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Bildbesprechung (pdf) - Jochem Roman Schneider

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Von der Poesie der Präzision<br />

„Menschenbilder, Portraits & Clowns“<br />

Wie stark hängt das Image eines Künstlers von seinem Werk ab? Daß seine Kunst,<br />

sein Oeuvre, von seiner Persönlichkeit geprägt ist, von seinem Blick auf die Welt, das<br />

will uns wohl einsichtig sein. Aber bestimmt das Werk auch das Bild, das wir von<br />

einem bestimmten Künstler haben? Picasso der Satyr? Magritte der tagträumende<br />

Bürgerliche? Immendorff der Tänzer auf jedem erreichbaren Vulkan? Im wesentlichen<br />

scheinen es drei, vier Typen zu sein, nach denen die Öffentlichkeit Künstler<br />

einteilt, etwa in die mit dem Universum ringenden Titanen (Michelangelo zum<br />

Beispiel), die Malerfürsten (Stuck, Lüpertz), die Pioniere an der ästhetischen Front<br />

(Kandinsky, Malewitsch) und die „armen Poeten“ à la van Gogh.<br />

Oft hat’s hier ein „sowohl als auch“, und es scheint sich immer Biografisches<br />

– einschließlich der Legenden – mit vom Werk, von bestimmten Hauptwerken Beeinflusstem, zu mischen. Und wie passen<br />

da die hinein, die sich hauptsächlich mit der eher stillen Kunst der Grafik befassen? Schwierig zu sehen und zu<br />

sagen.<br />

Die Grafik eine stille Kunst? Gibt es da nicht auch die lauten Schreie aus existentieller Not heraus, aus dem Leiden,<br />

aus den Ängsten der Epoche geboren? Sicherlich – aber dennoch: Im Vergleich zu monumentalen Gemälden, die<br />

einer großen Symphonie gleichen, haben wir es bei der Grafik eher mit Kammermusik zu tun. Auch die kann expressiv<br />

sein, laute Rufe in das Dunkel der Welt senden – und hoffen, auf ein hörendes Ohr zu treffen, so wie der expressive<br />

Grafiker auf ein sehendes Auge treffen will. Kammermusik ist eine sehr präzise Gattung. Ihre Stücke kommen nicht mit<br />

großem Aplomb daher. Auch die Grafik liebt die klare, begrenzte, aber dafür auch genaue Form. Der Grafiker hat in<br />

der Regel wenig Platz, seine ästhetische, formale wie inhaltliche Botschaft vor dem Betrachter zu entfalten.<br />

Das zwingt dazu, formale und ästhetische Spezifika zu entwickeln, auf den Rössern zu reiten, die hier und nur<br />

hier ihre Weide haben. Daran ändern auch zeitgeistige „crossover"-Strukturierungen und Mischtechniken grundsätzlich<br />

nichts. Nicht nur, daß so etwas auch gar nicht so neu ist – und von <strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong> ebenfalls, von Fall zu<br />

Fall, virtuos gehandhabt wird –, sondern es verweist immer wieder auf die zentrale Frage aus „Alice im Wunderland":<br />

“The question is, which is to be master.“ – Die Frage ist, was ist bestimmend? Und in der Grafik sind es die grafischen<br />

Mittel, nicht die malerischen. Selbst wenn es, wie in der zeitgenössischen Kunst, auch grafische Werke im monumentalen<br />

Maßstab gibt.<br />

Der lange, tiefe Sinn der Abwägungen: Das Grafische, Präzise ist das Bestimmende im grafischen Werk von<br />

<strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong>, das Ästhetische, die grafische Form. Nicht der Inhalt, der zwar auch transportiert wird, aber<br />

eben mit jenem meisterlich gehandhabten Vokabular visueller Dichtung, welche die grafischen Techniken dem bieten,<br />

der sie beherrscht.<br />

Natürlich berührt sich Grafik hier mit Kunst überhaupt.Wie könnte es auch anders sein. Aber viel zu oft wird viel<br />

zu wenig beachtet, daß ohne den „ästhetischen Mehrwert“ gar keine Kunst möglich ist. Wenn jemand in alltäglichen<br />

