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sieht sich die Wetterlage an, Physiker<br />
errechnen für uns Verdünnungseffekte.<br />
Ergebnis: Nie und nimmer kann auf diesem<br />
Weg Radioaktivität nach Österreich<br />
gelangen. Während einzelne Zeitungen<br />
allen Ernstes auf ihrer Titelseite von<br />
einer »Atomwolke über Österreich«<br />
fantasieren, wird in der Berichterstattung<br />
des ORF zwar darüber berichtet,<br />
gleichzeitig aber betont, die Gefahr sei<br />
vernachlässigbar. Trotz allem bleibt die<br />
Lage vor allem in Japan selbst bedrohlich<br />
– vor allem auch wegen der vielen<br />
Opfer, die durch die Flutwelle nach dem<br />
verheerenden Tsunami zu beklagen sind.<br />
Am 16. März, mitten in den sich über-<br />
stürzenden Horrormeldungen, berührt<br />
eine Geschichte ganz Österreich, die so<br />
nur öffentlich-rechtliches Fernsehen<br />
schreiben kann: Ein Arzt ist in der japa-<br />
nischen Stadt Ishinomaki mit 600 Patien-<br />
ten von den Wassermassen nach dem<br />
Tsunami eingeschlossen, Telefonleitungen<br />
und Stromversorgung sind zusammen-<br />
gebrochen. Verzweifelt sendet der Arzt<br />
SMS an alle verfügbaren Nummern<br />
seines Mobiltelefons. Eine dieser SMS<br />
erreicht Werner Wiessböck von der öster-<br />
reichisch-japanischen Gesellschaft – er<br />
wendet sich an den ORF. In der Auslandsredaktion<br />
reagiert Gudrun Gutt<br />
schnell und richtig: Sie alarmiert ihre<br />
Kollegen beim öffentlich-rechtlichen<br />
Partnersender NHK in Tokio. Diese geben<br />
die dramatische Situation des Krankenhauses<br />
an die Einsatzkräfte weiter – alle<br />
600 Menschen können gerettet werden.<br />
Das Krankenhaus bedankt sich in einem<br />
Schreiben beim ORF – öffentlich-recht-<br />
licher Journalismus als Anwalt der<br />
Menschlichkeit.<br />
Wenn wir heute in der Redaktion ab<br />
und zu die Ereignisse vom März 2011 Re-<br />
vue passieren lassen, ist die Erinnerung<br />
vor allem vom Staunen darüber geprägt,<br />
was da alles geleistet wurde. Zettel mit<br />
Telefonnummern von Atomexperten<br />
hängen noch immer über Schreibtischen,<br />
auf manchem Tisch liegt eine Zeitung<br />
von damals mit reißerischen Schlag-<br />
zeilen, die heute so lächerlich wirken.<br />
Wir haben keinen Inhalt einer verkaufs-<br />
trächtigen Headline geopfert. Wir haben<br />
berichtet, was Sache war. Darauf sind<br />
wir stolz. So wie auf dieses tolle Unter-<br />
nehmen, das – so oft zu Unrecht geschol-<br />
ten – immer wieder aufs Neue beweist,<br />
zu welchen großartigen Leistungen<br />
seine Mitarbeiter/innen fähig sind. •<br />
2011, Jahr<br />
Der Verun-<br />
sicherunG<br />
helGa mayer, ö3<br />
Wie geht es meinen Verwandten<br />
in der Türkei? Ich kann sie nicht<br />
erreichen, bekomm’ keine Telefon-<br />
verbindung. In der Kantine verkaufen<br />
sie Sandwiches mit Paradeisern<br />
und Gurken, darf ich das<br />
noch essen? Wenn Griechenland<br />
jetzt pleitegeht, wird dann auch<br />
bei uns alles teurer? Nur einige,<br />
wenige der fragen unserer Höre-<br />
rinnen und Hörer, die sie sich<br />
und uns 2011 gestellt haben.<br />
19 Nachrichtensendungen, dazu<br />
fünf Journale und sechsmal Kurzinformation<br />
in Form von Schlagzeilen haben<br />
wir täglich, um die Hörerinnen und Hörer<br />
auf dem Laufenden zu halten, was in<br />
ihrer Umgebung, was in der Welt passiert.<br />
Da hat es 2011 manches gegeben, manch-<br />
mal so viel, dass wir oft das Gefüh hatten,<br />
die Zeit reicht nicht, alle Informationen<br />
