Leseprobe: Theo Sommer 1945 - Rowohlt
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Auftakt in der Kälte<br />
Am Neujahrstag <strong>1945</strong> herrschte in Europa tiefster Winter. Der Kontinent<br />
lag unter einer dichten Schneedecke, scharfer Frost ließ den<br />
Menschen im Freien den Atem vor den Mündern gefrieren. In Moskau<br />
zeigte das Thermometer neun Grad unter null. Berlin meldete<br />
fünf Grad unter dem Gefrierpunkt; «herrliches Wetter über dem ganzen<br />
Reichsgebiet», vermerkte der Reichspropagandaminister Joseph<br />
Goebbels in seinem Tagebuch: «Es ist Schnee gefallen, über dem Sonnenschein<br />
liegt.» Selbst London verzeichnete ungewöhnliche Minustemperaturen.<br />
Auch in Washington herrschte bei 16 Grad Fahrenheit<br />
klare, klirrende Kälte. Über Tokio ging am Morgen leichter Regen nieder,<br />
danach klarte es auf: die Wetterwarte registrierte für den Neujahrstag<br />
minus ein bis plus sieben Grad. Auf der Marianen-Insel<br />
Tinian, von der aus sieben Monate später die Fliegende Superfestung<br />
«Enola Gay» mit der ersten Atombombe in Richtung Hiroshima abheben<br />
sollte, schwitzten die amerikanischen Arbeitskolonnen, die<br />
dort auf dem eingeebneten Korallenuntergrund den größten Flughafen<br />
der Welt anlegten, in der feuchten Tropenhitze.<br />
Adolf Hitler, der fünfundfünfzigjährige «Führer und Reichskanzler»,<br />
hatte Ende November 1944 sein ostpreußisches Hauptquartier<br />
«Wolfsschanze» verlassen. Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin<br />
hielt er sich seit dem 10. Dezember im Taunus-Befehlsstand «Adlerhorst»<br />
bei Bad Nauheim auf. Von dort aus dirigierte er noch einmal<br />
eine militärische Operation großen Stils: die Ardennen-Offensive.<br />
Das Unternehmen «Herbstnebel» war seine letzte Karte. Auf sie setzte<br />
er alles. «Wir werden durchkommen», erklärte er seinem Rüstungsminister<br />
Albert Speer. «Ein einziger Durchbruch an der Westfront!<br />
Sie werden sehen! Das führt zu einem Zusammenbruch und zur Panik<br />
bei den Amerikanern. Wir werden in der Mitte durchstoßen und<br />
Antwerpen nehmen. Damit haben sie ihren Nachschubhafen verloren.<br />
Und ein riesiger Kessel um die ganze englische Armee wird entstehen,<br />
mit Hunderttausenden von Gefangenen. Wie früher in Ruß-<br />
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