217


Worten von einem Waldspaziergang erzählt, von dem er eine Blume mitgebracht hat, die er in seinen Garten pflanzte<br />

– wen mag das wohl bewegen! Kommt dieser Inhalt (inklusive der symbolischen Dimensionen) aber in ästhetischer<br />

Form daher, wandelt sich das Bild: „Ich ging im Walde so vor mich hin …“. Aha. Ästhetik organisiert die Bedeutung,<br />

verleiht der Aussage (hier gern auch: der Bildsprache) Besonderheit, bringt alles erst auf jenen Punkt, der uns zu tieferer<br />

Einsicht führt – vorausgesetzt, wir sind überhaupt dazu bereit. Daß wir das in aller Regel sind, zeigen allerdings<br />

tagtäglich besondere Formen der Sprache, etwa im Rap, wo ganz grundlegende ästhetische Zurüstungen, die die<br />

Avantgarde längst beerdigt glaubte, fröhliche Urständ feiern, nämlich Reim und Rhythmus.<br />

Es ist an der Zeit, von den luftigen Höhen der Theorie in die Anschauung zu wandern, um zu prüfen, wie sich in<br />

den Werken eines zum anderen findet. Es gibt von <strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong> das Blatt (Radierung) „Stillebender Dandy<br />

– Für David Hockney“. In einem Ambiente im englischen Stil sitzt ein Mann mit College-Krawatte im Holzstuhl,<br />

rechts eine Yucca. Links rankt sich Botanik herunter, auf dem Kaminsims Flasche, Glas und Zigarettenschachtel. Der<br />

Mann sitzt locker und entspannt, aber nicht unaufmerksam: mit einer Mischung aus vorsichtigem Mißtrauen und<br />

Selbstsicherheit blickt er, wie leicht von oben, auf den Betrachter.<br />

Das ist nicht schwer zu sehen und einzuordnen, und der Kunstkundige kommt auch durchaus auf die gewollten<br />

Anklänge an David Hockney, den großen Apologeten der besseren Lebensart und Schamanen des modernen Arkadien.<br />

Aber es gibt auch andere Anklänge – wobei es unerheblich ist, wie bewusst oder unbewusst diese ins Bild (Grafiken<br />

sind ja auch Bilder – was sonst?) eingespeist wurden, denn jedes „musée imaginaire“ hat seine eigenen Blickachsen.<br />

Und hier ist es das berühmte Frühwerk von Lucian Freud,„Interior, Paddington, 1951“, das sich mit ins Spiel bringt.<br />

So entsteht ein historischer Halo, der vom Freudschen „angry young man“ der englischen Nachkriegsgeneration bis<br />

zur Kalifornien-Fraktion der hedonistischen Jeunesse dorée der Sechziger bis Achtziger sein mildes Licht verströmt. Es<br />

ist in der Tat nicht der „Mond von Wanne-Eickel“, hier gibt es Champagner statt Pils, hier regiert die lockere Selbstsicherheit<br />

einer Generation, über Bildformeln vermittelt, die sich die Sonnenseite des Lebens erobert hat und bereit ist,<br />

diese mit Hoffart und Härte zu verteidigen. Sie hat das erreicht, wovon der junge Mann mit „Thruppence Haypenny"*<br />

in der Geldkatze in Paddington geträumt hat.<br />

Im Titel – sicher, Titel sind nur Namen von Bildern, die die Katalogisierung erleichtern, aber es gibt auch Künstler,<br />

wie etwa Paul Klee, bei denen Titel integraler Bestandteil des Kunstwerkes werden – im Titel also kommen noch<br />

zwei Begriffe vor die wichtig sind: „Stilleben“ und „Dandy“. Der eine ein kunsthistorischer Gattungsbegriff, der andere<br />

ein Begriff aus der Kulturgeschichte des, nota bene, 19. Jahrhunderts. Die Szene ist nicht die eines Stillebens, aber<br />

dadurch, daß die Person im Bilde „stillebend“ ist, also von stillebenhaften Arrangements umgeben ist und sich wenigstens<br />

teilweise auch durch sie und mit ihnen definiert, kommt eine gewisse Gewolltheit und Künstlichkeit ins Spiel.<br />

