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seitenbühne Nr. 21 - Staatsoper Hannover

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oper ProszeniumDer Luxus der VielfaltVor mehreren Jahren fragte mich eine Sängerin, ob sie oder ihre Kollegin eine bestimmtePartie besser singe. Eine schwierige Frage, die mich beim Versuch, diplomatisch darauf zureagieren, in die Zwickmühle brachte. Doch schließlich antwortete ich wahrheitsgemäß:Beide sängen die Rolle zwar auf unterschiedliche Weise, aber gleichermaßen spannend interpretiert.In den mittlerweile über zwanzig Berufsjahren habe ich diese Aussage weder revidierennoch zurückziehen müssen. Ganz im Gegenteil empfinde ich sie als angemessener denn je:In einem großen Opernhaus wie <strong>Hannover</strong>, wo mehrere Besetzungen dieselbe Partie singen– die Gäste nicht zu vergessen, die im Krankheitsfall oder zu Galavorstellungen dazukommen– empfinde ich die unterschiedlichen Interpretationen als faszinierenden Luxus desOpernbetriebs.Dieser Luxus veranlasst auch Sie als Zuschauer dazu, mehrere Vorstellungen einer Produktionanzuschauen, um sie immer neu und anders erleben zu können. Zu den verschiedenenDarstellern kommen verschiedene Dirigenten, die ebenfalls jede Aufführung individuell färben.Ein und dieselbe Geschichte wird immer neu und nie zweimal auf gleiche Weise erzählt;jede Konstellation ist besonders und einzigartig.Als Studienleiter der <strong>Staatsoper</strong> arbeite ich in der Regel mit allen Sängerinnen und Sängerndes Ensembles an ihren Partien. Meine Aufgabe – und die von allen Repetitoren – bestehtdarin, dass die jeweilige Interpretation den Intentionen des Komponisten folgt: Tempo,Dynamik, Artikulation usw. müssen eingehalten werden. Denn nur so kann der Gesang aufder Bühne mit dem Orchester im Graben koordiniert werden, ohne dass es an allen Eckenwackelt und hakt. Bei den Einstudierungsproben stellt man aber sofort fest, dass jede Sängerinund jeder Sänger ihre oder seine Partie ganz individuell auffasst: Keine zwei Mimìssterben gleich und keine zwei Don Giovannis verführen auf dieselbe Weise. Und genau andiesem Punkt braucht es viel Fingerspitzengefühl, um diese subjektiven Herangehensweisenso im Zaum zu halten, dass die Sänger sich dennoch frei genug fühlen, ihre eigene,persönliche Interpretation zu gestalten.Ob und wie sehr diese Arbeit dem Repetitor gelingt, stellen wir Ihnen, liebe Leser und Besucherder Oper, bei jeder Vorstellung unter Beweis. Zum Gelingen jedes Opernabends tragenauch Repetitoren bei – in Besetzungszettel können Sie deren Namen unter MusikalischeEinstudierung und Musikalische Assistenz finden. Genießen Sie die Ergebnisse!IhrRobert RocheStudienleiter


02. 03 operStaatsorchesters <strong>Hannover</strong>375 Jahre NiedersächsischesStaatsorchester <strong>Hannover</strong>Konzerte im November und Dezember 2010WAGNER-GALABenefizkonzert von Rotary International fürYehudi Menuhin Live Music Now e.V. mitAuszügen aus Werken von Richard Wagner:Siegfried-Idyll, Lohengrin, ParsifalSolisten Christiane Iven (Sopran), Kor-JanDusseljee, Robert Gambill (Tenor), AlbertPesendorfer (Bass)Dirigent George Alexander Albrecht3. SINFONIEKONZERTManfred TrojahnHerbstmusik. Sinfonischer Satz(Uraufführung)Auftragswerk der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>Robert SchumannKonzertstück F-Dur für vier Hörner undOrchester op. 86Sinfonie <strong>Nr</strong>. 2 C-Dur op. 613. Kammerkonzert»Bläserquintette«Werke von Anton Reicha, Josef BuhoslavFoerster, Gustav Holst und Isang YunMit Vukan Milin (Flöte), Anke-Christiane Beyer(Oboe), Ralf Pegelhoff (Klarinette), Adam LewisFreitag, 12. November 2010, 19.30 Uhr(Horn) und Andreas Schultze-Florey (Fagott)Solisten Hornquartett des NiedersächsischenSonntag, 28. November 2010, 11 Uhr, HistorischerDirigent Wolfgang BozicSaal im PelikanViertelSonntag, <strong>21</strong>. November 2010, 17 UhrMontag, 22. November 2010, 19.30 UhrKurzeinführung jeweils 30 Minuten vor demKonzertDas 375-jährige Jubliäum des Niedersächsischen Staatsorchesters <strong>Hannover</strong> wird unterstützt vomNiedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, der Stiftung Niedersachsen undder Stiftung Niedersächsisches Staatsorchester <strong>Hannover</strong>.


Solistin Olga Scheps (Klavier)Dirigent Wolfgang BozicoperWEIHNACHTSKONZERT INHERRENHAUSENWolfgang Amadeus MozartSinfonie A-Dur KV 201Joseph HaydnKonzert für Violine und OrchesterC-Dur Hob. VIIa:lGeorg Friedrich HändelWassermusik HWV 348-3504. SINFONIEKONZERTAnton WebernSechs Stücke für Orchester op. 6Johannes Brahms Konzert für Klavier undOrchester <strong>Nr</strong>. 1 d-Moll op. 15Johannes Brahms/Arnold SchönbergKlavierquartett g-Moll op. 25,für großes Orchester gesetztNEUJAHRSKONZERT»STRAUSS UND MEHR«Werke von Johann Strauß (Sohn), JosefLanner, Franz von Suppé und Bernd AloisZimmermannMus. Leitung und Solistin Natalie Chee (Violine)Moderation Ulrich LenzSamstag, 11. Dezember 2010, 20 UhrDirigent Lothar KoenigsSonntag, 12. Dezember 2010, 17 UhrSamstag, 1. Januar 2011, 12 und 19.30 Uhrzugunsten der Stiftung NiedersächsischesSonntag, 19. Dezember 2010, 17 UhrStaatsorchester <strong>Hannover</strong>Montag, 20. Dezember 2010, 19.30 UhrKurzeinführung 30 Minuten vor dem Konzert


Ballettfolgen. Elf solcher Häuser existieren in London,als Elisabeth I. 1603 stirbt. Ihr NachfolgerJakob I. wird zum großen Förderer desSchauspiels und stellt es unter seinen persönlichenSchutz – bis 1642 die Puritanerüber die Parlamentsmehrheit verfügen unddas Theater verbieten.Elisabeth I.Die erfolgreichsten Stückeschreiber der elisabethanischenEpoche sind ChristopherMarlowe und William Shakespeare. Beidereflektieren in ihren Schauspielen die Zeit,in der sie leben, schaffen Figuren, die nichtmehr durch göttliche Fügung gelenkt, sonderndurch ihren Willen, ihre Gier, ihreEitelkeit angetrieben werden. WährendMarlowe schon im Alter von 29 Jahren ineiner Messerstecherei ums Leben kommt,steigt Shakespeare zum renommierten Autorauf. 1598 wird er vom Kritiker Francis Meresmit den Worten gefeiert: »Wie Plautus undSeneca bei den Römern als die besten Lustspiel-und Tragödiendichter galten, so istShakespeare bei den Engländern der hervorragendsteVertreter beider dramatischerGattungen. Hiervon zeugen für das Lustspiel:Die beiden Veroneser, Die Komödie der Irrungen,Verlorene Liebesmüh, Ende gut, allesgut, Ein Sommernachtstraum und DerKaufmann von Venedig; für die Tragödie:Richard II., Richard III., Heinrich IV., KönigJohann, Titus Andronicus und Romeo undJulia.«William ShakespeareShakespeare schreibt für die Bühne, deshalbsind seine Stücke Eigentum der Schauspieltruppeund existieren als Ganzes nur jeweilsim Exemplar des Souffleurs. Die erste gedruckteAusgabe erscheint 1623, siebenJahre nach seinem Tod. Sie enthält 36 Stücke,gegliedert in 14 Komödien, 10 Historienund 12 Tragödien – jedoch ohne chronologischeReihenfolge oder Datierung.Arnold Schönberg


