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Behnken&Prinz - Behnken & Prinz

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HOrst KÖHLer – Der MensCH, Der prÄsiDent Seiten aus dem Buch Pages from the book<br />

28 |<br />

Prolog<br />

¡BUENOS DIAS! Bundespräsident Horst Köhler wird auf dem Madrider Flughafen<br />

Barajas mit militärischem Gruß empfangen, 12. Dezember 2005<br />

Bundespräsident Köhler hat angekündigt, ein unbequemer<br />

Präsident sein zu wollen, der sich einmischt. Er hat es auch oft schon<br />

getan. Aber das ist, der Grenzen dieses Amtes wegen, immer eine<br />

Gratwanderung<br />

V o r w o r t V o n r i c h a r d S c h r ö d e r<br />

W<br />

er dem Bundespräsidenten Horst Köhler in Zusammenhang bringen.“ Dies „dürfte aber einen Bundes­<br />

begegnet, ist wohl zuerst von seiner offenen präsidenten Köhler auf manchen Stationen seiner Auslands­<br />

Herzlichkeit berührt. Fast ein wenig schüchtern, reisen in Verlegenheit bringen – und an diesen Plätzen dem<br />

zugleich aber heiter und gänzlich ungekünstelt Ansehen der Bundesrepublik nicht gerade nützen“. Nichts davon<br />

wirkt er. Er hat etwas Bodenständiges. Auf den ist eingetreten. Ein großer Philosoph ist eben nicht unbedingt<br />

ersten Blick will das gar nicht zu seiner Biographie passen. Denn ein großer Prophet. Es kommt aber noch dicker. „Der eigentliche<br />

die hat ihm eine beständige Heimat verwehrt. Er ist ein Kind der Skandal besteht darin, dass die Westerwelles nun auch noch<br />

Flüchtlingsgeneration. Seine Eltern wurden in der Nazizeit als mit einem passend zurechtgestutzten Image des Bundespräsi­<br />

Auslandsdeutsche von Rumänien in den eroberten „Wartegau“ denten für eine Politik werben möchten, die zentrale gesellschaft­<br />

umgesiedelt. Dort wurde er 1943 geboren. Er war noch ein<br />

liche Bereiche einer Regulierung durch den Markt überlässt“<br />

Kleinkind, als seine Eltern vor den heranrückenden sowjetischen – wie sich der kleine Max einen Ökonomen vorstellt: effizient,<br />

Truppen fliehen mussten. Fast zehn Jahre hat er in Markkleeberg herzlos rechnend und berechnend.<br />

nahe Leipzig gelebt. Dann floh die Familie nach Westdeutschland.<br />

Dort hat er das Abitur abgelegt, studiert, promoviert und In seiner Rede beim Arbeitgeberforum „Wirtschaft und<br />

seine berufliche Karriere gestartet, erst als wissenschaftlicher Gesellschaft“ (15. März 2005) hat Bundespräsident Köhler<br />

Mitarbeiter an der Universität, dann als Staatssekretär im Bun­ gesagt: Die Hauptaufgabe von Unternehmen und Betrieben<br />

desfinanzministerium (1990–1993), als Präsident des Sparkas­ sei es, „am Markt erfolgreich zu sein und Gewinne zu machen“,<br />

sen­ und Giroverbandes, als Präsident der Europäischen Bank für denn nur dann kann der Unternehmer „den Fortbestand seines<br />

Wiederaufbau und seit 2000 in der Direktion des Weltwährungs­ Unternehmens durch Investitionen sichern, seine Mitarbeiter<br />

fonds (IWF). Er ist somit der erste Bundespräsident mit Ausland­ weiterbeschäftigen und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.<br />

serfahrungen in einer der großen internationalen Organisationen. Gerade erfolgreiche Unternehmer wissen, wie wichtig ein offenes<br />

