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Adornos Rap Die Kulturindustriethese in ... - Roger Behrens

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<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 1<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong><strong>Die</strong> <strong>Kultur<strong>in</strong>dustriethese</strong> <strong>in</strong> Neuersche<strong>in</strong>ungenund e<strong>in</strong> Exkurs über HipHop<strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong>»Jedenfalls, wenn die richtige Theorie e<strong>in</strong>e reale Gewalt wird, sobald siedie Massen ergreift, dann die falsche nicht m<strong>in</strong>der und der pureStumpfs<strong>in</strong>n vielleicht mehr.« Theodor W. Adorno, ›<strong>Die</strong> Verstümmelten‹[aus: Adorno. Bildmonographie, S. 150]<strong>Die</strong> Herausbildung der ästhetischen Moderne auf der e<strong>in</strong>en Seite undder Massenkultur auf der anderen Seite bezeichnen die Pole e<strong>in</strong>esEntwicklungsprozesses, dem dieselbe Logik des fortschreitendenIndustriekapitalismus zugrunde liegt; was bereits gegen Ende des 19.Jahrhunderts se<strong>in</strong>e erste Kulm<strong>in</strong>ation und Krise erreichte, entfaltet sichschließlich im 20. Jahrhundert <strong>in</strong> dem prekären Ause<strong>in</strong>andertreten vondem, was Clement Greenberg <strong>in</strong> den dreißiger Jahren dann als›Avantgarde und Kitsch‹ benannte; Walter Benjam<strong>in</strong> machte zur selbenZeit die hier zur Wirkung kommenden Kräfte als technischeReproduzierbarkeit namhaft und beschrieb die weitreichenden Folgenfür die bisherigen ästhetischen Begriffe, vor allem h<strong>in</strong>sichtlich derRezeption und Produktion von Kunst. <strong>Die</strong> dah<strong>in</strong>ter liegende sozialeDynamik blieb der kritischen Theorie nicht verborgen: SiegfriedKracauer sah <strong>in</strong>sbesondere bei den Angestellten und ihrerökonomischen Lage die Ursachen für die ideologische Verdichtung e<strong>in</strong>esVergnügungswesens, das zunehmend alle Bereiche des menschlichenLebens er- und umfasste. In dieser Welt der Mode und Zerstreuungversuchte das Individuum der Masse zu entfliehen, und verdeckte sodie Spuren der Klassengesellschaft, deren Widersprüche damit <strong>in</strong>deske<strong>in</strong>eswegs erledigt waren. Der Fordismus, der mit ökonomischen undadm<strong>in</strong>istrativ-politischen Mitteln den Klassenunterschied retuschierte,verdichtete sich zu e<strong>in</strong>em umfassenden System der Kultur<strong>in</strong>dustrie; dieVerwertungslogik hatte nunmehr, wie es Adorno und Horkheimer <strong>in</strong>der ›Dialektik der Aufklärung‹ für die vierziger Jahre und mit Blick aufdas demokratische Amerika und das faschistische Europa gleichermaßen


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 3aber diese gesellschaftliche Vermittlung offen zutage tritt; allerd<strong>in</strong>gsersche<strong>in</strong>en im Zuge der Kulturalisierung alle ästhetischen oder sozialenBeziehungen der Menschen zue<strong>in</strong>ander immer schon unmittelbar alsAusdruck ihrer »Kultur« (und nicht etwa als bloß kultureller Ausdruckihrer ökonomischen Stellung). <strong>Die</strong>sen Verblendungszusammenhangkritisch zu reflektieren und den Fetischismus der Unmittelbarkeit zusprengen, ist genu<strong>in</strong>e Aufgabe e<strong>in</strong>er kritischen Theorie.I.Der wohl wichtigste Neuersche<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> diesem Zusammenhang ist – daszurückliegende Adornojahr legt es nahe – e<strong>in</strong> kurzer, äußerst dichterund erst jetzt zugänglich gemachter Text von Adorno, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>esExposé e<strong>in</strong>es geplanten Rundfunkbeitrags ›Für Wiener Radio,21.2.1969‹, also wenige Monate vor se<strong>in</strong>em Tod entstanden. 1 Das kurze,ke<strong>in</strong>e fünftausend Wörter umfassende Typoskript ist nicht weniger alsdie Kultur<strong>in</strong>dustrietheorie <strong>in</strong> nuce . Hat es um des Profits willenhergestellte Kulturgüter schon <strong>in</strong> Vorformen <strong>in</strong> der Antike gegeben, soist das »eigentlich Neue der Kultur<strong>in</strong>dustrie«, dass sie das Profitmotiv»systematisiert, zur Ausschließlichkeit erhoben hat. <strong>Die</strong> herkömmlicheRücksicht auf Wünsche und Gewohnheiten des Publikums hat sie <strong>in</strong>dirigistischer Planung, Rationalisierung, fast <strong>in</strong> wissenschaftlichen Kalkülumgewandelt. Sie bef<strong>in</strong>det sich dabei <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit dergesellschaftlichen Gesamttendenz, auch den Geist zur Ware zu machen,se<strong>in</strong>en Wahrheitsgehalt, se<strong>in</strong> An sich, zu e<strong>in</strong>em Für anderes, zuKonsumierbarem.« (S. 288 f.) Bündig def<strong>in</strong>iert Adorno: »Kultur<strong>in</strong>dustrieist die synthetische Kultur der verwalteten Welt.« (S. 289) <strong>Die</strong>kultur<strong>in</strong>dustriellen Waren werden ausschließlich »nach dem Pr<strong>in</strong>zipihrer Verwertung angefertigt, nicht nach ihrem Wahrheitsgehalt« (S.289) <strong>Die</strong> Produkte haben alle Autonomie verloren, s<strong>in</strong>d nunmehr Waren»durch und durch«. Adorno sieht die Ursachen <strong>in</strong> der»Expansionstendenz des Kapitals, die dazu drängte, auch das sich1Theodor W. Adorno, ›Für Wiener Radio, 21.2.1969‹, nach e<strong>in</strong>em Typoskript,<strong>in</strong>: Theodor W. Adorno Archiv (Hg.), ›Adorno. E<strong>in</strong>e Bildmonographie‹, SuhrkampVerlag: Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 2003, S. 288 ff.