06. 07 BallettDenis Piza und Hildur Elín Ólafsdóttir proben mit Jörg Mannes Ein SommernachtstraumEIN VERWIRRSPIELEin Sommernachtstraum von Jörg MannesJörg Mannes hat seit seinen Anfängen alsChoreograph eine Vorliebe für Handlungsballette,für die er gerne historische und literarischeVorlagen benutzt. Ein Sommernachtstraumist nach seinen Balletten Romeound Julia und Der Sturm Mannes’ dritte choreographischeAuseinandersetzung mit WilliamShakespeare.Brigitte Knöß Was findest du besondersschön und was besonders schwierig in EinSommernachtstraum?Jörg Mannes Er ist ein wunderschönes Verwirrspiel.Es gibt verschiedene Ebenen, zumeinen die des Hofes von Athen mit Theseusund Hippolytha, die der Liebenden Hermia,Helena, Lysander und Demetrius, die des Elfenreichsum Oberon und Titania und dieder Handwerker, zum anderen die des Tages,der Logik und der Vernunft, die derNacht, des Traums, der Verzauberung undder Liebe und die des Spiels im Spiel mitdem Theaterstück der Handwerker Pyramusund Thisbe. Diese Ebenen vermischen unddurchdringen sich, die Verhaltensweisenwerden bis ins Extreme gesteigert. Das istkompliziert und schwierig darzustellen. Dievielfältigen Emotionen muss man differenzierenund voneinander abgrenzen. Diesnicht mit Worten, sondern rein durch denTanz zu tun, ist schwierig, aber gerade darinliegt für mich der Reiz.Knöß Du spielst mit den Gegensätzen dieserunterschiedlichen Ebenen.Mannes Im Tanz muss man die Charakteredeutlich voneinander absetzen. Um die Unterschiede,aber auch die Verbindungen klarzu machen, gehe ich mit den einzelnenGruppen bewegungstechnisch anders um.Die Handwerker sind sehr rhythmisch undbewegungschorisch aufgebaut, sie tragenkeine Ballett- sondern Arbeitsschuhe. DieLiebenden dagegen sind viel freier und energetischfließender choreographiert. In bestimmtenMomenten der Verwandlung habendie Gruppen aber auch wiederGemeinsamkeiten, und das ist eigentlichdas zutiefst Menschliche.Knöß Die Figuren erleben im Laufe derHandlung Seiten an sich, die sie zuvor nichtkannten, die sie weit weg führen von ihrembisherigen Selbstbild.Mannes Ja, diese Verwandlung ist entscheidend.Im Traum, in der Verzauberung sindsie grundlegend anders als in ihrem normalenLeben, und sie machen Erfahrungen, diesie zuvor nicht kannten. Aber dann erwachensie wieder, um es zu vergessen.Knöß Denkst du nicht, dass die Erinnerungdaran, ein anderer gewesen zu sein, bleibt?Mannes Ja, tief in ihnen schon. Im Prinzipgeht es ja jedem so, jeder hat Träume, die ernicht greifen und begreifen kann ... Das istdas Großartige an Shakespeare, er erzähltGeschichten, die außerhalb unserer Erfahrungliegen, aber im Unbewussten mit unszu tun haben.Ein Sommernachtstraum (UA)Ballett von Jörg Mannesnach A Midsummer Night’s Dreamvon William ShakespeareMusik von Benjamin Britten, Frank Bridge undGeorg Friedrich HändelMusikalische Leitung Toshiaki Murakami ChoreographieJörg Mannes Bühne Florian Parbs KostümeAlexandra Pitz Dramaturgie Brigitte KnößBallett der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>Niedersächsisches Staatsorchester <strong>Hannover</strong>Öffentliche Generalprobe5. November 2010, 18.30 UhrPremiere 6. November 2010, 19.30 UhrDie nächsten Vorstellungen 14. und 20. November,10. und 30. Dezember 2010


operNeue Presse, 07.12.09»Weihnachten kann auch ganz schön lustig sein.Wenn da die Tänzer als dicke, extrafluffigeSchneebälle über die Bühne fliegen. Und Männerin Tütüs sind immer für einen Lacher gut, vorallem, wenn es so geschmackssicher wie in JörgMannes’ neuem Nussknacker passiert. Allein wiehier der berühmte Schneeflocken-Walzer vertanztwird, lohnt schon den Besuch.«BILD <strong>Hannover</strong>, 07.12.09»Karine Seneca trifft mit ihrer Darstellung der Mariemitten ins Herz.«<strong>Hannover</strong>sche Allgemeine Zeitung,07.12.09»Perfektes Zusammenspiel zwischen dem Orchesterund den Tänzern.«Nussknacker undMausekönigBallett von Jörg Mannesnach der gleichnamigen Erzählung von E.T.A. HoffmannMusik von Peter Iljitsch TschaikowskyMusikalische Leitung Andrea Sanguineti ChoreographieJörg Mannes Bühne Florian Parbs Kostüme Alexandra PitzDramaturgie Brigitte KnößBallett der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>Niedersächsisches Staatsorchester <strong>Hannover</strong>Solist Reynard Rott/Christine Balke (Violoncello)Wiederaufnahme 26. November 2010Weitere Vorstellungen 3., 17., 23. und 26. Dezember 2010Nussknacker und Mausekönig für Kinder 13. Dezember2010, 18 UhrDenis Piza ,nominiert für denDeutschen TheaterpreisDER FAUST fürdie »DarstellerischeLeistungTanz«


08. 09 operSylvia RothHeilsames GelächterProkofjews Opéra comique Die Liebe zu den drei Orangen»Immer, wenn wir lachen, überschreiten wirdas Reich des Bekannten und Vorhergesehenenin das Reich des Unbekannten unddes Unvorhersehbaren«, bemerkte der französischeSchriftsteller Georges Bataille einmal– und umriss damit sowohl die anarchisch-zersprengendeals auch erweiterndeKraft des Lachens. Eine Kraft, der es gelingt,Bestehendes zu Fall zu bringen und neueWelten zu öffnen. Ganz so, wie auch in SergeiProkofjews Oper Die Liebe zu den dreiOrangen.Ein Prinz, genauer: der Sohn des KönigsTreff, ist an zäher Melancholie erkrankt,wie eine dunkle Pestscheint sich die schwarze Galleüber sein gesamtes Wesenergossen zu haben. Einevom besorgten Vater herbeigerufeneBatterie vonÄrzten sieht sich nicht inder Lage, das kranke Gemützu heilen, zu verheerend ist dieDiagnose: »Großer Leberschmerz,großer Nierenschmerz,Schmerzen im Nacken,Schmerz in den Schläfen, dauerndeGelbsucht, ganz unmöglicheVerdauung, fortwährendes Schlucken,ein quälender Husten undSchmerz in der Brust, hartnäckig hohesFieber, wachsende Herzschwäche, fortgesetzteÜbelkeit, häufige Ohnmachten,schwarze Gedanken, schlimme Vorahnungen,Gleichgültigkeit, Verneinung desLebens, übergroße Ängstlichkeit, schwarzeMelancholie, ernste, hoffnungslose Erbärmlichkeit,eine unheilbare Art von hypochondrischerDepression«– sämtliche Medi k a m e n t edieses Unive r s u m smüssen angesichts eines solchen Katalogsvon Krankheiten kapitulieren. Und doch, justin dem Moment, in dem jegliche Hoffnung zuversiegen droht, findet der Zufall ein Mittel:Als der melancholische Prinz beobachtet,wie die böse Zauberin Fata Morgana in Gestalteiner alten Frau unfreiwillig stolpert,bricht er urplötzlich in schallendes Gelächteraus.Humoristischer BefreiungsschlagDieses Lachen ist es, das den Prinzen heilt;und dieses Lachen ist es, dem Prokofjeweine ausgetüftelte Komposition widmete.Erst ist es nur ein leises, zaghaftes Kichern,das er in der Partitur notierte, dann breitetsich das Lachen immer kraftvoller auf demNotenpapier und in der Kehle des Prinzenaus, auch die Orchesterbegleitung verstärktdie anfangs schüchternen Staccati nun aufklangvolle Akkorde, immer mehr Zwerchfell,immer mehr Crescendo wird eingesetzt, bisschließlich der gesamte Hofstaat erleichtertin das große, erlösende»Hahaha« einstimmt. Wie einenalles ergreifenden Befreiungsschlaghat Prokofjew dieseLachsalve komponiert, so, alssei die ganze Gegenwart plötzlichaus ihrer Erstarrung gelöstund zum Leben erweckt worden.Nur eine lacht nicht mit: Fata Morgana. Gekränktüber die Demütigung, als unfreiwilligeProtagonistin einer Vorführung vorgeführtworden zu sein, verdammt sie denPrinzen dazu, sich in drei Orangen zu verlieben.Und tatsächlich: Innerhalb von Sekundenentflammt der junge Mann in unsterblichemBegehren und kennt keinen anderenGedanken mehr, als die drei Orangen zu suchen.Wobei sich Fata Morganas Absicht derBestrafung ins Gegenteil verkehrt, der Fluchentpuppt sich als Chance, denn – ähnlich