Das wird durch die Klassifikation als Dandy vervollkommnet. Ein Dandy ist eine Figur im Gesellschaftsspiel um das<br />

Gentleman-Ideal herum.<br />

William Makepeace Thackeray (1811-1863) hat sich darüber geäußert, wie man statt zum Gentleman zum Snob<br />

wird. Dabei scheint wichtig zu sein, welche Oppositionen es überhaupt zum Gentleman gibt: Da ist einmal eben der<br />

* 3 1 / 2 Pence nach alter britischer Währung, entspricht etwa heutigen 175 Euro-Cent (Quelle: House of Commons; Index: 1:13), also nicht gerade ein berauschender<br />

Betrag. Allein die Krawatte des "Dandy" sieht danach aus, daß sie für unter 60 Euro nicht zu haben sein dürfte…<br />

218


Dandy, also jemand, der das ästhetische Moment überbetont, und dann der Snob, der in seiner Grunddefinition das<br />

Formale zum Exzess bringt. Diese Troika ist aber entschieden Teil einer Klassenbegrifflichkeit. Der „Cad“, der ungehobelte<br />

Klotz, ist die fundamentale, auch klassenmäßig anders verwurzelte Opposition zum Gentleman. Der Klassenaspekt<br />

verwischt sich erst mit der späteren Demokratisierung des Gentleman-Ideals, aber auch dann erscheinen Dandy<br />

und Snob als Minusvarianten des Gentleman, der „Cad“ bleibt der entscheidende Widerpart.*<br />

Um einen „Cad“ (heute würde man vielleicht „Proll“ sagen) handelt es sich hier nicht, wir bewegen uns in der<br />

„upper class“, aber um einen Dandy, und das explizit. Jedoch um einen modernen Nachfahren, denn die letzten echten<br />

Dandys sind in den Schützengräben des 1. Weltkrieges untergegangen.<br />

Das mag man alles so unterschreiben oder nicht – das Entscheidende ist die ästhetische Form, das grafische<br />

Vokabular, was noch gar nicht angesprochen wurde. Ein solches Thema verlangt nach einer gewissen Exquisitheit und<br />

Finesse, nach sauberer, eben präziser Technik in jedem Sinne.<br />

Nur der Boden ist hier kräftiger gegeben (und dient so auch symbolischer Erweiterung), alle Striche sind von<br />

reduzierter Feinheit, Masse wird nur durch Wiederholung und Ordnung von Dünne wiedergegeben. So versetzt der<br />

Künstler uns in ein distinguiertes Ambiente – auf diese Weise eine Fabrikhalle wiederzugeben, erscheint nur unter ganz<br />

besonderen Umständen (Ästhetisierung der Arbeitswelt) denkbar.<br />

Oder man schaue auf die feine, Moiré-ähnliche Musterung der Kleidung: auch hier eine meisterlich inszenierte<br />

Harmonie von Bezeichnetem und Bezeichnendem, ein Höchstmaß an Adäquatheit. Wie sagte doch Karl Valentin:<br />

„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Wie wahr, denn auch der Betrachter wird zur „Arbeit des Sehens“ angehalten.<br />

Nicht alle Werke von <strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong> sind so räumlich kohärent. Immer wieder greift er auf eine additive<br />

und fragmentarische Kompositionsweise zurück, vor allem dann, wenn es sich um moderne Vorstellungswelten<br />

und Alltagsmythen handelt – ein passender Rückgriff auf die vielfache Unverbundenheit und Bruchstückhaftigkeit unseres<br />

modernen Weltbildes, denn spätestens seit Goethe ist das Ganzheitliche vorüber, schon die <strong>Roman</strong>tik (die der<br />

alte Geheimrat bekanntlich nicht mochte) hat damit aufgeräumt. Und seit Relativitätstheorie und Quantenphysik gibt<br />

es keine Berechtigung mehr, von festgefügten Ordnungssystemen auszugehen, und wenn uns tausendmal noch der<br />