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 4e<strong>in</strong>zuverleiben, was als Geist unabhängig zu se<strong>in</strong> beanspruchte« (S. 289).Wie zum Ende des Kultur<strong>in</strong>dustriekapitels <strong>in</strong> der ›Dialektik derAufklärung‹ zieht auch hier Adorno <strong>in</strong> Betracht, dass sich dieKultur<strong>in</strong>dustrie selbst <strong>in</strong> ihren eigenen Mechanismen aufheben könnte:die »Ideologie der Kultur<strong>in</strong>dustrie [hat] sich verselbstständigt, bedarfkaum mehr besonderer ›Botschaften‹, nähert sich den public relations.«(S. 289) Das heißt nun: »An den Mann gebracht wird allgeme<strong>in</strong>esunkritisches Mit-dabei-Se<strong>in</strong>, Reklame gemacht für die Welt, so wie e<strong>in</strong>jedes kultur<strong>in</strong>dustrielle Produkt se<strong>in</strong>e eigene Reklame ist.« (S. 290) Manberuft sich auf den Massengeschmack, auf das, was das Publikummöchte; unpopuläre Programme werden abgebaut. Zudem »bewirkt diezunehmende Konzentration politischer Macht e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>direkte Zensur, diezur Beseitigung kritischer Programme tendiert. Wird nicht diegesellschaftliche Gesamttendenz verändert, so wird die Kultur<strong>in</strong>dustrienoch mehr werden, was sie ist, als ihr bis heute schon gelang.« (S. 290) –Adorno formuliert diesen Befund zu e<strong>in</strong>er Zeit, als die Popkultur, die dieReklame für sich selbst zum absoluten Pr<strong>in</strong>zip gemacht hat, noch <strong>in</strong> denAnfängen steckte; von denjenigen, die Popkultur verteidigen, ist <strong>in</strong> denfolgenden Jahrzehnten immer wieder das Unkontrollierbare, Subversivehervorgehoben worden, das durch die eigentümliche Praxis der Jugend-Subkulturen sich gegen den Markt behaupten könnte. Der E<strong>in</strong>wand,Adorno habe davon ke<strong>in</strong>e Notiz genommen, kann nun entkräftetwerden: Nicht nur erwähnt er <strong>in</strong> der kurzen Schrift denMedientheoretiker Marshall McLuhan, sondern konzediert bereits e<strong>in</strong>em»underground« »nicht den kultur<strong>in</strong>dustriellen Stempel« zu tragen – e<strong>in</strong>H<strong>in</strong>weis auf die literarische Subkultur <strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>igten Staaten, diedamals als ›Underground‹ firmierte und später, nach <strong>Adornos</strong> Tod,maßgeblich die musikalischen Subkulturen bee<strong>in</strong>flusste, ebenso wieübrigens die ersten Diskussionen um den Begriff der Postmoderne.In der vom Theodor W. Adorno Archiv herausgegebenen und übrigenssehr sorgfältig und bibliophil gestalteten ›Bildmonographie‹, <strong>in</strong> der auchder Radiobeitrag zur Kultur<strong>in</strong>dustrie aufgenommen ist, f<strong>in</strong>den sich nochweitere Textstücke zum Thema. Aus der selben Zeit stammt e<strong>in</strong> Brief


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 6lenken, im Bewusstse<strong>in</strong>, das Beste für sich zu tun. Schon im Untertitelzum Abschnitt über Kultur<strong>in</strong>dustrie <strong>in</strong> der ›Dialektik der Aufklärung‹ist von »Massenbetrug« die Rede; der letzte Aphorismus der»Aufzeichnungen und Entwürfen« heißt ›Zur Genese der Dummheit‹.<strong>Die</strong> verme<strong>in</strong>tliche Unterstellung <strong>Adornos</strong> und Horkheimers, die<strong>in</strong>sbesondere liberale und postmoderne Medienapologeten herausgelesenhaben wollen, das Publikum sei zu dumm, um den Schw<strong>in</strong>del zudurchschauen, und der ihnen angedrehte Schund sei für sie gerade gutgenug, entpuppt sich als Chimäre. »Betrug«, »Dummheit«, »Stumpfs<strong>in</strong>n«muss dialektisch gelesen werden, im S<strong>in</strong>ne der kritischen Theorie derHalbbildung. Kritik der Dummheit me<strong>in</strong>t nicht arroganteÜberheblichkeit der Gebildeten; es geht nicht um Intelligenz oderWissen im engeren S<strong>in</strong>ne (vgl. dazu den Aphorismus ›GegenBescheidwissen‹, GS Bd. 3, S. 235 f.), sondern um e<strong>in</strong>esozialpsychologische Konfiguration des Bewusstse<strong>in</strong>s im Widerspruch,wenn man so will also buchstäblich um das, was geme<strong>in</strong>t ist, wenn mansagt, jemand sei schwer von Begriff. In e<strong>in</strong>er Notiz von 1935, ebenfalls <strong>in</strong>die ›Bildmonographie‹ aufgenommen, hat Adorno das Problem derDummheit als das von Verstümmelung beschrieben – damit ist vorausgenommen, wie sehr die Kritik der Kultur<strong>in</strong>dustrie als kritische Theoriedes Ganzen systematisch zu nehmen ist, wie sehr sie zudem die späterenUntersuchungen zur ›Autoritären Persönlichkeit‹ antizipiert. Marxspricht von der Verstümmelung des Menschen durch die Masch<strong>in</strong>e imKapitalismus. Adorno ergänzt, »dass die Verstümmelung nicht aufabgehackte Glieder sich beschränkt oder die sexuelle Promiskuität <strong>in</strong>überfüllten Wohnungen, sondern dass verstümmelt wird vor allemanderen das proletarische Bewusstse<strong>in</strong>. Wie sehr soziale Unterdrückungund Wunschversagung Neurosen produzieren und neurotischeCharaktere wie den ›Zwangstyp‹, ist der Psychoanalyse vertraut. Nichtaber im gleichen Maße, dass solche Verstümmelung sich nicht an dieGrenze des Trieblebens hält und die <strong>in</strong>tellektuellen Funktionenmiterfasst, deren Gefährdung man sonst so ärgerlich den›Geisteskrankheiten‹ zuweist …« (S. 148) Dummheit heißt, sich abf<strong>in</strong>den;es ist die extreme, zum Charaktertyp geronnene unkritische Haltung.Dummheit korrespondiert hier mit dem Wissen, dass die Kultur<strong>in</strong>dustrieverwehrt: Es ist das spezifische Wissen um die gesellschaftlichenMechanismen, das Wissen auch um die Möglichkeiten e<strong>in</strong>erVeränderung der Gesellschaft ebenso wie die verstellten Möglichkeitender Verbesserung der eigenen Situation. Dummheit ist »ke<strong>in</strong>e


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 7Naturqualität sondern e<strong>in</strong>e gesellschaftliche«, (S. 150) aber die Dummheitwird nicht nur »sozialökonomisch produziert; e<strong>in</strong>mal gesetzt,reproduziert sie aus sich heraus sich unablässig selber.« (S. 150) Dasheißt schließlich: »<strong>Die</strong> bürgerliche Gesellschaft ist e<strong>in</strong>e Totalität: dasme<strong>in</strong>t auch, dass die Verstümmler selber verstümmelt s<strong>in</strong>d.« (S. 151) <strong>Die</strong>Reproduktion der Dummheit durch die Kultur<strong>in</strong>dustrie läuft also nichtdarauf h<strong>in</strong>aus, dass das Publikums um etwas Echtes betrogen werde, perse unfähig, ästhetisch Hochwertiges vom Schund zu unterscheiden,sondern um die Verstellung gesellschaftlicher Erkenntnis, <strong>in</strong>ästhetischen Begriffen um den Wahrheitsgehalt, den diekultur<strong>in</strong>dustrielle Produktion den D<strong>in</strong>gen entzieht. So verlängert sich <strong>in</strong>der Kultur nicht nur die Verwertungslogik der Warenproduktion,sondern auch ihr Fetischcharakter: Massenbetrug und Dummheit me<strong>in</strong>t,dass den Menschen die gesellschaftlichen Verhältnisse, samt der siebed<strong>in</strong>genden ökonomischen Umstände, als Naturzustand angedrehtwerden. <strong>Die</strong> Dummheit reproduziert sich <strong>in</strong> dem, was nachgesellschaftlichen Standards als Intelligenz gilt; <strong>Adornos</strong> undHorkheimers Beobachtung bei Tischgesprächen, dass selbst gebildete,hoch<strong>in</strong>telligente Menschen »armseligsten Blöds<strong>in</strong>n« hervorbr<strong>in</strong>gen,sobald das Gespräch auf gesellschaftliche Fragen kommt (vgl. S. 151), hatdas Fernsehen <strong>in</strong> den Quizshows und Talkrunden längst zum Programmdes postmodernen Wissens gemodelt.Quizshows und Talkrunden s<strong>in</strong>d immer wieder als Beleg für oder widerdie <strong>Kultur<strong>in</strong>dustriethese</strong> herangezogen worden. In den affirmativenCultural Studies haben Autoren wie John Fiske sogar e<strong>in</strong>eemanzipatorische Lesart solcher Fernsehsendungen verteidigt: Nursche<strong>in</strong>bar seien die Teilnehmer der Shows dem Stumpfs<strong>in</strong>n ausgeliefert;vielmehr unterwanderten sie die Logik der Programme, <strong>in</strong>dem sie dievorgegebenen Strukturen subversiv zur Artikulation ihrer eigenenInteressen benützen. Auch <strong>Die</strong>ter Prokop sieht hier e<strong>in</strong>emanzipatorisches Potenzial; 4 anders als die Cultural Studies, von denener sich ebenso emphatisch distanziert wie eigentlich von jedem anderenAnsatz e<strong>in</strong>er Theorie der Massenkultur (»Gelaber«, S. 166), nimmt erdieses Potenzial aber nicht als Beleg für die H<strong>in</strong>fälligkeit der4<strong>Die</strong>ter Prokop, ›Mit Adorno gegen Adorno. Negative Dialektik derKultur<strong>in</strong>dustrie‹, VSA-Verlag: Hamburg 2003.


