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Gesundheit und Migration - Zebra

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2 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Das Handbuch wurde im Rahmen des Projektes „Fortbildung zum/zur <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentIn“<br />

hergestellt <strong>und</strong> wird gefördert aus Mitteln des<br />

Fonds Ges<strong>und</strong>es Österreich<br />

der<br />

Land Steiermark / Sozialressort<br />

<strong>und</strong> des<br />

Land Steiermark/ <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sressort<br />

Impressum<br />

Medieninhaber ZEBRA - Zentrum zur sozialmedizinischen, rechtlichen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Betreuung von Ausländern <strong>und</strong> Ausländerinnen in Österreich<br />

Geschäftsführung Mag. Edith Glanzer (MAS)<br />

Redaktion: Wolfgang Gulis (Leitung)<br />

Alle: 8010 Graz, Pestalozzistraße 59/II,<br />

Tel.: 0316/90 80 70-0<br />

Fax: 0316/90 80 70-50<br />

E-Mail zebra@zebra.or.at<br />

Homepage www.zebra.or.at<br />

AutorInnen DSA Monika Genböck, Dr. Ilse Hellemann-Gschwinder, Mag. Katharina<br />

Heiland, DSA Christoph Pammer, Mag. Hedwig Pintscher, Dr.<br />

Alexander Trojovsky<br />

Lektorat Julian Ausserhofer, Monika Frind, Monika Genböck, Ulrike Sommer<br />

Gestaltung, Satz, Repro Steinhuber Infodesign<br />

Grafik Harald Schoßleitner<br />

Herstellung Druckwerk - Verein für Medienarbeit; Ungergasse 7, 8020 Graz<br />

Preis des Handbuches € 5,-<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 3


4 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Vorwort<br />

Ein junger Mann aus Gambia lebt seit wenigen Monaten in einem Asylwerberheim. Er hat<br />

fast ständig Magen-Darmbeschwerden, er traut sich nicht zu einem Arzt zu gehen. Er hat<br />

häufig Durchfall, sein Zustand wird immer schlechter.<br />

Eine Frau aus Tschetschenien hat ständig Schmerzen im Unterbauch, sie hat keine Lust<br />

mehr, zum Arzt zu gehen, weil sie dort immer lange warten muss.<br />

Eine junge Türkin wird hochschwanger mit Wehen ins Spital eingeliefert, dort spricht niemand<br />

türkisch. Die Frau ist verzweifelt.<br />

Beispiele aus der Praxis. Sogenannte <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>smultiplikatorInnen, das sind MigrantInnen,<br />

die im Bereich des <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>swesens Basiskenntnisse erworben haben <strong>und</strong> in den<br />

letzten fünf Jahren im Rahmen von Schulungsprogrammen von ZEBRA ausgebildet wurden.<br />

Sie haben eingegriffen <strong>und</strong> geholfen, haben Schlimmeres abgewandt, Angst abgebaut,<br />

Kontakte hergestellt, mit den Beteiligten gesprochen.<br />

Übrigens: Der junge Mann ging mit Hilfe eines Multiplikators aus dem Senegal doch zum<br />

Arzt <strong>und</strong> seine Gastritis wurde behandelt. Auf Gr<strong>und</strong> der Ratschläge änderte er seine Essgewohnheiten.<br />

Die Frau ließ sich überreden, dass sie es nochmals versuchte <strong>und</strong> mit Hilfe<br />

des Multiplikators aus Afghanistan wurde erkannt, dass sie einen verstopften Eileiter hatte,<br />

sie wurde operiert. Und der türkischen Frau stand eine türkische Multiplikatorin während<br />

der gesamten Geburt beiseite.<br />

Wie sinnvoll dieses Projekt in der Praxis ist, wie vorsorgend es wirkt <strong>und</strong> wie viel Leiden<br />

<strong>und</strong> Ängste verhindert <strong>und</strong> Kosten im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem gespart werden, lässt sich erst<br />

in der Fülle von Aktivitäten <strong>und</strong> Beispielen aus der Praxis erkennen.<br />

Umso wichtiger wäre es daher, solche Programme <strong>und</strong> Projekte nicht nur als „Nischenprogramm“<br />

zu betrachten, sondern sie in die Regelversorgung aufzunehmen, sie als<br />

wichtigen Teil der <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>svorsorge <strong>und</strong> -förderung zu betrachten.<br />

Dieses Handbuch ist die schriftliche Aufbereitung der inhaltlich-fachlichen Entwicklung<br />

der Schulungen <strong>und</strong> Ausbildungen der MultiplikatorInnen <strong>und</strong> <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentInnen.<br />

Um besser zu verstehen, um nachzulesen, um damit zu arbeiten.<br />

Es ist für all jene gedacht, die aufgr<strong>und</strong> ihrer beruflichen Situation <strong>und</strong>/oder ihrer eigenen<br />

Biografie mit dem Thema Exil-<strong>Migration</strong>- Flucht zu tun haben – das sind ja im Übrigen gar<br />

nicht so wenige – <strong>und</strong> entsprechende Unterstützung gerne annehmen wollen.<br />

Es soll für die Praxis handhabbar sein. Es soll ein Baustein auf dem Weg zur Interkulturellen<br />

Öffnung des <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>swesens sein.<br />

Die ProjektbetreiberInnen, AutorInnen, LektorInnen <strong>und</strong> GestalterInnen haben sich bemüht,<br />

dieses Handbuch lesbar zu machen, es einfach <strong>und</strong> logisch zu gestalten <strong>und</strong> dennoch<br />

nichts wegzulassen, was wichtig erschien.<br />

Was uns noch wichtig war: Es soll für die Arbeit in der Praxis dienlich <strong>und</strong> jederzeit aktualisierbar<br />

sein.<br />

Daher ist dieses Handbuch auch mit einer CD ausgestattet <strong>und</strong> steht mit einer Homepage-Adresse<br />

in Verbindung, die dazu dient, Arbeitsmaterialien herunterladen zu können<br />

<strong>und</strong> Aktuelles <strong>und</strong> Neues dort aufbereiten <strong>und</strong> hinzufügen zu können:<br />

http://www.zebra.or.at/ges<strong>und</strong>heitshandbuch<br />

So kann das Handbuch nutzbar <strong>und</strong> aktuell bleiben.<br />

Mit dem nunmehr vorliegenden Praxishandbuch ist ein langgehegter Wunsch in Erfüllung<br />

gegangen. Wir danken all jenen, die es möglich gemacht haben <strong>und</strong> hoffen, dass es den<br />

Ansprüchen der LeserInnen <strong>und</strong> BenützerInnen gerecht wird.<br />

Graz, Dezember 2003 Wolfgang Gulis<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 5


6 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Inhalt<br />

1. <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht .................................................................................... 7<br />

1.1. Freiwillige <strong>und</strong> unfreiwillige <strong>Migration</strong> ............................................................... 7<br />

1.2. Ursachen für <strong>Migration</strong> ...................................................................................... 8<br />

1.2.1. Kriege <strong>und</strong> Bürgerkriege .................................................................................... 8<br />

1.2.2. Naturkatastrophen ............................................................................................ 11<br />

1.2.3. Sozioökonomische Ungleichheit <strong>und</strong> Instabilität ................................................ 11<br />

1.2.4. Konkurrenz um Ressourcen ............................................................................... 11<br />

1.2.5. Demokratiedefizit, Menschenrechtsverletzungen,<br />

Unterdrückung von Minderheiten ...................................................................... 12<br />

1.3. Nutzen der <strong>Migration</strong> ......................................................................................... 12<br />

1.4. Geschichte der <strong>Migration</strong> ................................................................................... 13<br />

1.5. <strong>Migration</strong>srelevante Begriffe ............................................................................. 14<br />

2. Leben im Exil .................................................................................................. 21<br />

2.1. Umgang mit der fremden Kultur im Gastland? .................................................... 22<br />

2.1.1. Akkulturationsstile ............................................................................................ 23<br />

2.1.2. Phasen des Ankommens ................................................................................... 24<br />

3. Was ist Kultur? ............................................................................................... 26<br />

3.1. Definition ........................................................................................................... 26<br />

3.2. Kultur = Land? ................................................................................................... 27<br />

3.3. Kulturvergleichende Studien .............................................................................. 27<br />

4. Familie ............................................................................................................. 31<br />

5. <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> ..................................................................................................... 33<br />

5.1. <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> – was ist das? .................................................................................. 33<br />

5.2. Einflussfaktoren ................................................................................................ 33<br />

5.3. Macht Armut krank? .......................................................................................... 34<br />

5.3.1. Warum ist das so? .............................................................................................. 35<br />

5.4. Entwicklung der Medizin .................................................................................... 35<br />

5.5. Behandlung von Krankheiten ............................................................................. 37<br />

5.6. Wie ist das <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem in Österreich organisiert? ................................. 37<br />

5.7. Begriffe im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich ......................................................................... 39<br />

5.8. <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>seinrichtungen – medizinische Versorgung ...................................... 41<br />

5.8.1. ÄrztInnen ........................................................................................................... 41<br />

5.8.2. PsychotherapeutInnen ...................................................................................... 42<br />

5.8.3. Gehobene <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>s- <strong>und</strong> Pflegeberufe ......................................................... 42<br />

5.8.4. Pflegehilfe ......................................................................................................... 42<br />

5.8.5. Medizinisch-technische Dienste ........................................................................ 42<br />

5.9. Spitäler .............................................................................................................. 43<br />

5.10. Prävention/<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sförderung .................................................................... 44<br />

5.10.1. <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sförderung ....................................................................................... 44<br />

5.10.2. Prävention ......................................................................................................... 44<br />

5.11. Ernährung .......................................................................................................... 45<br />

5.11.1. Die wichtigsten Nahrungsmittelbestandteile ..................................................... 45<br />

5.12. Sucht ................................................................................................................. 47<br />

5.12.1. Wie kommt es zur Entstehung von Sucht? ......................................................... 47<br />

5.13. Arbeit ................................................................................................................ 48<br />

6. Krankheiten ................................................................................................... 49<br />

6.1. Krankheitserreger .............................................................................................. 49<br />

6.1.1. Bakterien ........................................................................................................... 49<br />

6.1.2. Viren .................................................................................................................. 49<br />

6.2. Europäische / außereuropäische Krankheiten ................................................... 50<br />

6.3. Einige wichtige Infektionserkrankungen sind ..................................................... 50<br />

6.3.1. Hepatitis ............................................................................................................ 50<br />

6.3.2. Influenza ............................................................................................................ 51<br />

6.3.3. Poliomyelitis (Kinderlähmung) ........................................................................... 51<br />

6.3.4. Tetanus .............................................................................................................. 51<br />

6.3.5. Typhus ............................................................................................................... 51<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 7


6.3.6. Keuchhusten ..................................................................................................... 51<br />

6.3.7. Tuberkulose ....................................................................................................... 52<br />

6.3.8. Malaria .............................................................................................................. 52<br />

6.3.9. HIV ..................................................................................................................... 53<br />

6.4. Impfplan, Impfen ............................................................................................... 55<br />

6.4.1. Vorgeschriebene Impfungen .............................................................................. 56<br />

6.4.2. Weitere Impfungen, die empfohlen werden ....................................................... 56<br />

7. <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> <strong>Migration</strong> ........................................................................... 57<br />

7.1. Individuelle (Vor-)Bedingungen .......................................................................... 57<br />

7.2. Strukturelle Bedingungen .................................................................................. 57<br />

7.3. Zusammenfassung der wichtigsten Problemstellungen von MigrantInnen ......... 59<br />

7.4. Trauma .............................................................................................................. 59<br />

7.4.1. Wie geht man mit traumatisierten Menschen um? ............................................. 61<br />

7.4.2. Alltag nach dem Trauma .................................................................................... 62<br />

8. Kommunikation ............................................................................................. 64<br />

8.1. Verbale <strong>und</strong> nonverbale ..................................................................................... 64<br />

8.2. Vier Ebenen der Kommunikation ........................................................................ 65<br />

8.3. Interkulturelle .................................................................................................... 67<br />

8.4. Dolmetsch ......................................................................................................... 70<br />

8.5. Multikulturalität ................................................................................................. 70<br />

8.6. Interkulturelle Kompetenz ................................................................................. 71<br />

9. Konflikte ......................................................................................................... 74<br />

9.1. Konfliktanalyse .................................................................................................. 77<br />

9.2. Konfliktverhalten ............................................................................................... 78<br />

9.3. Wie gehen wir mit Konflikten um? ...................................................................... 79<br />

9.4. Interkulturelle Konflikte ..................................................................................... 80<br />

10. Projekte im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich ................................................................ 81<br />

10.1. Ausbildung zum/zur <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>smultiplikatorIn ............................................... 81<br />

10.1.1. MultiplikatorInnen ............................................................................................. 83<br />

10.1.2. Aufgaben der MultiplikatorInnen ....................................................................... 83<br />

10.1.3. Schulungsprogramm ......................................................................................... 84<br />

10.2. Weiterbildung zum/zur <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentin .................................................. 84<br />

10.2.1. <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentInnen ................................................................................. 85<br />

10.2.2. Aufgaben des/der <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentIn .......................................................... 85<br />

10.2.3. Schulung ........................................................................................................... 86<br />

10.3. Interkulturelle Öffnung ...................................................................................... 86<br />

11. ZEBRA .............................................................................................................. 88<br />

11.1. Zur Geschichte .................................................................................................. 88<br />

11.2. Die Pionierphase ............................................................................................... 88<br />

11.3. Differenzierungsphase ...................................................................................... 89<br />

11.4. Zielgruppen ....................................................................................................... 89<br />

11.5. Gr<strong>und</strong>sätze der Betreuungsarbeit ...................................................................... 89<br />

11.6. Aktuelle Angebote ............................................................................................. 90<br />

11.7. Finanzierung ...................................................................................................... 91<br />

12. Anhang ............................................................................................................ 92<br />

12.1. Tipps für das Halten von Referaten ..................................................................... 92<br />

12.2. Tipps für Erstkontakte ........................................................................................ 94<br />

12.3. Weiterführende Internetlinks ................................................................................ 86<br />

12.4. Verwendete <strong>und</strong> weiterführende Literatur ............................................................ 97<br />

12.5. Medizinische Fachbegriffe auf englisch, französisch, russisch,<br />

türkisch, arabisch, dari, paschtu ........................................................................... 99<br />

13. Index ................................................................................................................... 106<br />

8 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht<br />

1. <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht<br />

Der Begriff „<strong>Migration</strong>“ stammt aus dem Lateinischen <strong>und</strong> heißt übersetzt Wanderung.<br />

Er beschreibt in unserem vorliegenden Zusammenhang alle Formen der<br />

freiwilligen <strong>und</strong> unfreiwilligen Wanderungsbewegungen von Menschen.<br />

„<strong>Migration</strong> ist der auf Dauer angelegte bzw. dauerhaft werdende Wechsel in eine<br />

andere Gesellschaft bzw. in eine andere Region von einzelnen oder mehreren<br />

Menschen. So verstandene <strong>Migration</strong> setzt erwerbs-, familienbedingte, politische<br />

oder biographisch bedingte Wanderungsmotive <strong>und</strong> einen relativ dauerhaften<br />

