abendmahls-Zeremonie, wobei nicht geklärt werden<br />

kann, ob er dem matriarchalen o<strong>der</strong> den patriarchalen Ritus folgte. Später wurden im<br />

orthodox-byzantinischen Abendmahls-Ritual die Qualen des Opferlamms Jesus<br />

symbolisch und stellvertretend an einem Laib Brot demonstriert: „Hierauf nimmt <strong>der</strong><br />

Priester in die linke Hand das heilige Brot, in die rechte die heilige Lanze. Dreimal<br />

wie<strong>der</strong>holend stößt er die heilige Lanze in die rechte Seite und durchschneidet sie. Dann<br />

in die linke Seite, in den oberen Teil, in den unteren Teil. Danach spricht <strong>der</strong> Diakon:<br />

‚Nimm hinweg, Gebieter‘, und <strong>der</strong> Priester stößt die heilige Lanze seitwärts in die rechte<br />

Seite des heiligen Brotes, indem er spricht: ‚Denn sein Leben ward von <strong>der</strong> Erde<br />

genommen‘. Und er legt es rücklings auf den heiligen Diskos und schneidet es in<br />

Kreuzform und spricht: ‚Geopfert wird das Lamm, welches die Sünde <strong>der</strong> Welt hinweg<br />

nimmt.“ 36<br />

Das pervertierte Erbe des Matriarchats<br />

Nach dem vollständigen Sieg des Patriarchats über das Matriarchat wurden viele<br />

matriarchale Elemente aufgegriffen, aber völlig an<strong>der</strong>s interpretiert.<br />

Das wichtigste Element war das Bild eines doppelpoligen Ganzen. So verkörperte das<br />

peruanische Königspaar – er als Vertreter des Sonnengottes, sie als Vertreterin <strong>der</strong><br />

Mondgöttin – in sich die Vereinigung <strong>der</strong> Polarität von Frau und Mann, gleichzeitig gab es<br />

aber auch die Polarität zwischen diesem Königspaar und seinem Volk – beide hingen


zusammen wie das Herz mit dem lebendigen Leib. Pizarro und seine Bande machte sich<br />

dies zunutze, indem sie den König gefangen nahmen, so dass das Volk seine ganzen<br />

Reichtümer opferte, um wie<strong>der</strong> mit ihm vereint zu sein – in diesem Fall lei<strong>der</strong> vergebens.<br />

Für den Aufbau <strong>der</strong> neuen Ordnung des Patriarchats wurde zwar die zweigeschlechtliche<br />

Doppelgott durch den einpoligen männlichen Gott ersetzt, die Polarität zwischen <strong>der</strong><br />

Gottheit und seinem Stammesvolk aber blieb erhalten. Seine weltliche Nutzanwendung<br />

war das Modell eines selbstherrlichen männlichen Führers in Vertretung des patriarchalen<br />

Gottes. Der Herrscher galt im Frühpatriarchat als Mittelpunkt eines vitalen Kreises und<br />

das Volk als äußerer Kreis, eine Polarität, bei <strong>der</strong> beide Elemente wechselseitig<br />

verbunden sind.<br />

Nach dem Vorbild des männlichen Gottes und seiner zentralen Rolle als Mittelpunkt des<br />

Universums stand auch <strong>der</strong> patriarchale Familienvater im Mittelpunkt <strong>der</strong> Großfamilie. Sie<br />

bestand nicht nur aus drei Generationen <strong>der</strong> väterlichen Linie mit ihren Frauen und<br />

Kin<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n auch noch aus dem Gesinde, den Bediensteten, Unfreien o<strong>der</strong> Sklaven,<br />

<strong>der</strong>en Arbeit die Grundlage für das ganze Haus bildete. Es handelte sich hier nicht einfach<br />

nur um ein äußerliches Herrschaftsverhältnis, son<strong>der</strong>n gleichzeitig um ein seelisches<br />

Polaritätsverhältnis mit wechselseitiger Abhängigkeit. Das kulturelle Bild dieses polaren<br />

Zusammenhangs formte ein seelisches Energiemuster, in das sich Großfamilie und<br />

Familienvater wie von selbst einfügten.<br />

Das Ergebnis war eine Verantwortungs- und Fürsorgepflicht des Familienvaters für seine<br />

ganze Familie, <strong>der</strong> umgekehrt die <strong>Die</strong>nstpflicht <strong>der</strong> Familie entsprach. „Das<br />

‚patriarchalische Verhältnis <strong>der</strong> früheren Großbauern zu ihren Knechten, <strong>der</strong> nordischen<br />

o<strong>der</strong> griechischer Anakten zu ihrem Gesinde, die Gefolgschaftstreue <strong>der</strong> Germanen und<br />

des germanischen Mittelalters: <strong>Die</strong>se und ähnliche Gegenseitigkeiten ähnlicher Art sind<br />

nicht zu verstehen ohne die Annahme eines Eros zwischen wirkendem Mittelpunkt und<br />

empfangenden Glie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> zum Kreis um sie geschlossenen Gruppen. <strong>Die</strong> Sprengung<br />

<strong>der</strong> symbiotischen Kreise ist eine lange, traurige und furchtbare Episode im Leben <strong>der</strong><br />

Menschheit.“ 37 Man versteht diesen Zusammenhang vielleicht besser, wenn das<br />

Patriarchats als Verneinung des Matriarchats begriffen wird, das gerade deshalb noch<br />

viele matriarchalen Momente bewahrte, wenn auch in einer durch das lebensfeindliche<br />

Herrschaftsverhältnis verzerrten Form. Das galt auch für das Polaritätsverhältnis – es<br />

blieb als solches im Patriarchat erhalten, hatte jedoch einen ganz an<strong>der</strong>en Inhalt.<br />

Während im Matriarchat die spirituelle Liebe als verbindende und Einheit schaffende Kraft<br />

im Mittelpunkt des Lebens stand, war es im Patriarchat die Macht des männlichen<br />

Willens, dem alles untergeordnet war.


1 Wikipedia „<strong>Kurgan</strong>kultur“<br />

2 Schmoekel 88-89<br />

3 Gimbutas 1996, 354<br />

4 Schmoekel, 28<br />

5 Wikipedia "<strong>Kurgan</strong>-Kultur"<br />

6 Wolf S. 147<br />

7 Gimbutas 1996, 49<br />

8 a.a.O., 39<br />

9 a.a.O., 39-40<br />

10 a.a.O., 40<br />

11 a.a.O., 105<br />

12 Eberz 1967, 490<br />

13 a.a.O., 491<br />

14 a.a.O., 318<br />

15 a.a.O., 495<br />

16 a.a.O., 320<br />

17 a.a.O., 323<br />

18 Eberz 1959/1, 80<br />

19 a.a.O., 83<br />

20 Eberz, 30-31<br />

21 a.a.O., 33-34<br />

22 Eberz 1959, 34<br />

23 Offenbarung 12, 1<br />

24 a.a.O., 21, 4<br />

25 Hesiod zit. n. Eberz 1967, 498<br />

26 a.a.O, 112<br />

27 a.a.O., 338<br />

28 a.a.O., 354<br />

29 Eberz 1967, 355<br />

30 Wikipedia, „Marduk“<br />

31 Eberz a.a.O., 357<br />

32 Eberz 1967, 496<br />

33 2. Mose 11, 4<br />

34 Museum Herxheim, 24<br />

35 Siehe Eberz 1967, 499<br />

36 Zit. n. Eberz 1967, 519<br />

37 Klages 1981,

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