Und trotzdem ist da ebendieses Bodenständige. Vielleicht ist Betriebsklima und ein partnerschaftlicher Umgang mit den<br />

es Familienerbe, dem der häufige Ortswechsel nichts anhaben Mitarbeitern sind. Wer auf das private Umfeld seiner Mitarbeiter<br />

konnte. Horst Köhler ist Bauernsohn. Der „dumme Bauer“ ist seit achtet und ein familienfreundliches Klima schafft, der fördert<br />

alters der Spott der Städter – oft zu Unrecht. Denn es gibt auch Engagement und Loyalität, und auch das zahlt sich aus.“ Ja, es<br />

den selbstbewussten Bauern, der sich kein X für ein U vormachen gibt das Gute, das sich auch ökonomisch auszahlt. Nur kurz­<br />

lässt und das Solide vom Firlefanz genau zu unterscheiden weiß, sichtige Ökonomen machen aus dem wirtschaftlich Gebotenen<br />

dessen Orientierungskoordinaten vom jeweils modischen<br />

und dem sozial Gebotenen einen Gegensatz. Das jedenfalls kann<br />

Geschwafel unberührt bleiben – und der weiß, woran er glaubt. man Horst Köhler nicht vorwerfen. Innenpolitisch hat er immer<br />

wieder gefordert: Vorrang für Arbeit. Die hohe Arbeitslosigkeit in<br />

Als Horst Köhler zur allgemeinen Überraschung nominiert<br />

wurde – er war ja tatsächlich damals nur Insidern bekannt –,<br />

versahen ihn manche flugs mit dem Etikett des herzlosen Ökonomen.<br />

Ein nicht ganz unbekannter Sozialphilosoph erklärte:<br />

„Wenn man Köhler als Politiker betrachten will, kann man ihn<br />

allenfalls mit der umstrittenen Strategie des Weltwährungsfonds<br />

Deutschland – und keineswegs nur in Ostdeutschland – ist für<br />

Nach dem SommermärcheN<br />

Der Bundespräsident im Gespräch mit dem deutschen<br />

Nationalspieler Gerald Asamoah, 14. August 2006<br />

Alte BekAnnte<br />

HansTietmeyer amtierte von 1992<br />

bis 1999 als Präsident der Deutschen<br />

Bundesbank. Sein Nachfolger als<br />

Staatssekretär im Finanzministerium<br />

war von 1990 bis 1993 Horst Köhler.<br />

Beim Empfang zu Ehren Tietmeyers<br />

ist auch Helmut Kohl anwesend, der<br />

als Bundeskanzler von 1982 bis 1998<br />

die Geschicke des Landes lenkte.<br />

Als dessen persönlicher Vertreter<br />

bereitete Köhler die Wirtschaftsgipfel<br />

in Houston (1990), London (1991),<br />

München (1992) und Tokio (1993) vor,<br />

7. September 2006<br />

ABräumer Während nach dem Empfang die letzten Gläser aufs Tablett wandern,<br />

unterhalten sich Horst und Eva Luise Köhler noch ungezwungen mit Tietmeyer und<br />

dem früheren Innenminister Gerhart Baum, 16. Januar 2006<br />

GROSSER AUFTRITT der Kellner.<br />

Nach der Ordensverleihung setzt man<br />

sich zu Tisch, durch den Türspalt<br />

erkennt man den geehrten James<br />

D. Wolfensohn, 1. Dezember 2005<br />

| 45<br />

U p Up , and away Mit dem Hubschrauber<br />

geht’s nach einem Besuch im sächsischen<br />

Hoyerswerda wieder zurück nach Berlin,<br />

27. April 2006<br />

„Die Menschen<br />

sollen spüren, hier kümmert<br />

sich einer.“<br />

H o r s t K ö H l e r<br />

Als er aus dem Kino kommt, regnet es in<br />

Strömen. Aber da ist ein Mädchen aus der<br />

Nachbarschaft, das hat einen Schirm. Köhler<br />

kennt sie vom Sehen. Siebzehn Jahr, dunkles<br />

Haar. Horst Köhler verliebt sich in das<br />

Mädchen mit dem Schirm.<br />

in die damals fast menschenleere Gegend gerufen. Das Kalkül von der Wehrmacht besetzten Polen angesiedelt. Das deutsche<br />