Aufenthalt in der neuen Region oder Gesellschaft voraus; er schließt den mehr<br />

oder weniger kurzfristigen Aufenthalt zu touristischen Zwecken aus.“ (Treibel<br />

1999, S. 21)<br />

Man kann zwei Arten von <strong>Migration</strong> unterscheiden:<br />

Ein- <strong>und</strong> Auswanderung (Immigration <strong>und</strong> Emigration).<br />

Es gibt klassische „Einwanderungsländer“, in deren Gründungsgeschichte Zuwanderung<br />

eine entscheidende Rolle spielte <strong>und</strong> daher seit Jahrh<strong>und</strong>erten in der<br />

Gesellschaft als etwas Selbstverständliches angesehen wird. Zu solchen Ländern<br />

zählen die USA, Kanada, Neuseeland <strong>und</strong> Australien. Ihnen gemeinsam ist, dass<br />

sie Einwanderungsregelungen besitzen <strong>und</strong> der Einwanderung prinzipiell positiv<br />

gegenüber stehen, da sie ZuwanderInnen für die Entwicklung ihrer Gesellschaft<br />

als nützlich ansehen.<br />

1.1. Freiwillige <strong>und</strong> unfreiwillige <strong>Migration</strong><br />

In der <strong>Migration</strong>sforschung unterscheidet man sogenannte freiwillige <strong>und</strong> unfreiwillige<br />

Faktoren für <strong>Migration</strong>.<br />

Beispiele für freiwillige <strong>Migration</strong>:<br />

�Ein Kongolese kommt nach Österreich, um hier ein technisches Studium<br />

zu absolvieren. Nach sechs Jahren hat er sein Studium höchst erfolgreich<br />

abgeschlossen <strong>und</strong> bekommt eine Stelle in einem internationalen Unternehmen<br />

angeboten. Da er schon einige Zeit in Österreich lebt <strong>und</strong> hier auch<br />

Fre<strong>und</strong>e gef<strong>und</strong>en hat, beschließt er, in Österreich zu bleiben.<br />

�Ein Österreicher fährt beruflich nach Moskau <strong>und</strong> lernt dort eine Russin<br />

kennen. Die beiden verlieben sich <strong>und</strong> heiraten. Als gemeinsamer Wohnsitz<br />

wird Österreich gewählt. Die Russin verlässt geplant <strong>und</strong> wohlüberlegt ihr<br />

Land <strong>und</strong> lebt von nun an in Österreich.<br />

Beispiele für unfreiwillige <strong>Migration</strong>:<br />

�Ein Nigerianer muss aufgr<strong>und</strong> ethnischer Konflikte aus seinem Heimatdorf<br />

fliehen. Er hat keine Zeit mehr, sich zu verabschieden oder notwendige<br />

Dinge mitzunehmen. Er plant nicht, in welches Land er will. Das einzig<br />

Wichtige für ihn ist, sein Heimatland zu verlassen <strong>und</strong> ein Land zu finden,<br />

wo er vor Verfolgung sicher ist.<br />

�Eine Familie aus Tschetschenien muss aufgr<strong>und</strong> eines gegen den Vater<br />

erlassenen Haftbefehls das Heimatland verlassen. Sie kehren nicht mehr in<br />

das Haus zurück, die Kinder werden direkt von der Schule abgeholt. Der Familie<br />

ist egal, wohin sie gebracht werden, es ist nur wichtig, dass es ein demokratisches<br />

Land ist.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 9


�Aufgr<strong>und</strong> von anhaltender Dürre in einem Teil Äthiopiens sind eine Vielzahl<br />

der dort ansässigen Familien gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Sie<br />

sind nach wie vor auf der Flucht, sie haben noch keinen Platz gef<strong>und</strong>en, wo<br />

sie sich niederlassen können.<br />

Die Gr<strong>und</strong>lage für die Kategorisierung in freiwillige <strong>und</strong> unfreiwillige <strong>Migration</strong> ist<br />

die Einschätzung, inwieweit die Personen eine Alternative haben <strong>und</strong> selbst über<br />

ihre Zukunft entscheiden können.<br />

Bei Flucht handelt es sich zumeist um eine spontane, nicht geplante <strong>und</strong> unfreiwillige<br />

Entscheidung, die durch äußere Umstände (Verfolgung, Lebensgefahr, ...) erzwungen<br />

wird. Diese Definition soll <strong>und</strong> muss immer wieder kritisch geprüft werden;<br />

bei der Bewertung von Lebensbedingungen müssen immer wieder erneut<br />

soziale, politische, religiöse <strong>und</strong> wirtschaftliche Faktoren in Betracht gezogen<br />

werden.<br />

„Menschen fliehen aus ihrer Heimat, weil sie politisch verfolgt, gedemütigt,<br />

gefoltert, drangsaliert <strong>und</strong> diskriminiert werden. Sie fliehen, um ihr Leben<br />

zu retten <strong>und</strong> um dem Hungertod zu entgehen. Es wird direkter Zwang auf<br />

sie ausgeübt, oder sie sehen sich zur Flucht gezwungen. Zwang <strong>und</strong> Freiwilligkeit<br />

mischen sich immer mehr:“ (Treibel 1999, S. 21)<br />

Oftmals ist die Kategorisierung im Einzelfall auch nicht möglich <strong>und</strong> dient politischen<br />

Zwecken; zum Beispiel, wenn das B<strong>und</strong>esasylamt (österreichische Asylbehörde,<br />

1. Instanz) die gewalttätige Zwangsenteignung von Bauern durch ein Militärregime<br />

als rein wirtschaftlich begründete Wanderung abtut.<br />

Dennoch dient die Unterteilung in freiwillige <strong>und</strong> unfreiwillige <strong>Migration</strong> dazu, die<br />

vielfältigen Beweggründe <strong>und</strong> Motivationen der MigrantInnen <strong>und</strong> Flüchtlinge<br />

besser zu verstehen.<br />

1.2. Ursachen für <strong>Migration</strong><br />

Was sind nun die Gründe für <strong>Migration</strong>?<br />

<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht können auch als Folgen von Krisen gesehen werden, die<br />

nicht bewältigt werden konnten. Diese Krisen bzw. Ursachen kann man in fünf<br />

Gruppen einteilen:<br />

1.2.1. Kriege <strong>und</strong> Bürgerkriege<br />

<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht<br />

Gewalttätige <strong>und</strong> kriegerische Auseinandersetzungen sind leider ein Bestandteil<br />

der menschIichen Geschichte, die trotz aller zivilisatorischen Entwicklungen nicht<br />

abnehmen, im Gegenteil eher noch zunehmen. Zu betonen ist aber, dass es dabei<br />

nicht um „Naturgesetze“, sondern um konkrete Auswirkungen von politischen<br />

Handlungen <strong>und</strong> Entscheidungen geht. In den letzten Jahrzehnten geht die Tendenz<br />

eher weg von den großen Massenkriegen hin zu kleinen, regional begrenzten<br />

kriegerischen Auseinandersetzungen. Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

erlebte <strong>und</strong> erlitt die Menschheit jährlich etwa 30 bewaffnete Konflikte mit<br />

zwischen einer halben <strong>und</strong> einer Million Kriegstoten pro Jahr. Ein weiteres<br />

Merkmal dabei ist, dass nur noch jeder zehnte dieser Kriege zwischen verschiedenen<br />

Staaten geführt wird; die größte Zahl der Kriege findet innerhalb eines Staates<br />

statt.<br />

Dabei fällt vor allem auf, dass die Zivilbevölkerung besonders betroffen ist. Das<br />

geht sowohl aus den Opferzahlen hervor, als auch aus den Flüchtlingsströmen, die<br />

aus regional begrenzten Kriegen entstehen. In den besonders krisenanfälligen Ge-<br />

10 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht<br />

bieten, wie etwa West- <strong>und</strong> Zentralafrika, lässt sich dies unschwer erkennen. Die<br />

große Mehrzahl der Flüchtlinge sind Frauen, Kinder <strong>und</strong> alte Menschen.<br />

1.2.2. Naturkatastrophen<br />

Nicht nur die Anzahl der Katastrophen scheint zuzunehmen, sondern auch das<br />

Ausmaß der Verwüstung, das sie anrichten. Dabei ist der Begriff Naturkatastrophen<br />

verfänglich. Eine große Zahl von sogenannten Naturkatastrophen (Hungersnöte,<br />

Überschwemmungen, Vermurungen, Flutwellen) sind von Menschenhand<br />

verursacht bzw. beeinflusst. Nachweislich sind etwa Hungersnöte in Afrika durch<br />

falsche landwirtschaftliche Nutzung <strong>und</strong> expansive Verkaufspolitik von multinationalen<br />

Konzernen erzeugt, zumindest aber mit unterstützt worden.<br />

Dazu ein Beispiel: Hybride Getreidesorten sind Samen, die bereits mit einem<br />

Planzenschutzmittel bearbeitet sind <strong>und</strong> sich nicht weiter vermehren<br />

können. Das Pflanzenschutzmittel, das Unkraut im Umkreis des Samens<br />

zerstört, entzieht dem Boden viel mehr Wasser als herkömmliche Samen.<br />

In diesen bereits dürren Regionen eine fatale Eigenschaft. Außerdem erhielten<br />

die schon armen Bauern keine neuen Samen. Sie mussten für die<br />

nächste Ernte wieder neue Samen kaufen. Vorteil der Hybrid-Sorten ist,<br />

dass sie viel bessere Erträge erzielen.<br />

Der bereits trockene Boden trocknete noch weiter aus, die Ernte blieb aus,<br />

den Bauern fehlte das Geld, um Saatgut zu kaufen, es fehlt das Wasser<br />

usw., ein Kreislauf, der in Armut <strong>und</strong> Hungersnot führte.<br />

Daher ist in den letzten Jahrzehnten ein neuer Typus Flüchtling entstanden, der als<br />

Umweltflüchtling bezeichnet wird. Dieser Begriff kommt daher, dass die unmittelbare<br />

Ursache für die Flucht Naturkatastrophen waren.<br />

1.2.3. Sozioökonomische Ungleichheit <strong>und</strong> Instabilität<br />

Aus dem zuvor Gesagten deutet sich schon an, dass Armut <strong>und</strong> soziale Ungleichheit<br />

wesentliche Ursachen für <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht sind. Wenn wir über Ursachen<br />

von <strong>Migration</strong> sprechen, müssen wird das herrschende Ungleichgewicht zwischen<br />

Arm <strong>und</strong> Reich betonen <strong>und</strong> als wesentliche Ursache mit beachten.<br />

Die ärmsten 20% der Weltbevölkerung hatten vor 30 Jahren einen Anteil von 2,3%<br />

am globalen Einkommen. Nun ist der Anteil auf 1,4% gefallen. Der Anteil des obersten<br />

Fünftels ist in dieser Zeit von 70% auf 85% angestiegen. Wir haben es also mit<br />

einer Phase zu tun, in der die Schere zwischen Reich <strong>und</strong> Arm nicht kleiner wird,<br />

sondern noch einmal weiter auseinander geht.<br />

Dabei tragen weltwirtschaftliche Entwicklungen häufig dazu bei, dass die<br />

Ungleichheit zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen eines Landes wächst <strong>und</strong><br />

die Stabilität dabei sinkt. Die Folge sind Verteilungskämpfe, Bürgerkriege <strong>und</strong><br />

Flucht.<br />

<strong>Migration</strong> beginnt oft auch schon in einem Land, wenn etwa die verarmte Bauernschaft<br />

ihr Heil in der Landflucht (Binnenmigration) sucht <strong>und</strong> in die großen Metropolen<br />

zieht, verzweifelt auf der Suche nach Arbeit, um die Existenz von sich<br />

<strong>und</strong> ihren Familien zu sichern. Dieses Konzept ist zwar oft zum Scheitern verurteilt,<br />

da die meisten sich in den Vorstadtslums der großen Städte <strong>und</strong> als Taglöhner<br />

wieder finden, ist aber oft der erste Schritt der Heimatlosigkeit, die sich in weiterer<br />

Folge auch in anderen Formen der Auswanderung äußert.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 11


1.2.4. Konkurrenz um Ressourcen<br />

<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht<br />

Die Konkurrenz um den Zugang zu Ressourcen, vor allem um fruchtbares Land,<br />

Rohstoffe <strong>und</strong> Wasser ist eine der wichtigsten <strong>und</strong> häufigsten Ursachen für Wanderungsbewegungen.<br />

In vielen Ländern ist es nicht mehr möglich, mit den gegebenen<br />

Anbaumethoden die natürlichen Ressourcen nachhaltig zu bewirtschaften,<br />

weil die Bevölkerung allzu stark wächst. So entsteht eine sich verschärfende Spirale<br />

von Armut, Bevölkerungswachstum <strong>und</strong> Ausbeutung der Ressourcen. Insbesondere<br />

die Wasserknappheit ist ein immer größer werdendes Problem.<br />

Konflikte über den Zugang zu Land <strong>und</strong> die Nutzung des Bodens nehmen zu – sowohl<br />

innerhalb einzelner Länder als auch zwischen verschiedenen Ländern. Diese<br />

Konflikte entwickeln sich in manchen Regionen zu Bürgerkriegen, besonders entlang<br />

ethnischer Grenzen.<br />

Zum Beispiel starben In Ghana 1994 über 2.000 Menschen durch Landkonflikte,<br />

eine Viertelmillion flüchtete. Durch diese Flüchtlingsströme entstehen<br />

wiederum neue Konflikte um Boden.<br />

1.2.5. Demokratiedefizit, Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung von<br />

Minderheiten<br />

All diese oben genannten Gründe gehen fast immer mit massiven politischen <strong>und</strong><br />

staatlichen Problemen einher, die dazu führen, dass es keine demokratischen Entwicklungen<br />

gibt, Menschenrechte nicht gesichert sind, dass ethnische, religiöse,<br />

politische Minderheiten in den Staaten unterdrückt <strong>und</strong> verfolgt werden <strong>und</strong><br />

Gr<strong>und</strong>rechte mit Füßen getreten werden.<br />

Dabei sind zwei unterschiedliche Kategorien feststellbar. Erstens, der klassische<br />

Unterdrückungsstaat, der sich etwa durch ein gewalttätig an die Macht geputschtes<br />

Militärregime ausdrückt. Die staatlichen Institutionen sind zwar vorhanden,<br />

werden aber im Rahmen von Machtausbau <strong>und</strong> Propaganda zum Zwecke<br />

der Verfolgung von missliebigen Personengruppen skrupellos missbraucht <strong>und</strong><br />

eingesetzt.<br />

Medien, Gerichte, Exekutive, Militär <strong>und</strong> Politik sind Teil des Systems. Sie stehen<br />

unter Herrschaftskontrolle <strong>und</strong> sind gleichgeschaltet. Dies nennt man Staatsterrorismus.<br />

Nicht selten werden diese innerstaatlichen Diktatoren <strong>und</strong> Warlords auch<br />

durch außenstehende Großmächte <strong>und</strong> deren Interessen gestützt – wie etwa die<br />

Militärdiktatur in Chile, die von den USA militärisch, logistisch, finanziell <strong>und</strong> wirtschaftlich<br />

unterstützt worden ist.<br />

Eine zweite Kategorie, die immer öfter auftritt, ist die völlige Destabilisierung<br />

