11.07.2015 Aufrufe

Rainer Vallentin: „Energieeffizienz versus Ästhetik ?“ Einführung ...

Rainer Vallentin: „Energieeffizienz versus Ästhetik ?“ Einführung ...

Rainer Vallentin: „Energieeffizienz versus Ästhetik ?“ Einführung ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Zunächst einmal mutet es fremdartig an, zwei Begriffe gegenüberzustellen,die ganz offensichtlich unterschiedlichen Sphären angehören:Energie- Objektiver Charakter, d.h. empirisch, messbar- Wesentlich(st)e Größe der Naturwissenschaft- Energieeffizienz: Erbringung einer Dienstleistung mit möglichst geringen Einsatz vonPrimärenergie.- Im Baubereich haben wir es vor allem mit Systemen zu tun, bei denen es um dieAufrechterhaltung von Gleichgewichtszuständen geht. Diese lassen sich theoretischmit einem beliebig kleinen Energieeinsatz erbringen.- Weil die meisten dieser Anwendungen heute noch sehr ineffizient und mit Einsatz fossilerEnergieträger erbracht werden, resultieren daraus wesentliche Umweltbelastungen undVeränderungen im Klimahaushalt der Erde.- Im Bereich Architektur/Städtebau existieren jedoch inzwischen Planungskonzepte,die bei konsequenter Umsetzung eine Steigerung der Energieeffizienz um denFaktor 2-10 ermöglichen.Ästhetik- subjektiver Charakter: basiert auf individuellem Geschmacksurteil- Ästhetik ist demnach keine Eigenschaft des Objekts, sondern an das Subjektund seine Urteilskraft gebunden- Aufgrund der allgemeinen Mitteilbarkeit darf ein ästhetisches Urteil auch allgemeineGeltung beanspruchen und Inhalt von Erkenntnisinteresse, Erziehung, Bildung undgesellschaftlichem Handeln sein- Hauptfrage dreht sich darum, ob Ästhetik autonom, also nur auf das Individuumbezogen ist, oder sehr wohl einen allgemeinen Bezug und Anspruch beinhaltet.© konzept: grün GmbH 2003Seite 2/11


Uns ist aufgefallen, dass energetische Wirkungszusammenhänge von Architekten häufigemotional und nicht rational bewertet werden.Die Ablehnung richtet sich vor allem gegen diejenigen Komponenten und Technologien,die sich als einfach und hocheffizient erwiesen haben: Wärmedämmung, luftdichtesKonstruieren, den Einsatz von Lüftungsanlagen.Andererseits werden Architekten und ihre Arbeit von Bauphysikern, Energietechnikern undvielen anderen, die sich mit Energieeffizientem Bauen auseinandersetzen häufig pauschalkritisiert und generell abgewertet. Die Arbeit der Architekten konzentriere sich auf ästhetischeSpekulationen und diene vor allem der Selbstverwirklichung, so der Hauptvorwurf.Jede Seite schafft sich somit ihre „Chinesische Mauern“.Kommen wir so in der Sache weiter?© konzept: grün GmbH 2003Seite 3/11


Die Werkbunddebatte 1914 stellt einen Wendepunkt im Vorfeld der Entwicklung hin zurmodernen Architektur, dem „Neuen Bauen“ dar.Hermann Muthesius erkannte in der Typisierung, die er als unausweichliche Folge derIndustrialisierung empfand, einen Weg zu kultureller Verfeinerung durch kontinuierlicheEntwicklung von Typen. Zugleich wären die industriell hergestellten Produkte einembreiteren Publikum zugänglich.Hermann Muthesius: „Die Architektur (...) drängt nach Typisierung, ...“Henry van der Velde - als Vertreter der Gegenposition - wollte dagegen die künstlerischeFreiheit nicht durch einen vorgegebenen Typus oder Kanon eingeschränkt wissen.Henry van der Velde: „Der Künstler ist seiner innersten Essenz nach glühender Individualist,freier spontaner Schöpfer; ...“Im Zusammenhang mit dem energieeffizienten Bauen spielt die Frage der Typisierung undStandardisierung eine immer größere Rolle:- Etablierung von energetischen Standards als Planungskonzepte- Normen und Nachweisverfahren- Verwendung/Entwicklung von vorgefertigten Bausystemen/Komponenten/Halbzeugen,die in engem Bezug zu den o.g. Standards bzw. Planungskonzepten stehenIn diesem Zusammenhang stellt sich die Frage:Werden Typisierung bzw. Standardisierung als Einengung und unnötige Bevormundunggesehen und stehen sie dem Entwerfen als autonomen Schaffensprozess im Wege?oder:Können diese Ausgangpunkte für neue ästhetische Konzepte werden bzw. alternativzwanglos in diese integriert werden?© konzept: grün GmbH 2003Seite 4/11