des Zaren: Die Kolonisten aus deutschen Landen sollten auf den Generalgouvernement des Nazi-Statthalters Hans Frank soll zur<br />

fruchtbaren Böden Bessarabiens eine Landwirtschaft aufbauen neuen Heimat der Bessarabien-Deutschen werden.<br />

und dadurch helfen, das unterentwickelte Gebiet erblühen zu las- Und so kommt das siebte Kind der Köhlers in Skierbieszów zur<br />

sen. Die russische Krone schenkte den Einwanderern Land und Welt, einer tausend Einwohner zählenden Ortschaft 70 Kilometer<br />

garantierte ihnen Steuerfreiheit für mehrere Jahre. Etwa 9000 östlich von Lublin. In dem Dorf hat man der Familie Köhler einen<br />

Menschen folgten dem Ruf und zogen nach Osten. Diese Siedler Hof zugewiesen, deren Besitzer zuvor durch die SS vertrieben<br />

waren mutige, freiheitsliebende Menschen, die in die Ferne zogen, worden waren. So erhalten die Köhlers, denen man ihre Heimat in<br />

um etwas Neues zu beginnen. Einer von ihnen war ein Köhler. Bessarabien geraubt hatte, nun zur „Entschädigung“ das Zuhause<br />

und die Existenz einer anderen Familie.<br />

Horst Köhlers Mutter ist ebenfalls eine Nachfahrin deutscher Die Eltern hegen wohl Sympathien für den „nationalen Auf-<br />

Kolonisten, allerdings entstammt sie einer anderen Einwandererbruch“. Als Eduard und Elisabeth Köhler 1937 ihr fünftes Kind begruppe<br />

als ihr Ehemann. Elisabeth Köhler, geborene Bernhardt, kommen, nennen sie den Sohn Adolf. Und Horst Köhler verdankt<br />

ist eine Siebenbürger Sächsin aus Kronstadt. Die Siebenbürger seinen Vornamen vermutlich Horst Wessel, dem 1930 ums Leben<br />

Sachsen sind deutsche Siedler, deren erste Welle schon 1150 nach gekommenen SA-Sturmführer, dessen Lied („Die Fahne hoch, die<br />

Ungarn strömte. Ähnlich wie in späteren Jahrhunderten der rus- Reihen fest geschlossen ...“) im Dritten Reich zur zweiten Natiosische<br />

Zar, so wollten auch die ungarischen Könige mit der Zahl nalhymne geworden war. Parteimitglieder waren Köhlers Eltern<br />

und der Wirtschaftskraft ihrer Untertanen den eigenen Reichtum allerdings nicht.<br />

und die eigene Macht steigern. Und der Plan ging auf. Mit Fleiß Polen bleibt nicht lange die neue Heimat der Familie. Im Januar<br />

und Können brachten die Sachsen das Siebenbürger Land voran. 1945 müssen die Köhlers vor der anrückenden Roten Armee nach<br />

Dabei muss man die Bezeichnung „Sachsen“ allerdings mehr als Markkleeberg-Zöbigker in die Nähe von Leipzig fliehen. Eduard<br />

Ehrentitel denn als Herkunftsbezeichnung sehen. In Wirklichkeit Köhler bekommt einen Neubauernhof auf altem Junkerland zuge-<br />

stammten die meisten Kolonisten aus Moselfranken. Bis 1919 teilt und beginnt ein weiteres Mal, sich eine Existenz aufzubauen.<br />

waren die Siebenbürger Sachsen Untertanen der österreichisch- In einem neuen Staat: 1949 gründet sich die DDR.<br />

ungarischen Doppelmonarchie. Im Frieden von Trianon nach dem In Bessarabien waren er und seine Vorfahren immer Bauern<br />