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 8<strong>Kultur<strong>in</strong>dustriethese</strong>, sondern sieht das als ihre spezifische negativeDialektik – die Adorno selbst vernachlässigt habe. Zwar kritisiertProkop das abgefragte »Pseudo-Wissen« der Quizshows (vgl. S.84), siehtsie jedoch auch als »strategisches Spiel«, <strong>in</strong> dem die »Teilnehmer …bluffen, Wissen vortäuschen« können; zudem br<strong>in</strong>gt der »Quizmaster,wenn er gut ist, … <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Plaudereien am Rande alle möglichen Fragenvon allgeme<strong>in</strong>em Interesse mit e<strong>in</strong>« (S. 235). Darüber h<strong>in</strong>aus würden <strong>in</strong>den Quizshows »›menschliche Dramen‹ spürbar … Dem Publikumkommen die Tränen.« (S. 235) Das reicht für Prokop, um zu deduzieren:»<strong>Die</strong> Welt der Kultur<strong>in</strong>dustrie ist lebendiger, als Kritiker das für möglichhalten.« (S. 235) »Human <strong>in</strong>terests« – nach Prokop s<strong>in</strong>d sie »nicht›falsches‹ Bewusstse<strong>in</strong>, sondern Element des Lebendigen« (S. 235).III.›Mit Adorno gegen Adorno‹ moniert Prokop, dass Adorno se<strong>in</strong> eigenesphilosophisches Programm e<strong>in</strong>er Logik des Nichtidentischen nichtkonsequent auf die Kritik der Kultur<strong>in</strong>dustrie angewendet und e<strong>in</strong>gelösthabe. Prokop versucht mit se<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>andersetzung, die <strong>in</strong> vielenAspekten als e<strong>in</strong>e Fortsetzung und Ergänzung se<strong>in</strong>er drei Bände ›DerMedien-Kapitalismus‹, ›Der Kampf um die Medien‹ und ›<strong>Die</strong>Unzufriedenheit mit den Medien‹ verstanden werden kann, 5 im S<strong>in</strong>nee<strong>in</strong>es »dialektischen Modells« von »Freiheitsant<strong>in</strong>omie undFreiheitsdialektik« die positiven, emanzipatorischen Momente derKultur<strong>in</strong>dustrie herauszuarbeiten; dabei geht er <strong>in</strong> Beispielen undExkursen vor (und e<strong>in</strong>e grundlegende Kritik an Adorno ist, er habe sicheben nicht exemplarisch genug mit dem Gegenstand, den Medien,beschäftigt). Prokop legt e<strong>in</strong> Arbeitsbuch vor; se<strong>in</strong>e Kritik undAbgrenzung von postmoderner Beliebigkeit, Cultural Studies,Systemtheorie, aber a u c h Habermas’ u n d Honneths5Vgl. <strong>Die</strong>ter Prokop, ›Der Medien-Kapitalismus. Das Lexikon der neuenkritischen Medienforschung‹, VSA-Verlag: Hamburg 2002 (Neuauflage); ›Der Kampfum die Medien. Das Geschichtsbuch der neuen kritischen Medienforschung‹, VSA-Verlag: Hamburg 2001; ›<strong>Die</strong> Unzufriedenheit mit den Medien. Das Theorie-Erzählbuch der neuen kritischen Medienforschung‹, VSA-Verlag: Hamburg 2002.


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 9sozialdemokratischen Aufweichungen der kritischen Theorie verteidigtzu Recht die Notwendigkeit und Aktualität e<strong>in</strong>er dialektischen Analyseder Kultur<strong>in</strong>dustrie. Allerd<strong>in</strong>gs bleibt <strong>in</strong>sgesamt fraglich, was sich imVerlauf der Prokopschen Ause<strong>in</strong>andersetzung verdichtet: Ob Prokop,der Adorno Inkonsequenz vorwirft, se<strong>in</strong>em eigenen Programm gerechtwird, oder nicht selbst der undialektischen Apologie der Kultur<strong>in</strong>dustrieum ihrer selbst Willen anheim fällt. Prokop betont die Notwendigkeitder Negation; se<strong>in</strong>e Analyse soll nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er positiven oder garpositivistischen Verteidigung der Kultur<strong>in</strong>dustrie münden. Es gehtdarum: »Das kritisch-dialektische Vorgehen versucht, die realenMöglichkeiten der Befreiung durch immanente Analyse vorhandenerGesellschaftsstrukturen zu erkennen.« (S. 30) Das dafür <strong>in</strong> Anschlaggebrachte Verfahren e<strong>in</strong>er negativen Dialektik nennt Prokop e<strong>in</strong>»Denken <strong>in</strong> Konstellationen« (S. 36 f.). Angewendet hört sich das dannso an: »Objektive Qualität, ›Konsequenz‹ gibt es auch <strong>in</strong> gutenFernsehkrimis, Unterhaltungsshows, Hollywoodfilmen, imFernsehjournalismus etc. Nicht nur ›Intellektuelle‹ können jeneerkennen, sondern auch das Massenpublikum. So weit g<strong>in</strong>g Adornonicht.« (S. 18) Also: »Warum soll man nicht auch im Schutt derKultur<strong>in</strong>dustrie nach Wahrheit wühlen?« (S. 269) Indes: Prokop wühltnicht im Schutt, sondern unterliegt dem Sche<strong>in</strong> und Charme derkultur<strong>in</strong>dustrieller Qualitätsprodukte. <strong>Die</strong> Beispiele, die Prokop beiAdorno vermisst, heißen dann Holland-Tomate (»Sie br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> wenigFarbe <strong>in</strong> den Alltag«, S. 274) oder Stefan Raab (»… prallt mit demKonformistischen … zusammen«, S. 289).Gerade <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Beispiele ist Prokops Resümee überKultur<strong>in</strong>dustrie ke<strong>in</strong>eswegs negativ und dialektisch. Derselbekulturalistisch verkürzte Identitätsbegriff der Cultural Studies, denProkop erst luzide kritisiert (vgl. 52 ff.), wird nun zum Indiz dafürgemodelt, dass es um die Kultur<strong>in</strong>dustrie doch nicht so schlecht sei:Konzediert wird nämlich dem Publikum, dass es selbstbewusst mit den»kreativen medienkulturellen Mustern« spielt (S. 209 ff.). »Solange beimPublikum das derart Eigens<strong>in</strong>nige [geme<strong>in</strong>t ist Stefan Raab, Anm. R.B.]erfolgreicher ist als das Ordentliche, Konformistische, kann man hoffen.«(S. 289) Aber worauf soll man hoffen? Und warum ist eigentlich derH<strong>in</strong>weis auf qualitativ hochwertige Produkte der Kultur<strong>in</strong>dustriekritisch? Dass die Menschen sich doch amüsieren und irgendwiee<strong>in</strong>richten, hat Adorno ja <strong>in</strong>des gar nicht bestritten, sondern motivierte


