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Prof. Dr. Margherita Zander Positionspapier zu Resilienz (zum ...

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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Margherita</strong> <strong>Zander</strong><br />

<strong>Positionspapier</strong> <strong>zu</strong> <strong>Resilienz</strong> (<strong>zu</strong>m Vortrag in Nürnberg am 27.1.2012)<br />

1. Was ist <strong>Resilienz</strong>?<br />

Der aus dem Anglo-Amerikanischen übernommene Begriff der <strong>Resilienz</strong> wird ins Deutsche<br />

häufig als „seelische Widerstandskraft gegen widrige Umstände“ übertragen. Wir sprechen<br />

von einer seelischen Kraft, die als Potenzial vielleicht in allen – oder <strong>zu</strong>mindest in den meisten<br />

– Menschen angelegt sein dürfte.<br />

Ob sie bei manchen nur verschüttet oder tatsächlich nicht vorhanden ist, da<strong>zu</strong> kann die<br />

Forschung (noch) keine endgültige Antwort geben.<br />

2. Wie erklärt sich <strong>Resilienz</strong>?<br />

<strong>Resilienz</strong> ist ein schillerndes psychisches Phänomen, das sich wissenschaftlich nur schwer<br />

fassen lässt. Unstrittig ist, dass bestimmte angeborene körperliche Merkmale und<br />

Charaktereigenschaften als resilienzförderlich (also als personale Schutzfaktoren) gelten wie<br />

beispielsweise ein heiteres Temperament oder gesunde körperliche Konstitution; ja sogar das<br />

Geschlecht soll in bestimmten Altersphasen eine Rolle spielen (Mädchen gelten in der frühen<br />

Kindheit, Jungen in der späteren Kindheit als seelisch robuster und damit als resilienzfähiger).<br />

Weitgehend einig ist man sich, dass die Fähigkeit <strong>zu</strong>r Entfaltung von <strong>Resilienz</strong> erworben und<br />

damit auch gefördert werden kann.<br />

3. Wie zeigt sich und entsteht <strong>Resilienz</strong>?<br />

Nicht jede Form der „seelischen Widerstandsfähigkeit“ ist schon als <strong>Resilienz</strong> <strong>zu</strong> bezeichnen.<br />

Von <strong>Resilienz</strong> spricht man erst, wenn besonders belastende und risikobehaftete, ja<br />

traumatische Situationen „besser “, d.h. unbeschadeter“, bewältigt werden, als gemeinhin<br />

an<strong>zu</strong>nehmen wäre. Manche <strong>Resilienz</strong>forscher/innen betonen sogar, dass resiliente<br />

Kinder/Menschen gestärkt aus bewältigten Krisen hervorgehen (Froma Walsh).<br />

In den Blick <strong>zu</strong> nehmen sind dabei sowohl biologische, psychosoziale und emotionale<br />

Entwicklungsrisiken – nicht <strong>zu</strong> vergessen das zentrale Entwicklungsrisiko „Armut“. <strong>Resilienz</strong><br />

entsteht durch das Zusammenwirken vielerlei Faktoren, ist ein „Strauß von Fähigkeiten“, die<br />

sich teilweise auch aneignen lassen.<br />

<strong>Resilienz</strong>, könnte man sagen, hat sehr viel mit der Herausbildung des „Selbst“ <strong>zu</strong> tun: mit<br />

Selbstachtung, Selbstbestimmung, Selbstständigkeit, Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeit.<br />

4. Wann sprechen wir von <strong>Resilienz</strong>?<br />

Entwicklungspsychologisch betrachtet gibt es in jeder Lebensphase typische seelische<br />

Konflikte und Krisen, also Entwicklungsrisiken (=normative Risiken), die es <strong>zu</strong> meistern gilt.<br />

Von <strong>Resilienz</strong> sollte man aber nur dann sprechen, wenn <strong>zu</strong>sätzliche Risiken (=nicht normative<br />

Risiken wie z.B. familiäre Armut, Trennung und Scheidung, seelische Erkrankung eines<br />

Elternteils usw.) hin<strong>zu</strong> kommen, wenn Entwicklungsrisiken kumulieren.