<strong>und</strong> das Auseinanderfallen der staatlichen Institutionen. Staatliche Einrichtungen<br />

existieren praktisch nicht mehr, zentrale staatliche Aufgaben können<br />

nicht mehr wahrgenommen werden, Schutz <strong>und</strong> Mindestgarantien für die Bevölkerung<br />

zerfallen. Die Folge (wie etwa eine Zeit lang im Kosovo oder in Afghanistan)<br />

ist, dass sich Strukturen herausbilden, die oft rücksichtslose Regionalherrscher<br />

hervorbringen, die sich aufgr<strong>und</strong> ihrer Gewalttätigkeit <strong>und</strong> militärischen Stärke<br />

behaupten können. Dazu kommt, dass zumeist mafios-kriminelle Strukturen (Drogen-,<br />

Waffenhandel u. a.) mit einhergehen, die die Machtbasis der Warlords<br />

(Kriegsherren) sichern.<br />

Ein fehlendes politisches System, das Entwicklung, Sicherheit <strong>und</strong> Schutz bieten<br />

kann, mangelnde Kontrolle, fehlende demokratische Einrichtungen sind die Hauptursachen<br />

für Verfolgung, Terror, Folter <strong>und</strong> andere Menschenrechtsverletzungen.<br />

Das nackte Leben zu retten, kann oftmals nur durch Flucht gelingen.<br />

12 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht<br />

1.3. Nutzen der <strong>Migration</strong><br />

Wenn es auch zynisch klingen mag, so sollte man dennoch den Blick darauf richten,<br />

dass <strong>Migration</strong> für viele auch erheblichen Nutzen hat. Die industrialisierten<br />

Länder <strong>und</strong> Teile der Wirtschaft in diesen Ländern haben aus dem Wohlstandsgefälle<br />

immer schon Nutzen gezogen. Die riesige Masse an auswanderungswilligen<br />

Menschen stellen ein willkommenes Arbeitskräftereservoir für nahezu alle<br />

Bedürfnisse dar. Manche der klassischen Einwanderungsländer machten daraus<br />

nie ein Hehl <strong>und</strong> stellten Regeln auf, um die für sie interessanten (gut ausgebildete<br />

<strong>und</strong> besser verdienende) MigrantInnen ins Land zu holen. Andere, wie etwa Österreich<br />

<strong>und</strong> Deutschland taten dies eher verstohlen <strong>und</strong> hinter vorgehalter Hand<br />

<strong>und</strong> sicherten dem Arbeitsmarkt eine „Reservearmee“ im Billiglohnbereich.<br />

Die europäischen Staaten haben zwar unterschiedliche Strategien aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

Geschichte (Kolonialgeschichte), ihnen gemeinsam ist aber eine lange Tradition<br />

der Arbeitsmigration.<br />

Für Österreich gilt, dass aufgr<strong>und</strong> der wirtschaftlichen Entwicklung Anfang der<br />

60er Jahre Strategien entwickelt worden sind, die dazu führten, dass für bestimmte<br />

Branchen (Gastgewerbe, Bau, ...) <strong>und</strong> vor allem im Niedriglohnbereich (Hilfsarbeiter,<br />

ungelernte Kräfte) sogenannte „Gastarbeiter“ ins Land geholt bzw. angeworben<br />

worden sind.<br />

Je nach Arbeitsmarkt- <strong>und</strong> Wirtschaftslage wurde versucht, diese auch wieder<br />

„los zu werden“, was allerdings nur teilweise gelang. Viele der geholten Arbeitskräfte<br />

blieben nicht nur für kurze Zeit, sondern sahen <strong>und</strong> sehen Österreich als<br />

„zweite Heimat“ an.<br />

Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass <strong>Migration</strong> für den/die Einzelne/n<br />

auch einen Gewinn darstellt. Für viele Menschen ist die Emigration/Flucht der<br />

Ausgangspunkt eines Neubeginns, einer, wenn auch dramatischen Änderung der<br />

Lebensverhältnisse, die auch zu neuen <strong>und</strong> positiven Entwicklungen führte. Es<br />

sind uns viele namhafte Intellektuelle, PolitikerInnen, KünstlerInnen <strong>und</strong> WissenschaftlerInnen<br />

bekannt, die vor den Nationalsozialisten (Nazis) aus Österreich fliehen<br />

mussten <strong>und</strong> später Karriere machten.<br />

Für viele stellt der freiwillige oder erzwungene Aufbruch die Chance auf Veränderung<br />

<strong>und</strong> Neuorientierung dar, die der/die Einzelne oft zu nutzen wusste.<br />

1.4. Geschichte der <strong>Migration</strong><br />

Armut ist eine der zuvor angesprochenen Ursachen für <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> war schon<br />

der Gr<strong>und</strong> für die großen Auswanderungswellen der IrInnen im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

oder der ItalienerInnen im frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, großteils in die USA.<br />

Auch aus Österreich sind in den 20er-Jahren viele Menschen aufgr<strong>und</strong> der Armut<br />

<strong>und</strong> Perspektivenlosigkeit ausgewandert. In den 30er- <strong>und</strong> 40er-Jahren des letzten<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts mussten viele ÖsterreicherInnen vor den Nazis flüchten.<br />

Die letzten Länder in Europa, die große Auswanderungswellen zu verzeichnen<br />

hatten, waren nach dem Zweiten Weltkrieg (bis etwa Mitte, Ende der 80er-Jahre<br />

des 20 Jahrh<strong>und</strong>erts) Portugal, Spanien, Italien, Ex-Jugoslawien, Griechenland. Die<br />

Menschen aus diesen Ländern stellten mit den Maghreb-Staaten (Marokko, Ägypten,<br />

Tunesien) <strong>und</strong> der Türkei bis vor wenigen Jahren das Hauptkontingent der Arbeitsmigration<br />

nach Europa dar.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 13


Wie aber aus der Liste schon ersichtlich ist, waren eben nicht nur Armut allein,<br />

sondern immer auch politische Entwicklungen, dafür verantwortlich. Portugal hatte<br />

ein Militärregime, in Griechenland putschte Ende der 60er (1967 - 1973) das Militär,<br />

Spanien hatte seit den 30ern die Franco Diktatur zu erleiden.<br />

Durch den wirtschaftlichen Integrationsprozess <strong>und</strong> die Süderweiterung der Europäischen<br />

Union (Portugal, Spanien, Griechenland) Mitte der 80er Jahre wurde die<br />

Zahl der Auswanderungswilligen aus diesen Ländern langsam immer geringer.<br />

Durch die dynamische wirtschaftliche Entwicklung der Europäischen Union (EU)<br />

wurden die EU Mitgliedsländer in dieser Liste innerhalb weniger Jahre von Aus- zu<br />

Einwanderungsländern.<br />

Österreich war als Teil des Naziregimes verantwortlich für <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flüchtlingsbewegungen.<br />

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kamen mehr als 2 Millionen<br />

Kriegsflüchtlinge, -gefangene <strong>und</strong> Vertriebene nach Österreich. Viele nutzten<br />

das Land als Zwischenstation. Diese Funktion Österreichs blieb während des<br />

Kalten Krieges (50er bis 1989) aufrecht.<br />

Nach dem Zerfall des „Ostblocks“ veränderten sich die <strong>Migration</strong>sströme. Die ost<strong>und</strong><br />

südosteuropäischen Länder wurden als neues Reservoir entdeckt, Arbeitskräfte<br />

für die EU zu gewinnen. Die Zuwanderung aus den osteuropäischen Ländern<br />

war in den letzten Jahren auch deswegen bedeutend, weil die wirtschaftliche<br />

Entwicklung gegenüber den großen EU-Nachbarn deutlich nachhinkte.<br />

Österreich wurde wie viele andere Länder selbst zum Ziel von Einwanderung<br />

<strong>und</strong> Zuwanderung (Immigration). Spaniens Küste ist ebenso Brennpunkt<br />

der illegalen Zuwanderung aus den Maghreb Staaten wie Italien <strong>und</strong><br />

Griechenland von Flüchtlingen aus Albanien, Türkei/Kurdistan, Iran, Irak,<br />

Afghanistan usw. benutzt werden.<br />

1.5. <strong>Migration</strong>srelevante Begriffe<br />

<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht<br />

Im folgenden Kapitel haben wir einige wichtige <strong>und</strong> häufig verwendete Begriffe<br />

zusammengefasst <strong>und</strong> uns bemüht, diese möglichst klar <strong>und</strong> einfach zu erklären.<br />

Weitere Begriffserklärungen finden Sie auch unter: www.zebra.or.at/FAQs/Lexikon<br />

AsylwerberInnen<br />

sind Personen, die einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gestellt<br />

haben <strong>und</strong> sich derzeit im Verfahren befinden – über deren Antrag also noch<br />

nicht entschieden worden ist. Nach dem Asylgesetz – AsylG97 erhalten AsylwerberInnen<br />

eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung.<br />

Flüchtling<br />

oder auch Konventionsflüchtling genannt, ist eine Person, die vom österreichischen<br />

Staat Asyl im Sinne der Genfer Konvention zugesprochen bekommen hat.<br />

Die Genfer Flüchtlingskonvention definiert den Begriff Flüchtling folgendermaßen:<br />

„Flüchtling ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner<br />

Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe<br />

oder wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb des Landes befindet, dessen<br />

Staatsangehörigkeit er besitzt <strong>und</strong> den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch<br />

nehmen kann”.<br />

Mit dieser Anerkennung sind Flüchtlinge gegenüber anderen AusländerInnengruppen<br />

begünstigt. Sie erhalten das unbefristete Aufenthaltsrecht, den freien Zugang<br />

zum Arbeitsmarkt <strong>und</strong> die sonstige rechtliche Gleichstellung gegenüber Ös-<br />

14 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht<br />

terreicherInnen. Anerkannte Konventionsflüchtlinge sind auch bezüglich der Einbürgerung<br />

begünstigt. Asyl kann nur unter bestimmten Voraussetzungen aberkannt<br />

werden: schwere Straftaten, Situation im Heimatland ändert sich dramatisch<br />

zum Besseren.<br />

Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)<br />

Sie setzt sich speziell mit der Definition, dem Verfahren <strong>und</strong> der Rechtsstellung<br />

von Flüchtlingen auseinander. Sie wurde 1951 unterzeichnet <strong>und</strong> bezieht sich auf<br />

den Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre<br />

1948. Danach hat jeder Mensch das Recht, um Asyl in einem anderen Land anzusuchen.<br />

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte<br />

Sie wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember<br />

1948 beschlossen <strong>und</strong> gilt als universelles Dokument, das umfassend Menschenrechte<br />

definiert.<br />

Mit der Erklärung der Menschenrechte steht erstmals eine weltumspannende, allgemein<br />

akzeptierte <strong>und</strong> gültige Definition von Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Freiheitsrechten des<br />

Menschen zur Verfügung. In den Artikeln 1 <strong>und</strong> 2 der Erklärung wird auch die<br />

Gleichheit dieses Anspruches festgelegt:<br />

“Alle Menschen sind frei <strong>und</strong> gleich an Würde <strong>und</strong> Rechten geboren. Sie sind mit<br />

Vernunft begabt <strong>und</strong> sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.”<br />

Und im Artikel 2 heißt es weiter:<br />

“Jeder Mensch hat Anspruch auf in dieser Erklärung verkündeten Rechte <strong>und</strong> Freiheiten,<br />

ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht,<br />

Sprache, Religion, politischer <strong>und</strong> sozialer Überzeugung, nationaler oder sozialer<br />

Herkunft, nach Eigentum, Geburt oder sonstigen Umständen.”<br />

Weitere wichtige Artikel sind:<br />

Recht auf Leben <strong>und</strong> Freiheit (Art. 3), Verbot der Sklaverei <strong>und</strong> des Sklavenhandels<br />

(Art. 4), Verbot der Folter (Art. 5), die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 7), der Schutz<br />

vor Verhaftung <strong>und</strong> Ausweisung (Art. 9), Asylrecht (Art. 14), Freiheit der Eheschließung,<br />

Schutz der Familie (Art. 16), Gewährleistung des Eigentums (Art. 17), Gewissens-<br />

<strong>und</strong> Religionsfreiheit (Art. 18), Meinungs- <strong>und</strong> Informationsfreiheit (Art. 19),<br />

Versammlungs- <strong>und</strong> Vereinsfreiheit (Art. 20), allgemeines, gleiches Wahlrecht (Art. 21)<br />

Um dieser Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte konkretere Durchsetzungsmöglichkeiten<br />

zu geben, wurde vom Europarat im Jahre 1952 die Europäische<br />

Menschenrechtskonvention (EMRK) unterzeichnet, die auch für die österreichische<br />

Rechtsordnung ausschlaggebend geworden ist.<br />

Asylgesetz<br />

Das Asylgesetz (AsylG) beruft sich auf internationale Abkommen, insbesondere<br />

auf die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Es regelt das Asylverfahren <strong>und</strong> den<br />

Aufenthalt von Menschen, die nach Österreich kommen, um Schutz vor Verfolgung<br />

zu finden <strong>und</strong> hier einen Antrag auf Asyl stellen.<br />

Asylverfahren<br />

Prinzipiell sieht die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ein Einzelprüfungsverfahren<br />

vor, d. h. die Person muss einen schriftlichen Antrag stellen, in dem sie die<br />

Gründe für ihre Flucht darlegen soll. In Österreich ist das ein Verwaltungsverfahren<br />

(keine richterliche Instanz), das in zwei regulären Instanzen <strong>und</strong> einer möglichen<br />

außerordentlichen Instanz abgehandelt wird. Die Behörde, die in erster Instanz<br />

für die Verfahren zuständig ist, ist das B<strong>und</strong>esasylamt. Der Unabhängige B<strong>und</strong>esasylsenat<br />

(UBAS) wickelt die zweite Instanz ab. Sollte der/die AntragstellerIn<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 15


<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht<br />

der Meinung sein, dass das Verfahren verfahrenstechnische oder schwere inhaltliche<br />

Fehler aufweist, so kann mit Hilfe eines Rechtsanwaltes Beschwerde beim<br />

Verwaltungs- oder Verfassungsgerichtshof eingelegt werden.<br />

Ein Asylantrag kann am Flughafen, an der Landesgrenze bei einem Grenzübergang,<br />

direkt beim Asylamt, bei einer Behörde oder einer Beratungsstelle, die den<br />

Asylantrag direkt an das B<strong>und</strong>esasylamt schickt, gestellt werden. In den letzten<br />

Jahren <strong>und</strong> Jahrzehnten entwickelte sich aus dem Asylgesetz, das prinzipiell für<br />

den Schutz der Flüchtlinge entstanden war, immer mehr ein Flüchtlingsabhaltegesetz.<br />

Mehrere Reformen der Gesetze – insbesondere des Asylgesetzes (1992, 1997,<br />

2003) wurden vorgenommen, die gesetzliche Maßnahmen enthielten, um AntragstellerInnen<br />

vom Verfahren auszuschließen, bzw. es ihnen möglichst schwer zu<br />

machen, das Verfahren ordentlich abschließen zu können.<br />

Gr<strong>und</strong> für diese Entwicklung ist weniger eine österreichinterne Politik, als viel<br />

mehr eine gr<strong>und</strong>legende Ausrichtung der Europäischen Union (EU), die die Grenzen<br />

nach innen (also zwischen den EU Staaten) abbaut, im Gegenzug die Grenzen<br />

nach außen immer dichter machen will. Ein zweites Problem dabei ist, dass die<br />