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 10vielmehr die Ausgangsfrage: Auf welche Weise nämlich <strong>in</strong> derentwickelten kapitalistischen Gesellschaft die Widersprüche verdecktoder durch Sche<strong>in</strong>probleme substituiert werden. Wenn Prokop mit derverme<strong>in</strong>tlichen Macht der Empirie schreibt: »<strong>Die</strong> meistenFernsehzuschauer wissen, was angemessen ist. Sie wissen, dass e<strong>in</strong>Fußballspiel im Fernsehen nicht so entscheidend ist wie e<strong>in</strong> Krieg …« (S.297), dann fragt sich, wieso die meisten Fernsehzuschauer – wer immerdas auch sei – weiter fernsehen, statt die kriegerischen Verhältnisseumzustürzen, die sie letzth<strong>in</strong> zu Zuschauern degradieren? Welcheemanzipatorische Dimension hat also die Qualität der Kultur<strong>in</strong>dustrie,wenn sie letztendlich auf das h<strong>in</strong>ausläuft, was im Zentrum der kritischenTheorie auch stand: nämlich die Verhältnisse, so wie sie s<strong>in</strong>d, permanentzu bestätigen? – Wenn es nur darum g<strong>in</strong>ge, dass den Menschenkultureller Schrott angedreht wird, mit dem sie bei der Stange gehaltenwerden, um e<strong>in</strong> System zu akzeptieren, das e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igermaßenangenehmes Leben garantiert, dann wäre das Kultur<strong>in</strong>dustriekapitelwohl kaum das gesellschaftskritische Zentrum der ›Dialektik derAufklärung‹ gewesen; es g<strong>in</strong>g nicht um Langweilige und Blöds<strong>in</strong>n,sondern um die faschistische Barbarei, um die Befestigung vonOhnmacht und Autorität, auch <strong>in</strong> den demokratisch geführtenkapitalistischen Staaten. Regression ist ke<strong>in</strong> ästhetisches Problem,sondern für zunehmend mehr Menschen, die von neofaschistischerGewalt betroffen se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> politisches; – die Fröhlichkeit der Popkulturder neunziger Jahre war <strong>in</strong> Deutschland auch der grölende Mob, der diefaschistischen Brandanschläge verübte und feierte; moderat, alsAntisemitismus ohne Pogrom etwa, hat solche Stimmung längst im Zugee<strong>in</strong>er liberal sich gebenden Renationalisierung der deutschenVolkskultur Rückdeckung bekommen. Bis auf e<strong>in</strong>e beiläufigeErwähnung der Bestseller-Rechtsrocker Böhse Onkelz (vgl. S. 157) bleibtdiese ganze Dimension bei Prokop ausgespart; gerade das müsste aber imZentrum e<strong>in</strong>er negativen Dialektik der Kultur<strong>in</strong>dustrie stehen. 6Adorno und Horkheimer bestimmten die Kultur<strong>in</strong>dustrie als manifesteIdeologie des fortgeschrittenen, postliberalen Kapitalismus; manifesteIdeologie s<strong>in</strong>d heute Ressentiments, die sich auf e<strong>in</strong>en gesellschaftlich6Vgl. Mart<strong>in</strong> Büsser, ›Wie kl<strong>in</strong>gt die Neue Mitte? Rechte Tendenzen <strong>in</strong> derPopmusik‹, Ventil-Verlag: Ma<strong>in</strong>z 2001.


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 11längst etablierten Rassismus und tolerierten Rechtspopulismus berufenkönnen. Der konformistische Charakter, der se<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>dbild nochdisponibel hält, f<strong>in</strong>det etwa im menschenverachtenden Pseudo-Humore<strong>in</strong>es Stefan Raab se<strong>in</strong> Modell. Aber selbst konzediert, dass es um dieWelt besser bestellt sei: wenn das Publikum, wie Prokop me<strong>in</strong>t,eigens<strong>in</strong>nig doch die »objektive Qualität« der Kultur<strong>in</strong>dustrie zuerkennen vermag, wieso s<strong>in</strong>d dann die von ihm erwähnten Beispiele fürdiese Qualität ausgerechnet die objektiven Belanglosigkeiten derKultur<strong>in</strong>dustrie: Verona Feldbusch, Sade, Elvis-Imitatoren, LennyKravitz, Madonna und Harald Schmidt? Das es hier auch helle Momenteguter Unterhaltung gibt, sei unbenommen, aber hat e<strong>in</strong> mündigesPublikum nicht mehr verdient als nur den Lichtblick? Also, wenn manderart ausgerechnet die Belanglosigkeiten der Kultur<strong>in</strong>dustrie als ihregenu<strong>in</strong>e Qualität modelt, bestätigt man damit nicht e<strong>in</strong>fach nur dieTrostlosigkeit des spätkapitalistischen Vergnügungsbetriebs und se<strong>in</strong>erKonsumenten?Adorno und Horkheimer beschreiben die Kultur<strong>in</strong>dustrie nicht alsisolierte gesellschaftliche Sphäre, sondern als Formation derspätkapitalistischen Gesellschaft selbst; 7 Kultur<strong>in</strong>dustrie ist e<strong>in</strong>e»strukturelle Dynamik« (Horkheimer), e<strong>in</strong> System. Prokops Begriff derKultur<strong>in</strong>dustrie ist dem entgegengesetzt: Kultur<strong>in</strong>dustrie seien »diekommerziellen Massenmedien und deren oligopolkapitalistischenProduktionsbed<strong>in</strong>gungen«, »die Ma<strong>in</strong>stream-Medien«, Kultur<strong>in</strong>dustriesei ferner »›deformierte‹ Kultur und Kunst« sowie der »Bereich derKonsumgüter« und »herrschende Ideologie« (S. 14 f.). So bleibt dieKultur<strong>in</strong>dustrie beschränkt auf den Kommerz, die buchstäblicheIndustrie, den Verkaufserfolg: » Ke<strong>in</strong>e Kultur<strong>in</strong>dustrie s<strong>in</strong>dKulturmagaz<strong>in</strong>e im öffentlich-rechtlichen Fernsehen oder dietageszeitung : Sie s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>stream.« (S. 14) 8 Auch wenn Prokop7Das habe ich versucht <strong>in</strong> Grundzügen auszuführen <strong>in</strong>: <strong>Behrens</strong>,›Verstummen. Über Adorno‹, Laatzen / Hannover 2004, S. 88 ff.8Der Widerspruch bleibt sche<strong>in</strong>bar e<strong>in</strong> Interessengegensatz, also auf dieDistribution beschränkt; letztendlich bestimmen Verkaufsfachleute, e<strong>in</strong>eVerwaltungsautorität die Medien: »Alle Macht wird den Market<strong>in</strong>g- und Event-Fachleuten <strong>in</strong> den Profit-Centers übergeben … Das ist e<strong>in</strong>e Entmachtung des