reinzupacken. Ist es doch unser Ziel,<br />
die Zuhörerinnen und Zuhörer nicht nur<br />
schnell, sondern umfassend zu informieren,<br />
und auch die Fülle an Details,<br />
die unterschiedlichen Meinungen der<br />
Expertinnen und Experten, einfach und<br />
verständlich darzustellen.<br />
Neben Fukushima und EHEC-Keim-<br />
angst möchte ich vor allem das Erd-<br />
beben im Gebiet von Van im Osten der<br />
Türkei mit mehr als 600 Toten nur stellvertretend<br />
für all die anderen Natur-<br />
katastrophen 2011 – Tornados in den<br />
USA, Überschwemmungen in Asien und<br />
Europa – nennen. Begleitet wird das<br />
Ganze seit geraumer Zeit von der Krise –<br />
der Krise Griechenlands, der Krise der<br />
Banken, der Krise des Euro.<br />
Was brauchen die Hörerinnen und<br />
Hörer dann? Klar ist für uns, so rasch<br />
wie möglich gesicherte Informationen<br />
über das »was-ist-passiert« einzuholen.<br />
Das ist bei »kleineren« Ereignissen mit<br />
einigen Recherche-Telefonaten und dem<br />
16<br />
Abgleich verschiedener Nachrichtenagenturen<br />
manchmal wohl rasch er-<br />
ledigt. Fukushima aber? Fukushima war<br />
auch für uns (im eigentlichen Wortsinn)<br />
besonders: Vergessen waren für einige<br />
Zeit geltende Dienstzeiten – Überstunden<br />
war die Devise, um Sondersendungen<br />
zu machen, keine Entwicklung zu ver-<br />
säumen. Anfangs hatten wir mit vor<br />
allem mit der Menge einander widersprechender<br />
Informationen zu kämpfen.<br />
Hilft es uns bei manchen Themen auch,<br />
mit internen Diskussionen, kontrovers<br />
und mitunter heftig, weiterzukommen,<br />
sind wir auf Hilfe angewiesen gewesen:<br />
in diesem Fall auf unsere Korresponden-<br />
ten und Kollegen von anderen Medien –<br />
namentlich ORF-China-Korrespondent<br />
Jörg Winter und ARD-Korrespondent<br />
Martin Fritz, der seit Jahren in Tokio<br />
lebt. Durch ihre Schilderungen haben<br />
Zahlen und Daten über Strahlung, zerstörte<br />
Gebäude und Tote »ein Gesicht«<br />
bekommen, sind manchen in der Redak-<br />
tion nahegegangen, weil sie eindringlicher<br />
als Eilt-Meldung über Eilt-Meldung<br />
abgebildet haben, was den Menschen<br />
dort widerfahren ist.<br />
Fachleute – Ärzte, Nuklearexperten,<br />
aber auch Einsatzleiter von Rettungs-<br />
teams und Militär – sind in unseren<br />
Sendungen zu Gast gewesen, um sich<br />
all den Fragen zu stellen, die die Natur-<br />
und Reaktorkatastrophe noch aufgeworfen<br />
hat. Dabei war es nicht immer<br />
einfach, die Studiogäste dazu zu bringen,<br />
möglichst einfach und verständlich<br />
zu sprechen – der eine oder die andere<br />
ist in der Begeisterung für das jeweilige<br />
Wissensgebiet auch gleich der dazugehörenden<br />
Fachsprache verfallen. Aber<br />
wer kann sich ohne humanistische<br />
Schulbildung beim – vielleicht beiläufigen<br />
– Zuhören schon zusammenreimen,<br />
was Zeolithen und Neutronenabsorber<br />
sind? Eben.<br />
Für uns sind Fukushima, EHEC,<br />
Van und Euro mehr als Chiffren für –<br />
im eigentlichen Wortsinn – besondere<br />
Ereignisse mit (mit Berufszynismus<br />
gesprochen) Toten, Gefahr und Drama<br />
gewesen: Fukushima, EHEC, Van,<br />
Euro und anderes mehr haben uns<br />
bei unserer täglichen Arbeit in die<br />
Verantwortung genommen, nicht Angst<br />
zu machen oder die Hörerinnen und<br />
Hörer zu verunsichern, sondern ihnen<br />
die Informationen zu geben, die sie<br />
brauchen. •<br />
VErtrauEn sErViCE untErhaltung WissEn VErantWOrtung<br />
indiViduEllEr WErt