Formvorstellung soll nicht am Anfang eines Entwurfes stehen, sondern das Ergebnisdes Entwurfsprozesses sein.„Without Rhetoric“: Bei der Vielzahl der heute in Gebäuden vorhandenen Geräte undInstallationen hat das aufdringliche Demonstrieren und Zeigen technischer Funktionenan Sinn und Reiz verloren. Es ist an der Zeit „Ruhe als Ideal“ zu etablieren, die Präsenzvon Equipment soll zurückhaltend und unaufdringlich spürbar sein.Es gibt heute die eindeutige Tendenz, dass Haustechnik und Geräte/Ausstattung eineimmer engere Verbindung eingehen und innerhalb der Gebäudehülle platziert sind.Damit stellt sich die Frage, welche Rolle die technischen Systeme innerhalb ästhetischerKonzepte spielen können oder sollen.© konzept: grün GmbH 2003Seite 5/11


Logik der Konstruktion:- Enger Zusammenhang zwischen Konstruktions- und Proportionssystemen- Konstruktionsehrlichkeit: Artikulieren Zeigen und Offenlegen der Konstruktion- Häufig bauphysikalische Konflikte bei Ausformung der Gebäudehülle(Wärmebrückenfreiheit, Luftdichtigkeit)Logik der Hülle:- Schichtenriss- klare Funktionstrennung der einzelnen Schichten (bekleiden, dichten, tragen,dämmen, dichten, schützen, bekleiden)Die Logik der Hülle steht dem energieeffizienten Bauen prinzipiell näher, gleichwohl solldas nicht als Wertung verstanden werden: Das Konstruieren steht heute im Spannungsfelddieser beiden Extreme.© konzept: grün GmbH 2003Seite 6/11


Das Solare Bauen hat eine hohe Akzeptanz bei Architekten und Nutzern und hat einezentrale Stellung beim energieeffizienten Bauen. Häufig wird jedoch nicht genügendzwischen Quantität und Qualität unterschieden.Gebäude mit hohem Verglasungsanteil benötigen viel Primärenergie in der Herstellungund neigen zu Überhitzung in den Übergangsjahreszeiten und im Sommer. Sofern danneine zusätzliche Kühlung/Klimatisierung erforderlich wird, wird der energetische Gewinnim Winter durch die Zusatzaufwendungen im Sommer weit übertroffen. Eine Gleichsetzungvon solarem und energieeffizientem Bauen ist nur dann gegeben, wenn sich diese beiganzheitlicher Betrachtung bestätigt.Selbst wenn der energetische Gewinn solarer Konzepte manchmal fraglich ist, so liegt dieBedeutung des solaren Bauens vor allem in der Erfüllung des Wunsches nach Öffnungder Innenräume zum Außenraum und zu Licht und Sonne. Dies sollte jedoch m.E. nichteine Frage der Verglasungsanteile sein sondern könnte wesentlich differenzierterbeantwortet werden.Das Problem der ästhetischen Integration aktiv-solarer Systeme soll hier nur derVollständigkeit halber erwähnt werden.© konzept: grün GmbH 2003Seite 7/11


