11.07.2015 Aufrufe

WoO 28

WoO 28

WoO 28

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

- 4 -das Beispiel einer wohl um 1865 entstandenen Handschrift. Das Blatt, welches neben Töne,lindernder Klang noch drei weitere Kanons des Komponisten enthält, 19 verschleiert die Artund Weise ihrer Ausführung bewußt, nur die Stimmenzahl ist angegeben. Und doch sind dieKanons zum praktischen Musizieren gedacht, wie die Zuschrift an die Karlsruher BlumenmalerinAlwine Schroedter (1820-1892) auf der Blattrückseite zeigt: „Es [Umstehendes] soll u.kann im Uebrigen von 4 oder mehr Frauenstimen mit Schwärmerei u. Verliebtheit gesungenwerden.“ 20Immer vorausgesetzt, daß Avé tatsächlich der Empfänger unseres Kanons war, wird ihn dieWidersprüchlichkeit des Manuskripts irritiert haben, die eine doppelte Lesart nahelegt: Vordergründigdurfte er sich als der Beschenkte geehrt fühlen, gleichzeitig aber konnte er dasBlatt in seinen Einzelheiten als versteckte Mißachtung auffassen. 21 Ein Rätselkanon, dessenAuflösung bereits en detail mitgeteilt war, muß Avé als versierten Musiker zumindest verunsicherthaben. Vielleicht zweifelte er sogar daran, daß Brahms ihm die korrekte Auflösungüberhaupt zutraute. Folgen wir dieser Interpretation, erscheint es nicht abwegig, daß der vonAvé schwer enttäuschte Brahms, der gerne in Hamburg eine Stellung gefunden hätte, das anspielungsreicheBlatt gewissermaßen als „Abschiedsgeschenk“ übergab, kurz bevor er im August1863 der Hansestadt endgültig den Rücken kehrte, um in Wien die Leitung der Singakademiezu übernehmen.Die über den möglichen biografischen Kontext vorgeschlagene Datierung des Manuskriptsführt nun zu der Frage, wann der Kanon Töne, lindernder Klang überhaupt entstanden sei.Fest steht jedenfalls, daß er nicht im Hinblick auf unser Blatt komponiert wurde, weil um19 “Göttlicher Morpheus“ (Goethe), „Leise Töne der Brust“ (Rückert) und „Ich weiß nicht, was im Haindie Taube girret“ (Rückert), später veröffentlicht als op. 113/1, 113/10 und 113/11. Das Blatt, das sichheute im Stadtarchiv Karlsruhe befindet, überliefert als einziges Autograph den Textdichter (“Knebel“)von <strong>WoO</strong> <strong>28</strong> (vgl. McCorkle [Anm. 7] S. 454, Autograph b und S. 547, Autograph d).20 Johannes Brahms in Baden-Baden und Karlsruhe. Eine Ausstellung der Badischen LandesbibliothekKarlsruhe und der Brahmsgesellschaft Baden-Baden e. V. Ausstellungskatalog hrsg. von der BadischenLandesbibliothek Karlsruhe [...]. Karlsruhe 1983. S. 157. Brahms war im Hause des MalerehepaarsSchroedter ein gern gesehener Gast. Als Alwine ihm einmal eines von ihren dekorativen Blätternmit Blumenmotiven schenkte, erhielt sie von Brahms im Gegenzug jenes Notenblatt (vgl. ebd. S. 38ff.).21 Daher konnte Brahms seinem Namenszug auch nicht, wie er das in zwei anderen Fällen tat, “Zufreundl. Gedenken“ bzw. “Zu freundl. Erinnern“ voranstellen (vgl. die Autographen c und e unseres Kanonsbei McCorkle [Anm. 7] S. 547). Zur unterstellten Mißachtung fügt sich die „ungenaue“ Schreibweiseinnerhalb der ersten beiden Takte: Das Vorzeichen der zweiten Note läßt sich eher als Auflösungszeichendenn als Kreuz interpretieren, während die erste Note von T. 2 leicht als c’’ (statt h’)mißverstanden wird. Wenn Avé das Blatt in diesem Sinne gelesen hat, funktioniert der ganze Kanonnicht: Spätestens beim Einsatz des Alt erklänge eine schrille Dissonanz. Gleichzeitig widerspricht derAnnahme eines lediglich flüchtigen Notierens die Deutlichkeit, mit der in T. 5 das gis’ (Notenkopf undVorzeichen) durch eine Korrektur fixiert wurde. Zufall oder Absicht? Als bemerkenswert erscheint indiesem Kontext auch der gleichsam trotzig wirkende Namenszug, der fast die Hälfte der Blattbreiteeinnimmt.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!