Ersten Weltkrieg wurde dieser Landesteil dann dem Königreich auf eigener Scholle gewesen. In der kollektivierten Landwirtschaft<br />

Rumänien zugesprochen.<br />

der DDR (Motto: „Vom Ich zum Wir“) mag die Familie bald nicht<br />

Köhlers Eltern lernen sich in den früher zwanziger Jahren in mehr leben. Die Köhlers fühlen sich wie viele andere Bauern<br />

Kronstadt kennen. Nach ihrer Heirat leben sie auf einem Bau- drangsaliert im Sozialismus. Wegen einer illegal gehaltenen und<br />

ernhof in Bessarabien. Zwischen 1925 und 1939 kommen sechs geschlachteten Sau muss Eduard Köhler 1952 einige Tage in ei-<br />

Kinder zur Welt. Dann aber greift die Politik in ihr Leben ein. Hitler ner Gefängniszelle verbringen. Da entschließen sich die Eltern zur<br />

und Stalin vereinbaren 1940, den Landesteil Bessarabien von Ru- Flucht in den Westen.<br />

mänien abzutrennen und der Sowjetunion zuzuschlagen. Die dort Ostern 1953 ist es so weit. Mit dem Zug geht es zunächst nach<br />

lebenden Volksdeutschen, deren Zahl im Lauf der Zeit auf etwas Ost-Berlin, mit der S-Bahn nach West-Berlin, und schließlich<br />

mehr als 90.000 angewachsen ist, werden zunächst „heim ins gelangt die Familie auf dem Luftweg in die Bundesrepublik. Nie-<br />

Reich“, also nach Deutschland, geholt, bald darauf aber in dem mand wartet im Westen auf sie. Vier Jahre verbringen die Köhlers<br />

Demokratischer aufbruch<br />

Viktor Juschtschenko, Führer der „orangefarbenen<br />

Revolution“ und Staatspräsident der Ukraine, trägt<br />

sich auf Schloss Bellevue ins Gästebuch ein.<br />

An der Wand ein Porträt Friedrich Eberts, des ersten<br />

Präsidenten eines demokratischen Deutschland,<br />

4. Oktober 2006<br />

Es ist das strahlende Lachen, mit dem dieser Bundespräsident die<br />

Menschen gewinnt. Wenn Horst Köhler lacht, falten sich die Wangen, und<br />

die Mundwinkel streben himmelwärts, seine Augen leuchten und<br />

die Zähne blitzen. Dieses Lachen ist mehr als ein freundlicher<br />

Gesichtsausdruck. Es offenbart eine Persönlichkeit. Das Lachen ist<br />

ungewöhnlich direkt. Ungekünstelt.<br />

W<br />

v o n R ü d i g e R J u n g b l u t h<br />

Herzlich<br />

enn der Bundespräsident bei seinen Reisen Als Horst Köhler noch ein Junge war, nannte ihn seine Mutter<br />

und Besuchen die Menschen auf seine spezielle „Guter“. Er war das siebte von acht Kindern und achtzehn Jahre<br />

Weise anstrahlt, bleibt kaum jemand reserviert. jünger als der erstgeborene Sohn der Familie. Auf Horst ruhte die<br />

Bei Begegnungen mit den Bürgern fliegen Köhler Hoffnung der Mutter. Er war dasjenige ihrer Kinder, das es von der<br />

die Herzen zu. Er weiß, dass er diese Wirkung er- Anlage und den Umständen her im Leben am weitesten bringen<br />

zielen kann. Köhler lacht sich die Menschen regelrecht herbei. Es konnte, das spürte sie. Von seiner Mutter hat Horst Köhler die Ei-<br />

ist nicht die Würde des hohen Amtes, die dann wirkt, sondern die genschaft geerbt, sich nicht zu schnell zufrieden zu geben. Auch<br />