Flüchtlingsproblematik nicht als Demokratie- <strong>und</strong> Menschenrechtsthema, sondern<br />

immer stärker als Polizei- <strong>und</strong> Sicherheitsthema behandelt wird. Die Folge<br />

ist, dass viele AsylwerberInnen illegalisiert werden <strong>und</strong> fast ausschließlich nur<br />

mehr über illegalen Transport <strong>und</strong> mit Hilfe von Schleppern nach Europa kommen<br />

– was wiederum die Spirale der polizeilichen Gegenmaßnahmen weiter dreht.<br />

Österreich liegt mit dem Beitritt der osteuropäischen Länder im Jahre 2004 nicht<br />

mehr am Rand der EU, sondern rückt in die Mitte. Das Problem der Flüchtlingsabwehr<br />

verlagert sich dann stärker in den Osten (Slowakei, Ungarn, Slowenien).<br />

Antragstellung in Österreich<br />

Auch wenn Flüchtlinge illegal, also unter Umgehung der Grenzkontrollen kommen,<br />

können sie einen Asylantrag stellen. Dieser Antrag kann derzeit direkt beim<br />

B<strong>und</strong>esasylamt oder bei einer Sicherheitsbehörde (Polizei) gestellt werden. Um jedoch<br />

dorthin zu kommen <strong>und</strong> ausreichendes Wissen <strong>und</strong> Information zur Stellung<br />

eines Antrages zu haben, müssen die AsylwerberInnen eine Reihe von Hürden<br />

überspringen. So steht etwa an der Grenze zu Ungarn, Slowakei <strong>und</strong> Tschechien<br />

das Militär, das in einem sogenannten Assistenzeinsatz den Grenzbehörden behilflich<br />

ist, Illegale aufzugreifen. Diese werden nach Aufgriff möglichst wieder in<br />

das Land zurückgeschickt, von dem aus sie nach Österreich gekommen sind.<br />

Als weitere Hürde wurde ein sogenanntes Vorprüfungsverfahren eingeführt, das<br />

es der Behörde (hier das B<strong>und</strong>esasylamt) ermöglicht, AsylwerberInnen vom eigentlichen<br />

Verfahren auszuschließen. In diesem Vorprüfungsverfahren werden<br />

zwei Fragen geklärt:<br />

a) Sicheres Drittland: Hätte ein Flüchtling vor seiner Einreise nach Österreich in<br />

einem anderen Staat Schutz vor Verfolgung finden können? Entscheidet die Behörde,<br />

dass dies der Fall ist, so kann sie diese Person in das jeweilige Land zurückschieben.<br />

b) Offensichtlich unbegründete Asylanträge: Neben der Frage des sicheren<br />

Drittlandes prüft das B<strong>und</strong>esasylamt auch, ob ein Asylantrag unbegründet ist. Dies<br />

ist dann der Fall, wenn im Asylantrag keine Fluchtgründe angeführt werden, wenn<br />

der Asylantrag mit einer wirtschaftlichen Notlage begründet wird, wenn die Angaben<br />

des Asylwerbers oder der Asylwerberin offensichtlich falsch sind oder seine/<br />

ihre Identität bezweifelt wird. Gegen eine negative Entscheidung im Vorverfahren<br />

kann man innerhalb von zehn Tagen Berufung einlegen. Wird auch diese Hürde<br />

übersprungen, so wird das eigentliche Verfahren durchgeführt.<br />

16 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht<br />

Das eigentliche Asylverfahren beruht auf der Einvernahme des Asylwerbers, der<br />

Asylwerberin durch das B<strong>und</strong>esasylamt. Gr<strong>und</strong>sätzlich wird dem/der Asylwerber/in<br />

für die Dauer des Verfahrens eine Aufenthaltsberechtigung zuerkannt. Allerdings<br />

ist damit in der Regel keine Arbeitserlaubnis verknüpft.<br />

Zu einem Teil wird den AsylwerberInnen, die mittellos sind, Aufnahme in eine<br />

staatliche Betreuung (bei Vorlage von Dokumenten) gewährt (siehe auch Absatz<br />

zur B<strong>und</strong>esbetreuung).<br />

Erhält der/die AsylwerberIn in erster Instanz einen negativen Bescheid, so kann<br />

er/sie dagegen innerhalb von zwei Wochen berufen.<br />

Ist das Asylverfahren insgesamt negativ abgeschlossen, muß der/die AsylwerberIn<br />

Österreich verlassen. Gegen sie/ihn wird dann eine Ausweisung erlassen, d. h.<br />

eine Aufforderung, aus Österreich auszureisen.<br />

Unabhängiger B<strong>und</strong>esasylsenat (UBAS)<br />

Der UBAS wurde mit dem Asylgesetz 1997 eingerichtet, hat seinen Sitz in Wien<br />

<strong>und</strong> stellt die zweite Instanz im Asylverfahren dar. Er kann aufgr<strong>und</strong> der Akten entscheiden<br />

oder den/die BerufungswerberIn auch zu einer mündlichen Einvernahme<br />

vorladen. Gegen den Bescheid des UBAS kann sowohl der Beschwerdeführer<br />

Berufung, wie auch das B<strong>und</strong>esministerium für Inneres (BMI) eine Amtsbeschwerde<br />

beim Verwaltungsgerichtshof einlegen.<br />

Mit der Einführung des UBAS hat sich die Qualität der Ermittlungsverfahren in<br />

zweiter Instanz deutlich verbessert.<br />

Non Refoulement<br />

Das Non Refoulement beruht auf dem Artikel 3 der EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention)<br />

<strong>und</strong> ist am besten mit dem Verbot der Abschiebung zu übersetzen.<br />

Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für<br />

die Annahme bestehen, dass die Betroffenen Gefahr liefen, dort einer unmenschlichen<br />

Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.<br />

Bei AsylwerberInnen entscheidet über Non Refoulement Anträge das B<strong>und</strong>esasylamt<br />

(BAA), bei allen anderen die Fremdenpolizei. Das Non Refoulement geht über<br />

die Gründe, die in einem Asylverfahren maßgeblich sind, hinaus; so können eben<br />

auch Personen, die nicht Flüchtlinge sind, diesen Schutz in Anspruch nehmen.<br />

B<strong>und</strong>esbetreuung<br />

Die B<strong>und</strong>esbetreuung meint die staatliche Versorgung von mittellosen AsylwerberInnen<br />

<strong>und</strong> ist im B<strong>und</strong>esbetreuungsgesetz geregelt. Voraussetzung für die Aufnahme<br />

in die B<strong>und</strong>esbetreuung sind vor allem zwei Faktoren:<br />

Erstens muss der/die AsylwerberIn seine/ihre Identität mittels Lichtbildausweis<br />

nachweisen <strong>und</strong> zweitens muss er/sie glaubhaft machen, mittellos zu sein. Vor allem<br />

die erste Voraussetzung ist jedoch in der Praxis schwierig zu ermitteln, bzw.<br />

stehen den zuständigen Beamten des B<strong>und</strong>esministeriums für Inneres (BMI) eine<br />

Reihe von Ermessensspielräumen zur Verfügung.<br />

Es ist davon auszugehen, dass die meisten der AsylwerberInnen mit unvollständigen,<br />

gefälschten Papieren oder überhaupt ohne Dokumente nach Österreich<br />

kommen. Die Folge dieser restriktiven Aufnahme ist oftmals die Inschubhaftnahme<br />

von AsylwerberInnen oder die Versorgung in Notquartieren <strong>und</strong> -unterkünften<br />

durch Hilfsorganisationen (Caritas, Volkshilfe, Diakonie, Rotes Kreuz u. a.).<br />

Durch Verträge zwischen dem BMI <strong>und</strong> UnterbringungsbesitzerInnen (Wirtschaften,<br />

Pensionen, Gasthöfen), privaten Organisationen (Caritas, Kirchen) oder kommunalen<br />

Einrichtungen werden AsylwerberInnen in die jeweiligen Unterbringungen<br />

zugeteilt. Der/die VertragsnehmerIn verpflichtet sich, die Unterkunft, die Ver-<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 17


<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht<br />

pflegung (3x täglich) <strong>und</strong> die hygienischen <strong>und</strong> sanitären Voraussetzungen zu sichern,<br />

dafür erhält er/sie einen Geldbetrag pro Tag <strong>und</strong> Person.<br />

Die Unterbringung erfolgt sowohl in Lagern (Traiskirchen) mit vielen h<strong>und</strong>erten<br />

Personen, wie auch in Pensionen <strong>und</strong> Gasthöfen.<br />

Dieses System wurde in den letzten Jahren immer wieder heftig kritisiert. Erstens<br />

profitieren vor allem Private ohne fachliche Eignung <strong>und</strong> entsprechende Betreuungsangebote<br />

von den AsylwerberInnen. Zweitens machen die Privaten umso<br />

mehr Gewinn, je weniger Leistungen sie zur Verfügung stellen (Hygieneartikel,<br />

Warmwasser, Größe der Essensportionen usw.). Drittens gibt es keinerlei Normen<strong>und</strong><br />

Kriterienkatalog für die VertragspartnerInnen, daher ist die Vergabe auch<br />

höchst intransparent <strong>und</strong> unschlüssig. Viertens existiert keine Kontrollinstanz.<br />

Das BMI, das die Verträge macht, ist auch gleichzeitig für die Kontrolle zuständig.<br />

Viele der Unterbringungen, Pensionen <strong>und</strong> Lager sind im ganzen Land verstreut,<br />

Gemeinden <strong>und</strong> Länder werden nicht mit einbezogen, <strong>und</strong> Kontrollen werden nur<br />

nach Voranmeldung durchgeführt.<br />

UNHCR<br />

Das Hohe Kommissariat für Flüchtlinge (UNHCR – United Nations High Commissioner<br />

for Refugees) leistet Rechtsschutz <strong>und</strong> humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in aller<br />

Welt. Im Jahre 1950 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen ins Leben<br />

gerufen, nahm UNHCR am 1. Jänner 1951 seine Arbeit auf. Gr<strong>und</strong>lage für die Arbeit<br />

von UNHCR ist der Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), die<br />

ebenfalls 1951 von den Mitgliedern der UNO unterzeichnet wurde <strong>und</strong> 1967 in einem<br />

eigenen Protokoll aktualisiert <strong>und</strong> ergänzt wurde.<br />

Aufgabe von UNHCR ist es, weltweit Flüchtlinge zu registrieren, ihnen rechtlichen<br />

Schutz zu gewähren, sie bei mangelndem Rechtsschutz unter ihre rechtliche Obhut<br />

zu stellen <strong>und</strong> humanitäre Hilfe zu leisten. Daneben übernimmt UNHCR eine<br />

Kontroll- <strong>und</strong> Überwachungsfunktion in Bezug auf die Durchsetzung <strong>und</strong> Gewährleistung<br />

des Schutzes vor Verfolgung in den verschiedenen Mitgliedsstaaten. Bei<br />

den innenpolitischen Diskussionen um Änderungen, Novellierungen <strong>und</strong> Verschärfungen<br />

des Asyl- <strong>und</strong> Fremdengesetzes nimmt UNHCR immer eine besonders<br />

wichtige Stellung ein, wie zuletzt bei der Neufassung des Asylgesetzes 1992,<br />

dessen Novellierung 1997 <strong>und</strong> der Diskussion um die neuerliche Reform des Asylgesetzes<br />

2003.<br />

Außerdem verfasst UNHCR aktuelle Berichte <strong>und</strong> Situationsanalysen über die<br />

Menschenrechtslage in den verschiedenen Ländern <strong>und</strong> Krisenregionen.<br />

Ausländerbeschäftigungsgesetz<br />

Das Ausländerbeschäftigungsgesetz regelt den Zugang zum Arbeitsmarkt <strong>und</strong> trat<br />

1975 in Kraft. In diesem Gesetz ist auch die B<strong>und</strong>eshöchstzahl von ausländischen<br />

Beschäftigten geregelt, sie liegt bei 8%.<br />

In diesem Gesetz sind drei Stufen der Integration am Arbeitsmarkt vorgesehen.<br />

Die erste Stufe ist die Beschäftigungsbewilligung welche einer Firma ausgestellt<br />

wird. Die zweite Stufe ist die Arbeitserlaubnis welche vom/von der AusländerIn<br />

selbst beantragt werden kann <strong>und</strong> auf ein B<strong>und</strong>esland beschränkt ist. Die dritte<br />

Stufe heißt Befreiungsschein. Dieser Befreiungsschein bedeutet die freie “Bewegung”<br />

am österreichischen Arbeitsmarkt.<br />

Die Beschäftigungbewilligung<br />

Um eine legale Beschäftigung in Österreich aufnehmen zu können, muß der/die<br />

AusländerIn eine Firma finden, die bereit ist, einen Antrag beim Arbeitsmarktservice<br />

(AMS) zu stellen. Voraussetzung dafür ist, dass der/die AusländerIn einen legalen<br />

Aufenthalt besitzt <strong>und</strong> einen ordentlichen Wohnsitz nachweisen kann. Das<br />

18 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht<br />

AMS prüft dabei den Aufenthalt, den Wohnsitz, die Einhaltung der kollektivvertraglichen<br />

Bestimmungen <strong>und</strong>, ob durch eine inländische oder eine vorzureihende<br />

ausländische Arbeitskraft die Stelle, für die ein Antrag eingereicht wurde, besetzt<br />

werden kann. Wichtig ist dabei, dass die Bewilligung nur für diese genau definierte<br />

Arbeitsstelle zu den definierten Bedingungen erteilt wird. Die Firma kann also<br />

den/die AusländerIn nicht für eine andere Stelle innerhalb des Betriebes einsetzen.<br />

Die Niederlassungsbewilligung<br />

Die Niederlassungsbewilligung benötigen Drittstaatenangehörige, die dauerhaft<br />

in Österreich bleiben wollen. Dabei ist der Begriff des “Mittelpunktes des Lebensinteresses”<br />

von zentraler Bedeutung. Eine Niederlassungsbewilligung kann zu folgendem<br />

Zweck erteilt werden:<br />

�Zur unselbständigen Erwerbstätigkeit,<br />

�zur selbständigen Erwerbstätigkeit <strong>und</strong><br />

�zum Zweck der Familienzusammenführung<br />

Derzeit können nur Schlüsselkräfte, das sind hochqualifizierte Arbeitskräfte, neu<br />

nach Österreich zuwandern. Weiters wurde eine humanitäre Niederlassugnsbewilligung<br />

eingeführt.<br />

Laut neuem Gesetz für Schlüsselkräfte zum Zwecke der Familienzusammenführung.<br />

Außerdem wurde eine humanitäre Niederlassungsbewillung <strong>und</strong> ein Niederlassungsnachweis<br />

eingeführt.<br />

Ausgenommen von den Bestimmungen der Niederlassungsbewilligung sind anerkannte<br />