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 12versucht, der Kritik des Warenfetischs, der die kultur<strong>in</strong>dustriellenProdukte bestimmt, Konturen zu verleihen, so bleibt die Darstellungletzth<strong>in</strong> auf den Markt, die Distribution, die Konsumsphäre beschränktund wird nicht als Kritik der politischen Ökonomie begriffen, als Kritikder kulturellen Produktion selbst. 9 IV.<strong>Die</strong> Frage, ob die Kultur<strong>in</strong>dustrie e<strong>in</strong>en systematischenGesamtzusammenhang bezeichnet oder nicht, hat nicht bloß begrifflicheKonsequenzen, sondern bildet mit dem kulturellen Komplex, denKultur<strong>in</strong>dustrie schließlich bezeichnen soll, e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit: die Totalität desgesellschaftlichen Immanenzzusammenhangs. So bleibt <strong>in</strong> den derzeitigenDebatten die Diskussion um den Begriff der Kultur<strong>in</strong>dustrie selbstPublikums, denn ihm wird alles weggenommen, was nicht Empathie undE<strong>in</strong>kaufs<strong>in</strong>teressen impliziert.« (<strong>Die</strong>ter Prokop, ›Der Kampf um die Medien‹, a.a.O., S.437) Doch während Adorno und Horkheimer dies als »verhexten Zustand«<strong>in</strong>terpretieren, sieht Prokop gerade <strong>in</strong> dem Versuch, das Market<strong>in</strong>g zuperfektionieren, »Chancen der Befreiung« (ebd., S. 438). Gerade der Rationalismusder Kultur<strong>in</strong>dustrie bewahrt auch e<strong>in</strong>e Spur von Vernunft. »Außerdem schafft dasweltweite Spiel von Rührung und Schrecken – neben falschen Illusionen – auche<strong>in</strong>en Anteil an Realismus, Ichstärke, Befreiung. E<strong>in</strong>fühlung <strong>in</strong> das Leiden war <strong>in</strong> derMediengeschichte lange schon e<strong>in</strong> Mittel der Ich-Bildung.« (Ebd., S. 438) »Es ist e<strong>in</strong>andauernder Kampf. Das Publikum ist niemals total verhext.« (Ebd., S. 439) NachProkop besteht Hoffnung, weil die Manipulationsversuche, die sich dieKultur<strong>in</strong>dustrie und ihre Medienmanager ausdenken, niemals perfekt, manchmal garnicht funktionieren würden: Zuviel Standardisierung und das Publikum bleibt weg,lautet Prokops Befund.9<strong>Die</strong> Kritik der kulturellen Produktion ist tendenziell auch bei Adorno undHorkheimer schon unterbelichtet geblieben. Im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Kritik der politischenÖkonomie der Kultur<strong>in</strong>dustrie, oder Kritik der kultur<strong>in</strong>dustriellen Ökonomie, wäredie als Kultur bezeichnete Sphäre selbst als verd<strong>in</strong>glichte Konstruktion derWertvergesellschaftung zu entwickeln. E<strong>in</strong>en allgeme<strong>in</strong>en Ansatz <strong>in</strong> diese Richtungbietet: Moishe Postone, ›Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft. E<strong>in</strong>e neueInterpretation der kritischen Theorie von Marx‹, Ça ira: Freiburg 2003.


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 13virulent; durchgesetzt haben sich <strong>in</strong>des drei Positionen, die jeunterschiedlich avancierte Hochkultur, populäre Massenkultur undsubversive Subkultur gewichten. Kultur<strong>in</strong>dustrie e<strong>in</strong>erseits, Kunstandererseits bilden das Raster, nach denen die e<strong>in</strong>zelnen Produktebewertet werden. Prokop zum Beispiel geht es im S<strong>in</strong>ne se<strong>in</strong>erMedientheorie weder um Kunst, noch um Hoch- und Subkultur; erkonzentriert sich ganz und gar auf den Ma<strong>in</strong>stream der populärenMassenkultur. Theorien des so genannten Popdiskurses verteidigen dassubversive, subkulturelle Potenzial der Massenkultur gegen beides,Kultur<strong>in</strong>dustrie und e<strong>in</strong>e als elitär geltende Hochkultur; gleichwohl istversucht worden, die Maßgaben der hochkulturellen Ästhetik auf dieSubkulturen zu übertragen – also um mit Subkultur und Hochkulturgegen den Ma<strong>in</strong>stream zu argumentieren. <strong>Die</strong> Position, die sich im Namen<strong>Adornos</strong> auf die Verteidigung die Hochkultur beschränkt, ist nunmehrbedeutungslos und hat auf die kritische Diskussion über diegegenwärtige Kultur und Gesellschaft kaum E<strong>in</strong>fluss. Allen Positionengeme<strong>in</strong>sam ist allerd<strong>in</strong>gs die Vorstellung, dass es – sei’s <strong>in</strong>nerhalb, sei’saußerhalb der Kultur<strong>in</strong>dustrie – Freiräume, Nischen, orig<strong>in</strong>äreProtestpotenziale gibt. Es geht um den Nachweis, dass bestimmtekulturelle Beschäftigungen – <strong>in</strong> der Regel die eigenen – durchauswertvoll s<strong>in</strong>d und mit s<strong>in</strong>nlosen, stumpfen Konformismus nichts zu tunhaben. Auch oder vielleicht sogar <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der kritischen Theoriezeigt sich dabei e<strong>in</strong> merkwürdiger ›Cultural Gap‹ zwischenRezeptionsvermögen und den kulturellen Produkten, e<strong>in</strong>e Arttheoretische Dissonanz, die <strong>in</strong>dessen für die kritische Theorie derKultur<strong>in</strong>dustrie selbst bezeichnend ist: Versucht wird, ästhetischePhänomene zu beschrieben, zu denen wahrsche<strong>in</strong>lich e<strong>in</strong> diffuseremotionaler Zugang besteht, die sich aber der begrifflichen Apparatur,die der (kritischen) Theorie zur Verfügung steht, nicht wirklicherschließt. Auffällig wird das vor allem <strong>in</strong> Bezug auf Musik (die Hegelwohl nicht umsonst die Kunst subjektiver Innerlichkeit nannte). Inse<strong>in</strong>er brillanten und nun <strong>in</strong> überarbeiteter Neuauflage vorliegendenStudie ›<strong>Die</strong> Entdeckung der Kultur<strong>in</strong>dustrie‹ hat He<strong>in</strong>z Ste<strong>in</strong>ert dasAnhand von <strong>Adornos</strong> strukturellem Jazz-(Miss)-Verständnis gezeigt. 1010He<strong>in</strong>z Ste<strong>in</strong>ert, ›<strong>Die</strong> Entdeckung der Kultur<strong>in</strong>dustrie. Oder: Warum ProfessorAdorno Jazz-Musik nicht ausstehen konnte‹, Westfälisches Dampfboot: Münster