Ausstrahlung eines ungewöhnlichen Mannes. Wenn Köhler strahlt, nicht mit den eigenen Leistungen.<br />

zeigt sein Gesicht die helle Freude, den schieren Optimismus.<br />

Horst Köhler kommt am 22. Februar 1943 im Osten Polens zur<br />

Die Deutschen mögen ihren Präsidenten. Drei Viertel der Welt. Es hätte auch Rumänien sein können, es hätte Ungarn sein<br />

Bürger haben eine gute Meinung von ihm. Dabei ist Horst Köhler können oder Russland. Der Krieg tobt in Europa. Köhlers Vater<br />

ein Bundespräsident, wie ihn Deutschland noch nicht hatte. Und war auf dem Gebiet des russischen Zarenreiches geboren wor-<br />

zwar in mehrfacher Beziehung. Es gilt für die Herkunft, es gilt für den, die Mutter in Ungarn. Kennengelernt haben sich die Eltern<br />

den Berufsweg, und es gilt für die Amtsführung. Köhler ist in fast in Kronstadt, zu einer Zeit, als diese Stadt nicht mehr zu Ungarn,<br />

jeder Beziehung anders als seine Vorgänger.<br />

sondern wieder zu Rumänien gehört. Beide Eltern sind Deutsche,<br />

Augenfällig ist als Erstes, dass Köhler die Präsidentschaft mit jedenfalls in dem Sinne, dass ihre Vorfahren aus Deutschland<br />

einer sportlichen Leichtigkeit ausübt wie kein anderer vor ihm. stammen. Aus einem Deutschland allerdings, das es zu Lebzeiten<br />

Wer ihm begegnet, bemerkt sofort, dass das hohe Amt dem Mann der Vorfahren als Nationalstaat noch gar nicht gab, aus einem<br />

keine Bürde ist. Wer ihn länger beobachtet, spürt die Dynamik, die Deutschland, das eine Ansammlung unzähliger Kleinstaaten und<br />

in ihm steckt. Ein wenig wirkt er wie ein großer Junge. Die schlanke Fürstentümer war.<br />

Gestalt, die beim Gehen federt, die nicht selten zerzausten Haare, Der Vater des Bundespräsidenten, Eduard Köhler, ist ein soge-<br />

dieser eigentümlich schüchterne Habitus – all das trägt dazu bei, nannter Bessarabien-Deutscher. Seine Vorfahren waren Bauern<br />

dass dieser Präsident den Bürgern nicht wie ein Politiker jenseits aus Schwaben, die im frühen 19. Jahrhundert auf der Suche nach<br />

der sechzig vorkommt, sondern eher wie ein Jugendlicher. Ein einem besseren Leben nach Bessarabien ausgewandert waren.<br />

Junggebliebener als Staatsoberhaupt.<br />

Bessarabien, diese Landschaft mit dem merkwürdig orienta-<br />

Horst Köhler kann nicht anders. Das Bedächtige liegt ihm nicht, lisch anmutenden Namen (er leitet sich von einem Fürstenhaus<br />

es entspricht einfach nicht seinem Temperament. Köhler ist von namens Basarab ab und hat mit Arabien nichts zu tun) liegt im<br />

seinem ganzen Wesen her ein zupackender Mensch, kein zurück- Südosten Europas, eingezwängt zwischen die Flüsse Pruth und<br />

gelehnter. Ein Macher, kein Beobachter. Ein fröhlicher Mann ist er, Dnister, im Süden grenzend an das Schwarze Meer. Dieses Bes-<br />

aber auch ein ungeduldiger. Horst Köhler ist ein Staatsoberhaupt sarabien war in seiner Geschichte eine Pufferregion zwischen den<br />

neuen Typs für Deutschland. Er versieht sein Amt ohne gravitä- Großmächten Russland, Österreich und Türkei. Heute gehört das<br />

tisches Gehabe, ohne Pathos, ohne Wortgeklingel. An der Spitze Land teils zu Moldawien, teils zur Ukraine.<br />

des Staates angekommen, ist Horst Köhler derjenige geblieben, Als die ersten Köhlers aus Schwaben dort ankamen, war<br />

der er auch vorher war. Ein kluger, ein unermüdlich fleißiger Mann. Bessarabien ein Teil Russlands. Der Zar in Moskau hatte im Jahr<br />