Flüchtlinge oder Familienangehörige von ÖsterreicherInnen <strong>und</strong> EU-BürgerInnen.<br />

Der Erstantrag muss vom Ausland aus gestellt werden. AsylwerberInnen,<br />

die mit ÖsterreicherInnen verheiratet sind, sind von der Regelung der Erstantragstellung<br />

im Ausland ausgenommen. Alljährlich wird eine bestimmte Anzahl<br />

von ZuwanderInnen festgelegt, also eine Zuwanderungsquote.<br />

Gastarbeiterbewegung<br />

Der Start der Gastarbeiterbewegung lässt sich in Österreich ziemlich genau bestimmen.<br />

Am 17. Jänner 1962 wurden von den Sozialpartnern, der B<strong>und</strong>eswirtschaftskammer<br />

<strong>und</strong> dem Österreichischen Gewerkschaftsb<strong>und</strong> (ÖGB) eine<br />

Höchstzahl (Kontingent) von ausländischen Arbeitskräften festgelegt, um deren<br />

Beschäftigung zu regeln.<br />

Damit wurde die Gr<strong>und</strong>lage für das spätere Ausländerbeschäftigungsgesetz gelegt,<br />

das allerdings erst 1975 beschlossen wurde. Es begann eine Phase der Arbeitsmigration,<br />

die vor allem von den Wünschen <strong>und</strong> Bedürfnissen der Wirtschaft<br />

geprägt war. Damals sind in Österreich erstmals Befürchtungen geäußert worden,<br />

dass Arbeitskräftemangel den wirtschaftlichen Aufschwung behindern könnte.<br />

Die österreichische B<strong>und</strong>eswirtschaftskammer verhandelte zunächst mit Spanien,<br />

Griechenland, Jugoslawien <strong>und</strong> der Türkei. Vereinbarungen wurden mit Spanien<br />

(1962), der Türkei (1964) <strong>und</strong> Jugoslawien (1966) abgeschlossen. Die <strong>Migration</strong><br />

aus Spanien blieb für Österreich bedeutungslos.<br />

Der Gr<strong>und</strong> liegt in der gezielten Anwerbepolitik in den Ländern selbst. In Zagreb<br />

<strong>und</strong> Istanbul gelang es rasch Büros zu öffnen, welche die Auswanderung regelten<br />

<strong>und</strong> unterstützten.<br />

Auf der Basis dieser Übereinkünfte entstand etwa nach zwei Jahren ein reger Zuzug<br />

von neuen MigrantInnen, die den Verlockungen des „Goldenen Westens“<br />

nicht widerstehen konnten. Von 1963 bis 1974 wuchs die Zahl der Gastarbeiter<br />

beständig an. Ab 1975 sank die Zahl bis 1989. In den ersten beiden Jahren sogar<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 19


<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Flucht<br />

relativ stark (Rotationsprinzip). Ab 1989 gab es abwechselnd kürzere Phasen der<br />

Zu- <strong>und</strong> Abnahme, in denen auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes kurzfristig<br />

reagiert wurde.<br />

20 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Leben im Exil<br />

2. Leben im Exil<br />

Auswanderung wird normalerweise als massiver Bruch des bisherigen Lebensweges<br />

<strong>und</strong> der eigenen Biografie erlebt. Dieser Bruch hat den Charakter einer Übergangsphase<br />

<strong>und</strong> kann sich im Verlauf des Integrationsprozesses im neuen Land<br />

als eine persönliche Wachstumschance erweisen, jedoch auch als eine höchst<br />

instabile Situation, die eine Steigerung der Anfälligkeit für psychosoziale <strong>und</strong> psychosomatische<br />

Störungen in sich trägt.<br />

Welchen Verlauf der <strong>Migration</strong>sprozess bei einzelnen Personen nimmt, kann<br />

nicht generalisiert werden <strong>und</strong> verläuft auch höchst unterschiedlich. Einige wichtige<br />

Faktoren, die den Verlauf wesentlich beeinflussen, werden im Folgenden angeführt:<br />

�Umstände der Ausreise (freiwillig/unfreiwillig)<br />

�Erwartungen, Hoffnungen <strong>und</strong> Befürchtungen in Bezug auf das neue Leben<br />

�Ressourcen, die den Emigrierenden zur Verfügung stehen (Geldmittel, Informationen,<br />

u. a.)<br />

�persönliche Fähigkeiten, mit den Schwierigkeiten fertig zu werden<br />

�Persönlichkeitsmerkmale <strong>und</strong> entsprechende familiäre Ressourcen<br />

�Zeitpunkt der <strong>Migration</strong> (in welcher Phase des eigenen Lebens)<br />

�Politische, rechtliche <strong>und</strong> öffentliche Rahmenbedingungen in der Aufnahmegesellschaft<br />

�Interne Rahmenbedingungen in der Aufnahmegesellschaft (sozioökonomische<br />

Bedingungen der <strong>Migration</strong>sgemeinschaften, bestehende Familienbande, Geschichte<br />

der <strong>Migration</strong>)<br />

Fest steht, dass jede/r MigrantIn mit Problemen <strong>und</strong> Schwierigkeiten konfrontiert<br />

wird. Die meisten sind darauf nicht vorbereitet. Das löst zunächst Ängste <strong>und</strong> Verunsicherung<br />

aus, die sich – abhängig von den oben genannten Faktoren – unterschiedlich<br />

auswirken.<br />

Die Einreise bedeutet für den/die MigrantIn noch lange nicht, dass er/sie vollständig<br />

am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, selbst wenn er/sie gleich eine<br />

Aufenthaltsgenehmigung bekommt.<br />

Man kann dies mit einer Eintrittskarte in eine Theatervorstellung vergleichen: Sie<br />

allein ist nicht die Garantie für einen vollen Genuss. Erst wer im Theater einen Sitzplatz<br />

hat <strong>und</strong> das Stück verstehen kann, kann diesem folgen <strong>und</strong> Spaß am Stück<br />

haben.<br />

Der/die MigrantIn wird nach einer kurzen Phase der Euphorie mit der Realität konfrontiert.<br />

Er/Sie erfährt vielleicht, dass die Papiere nicht in Ordnung sind, die Ausbildung<br />

nicht ausreicht, dass lange Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen,<br />

er/sie nicht arbeiten darf oder auf sehr harte Arbeit angewiesen ist. Oft bekommt<br />

er/sie auch das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Dies kann leicht die Annahme<br />

hervorrufen, dass man, so wie man ist, weder im Aufnahme- noch im Ausreiseland<br />

akzeptiert wird.<br />

Die ersten Eindrücke in einem Land sind prägend, auch die Erfahrungen mit Einheimischen.<br />

Oft kommt die Ernüchterung schneller als erwartet, birgt jedoch auch<br />

die Chance, sich mit dem unternommenen Schritt auseinander zu setzen. Je höher<br />

die Erwartungen an das Aufnahmeland sind, desto größer ist die Gefahr, dass<br />

man sich nur mehr an Positives aus dem Heimatland erinnert <strong>und</strong> negative Erfahrungen<br />

verdrängt.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 21


<strong>Migration</strong> umfasst Abschiednehmen vom Gewohnten in allen Lebensbereichen.<br />

Die Trennung von der Heimat bedeutet immer auch, dass man ein Stück seiner<br />

Persönlichkeit verliert. Normalerweise gibt es ein Gerüst an Werten <strong>und</strong> Normen,<br />

das einem Vertrauen in sich selbst <strong>und</strong> in Beziehungen zu anderen gibt. Dieses Gerüst<br />

beginnt zu wanken; die Werte <strong>und</strong> Normen sind nicht mehr die gleichen wie<br />

im Heimatland. Oft ist man von Anderen abhängig.<br />

Erwachsene müssen häufig auf die Schulbank zurück, der Mann verliert seine Position<br />

als Familienernährer, die Frau, die in ihrem Herkunftsland berufstätig war,<br />

muss sich oft mit einer Nur-Hausfrau-Position begnügen. Beide fühlen sich in ihren<br />

neuen Rollen verunsichert <strong>und</strong> müssen Positionen aufgeben, durch die sie bisher<br />

Anerkennung erhalten haben.<br />

Durch all diese Unsicherheiten entstehen Ängste <strong>und</strong> das Gefühl der Hilflosigkeit,<br />

das hinderlich sein kann, seine Möglichkeiten im Fluchtland voll ausschöpfen zu<br />

können.<br />

Oft berichten MigrantInnen, dass sie mit der Zeit das Gefühl bekamen, sie seien<br />

nicht gut genug <strong>und</strong> könnten das „neue Leben“ nicht bewältigen.<br />

Jedoch ist ein wichtiger Schritt gesetzt, wenn es nicht mehr darum geht, das Gefühl<br />

zu haben, dem Heimatland nachtrauern zu müssen, sondern dem neuen Leben<br />

seine bereichernden Seiten abzugewinnen. Dies erleichtert die Integration<br />

der Herkunftskultur in die neue Kultur, ohne dass auf eine der beiden verzichtet<br />

werden muss.<br />

2.1. Umgang mit der fremden Kultur im Gastland?<br />

(Siehe auch Kapitel Kultur, Seite 26)<br />

Leben im Exil<br />

Zu diesem Thema gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Studien <strong>und</strong> wissenschaftlichen<br />

Untersuchungen.<br />

Was sich hier so leicht erzählen lässt, ist in der Tat ein sehr langwieriger <strong>und</strong><br />

schwieriger Prozess. Denn Worte können kaum ausdrücken, was es heißt, sich in<br />

einem völlig neuen <strong>und</strong> fremden kulturellen Umfeld zu bewegen. Hier stoßen wir<br />

auch auf eine Reihe von Ungereimtheiten zwischen Gesellschaft <strong>und</strong> Individuum,<br />

zwischen offizieller Politik <strong>und</strong> informellen Verhaltensweisen, zwischen den großen<br />

rechtlichen Rahmenbedingungen <strong>und</strong> den individuellen Wünschen nach Perspektiven<br />

<strong>und</strong> Fortschritt für sich <strong>und</strong> seine Zukunft.<br />

Und um es noch ein wenig komplizierter zu machen, muss uns bewusst sein, dass<br />

hinter jeder einzelnen Person, der/die als MigrantIn hier ist, eine ganze Gedankenwelt<br />

der Familie <strong>und</strong> Angehörigen steht, die bei all dem mitgedacht werden<br />

muss. Wie groß oder klein, diffus oder genau auch immer dieser Begriff der Familie<br />

sein mag (siehe auch Kapitel Familie).<br />

Es kommt auf den/die Einzelne/n, ihren/seinen Werdegang <strong>und</strong> ihr/sein Umfeld<br />

an, was ihm/ihr als erstes an der neuen Umgebung auffällt. MigrantInnen geben<br />

dazu ganz unterschiedliche Antworten:<br />

Eine Frau antwortete, dass sie am meisten die Balkone in Österreich beeindruckt<br />

hätten. Eine andere sprach davon, dass es für sie ganz ungewohnt<br />

war, dass am Abend alle Straßen so menschenleer seien. Sie war dies von<br />

ihrer Heimat nicht gewohnt.<br />

22 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Leben im Exil<br />

Eine andere Teilnehmerin sprach vom unterschiedlichen Essen. Brot in der<br />

Form (v. a. Vollkornbrot), wie es hier in Österreich verkauft wird, war ihr<br />

nicht bekannt.<br />

2.1.1. Akkulturationsstile<br />

John W. Berry, ein kanadischer Sozialpsychologe, der in Australien, Kanada <strong>und</strong><br />

Schottland lehrte <strong>und</strong> forschte, hat sich in seinen Studien mit den Fragen der interkulturellen<br />

Auseinandersetzung <strong>und</strong> den psychologischen Aspekten von <strong>Migration</strong><br />

<strong>und</strong> Multikulturalismus beschäftigt. Berry untersuchte 1994 wie Menschen<br />

sich in die neuen <strong>und</strong> fremden Kulturen einfügen <strong>und</strong> an sie anpassen, <strong>und</strong><br />

beschrieb vier Stile, wie man mit der eigenen <strong>und</strong> der fremden Kultur umgehen<br />

kann, wenn man sich in einer fremden Gesellschaft befindet:<br />

(1) Integration<br />

Integration bedeutet, dass man die kulturelle Identität seiner eigenen ethnischen<br />

Gruppe beibehält <strong>und</strong> gleichzeitig versucht, mit den Gruppen im Land, in dem man<br />

nach der <strong>Migration</strong> lebt, in engen Kontakt zu treten. Das bedeutet, dass man<br />

selbst ein Teil der größeren Struktur des „Gastlandes“ wird <strong>und</strong> sich nicht ausgrenzt.<br />

(2) Assimilation<br />

Assimilation heißt, dass man die eigene Kultur aufgibt oder (weitgehend) leugnet,<br />

eine eigene Kultur zu haben. Dafür werden positive <strong>und</strong> enge Kontakte zu einer<br />

sozialen Gruppe in der „Aufnahmegesellschaft“ gepflegt.<br />

(3) Segregation oder Separation<br />

In diesem Fall wird die eigene kulturelle Identität beibehalten, <strong>und</strong> es besteht geringes<br />

beziehungsweise gar kein Interesse, mit Gruppen aus dem „Gastland“ in<br />

Kontakt zu treten. Man hat nur Kontakt zu Menschen aus dem eigenen Kulturkreis.<br />

(4) Marginalisierung<br />

Marginalisierung bedeutet, dass man einerseits die eigene Kultur aufgibt <strong>und</strong> anderseits<br />

auch kein Interesse daran hat, mit einer Gruppe einer anderen kulturellen<br />

Identität Kontakt aufzubauen.<br />

Für beide – die Gruppe der MigrantInnen <strong>und</strong> die der „Aufnahmegesellschaft“ – ist<br />

es bereichernd, wenn Integration gelingt. In gegenseitigem Austausch kann Verständnis<br />

wachsen, Vorurteile können abgebaut werden <strong>und</strong> man kann von einander<br />

Neues lernen. Gleichzeitig muss aber betont werden, dass dies der schwierigste<br />

Prozess ist. Hier wirken eine Vielzahl von Faktoren, die eben nicht nur vom<br />

Einzelnen beeinflusst werden können, auf den Prozess ein. So sind etwa die Bedingungen<br />

für Integration, wie sie zuvor beschrieben worden sind, in Österreich<br />

denkbar ungünstig, da die Rahmenbedingungen, Politik, Medien, Gesetze <strong>und</strong> historisch<br />

gewachsene Identitäten in Österreich im Widerspruch dazu stehen.<br />

In diesen Prozessen besteht auch noch ein anderes Problem: es wird ein sehr vereinfachtes<br />

Bild von „der Kultur der...“ produziert <strong>und</strong> dieses als etwas starres, unwiderrufliches<br />

dargestellt. Gleichzeitig wird von MigrantInnen im Exil ihre Kultur<br />

gerne idealisiert <strong>und</strong> ebenfalls stereotypisiert („Wir Tschetschenen sind alle ehrlich.“)<br />

Viele Einflussfaktoren nehmen Einfluss auf aktuelle kulturelle Ausformungen, Äußerungen<br />

<strong>und</strong> das individuelle Verhalten. Allein durch das Altern verändert sich<br />

die Kultur eines Menschen. „Es wäre doch einigermaßen komisch, wenn sich ein<br />