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 14Exkurs: Kritische Theorie des <strong>Rap</strong><strong>Die</strong> spätkapitalistische Kultur<strong>in</strong>dustrie hat sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ubiquitärenPopkultur aufgelöst, die durch Musik vermittelt wird, die durch Musikaber auch ihre Ideologie der Unmittelbarkeit, des kulturellen Erlebnissesperfektioniert hat. Sofern es um das Verhältnis von Musik undKultur<strong>in</strong>dustrie geht, hat Adorno sich bekanntlich vor allem auf den alsJazz identifizierten Schlager konzentriert. 11 Erste kritische Revisionender Kultur<strong>in</strong>dustrieanalyse bezogen sich dann <strong>in</strong> den siebziger Jahrenvor allem auf den Nachweis, dass <strong>Adornos</strong> Jazz-Begriff unzureichend istund die Entwicklung von Bebop, Cool etc. ausspart, obwohl Adornovergibt, über Jazz <strong>in</strong>sgesamt zu schreiben. Darüber h<strong>in</strong>aus sah mit <strong>in</strong> derRockmusik der Siebziger emanzipatorische Elemente, die <strong>Adornos</strong> alspauschal geltende Kritik der Massenkultur nicht hätte erfassen können.Ähnlich wie Adorno <strong>in</strong> Bezug auf den Jazz, rekurrierte man hier auf e<strong>in</strong>ehomogene Rockmusik, mit der lediglich das allgeme<strong>in</strong> Bekanntebezeichnet wurde – Roll<strong>in</strong>g Stones, Bob Dylan, P<strong>in</strong>k Floyd (so, als würdeman sich <strong>in</strong> der Beschreibung der Neuen Musik auf Igor Straw<strong>in</strong>sky,John Cage und Philip Glass beschränken). In den neunziger Jahren gibt2003; ebenso erschien <strong>in</strong> Neuauflage: He<strong>in</strong>z Ste<strong>in</strong>ert, ›Adorno <strong>in</strong> Wien. Über die (Un-)Möglichkeit von Kunst, Kultur und Befreiung‹, Westfälisches Dampfboot: Münster2003. H<strong>in</strong>gewiesen sei <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auch auf: Ulrich Paetzel, Kunst undKultur<strong>in</strong>dustrie bei Adorno und Habermas. Perspektiven kritischer Theorie, DUV:Wiesbaden 2001, S. 68 ff. Paetzel begreift »Jazz als ausgeführtes Modell derKultur<strong>in</strong>dustrie«. Se<strong>in</strong>e Ausführungen zu Wynton Marsalis’ ›Standard Time Vol. 1‹bleiben, gerade <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf den versuch, Habermas für die kritische Theorie derKultur<strong>in</strong>dustrie fruchtbar zu machen, zu allgeme<strong>in</strong> und unverb<strong>in</strong>dlich, können fürnahezu jede Musik angewendet werden. Angesichts der neueren Jazzgeschichte wirktMarsalis als e<strong>in</strong>ziges Beispiel auch etwas obsolet. – Ausdrücklich sei aber daraufverwiesen, dass Paetzel die wohl derzeit umfangreichste akademische Diskussion zumThema bietet.11An dieser Stelle sei auf den zwar schon 1998 publizierten, aber für dieDiskussionen um <strong>Adornos</strong> Musikphilosophie immer noch maßgeblichenSammelband ›Mit den Ohren denken‹ verwiesen, herausgegeben von Claus-SteffenMahnkopf und Richard Kle<strong>in</strong>, Suhrkamp: Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1998.


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 15es dann <strong>in</strong> der Literatur e<strong>in</strong>e merkwürdige Konzentration auf <strong>Rap</strong> undHipHop, wahrsche<strong>in</strong>lich, weil man glaubt, hier die politischemanzipatorischeDimension wieder mit der ästhetischen verb<strong>in</strong>den zukönnen – wie Jazz (und mit starken Bezug auf den Jazz) ist HipHop e<strong>in</strong>eMusik der nichtweißen Ghettos. Ist heute von <strong>Rap</strong> oder HipHop dieRede, dann geschieht das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Verallgeme<strong>in</strong>erung, die suggeriert,alle<strong>in</strong> durch das Etikett schon das Subversive, Widerständige <strong>in</strong>nerhalbder Kultur<strong>in</strong>dustrie namhaft gemacht zu haben. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d <strong>Rap</strong> undHipHop heute die lukrativsten Sparten der Popkultur<strong>in</strong>dustrie, nichtzuletzt durch die Vermarktung des Rebellischen; das Rebellische bleibt<strong>in</strong>dessen diffus, Homophobie, Sexismus und Antisemitismus gehörenfast zum Programm, und mittlerweile gibt es erfolgreichendeutschsprachigen nationalistischen und neofaschistischen HipHop. 12E<strong>in</strong>e kritische Theorie des HipHop müsste sehr genau die Geschichtedieser Musik herausstellen, ihre Anfänge Ende der Siebzigernachzeichnen. Es g<strong>in</strong>ge um e<strong>in</strong>e Rekonstruktion von Disco, House, Funkund Soul, von Philly-Sound und Punk gleichermaßen, aber nicht alsisolierte Musikgeschichte, sondern als »Ausdruckszusammenhang«(Benjam<strong>in</strong>) spätkapitalistischer Verwertungslogik. Aber das bleibtzumeist alles ausgespart, wenn sich die Autoren pauschal auf den Hop-Hop derzeitiger Charterfolge berufen. Als ästhetisches Epiphänomens<strong>in</strong>d HipHop und <strong>Rap</strong> ungeeignete Beispiele, wenn es um die Aktualitäte<strong>in</strong>er kritischen Ästhetik geht.Gernot Böhme veröffentlicht unter dem Titel ›Aisthetik‹ se<strong>in</strong>e – so derUntertitel des Bandes – »Vorlesungen über Ästhetik als allgeme<strong>in</strong>eWahrnehmungslehre«. 13 Er knüpft damit an se<strong>in</strong>e bisherigenÜberlegungen zu e<strong>in</strong>er politischen Ästhetik an, die im Atmosphärischenfundiert ist und eben das Ästhetische wesentlich als »Theorie ders<strong>in</strong>nlichen Erkenntnis« erörtert. Als kritische Ästhetik münden Böhmes12Vgl. Murat Güngor und Hannes Loh, ›Fear of a Kanak Planet. HipHopzwischen Weltkultur und Nazi-<strong>Rap</strong>‹, Hannibal: Höfen 2002; vgl. auch: Sascha Verlanund Hannes Loh, ›20 Jahre HipHop <strong>in</strong> Deutschland‹, Hannibal: Höfen 2000.13Gernot Böhme, ›Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgeme<strong>in</strong>eWahrnehmungslehre‹, Wilhelm F<strong>in</strong>k Verlag: München 2001.