operwie Bataille es in seinem Zitat beschreibt –hat sich mit dem Gelächter eine neue Weltfür den Prinzen geöffnet.Anarchie der CommediaEine verrückte, bizarre Welt ist es, durch dieder Prinz bei seiner Suche nach den Zitrusfrüchtengeht. Nichts ist dort mehr an seinemPlatz. Die Dinge führen ein eigenes Lebenjenseits der Logik,Nebensächliches ist bedeutsam,Wichtiges istunwichtig: Ein Suppenlöffelwird zur existenziellenBedrohung, einunscheinbares Seidenbändchenrettet Leben,aus Orangen steigenschöne Frauen, kurz: Anarchieherrscht in des Prinzen neuerWelt. Anarchie ist auch ein zentrales Mittelder Commedia dell’arte, die Prokofjews19<strong>21</strong> uraufgeführter Oper zugrunde liegt.Zwar existiert in den Stücken der Commediaeine vorgegebene Dramaturgie, ein groberHandlungsfaden – doch von diesem Gerüstabgesehen, entsteht das Stück im Wesentlichenaus der Improvisation, die Schauspielergestalten es aus dem Moment herausund erfinden das Werk somit immer wiederneu.Diese Bedeutungsverschiebung vom Autorauf die Darsteller, diese Verlagerung auf diespontane theatrale Inspiration war es, dieden russischen Theatermacher WladimirMeyerhold faszinierte, als er sein 1914 indie Welt gerufenes Theatermagazin nacheinem Werk der Commedia dell’arte taufteund Die Liebe zu den drei Orangen oderDoktor Dapertuttos Magazin nannte. In derersten Ausgabe veröffentlichte erden Nachdruck jenes Stückes, dasdem Journal seinen Namen gab:Carlo Gozzis L’amore delle tre melarance ausdem Jahre 1761, ein Entwurf, von dem – derTradition der Commedia dell’arte entsprechend– lediglich ein Gerüst überliefert ist,eine 32-seitige »Analisi riflessiva«, welcheMeyerhold ausarbeitete. Sein Interesse andem Stück hatte einen klaren Hintergrund:Hatte Gozzi mit seinen drei Apfelsinen im18. Jahrhundert eine Kampfansage an dasmoralische Theater Goldonis formuliert, wares für Meyerhold zu Beginn des 20. Jahrhundertsein willkommener Anlass, die eigeneAblehnung des bürgerlichen Illusionstheaterskonzeptionell und historisch zuunterfüttern.Gegenentwurf zur LiteraturoperAuch Prokofjew scheinen ähnliche Fragenbeschäftigt zu haben, als er sich 1918 – anlässlicheines Auftrags der Oper in Chicago– auf Meyerholds Journal und den Orangen-Stoff besann. »Das Stück Gozzis reizte michsehr wegen seiner Mischung aus Märchen,Scherz und Satire und, was die Hauptsacheist, wegen seiner szenischen Wirksamkeit.Man hat festzustellen versucht, über wenich lache, über das Publikum, über Gozzi,über die Opernform oder über diejenigen,die nicht zu lachen verstehen. Ich verfassteeinfach ein fröhliches Schauspiel«, erinnertesich der Komponist später in seiner Autobiographie.Doch so sehr er auch seinen künstlerischenImpetus nachträglich zu neutralisierensuchte, die Polemik seines Werkesgegen Pathos und Geniekult ist unübersehbar,der Angriff gegen die Opernästhetikseiner Zeit mehr als deutlich: »An die Stellelangwieriger lyrischer Ergüsse und Betrachtungentritt hier das dreist schreiende Plakat,an die Stelle komplizierter dramatischerKollisionen treten Improvisationenvon Masken, an die Stelle vonRomantik und Mystik gutherzigeTheatermagie, die niemanden zu täuschenversucht«, umschrieb es die MusikwissenschaftlerinSigrid Neef.Tatsächlich verbirgt sich hinter dem scheinbarharmlosen Märchenstoff eine eigeneKunstkonzeption. Eine Identifikation mit denFiguren ist nur zu einem geringen Gradmöglich, ähnlich wie in der Commedia sindsie nur Typen, Holzschnitte, die sich permanentverändern. Fortwährend bricht Prokofjewdie Handlung auf, offenbart ihre theatralischeHerkunft und verwehrt somit dieFlucht in die Illusion. Ähnlich scheint auchdie Musik die Maskerade des Improvisationstheatersnachzuspielen: Aus unzähligenkleinen Mosaiken zusammengesetzt,verweigert sie die große emotionale Linie,flickt sich aus Fetzen zusammen, die die Traditionparodieren und auslachen. Die Sängertragen keine elegischen Melodien vor, sondernparlieren, die Instrumente malen nicht,sondern charakterisieren. Rasante Schnittewie im Film lassen es nicht zu, sich auszuruhen,das Kaleidoskop, das Prokofjew schuf,dreht sich fortwährend – wie ein einzigesgroßes, nicht greifbares Gelächter kommtdiese Partitur daher.Eskapismus und virtuelleWelten»Immer wenn wir lachen überschreiten wirdas Reich des Bekannten ...« – auch der ungarischeRegisseur Balázs Kovalik thematisiertmit seinem Blick auf Prokofjews Musiktheatereine Grenzüberschreitung, eine, diesich bei Jugendlichen im Umgang mit virtuellenWelten vollzieht. Anhand des Prinzenerzählt er die Geschichte eines jungen Menschen,der Angst vor dem Leben, Angst vordem Erwachsenwerden hat und sich in dieWelt seiner Computerspiele flüchtet. Indieser Welt gibt es Zauberer, die einanderbekriegen, Superhelden, die in


KantinenplauschKatharina RupprichSchnell und schmackhaftKantinenplausch mit Albert PesendorferZum Operngesang kamAlbert Pesendorfer erstrelativ spät und durcheinen glücklichen Zufall,wie er sagt. Zunächststudierte er Querflöte undPädagogik. Seine beruflichenVorstellungen warenweit entfernt von Bühne undRampenlicht. Im Rahmen einerHospitanz im Gesangsfach entdeckteer mit 25 Jahren seine Leidenschaft für dasSingen und entschied sich schließlich fürein Gesangsstudium in Linz und Wien.In <strong>Hannover</strong> fühlt sich der lang gewachseneÖsterreicher – Albert Pesendorfer ist fastzwei Meter groß – sehr wohl. Schön findeter, dass die Stadt sehr viele Grünflächen hat,denn wenn er mal nicht auf der Bühne steht,im Zug oder im Flugzeug sitzt, dann bewegter sich sehr gerne draußen in der Natur.So gerne er auch in <strong>Hannover</strong> wohntund lebt (»ich bin jetzt schon fünfJahre hier, so lange war ichnoch nie an einem Opernhaus«),so freut er sich dochimmer wieder, nach Österreichzu fahren, um dortZeit mit seiner Tochter zuverbringen, die in Linz zurSchule geht.Wenn die Zeit dafür bleibt,fährt er im Winter in Österreichmit seiner Tochter Ski.Ansonsten ist sein Lebensmotto,immer alles mit genügendRuhe und Gelassenheit anzugehen.Noch am Abend nachunserem Kantinenplausch singter passend zu seiner großen Erscheinungden Riesen Fasolt in Das Rheingold. VonStress jedoch keine Spur: »Ich bin sehr lockerund genieße den Beruf einfach. Nichtzu viel stressen lassen!«, sagt er und rührtdabei gemächlich in seinem Espresso.In der Oper fühlt sich der Bass vor allem inPartien von Wagner, Verdi und Mozart zuHause. Gerade diese Spielzeit bedient vieleseiner musikalischen Vorlieben. In der Wagner-Galazugunsten von Yehudi MenuhinLive Music Now ist er am 12. November alsGurnemanz im Parsifal zu erleben. SeineLeidenschaft für die Opern Mozarts kommtmit der Rolle des Sarastro in Die Zauberflöteund der Partie des Osmin in Die Entführungaus dem Serail ebenfalls nicht zu kurz. Eineseiner Lieblingspartien ist Hans Sachs in DieMeistersinger von Nürnberg, welche er indieser Spielzeit mit viel Freude im LandestheaterLinz präsentieren kann. »Das ist dielängste Gesangspartie einer Oper überhaupt«,und grinsend fügt er hinzu: »Siedauert mit zwei Stunden und zwanzig Minutenso lang wie der gesamte Rigoletto«.Während Albert Pesendorfer in der Operlange und ausgedehnte Partien liebt, musses für ihn in der Küche eher schnell gehen.Zum Kochen bleibt ihm meist wenig Zeit,und so müssen die Gerichte ganz einfachzwei wichtige Kriterien erfüllen: Kurz in derZubereitungszeit und schmackhaft sollen siesein. Mit »Krautfleckerl« bringt der gebürtigeÖsterreicher ein Rezept aus seiner Heimatmit, genauer gesagt, ein Rezept von seinerOma. Hier und da hat seine Oma das Rezeptnoch verfeinert. »Die Idee mit dem Mozzarellaist aber von mir!«, schließt er schmunzelnd.Krautfleckerl von OmaZutaten (für 4 Personen)750 g Weißkohl___300 g Nudeln (Fleckerl, quadratischeoder auch gedrehte Nudeln)___1 EL Zucker___1 Zwiebel___100 ml Rinderbrühe___Schweineschmalz___Kümmel___Salz___Pfeffer(aus der Mühle)___Knoblauch___MozzarellaDas Kraut putzen, vierteln und den Strunk entfernen.Die Krautviertel ein paar Mal durchschneiden.Flach auf das Schneidebrett drückenund in nicht zu große Quadrate (ambesten in der Größe der Fleckerl) schneiden.Die Zwiebel fein hacken. Die Fleckerl in reichlichSalzwasser al dente kochen. 4 EL Schmalzerhitzen. Die Zwiebeln darin andünsten. DenZucker darüber streuen und leicht karamellisierenlassen. Der Karamell darf nicht zu dunkelwerden, weil er sonst bitter schmeckt.Das Kraut unter die Zwiebeln mengen. In Butterdurchrösten. Mit Rinderbrühe aufgießen.Mit Salz, Pfeffer und frisch gemahlenem Kümmelwürzen (gerne auch mit Curry oder Paprikapulver).Zugedeckt weich dünsten. Falls nötig,noch etwas Brühe oder Wasser nachgießen.Die Fleckerl mit dem Kraut gut vermengen und abschmecken.Tipp von Albert Pesendorfer: Mozzarellaschneiden und untermengen. Lecker!!


