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Integration und Erinnerungskultur - TSN - Tiroler Schulnetz

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Wilde“, Marginalisierte an ihre Stelle.Die Rampe in Auschwitz war nachts taghell beleuchtet. Bloeme Evers-Emden, Zeugin Anne Franks inAuschwitz, erinnert sich.Sie erinnert sich an die quarzhelle Ausleuchtung: „Wir wurden (...) zu einem großen Platz geführt, (...)von unheimlich starken Lampen angestrahlt (...), so stark, dass ich das Gefühl hatte, sie wärenMonde. Ich dachte, wir sind auf einem anderen Planeten“ (in: W. Lindwer, 1990, S. 155 f.). Bei dieserBeleuchtungstechnik ist die gemeinsame Qualität Menschsein SO ausgeblendet, wie für dasgeblendete Auge die schattenlosen Gesichter flach, wie anonymisiert wirken. Die definitionsmächtigeEinteilung in Leben <strong>und</strong> Tod auf der Rampe geschieht so „menschen-blind“, wie das, was Primar Groszam Spiegelgr<strong>und</strong> an über 700 Behinderten anstellte. Was heute pränatale Diagnostik von Behinderungermöglicht, nennt Doris Helmberger „Großfahndung bis zur Geburt“ (Doris Helmberger, 2003, S. 7).Das ist wie eine Fortschreibung des kolonialen Gestus, als man diskutierte, ob die Entdeckten“überhaupt eine Seele haben. Mit Ferrares wäre auch zu fragen, was „eine flächendeckendePränataldiagnostik im Vergleich zu einer besseren schulischen <strong>Integration</strong> kostet“ (zit. in: Helmberger,ebd.).Von Indien gekommen, erzählte mir eine Studierende, dass sich dort durch das screeningdemographische Verschiebungen abzeichnen, weil viele Mädchen einfach abgetrieben werden (Bubenziehen vor, Mädchen kommen teuer: Mitgift, Heiratsmarkt etc.).Am andern Rand des Lebens randständig: die Alten - alle diejenigen, deren Leben zu lange gelebtscheint. Sie geraten unter dem Titel der Ökonomisierung von Behandlungskosten Gefahr, ihr Lebenverwirkt zu haben.All das ist gesellschaftspolitisch äußerst brisant, auch die Diskussionen um das Klonen, umOrganspender für Geschwister zu haben.Also am Anfang des Lebens <strong>und</strong> zum Ende des Lebens droht Gefahr, dass neue Rampen auftauchen.Eine Auseinandersetzung mit diesen Themen muss eine Auseinandersetzung mit der eigenen Blindheitsein: mit dem was C. G. Jung, politisch selbst nicht frei davon, „den Schatten“ nannte, das eigeneFremde, das tief Verdrängte. Auch dabei ist Ausleuchtung: scheint der „perfekte Schatten“ blendenderHelligkeit. Igor Caruso nennt ihn Engelskomplex. Wer sich nur noch „licht“ sieht, dass er dasteht wieim Engelsgewand, hat seine natürliche Finsternis weggezaubert.„Terra incognita“, Weißer Fleck auf der Landkarte - <strong>und</strong> blinder Fleck in der eigenen Seele – zwischendiesen Themen gibt’s auch Berührungsflächen.Bohleber spricht von Vermischungsängsten, das Fremde im Eigenen wahrzunehmen (s. 1992, S. 705).Die äußeren Fremden wecken die eigenen „Fremden“ im Innern. Deshalb lösen sie enorme Ängsteaus, sogar Phantasien zu töten. Die Annäherung an das Fremden-Problem ist, genau wie die an dieBehindertenfrage, ganz wesentlich eine Annäherung an dies fremdeste Wesen in nächster Nähe – anmich selbst. So wie Julia Kristeva es nennt: „Fremde sind wir uns selbst“Integrative Pädagogik bedeutet vernetzendes Denken <strong>und</strong> Handeln, bedeutet einerseits dasZusammen-lesen verschiedenster Theorie- <strong>und</strong> Praxisfelder, andererseits aber auch einZusammenführen von Innen <strong>und</strong> Außen, ein Wecken der Neugier <strong>und</strong> Vermindern der Angst vor demUnbekannten. Etymologisch steckt darin „unversehrt, ganz“, aber auch das „tangere“, das Berühren.Das „Integratum“ ist das Ergänzte. In „integrativ“ finden sich also Berühren <strong>und</strong> Ergänzen. Und umdas muss sich integrative Pädagogik denn auch wesentlich bemühen <strong>und</strong> darf beim Bedenken desGestern, das, was in die Zukunft weist, nicht vergessen.2. <strong>Erinnerungskultur</strong>Allen Ausgrenzungsproblemen gemeinsam ist einmal die Frage:- Wie werden Sündenböcke gef<strong>und</strong>en, präziser gesagt konstruiert? - - <strong>und</strong> dann das Thema„Stigmatisierung“- <strong>und</strong> das Thema „Vorurteile“.Die Bewertung von Behinderung als Stigma, als böses Omen entsteht aus dieser Trias - oder derAusdruck Brunnenvergifter: Juden wurden bezichtigt, die Pest durch das Vergiften von Brunnenverbreitet zu haben.

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