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Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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echt & <strong>gesellschaft</strong>Eine Frage der Ehre?Die Sprache des RechtsanwaltesGeorg Eisenberger/Elisabeth Hödl..................................1. Dreiste Wortwahl...........................................Kürzlich hat der VfGH die Beschwerdeeines Rechtsanwaltes abgewiesen, 1 dersich in seiner Meinungsäußerungsfreiheit2 verletzt fühlte, weil ihm vorgeworfenwurde, er habe in einer Berufungsschrifteine unsachliche und beleidigendeSchreibweise gewählt. 3 DerRechtsanwalt hat folgende Formulierungbenutzt: „… darüber hinaus auch dasErstgericht jegliche Prinzipien derRechtsstaatlichkeit beiseite lässt und sicherdreistet, entgegen den ausdrücklichenAusführungen in den abgehaltenen Verwaltungsverfahrendas Verhalten des Privatanklägersfür unkorrekt zu empfinden“.Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission(OBDK) – jene Institution,die letztinstanzlich für die Aufsicht<strong>recht</strong>sanwaltlicher Standespflichten verantwortlichist – befand, es gebe keinesachliche Rechtfertigung dafür, die richterlicheUrteilsfindung und die in diesemZusammenhang vorgenommene Beweiswürdigungmit dem Ausdruck “erdreisten”zu apostrophieren. Eine derartigeWortwahl unterstelle dem erkennendenRichter Dreistigkeit, also Frechheit,Unverschämtheit und Hemmungslosigkeit.Das stelle eine unsachliche, aggressiveund beleidigende Schreibweise dar,welche nicht den Schutz zulässiger Kritikim Sinne der Meinungsäußerungsfreiheitgenieße. Diese standeswidrige Äußerungsei dem Erstrichter, dem Verteidiger undden mit der Erledigung der Berufung befasstenRichtern zur Kenntnis gelangt, seidemnach geeignet gewesen, die Ehre unddas Ansehen des Rechtsanwaltsstandeszu beeinträchtigen und stelle sohin eineBerufspflichtenverletzung dar.Natürlich stellt sich die Frage, ob esnicht überschießend ist, wegen eines Begriffeswie „erdreisten“ in einem aufKonfrontation ausgerichteten GerichtsverfahrenStrafsanktionen auszusprechen.Wenn ein Rechtsanwalt, der die Interessenseines Klienten mit aller Deutlichkeitvertritt, Angst vor Strafe habenmuss, kann dies im Ergebnis sehr wohlals Einschränkung der Meinungsfreiheitbetrachtet werden.1) VfGH 25.02.2003, B 1541/02.2) Art 13 StGG, Art 10 Abs 2 EMRK.3) Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission(OBDK) erkannteden Anwalt schuldig, das Disziplinarvergehender Beeinträchtigung vonEhre und Ansehen des Standes sowieeine Berufspflichtenverletzung begangenzu haben. Wie der VfGH schonmehrmals ausgesprochen hat (vgl VfSlg12.796/1991, 14.233/1995, 15.586/1999), genießen unsachliche und erkennbarbeleidigende Äußerungennicht den Schutz der freien Meinungsäußerung,da in einer demokratischenGesellschaft das dringende soziale Bedürfnisbesteht, das Ansehen derRechtsprechung zu wahren.4) Wie der Anwalt mit Hilfe desFremdwörterbuches von Mackensen/Holander (und nicht etwa Standardwerkender Deutschen Sprache, wiedem Duden, dem Deutschen Universalwörterbuch,dem Sachwörterbuch,dem Brockhaus/Wahring oder demDeutschen Wörterbuch) zu belegenversucht.2. Wie soll ich wissen, dass es dasist, was du meinst?In diesem Sinne beteuert der Beschwerdeführer,er habe entgegen der Auffassungder OBDK dem erkennenden Gerichtnicht Frechheit, Unverschämtheitoder Hemmungslosigkeit unterstellenwollen. Er sei viel mehr der Ansicht gewesen,mit dem Begriff erdreisten einewertneutrale Formulierung gewählt zuhaben. Sich erdreisten könne auch sichherausnehmen bedeuten, sich herausnehmensei eine andere Bezeichnung fürdas Wort anmaßen und dieses wiederumbedeute in Anspruch nehmen bzw sicherlauben. 