kursiv 2 09 - Wochenschau Verlag
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SCHWERPUNKT 3<br />
Die Machtverhältnisse<br />
überziehen<br />
das Körperäußere<br />
Uniformierte Körper im Nationalsozialismus<br />
und im Liberalismus<br />
DR. NORBERT AXEL<br />
RICHTER<br />
ist Philosoph und arbeitet<br />
in Berlin als freiberuflicher<br />
Wissenschaftslektor.<br />
<strong>kursiv</strong> JOURNAL FÜR POLITISCHE BILDUNG 2/<strong>09</strong><br />
Vorspiel: Kronprinz Friedrich oder die<br />
Ambivalenz der Uniform<br />
„Mit Katte in der Stadt.<br />
Die Sklavenuniform, die andere seelenlos macht,<br />
Katte macht sie zum Mann.<br />
Sie formt den Körper,<br />
den er umfaßt, den er umfängt, so oft sie allein,<br />
zu einem römischen Helden.“<br />
(Thomas Höft, Friedrich und Katte)<br />
„… und so beschloß er, in selbiger Nacht noch seine<br />
Flucht von diesem Dorf aus ins Werk zu setzen. Um<br />
2 Uhr erhob er sich, kleidete sich in einen roten Roquelaure,<br />
der zu diesem Behufe eigens angefertigt war,<br />
und ging auf die Dorfstraße hinaus […]. Alles dieses<br />
war aber von dem Kammerdiener Gummersbach<br />
bemerkt worden, der nicht säumte, den mit der<br />
Beobachtung des Kronprinzen speziell betrauten<br />
Oberstleutnant von Rochow zu wecken. Dieser sowie<br />
Generalmajor von Buddenbrock und die Obersten von<br />
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Waldow und von Derschau folgten dem Kronprinzen<br />
auf die Dorfgasse und fanden ihn hier an eine Wagendeichsel<br />
gelehnt […]. Die Obersten, über seine<br />
Kleidung erstaunt, baten ihn, die Uniform wieder anzulegen,<br />
ehe ihn der König in diesem Aufzug sähe.“<br />
(Theodor Fontane, Wanderungen durch die<br />
Mark Brandenburg)<br />
„Gleichwohl hat es den Anschein, als wenn Friedrich<br />
ungeachtet der nochmaligen Verschärfung seiner Haft<br />
weit davon entfernt war, sich und seine Sache aufzugeben.<br />
Denn offenbar war es ihm gelungen, die vom<br />
Vater zu seiner Überführung eingesetzte Kommission<br />
so sehr für sich einzunehmen, dass er im Angesicht<br />
eines seine Existenz bedrohenden Unheils die Bitte<br />
vorzubringen wagte, wieder Uniform tragen<br />
und ‚gute und nützliche Bücher‘ lesen zu dürfen.“<br />
(Johannes Kunisch, Friedrich der Große)<br />
Das formbare Subjekt<br />
Die Geschichte der politischen Instrumentalisierung<br />
des jugendlichen Körpers durch die politische<br />
Macht scheint schnell erzählt. Gleichsam noch im<br />
Taumel der jubilatorischen Identifikation weckt die<br />
heranwachsende Kraft die Begehrlichkeit der alternden<br />
Mächtigen, die von jeher lieber Jüngere für<br />
sich sterben ließen. Von Natur aus ist der Körper<br />
wild, frei und orientierungslos, und so muss er für<br />
das, was ihm zugedacht ist, abgerichtet, zugerichtet,<br />
zurechtgemacht, diszipliniert, normiert, indoktriniert,<br />
womöglich allererst neu konstruiert werden.<br />
Und so gehen denn die Machttechnologien<br />
ans Werk, schreiben sich ein, durchziehen das Körperinnere<br />
(Foucault 1978), überziehen das Körperäußere,<br />
waschen das Gehirn. Körper und Psyche<br />
sind formbare Stoffe, vorliegende Objekte, aus<br />
<strong>kursiv</strong> JOURNAL FÜR POLITISCHE BILDUNG 2/<strong>09</strong><br />
denen Subjekte allererst geformt werden. ,Subjektivierung‘<br />
im Sinne Foucaults bedeutet: Etwas<br />
wird zum Subjekt, zum identifizierbaren Quellpunkt<br />