12. 13 Junge operMit dem Mischpult in die OperDie DJ und Komponistin Alexandra Holtsch im Gespräch mit Dramaturgin Dorothea HartmannSamples und barocke Schlager, Rap und Arrangements von Benjamin Britten: Die Junge Oper<strong>Hannover</strong> geht mit einem wilden musikalischen Mix an den Start ihrer ersten Spielzeit. Gemeinsammit Sängern der <strong>Staatsoper</strong>, Jugendlichen aus städtischen Jugendzentren und einer Banddes MusikZentrums <strong>Hannover</strong> entwickelt die Komponistin und DJ Alexandra Holtsch eine neueVersion von John Gays The Beggar’s Opera.Dorothea Hartmann Du bist DJ und Komponistin.Was verstehst du unter beiden Berufsbezeichnungen?Alexandra Holtsch Die Berufe liegen fürmich sehr nah beieinander. DJing ist eigentlichauch eine Komponistentätigkeit, weilman verschiedene Musiken zusammenfügtund daraus etwas Neues entsteht. Ähnlicharbeite ich auch beim Komponieren, wennich Samples benutze, um meine Kompositionenmit unterschiedlichen Energien, Farbenund Stimmungen zu ergänzen.Hartmann Wie bereitest du dich auf einenAbend als DJ vor?Holtsch Da ich Vinyl auflege – was heutzutageein bisschen retro ist, denn manschleppt Platten mit sich herum, die eigentlichauch auf eine kleine Festplatte passen–, ist das Aussuchen natürlich ein wichtigerVorgang. Ich wähle die Musik aus für einenbestimmten Ort und den Inhalt der Veranstaltungund versuche, darauf zu reagieren.Hartmann Zum Beispiel?Holtsch Ich habe mal in einem Pariser Clubaufgelegt. Ich wollte auch an die französischeMusik anknüpfen und habe mir französischeD’n’B- und HipHop-Platten gekauft.Das muss erstmal sein, denn ich kann als DJja nicht ignorant und stur meinen persönlichenGeschmack durchziehen. Dabeimerkte ich, dass in Paris – im Gegensatz zuBerlin – ein sehr viel weicherer, kommerziellererund süßlicherer Musikgeschmackherrscht.Hartmann Was heißt das?Holtsch Dass bei den Franzosen die Instru-


Junge opermentierung und das Schlagzeug wenigerhart und bös’ sind.Hartmann Die Berliner sind böser?Holtsch Wesentlich böser. Ich war ja schonin ganz unterschiedlichen Städten unterwegs:Die Berliner gehören in Europa zu denBösesten. Ich sage immer: Härtha-Berlin.Hartmann Und dann kamst du nach Parismit deiner bösen Berliner Sammlung? Hastdu den Anspruch, als DJ auch aufzumischen?Holtsch Klar. Provokation gehört dazu. Manmuss die Leute natürlich auch gewinnen miteiner ihnen vertrauten Musik. Später kannman dann etwas auflegen, das wenigermainstream ist und was vielleicht meinemganz persönlichen Lebensgefühl entspricht.Dazu gehört das Hinterfragen von Themen,der Welt, des Lebens, des Sterbens. Das bedeutetatmosphärisch auch Härte und Düsterheit.Hartmann Was heißt das musikalisch?Holtsch In der Elektronik sind das die tiefenTöne, die Subbässe und der verstärkte Einsatzvon Geräuschen. Es können auch verrückteSounds sein wie Intros mit Anrufbeantworter-Aufnahmenund vermorphtenTexten von Adorno bis Zuckmayer. Oftmische ich das mit Klassik-Samples, vonSchubert bis Wagner oder Strawinsky.Hartmann Du sprachst von einer Düsterheitals einem persönlichen Lebensgefühl. Istdeine Sicht auf die Welt eine pessimistische?Holtsch Düster manchmal schon. Pessimistischnicht. Ich finde nur, dass zu wenig darübernachgedacht wird, dass alles endlichist, dass man nicht immer nur gut drauf seinkann, dass die Welt nicht gut drauf ist, dasses Kriege gibt, Atomkraft, was auch immer.Das klingt so natürlich platt und profan, aberich versuche, solche Gedanken in der Arbeitals DJ ganz konkret mit meiner Musikauswahlauszudrücken und tanzbar zu machen.Das ist natürlich das Wichtigste und auchdas Positive: dass alles tanzbar ist.Hartmann Eine düstere Welt wird auch inThe Beggar’s Opera gezeigt. Das Stück wirdseit fast dreihundert Jahren immer wiederganz unterschiedlich musikalisch bearbeitet.Du verwendest eine Band und Elektronik.Warum?Holtsch Der Stoff ist nach wie vor absolutaktuell. Und da versuche ich, auch über dieMusik das Stück noch näher an uns heran zuholen. Ich füge z.B. bestimmte Melodiefolgen,die auf der Gitarre etwa nach demBlues-Schema gespielt werden, in die barockenSchlager ein. Diese alten Melodiensind übrigens sehr viel komplexer als diemeiste Musik, die wir heute so konsumieren.Hartmann Aber es waren doch bekannteLieder, ja regelrecht Schlager der Zeit, diejeder mitsingen konnte.Holtsch Daran kann man merken, wie simpeldie Musik heute geworden ist. Das mussnicht unbedingt gleich schlechter heißen.Aber Johann Strauß halte ich für weitauskomplexer als z.B. Modern Talking.Hartmann Siehst du eine grundsätzlicheEntwicklung, dass musikalische Struktureneinfacher werden?Holtsch Nur teilweise. In der zeitgenössischenE-Musik, in der sogenannten Avantgarde,beobachte ich eine ganz andere Bewegung:Verkopfung und Intellektualisierung.Da werden bei mir durch die Musik wenigEmotionen geweckt.Hartmann Du hast auch Ausflüge in solcheAvantgarde-Zirkel gestartet und im Auftragder Biennale für Neues Musiktheater Münchengearbeitet …Holtsch Das Projekt hat uns allen viel Spaßgemacht, und ich glaube, dem Publikumauch. Die Leitung hielt sich eher bedeckt …Hartmann Wie sah das Projekt aus?Holtsch Aus über 50 musikalischen Schnipselnvon Arvo Pärt, Steve Reich bis HelmutLachenmann habe ich die für mich interessantesteMusik auf Platte pressen lassen unddamit in einigen Sessions zu D’n’B Tracksgescratched. Dann baten wir die Sänger insStudio, um von ihnen selbst ausgewählteArien aufzunehmen. Daraus habe ich dannein Musiktheater zusammengeschnitten. Ichhabe aus verschiedenen Takes unterschiedlicheTemperaturen zusammengestellt, notiertund das neu entstandene Material andie Sänger zurückgegeben.Hartmann Das ist eine völlig andere Arbeitsweiseals die eines »klassischen« Komponisten.Holtsch Genau das interessiert mich. ImSchauspiel gibt es diese Form der Stückentwicklungmit Darstellern ja schon länger.Wenn ich Solisten mit einer ausgeprägtenPersönlichkeit habe, dann kann ich ihnendoch auch zutrauen, dass sie mir ihre eigeneWelt zeigen – musikalisch und gedanklich.Das finde ich spannend: Der Sänger gibt miretwas von sich, und ich überlege, wie ich eseinbaue, mische, neu zusammenstelle. Dannist der Bezug des Sängers zur Musik nochviel größer.Hartmann Ähnlich hast du in The Beggar’sOpera bei einer Nummer auch gearbeitet.Holtsch Es gibt eine rein elektronischeNummer für Jenny, die wir neu eingefügthaben. Dafür kam die Sängerin ins Studiound hat mir ihre Lieblingsarie eingesungen.Wir haben ihre Töne zerschnitten, neu sortiert,umgetextet und dazu eine völlig neueelektronische Begleitung für Band entwickelt.Hartmann Es gibt noch eine dritte musikalischeEbene in The Beggar’s Opera: dreiJugendliche, die rappen. Wie bringst du diestilistisch unter?Holtsch Das ist für mich das eigentliche»crossover« bei diesem Projekt. Denn ichversuche, die drei Rapper in eine andereRichtung zu locken. Das heißt konkret, dasssie sich von ihrer eigenen Struktur wegbewegenund nicht nur im HipHop üblicheSamples reinbasteln wie Sprachsamplesoder Schnipsel aus einem bekannten Lied,sondern Material aus der Oper verwenden.Das bedeutet dann etwa eine Umstellungvon traditionell gerappten 8 Takten auf 6.Denn die Vorlage ist ein barockes Lied mit