Emmy Werner hat daher in ihrer <strong>Resilienz</strong>studie den Begriff der „Hoch-Risiko-Kinder“<br />

eingeführt.<br />

5. Wie entsteht <strong>Resilienz</strong>?<br />

<strong>Resilienz</strong> entsteht und zeigt sich durch die „erfolgreiche“ Bewältigung von „nicht-normativen<br />

Risiken“, also außergewöhnlichen biografischen Herausforderungen. Sie entsteht und zeigt<br />

sich erst im Bewältigungsprozess. Diese <strong>Resilienz</strong>fähigkeit muss immer wieder neu erworben<br />

werden: Einmal resilient heißt also nicht automatisch: immer resilient!<br />

Allerdings wird das Kind (das Individuum) durch jede positiv gemachte Erfahrung in seiner<br />

weiteren <strong>Resilienz</strong>fähigkeit gestärkt.<br />

Ein anschauliches Bild bietet da<strong>zu</strong> bietet die schon zitierte Emmy Werner an, indem sie von<br />

einer „Wendeltreppe nach oben“ spricht, um so <strong>zu</strong>m Ausdruck <strong>zu</strong> bringen, dass mit jeder<br />

positiven Bewältigung einer Krise (oder eines Risikos) eine höhere Stufe erklommen wird, um<br />

weitere Aufstiegshindernisse sicherer und erfahrener <strong>zu</strong> nehmen.<br />

6. Welches sind die Grundideen des Konzepts?<br />

<strong>Dr</strong>ei Feststellungen sind von zentraler Bedeutung für dieses Konzept:<br />

Erstens: Entwicklungsrisiken oder Krisen müssen nicht zwangsläufig <strong>zu</strong> auffälligem<br />

Verhalten, psychischen Erkrankungen oder späterem „Scheitern“ im Leben führen. Im<br />

Gegenteil: Ein Ergebnis von <strong>Resilienz</strong>forschung ist, dass Kinder oder auch Erwachsene sogar<br />

gestärkt daraus hervorgehen können.<br />

Zweitens: Die Erklärung dafür, dass die einen (seien es Kinder oder Erwachsene) solche<br />

Klippen weitgehend unbeschadet <strong>zu</strong> nehmen vermögen oder sogar gestärkt daraus hervor<br />

gehen, ist im Vorhandensein oder eben nicht Vorhandensein von Schutzfaktoren <strong>zu</strong> sehen.<br />

Über solche Schutzfaktoren kann das Kind selbst verfügen (seien es angeborene oder<br />

angeeignete) oder sie mögen ihm in seinem familären oder weiteren sozialen Umfeld<br />

<strong>zu</strong>gänglich sein (wie etwa enge emotionale Bindungen, Anerkennung und Förderung seiner<br />

spezifischen Stärken und Fähigkeiten durch Betreuungspersonen usw.).<br />

<strong>Dr</strong>ittens: Solche Schutzfaktoren können auch gezielt von außen mobilisiert und initiiert<br />

werden. <strong>Resilienz</strong> lässt sich also fördern!<br />

7. Wie kann <strong>Resilienz</strong> gefördert werden?<br />

Statt auf das <strong>zu</strong> bewältigende Entwicklungsrisiko eines Kindes fixiert <strong>zu</strong> sein – wie das<br />

Kaninchen auf die Schlange – gilt es in einer „positiv gewendeten Fallanalyse“<br />

resilienzförderliche Schutzfaktoren beim Kind selbst, in seinem familiären oder weiteren<br />

sozialen Umfeld auf<strong>zu</strong>spüren und dem Kind <strong>zu</strong>gänglich <strong>zu</strong> machen. Leitidee ist dabei, dass<br />

das Kind mit Hilfe von solchen Schutzfaktoren in die Lage versetzt wird, jenes Maß an<br />

seelischer Widerstandsfähigkeit <strong>zu</strong> entfalten, die es benötigt um sich durch die Unbilden des<br />