Apfel vom Baum auf den Kopf fällt, wie es dem guten Isaac Newton passierte…<br />

<strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong>s Blatt „Roma Amore“ (Zeichnung) ist eine solche additive – jedoch auch integrierende<br />

–, auf fragmentarische und momenthafte Impressionen hin angelegte Komposition. Sie ist Ausdruck der künstlerischen<br />

Phantasie, die eine Balance sucht zwischen der stets vorhandenen dinghaften Umwelt des Künstlers und des<br />

Betrachters. Hier werden Eindrücke mitgenommen und in neuen, überraschenden bildlichen Zusammenhängen präsentiert:<br />

Der Außenraum Roms wird zur Wand, an die Rom-Ansichten (Kolosseum, Wölfin, Engelsburg) „gepinnt“ sind,<br />

die Spanische Treppe verschwindet im Wald, und wie bei einigen „Fêtes champêtres“ von Watteau sitzt ein Melancholiker<br />

(man mag, wie bei Watteau auch, den Künstler selbst darin erblicken) im Trubel, allein und abgerückt, während<br />

vorn ein Liebespaar turtelt und ganz vorn rechts eine archetypische „bella <strong>Roman</strong>a“ vorbeihuscht – ein flüchtiges Bild<br />

* Vgl. Wolfgang Metzger, The Gentleman and his Fair Play of Tennis, Phil. Diss., Wien 2000<br />

219


möglicher Begierde, festgehalten für die Ewigkeit, Sinnbild vielen menschlichen (männlichen) Strebens, und formal der<br />

Gegenpart zum sitzenden Freund der vita contemplativa. Eine melancholische Poesie des Alltags, aber nicht Weltschmerz,<br />

und eine hoch raffinierte Kontrastierung des Individuellen und des Allgemeinen. Und eine sehr präzise Analyse,<br />

die, bei aller „Alltagspoesie“, mit der entsprechenden Präzision in der Wiedergabe und in der Wahl der grafischen<br />

Mittel gekoppelt ist.<br />

Alles im Bilde – die Dinge, ihre Repräsentationen und die Imaginationen sind einem Prozeß künstlerischer Verwandlung<br />

unterzogen worden. Und die ästhetischen Entscheidungen in der Komposition und der Wiedergabe der einzelnen<br />

Figuren bauen die Brücke zum tieferen Verständnis dieses menschlichen Kosmos in nuce.<br />

Roma eterna – die ewige Stadt kommt nur in schon medial vermittelter Form vor (Stiche von Rom-Ansichten),<br />

oder fragmentarisch; die Figuren, wie imaginiert sie auch sein mögen, werden von der Mitte bis vorn immer deutlicher:<br />

Der Melancholiker ist wenig mehr als ein Schattenriß, das Liebespaar wird schon stärker durchgezeichnet. Die Römerin<br />

bekommt beinahe Überpräsenz.<br />

Drei Zonen kennt das Blatt: Unten Figuren im Raum, einzeln oder zu zweit gruppiert, dahinter/darüber die Masse<br />

als Kontrastfolie zu den Einzelfiguren und oben die Repräsentation von Rom. Wir nehmen fast alles nur medial vermittelt<br />

wahr, und für viele Touristen haben die Fotos und die Ansichtskarten mehr Realität als die wirkliche Engelsburg.<br />

Und die ach, so Schöne, sie wendet sich ab, geht weiter. In der Tat: Was <strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong> uns bietet, ist<br />

ein präzises, ein poetisches, aber auch hintergründiges Panoptikum der Welt. Glücklicherweise ist es ästhetisch hoch<br />

gesättigt. Wie sollten wir es sonst ertragen?<br />

Wie aber sehen wir <strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong> nun durch sein Werk? Dies möge jeder für sich entscheiden.<br />

220<br />

Dr. Gerhard Charles Rump (57) ist Privatdozent<br />

für Kunstwissenschaft an der Technischen Universität Berlin<br />

und Kunstmarkt-Redakteur der Zeitung „Die Welt“.