4Bei dieser Fülle möglicher Bedeutungenfragt sich, wie der Rezipient einesTextes, in dem das Wort „erdreisten“verwendet wird, wissen kann, welcheBedeutung der Verfasser seinemText unterstellt bzw unterstellen will.Zu klären ist vorweg die Frage, wieSchriftsätze inhaltlich zu verfassen undzu interpretieren sind. Für die formalenAspekte eines Schriftsatzes bestehenhinreichende Regeln, deren Verletzungentsprechend sanktioniert wird. Für diesprachliche Umsetzung der inhaltlichenBelange <strong>recht</strong>sanwaltlicher Schriftsätzeexistieren derartige Regeln nicht. Esmuss daher auf allgemeine sprachlicheInterpretationsregeln zurückgegriffenwerden. Aus diesem Grund kann einRechtsanwalt jedenfalls nicht ohne weitereserwarten, dass der Rezipient seinesTextes jene Bedeutung des Wortes annimmt,die er seinen Zeilen (angeblich)unterstellt hat.Davidson beschreibt diese Problematikanhand eines Zwiegesprächs zwischenAlice im Wunderland und HumptyDumpty. 5 Alice sagt: 'Wie soll ich wissen,dass es das ist, was du meinst?' UndHumpty Dumpty erwidert: 'Du kannst esnicht wissen.' Wenn Humpty Dumptyweiß, dass Alice es nicht wissen kann,dann kann er es nach Davidson auch nichtbeabsichtigen, denn man kann nicht beabsichtigen,was man für unmöglich hält.Es kann also sein, dass jemand auf einebestimmte Weise verstanden werdenwill, ohne angemessene Gründe für dieAnnahme zu haben, dass er so verstandenwird. Umgekehrt – für den Rezipientender Botschaft – stellt sich die Frage, wasdieser jemand eigentlich meint. Niemandkann nach Davidson etwas prinzipiellUnverständliches meinen. Er muss demHörer (Leser) angemessene Mittel zurrichtigen Interpretation liefern.In Texten wie der vorliegenden Berufungsschriftmuss daher angenommenwerden, dass Begriffe auf eine Art verwendetund verstanden werden, die ihrVerständnis ohne allzu großen Aufwand 6ermöglicht. Vor dem Hintergrund des5) Siehe Glüer, Donald Davidson zurEinführung (1993) 165.6) Wie etwa dem aufwendigenNachschlagen in Wörterbüchern sowieder Berücksichtigung der rätselhaftenLogik des Beschwerdeführers, der erklärt,dass es einer allgemeinen Lebenserfahrungentspräche, dass “jedereinen negativen Begriff so verstehe,wie er ihn verstehen wolle, somit einWort, welchem im Fremdwörterbuchein neutraler und objektiver Sinn gegebenwerde, sowohl positiv als auch negativverstanden werden könne. Logischin diesem Zusammenhang sei allerdingsnur ein neutraler Begriff, wie“herausnehmen”, “in Anspruch nehmen”.Er betonte, dass jede negativeWortwahl, die dem erkennenden Richter“Dreistigkeit”, sprich “Frechheit undUnverschämtheit bzw Hemmungslosigkeit”vorwerfe, eine einseitige subjektiveNegativbeschreibung des Wortessei, welche nur von denjenigen Personenso aufgefasst werden könne, welcheder gesamten Berufung einen negativenInhalt unterstellen wollten.Seite 170 <strong>juridikum</strong> 2004 / 4

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