Lebens nicht unterkriegen <strong>zu</strong> lassen.<br />

Das bedeutet aber keineswegs, dass man Risiken, die die Bewältigungsfähigkeit des Kindes<br />

übersteigen, nicht <strong>zu</strong> minimieren oder <strong>zu</strong> beseitigen versuchen sollte, sofern dies möglich ist.<br />

Unstrittig ist jedenfalls, dass Kinder in bestimmten Problemkonstellationen Hilfe von außen<br />

brauchen, um über das nötige Quantum an Schutzfaktoren <strong>zu</strong> verfügen.


8. Wer kann <strong>Resilienz</strong> fördern?<br />

Naheliegend ist natürlich, dass die <strong>Resilienz</strong> von Kindern in ihrem familiären Umfeld und vor<br />

allem durch die leiblichen oder sozialen Eltern – manchmal können es auch Geschwister,<br />

Tanten, Onkel oder Großeltern sein – gefördert wird (da<strong>zu</strong> gibt es auch bereits Ratgeber).<br />

Allerdings stellt sich häufig heraus, dass das familiäre Umfeld da<strong>zu</strong> nicht fähig ist, als<br />

Schutzfaktor ausfällt oder sich sogar in sein Gegenteil verkehrt und somit <strong>zu</strong> einem<br />

Entwicklungsrisiko für das Kind wird. Hochrisiko-Kinder sind also häufig auf die<br />

Unterstüt<strong>zu</strong>ng derjenigen Betreuungspersonen angewiesen, die ihnen in ihrem sogenannten<br />

weiteren sozialen Umfeld begegnen (z.B. in Kita, Schule, Nachbarschaft, Heim usw.).<br />

<strong>Resilienz</strong>förderung sollte daher Eingang in die pädagogischen Konzepte von Kitas, Schule<br />

und anderen Bildungseinrichtungen finden und vor allem in die Angebote der Kinder- und<br />

Jugendarbeit einfließen.<br />

9. Wer definiert das Ziel? Bewertet das Ergebnis?<br />

Die spannenden Fragen sind hier: Was ist das Ziel von <strong>Resilienz</strong>förderung? Was bedeutet<br />

„resilient“ <strong>zu</strong> sein? Wer definiert, was eine „gesunde Entwicklung“ des Kindes ist? Wer<br />

beurteilt das Ergebnis?<br />

Das sind zweifellos Fragen mit einem eminent normativen Gehalt, die (sozial-)pädagogischen<br />

und psychologischen Fachkräften ohnehin vertraut sein dürften. Stellen sie sich doch ähnlich<br />

bei jeder Form von (sozial-)pädagogischer oder psychologischer Intervention. Im Kontext von<br />

<strong>Resilienz</strong>förderung dürften solche Fragen jedoch noch ein stärkeres Gewicht bekommen.<br />

Meine Position da<strong>zu</strong>: Diese Frage lässt letztlich nur mit Blick auf das jeweilige Kind<br />

beantworten und dies selbstredend nur, indem das Kind altersgemäß einbezogen und dabei<br />

seine Sicht nachvollzogen wird.<br />

10. Wie stellen wir uns ein „resilientes Kind“ vor?<br />

Ein „resilientes Kind“ ist ein „starkes Kind“ – einverstanden. Seine Stärke liegt in seiner<br />

Widerstandsfähigkeit, seiner Unbeugsamkeit, aber auch in seiner Anpassungsfähigkeit an<br />

schwierige Verhältnisse und in seiner Fähigkeit, außergewöhnlich harte Herausforderungen<br />

für sich „glücklich“ <strong>zu</strong> meistern.<br />

Es wäre aber falsch an<strong>zu</strong>nehmen, dass ein „resilientes“ Kind ein „angepasstes“ Kind sei, ein<br />