eines Handelns, indem es unterworfen wird.<br />
Wenn dieser Bildungsprozess seiner Form nach<br />
alternativlos ist, wenn also jede Bildung, jede Erziehung<br />
– auch die zur Mündigkeit – sich als Wirken<br />
von Machttechnologien beschreiben ließe (und<br />
nicht etwa als unschuldige Heranführung eines<br />
Unerfahrenen an eine Welt, über die der Erfahrene<br />
schon Bescheid weiß), dann würde man freilich<br />
immer noch oder erst recht wissen wollen, wie sich<br />
gute und böse Machttechnologien voneinander<br />
unterscheiden, was also das sogenannte Grenzensetzen<br />
von Zurichtung, was Normativität von Normierung,<br />
was Fürsorge von Bevormundung trennt.<br />
Diese Frage wird hier selbstverständlich nicht beantwortet.<br />
Sie ist in dieser Allgemeinheit unbeantwortbar<br />
und eben deshalb ist sie Ausgangspunkt<br />
eines praktischen Verhaltens: Jede pädagogische<br />
Praxis in liberalen Gesellschaften versucht eine<br />
konkrete Antwort zu geben, versucht also Freiheit<br />
und Vergesellschaftung dialektisch ineinander aufzuheben.<br />
Die Erziehung im Nationalsozialismus und in verwandten<br />
Gesellschaftssystemen des vorigen Jahrhunderts<br />
(etwa dem italienischen Faschismus) stellt<br />
sich im Vergleich zu dieser Bemühung als extreme<br />
Form zweckgerichteter doktrinärer Zurichtung dar,<br />
die zuletzt gleichsam konsequent in den Kriegseinsatz<br />
einmündet. Die Machttechnologien haben ein<br />
Subjekt hervorgebracht, das sich selbst nur noch als<br />
Glied einer kämpfenden, scharf umrissenen Gemeinschaft<br />
versteht – einer Gemeinschaft, die den<br />
ganzen Menschen in Anspruch nimmt, den Körper<br />
als gehorchende Maschine, den Geist als gleichgeschalteten<br />
Willen, ohne den liberalen Vorbehalt der<br />
Privatheit. Sehr ausdrücklich ist dabei die Spannung<br />
zwischen individueller Freiheit und gemeinschaftlicher<br />
Integration zugunsten der ‚Volksgemeinschaft‘<br />
aufgehoben worden: Die einschlägigen<br />
Formeln sind bekannt und brauchen hier nicht<br />
wiederholt zu werden.<br />
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Logik des Verbrecherischen<br />
Die Geschichtswissenschaft und die historisch orientierte<br />
Erziehungswissenschaft hat das System<br />
einer erzieherischen ‚Faschisierung des Subjekts‘ in<br />
seinen politisch-programmatischen, institutionellen<br />
und praktischen Dimensionen in einiger<br />
Ausführlichkeit beschrieben. Dabei hat das Kontinuum<br />
von politischer Zwecksetzung, doktrinärer<br />
Normativität und disziplinierender Praxis zumeist<br />
im Vordergrund gestanden. Auch die unmittelbar<br />
auf den Körper ausgeübten Technologien der<br />
Macht, zumal die Militarisierung des jugendlichen<br />
Körpers (Uniformierung, Aufmärsche, militärisches<br />
Training), ließen sich in diesem Kontext<br />
leicht aus der politischen Normativität des totalen<br />
Staates motivieren und erscheinen so zunächst auch<br />
hinreichend analysiert.<br />
Das Unbefriedigende an dieser Analyse ist, dass sie,<br />
wenn auch in der Negation, so doch in der Perspektive<br />
der Machttechnologien und der sie umspielenden<br />
Normativität gleichsam befangen bleibt. Sie<br />
zeigt, wie jene Erziehung funktionieren wollte, um<br />
zu zeigen, dass sie verbrecherisch war. Zu diesem<br />
Zweck muss sie die Logik des Verbrecherischen immer<br />
aufs Neue nacherzählen und dabei zugleich –<br />