„Stillebender Dandy“<br />

221


222<br />

„Die Ehre Gottes“


„Und die Bewohner feiern“<br />

223


224


„Hab Sonne im Herzen“<br />

225


226<br />

„Lebenstanz à go-go“


NUR NICHT ERSTARREN –<br />

NUR NICHT VEREISEN<br />

„Für <strong>Jochem</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Schneider</strong>“<br />

Blast, Ihr Großen,<br />

die Kinder-Windmühlenrädchen an,<br />

laßt die Wolken von Seifenblasen zerplatzen,<br />

Kreisel tanzen<br />

und ruhig wieder umfallen –,<br />

versucht es immer noch einmal,<br />

sie springen zu lassen.<br />

Hebt Eure Hand<br />

immer wieder dem Andern entgegen,<br />

rollt den Stein den Berg nochmals<br />

und nochmals hinauf<br />

und laßt die Blicke schweifen.<br />

Das Gras spricht manchmal,<br />

wenn Ihr zuhört –,<br />

nicht nur die Vögel<br />

oder ein Hundeblick.<br />

In den heiseren, undifferenzierten Worten<br />

eines lächerlich Unwichtigen –<br />

einer der gängigen Meinung nach<br />

ziemlich unwesentlichen Menschen –<br />

fand ich neulich eine einfache Mitteilung<br />

von kostbarem Glanz.<br />

Die hätte ich nun nicht verstanden,<br />

wär ich der Vereisung schon lange erlegen.<br />

227


228<br />

Nicht erstarren,<br />

nur nicht erstarren.<br />

Warum auch erstarren,<br />

gibt es doch Gegengewichte,<br />

weben sich doch<br />

Gedanken, Worte, Sätze<br />

Gebilde aus Menschenhand<br />

– aus Menschentun –<br />

durch unsere Tage wie<br />

Wurzelwerk auch zur Winterszeit unterm Reif<br />

und gefrorener Erde,<br />

das auf die Sonne wartet, um wieder zu leben<br />

zu seiner Zeit.<br />

Weben sich doch Gedanken von Menschen<br />

durch die alltäglichen Tage,<br />

wollen nur in die Wärme unseres Verstehens genommen,<br />

wollen belebt sein,<br />

beginnen dann wieder zu leben.<br />

Ein Satz, ein Lächeln, ein Federstrich,<br />

oder die tänzerische Geste –;<br />

alles ein Strom.<br />

Lebenskanäle, wie in der Pflanzen schlafendem Wurzelwerk.<br />

Nicht erstarren.<br />

Nicht vereisen.<br />

Blast in die Windmühl-Rädchen,<br />

laßt Kinder-Kreisel tanzen.<br />

Und es fängt dann<br />

alles wieder an. Elisabeth von Ulmann


Clowns<br />

„Selbstportraits“


230<br />

„Protagonisten des Wave – Zeitgeist“


„Abschied eines Clowns – Oh mein Papa“<br />

231


232<br />

„Harlekin – der Weissclown“


Bajazzo triste 233


234<br />

„Ein Paar Träume“ – für Max Kaspar


„Die schöne Gruss“ – für Fritz Silvan Wagner 1986<br />

235


236<br />

„King Kong Junior“


„Mann mit Herz am rechten Fleck“ – für Theodor Albert Friedrich <strong>Schneider</strong><br />

237


238<br />

„Lilli und Marleen auf Bühne 10“


Alcazar – Paris<br />

„Eine Fellinische Nacht in der Kunst-Hochschule“<br />

1976 fand eine Studienreise nach Paris statt, zu der alle Kunststudenten sämtlicher<br />

Ableger des Fachbereichs Freie Kunst eingeladen waren. So trafen bärtige Bildhauer<br />

auf Maler und Malerinnen sowie Studenten der Grafikklasse, in Begleitung ihrer<br />

Dozenten, per Bus nachts in Paris ein.<br />

Als erstes bekamen wir für das sehr enge, aber hohe und kleine Hotel die Instruktionen für den Notfall bei<br />

Feuerausbruch. Trotzdem wurde auf den Zimmern, alle mit abgewetzten Teppichen ausgestattet, gepafft, was das<br />