Kind, das alle Erwartungen seines Umfelds erfüllt oder gar im landläufigen Sinne ein „braves<br />

Kind“ (wie die Beschreibung von Edith Grotberg, einer amerikanischen <strong>Resilienz</strong>forscherin<br />

manchmal suggerieren könnte). Resiliente Kinder können auch – gerade weil sie<br />

außergewöhnlichen Situationen und Belastungen ausgesetzt sind – eher „unbequeme“ und<br />

„sperrige“ Kinder sein! Dies dürfte den Umgang mit ihnen nicht gerade erleichtern, aber kann<br />

wichtiger Bestandteil der kindlichen Widerstandsstrategie sein .<br />

11. Ist <strong>Resilienz</strong>förderung gleich<strong>zu</strong>setzen mit Ressourcenförderung? Nein!<br />

Aus der <strong>Resilienz</strong>perspektive würde man im Einzelfall vor allem danach fragen, über welche<br />

Stärken, Potenziale und Schutzfaktoren ein Kind oder seine Familie verfügt und danach,<br />

welche Schutzfaktoren von außen <strong>zu</strong>gänglich gemacht werden könnten oder müssten, damit es<br />

seine schwierige Lebenssituation bewältigt.


Eine solche Vorgehensweise – ich nenne es „positiv gewendete Fallanalyse“ – erscheint im<br />

sozialpädagogischen Diskurs <strong>zu</strong>nächst nicht neu, weil andere schon bekannte Konzepte wie<br />

die Ressourcenorientierung oder das Empowerment eine ähnliche Ausrichtung haben. In<br />

diesem Punkt existiert auch eine gewisse Begriffsverwirrung im Fachdiskurs.<br />

Um <strong>Resilienz</strong> <strong>zu</strong> entwickeln braucht ein Kind Schutzfaktoren (manchmal wird dafür auch der<br />

Begriff der Ressourcen verwendet). Ressourcenförderung ist aber noch keine<br />

<strong>Resilienz</strong>förderung!<br />

12. Was ist neu an der Idee der <strong>Resilienz</strong>förderung?<br />

Neu ist vor allem, dass <strong>Resilienz</strong>förderung eine wesentlich engere Zielgruppe im Auge hat<br />

und dass wir mit den „Schutzfaktoren“ ein viel komplexeres Konzept anwenden als dies mit<br />

dem generell einsetzbaren und relativ unspezifischen Konzept der Ressourcenförderung der<br />

Fall ist. Ressourcen braucht jedes Kind für eine günstige Entwicklung; es gibt ein gängiges<br />

Verständnis davon, was allgemein nützliche Ressourcen für Entwicklung sind.<br />

Schutzfaktoren lassen sich dagegen nur speziell bezogen auf das jeweilige Kind und seine<br />

Risikokonstellation ermitteln. Außerdem ist <strong>zu</strong> beachten, dass es zwischen Schutz- und<br />

Risikofaktoren eine komplexe Wechselwirkung gibt. Was generell als eine Ressource<br />

an<strong>zu</strong>sehen wäre – wie beispielweise die Förderung von sozialen Kontakten und<br />

Freundschaften –, kann sich im konkreten Fall auch als Risiko entpuppen, wenn es sich dabei<br />

beispielweise um eine kriminelle Gang handelt.<br />

Martin Straube hat m.E. eine brauchbare Abgren<strong>zu</strong>ng für den Bereich der Therapie<br />

vorgenommen, indem er <strong>Resilienz</strong>förderung als dritten Weg zwischen Defizit- und<br />

Ressourcenorientierung bezeichnet hat: „Die >Ressourcenorientierung< mündete bei vielen<br />

Therapeuten in den Zwang des >positiven Denkens

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