Ein bodenständiger, bescheidener Mensch.<br />

1813 arme, umzugswillige Bauern aus deutschen Kleinstaaten<br />

Ausflug Horst Köhler und Schwester Uschi im Beiwagen, auf dem Motorrad Vater Eduard und Mutter Elisabeth<br />

102 | | 103<br />

| 101<br />

Home sweet Home In der Privatwohnung, Berlin-Dahlem. Bei einer<br />

Insalata Caprese und einem guten Glas Wein tauscht sich das Ehepaar<br />

über die Ereignisse des Tages aus, 4. Oktober 2006<br />

KüchenKabinett<br />

Eva Luise Köhler bereitet in der<br />

Küche ihrer Privatwohnung in<br />

Berlin-Dahlem das Abendbrot zu.<br />

Bei einer Insalata Caprese lässt man<br />

dann gemeinsam den Tag Revue<br />

passieren, 4. Oktober 2006<br />

Ökonomen, nicht zugetraut hätten: „Gute Bildung geht nicht in<br />

erster Linie von gesellschaftlichen Bedürfnissen oder den Anforderungen<br />

der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes aus.“ Herzensbildung<br />

sei nicht weniger wichtig als Wissen, sagt der Bundespräsident.<br />

Es ist eine außerordentlich eindringliche Rede, die Köhler<br />

da hält, ein einfühlsam vorgetragenes Plädoyer für das Lernen<br />

und das Lehren.<br />

Offenheit ist für Köhler ein wichtiger Wert. In manchen Kommentaren<br />

war zu lesen, dass dieser Bundespräsident seine Rolle<br />

noch nicht gefunden habe. Köhler selbst sieht das anders. Zugleich<br />

räumt er aber auch im Gespräch über seine Präsidentschaft freimütig<br />

ein: „Ich bin tatsächlich auf der Suche. Das Land ist auf der<br />

Suche. Niemand hat fertige Antworten auf alles.“ An sich selbst<br />

hat er beobachtet, dass seine Neugier im Laufe der Amtszeit noch<br />

gewachsen sei.<br />

Köhler ist nicht nur geistig beweglich geblieben. Er hält sich<br />

auch körperlich fit. In seiner Jugend hat er Handball gespielt. In<br />

den achtziger Jahren lernte er reiten, um seine pferdebegeisterte<br />

Tochter begleiten zu können. Heute trainiert er an Geräten, joggt<br />

jeden dritten Tag und fährt im Winter Ski. Er hat angefangen, Golf<br />

zu lernen, aber eigentlich ist ihm das zu gemächlich. Gerade hat er<br />

das Bundessportabzeichen erworben. Mit Ausnahme Richard von<br />

Weizsäckers war kein Bundespräsident so sportlich wie Köhler.<br />

Und so passt es perfekt, dass es gerade dieser Präsident ist, der<br />

als Staatsoberhaupt des Gastgeberlandes im Sommer 2006 die<br />

Fußballweltmeisterschaft eröffnet.<br />

Schon in seiner Antrittsrede im Juli 2004 hatte Köhler von den<br />

„guten Gründen“ gesprochen, „unser Land, unsere Heimat zu lieben“.<br />

Damit nahm der Präsident gleichsam vorweg, was sich als<br />

ein neuartiger unverkrampfter Patriotismus im Jahr der Fußball-<br />

RüdigeR Jungbluth<br />

weltmeisterschaft 2006 auf den Straßen und Plätzen der Republik<br />

1962 in Brühl geboren,<br />

zeigen sollte. Köhler nimmt diese Stimmung während der som- studierte Volkswirtschaft und absolvierte<br />

merleichten WM-Wochen auf. Er freue sich, dass er nicht mehr der die Kölner Journalistenschule. Er arbeitet<br />

