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eine knappe Handvoll verschiedene Gründe für einen Mord<br />
gibt: Gier, Hass, Angst, Eifersucht. Diese vier sind es, alle<br />
anderen sind direkt davon ableitbar. Welche Motive das aber<br />
im Speziellen sind, wie sie sich Ausdruck verschaffen und<br />
wie sie im Austausch mit anderen Personen funktionieren,<br />
führt uns als Zuseher/innen ganz rasch von der Oberfläche<br />
der Fallgeschichten tief ins Innere der Figuren. Und hier wird<br />
es plötzlich wieder sehr, sehr spannend. Denn kaum etwas<br />
ist vielfältiger und widersprüchlicher als die menschliche<br />
Psyche.<br />
Das Ziel und der Zuseher<br />
David Mamet, der amerikanische Filmemacher, Drehbuchautor<br />
und Theaterregisseur, übrigens ein großer Freund<br />
prägnanter Formulierungen, hat in einem Essay eine mögliche<br />
Erklärung formuliert, was andere Menschen für uns<br />
so spannend macht: »Gegen unsere Interessen werden wir<br />
immer die Seite wählen, die ihre Sache besonders dramatisch<br />
darzustellen weiß.« Als Publikum mögen wir lebenspralle<br />
Figuren ausnahmslos lieber als die Fälle, in die sie verstrickt<br />
werden, Moritz Eisner und Bibi Fellner immer mehr als den<br />
aktuellen »Tatort«-Mordfall, Angelika Schnell und ihr kom-<br />
pliziertes Verhältnis zum Ex und zu den Kollegen jedenfalls<br />
mehr als die bloßen Ermittlungen. Die Fälle sind mit ein wenig<br />
Distanz betrachtet sehr ähnlich – wenn es aber gut geht und<br />
sorgfältig erzählt wird, sind die Figuren in ihnen absolut<br />
unverwechselbar und einzigartig.<br />
In der Entwicklung einer für 2012 geplanten neuen Serie<br />
(Arbeitstitel »Cop Stories«) rund um die Beamten einer Wiener<br />
Polizeiinspektion wird unter anderem aus diesem Grund<br />
besonders darauf geachtet, die Ambivalenz aller Figuren so<br />
intensiv und so lebendig wie nur möglich zu gestalten. Und<br />
zwar sowohl innerhalb der Wache als auch außerhalb. Keine<br />
Sorge, auch im neuen Format haben die Cops Fälle zu lösen<br />
und Ermittlungen anzustellen. Das ist schließlich ihr Beruf.<br />
Faszinierender, unterhaltsamer und spannender ist allerdings<br />
der psychologische und gesellschaftliche Rahmen, in dem<br />
diese Ermittlungen stattfinden. In einem Stadtviertel, in dem<br />
es immer wieder zu Reibereien zwischen den Bevölkerungsgruppen<br />
kommt, in einer Polizeiwache, deren Mitarbeite-<br />
r/innen Menschen aus Fleisch, Blut, schlechten Gewohnheiten<br />
und besten Absichten sind. Mit Schicksalen, die niemanden<br />
kalt lassen, und Aufgaben, denen sie gerade noch gewachsen<br />
sind.<br />
Vielleicht ist ein Grund, weswegen uns lebensnahe<br />
Figuren so berühren, so zu beschreiben: »Jede Szene endet<br />
so, dass der Held am Erreichen seines Ziels behindert wird,<br />
sodass er gezwungen ist, in der nächsten Szene nach einer<br />
Lösung zu suchen. Das Publikum wird ihm folgen und sich<br />
fragen, wie es ihm in der nächsten Szene geht, denn der Film<br />
ist im Wesentlichen eine Vorwärtsbewegung in Szenen«, sagt<br />
David Mamet. Wenn ein Film wirklich spannend ist, sitzen<br />
wir davor und fragen uns in jedem Moment, nach jeder Szene:<br />
Wie geht’s weiter? Was passiert jetzt? Was unternimmt »meine«<br />
Figur als nächstes? Deshalb hält auch kein Film auch nur<br />