14. 15 Junge opereinem groove und einer Melodieentwicklungin Gitarre und Bass, die eben 12 Taktehat. Da müssen die Rapper umdenken. Dassind kleine Irritationen und eine schöneHerausforderung für die Jungs. Sie nehmendas gerne auf. Das finde ich schön, wenn soein wirkliches crossover passiert.Hartmann Du gibst sehr viel von dir in dieseProduktion. Gibt die Oper andersherum dirauch etwas?Holtsch Opern mag ich grundsätzlich gerne– sie sind halt nur manchmal sehr lang ...Von einer guten Oper kann ich mich verzaubernlassen und das Hirn ausschalten. Didoand Aeneas von Henry Purcell zum Beispielist eine meiner Lieblingsopern. Ich finde daimmer wieder Bezüge zur elektronischenMusik. Oder Domenico Scarlatti: Das ist fürmich der erste Punker überhaupt. In seinenCembalo-Sonaten sind Riffs drin, da höreich den Punk durch. Die werden heute vonmanchen Leuten gespielt, als hätten sie dieseneu erfunden. Doch das war alles schonda! Ich sehe mich in dieser Hinsicht auch alseine Recycling- und Verteiler-Maschine:Denn es ist doch schade, wenn man gewisseSchätze nur an einen bestimmten Gesellschaftsteilweiter gibt und z.B. nur das sogenannteBürgertum Didos »Remember me«kennen lernt. Es ist mein Anliegen, dassman gute Musik viel breiter streut. So sucheich als DJ und Komponistin nach Nischen,verschiedenste Dinge zusammen zu bringen.Eröffnungspremiere der Jungen Oper <strong>Hannover</strong>: The Beggar’s OperaDie Eltern Peachum machen sich keine Illusionen: Die Liebe? Ehrliche und romantische? –Gibt es nicht! Nächstenliebe? – Fehlanzeige! Und der Staat, die Politiker? – Ein Verein bestechlicherBeamter. In der Welt der Peachums ist sich jeder selbst der Nächste, dreht kleinekrumme Dinger und heiratet – wenn überhaupt – aus Berechnung. Doch Peachums TochterPolly hat sich verliebt, und mit allen Mitteln versuchen die Eltern, den neuen Freund Macheathwieder loszuwerden.John Gays The Beggar’s Opera war bei der Uraufführung 1728 ein Skandalerfolg: eine bissigeSatire auf die Doppelmoral der Bürgerlichkeit, den aufkommenden Kapitalismus, diekorrupte Staatsmacht – und ein Angriff auf die Künstlichkeit und das Sängervirtuosentumder Barockoper. Die Underdogs der Gesellschaft erzählten aus ihrem Leben mit einfachenLiedern, denen beliebte Melodien zugrunde lagen. Hochkultur und populäres Unterhaltungstheatergingen frech Hand in Hand und sorgten für ausverkaufte Häuser.Im 20. Jahrhundert erlebte The Beggar’s Opera eine grandiose Wiedergeburt in Brecht/Weills Dreigroschenoper, und etliche andere Komponisten und Autoren, von Britten überMilhaud bis zu Rainer Werner Fassbinder, schufen eigene Versionen. Bis heute hat dieBeggar’s Opera nichts von ihrer Aktualität eingebüßt: verlorenes Vertrauen in den Staat,resignierender Rückzug ins Private, Auswüchse des Kapitalismus, Generationenkonflikteund die ewige Suche nach der wahren Liebe.The Beggar’s OperaMusiktheater für alle ab 14 Jahrenvon Johann Christopher Pepusch/BenjaminBritten/Alexandra Holtschnach John Gays The Beggar’s Opera (1728)Musikalische Leitung Andrea Sanguineti MusiKAlischeBearbeitung Alexandra Holtsch InszenierungDagmar Schlingmann Choreographie KatrinHelmerichs-Naujok Bühne Sabine Mader KostümeInge Medert Dramaturgie Dorothea HartmannTheaterpädagogik Eva Bessert-Nettelbeck PädagogischeLeitung Oliver Thiele, Cornelia Piassek,Friedhelm Seeberg (Landeshauptstadt <strong>Hannover</strong>)Polly Tiina Lönnmark Lucy Denise Fischer Mrs.Trapes/Jenny Neele Kramer Mrs. Peachum CarolaRentz Mr. Peachum Roland Wagenführer MacheathMichael Chacewicz Münzen-Mathis Seong-Soo RyuLockit Daniel EggertProjekt-Jugendchor der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>, u.a.mit Jugendlichen des JZ Mühlenberg & FBZ WeißeRose Mühlenberg Band Jugendliche des Musik-Zentrums <strong>Hannover</strong>Niedersächsisches Staatsorchester <strong>Hannover</strong>In Zusammenarbeit mit und mit freundlicherUnterstützung von der Landeshauptstadt <strong>Hannover</strong>,Bereich Kinder- und Jugendarbeit, dem Musik–Zentrum <strong>Hannover</strong>, der Stiftung <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>und der Stiftung Niedersächsischer Volksbankenund Raiffeisenbanken.Premiere 7. November 2010, Ballhof EinsWeitere Vorstellungen 14., 19. und 28. November,8. und 18. Dezember 2010, 16. Januar, 5. Februar,27. März 2011


KantinenplauschGuys and DollsMusical von Frank LoesserMusicalzentrale, Dezember 2008»Ganz großes Kino in der Oper.«Musikalische Leitung Lutz de Veer Inszenierung Matthias Davids Bühneund Projektionen Mathias Fischer-Dieskau Kostüme Judith Peter ChoreographieMelissa King Chor Dan Ratiu Dramaturgie Ulrich Lenz<strong>Hannover</strong>sche Allgemeine Zeitung, 13.10.08»Guys and Dolls ist viel mehr als die pflichtschuldige Erledigungder ›leichten‹ Produktion der Saison. Es isternsthaft großes Theater.«Neue Presse, 13.10.08»Das Niedersächsische Staatsorchester unter Leitungvon Lutz de Veer liefert zu Matthias Davids’ temperamentvollerInszenierung eine Swingfonie, großstädtischhitzig und dabei so soundmächtig, dass man all dierockband- und tonbandbegleiteten Singspiele seinesLebens mit einem Schlag vergisst.«Nathan Detroit Roland Wagenführer Miss Adelaide Tracy Plester SkyMasterson Ulrich Allroggen Sarah Brown Ania Vegry Ambrosius AbernathyEdgar Schäfer Nicely Nicely Johnson F. Dion Davis EinbahnstrassenbennyStefan Zenkl Rostkopp-Charly Ivan Turšić General MatildaB. Cartwright Carola Rentz Big Jule Allan Evans Harry, das Ross ThomasChristBallett, Chor und Statisterie der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>Niedersächsisches Staatsorchester <strong>Hannover</strong>Wiederaufnahme 9. Dezember 2010Weitere Vorstellungen 14. und 31. Dezember 2010, 6., 15., 23. und28. Januar 2011