45-jähriger Beamter noch immer so verhalten würde wie ein 17-jähriger.“<br />

„Kultur ist ein historischer Prozeß, sie kumuliert mit der Zeit. Da Kultur das Produkt<br />

von Menschen ist, kann sie erlernt <strong>und</strong> gelehrt werden. Kultur kennt daher keine<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 23


Grenzen. Eine andere Eigenschaft von Kultur ist, daß sie sich ständig verändert.<br />

Daher sind kulturelle Werte bzw. Nicht-Werte nicht absolut“ (Kula 1999, S. 173).<br />

Daher ist zu betonen, dass alle Formen von <strong>Migration</strong> kulturverändernd wirken.<br />

Kultur ist kein „Rucksack“ der mitgebracht wird <strong>und</strong> nicht verändert werden kann,<br />

sondern dynamisch <strong>und</strong> vielschichtig. Man denke nur, wie stark sich die Kultur in<br />

Österreich in den letzten 50 Jahren verändert hat. Dabei spielen externe Faktoren,<br />

technische, makroökonomische <strong>und</strong> politische Entwicklungen, eine erhebliche<br />

Rolle.<br />

Daraus ergibt sich auch, dass so etwas wie spezifische migrationsbedingte Neuerungen<br />

in Exilkulturen entstehen <strong>und</strong> viele Einflüsse sich zu vermischen beginnen.<br />

Je nachdem, welche Akkulturationssysteme <strong>und</strong> -konzepte vorherrschen (siehe<br />

zuvor), entwickeln sich auch die „Migrantenkulturen“ in den jeweiligen Exilländern<br />

unterschiedlich.<br />

Beobachtbar ist auch, dass viele MigrantInnen im Exil eine ausgeprägte Kulturbetonung<br />

entwickeln (Religion, Aufrechterhaltung von Traditionen, usw.) Dies wird<br />

mitunter als eine Strategie verstanden, mit den überfordernden neuen Einflüssen<br />

<strong>und</strong> den diskriminierenden Außenbedingungen umzugehen (Rückbesinnung <strong>und</strong><br />

Rückzug auf traditionelle Bezugsmuster).<br />

2.1.2. Phasen des Ankommens<br />

Leben im Exil<br />

Ein weiterer Wissenschaftler, der sich mit dem Themenkreis <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Kultur<br />

beschäftigt hat, ist Garza-Guerrero, ein amerikanischer Psychoanalytiker. Er hat<br />

1974 drei Phasen dargestellt, wie Integration ablaufen kann:<br />

(1) Phase des kulturellen Zusammenstoßes<br />

In dieser ersten Phase erforscht der/die MigrantIn die kulturellen Gemeinsamkeiten<br />

<strong>und</strong> Unterschiede ihrer eigenen <strong>und</strong> der neuen Kultur. Er/sie überprüft die mitgebrachten<br />

Einstellungen, Ansichten, Normen <strong>und</strong> Handlungsweisen auf „Brauchbarkeit“<br />

in der neuen Umwelt. Es werden Unterschiede sichtbar zwischen der<br />

Welt, in der man sich jetzt befindet <strong>und</strong> der Erinnerung an die verlassene Kultur.<br />

Diese Phase wird von verschiedenen Gefühlen geprägt: Angst, Trauer, Abwehr,<br />

Verzweiflung, Sehnsucht nach dem Verlorenen.<br />

Es kann dazu kommen, dass MigrantInnen nicht mehr genau wissen, wer sie überhaupt<br />

sind, dass sie sich ihrer Identität nicht mehr bewusst sind, weil die aus dem<br />

Herkunftsland gewohnte Bestätigung der Umwelt wegfällt. Um die eigene Identität<br />

zu stärken, müssen positive Lebenserinnerungen ins Gedächtnis gerufen werden.<br />

Daher kommt es in dieser Phase häufig zu Idealisierungen der verlassenen<br />

Umwelt, das heißt, MigrantInnen erinnern sich nur an die positiven Dinge in der<br />

Zeit vor der <strong>Migration</strong>. Es kann auch sein, dass man im Gegensatz dazu mit der eigenen<br />

Kultur gar nichts mehr zu tun haben will <strong>und</strong> sie völlig verleugnet (Assimilation<br />

oder Marginalisierung). Das hängt auch oft davon ab, unter welchen Umständen<br />

man sein Land verlassen musste. In dieser Zeit kommt es häufig zu großen<br />

Stimmungsschwankungen. Es kann auch sein, dass man sich völlig von allen anderen<br />

Menschen zurückzieht.<br />

(2) Phase der Reorganisation<br />

In dieser Phase wird die Trauer über die Verluste, die man durch die <strong>Migration</strong> erlitten<br />

hat, durchgearbeitet. Die neue Kultur wird abgetastet, die Erinnerungen an die<br />

Vergangenheit bleiben im Bewusstsein. Die Trauer verhindert, dass man völlig mit<br />

der neuen Kultur verschmilzt (Assimilation). Sie hilft dabei, sich einerseits an die<br />

Vergangenheit zu erinnern, wie sie war – also an die guten <strong>und</strong> an die schlechten<br />

Seiten; andererseits führt das Durchleben der Trauer auch dazu, dass man die<br />

neue Umwelt realistisch sieht.<br />

24 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Leben im Exil<br />

Wenn man sich nicht genug Zeit lässt, diese Trauer zu durchleben <strong>und</strong> Unterstützung<br />

holt, wenn man das Gefühl hat, man wird damit allein nicht fertig, kann es zu<br />

Depressionen <strong>und</strong> Angstzuständen kommen. Außerdem kann es passieren, dass<br />

man die „alte“ Kultur idealisiert, also nur die positiven Seiten sieht <strong>und</strong> an der<br />

„neuen“ Kultur dafür ausschließlich Negatives wahrnimmt.<br />

(3) Phase der neuen Identität<br />

In dieser Phase baut sich eine neue Identität, eine neue Wahrnehmung des Ich auf.<br />

Man identifiziert sich mit Teilen der neuen Kultur, die in die alte Kultur integriert<br />

werden, das heißt, die alte <strong>und</strong> die neue Kultur bilden mit der Zeit eine Einheit (Integration).<br />

Dafür ist es nötig, dass die Umwelt, in der der/die MigrantIn lebt, ihm/<br />

ihr Geborgenheit <strong>und</strong> Sicherheit bietet sowie eine Perspektive für die Zukunft. Im<br />

Laufe der Zeit können immer wieder neue Teile der Kultur des „Gastlandes“ von<br />

der Migrantin/dem Migranten aufgenommen werden – auch solche, mit denen er/<br />

sie am Anfang Probleme hatte.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 25


3. Was ist Kultur?<br />

3.1. Definition<br />

Was ist Kultur?<br />

In der interkulturellen Forschung wird Kultur verstanden als:<br />

„Die Gesamtheit von Attitüden, Gr<strong>und</strong>sätzen, Annahmen, Werten <strong>und</strong> Wertvorstellungen,<br />

Verhaltensnormen <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>einstellungen, die von einer Gruppe geteilt<br />

werden, die das Verhalten der Gruppenmitglieder beeinflussen <strong>und</strong> mit deren<br />

Hilfe diese das Verhalten anderer interpretieren.“<br />

Man kann sich den Begriff Kultur vorstellen wie eine Zwiebel. Es gibt mehrere<br />

Schichten, die sich gegenseitig beeinflussen.<br />

Ganz außen befinden sich die Rituale <strong>und</strong> Verhaltensweisen einer Kultur, die<br />

man von außen wahrnimmt – zum Beispiel, wenn man eine Reise in ein Land<br />

macht <strong>und</strong> sich ansieht, wie die Leute dort leben, was sie essen, wie ihr Tagesablauf<br />

aussieht, wie sie mit anderen Menschen umgehen usw.<br />

Darunter liegt eine Schicht, die aus den Systemen <strong>und</strong> Institutionen einer<br />

Gesellschaft besteht. Das sind zum Beispiel das politische, rechtliche <strong>und</strong> wirtschaftliche<br />

System einer Kultur <strong>und</strong> deren Institutionen. Das, was dort festgelegt<br />

ist, beeinflusst wiederum die äußere Schicht.<br />

Ein Beispiel: In Deutschland gibt es ein Gesetz, in dem steht, dass man bei<br />

Rot nicht über die Straße gehen darf. Daher warten Deutsche normalerweise<br />

an der Ampel, bis es grün wird. In anderen Ländern wie Spanien, England<br />

oder den Niederlanden gibt es so ein Gesetz nicht; das heißt, die Leute warten<br />

auch nicht bis es grün wird, sondern gehen über die Straße, wenn gerade<br />

kein Auto kommt. Für eine(n) SpanierIn wäre es eigenartig, zu warten,<br />

bis es grün wird <strong>und</strong> erst dann die Straße zu überqueren.<br />

Das Verhalten, das man von außen beobachten kann (das Über-die-Straße-gehen<br />

oder Warten) wird also zum Beispiel davon beeinflusst, welche Gesetze es in einer<br />

Gesellschaft gibt.<br />

Die nächste Schicht sind die Normen, Attitüden <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sätze aber auch<br />

die allgemeinen Werte, die es in der Gesellschaft gibt <strong>und</strong> wie wichtig sie genommen<br />

werden. Diese Schicht beeinflusst wieder die darüber liegende Schicht.<br />

26 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Was ist Kultur?<br />

Demokratie wird zum Beispiel von den Menschen eines Kulturkreises als „richtige“<br />

Regierungsform empf<strong>und</strong>en; deshalb ist es auch möglich, diese im Gesetz eines<br />

Landes zu verankern. Diese Normen, Attitüden <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sätze sind nicht per<br />

Beschluß verordenbar, sondern sind Teil der Entwicklung <strong>und</strong> Geschichte des Landes<br />

<strong>und</strong> der Menschen, die die verschiedenen Epochen <strong>und</strong> vorherrschenden<br />

Werte <strong>und</strong> Normen am eigenen Leib miterlebt haben.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist gerade die österreichische Geschichte in Bezug auf Menschenrechte<br />

<strong>und</strong> Demokratie einer besonderen Betrachtung zu unterziehen<br />

(Monarchie, 1. Republik, NS-Herrschaft, 2. Republik).<br />

Unter dieser Schicht finden wir das Zentrum der Kultur: Die Gr<strong>und</strong>werte <strong>und</strong><br />

f<strong>und</strong>amentalen Annahmen. Sie ist die wichtigste, weil sie alle darüber liegenden<br />

Schichten beeinflusst. Wenn sich nur kleine Dinge in dieser Schicht ändern,<br />

hat das große Auswirkungen auf die anderen.<br />

Diese Gr<strong>und</strong>werte betreffen das Zusammenleben der Menschen. Zum Beispiel,<br />

wie ÖsterreicherInnen den Umgang mit anderen Menschen außerhalb ihrer Familien<br />

definieren, was für sie Familie ist, welche Haltungen sie bezüglich Gerechtigkeit<br />

<strong>und</strong> Freiheit verinnerlicht haben u.v.m.<br />

3.2. Kultur = Land?<br />

Oft werden Kulturen mit Ländern oder Kontinenten gleichgesetzt. Man spricht<br />

zum Beispiel von „den Afrikanern“ oder „der islamischen Kultur“. Das ist aber eine<br />

Vereinfachung, die in ihrer Grobheit nicht richtig ist, weil dabei wichtige Faktoren<br />

außer Acht gelassen werden.<br />

Nicht nur das Land, in dem man lebt, sondern viele andere Dinge bestimmen, zu<br />

welcher Kultur man sich zugehörig fühlt. Dazu gehören die eigene Lebensgeschichte,<br />

ob man männlich oder weiblich ist, ob man in einer Stadt oder am Land<br />

lebt, ob man alt oder jung ist <strong>und</strong> aus welcher Familie man stammt.<br />

Innerhalb einer Gesellschaft, innerhalb eines Landes, können die kulturellen Regeln,<br />

Verhaltensweisen <strong>und</strong> Wertvorstellungen sehr unterschiedlich sein.<br />

So gibt es z. B. mehr Gemeinsamkeiten zwischen einem nordafrikanischen<br />

Bauern am Fuß des Atlas Gebirges <strong>und</strong> einem Bergbauern aus Österreich<br />

als zwischen dem österreichischen Bauern <strong>und</strong> einem österreichischen<br />

Beamten, der in Wien in einem Ministerium arbeitet!<br />

3.3. Kulturvergleichende Studien<br />

Die Forschung versuchte immer wieder, Merkmale zu finden, mit denen man verschiedene<br />

Kulturen voneinander unterscheiden kann. Zu den bekanntesten Werken<br />

auf dem Gebiet gehören die Studien von Geert Hofstede, einem niederländischen<br />

Psychologen. Er hat 116.000 Personen (Manager in multinationalen Konzernen)<br />

aus 40 verschiedenen Ländern befragt <strong>und</strong> dann nachfolgende Kategorien<br />

(Einteilungen) gef<strong>und</strong>en. Es muss betont werden, dass die angeführten Beispiele<br />

keine allgemein gültigen Aussagen über Länder <strong>und</strong> deren Menschen darstellen,<br />

sondern der Veranschaulichung dienen.<br />

(1) Machtgefälle bzw. Machtunterschiedstoleranz<br />

In dieser Kategorie kommt es darauf an, wie sehr die Menschen in einer Gesellschaft<br />

akzeptieren, dass die Macht unter den einzelnen Gruppen ungleich verteilt<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 27


ist. Das nennt man Machtunterschiedstoleranz. Wenn diese Toleranz sehr groß ist,<br />

bedeutet das, dass es als „normal“ empf<strong>und</strong>en wird, wenn eine Gruppe sehr viel<br />

<strong>und</strong> andere sehr wenig Macht haben. Dabei kann die Macht zum Beispiel von der<br />

Familienherkunft, vom Alter oder vom Geschlecht abgeleitet werden.<br />

Wenn die sogenannte Machtunterschiedstoleranz klein ist, bedeutet das,<br />

dass Gleichberechtigung <strong>und</strong> Gleichwertigkeit in der Gesellschaft als sehr<br />

wichtig angesehen werden.<br />

(2) Unsicherheitsvermeidung<br />

Eine Kultur kann Unsicherheiten oder neue Situationen als Bedrohung empfinden<br />

<strong>und</strong> Fremdes abwerten. Was zählt, sind Sicherheit <strong>und</strong> Stabilität. Oder aber sie<br />

kann Fremdes positiv werten <strong>und</strong> Neues als Bereicherung sehen – als etwas, wovon<br />

man lernen kann. Das heißt, dass Bereitschaft zu Risiko <strong>und</strong> Offenheit besteht.<br />

Wenn eine Kultur risikofreudig ist, zeigt sich das unter anderem darin, dass Mobilität<br />

(Beweglichkeit), Veränderung <strong>und</strong> Kreativität als etwas Positives gesehen werden.<br />

HolländerInnen gelten als Menschen, die auf Neues eher positiv zugehen.<br />

Veränderung <strong>und</strong> Kreativität werden positiv gesehen. Auch gesetzliche<br />