Zeugs (Hasch) in der Zigarettenpapier-Tüte hielt, und die Zimmerparties gingen querbeet bis zum Tagesanbruch.<br />

Schließlich waren wir in der Stadt von Toulouse-Lautrec und Gauguin. Am ersten Tag fand unter fachkundiger Führung<br />

unseres Grafik-Dozenten, die jedem Stadtführer alle Ehre gemacht hätte, ein Stadtrundgang zu Fuß statt. Neben den<br />

üblichen Sehenswürdigkeiten waren die Höhepunkte das Centre Pompidou und ein Besuch der Mona im Louvre. Natürlich<br />

versäumten wir auch nicht, bei Charbonelle vorbeizuschauen, dem berühmten Geschäft für Kupfertiefdruck-<br />

Farben sowie anderes edles Werkzeug zur Erstellung von Radierungen.<br />

Abends ging es dann in geschlossener Gruppe wieder unter Leitung unserer Dozenten durch das nächtliche Paris.<br />

Während ich mich tagsüber kaum daran stieß, waren doch überall solche Gruppen unterwegs, hielt ich nachts weniger<br />

davon, zumal die Interessen und Neigungen zu diesem Zeitpunkt stark auseinanderdrifteten. Endlich zogen sich die<br />

älteren Dozenten mit einigen Verehrerinnen in ein Promenadenbistro auf ein paar Flaschen Gewürztraminer zurück,<br />

so daß ich mit einem Inder, der in Hamburg zugestiegen war, und in Begleitung meines von mir favorisierten Dozenten<br />

in ein kleines Kult-Theater in Familienbesitz ging, wo wir uns das Ionesco-Stück „Die kahle Sängerin“ anschauten.<br />

Das kleine Zimmertheater war ein echtes Erlebnis. Danach dürstete ich jedoch – ohne Aufsicht und Vorschriften – nach<br />

Praxis statt Theorie, das hieß vor allem nach Körperkultur. Der Inder begleitete mich bei dieser Suche. Nach etlichen<br />

Negativ-Tests in diversen Bistros landeten wir durch den Tip eines CHARLIE CHAPLIN II, den wir am Montmartre kennengelernt<br />

hatten, im berüchtigten Club „Alcazar“ von Jean-Marie Rivière.<br />

In der Hoffnung auf eine Art „Crazy Horse Striptease-Show“ erlebten wir, was wir erst beim Schlußakt merkten,<br />

eine Travestieshow vom Feinsten. In der farbenkräftigen, flackernden Lichtshow war nicht auszumachen, daß es sich<br />

bei den Darstellern ausschließlich um keine richtigen Frauen handelte. Später sollte sich erweisen, daß wir dort doch<br />

zur rechten Zeit am rechten Ort waren, denn diese Shows im Stile Rivières überzogen bald ganz Europa und kamen drei<br />

Jahre später (!) sogar nach Kiel in Form eines Travestieshowclubs in der Flämischen Straße. Als ich am nächsten Tag<br />

meinem Dozenten, mit dem ich das Zimmer teilte bzw. zeitweise drittelte, erklären mußte, wo ich die Nacht gesteckt<br />

hätte, da er schließlich die Verantwortung trüge, konnte ich ihm die Show dermaßen schmackhaft schildern, daß er<br />

ebenfalls mit einigen aus der Gruppe ins Alcazar ging und begeistert davon berichtete.<br />

Zurück in Kiel inspirierte dieses Showerlebnis einige Studenten zur Umsetzung in Bilder. So entstand zum<br />

Beispiel auch meine Farbradierung „Lilli und Marleen auf Bühne 10“ (S. 238) unter diesen Eindrücken von unserem Paristrip.<br />

Diese Stimmung aufgreifend, beschloß ich mit zwei Kolleginnen meiner Grafikklasse und meinem Freund Boy<br />

239


eine Show dieser Art auf Amateurbasis zu realisieren. Bald waren 12 Jünger gefunden, die, aus allen Fachbereichen<br />

stammend, gerne mitspielen wollten, zumal sie erfahren hatten, daß kein Text gelernt werden mußte und auch nicht<br />

wirklich gesungen werden sollte; denn auch im Alcazar in Paris hatte es sich nur um eine verblüffend gelungene, synchrone<br />