Einzige sei, der in einem Auto mit einer Deutschlandflagge fahre, als Journalist („Stern“, „Der Spiegel“,<br />

scherzt er. Und setzt hinzu: „Die Deutschen identifizieren sich mit „Capital“, „Die Zeit“) und freier Publizist<br />

ihrem Land und seinen Nationalfarben. Das finde ich großartig.“<br />

(„Die Quandts“, „Die Oetkers“)<br />

112 |<br />

uf die<br />

KRAFTAKT Horst Köhler beginnt den Tag<br />

gern im Fitnessstudio, 26. April 2006<br />

„Ihre Natürlichkeit, ihren<br />

gesunden Menschenverstand<br />

und ihre Aufmerksamkeit<br />

für Menschen. Sie spürt,<br />

was die Leute umtreibt oder<br />

beschwert.“<br />

Small Talk<br />

Mit Henning Mankell<br />

im Garten des Völkerkunde­Museums,<br />

Berlin­Dahlem,<br />

7. September 2006<br />

H o r s t K ö H l e r a u f d i e f r a g e , Wa s e r a n s e i n e r f r a u b e s o n d e r s s c H ä t z t<br />

Weihnachten Zum zweiten Mal wünscht<br />

Bundespräsident Köhler seinen „lieben Landsleuten“<br />

ein frohes und gesegnetes Fest, 20. Dezember 2005<br />

Neben Königinnen, wie Silvia von Schweden, die neulich<br />

Greifswald besuchte, oder Beatrix der Niederlande, wirkt Eva Köhler<br />

E<br />

v o n U l r i k e P o S C H e<br />

königlich<br />

s gibt Menschen, die haben ein Dienstlachen und es nun einmal. So war es bei allen Präsidenten-Gattinnen von Elly<br />

eines für den privaten Gebrauch. Ein Fassadenlächeln Heuss-Knapp bis heute. Manchen von ihnen sah man an, wie sie<br />

für draußen, ein Bis-hierher-und-nicht-weiter-Lächeln die plötzliche Öffentlichkeit verunsicherte, wie sie auf Distanz gin-<br />

bei Empfängen, ein höfliches Lachen für die große Gegen; andere wirkten fast beleidigt in den Pflichten des Protokolls,<br />

sellschaft und ein ganz herzliches für zu Hause. Eva wieder andere gaben sich gar präsidialer als der Präsident selbst.<br />

Köhler lacht immer, und immer auf die gleiche Weise. Es ist das<br />

große Ich-kann-gar-nicht-anders-Lachen, das alle Zähne, auch Es hilft, wenn man als First Lady ein freundliches Gemüt hat<br />

die hinteren, entblößt. Das sich an der Nasenwurzel in kleinen Ril- mit positiver Grundstimmung, wenn man einen verbindlichen<br />

len bricht und die Augen zu schmalen Sicheln verzieht. Es ist ein Umgangston beherrscht und die Menschen liebt. Es hilft vielleicht<br />

Lachen, das aus der Tiefe des Bauches kommt, das explodieren auch, wenn man von einer gewissen Weltläufigkeit profitieren<br />

kann, manchmal aus geringem Anlass. Es ist ein Strahlen, das kann, wenn man gesehen hat, wie geschmeidig amerikanische<br />

ohne Leuchtstoff funktioniert, das Menschen schon bei der Be- Funktionärs-Gattinnen präsentieren und repräsentieren; Wie sie<br />

grüßung wärmt und einen Saal erhellen kann. Die Frage ist nur: Key-Note-Speeches aus dem Ärmel schütteln und Eröffnungsre-<br />