Gr<strong>und</strong>lagen erleichtern Offenheit. In Holland kann man zum Beispiel vergleichsweise<br />

rasch die Staatsbürgerschaft beantragen.<br />

Im Gegensatz dazu kann man davon ausgehen, dass SchweizerInnen mehr<br />

auf Sicherheit <strong>und</strong> Stabilität Wert legen <strong>und</strong> auf Fremde weniger offen zugehen.<br />

Im Gegensatz zu Holland wird der Zugang zur Staatsbürgerschaft<br />

dort sehr restriktiv gehandhabt.<br />

(3) Individualismus – Kollektivismus<br />

Individualistische Gesellschaften betonen die Rechte des/der Einzelnen aber auch<br />

seine/ihre Verantwortung. Das Ziel ist, dass der/die Einzelne sich wohl fühlt <strong>und</strong><br />

emotional von der Gemeinschaft unabhängig ist. Ziel in individualistischen Gesellschaftssystemen<br />

ist die Unabhängigkeit, Befreiung des Einzelnen von den gesellschaftlichen<br />

Bedingungen (u. a. Familie). Diese individualistische Selbstbefreiung<br />

ist konfliktorientiert.<br />

Eine kollektivistische Gesellschaft sieht es als wichtig an, sich der Gruppe (Clan,<br />

Familie) gegenüber loyal zu verhalten. Einzelnen sind gewisse Rollen zugedacht,<br />

die möglichst gut zu erfüllen sind. Die soziale Gruppe, z. B. die Familie, <strong>und</strong> ihr<br />

Wohlergehen stehen im Mittelpunkt. Einerseits verpflichtet die Familie zu Gehorsam<br />

<strong>und</strong> zu Versorgungsleistungen, andererseits bietet sie aber Schutz, soziale Sicherheit<br />

<strong>und</strong> Geborgenheit/Anleitung fürs Leben.<br />

Für eine kollektivistische Gesellschaft ist Harmonie besonders wichtig. Konfrontationen<br />

<strong>und</strong> Konflikte werden, soweit es geht, vermieden.<br />

Beispiel für kollektive Gesellschaften:<br />

Länder des nördlichen Afrikas (Marokko, Tunesien, Algerien, Ägypten, ...),<br />

Naher <strong>und</strong> Mittlerer Osten, aber auch etwa Tschetschenien, Mali oder Ghana.<br />

Beispiel für individualistische Gesellschaften:<br />

Westeuropa, Nordamerika<br />

Was ist Kultur?<br />

(4) Frau – Mann<br />

Maskuline, also männlich geprägte Gesellschaften werden durch eine starke Abgrenzung<br />

der Geschlechterrollen gekennzeichnet. Es gibt ganz klare Vorstellungen<br />

davon, wie ein Mann <strong>und</strong> wie eine Frau zu sein hat <strong>und</strong> welche Aufgaben er/<br />

sie jeweils erfüllen muss. In einer maskulinen Gesellschaft sind Werte wie Unab-<br />

28 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Was ist Kultur?<br />

hängigkeit, Selbstbehauptung, die Fähigkeit, sich anderen gegenüber durchzusetzen<br />

<strong>und</strong> mit anderen in Wettbewerb zu treten, sehr wichtig.<br />

In Gesellschaften, die von Feminität, von weiblichen Mustern, geprägt werden,<br />

überschneiden sich die Rollen von Männern <strong>und</strong> Frauen. Es gibt keine so klar zugeordneten<br />

Vorstellungen davon, wie ein Mann <strong>und</strong> wie eine Frau zu sein hat, <strong>und</strong><br />

welche Aufgaben von ihnen jeweils erfüllt werden müssen.<br />

Beispiele für maskuline Gesellschaften:<br />

Türkei <strong>und</strong> nordafrikanische Länder, meist Länder, die stark durch den Islam<br />

geprägt sind (Ausnahme etwa die Aleviten)<br />

Beispiele für eine feminine Gesellschaft:<br />

Westeuropa ist auf dem Weg dazu, feminine Gesellschaften zu bilden. In<br />

manchen Ländern ist die Gleichstellung von Mann <strong>und</strong> Frau schon weiter<br />

fortgeschritten, in manchen hängt diese Entwicklung noch nach. Maßnahmen<br />

wie z. B. Karenzmöglichkeiten auch für Männer <strong>und</strong> uneingeschränkte<br />

Schul- <strong>und</strong> Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen sind wichtige Rahmenbedingungen,<br />

um den Weg in eine Gesellschaft zu ebnen, die eine faire, gleichgestellte<br />

Welt zum Ziel hat.<br />

(5) Langfristige Orientierung – kurzfristige Orientierung<br />

Langfristige Orientierung bedeutet, dass es in einer Kultur sehr wichtig ist, weit in<br />

die Zukunft zu denken <strong>und</strong> zu planen. Wenn eine Kultur auf langfristige Orientierung<br />

ausgerichtet ist, sind ihr Investitionen wichtig, die auf lange Sicht Nutzen<br />

bringen. Traditionen werden an moderne Gegebenheiten angepasst. In einer solchen<br />

Gesellschaft ist der soziale Status von großer Bedeutung.<br />

In Kulturen mit kurzfristiger Orientierung wird mehr an die Gegenwart <strong>und</strong> an die<br />

nahe Zukunft gedacht, spielen Moden <strong>und</strong> Trends eine wichtige Rolle. Dabei<br />

kommt es nicht darauf an, welche Konsequenzen das in der Zukunft mit sich<br />

bringt. Es werden rasche Ergebnisse erwartet.<br />

Beispiele:<br />

Westeuropa ist von langfristiger Orientierung geprägt. Das merkt man an<br />

den vielfältigen Möglichkeiten zur Vorsorge (Privatpensionen,...) <strong>und</strong> auch<br />

an der Bereitschaft von vielen Menschen, Investitionen (Häuser, Autos) zu<br />

tätigen, die oft langjährige Kredite nach sich ziehen.<br />

Die USA sind ein typisches Beispiel für eine Gesellschaft, die eine sehr kurzfristige<br />

Orientierung hat. Das sieht man zum Beispiel an der Mobilität (Beweglichkeit)<br />

der Menschen innerhalb der USA <strong>und</strong> deren Hausbau. Eine<br />

große Mehrzahl der Häuser sind schnell errichtet, werden aber auch ebenso<br />

schnell wieder abgerissen <strong>und</strong> verlassen.<br />

In Ländern wo die politische Situation instabil <strong>und</strong> die wirtschaftliche Lage<br />

schlecht ist, sind oft ganze Bevölkerungsgruppen darauf angewiesen, von<br />

„heute auf morgen“ zu leben. Die Menschen haben keine Gelegenheit, weiter<br />

in die Zukunft zu blicken, weil sie ihnen nicht planbar erscheint.<br />

(6) Zeitdimension – zirkuläre Zeitvorstellung <strong>und</strong> historische Zeitvorstellung<br />

In manchen Kulturen sind Vergangenheit, Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft strikt getrennte,<br />

aufeinander folgende Kapitel, die in sich abgeschlossen sind <strong>und</strong> nur mehr als Erfahrungsschatz<br />

<strong>und</strong>/oder Wissenschaft vorhanden sind.<br />

In anderen Kulturen hingegen, wird dieses Dreigestirn als zirkulärer, vermischter<br />

Prozess wahrgenommen. Familie bedeutet, dass die Ahnen (Urgroßeltern), die be-<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 29


Was ist Kultur?<br />

reits verstorben sind, noch immer als Teil der Familien angesehen werden. Sie<br />

werden bei Entscheidungen, die die Familie betreffen herangezogen.<br />

Beispiel:<br />

Bei den Aborigines gibt es keine direkte Aufteilung zwischen Zukunft <strong>und</strong><br />

Vergangenheit. Das lässt sich in der sogenannten Traumzeit genauer darstellen.<br />

Jugendliche werden darin eingeführt, sie bewegen sich in der<br />

Traumzeit vorwärts <strong>und</strong> rückwärts. Auch wenn dies für uns Mitteleuropäer<br />

schwer vorstellbar ist, aber die Vergangenheit <strong>und</strong> die Akteure der Vergangenheit<br />

sind Anwesende in der Gegenwart <strong>und</strong> Ratgeber für die Zukunft.<br />

Wenngleich diese Unterscheidungsmerkmale wichtige Hilfsinstrumente sind, um<br />

die Komplexität der kulturellen Fragen besser zu verstehen <strong>und</strong> Anhaltspunkte für<br />

Auseinandersetzung zu erhalten, so muss gleichzeitig auch vor der Vereinfachung<br />

der Kategorisierung gewarnt werden. Sie sind eben nur ein Hilfsmittel.<br />

Gerade durch technische, wirtschaftliche <strong>und</strong> politische Entwicklungen von Gesellschaften<br />

wanken bekannte kulturelle Muster <strong>und</strong> werden schwer vergleichbar.<br />

Einige der aufgezählten Hofstede-Kategorien sind auch mit Modernisierung<br />

erklärbar. Je moderner, arbeitsteiliger <strong>und</strong> technischer Gesellschaften sich entwickeln,<br />

desto stärker werden etwa traditionelle Rollen zwischen Männern <strong>und</strong><br />

Frauen – durch das meist auch kapitalistische System – in Frage gestellt.<br />

30 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Familie<br />

4. Familie<br />

Familiäre Bindungen sind für Menschen generell von großer Bedeutung. Im Laufe<br />

der Zeit entsteht durch das familiäre System ein Netzwerk von Vertrauen, Hilfe,<br />

Unterstützung <strong>und</strong> Verhaltensnormen. Das vorhandene Familiensystem bietet<br />

den Einzelnen Sicherheit, Schutz <strong>und</strong> Hilfe <strong>und</strong> ist somit Ressource (Reserve, Hilfsmittel)<br />

für die Zukunft. Die Familie vermittelt aber auch ein dichtes System von<br />

Werten, Rollen <strong>und</strong> Funktionen.<br />

Durch Krieg, politische Gewalt, Exil <strong>und</strong> Flucht werden Familiensysteme gesprengt<br />

<strong>und</strong> auseinandergerissen. Wichtige Menschen in der Familie sterben, Familienmitglieder<br />

müssen die Heimat verlassen. Das Vertrauen <strong>und</strong> die Sicherheit<br />

in das bekannte System gehen verloren. Die Wurzeln <strong>und</strong> Ressourcen werden gekappt<br />

oder sind zumindest zeitweise unterbrochen.<br />

Die wichtigsten Menschen innerhalb des Systems gehen – obwohl sie vielleicht<br />

nicht mehr leben oder körperlich nicht anwesend sind – jedoch nicht verloren. Sie<br />

bleiben in der Vorstellung, in der Phantasie <strong>und</strong> als sehnsüchtiges Gefühl der Menschen,<br />

die ins Exil mussten, erhalten. Sie begleiten sie.<br />

Für Menschen, die ihr Heimatland verlassen haben, gilt es, die positiven Elemente<br />

ihres „alten Systems“ ins Neue zu retten <strong>und</strong> das Erfahrene <strong>und</strong> Gelernte im Exil<br />

nutzbar zu machen, um sich den neuen Anforderungen zu stellen.<br />

Dieser Prozess darf nicht starr sein. Die Menschen unterliegen einem ständigen<br />

kulturellen Wandel. Die Welt verändert sich, manchmal langsam, manchmal<br />

schnell. Menschen lernen <strong>und</strong> wachsen – nicht nur körperlich, sondern auch geistig.<br />

Durch Exil <strong>und</strong> <strong>Migration</strong> treten neue Herausforderungen auf. Identitäten, Lebensweisen<br />

<strong>und</strong> Vorstellungen wurzeln in der individuellen Vergangenheit. Diese sind<br />

in der <strong>Migration</strong> – im Kontakt mit einer anderen Kultur – ständig einem Prozess<br />

des Wandels ausgesetzt <strong>und</strong> stehen oft im Widerspruch zur geltenden Norm.<br />

Menschen, die bisher den Schutz der Familie genossen haben <strong>und</strong> aus kollektivistischen<br />

kulturellen Zusammenhängen (siehe Hofstede) kommen, müssen sich<br />

plötzlich allein durchs Leben boxen. Traditionelle Rollen müssen neu überlegt werden.<br />

Die Herausforderung der <strong>Migration</strong> kann beides bewirken: dass familiäre Bindungen<br />

gestärkt werden, aber auch, dass sie in die Krise geraten. Vor allem deshalb,<br />

weil die Familie oftmals nicht mehr aus den selben Mitgliedern besteht wie früher.<br />

Daher heißt das auch, neue Rollen, neue Funktionen übernehmen zu müssen, die<br />

bisher nicht Teil des Familiensystems waren.<br />

In solchen Phasen ist es wichtig, dass HelferInnen <strong>und</strong> HelferInnensysteme darauf<br />

Bedacht nehmen <strong>und</strong> den Bedrängten dabei helfen, dennoch zu ihren familiären<br />

Ressourcen zu gelangen. Jorge Barudy, ein in Belgien lebender chilenischer Psychotherapeut<br />

meinte, dass er sich, wann immer er eine(n) Klienten/Klientin betreute,<br />

vergegenwärtigte, dass kein „Mensch alleine vor ihm stehe, sondern die<br />

Familie immer dabei ist.“ Ob sie nun tatsächlich anwesend ist oder nur in der Vorstellung<br />

der Menschen, sei dabei nebensächlich.<br />

Familiäre Werte, Rollen <strong>und</strong> Normen können zwischen Gesellschaften <strong>und</strong> Kulturen<br />

aufgr<strong>und</strong> von vielen Faktoren unterschiedlich sein <strong>und</strong> geben deshalb Anlass<br />

für Missverständnisse. Gleichzeitig sind jedoch Gr<strong>und</strong>prinzipien von Funktionen<br />

<strong>und</strong> Rollen oft sehr ähnlich.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 31


Familie<br />

Aus dem Verstehen des eigenen Familiensystems <strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Werte, Normen <strong>und</strong> Haltungen erlernt man, eine akzeptierende Haltung für Werte,<br />

Normen <strong>und</strong> Haltungen anderer Menschen zu entwickeln.<br />

Wichtig ist, dass es im Zusammenhang mit Werten <strong>und</strong> Haltungen kein Richtig<br />

oder Falsch gibt, sondern nur ein Anders. Man soll nicht versuchen, Menschen zu<br />

ändern, sondern sie befähigen, die Änderungen <strong>und</strong> Anforderungen selbständig<br />

<strong>und</strong> für sich selbst positiv lösen zu können.<br />

Durch die <strong>Migration</strong> kommt es zu steten Veränderungen der Familienformen: Es<br />

wandeln sich familiäre Verpflichtungen, Geschlechterrollen, der Generationenvertrag<br />

<strong>und</strong> Einstellungen, Traditionen <strong>und</strong> Werte.<br />

32 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

5. <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

5.1. <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> – was ist das?<br />

Die WHO (Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation) definiert <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> als „Zustand völligen<br />

körperlichen, seelischen <strong>und</strong> sozialen Wohlbefindens.“<br />

Ges<strong>und</strong> sein heißt also, dass man sich r<strong>und</strong>herum wohl fühlt, nicht nur, dass man<br />

keine körperlichen Beschwerden hat.<br />

Krankheit bedeutet im Gegensatz dazu jede Störung des körperlichen, geistigen<br />