Playbackshow gehandelt. Unser Spektakel,„Alka Salsa“ genannt, war auf einen Freitagabend angesetzt und per<br />

Mundpropaganda, wodurch sich sogar einige neue Paarungen an der Kunsthochschule ergaben, bekanntgemacht<br />

worden.<br />

Zu meiner Überraschung war um 19.00 Uhr der große Zeichensaal proppevoll, so daß bei mir schlagartig Lampenfieber<br />

einsetzte. Als mir dann noch alle Protagonisten absagten, da es ihnen wahrscheinlich genauso erging, war<br />

ich kurz vor dem Ausflippen. Sie baten mich um Verständnis, da sie doch nicht einmal geübt bzw. geprobt hätten. In<br />

der Tat hatte ich daran im Eifer des Planens und Organisierens nicht gedacht. Für jeden hatte ich seinen Part auf Zetteln<br />

niedergeschrieben, wie ich es noch heute zu tun pflege. Nur dem übermäßigen Druck, der durch diese Absagen entstand,<br />

ist es wohl zu verdanken gewesen, daß ich, obwohl völlig im Stress, nicht in Panik verfiel, sondern entschied, daß<br />

es keinen Weg zurück gab. Ich zog mich hinter den selbst gebastelten Vorhang aus Makulaturpapierbögen, der an<br />

einem Bindfaden hängend den Zuschauerteil auf gleicher Ebene von der Bühne und der Garderobe trennte, zurück und<br />

trank erst einmal ein Bier, derweil die Menge allmählich unruhig wurde.<br />

Ich rief Hanco, einem Architekten, zu, er möge den von mir aufgebauten Projektor anwerfen und das Licht<br />

löschen, um das Vorprogramm zu starten. Wir hatten einige Kurzfilme auf Super Acht vorbereitet, die auf den Papiervorhang<br />

geworfen wurden. Währenddessen gewann ich Zeit, um mich umzuziehen und neue Ordnung in mein Programm<br />

zu bringen. Als ich nach dem Ende der Filme, die ich mit Boy zu Lale Andersens „Wo die Nordseewellen...“ u.a.<br />

an der Außenförde aufgenommen hatte, zaghaften Applaus vernahm, legten sich meine Überforderungssymptome,<br />

und ich warf die mobile Stereoanlage an und startete das Playbackprogramm, das ich auf einer Musikkassette<br />

zusammengestellt hatte.<br />

Das Intro mit Frank Zappa’s „Help, I’m a rock“ begann, als eine Grafik-Studentin, „unsere Lütte“, hinter dem Vorhang<br />

zu mir kam und anbot, nun doch mitzumachen. Ein Glück! So konnte ich nach dem Intro nahtlos weitermachen,<br />

da die Nummer nur auf zwei Darsteller ausgelegt war. Also Papiervorhang zur Seite geschoben und raus!<br />

Es gab spontanen Szenenapplaus, hatten wir uns doch ruckzuck jeder zwei Tischtennisbälle in die Backen<br />

geschoben und Pantoffel vor die Knie geschnallt und watschelten nun auf Knien, Liliputaner darstellend, auf die<br />

Zuschauer zu und pusteten aus der Breitmaulöffnung Seifenblasen in die Menge, bis wir die Bälle herausspuckten. Vor<br />

Begeisterung johlend, überschüttete man uns mit Sekt, und als das Stück zuende war und wir in der Kassettenpause<br />

zwischen den Stücken den Vorhang wieder zuschoben, trafen alle Protagonisten dahinter ein und baten um Klamotten<br />

zum Verkleiden. Sie wollten jetzt alle mitwirken. Wieder überfordert, zeigte ich ihnen nur den Berg an Utensilien<br />

und Kleidungsstücken, die ich aus meinem Hippiezeitenfundus und der Garderobe von Inge, meiner Lebensgefährtin,<br />

einem Wellamodell und Mannequin, zusammengetragen hatte.<br />

Da auch Schminke vorhanden war, malten sich einige an, andere wieder zogen sich nicht um, sondern aus, selbst<br />

mein favorisierter Dozent sprang mit bloßem Oberkörper umher, einen „Bullworker“, eine Art Bodybuilding-Expander-<br />