eine unnötige Szene aus. Denn sobald das Band zwischen der<br />
inneren Spannung einer Filmfigur und dem Zuseher einmal<br />
durchtrennt ist, ist es auch schon vorbei. In jeder Szene<br />
müssen in der Wahrnehmung des Zusehers ein paar Fragen<br />
32<br />
Wussten sie, Dass …<br />
… die Österreicherinnen und Österreicher 2011 so viel zeit wie noch nie<br />
zuvor vor den Fernsehgeräten verbracht haben? Im Schnitt sahen die<br />
über 12-Jährigen im Vorjahr pro Tag 167 Minuten fern, das ist die höchste<br />
in Österreich bisher gemessene TV-nutzungszeit. 1991 war es mit<br />
durchschnittlich 127 Minuten um mehr als eine halbe Stunde weniger.<br />
… die TV-nutzung in Österreich nach wie vor steigt? 2011 erreichte<br />
das Medium Fernsehen täglich 4,5 Mio. Personen ab 12 Jahren<br />
und damit um knapp 100.000 pro Tag mehr als im Jahr davor.<br />
… der vom ORF produzierte »Tatort: Vergeltung« mit Harald Krassnitzer<br />
und Adele neuhauser 2011 der meistgenutzte TV- bzw. Spielfilm in<br />
Österreich war? Die Ausstrahlung am 6. März in ORF 2 erzielte eine<br />
durchschnittliche Reichweite von 984.000 Seherinnen und Sehern.<br />
unsichtbar im Raum stehen und beantwortet werden: Wer<br />
will was von wem? Was geschieht, wenn er oder sie es nicht<br />
bekommt? Und, ganz wesentlich: Warum jetzt? Wenn man<br />
darauf keine überzeugenden Antworten findet, hat man als<br />
Filmerzähler ganz rasch ein Problem mit dem Boss. Mit dem<br />
Publikum.<br />
Spannung jenseits der Genres<br />
Aufmerksame Filmschauer könnten an diesem Punkt einhaken:<br />
»Moment! Alles schön und gut. Aber das betrifft ja wohl nicht<br />
nur Krimis!« – Und sie hätten völlig recht damit. Spannung ist<br />
nichts, was der Crime-Sektor für sich allein gepachtet hätte.<br />
Gerade 2011 war einer der erfolgreichsten Filme überhaupt<br />
aus einem ganz anderen Genre, wenngleich auch wieder von<br />
einem bereits erwähnten Regisseur: »Das Wunder von Kärnten«<br />
– »Man wusste dank des Titels, dass es gut ausgehen<br />
würde, man sah über weite Strecken Schauspieler/innen mit<br />
eingeschränkter Mimik, weil Masken tragend in einem engen,<br />
klaustrophobischen OP, und doch konnte man sich der Span-<br />
nung nicht entziehen. Abgesehen von der hervorragenden<br />
Regie, der Kamera, dem Schnitt, der Musik, war diese Span-<br />
nung einem wunderbaren Buch zu verdanken und der Leistung<br />
des Schauspielerensembles. Ein universelles Thema – ein Kind<br />
in Lebensgefahr –, und ein paar einsame, auf sich gestellte<br />
Menschen, die schnell handeln und entscheiden müssen«<br />
(Sabine Weber, Redakteurin). Hier verbinden sich respektvolle<br />
Menschendarstellung, sorgfältiges Erzählen und ein großes<br />
Thema zu dem, was der ORF am liebsten macht: spannendes<br />
Programm. •<br />
1) »Vermisst – Alexandra Walch, 17« (2011): mit Ann-Kathrin Kramer, Richy<br />
Müller, Hary Prinz, Erwin Steinhauer, Emilia Schüle; Drehbuch:<br />
Agnes Pluch, Andreas Prochaska; Regie: Andreas Prochaska<br />
2) »Das Wunder von Kärnten« (2011): mit Ken Duken, Julia Koschitz, Juergen<br />
Maurer, Sara Wogatai, Gerti Drassl, Gerhard Liebmann; Buch: Christoph<br />
Silber, Thorsten Wettcke; Regie: Andreas Prochaska<br />
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