um nicht in diese Logik hineinzugleiten – die<br />
Distanzierung rhetorisch-rituell aufrechterhalten.<br />
Der historisch-erziehungswissenschaftliche Diskurs<br />
über die NS-Erziehung zeigt durch diese rituelle<br />
Distanzierung, dass er selbst politisch ist, wogegen<br />
zunächst nichts einzuwenden ist: Für die Erziehung<br />
in liberalen demokratischen Gesellschaftssystemen<br />
fungiert das nationalsozialistische Erziehungswesen<br />
moralisch und politisch als Kontrastfolie. Zugleich<br />
zeigt dieser Diskurs aber auch seine Fixierung auf<br />
das Kontinuum von Ideologie, Institution und<br />
Technologie. Die konkrete leibliche Ästhetik der<br />
NS-Erziehung gerät dabei notwendigerweise in den<br />
Hintergrund, sie liegt in einer Schattenzone der<br />
Analyse. Das rührt genau genommen daher, dass<br />
die ästhetische Dimension von vornherein als abhängig<br />
gedacht wird, nämlich als bloßes Instrumentarium<br />
der ideologischen Blendung und Verführung,<br />
vielleicht auch als bloße Ausdrucksform<br />
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des disziplinarischen Zwangs. Das Ästhetische fügt<br />
sich unter diesem Aspekt so leicht in das ideologisch-technologische<br />
Kontinuum ein, dass es anscheinend<br />
keiner separaten Reflexion mehr bedarf.<br />
Schließlich weiß man ja auch ohne Analyse, dass<br />
zumal männliche Jugendliche hormonell wettkampforientiert,<br />
dass Jugendliche generell ‚begeisterungsfähig‘,<br />
orientierungsbedürftig, gemeinschaftsbedürftig<br />
sind; das Aktivitätsspektrum und<br />
die Vergemeinschaftungsformen von HJ und BDM<br />
machen sich diese Bedürfnislagen zunutze.<br />
Letztere Beobachtung trifft zwar zu; sie bleibt aber<br />
abstrakt und gewissermaßen trivial, solange man<br />
Begriffe wie Verführung und Begeisterungsfähigkeit<br />
an die Stelle der phänomenologischen Analyse<br />
treten lässt. Wo es Verführung gibt, gibt es nicht<br />
nur Verführer und Verführte, sondern auch Verführerisches.<br />
Wenn also die Disziplinierung und<br />
zuletzt die militärische Instrumentalisierung des<br />
jugendlichen Körpers, die uns Nachgeborenen so<br />
repressiv, so brutal und nicht zuletzt so durchsichtig<br />
erscheint, gleichwohl erfolgreich war (nämlich vielfach<br />
die Zustimmung der Betroffenen gefunden<br />
hat), so kann das nicht allein auf die Schärfe der<br />
Repression und die Gründlichkeit der Gehirnwäsche<br />
zurückgeführt werden. Vielmehr müsste,<br />
um den Bedeutungsgehalt des Verführungsbegriffs<br />
einzulösen, gezeigt werden, inwiefern das Mittel<br />
der Verführung selbst ein von der Ideologie unabhängiges<br />
Faszinosum ist: Nur dann nämlich eignet<br />
es sich dazu, jemanden zu verführen, der der Ideologie<br />
nicht bereits anhängt. Im weiteren Verlauf<br />
dieses Beitrags wird eine solche phänomenologische<br />
Analyse exemplarisch für das ästhetische Phänomen<br />
der Uniform skizziert.<br />
Körperbilder und Gesellschaft<br />
Auf der anderen Seite zeigt sich bereits im zeitgenössischen<br />
Kontext, dass das Körperbild der Uniform<br />
nicht alternativlos ist, dass vielmehr der militärisch<br />
‚konstruierte‘ Körper, wie sich namentlich<br />
an der ‚Swing-Jugend‘ zeigt, sein genaues Gegenbild<br />
aus sich hervortreibt. Von daher liegt die<br />
These nahe, dass jugendliche Körperbilder und<br />
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