kursiv 2 09 - Wochenschau Verlag
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Waldow und von Derschau folgten dem Kronprinzen<br />
auf die Dorfgasse und fanden ihn hier an eine Wagendeichsel<br />
gelehnt […]. Die Obersten, über seine<br />
Kleidung erstaunt, baten ihn, die Uniform wieder anzulegen,<br />
ehe ihn der König in diesem Aufzug sähe.“<br />
(Theodor Fontane, Wanderungen durch die<br />
Mark Brandenburg)<br />
„Gleichwohl hat es den Anschein, als wenn Friedrich<br />
ungeachtet der nochmaligen Verschärfung seiner Haft<br />
weit davon entfernt war, sich und seine Sache aufzugeben.<br />
Denn offenbar war es ihm gelungen, die vom<br />
Vater zu seiner Überführung eingesetzte Kommission<br />
so sehr für sich einzunehmen, dass er im Angesicht<br />
eines seine Existenz bedrohenden Unheils die Bitte<br />
vorzubringen wagte, wieder Uniform tragen<br />
und ‚gute und nützliche Bücher‘ lesen zu dürfen.“<br />
(Johannes Kunisch, Friedrich der Große)<br />
Das formbare Subjekt<br />
Die Geschichte der politischen Instrumentalisierung<br />
des jugendlichen Körpers durch die politische<br />
Macht scheint schnell erzählt. Gleichsam noch im<br />
Taumel der jubilatorischen Identifikation weckt die<br />
heranwachsende Kraft die Begehrlichkeit der alternden<br />
Mächtigen, die von jeher lieber Jüngere für<br />
sich sterben ließen. Von Natur aus ist der Körper<br />
wild, frei und orientierungslos, und so muss er für<br />
das, was ihm zugedacht ist, abgerichtet, zugerichtet,<br />
zurechtgemacht, diszipliniert, normiert, indoktriniert,<br />
womöglich allererst neu konstruiert werden.<br />
Und so gehen denn die Machttechnologien<br />
ans Werk, schreiben sich ein, durchziehen das Körperinnere<br />
(Foucault 1978), überziehen das Körperäußere,<br />
waschen das Gehirn. Körper und Psyche<br />
sind formbare Stoffe, vorliegende Objekte, aus<br />
<strong>kursiv</strong> JOURNAL FÜR POLITISCHE BILDUNG 2/<strong>09</strong><br />
denen Subjekte allererst geformt werden. ,Subjektivierung‘<br />
im Sinne Foucaults bedeutet: Etwas<br />
wird zum Subjekt, zum identifizierbaren Quellpunkt<br />
eines Handelns, indem es unterworfen wird.<br />
Wenn dieser Bildungsprozess seiner Form nach<br />
alternativlos ist, wenn also jede Bildung, jede Erziehung<br />
– auch die zur Mündigkeit – sich als Wirken<br />
von Machttechnologien beschreiben ließe (und<br />
nicht etwa als unschuldige Heranführung eines<br />
Unerfahrenen an eine Welt, über die der Erfahrene<br />
schon Bescheid weiß), dann würde man freilich<br />
immer noch oder erst recht wissen wollen, wie sich<br />
gute und böse Machttechnologien voneinander<br />
unterscheiden, was also das sogenannte Grenzensetzen<br />
von Zurichtung, was Normativität von Normierung,<br />
was Fürsorge von Bevormundung trennt.<br />
Diese Frage wird hier selbstverständlich nicht beantwortet.<br />
Sie ist in dieser Allgemeinheit unbeantwortbar<br />
und eben deshalb ist sie Ausgangspunkt<br />
eines praktischen Verhaltens: Jede pädagogische<br />
Praxis in liberalen Gesellschaften versucht eine<br />
konkrete Antwort zu geben, versucht also Freiheit<br />
und Vergesellschaftung dialektisch ineinander aufzuheben.<br />
Die Erziehung im Nationalsozialismus und in verwandten<br />
Gesellschaftssystemen des vorigen Jahrhunderts<br />
(etwa dem italienischen Faschismus) stellt<br />
sich im Vergleich zu dieser Bemühung als extreme<br />
Form zweckgerichteter doktrinärer Zurichtung dar,<br />
die zuletzt gleichsam konsequent in den Kriegseinsatz<br />
einmündet. Die Machttechnologien haben ein<br />
Subjekt hervorgebracht, das sich selbst nur noch als<br />
Glied einer kämpfenden, scharf umrissenen Gemeinschaft<br />
versteht – einer Gemeinschaft, die den<br />
ganzen Menschen in Anspruch nimmt, den Körper<br />
als gehorchende Maschine, den Geist als gleichgeschalteten<br />
Willen, ohne den liberalen Vorbehalt der<br />
Privatheit. Sehr ausdrücklich ist dabei die Spannung<br />
zwischen individueller Freiheit und gemeinschaftlicher<br />
Integration zugunsten der ‚Volksgemeinschaft‘<br />
aufgehoben worden: Die einschlägigen<br />
Formeln sind bekannt und brauchen hier nicht<br />
wiederholt zu werden.<br />
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