Beispiel 1: Schule in Vella, GraubündenArbeiten mit dem ohnehin Notwendigen und VorhandenenSchwerpunkt auf passiven Technologien (Speichermassen, tragende Hülle, dämmendeBekleidung). Diese werden auf ihre ästhetische Ausdruckskraft hin geprüft.Archetypisches Erscheinungsbild des BaukörpersSubtile Unterscheidung zwischen Oberfläche und Tiefe der KonstruktionEinbindung der Fenster (Überdämmung, Lichteinfall, Reflexionen)© konzept: grün GmbH 2003Seite 8/11


Beispiel 2: Entwicklung einer VIP-FassadeAm Anfang stand die Suche nach einer technischen Lösung für material- undflächensparende Passivhaus-FassadeAls Ausgangspunkt haben wir dabei das Fenster und nicht andere Fassadensystemegenommen. Das hat eine schlanke Konstruktion ermöglicht, weil Holzwerkstoffe alstragende und aussteifende Platten verwendet werden konnten.In der Ausarbeitung wurde jedoch das Fenster selbst mit seinen Vor- und Rücksprüngen,Falzausbildungen, Blechen zu einem ästhetischen Problem.Dies führte schließlich zu einer Überarbeitung des Fensters. Durch die Überdeckung desFensterflügels durch den Fensterstock und die Nachbildung des Fensters in der äußerenBekleidung ergibt sich nun ein ruhiges Fugenbild, bei dem das Fenster geschützt werdenkann und dennoch als „Metapher“, die „Logik der Hülle“ nachbildet.© konzept: grün GmbH 2003Seite 9/11


Beispiel 3: Siedlung Celle - Blumläger Feld- Wohnung für das Existenzminimum basierend auf Kabinengrundriss- Musterbeispiel einer Siedlung im Sinne der „Neuen Sachlichkeit“- Der besondere Charakter dieser Siedlung bestand in dem Gegensatz zwischenpuristischer auf das Wesentliche reduzierten Architektur und den „wilden“Mietergärten, die ursprünglich auch der Selbstversorgung der Mieter dienten.Sanierung durch Ivan Kozjak ab 1999. Trotz Mitwirkung der Denkmalpflege standenwohnungswirtschaftliche Gesichtspunkte im Vordergrund:Die Umplanungen sahen Aufstockungen und Anbauten vor. Zusätzliche Durchgänge,Laubengänge und Aufbauten und sogar ein Teilabriss der westlichen Zeile verändern diestädtebauliche und architektonische Struktur so stark, dass die ursprüngliche Konzeptionnicht mehr nachvollziehbar ist. Ferner wurde die energetische Sanierung der Fassadenmit Wärmedämmverbundsystem und neuen Fenstern ausgeführt. Die minimierte, knappeFormensprache Haeslers ist auch darin nicht mehr wiederzuerkennen.© konzept: grün GmbH 2003Seite 10/11


Beispiel 4: Werkbundsiedlung NeubühlWohnungen für den Mittelstand, moderater Zeilenbau mit KurzzeilenPragmatischer Umgang mit bautechnischen NeuerungenSanierung durch Architekturbüro Marbach + Ruegg 1984-87Ausgangspunkt war hier der Wunsch der Eigentümergemeinschaft eine energetischeSanierung durchzuführen. Am Anfang stand ein Architekten-Auswahlverfahren, um eineVielfalt an Sanierungsvorschlägen zu erhalten, die auch einen Planungs- und Bauprozessumfassen sollten.Zunächst wurde eine denkmalpflegerische Dokumentation und Analyse durchgeführt.Die Sanierungsvorschläge wurden systematisiert und mit den Eigentümern ausführlichdiskutiert. Letztlich wurde sich für eine behutsame Sanierung entschieden, bei der dasKonzept der Siedlung und der Gebäude bis ins Detail weitestgehend erhalten werdenkonnte. Technische Modifizierungen und Ersatzmaßnahmen wurden so geplant undausgeführt, dass sie dem alten Erscheinungsbild entsprechen.Am letzten Beispiel lässt sich erkennen, dass Architekten und Architektinnen nicht nurihrer „Selbstverwirklichung“ nachgehen, sondern in der Lage sind, im Dienste der Baukulturund der Energieeffizienz wesentliche Beiträge zu leisten.© konzept: grün GmbH 2003Seite 11/11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!