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 16Ausführungen <strong>in</strong> der Begründung der Dialektik von Praxis und Kritikder Ästhetik. Sie rekurriert auf die gesellschaftlichen Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>ergegenwärtigen Ästhetik, die Böhme als »Ästhetisierung des Realen«namhaft macht; hier ist durch die Konzentration der Ästhetik auf dieKunst und vor allem das Kunstwerk der Komplex der ästhetischenGestaltung des Alltagslebens zum Desiderat e<strong>in</strong>er kritischen Theoriegeworden: »Durch die Orientierung der Ästhetik an der Kunst undaufgrund ihrer Entwicklung als Theorie des Beurteilungsvermögensorientierte sie sich naturgemäß immer mehr an der hehren, der wahren,der großen Kunst, unter deren Perspektive dann alle anderen Felderästhetischer Gestaltung als bloßes Kunstgewerbe, als Kultur<strong>in</strong>dustrieoder Kitsch abqualifiziert wurden. Es ist nun me<strong>in</strong>e These, dass dieentscheidenden Fragen, die die Ästhetik der Gegenwart zu bearbeitenhat, gerade den Bereich der Natur und den des Design betreffen –woraus nach dem Bisherigen folgt, dass e<strong>in</strong>e entsprechende Ästhetik imGegensatz zur großen Tradition der europäischen Ästhetik vonBaumgarten bis Adorno neu zu entwickeln ist.« (S. 17)Dass heißt allerd<strong>in</strong>gs, Ästhetik nicht nur als kritische Theorie zurekonstruieren, sondern auch die ästhetische Praxis des Alltagslebensselbst <strong>in</strong> den Blick kritischer Theorie zu nehmen. »Seit Schönberg habenwir es hier mit e<strong>in</strong>er schrittweisen Auflösung des klassischenFormenkanons, nicht bloß mit e<strong>in</strong>er Transformation des Kanons zu tun.Das hat zur Folge gehabt, dass gegenüber dem Formalen das Qualitativeder Musik, d.h. der Sound, der Charakter der Töne und derInstrumente, allgeme<strong>in</strong> die Stimme, die menschliche wie die derInstrumente, an Bedeutung gewonnen hat.« (S. 26) John Cage, Daniel Ott,Hans-Joachim Hespos und Helmut Lachenmann nennt Böhmeexemplarisch. Dafür, dass die von Böhme bezeichnete Entwicklung seitder Romantik des frühen 19. Jahrhunderts die populäre Massenkunstkonstituierte und schließlich <strong>in</strong> der alltagsästhetisch dom<strong>in</strong>ierendenPopmusik mündete, bleibt Böhmes Beobachtung merkwürdig dunkel;lediglich heißt es: »Im Underground, <strong>in</strong>sbesondere <strong>Rap</strong>musik, wird dasMaterial von Kompositionen aus allem, was akustisch reproduzierbar ist,gebildet.« (S. 26)Ähnlich unscharf bleibt auch der HipHop-H<strong>in</strong>weis <strong>in</strong> dem Adornogewidmeten Buch ›Kunst und Publikum‹ von Moshe Zuckermann. Esgeht hier – nach e<strong>in</strong>leitenden Exkursen und thematischen E<strong>in</strong>führungen


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 17zur Kunstsoziologie <strong>Adornos</strong>, Benjam<strong>in</strong>s, Ecos und Bourdieus – um das»Kunstwerke im Zeitalter se<strong>in</strong>er gesellschaftlichen H<strong>in</strong>tergehbarkeit«.Kann die dichotome Polarisierung von Kunstautonomie undKultur<strong>in</strong>dustrie, die Adorno noch postulierte, aufrechterhalten werden?S<strong>in</strong>d nicht gerade für die Diagnose, dass alle Kultur zur Ware wird, fürdie Kunst nach Auschwitz andere Maßgaben gefordert, wenn es um daspolitische Engagement, die soziale Funktion von Kunst, samt ihrermusealen Verbetrieblichung geht? Auch Zuckermann weiß, dass dieseFragen auf die Ästhetisierung des Alltagslebens reflektieren müssen;weiß, dass dafür eben auch e<strong>in</strong>e kritische Theorie der populärenAlltagskultur nötig ist. Doch bleibt es bei ihm, mit e<strong>in</strong>em zitierendenVerweis auf e<strong>in</strong>en älteren Befund von <strong>Die</strong>drich <strong>Die</strong>derichsen, beimHipHop. Der emanzipative Impuls von Gegenkulturen schlägt um <strong>in</strong> dieRegression; zur Erläuterung dieser Beobachtung <strong>Die</strong>derichsens schreibtZuckermann: »Es genügt, den Fall der ›Nation Of Islam‹ <strong>in</strong> diesemZusammenhang anzuführen: e<strong>in</strong>er HipHop-Gruppe, die <strong>in</strong> derVergangenheit durch die Qualität ihrer aufgebrachten, als Motor derHerausbildung e<strong>in</strong>er gesellschaftspolitisch ausgerichteten schwarzenGegenidentität fungierenden Provokationen bee<strong>in</strong>druckte, dann aberdurch antisemitische, homophobe und misogyne Ausfälle nicht m<strong>in</strong>derschockierte.« 14Es geht gar nicht so sehr um den Fauxpas, dass es sich bei der Nation OfIslam nicht um e<strong>in</strong>e Musikband, sondern um e<strong>in</strong>e fundamentalantisemistische religiös-politische Gruppierung handelt, <strong>in</strong> derenschwarz-muslimischen Tradition sich HipHop-Gruppen wie PublicEnemy gesehen haben, die Zuckermann hier wahrsche<strong>in</strong>lich me<strong>in</strong>t; 15 esgeht vielmehr um den notwendigen Anspruch, e<strong>in</strong>e kritische Theorie14Moshe Zuckermann, ›Kunst und Publikum. Das Kunstwerk im Zeitalterse<strong>in</strong>er gesellschaftlichen H<strong>in</strong>tergehbarkeit‹, Wallste<strong>in</strong> Verlag: Gött<strong>in</strong>gen 2002, S. 114.15<strong>Die</strong> bekanntesten Mitglieder der NOI waren der Bürgerrechtler Malcolm Xund der Boxer Casius Clay alias Muhammad Ali; abgeleitet von dem Namen derparamilitärischen Organisation der NOI, der Fruits Of Islam, gründeten Public Enemydie Fruit Of Islam. Sie machten vor allem durch Hitlerverehrung und Antisemitismusauf sich aufmerksam. Vgl. dazu: Günther Jacob, Agit-Pop. Schwarze Musik undweiße Hörer, Berl<strong>in</strong> 1993,34 ff.


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 18der alltagskulturellen Ästhetik und populären Ästhetisierung imSpätkapitalismus zu liefern, die an der Verengung bereits zu scheiterndroht, kaum Zugang zu dem zu haben, was <strong>in</strong> den letzten zwei oder dreiJahrzehnten <strong>in</strong> der Kunst, der Popkultur, der Kultur<strong>in</strong>dustrie sichzugetragen hat. <strong>Die</strong> heute bestehenden emanzipatorischen Tendenzens<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs von den mit HipHop bezeichneten Phänomenen(mittlerweile) sehr weit entfernt. Dass Autoren wie Böhme undZuckermann für solche Gegenkulturen das kritisch-theoretischeWerkzeug liefern, ist dabei überhaupt nicht <strong>in</strong> Abrede zu stellen. <strong>Die</strong>Entwicklung von der Kultur<strong>in</strong>dustrie zur Popkultur ist durch e<strong>in</strong>e,wenn man so will, Pluralisierung der Standardisierung ebensogekennzeichnet wie umgekehrt von e<strong>in</strong>er Standardisierung derPluralisierung: Es gibt immer mehr Stile, Genres, Spielarten, die sichjedoch immer weniger vone<strong>in</strong>ander unterscheiden (und als Etikettenauch immer weniger Unterscheidungskriterien bieten). Tendenzen s<strong>in</strong>dnicht e<strong>in</strong>mal mehr <strong>in</strong> den Sparten – wie etwa HipHop – greifbar, sondernmüssen <strong>in</strong> der Dialektik der Kultur selbst herausgestellt werden. 16V.Popkultur <strong>in</strong> den Rubriken, »Genres« und »Stilen« zu beurteilen, die siezur besseren Übersicht dem Konsumenten selbst vorgibt, vermag nurschemenhaft die emanzipatorischen Tendenzen zu erfassen, um die ese<strong>in</strong>er kritischen Theorie zu tun ist. Schon <strong>in</strong> der Kultur<strong>in</strong>dustrie, dieAdorno und Horkheimer <strong>in</strong> den vierziger Jahren beschrieben, galt dieDichotomie von E und U bereits als überwunden, die avancierte Kunstfast vollständig <strong>in</strong>tegriert. Kultur<strong>in</strong>dustrie me<strong>in</strong>t mith<strong>in</strong>, dass alle Kulturzu Ware wird; die Distributionsmechanismen der als Hochkulturwohlfeil gebotenen Produkte unterscheiden sich mitnichten von denen16Zum Verhältnis von kritische Theorie und HipHop: Gerhard Scheit, ›Rollover Adorno? Kle<strong>in</strong>e Musikgeschichte des Fordismus (notiert nach Art der Sonate)‹,zuerst <strong>in</strong>: ›Weg und Ziel‹, Nr. 5 / 1997, S. 3 ff., jetzt <strong>in</strong>: Scheit, ›Mülltrennung.Beiträge zu Politik, Literatur und Musik‹, Hamburg 1998, S. 164–187. Me<strong>in</strong>e Kritikan Scheit: ›E oder U? Überlegungen zur kritischen Theorie der Popmusik und e<strong>in</strong>Nachtrag‹, http://www.l<strong>in</strong>ks-netz.de/T_texte/T_behrens_ki.html.


