Freie Denkvorgänge werden zugunsten vorprogrammierter Reflexhandlungenblockiert oder zum<strong>in</strong>dest weitgehend unterdrückt. Alle Körperfunktionen s<strong>in</strong>d quasi <strong>in</strong>Alarm- <strong>und</strong> Fluchtbereitschaft gesetzt. In der modernen Dienstleistungsgesellschaftlaufen die oben dargestellten <strong>Stress</strong>reaktionen allerd<strong>in</strong>gs oft ‚<strong>in</strong>s Leere’ <strong>und</strong> kann zumProblem werden, sie führt beispielsweise zum Phänomen des „Prüfungsblocks“. Die<strong>Stress</strong>reaktion ersche<strong>in</strong>t wie e<strong>in</strong> Relikt aus ‚vergangenen Zeiten’, <strong>in</strong> denen kurzzeitigekörperliche Höchstleistungen zum Überleben notwendig waren.Bei Dauerstress bef<strong>in</strong>den sich im Körper verstäkt Glukokortikoide – weshalb sie auchals die eigentlichen <strong>Stress</strong>hormone gelten. Sie führen zu e<strong>in</strong>er Schwächung desImmunsystems, begünstigen dadurch Infektionen <strong>und</strong> werden nur langsam abgebaut.Der Betroffene schläft schlecht, Lern- <strong>und</strong> Konzentrationsfähigkeiten nehmen ab.Neben der neurobiologischen Auslegung der <strong>Stress</strong>entstehung geht es <strong>in</strong> unserem Falldarum, wie e<strong>in</strong> Mensch subjektiv <strong>Stress</strong> erlebt. Es ist anzunehmen, dass e<strong>in</strong> Mensch<strong>Stress</strong> empf<strong>in</strong>det, wenn er e<strong>in</strong>e Situation sowie den <strong>Stress</strong>or, also den e<strong>in</strong>wirkendenReiz oder e<strong>in</strong> Ereignis, als zeitlich nicht überblickbar, nicht bee<strong>in</strong>flussbar <strong>und</strong> sichselbst als machtlos erlebt. Das <strong>Stress</strong>empf<strong>in</strong>den kann gesteigert werden, wenn derMensch sich <strong>in</strong> der Situation als „ohnmächtig“ erlebt <strong>und</strong> den realen oder subjektivenE<strong>in</strong>druck gew<strong>in</strong>nt, er könne die Situation nicht mit se<strong>in</strong>en eigenen Kräften steuern.Gefühlte Angst – subjektiv empf<strong>und</strong>ene Angst reicht vollkommen aus – ist e<strong>in</strong>wesentlicher Faktor: Angst um den Arbeitsplatz, Angst vor Verlust des Partners, Angstvor Versagen, gehört zu den gängigen Befürchtungen unserer Gesellschaft.48
Was die e<strong>in</strong>e Person stresst, ist für e<strong>in</strong>e <strong>andere</strong> das re<strong>in</strong>ste Aphrodisiakum <strong>und</strong> sporntihn zu Höchstleistungen an. Wir sprachen über „Eustress“, durch den wir oftmals e<strong>in</strong>tiefes Gefühl der allgeme<strong>in</strong>en Befriedigung <strong>und</strong> Zufriedenheit erlangen <strong>und</strong>„Distress“, wenn der Druck über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum anhält <strong>und</strong> das körperlicheBef<strong>in</strong>den deutlich darunter leidet. Im Idealfall herrscht e<strong>in</strong> Gleichgewicht vonAnspannung <strong>und</strong> Ruhe. Doch der Normalfall sieht leider anders aus: Der Körper stehtdermaßen unter <strong>Stress</strong>, dass bereits Krankheitssymptome auftreten.Dass Sie dr<strong>in</strong>gend e<strong>in</strong>e Pause brauchen, merken Sie, wenn Sie dauerhaft oder immerwiederkehrend unter folgenden Symptomen leiden (soweit es natürlich ke<strong>in</strong>emediz<strong>in</strong>ische Diagnose gibt):• Magen-, Kopf-, Rücken- & Genickschmerzen• Schw<strong>in</strong>delanfälle• Schlafschwierigkeiten• Zähneknirschen oder -zusammenbeißen, Stammeln <strong>und</strong> Stottern, nervöseZuckungen• Vermehrter Alkohol- <strong>und</strong> Nikot<strong>in</strong>konsumWas hat das Aufschieben von Aufgaben mit <strong>Stress</strong> zu tun? Vor e<strong>in</strong>iger Zeit kam ichauf e<strong>in</strong>em Unternehmerempfang <strong>in</strong> Zürich mit e<strong>in</strong>em Geschäftsführer e<strong>in</strong>es IT-Unternehmens <strong>in</strong>s Gespräch. Nach e<strong>in</strong>er kurzen Kennenlernphase erläuterte er mirspontan, dass er mit e<strong>in</strong>igen se<strong>in</strong>er Kollegen langsam die Geduld verliere <strong>und</strong> sich <strong>in</strong>letzter Zeit immer häufiger kurz vor e<strong>in</strong>em Wutausbruch ihnen gegenüber wiederf<strong>in</strong>de<strong>und</strong> dies aus folgendem Gr<strong>und</strong>:Die Kollegen hielten Term<strong>in</strong>e, die besprochen seien, nicht e<strong>in</strong> <strong>und</strong> reagierten zudembei Gesprächen mit Ausreden. Die betroffene Person leidete unter derHerausforderung, D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Aufgaben nicht zu Ende führen zu können, oderAufgaben, die nicht <strong>in</strong>teressant s<strong>in</strong>d, gar nicht erst anzufangen. Me<strong>in</strong> Gesprächspartnerbestätigte mir nach zwei Fragen, dass er selbst große Probleme habe, die eigenenAufgaben zu strukturieren <strong>und</strong> zu lösen. Also kaum verw<strong>und</strong>erlich, dass er mit derKoord<strong>in</strong>ation <strong>und</strong> Führung von Mitarbeitern überfordert war <strong>und</strong> hierbei regelmäßigscheiterte, mit all den dazugehörigen Frustrationserlebnissen auf se<strong>in</strong>er Seite <strong>und</strong> aufder Seite se<strong>in</strong>er Kollegen.Seit Längerem schon spricht man vom Phänomen der „Prokrast<strong>in</strong>ation“ . E<strong>in</strong>erErledigungsblockade oder auch „Aufschieberei“. Das Phänomen der Prokrast<strong>in</strong>ationwird umgangssprachlich auch „Studentenphänomen“ genannt <strong>und</strong> es ist nur schwerabzuschätzen, wie viele Studenten aufgr<strong>und</strong> der fehlenden Kompetenz, Prokrast<strong>in</strong>ationzu erkennen, ihre gesetzten Ziele nicht erreicht haben. Im beruflichen Kontext wiegenVersäumnisse im Abschluss von Tätigkeiten jedoch weitaus schwerer, da Mitarbeiter49