Trainingsgerät, drückend, umher und zerriß den Papiervorhang, so daß wir ihn abschneiden mußten. Ich drückte die<br />

Starttaste, und ab ging die Post. Das Chaos war eh’ nicht mehr aufzuhalten, welchen Sinn sollte da ein Programm<br />

240


machen. Es lebe die spontane Improvisation! Schließlich waren wir an einer Kunsthochschule und nicht in einem<br />

Priesterseminar. Das Publikum hielt das jedoch für einen beabsichtigten Gag, was sich ihm hinter dem Vorhang bot.<br />

Vorne agierte ich mit Klampfe,„Kaspar“ von Reinhard Mey synchronisierend, ohne Laut zu geben, während hinter<br />

mir, da der Papiervorhang zerrissen war, eine andere Aufführung zur gleichen Zeit erblickt werden konnte. Grotesk,<br />

da die Musik teilweise zu beiden Szenen zu passen schien. Als „Erdbeermund, ich bin so wild nach deinem...“ von<br />

François Villon gesprochen von Klaus Kinski abgespielt wurde, kippte eine schwangere Elfe in die Szene, um dann in<br />

der Garderobe zu landen. Ein Dozent der Malerei kam als Heidi mit Zöpfen aus der provisorischen Garderobe dazu<br />

und spielte eine kleine Ukulele, während der andere, unser einarmiger Bandit, die ganze Zeit reglos, mit riesigem,<br />

schwarzen Hut und „Bobbycape“ aus London hinten an der Wand stand, um nur zu rufen:„Hier spricht Edgar Wallace“<br />

und „Uuuaaah!“. Es ging hoch her, und bald mischten sich die Programmstücke mit den Aktionen der Zuschauer, die<br />

immer mehr einbezogen wurden, so daß schließlich alle tanzten und eine tolle Party stattfand, zu der immer mehr<br />

Dozenten, sogar der Dekan, und Studenten aus anderen Klassen dazustießen, bis der Hausmeister uns hinauswarf,<br />

indem er den Strom abdrehte.<br />

Danach zog die Party-Truppe in die benachbarte Milchküche, wo Boy wohnte, gegenüber dem „Besan Schot“,<br />

unserer Künstler-Kneipe. Dort feierten dann über 100 Leute, auch Gäste aus dem „Besan“, weiter bis um 5 Uhr früh<br />

und tanzten zu meinen neuen Scheiben, die ich sonst als Discjockey im „Milli Vanilli“ an der Ostseehalle und im<br />

„Revolution“ in Gaarden auflegte. Da der Architekt und andere mit meiner alten Super-Acht-Kamera das Chaos gefilmt<br />

hatten, konnte diese Kult-ur-gie festgehalten werden. Nach fast 30 Jahren wurde nun das Filmmaterial wiederentdeckt<br />

als ein Kult- und Kunsthochschuldokument.<br />

Welcome to the Cabaret – Welcome to Alka-Salsa!<br />

Auf DVD erhältlich!<br />

Nicht im Handel.<br />

241


242<br />

„Nur eine normale Nervenkrise“


„Wachwandler“<br />

243


244<br />

„Holiday im Krisengebiet“


„Blicke“<br />

245


246<br />

„Kreative Pause“ – Hommage á David Hockney


„Jugendfrei“<br />

247


248<br />

„Happy Family“ Walkerling


„Toleranz“ – für den Jubiläumskalender der Investitionsbank<br />

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250<br />

„Gießereialltag“


„Souveränität“<br />

251


252<br />

„Gießer bei der Arbeit“


„Uwe Petersen“<br />

253


254<br />

„Angel y Gema“


„Padres de Angel“<br />

255


256<br />

„Zeitgenosse Landwirt“


„Der Segler Horst Mann“<br />

257


258<br />

„Bildnis einer feinen Dame“


„If Paradise was half as nice“<br />

259


260

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