16. 17 konzertAnna VogtKollegen im GeisteSchönberg und Brahms im 4. Sinfoniekonzert»Ich lege nicht so sehr Gewicht darauf, einmusikalischer Bauernschreck zu sein, alsvielmehr ein natürlicher Fortsetzer richtigverstandener, guter, alter Tradition«, schriebArnold Schönberg am 9. Juli 1923 an denMusikmäzen Werner Reinhart. Schönberg,der in der Rezeption vor allem als der »Fortschrittliche«,der »radikale Erneuerer« gesehenwurde, bezog seine künstlerische Energieschon immer auch aus der Vergangenheit,aus den Werken von Bach und Mozart, aberauch von Beethoven, Brahms und Wagner.Schönberg hatte seit seiner Jugend seinsatztechnisches und formales Verständnisan den großen Vorbildern geschult, indemer ihre Werke bearbeitete und instrumentierte.Für den jungen Komponisten war dieszunächst auch eine willkommene Einnahmequelle:Mit Arrangements von Operetten unddem Ausschreiben von Klavierauszügenkonnte er so sein Überleben als Künstler sichern.Vor allem in den 1920er und 1930erJahren entstanden mehrere Bearbeitungenvon Kammermusikwerken für großes Orchester,in denen er, trotz aller Verehrungfür die Originalwerke, auch seine ganz eigenenKlangvorstellungen realisierte.Otto Klemperer war es, der Arnold Schönbergim Frühjahr 1937 in Los Angeles, wobeide einer Künstler-Gemeinde aus Gegnernund Opfern des Nationalsozialismus angehörten,zur Bearbeitung von Brahms’berühmtem Klavierquartett g-Moll op. 25anregte. Schönberg, schon immer ein»Brahmsianer«, wie er gerne bekannte, warschnell überzeugt und erklärte seine Motivationfür die Bearbeitung in einem Brief anden Kritiker Alfred Frankenstein am 18.März 1939 mit der lapidaren Aufzählung: »1.Ich mag das Stück. 2. Es wird selten gespielt.3. Es wird immer sehr schlecht gespielt, weilder Pianist, je besser er ist, desto lauterspielt, und man nichts von den Streichernhört. Ich wollte einmal alles hören, und dashabe ich erreicht.« Das Arrangement entstandin nur wenigen Monaten, zwischendem 2. Mai und dem 19. September 1937,obwohl es in seinen Dimensionen einergroßen spätromantischen Sinfonie gleicht –nicht ohne Grund nannte Schönberg es imRückblick stolz »Brahms´ Fünfte Sinfonie«.Otto Klemperer, der die Uraufführung am 7.Mai 1940 dirigierte, war begeistert: »Manmag das Originalquartett gar nicht mehr hören,so schön klingt die Bearbeitung«.Schönberg hielt sich zwar streng an die Instrumentationsregelnseines älteren KollegenBrahms und übernahm natürlich auch dieviersätzige Form mit einem beschwingtenersten Satz, einem Intermezzo, einem lyrischenAndante und einem feurigen Rondoalla zingarese als Schlusssatz. Die wohl gravierendsteÄnderung in Schönbergs Fassungist jedoch das Fehlen des Klaviers, das inBrahms` Quartett eine dominante Rolle eingenommenhatte. So entsteht eine völligneue Klangwirkung, und die kammermusikalischenFeinheiten der Originalvorlagetreten zugunsten einer klanglichen Tiefenwirkungdurch die große Besetzung in denHintergrund. Es ist Brahms durch die Brillevon Arnold Schönberg, und dadurch einWerk, das Grenzen überschreitet: Grenzenzwischen Epochen und Grenzen der Form.So wird aus dem intimen kammermusikalischenWerk ein großes spätromantischesOrchesterwerk, quasi eine Zusammenarbeitzweier Kollegen im Geiste.Auch Brahms´ 1. Klavierkonzert könnte manfast als eine weitere seiner Sinfonien bezeichnen,so dominant und selbstbewusstgibt sich das Orchester in diesem groß angelegtendreisätzigen Werk. Das Konzert entstandim Jahr 1854, nur wenige Jahre nachBrahms´ 1. Klavierquartett und kurz nachdem Selbstmordversuch seines FreundesJohannes BrahmsArnold Schönberg


konzertRobert Schumann. Zu dessen Frau, der großartigenPianistin und Komponistin ClaraSchumann, hatte Brahms eine innige freundschaftlicheBeziehung, vielleicht auch eineheimliche Leidenschaft. In jedem Falle wares Clara, die ihn in dieser großen Aufgabeermutigte und unterstützte. Lange kämpfteBrahms mit der Form: Zunächst konzipierteer eine Sonate für zwei Klaviere, versuchtedann, diese in eine Sinfonie umzuarbeiten,scheiterte aber an seiner, wie er meinte, unzulänglichenOrchestrierungskunst. 1855schließlich kam ihm die Idee zu einem Klavierkonzert,wie er Clara enthusiastisch mitteilte:»Denken Sie, was ich die Nacht träumte.Ich hätte meine verunglückte Symphoniezu meinem Klavierkonzert benutzt undspielte dieses. Vom ersten Satz und Scherzound einem Finale furchtbar schwer undgroß. Ich war ganz begeistert.« An seinenRatgeber für Instrumentations-Fragen, denGeiger Joseph Joachim, schickte er schonbald eine erste Version, und am 22. Januar1859 konnte das Konzert im KöniglichenHoftheater zu <strong>Hannover</strong> unter der Leitungvon Joseph Joachim uraufgeführt werden.Den Solopart übernahm Johannes Brahmsselbst. Doch die Kritiken waren vernichtend.Brahms schrieb an Clara in ironischem Ton,der aber kaum seine Betroffenheit überspielenkonnte: »Ich zwinge diese spitze undharte Sahrsche Stahlfeder, Dir zu beschreiben,wie es sich begab und glücklich zuEnde geführt ward, dass mein Konzert hierglänzend und entschieden – durchfiel.« Erstspät konnte sich das Konzert im Konzertbetriebdurchsetzen. Dies liegt sicherlich zumTeil in seiner Modernität begründet – Brahmssetzte sich über einige traditionelle Konzert-Muster ganz einfach hinweg –, in der ungewöhnlichdominanten Rolle des Orchestersund in den besonderen Anforderungen desSoloparts, einem virtuosen Kraftakt.3. SinfoniekonzertManfred Trojahn Herbstmusik. Sinfonischer Satz(2010, UA) Auftragswerk der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>Robert Schumann Konzertstück F-Dur für vierHörner und Orchester op. 86 (1849/50)Sinfonie <strong>Nr</strong>. 2 C-Dur op. 61 (1845/46)Solisten Hornquartett des NiedersächsischenStaatsorchesters <strong>Hannover</strong>Dirigent Wolfgang BozicSonntag, <strong>21</strong>. November 2010, 17 UhrMontag, 22. November 2010, 19.30 UhrKurzeinführung jeweils 30 Minuten vor dem KonzertMit freundl. Unterstützung der Stiftung Niedersachsen4. SinfoniekonzertAnton WebernSechs Stücke für Orchester op. 6 (1909/1928)Johannes Brahms Konzert für Klavier undOrchester <strong>Nr</strong>. 1 d-Moll op. 15 (1854–59)Johannes Brahms/Arnold SchönbergKlavierquartett g-Moll op. 25 (1861), für großesOrchester gesetzt (1937)Solistin Olga Scheps (Klavier)Dirigent Lothar KoenigsSonntag, 19. Dezember 2010, 17 UhrMontag, 20. Dezember 2010, 19.30 UhrKurzeinführung jeweils 30 Minuten vor dem KonzertZweite Uraufführung der konzertsaisonWerke von Robert Schumann und Manfred Trojahn stehen beim 3. Sinfoniekonzert aufdem Programm. Besonders gespannt sein darf man auf die 2. Uraufführung dieser Saison,den sinfonischen Satz Herbstmusik von Manfred Trojahn, ein Auftragswerk desNiedersächsischen Staatsorchester <strong>Hannover</strong> anlässlich seines 375. Geburtstags. Trojahn,Schüler von Diether de la Motte und György Ligeti, gehört derzeit zu den renommiertestenzeitgenössischen Komponisten in Deutschland. Sein Œuvre umfasst zahlreicheEnsemble- und Orchesterwerke, Kammermusikwerke für verschiedenste Besetzungen,Vokalkompositionen und Opern.Die Tastenkünstlerin Olga SchepsDie junge Pianistin Olga Scheps konnte im 4. Sinfoniekonzert für den anspruchsvollenSolopart in Brahms’ 1. Klavierkonzert gewonnen werden. Olga Scheps, 1986 in Moskaugeboren, kam mit sechs Jahren nach Deutschland und studiert derzeit an der KölnerMusikhochschule bei Pavel Gililov. Seit ihrem Debüt beim Klavierfestival Ruhr imJahr 2007 ist sie als Solistin überaus gefragt und war bereits in der Philharmonie inMünchen, in der Hamburger Laeiszhalle und der Berliner Philharmonie zu erleben.Daneben ist sie regelmäßig zu Gast beim Schleswig-Holstein Musik-Festival, den FestspielenMecklenburg-Vorpommern, dem Kissinger Sommer und dem HeidelbergerFrühling. Als Kammermusikpartnerin arbeitete sie u.a. mit Daniel Hope, Adrian Brendel,Alban Gerhardt, Jan Vogler und Nils Mönkemeyer zusammen. Mit ihrer ersten CD »Chopin«gewann sie im Oktober 2010 einen ECHO Klassik als »Nachwuchskünstlerin desJahres«.


