DiE fEStivAlS – fEStSpiElE luDWighAfEn illustration: siGnUm/Johannes bayer 14 Festivalregion <strong>Rhein</strong>-<strong>Neckar</strong> · 2/2008 feStSpiele luDWigShafen »Tanzen, um zu leben« in der „ecole-Atelier rudra béjart“ in Lausanne werden junge tänzer aus aller Welt unterrichtet. Ganz in der tradition ihres berühmten Gründers maurice béjart ver mittelt die schule ihnen nicht nur die Kunst des tanzes, sondern auch rückgrat und Kreativität. bei den Festspielen Ludwigs hafen ist das rudra ballett mit einer Uraufführung zu sehen. ein Gespräch mit michel Gascard, dem künstlerischen Leiter der schule.
Was hat sich seit Maurice Béjarts Tod im November 2007 für Sie verändert? Michel gascard: Nichts und alles. Maurice war ein fantastischer Mensch und Künstler. ich bin ihm zum ersten Mal 1973 begegnet. Danach hat er meine gesamte Karriere begleitet. Seit fünfzehn Jahren leite ich seine Schule. Er hat mich stets dabei unterstützt, mir aber auch viel Freiraum gelassen. Daher hat sich die Art, wie wir in der Schule arbeiten, nicht wirklich verändert. Wir alle haben jedoch einen großen Meister verloren. Täglich arbeiten wir daran, seine ideen neu zu leben, und irgendwie ist er immer da. Sie führen also das Erbe von Maurice Béjart an der Schule weiter? gascard: Eine Stärke unserer Schule ist gerade, dass wir nichts nur aus der Vergangenheit heraus tun. Natürlich profitieren wir von Maurice’ Wissen. Doch jedes Jahr kommen neue Schüler voller Elan, an denen wir uns orientieren. Sie fordern, was zu ihnen passt, sie wollen die Welt entdecken. Unsere Aufgabe ist es, ihnen diese Erfahrung zu ermöglichen. Du kannst von einem 16-Jährigen nicht erwarten, dass er an Tradition denkt. Er will er selbst sein. Uns geht es nicht um unsere Vergangenheit, sondern um die Zukunft unserer Schüler. Was konkret vermitteln Sie Ihren Schülern? gascard: Natürlich möchten wir ihnen helfen, exzellente Tänzer zu werden. Dabei verbinden wir Tanz mit anderen Kunstformen wie Musik, Theater oder Kampfsport. Außerdem geben wir den Schülern einen Querschnitt durch die internationale Tanzkultur mit auf den Weg – klassisches Ballett, moderne Choreografie, traditioneller Tanz. Renommierte Künstler unterrichten sie in indischem und afrikanischem Tanz, in Theater, Gesang, Perkussion und Kendo, dem japanischen Schwertkampf. All das soll den Geist der Schüler öffnen, damit sie zu sich selbst finden. Wir wollen sie stark machen fürs Leben. Sie wollen also eine Schule fürs Leben sein? gascard: Richtig. Überall auf der Welt findet man Krieg, Hass, Hunger, Schmerz, Gewalt. Wir müssen den Schülern helfen, in dieser Welt zu überleben. Der Tanz soll sie zu starken Persönlichkeiten mit Rückgrat machen. Für einen Tänzer ist sein Körper ein in strument, das seine Seele widerspiegelt und das er virtuos zum Klingen bringt. Das ist harte Arbeit, und deshalb ist die Schule zweigeteilt: in der „École“ verfeinern unsere Schüler ihre Technik. Das „Atelier“ bietet Platz für ihren eigenen Stil, ihre Träume, Geschichten und Choreographien – damit sie ihren Weg finden und selbst kreativ werden. Wie wählen Sie Ihre Schüler aus? gascard: Pro Jahr nehmen wir rund 25 Schüler im Alter von 15 bis 20 Jahren auf. Alle Bewerber absolvieren bei uns in Lausanne eine Aufnahmeprüfung. Zur letzten kamen Tänzer aus über 30 Nationen. Die Nachfrage ist groß, da wir die einzige internationale Tanzschule weltweit sind, die kostenlos unterrichtet. Was wir suchen, sind junge Menschen mit Talent und Entwicklungspotenzial. Deshalb lehnen wir immer wieder gute Tänzer ab, weil wir glauben, dass sie eine Compagnie und keine Schule brauchen. Können Sie schon etwas über Ihr Projekt bei den Festspielen Ludwigshafen sagen? gascard: Das Projekt reflektiert, wie alle unsere Aufführungen, die Arbeit der Schule. Richtig Gestalt annehmen wird es aber erst im September, sobald die neuen Schüler angefangen haben. Denn eine Choreographie hängt von den Tänzern ab. Sie prägen und inspirieren ein Projekt – durch ihre individualität. Daher kann ich nichts sagen, bevor ich die neuen Tänzer kenne. Erst dann werde ich darüber nachdenken, in welche Richtung das Projekt gehen soll und was diese Schüler brauchen. Darauf bauen wir die Vorstellung auf. Ist eine Aufführung immer stärker auf die Schüler als aufs Publikum ausgerichtet? gascard: Zuerst zählt für uns tatsächlich der pädagogische Gedanke. Die Frage ist: Was kann ich den Schülern durch die Choreographie geben? Wo liegen ihre Fähigkeiten, Festivalregion <strong>Rhein</strong>-<strong>Neckar</strong> · 2/2008 DAS mAgAzin ihre Stärken? Wir bauen jede Aufführung für die Schüler, damit sie ihrer Art und ihrem Stil entspricht. Passt sie irgendwann, wird sie auch zu einer Vorstellung für das Publikum, das die Rolle des letzten Lehrers übernimmt. Was ist für Sie das Besondere an den Festspielen Ludwigshafen? gascard: 2008 treten wir nur einmal in Deutschland auf: bei den Festspielen Ludwigshafen. ich war schon oft hier und habe mich immer wohl Michel Gascard … 15 … wurde am 8. oktober 1956 in La rochelle in Frankreich geboren. im Januar 1973 erhielt er als erster tänzer den prix de Lausanne. im september des gleichen Jahres wurde er zu maurice béjarts École mudra in brüssel zugelassen und erhielt seinen ersten Vertrag bei béjarts ballet du XXe siècle. 1987 folgte er béjart nach Lausanne und wurde 1992 Co-Direktor der neu gegründeten „ecole-Atelier rudra béjart Lausanne“, die heute zu den angesehensten Ausbildungsstätten in der Welt des klassischen tanzes zählt. michel Gascard ist verheiratet, hat zwei söhne und lebt mit seiner Familie in Lausanne. Foto: Valérie Lacaze