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 19der Massenkunst und der übrigen Kulturwaren. 17 Mit der Popkultur istder Warencharakter der Kultur nunmehr gänzlich entfaltet: er gründet<strong>in</strong> den Produktionsverhältnissen, die die Popkultur zugleichverschleiert, und f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> der konsumistischen Neuordnung derDistributionsverhältnisse se<strong>in</strong>en Ausdruck. <strong>Die</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>esästhetischen Wahrheitsgehaltes ist nicht nur durch das Profitmotiv, denKommerz verstellt, sondern <strong>in</strong> der Wertlogik kapitalistischer Produktionwie bei jeder anderen Ware auch aufgehoben. 18Welche Konsequenzen das für die ästhetische Produktion hat, verfolgteAdorno als Projekt e<strong>in</strong>er ›Theorie der musikalischen Reproduktion‹ 19 ;dass es um Musik geht, liegt am besonderen Verhältnis von Produktion,Reproduktion, von Interpretation und Rezeption <strong>in</strong> der Musik: Musikwird komponiert, arrangiert, notiert, aufgeführt, produziert,aufgenommen, adaptiert, gespielt, nachgespielt, gehört, konsumiert etc.Bereits seit 1925 hat Adorno über das Thema Reproduktion gearbeitet;die Entwürfe für e<strong>in</strong> Buch über die ›Theorie der musikalischenReproduktion‹ entstanden zwischen 1946 und 1959. <strong>Die</strong> kritischeTheorie der musikalischen Reproduktion ist der von der Kultur<strong>in</strong>dustriekongruent; Musik werde unter gegebenen Bed<strong>in</strong>gungen»un<strong>in</strong>terpretierbar«. Unter der Vorherrschaft der Kultur<strong>in</strong>dustrie könne17Vgl. zu diesem Komplex Zuckermanns Ausführungen über ›Aspekte hoherund niedriger Kultur‹ <strong>in</strong>: ›Kunst und Publikum‹, S. 138 (der Beitrag, der hierüberarbeitet aufgenommen ist, erschien bereits <strong>in</strong> der ›Zeitschrift für kritischeTheorie‹ als ›Nachtrag zu Adorno‹, Heft 10 (2000). Vgl. auch S. 151 ff., woZuckermann jedoch genau das e<strong>in</strong>seitig Bild von Rockmusik und ihrer Funktionbeschreibt, wie ich es oben kritisch dargestellt habe.18Andy Warhol hat das mit se<strong>in</strong>er Variante der Pop-Art deutlich gemacht,<strong>in</strong>dem er nicht nur e<strong>in</strong>e affirmative Ästhetik der Ware propagierte (Suppendosen,›Brillo‹-Boxen, serielle Monroe- und Mao-Ikonen), sondern auch die Bauhüttenebensowie die Bauhaus-Künstlerästhetik <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Factory-Produktion konterkarierte;vgl. Mart<strong>in</strong> Büsser, ›Pop-Art‹, EVA Rotbuch: Hamburg 2001.19Theodor W. Adorno, ›Zu e<strong>in</strong>er Theorie der musikalischen Reproduktion‹,Nachgelassene Schriften, Abt. 1: Fragment gebliebene Schriften, Band 2, hg. vonHenri Lonitz, Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 2001.


<strong>Adornos</strong> <strong>Rap</strong> – <strong>Roger</strong> <strong>Behrens</strong> – Seite 20Interpretation der Musik nur falsche Interpretation se<strong>in</strong>; 1946 notiertAdorno: »Nachleben der Werke: leichte Musik als Interpretation – dieWerke im Zeitalter ihres Zerfalls.« (S. 316) Insofern müsse man »sich überdie Strategie der Arbeit klar werden. Sie richtet sich gegen 2 Fronten.Auf der e<strong>in</strong>en Seite das offizielle Musikleben, das längst, und geradeauch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en gefeierten Vertretern, e<strong>in</strong> Stück der Kultur<strong>in</strong>dustrie ist,zugleich galvanisiert, temperamentvoll und kul<strong>in</strong>arisch … Auf deranderen die abstrakte Negation, die Flucht <strong>in</strong>s Mensurale. Dort derfalsche Subjektivismus, hier die … Ausrottung des Subjekts.« (S. 145)Im S<strong>in</strong>ne der von Prokop e<strong>in</strong>geforderten negativen Dialektik derKultur<strong>in</strong>dustrie geht es um e<strong>in</strong>e kritische Theorie des Subjekts. 20 Solchekritische Theorie des Subjekts entfaltet Adorno als »Urgeschichte derMassenkultur« (S. 21); sie steht dem Benjam<strong>in</strong>schen Projekt über dietechnische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks nahe. Dazu gehört etwa,<strong>in</strong> diesem Kontext, die ungewöhnliche Bemerkung <strong>Adornos</strong> über denJazz, dass er se<strong>in</strong>e Kraft gerade aus se<strong>in</strong>en rhythmischen Schemenschöpft: »Von hier fällt Licht auf e<strong>in</strong>e wirkliche Funktion des Jazz:nämlich solche Differenzierungen, die sonst verschw<strong>in</strong>den, zu bewahren.Wie übrigens die Interpretation manches vom Jazz zu lernen hat.« (S.172) So kann schlussendlich <strong>in</strong> Bezug auf <strong>Adornos</strong> Verhältnis zum Jazzwie zur Kultur<strong>in</strong>dustrie überhaupt gelten, was er für die wahreInterpretation e<strong>in</strong>forderte: »Zur wahren Interpretation gehört e<strong>in</strong> StückWut auf die Musik, die ihrer Idee <strong>in</strong> all ihren Ersche<strong>in</strong>ungen geopfertwird. ›I just hate music.‹« (S. 105)20»<strong>Die</strong> Kritik der Kultur<strong>in</strong>dustrie von Max Horkheimer und Theodor W.Adorno aufzunehmen ist notwendig, weil sich ihre Theorie für das Schicksal deserfahrenden und erkennenden Subjekt <strong>in</strong>teressierte, für die ökonomischen,politischen, gesellschaftlichen Grundlagen der Autonomie des Subjekts.« (Prokop,›Mit Adorno gegen Adorno‹, S. 11)

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