18. 19 Aus den AbteilungenEva Bessert-NettelbeckBühnenflug und PodienfahrtHans Tümmel feiert sein 40-jähriges BühnenjubiläumAm 1. Oktober 1970 trat Hans Tümmel »aufgeregtund neugierig« seinen ersten Dienstin der Maschinenabteilung des Opernhausesan: Um 14.30 Uhr begann die Spätschicht,und als sich am Abend der Vorhang zum x-ten Male für Rossinis Graf Ory und zum erstenMal für Hans Tümmel hob, konnte ernoch nicht ahnen, dass sich von nun an eingroßer Teil seines Lebens auf eben dieserBühne abspielen würde.Damals war er 22 Jahre alt. Bevor er amOpernhaus anfing, hatte er nach eigenenAngaben »mit Theater nicht viel am Hut«:Nach seiner Ausbildung zum Starkstromelektrikerbei Siemens arbeitete er zunächstzwei Jahre auf Montage in verschiedenenSalzbergwerken in ganz Norddeutschland,von wo aus er sich auf eine freie Stelle amTheater bewarb, »um auch mal wieder Tageslichtzu sehen«.Zwar bringt die Arbeit als Bühnentechnikerim Repertoirebetrieb eines StaatstheatersSchichtdienste auch an Feiertagen mit sich,jedoch lernt man schnell, sich darauf einzustellen:»Gute Freunde fragen schon lange,wann wir am Wochenende Zeit haben, umdie Termine für größere Feiern auf die freienWochenenden zu legen. Da wird schonRücksicht auf uns Theatermenschen genommen!«,schmunzelt der Maschinenmeistergut gelaunt, der seine Frau während der Arbeitszeitauf der Bühne kennen gelernt hat:»Als Sängerin im Opernchor wusste sie vonAnfang an, was es heißt, am Theater zu arbeiten.«In den vergangenen 40 Jahren hat sich dieArbeit in der Maschinenabteilung des Theatersstark verändert. Als Hans Tümmel anfing,wurde die Maschinerie noch per Handgesteuert: »Man muss sich die damaligeSteuerung der Antriebe so vorstellen, alswürde man einen Wasserhahn auf und zudrehen: Je mehr Wasser durch die Anlagefloss, desto schneller fuhr der Prospektzug.Als Anhaltspunkt, bis wohin die Züge fahrensollten, hatte man nur die Höhenanzeige,große Räder mit Zahlenangaben, die aneinem vorbeifuhren«, erinnert er sich. Damalswie heute wurden und werden Vorhänge,Bühnenpodien und Zugstangen vonden Mitarbeitern der Maschine gewartet,programmiert und jeden Abend live gefahren.»Alles was sich auf der Bühne raufundrunter bewegt, machen wir«, erklärt ernicht ohne Stolz.Bereits vor dem großen Umbau Ende derneunziger Jahre verfügte das Opernhausüber eine Maschinerie, die sowohl hydraulisch,als auch in Teilen elektromechanischangetrieben wurde. Allerdings entsprachendie Anlagen dem technischen Niveau derfünfziger und sechziger Jahre und konntensomit den hohen Sicherheitsstandards nichtmehr Genüge leisten. Heute werden Bühnenpodienund Zugstangen mittels einercomputergesteuerten Anlage bewegt, dieauf ein hydraulisches Antriebssystem aufSynthetikölbasis zurückgreift. Aus Sicht derZuschauer zeichnet sich die heutige Bühnentechnikinsbesondere dadurch aus, dassgroße Lasten sanft, schnell und leise bewegtwerden können. Exemplarisch hierfür ist dieaktuelle My Fair Lady-Produktion, bei derein 18 Tonnen schweres Haus schwerelosund »schneller als jeder Personenfahrstuhl«mit 70 cm pro Sekunde nach oben oder untengefahren wird.Sechs Jahre länger als Hans Tümmel ist dieInszenierung von Humperdincks Hänsel undGretel untrennbar mit der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>verbunden. Seit der Premiere 1964richtet die Maschinenabteilung den Hexenflugein: Noch immer werden Flugschienenin die Prospektzüge gehängt, an der dieHexe eingehakt wird. Am anderen Ende derFlugschiene ist ein Gewicht befestigt, das,sobald es ausgelöst wird, die Hexe traditionell– alle Jahre wieder in der Vorweihnachtszeit– auf die andere Seite der Bühnefliegen lässt.Für Hans Tümmel besteht in diesem Winterzum letzten Mal die Gelegenheit, die Hexedurch den Bühnenhimmel gleiten zu lassen,denn zu Beginn des neuen Jahres geht er inden wohlverdienten Ruhestand. Ob er darübertraurig ist? »Ich freue mich auf meinenRuhestand, aber ich habe auch immer gernehier gearbeitet! Der Job eines Maschinistenam Theater wird nie langweilig, denn es gibtjeden Tag etwas Neues. Und er hat einengroßen Teil meines Lebens ausgemacht!«


FoyerUlrich LenzUnd immer wieder TraviataZuschauerportrait Marianne IllertSeit sieben Jahrzehnten gehört Marianne Illertzu den regelmäßigen Besuchern der<strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>! Mit elf Jahren betratsie zum ersten Mal an der Seite ihrer opernbegeistertenTante den Laves-Bau, um denVogelhändler von Carl Zeller zu erleben.Ihre Leidenschaft für das Musiktheater zündetejedoch erst ein wenig später, als »Backfisch«,wie sie selbst sagt, »heute nennt mandas Teenager« – in einer Zeit, in der dasHaus am Opernplatz in Trümmern lag undman im Galeriegebäude in Herrenhausenspielte. »Eine Mark kosteten damals die billigstenPlätze«, erinnert sich Frau Illert. »Diewaren ganz hinten. Aber da meine Freundinnenund ich zu den regelmäßigen Besucherngehörten, ließen uns die Schließerdann oft auch nach vorne, auf die teurerenPlätze«. Geprobt wurde aber offenbar irgendwoin den Ruinen des Opernhauses,denn Marianne Illert weiß noch, wie sie mitden Freundinnen immer an der Bühnenpforteauf ihre Stars aus dem Ensemble der<strong>Staatsoper</strong> wartete. »Angesprochen habenwir die aber nicht! Das hätten wir uns niegetraut!« Erna Fahrig nennt sie, den TenorAlbert Weikenmeier, den sie als Alfredo erlebthat, Helmi Rauh ist ihr als Traviata, RobertBlasius als Don Giovanni und RidolfSchoch als Herzog von Mantua unvergessengeblieben. Bei der feierlichen Wiedereröffnungdes Opernhauses im Jahre 1950 durftedann auch die damals <strong>21</strong>-Jährige natürlichnicht fehlen. »Ein großer Moment für dieganze Stadt«, erinnert sich Marianne Illert.»Der Rosenkavalier von Richard Strauss, alleHonoratioren der Stadt waren da, alle hattensich besonders fein gemacht, die Herren imFrack, die Damen alle in langen Kleidern!«Kein Zweifel: Marianne Illert ist der <strong>Staatsoper</strong><strong>Hannover</strong> wie kaum ein anderer engverbunden – und treu ergeben: Als überzeugte<strong>Hannover</strong>anerin (»Ich liebe <strong>Hannover</strong>!In welcher Stadt gibt es so viel schmeichelndesGrün? Und ein so schönesOpernhaus!«) ist die ehemalige Betriebswirtinder Stadtsparkasse <strong>Hannover</strong> selten ananderen Opernhäusern »fremdgegangen«,weder im nahen Hamburg noch im entfernterenBerlin oder anderswo. Nur zu einpaar Festspielen zog es sie immer wiedereinmal: Oft hat sie die Arena di Verona besucht,sechs Mal war sie in Bayreuth. Abernach ihrem Lieblingskomponisten befragt,fällt die Wahl ohne zu zögern auf einen Italiener:Giuseppe Verdi. »Wenn ich mich füreine Lieblingsoper entscheiden müsste,würde ich vermutlich die Traviata nennen.Die habe ich sicher mehr als 30 Mal inmeinem Leben gesehen. Und immer wiederrührt sie mich zu Tränen!« Da nimmt es nichtWunder, dass Frau Illert das Abo mit demschönen Namen »Große Gefühle« gewählthat und dies durch das Abo »Festliche Opernabende«noch ergänzt. Von Anfang an, seit1950, ist sie Abonnentin und hat in all diesenJahren nie an Kündigung gedacht. »Jaaa,der Bieito ... nein, das hat mir auch nicht sogefallen. Aber das war für mich kein Grund,mein Abo zu kündigen. Man muss doch mitder Zeit gehen. Und nur, weil mir das nunnicht so gefallen hat, verzichte ich dochnicht auf mein Abo!«Auch die andere Seite des Orchestergrabenshat Marianne Illert persönlich kennen gelernt,sang sie doch von seiner Gründung imJahre 1969 25 Jahre lang als 1. Sopran imLaien-Opernchor der Musikhochschule <strong>Hannover</strong>.»Da haben wir komplette Opern einstudiertund auch szenisch aufgeführt, in derHochschule und im ganzen Umland!« Auf derPublikumsseite des Orchestergrabens sitztMarianne Illert gerne ganz dicht an selbigem,möglichst in Reihe 1. »Das ist zwar bisweilenein bisschen laut, aber ich mag essehr, auch den Musikern im Graben zusehenzu können.«Konsequent widersteht sie der Versuchung,schon vor ihrem Opernbesuch die jeweiligeKritik in der Zeitung zu lesen. »Meine Meinungmöchte ich mir gern selbst bilden!«Doch wird die Kritik fein säuberlich ausgeschnittenund aufbewahrt. »Nur den letztenSatz, den lese ich schon vorab«, gesteht FrauIllert verschmitzt. ›Also doch mehr Verführungals Entführung?‹, heißt es in der Kritikzur Entführung aus dem Serail. »Das klingtdoch vielversprechend!«, freut sich Frau Illert,die sich immer wieder aufs Neue verführenlässt vom Zauber der Oper – und dasseit 70 Jahren!