Hat sie es von ihm oder er von ihr?<br />

den halten können, ohne einmal aufs Blatt zu gucken. Wie der Fall<br />

Man weiß ja, dass sich langjährige Ehepartner mit der Zeit von Eva Köhler zeigt, nützt es offenbar auch, wenn man Lehrerin<br />

angleichen, selten jedoch hat man ein Ehepaar erlebt, das auf so war, wenn man mit Kindern musiziert und gerechnet hat, und<br />

ähnliche Art so sehr um die Wette lachen kann wie das Ehepaar auch über deren Witze gelacht. Eva Luise Köhler war Lehrerin,<br />

Köhler. Und selten gab sich ein Präsidentenpaar mit solcher Eben- aber dazu kommen wir später.<br />

bürtigkeit sympathisch und offen und lebensfroh. Seit den legen- Übrigens ist es auch nicht verkehrt, wenn man ein Hut-Gesicht<br />

dären Lachsalven der Mildred Scheel jedenfalls hat keine Frau im besitzt. Denn in keinem anderen Amt der Republik ist so oft Ge-<br />

Präsidentenpalais mehr eine solch schallende Lebensfreude zur legenheit für „oben mit“ wie bei dem des Präsidenten. Fast über-<br />

Schau gestellt wie die Gattin des neunten Bundespräsidenten. flüssig zu sagen, dass Eva Köhler das perfekte Hut-Gesicht hat,<br />

ein bisschen rundlich sitzt es inmitten eines klassisch geschnitte-<br />

Mit Eva Luise Köhler auf Dienstfahrt. „Guten Tag, Herr nen Pagenkopfs. Neben Königinnen, wie Silvia von Schweden, die<br />

Minischterpräsident“, sagt sie mit dem zarten Schwäbeln, das die neulich Greifswald besuchte, oder Beatrix der Niederlande, wirkt<br />

gebürtige Ludwigsburgerin trotz lebenslangen Vagabundierens Eva Köhler königlich und niemals anmaßend oder gar verkleidet.<br />

durch die Welt nie abgelegt hat. Eva Köhler ist wieder einmal für Es ist so, als habe sie nie etwas anderes gemacht, wenn sie in Hut<br />

Deutschland auf Reisen. Dunkelblauer Anzug, Pilotenkoffer, ei- und Kostüm am Ende eines roten Teppichs auf irgendeine auslännen<br />

dekorativen Schal hat sie sich wie zufällig über die Schulter dische Staatskarosse wartet, wenn sie neben Italiens Präsident<br />

geworfen. Ihr ganzer Auftritt wirkt, als wolle er sagen, dass es der Napolitano fürs offizielle Foto posiert oder wenn sie neben ihrem<br />

Schwäbin zwar gerade „mordsmäßich pressiert“, aber er wirkt Mann das Sommerfest auf Schloss Bellevue eröffnet. Eva Köhler<br />

dennoch nicht gehetzt. Mehr wie bei einem emsigen Tier, das „au ist in allem, was sie tut, unprätentiös und bewusst selbstverständ-<br />

emmr am Schaffa“ ist und „älls fleißig“ seine Vorräte ins Trockene lich. Klar, dass sie barfuß durch den Sand läuft, wenn sie sich mit<br />

bringen will. Kofferraum auf, Koffer rein, Tür zu, zack, weg.<br />

Horst Köhler eine DLRG-Station ansieht. Dann trägt sie weiß und<br />

Es steht zwar nirgends, dass auch die Ehefrau plötzlich einen rot gestreift, und er trägt hellblau. Es scheint immer, als habe<br />

neuen Zusatzjob hat, wenn der Mann Präsident wird, aber so ist Eva Köhler kurz vorm Rausgehen noch einmal die Farbabnahme<br />

<strong>Behnken</strong> & <strong>Prinz</strong> 94<br />

| 95<br />

| 193

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