20 fundusWillkommen!Gastfamilien gesucht!Wie Anfang dieses Jahres werden auch imJanuar 2011 wieder zehn Gesangsstudentender Yonsei-Universität in Seoul nach <strong>Hannover</strong>kommen, um an der <strong>Staatsoper</strong> drei Wochenlang den deutschen Opernbetrieb näherkennen zu lernen, Gesangsunterricht,Sprachcoaching und szenischen Unterrichtzu erhalten. Am Ende des Aufenthalts stehtder Besuch der Endproben und der PremiereFalstaff und ein Abschlusskonzert. Eineroder eine der zehn Stipendiaten wird in derdarauffolgenden Spielzeit für ein ganzesJahr zum Ensemble der Jungen Oper gehören.Um den jungen Koreanern und Koreanerinnennicht nur den deutschen Opernbetrieb,sondern auch das Leben in <strong>Hannover</strong>näher zu bringen, suchen wir Gastfamilien,die die zehn Studenten und ihre Dolmetscherinund Klavierbegleiterin vom 8. biszum 31. Januar 2011 bei sich aufnehmen.Bei Interesse melden Sie sich bitte bis EndeNovember in der Dramaturgie der <strong>Staatsoper</strong>:Meike Kreilkamp, Tel. (0511) 9999 1084 odermeike.kreilkamp@staatstheater-hannover.deOpernrätselFestliche OpernabendeWeltstars zu Gast in <strong>Hannover</strong>!In der vierten Spielzeit präsentiert die <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong> Stars der internationalenOpernszene in hauseigenen Inszenierungen. Den Anfang machenam 27. November 2010 die spanische Mezzosopranistin Silvia TroSantafé und der italienische Bass Simone Alaimo in L’italiana in Algeri.Silvia Tro Santafé gehört zu den gefragtesten Koloratur-Mezzosopranistinnen.Rossinis Paraderollen – Rosina, Angelina und eben Isabella – verkörpertsie an den führenden Opernhäusern der Welt. Simone Alaimo isteiner der erfahrensten Bässe des Belcanto: 90 Basspartien umfasst seinRepertoire, für seine Donizetti-Interpretationen wurde er mit zahlreichenPreisen ausgezeichnet. Auch er ist seit vielen Jahren regelmäßig an allenwichtigen Opernhäusern der Welt zu Gast.Herausragende Gäste gastieren auch 2011 in <strong>Hannover</strong>: am 4. März 2011ist der walisische Bariton Bryn Terfel als Falstaff zu erleben; am 19. Juni2011 stehen die deutsche Sopranistin Annette Dasch und der italienischeBariton Lucio Gallo in Mozarts Figaro auf der Bühne. Alle drei FestlichenOpernabende sind mit etwa 20% Rabatt als Abonnement buchbar!Neues von der GfoDie Gesellschaft der Freunde des Opernhauses e.V. (kurz: GFO) hat zu dieser Spielzeit ihräußeres Erscheinungsbild verändert und bietet ihren Mitgliedern ein neues Programm mitzwölf exklusiven Veranstaltungen in der ganzen Spielzeit. Hierüber finden Sie einen Flyeran den Kassen des Opernhauses. An Premierenabenden werden Sie die GFO künftig aneinem Premierentisch vor dem Marschnersaal finden. Dort können Sie weitere Informationenerhalten und Neuigkeiten rund um die GFO erfahren. – Wenn Sie Mitglied werden,eine Mitgliedschaft verschenken wollen oder einfach Fragen zur GFO haben, rufen Sie an:Tel. (0179) 4386034.Die gesuchte Oper, von welcher der Komponist ahnte, dass es seine letzte sein würde, wurde erst 33 Jahre nach seinem Tod in der von ihmvollendeten Version aufgeführt. Sie hat überwiegend den Charakter eines Oratoriums: Hauptfiguren als Träger der Handlung fehlen und der»Sprechtonfall« steht im Mittelpunkt der Oper. Dadurch wirkt die Musik stenogrammartig kurz und dialoghaft, das sparsame Klangideal unddie Vorliebe für raue, unvermittelte Kontraste des Komponisten kommen zum Ausdruck. Oft gestaltet er bestimmte Passagen mit weit gefasstenAkkorden, bei denen die Mittelstimmen fehlen, wodurch klanglich eine Kälte entsteht, die auch in inhaltlicher Verbindung zumThema der Oper steht. Der gesuchte Komponist wurde 1854 geboren und studierte zunächst in der Lehrerbildungsanstalt, bevor er sich demErwerb seiner musikalischen Kenntnisse zuwandte. In seiner Jugend war er ein einzelgängerischer Konservativer. Als er sich jedoch imAlter dem Opernschaffen zuwandte, wurde er zum Neuerer. In umfangreichen Studien widmete er sich zu Lebzeiten auch der folkloristischenMusik seines Heimatlandes.Unsere Frage Wie heißen Komponist und Oper? Ihre Lösung schicken Sie bitte bis zum 15.12.2010 auf einer Postkarte an die <strong>Staatsoper</strong><strong>Hannover</strong> . Presse- und Öffentlichkeitsarbeit . Opernplatz 1 . 30159 <strong>Hannover</strong>. Oder per Email an presse-oper@staatstheater-hannover.de.Vergessen Sie nicht Ihren Absender! Unter allen richtigen Einsendungen verlosen wir 5x2 Karten für das Musical Guys and Dolls am06.01.2011. Die Lösung des letzten Opernrätsels in der seitenbühne 09/10.2010: Georg Friedrich Händel Rodelinda.


Impressum Herausgeber Niedersächsische Staatstheater <strong>Hannover</strong> GmbH, <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>, Opernplatz 1, 30159 <strong>Hannover</strong> Intendant Dr. Michael Klügl RedaktionDramaturgie, Öffentlichkeitsarbeit Gestaltung María José Aquilanti, Birgit Schmidt Druck Steppat Druck Fotos Eva Bessert-Nettelbeck (18), Thomas M. Jauk (2/3),Marek Kruszewski (11, 12), Jörg Landsberg (Titel, 15), Ulrich Lenz (19), Gert Weigelt (6, 7) und privat Titelbild Die Entführung aus dem Serail, Philipp Heo (Belmonte), NicoleCoulibaly (Bassa Selim)


seitenbühne . November / Dezember 2010

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