<strong>und</strong> seelischen Gleichgewichtes <strong>und</strong> führt dazu, dass man sich unwohl fühlt.<br />

Wenn man krank ist, ist die Leistungsfähigkeit herabgesetzt <strong>und</strong> man kann sein Leben<br />

nicht so genießen wie im ges<strong>und</strong>en Zustand.<br />

Eine Krankheit läuft zwischen zwei Zeitpunkten (Krankheitsbeginn <strong>und</strong> Krankheitsende)<br />

ab, die man nicht immer ganz genau bestimmen kann, weil die Übergänge<br />

zwischen <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> Krankheit fließend sind. Von einer Krankheit kann<br />

der ganze Mensch betroffen sein oder auch nur einzelne (Körper-)Teile.<br />

5.2. Einflussfaktoren<br />

Es gibt verschiede Faktoren, die beeinflussen, ob man sich ges<strong>und</strong> oder krank<br />

fühlt bzw. ges<strong>und</strong> oder krank ist.<br />

Einen wichtigen Einfluss haben ererbte Anlagen, die wahrscheinlicher machen,<br />

dass man bestimmte Krankheiten bekommt oder nicht. In den Genen eines jeden<br />

Menschen sind solche Anlagen vorhanden. Weil diese Anlagen weitervererbt werden,<br />

gibt es in einer Familie oder zumindest bei einigen Familienmitgliedern häufig<br />

ähnliche Krankheiten; man sagt auch: „Das liegt bei uns in der Familie“.<br />

Was „in der Familie liegt“ wird aber nicht nur durch die ererbten Anlagen bestimmt,<br />

sondern auch dadurch, wie man im Familiensystem mit Krankheiten umgeht.<br />

Es macht zum Beispiel einen Unterschied, ob es üblich ist, sich von einem/einer<br />

ÄrztIn untersuchen zu lassen, auch wenn man sich gar nicht krank fühlt, oder<br />

ob man erst zum/zur ÄrztIn geht, wenn man schon unerträgliche Schmerzen hat.<br />

In diesem Fall ist eine Behandlung meistens viel schwieriger.<br />

Trotz gewisser Vorbestimmtheit von möglichen Krankheiten, trägt jeder Mensch<br />

selbst sehr viel Verantwortung für seinen <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>szustand. Ich kann Einfluss<br />

darauf nehmen, wie ich mich im täglichen Leben verhalte, welche Einstellung ich<br />

gegenüber meinen Risiken einnehme usw.<br />

Wenn ich etwa aufgr<strong>und</strong> meiner Familie zu Bluthochdruck neige (weil zum<br />

Beispiel mein Vater Bluthochdruck hat), so kann ich bereits frühzeitig entsprechende<br />

Gegenmaßnahmen setzen (regelmäßige Kontrollen, Änderung<br />

der Essensgewohnheiten, Sport ...)<br />

Es ist also auch das eigene Verhalten entscheidend dafür, ob ich das Risiko, krank<br />

zu werden, erhöhe oder senke.<br />

Neben den ererbten Faktoren <strong>und</strong> dem eigenen Verhalten hat auch die Umgebung<br />

in der man lebt oder leben muss, erheblichen Anteil an <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> Wohlbefinden.<br />

Je intakter <strong>und</strong> gesünder meine Umwelt ist, desto größer wird auch mein<br />

Wohlbefinden sein. Manche Dinge, die die <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> beeinflussen, kann man<br />

nicht so leicht selbst steuern. Dazu gehört unter anderem, wie sauber die Luft an<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 33


dem Ort ist, an dem man lebt, wie hoch die Qualität des Wassers ist, das man<br />

trinkt <strong>und</strong> ob man in einer lauten oder leisen Umgebung wohnt.<br />

Auch die soziale Umgebung ist ein wichtiger Faktor. Es ist erwiesen, dass Menschen,<br />

die in einem funktionierenden Umfeld <strong>und</strong> Netzwerk mit Familie <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong>en aufwachsen, widerstandsfähiger gegen Krankheit sind <strong>und</strong> mehr Mut<br />

haben, sich schweren Herausforderungen zu stellen.<br />

Sehr wichtig ist auch, wie es einem/einer an seinem/ihrem Arbeitsplatz geht.<br />

Wenn man prinzipiell mit der Arbeit zufrieden ist, die Arbeit sinngebend ist, ausreichend<br />

honoriert wird, nicht gefährlich ist, <strong>und</strong> eine gewisse Planbarkeit für die Zukunft<br />

ermöglicht (z. B. wenn man keine Angst haben muss, gekündigt zu werden),<br />

dann wirkt sich das positiv auf das Wohlbefinden aus.<br />

Außerdem gibt es unterschiedliche Erkrankungsrisiken für Frauen <strong>und</strong> Männer.<br />

Bei nahezu allen ges<strong>und</strong>heitsrelevanten Themen sind Frauen „besser dran“. Sie<br />

sterben weitaus seltener an Unfällen, Selbstmorden <strong>und</strong> Kreislauferkrankungen.<br />

Sie achten generell mehr auf ihre <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>, stehen ges<strong>und</strong>heitsfördernden <strong>und</strong><br />

präventiven Maßnahmen viel aufgeschlossener gegenüber <strong>und</strong> sind mit ihrem<br />

Körper vorsichtiger; das heißt, sie ernähren sich gesünder, trinken weniger Alkohol,<br />

rauchen weniger <strong>und</strong> lassen sich regelmäßiger vorbeugend untersuchen als<br />

Männer. Wohlgemerkt ist das immer als Durchschnittsbeschreibung zu werten.<br />

5.3. Macht Armut krank?<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

Eines kann dazu gesagt werden: Armut macht dort krank, wo Armut strukturell<br />

bedingt große Teile der Bevölkerung betrifft <strong>und</strong> die elementaren Gr<strong>und</strong>lagen des<br />

Menschen nicht gesichert sind.<br />

„Wenn die Menschen hungern, keine ges<strong>und</strong>heitliche Versorgung für die einfachsten<br />

Krankheiten in Anspruch nehmen können <strong>und</strong> elementare Dinge wie Wasser<br />

krank machen, dann ist selbstverständlich Armut krankmachend.“<br />

Jedoch gibt es eine zweite, verdecktere Ebene der krankmachenden Armut, die<br />

stärker in den hochindustrialisierten Ländern bemerkbar ist. Dort nämlich, wo die<br />

Gegensätze <strong>und</strong> Lebensbedingungen zwischen den verschiedenen Gesellschaftsgruppen<br />

(Arm <strong>und</strong> Reich) besonders groß sind, kann gesagt werden, dass nicht die<br />

Armut an sich krank macht, sondern die Ungleichheit zwischen Gruppen der Bevölkerung.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich sind es bestimmte Gruppen, die in reicheren Ländern in dieser verdeckten<br />

Armut leben: Menschen, die keine Wohnung haben, MigrantInnen <strong>und</strong> Arbeitslose<br />

(siehe Kapitel <strong>Zebra</strong> – Angebote, Seite 84). Aber auch immer mehr Kinder,<br />

Frauen <strong>und</strong> alte Menschen sind besonders von Armut betroffen.<br />

Menschen, die in Armut leben, weisen ein größeres Risiko auf, krank zu werden,<br />

als der Durchschnitt. Sie müssen sich mit schweren, ges<strong>und</strong>heitsgefährdenden<br />

<strong>und</strong> schlecht bezahlten Jobs begnügen. Sie sind durch ihr geringes Einkommen<br />

auf Wohngegenden konzentriert, die umwelt- <strong>und</strong> lärmbelastet sind <strong>und</strong> leben oftmals<br />

in Substandardwohnungen mit schlechter Bausubstanz. Als letzter Punkt<br />

der Belastungsskala kommen auch noch aufgr<strong>und</strong> der fehlenden finanziellen Ressourcen<br />

unzureichende Erholungsmöglichkeiten hinzu (wenige Freizeitmöglichkeiten<br />

<strong>und</strong> sportliche Betätigung, fehlender Urlaub, ...).<br />

Obwohl Armut natürlich mehr <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>srisiken mit sich bringt, wird immer<br />

deutlicher, dass es auch die soziale Ungleichheit in einem System ist, die Krankheit<br />

erheblich fördert. Es wurden wissenschaftliche Untersuchungen (u. a.) von Ri-<br />

34 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

chard Wilkinson durchgeführt, in denen man die durchschnittliche Lebenserwartung<br />

in verschiedenen Ländern <strong>und</strong> Städten untersucht hat. In den Ländern mit einer<br />

relativ gleichen Einkommensverteilung, das sind beispielsweise Holland, Kanada,<br />

Norwegen oder Schweden, ist die durchschnittliche Lebenserwartung der<br />

Bevölkerung deutlich höher als in Ländern, wo eine starke Ungleichverteilung<br />

(etwa in den USA) herrscht.<br />

5.3.1. Warum ist das so?<br />

Die ungleiche Einkommensverteilung hat sich in den hochindustrialisierten Ländern<br />

im Zuge der aktuellen Entwicklungen, wie Globalisierung <strong>und</strong> neoliberale<br />

Wirtschaftskonzepte, noch verstärkt. Große Unterschiede im Einkommen sind<br />

deshalb ein wichtiger Faktor für die ges<strong>und</strong>heitliche Entwicklung, da sie den benachteiligten<br />

Gruppen vor Augen hält, wovon sie ausgeschlossen sind, was sie<br />

nicht erhalten <strong>und</strong> erreichen können.<br />

Ganze Gruppen von Menschen sind von Leistungen (z. B. des Sozialsystems), der<br />

Versorgung (z. B. durch das <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem) oder des Zugangs (z. B. zum Arbeitsmarkt)<br />

ausgeschlossen.<br />

Das erzeugt eine permanent hohe Frustration <strong>und</strong> ist auch ein Zeichen dafür, wie<br />

wenig an Vertrauen, Gegenseitigkeit <strong>und</strong> Gemeinschaftlichkeit in einer Gesellschaft<br />

vorhanden ist. Mit den entsolidarisierenden Entwicklungen in den Gesellschaften<br />

steigt auch die Gewalt <strong>und</strong> Gewaltbereitschaft.<br />

Je stärker ich bemerke, dass ich am Leben, das unmittelbar vor mir stattfindet,<br />

nicht teilhaben kann, desto stärker tritt der Charakter einer entfesselten Gesellschaft<br />

zu Tage, in der das Individuum sich um sich selbst sorgen muss <strong>und</strong> sich<br />

holt, was es kriegen kann.<br />

Je stärker aber jede/r Einzelne ein Gefühl des Angenommen-Seins <strong>und</strong> Eingeb<strong>und</strong>en-Seins<br />

wahrnimmt, desto höher ist seine/ihre Lebenserwartung bzw. desto<br />

weniger leidet er/sie an Krankheit.<br />

5.4. Entwicklung der Medizin<br />

Die westliche Medizin hat einen langen Weg der Entwicklung hinter sich. Allgemein<br />

kann man sie mit einer stark naturwissenschaftlich-orientierten Gerätemedizin<br />

umschreiben, die sich in den letzten Jahrzehnten <strong>und</strong> Jahrh<strong>und</strong>erten immer<br />

stärker spezialisiert <strong>und</strong> ausdifferenziert hat.<br />

Besonders wichtig für die Entwicklung war die Trennung von Leib (Körper) <strong>und</strong><br />

Psyche (Seele), die vor r<strong>und</strong> 400 Jahren durch die Schriften von Descartes formuliert<br />

wurden. Zu dieser Zeit galten jene Thesen als ein Akt der Befreiung, da davor<br />

der Glaube <strong>und</strong> die kirchlichen Institutionen das Weltbild beherrscht <strong>und</strong> das wissenschaftliche<br />

Denken beeinflusst hatten.<br />

Im Zeitalter der Aufklärung (deutsche Aufklärung 1720-1785, französische Aufklärung<br />

1694-1778, durch Voltaire <strong>und</strong> Rousseau) verlor die Kirche, die im Sezieren<br />

des Körpers eine Verletzung der Seele sah, ihre Vormachtstellung. So war der Weg<br />

zur Erforschung des Körpers <strong>und</strong> damit zu einer wissenschaftlichen Medizin frei.<br />

Mit dem Skalpell <strong>und</strong> Mikroskop konnten die Wissenschaftler keine Seele finden.<br />

Deshalb kümmerten sich die Mediziner nun fortan um die „körperlichen“ Probleme.<br />

Die Seele überließen sie den Kirchen <strong>und</strong> der Psychiatrie.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 35


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

Diese trennende Entwicklung setzt sich bis heute fort. Immer mehr Spezialisierungen<br />

wurden <strong>und</strong> werden vorgenommen, Ärzte <strong>und</strong> Ärztinnen wurden zu Spezialist-<br />

Innen, die ihre Fertigkeiten auf ihrem Teilgebiet immer mehr verfeinerten: Dementsprechend<br />

schritten auch die Forschungsaktivitäten immer weiter voran.<br />

Waren früher die diagnostischen Fähigkeiten des Mediziners (Frauen gab es<br />

lange Zeit nicht) im höchsten Masse gefragt, stehen heute dem Arzt/der Ärztin immer<br />

mehr wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierte Geräte <strong>und</strong> Analysetechniken zur Verfügung,<br />

die die Spurensuche von Krankheiten unterstützen (Blutanalysen, Röntgen,<br />

Tomographie, Ultraschall, ...).<br />

Je stärker die Tendenzen in Richtung der naturwissenschaftlichen Verfeinerung<br />

der Medizin wurden, desto stärker wurde der Mensch als „Gesamtsystem“ vernachlässigt<br />

<strong>und</strong> ignoriert. Es wurden bei diversen Fachrichtungen sogar einzelne<br />

Organe in den Mittelpunkt gestellt.<br />

Das wird insbesondere auch an der medizinischen Ausbildung deutlich, die zumeist<br />

hohe fachliche Ausbildung bietet, jedoch kaum „menschliche Qualitäten“,<br />

wie Kommunikation mit PatientInnen oder sozialmedizinische <strong>und</strong> sozioökonomische<br />

Aspekte lehrt <strong>und</strong> fördert.<br />

Dazu kommt, dass sich ein <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem auf dem ÄrztInnenprinzip aufgebaut<br />

hatte, das den SpezialistInnen die höchste Kompetenz zuschrieb <strong>und</strong> sie an<br />

die Spitze der Hierarchie stellte. Das System der Krankenhäuser <strong>und</strong> Spitäler fördert<br />

diese Tendenz. Nicht selten wird daher von ÄrztInnen als „Götter in Weiß“ gesprochen.<br />

Eine weitere Folge dieser Entwicklung ist, dass der Schwerpunkt (die meisten Gelder)<br />

der Entwicklung auf die Heilung gelegt wird <strong>und</strong> nicht auf Strategien zur Verhinderung<br />

von Krankheit.<br />

Kritik an der westlichen Medizin gibt es immer öfter <strong>und</strong> deutlicher, dennoch ist<br />

die Entwicklung eine langsame. Zunehmend gibt es auch sogenannte komplementäre<br />

medizinische Traditionen (Akupunktur, Homöopathie usw.), die von<br />

immer mehr PatientInnen angenommen werden. Dies ist auch ein Ausdruck des<br />

Misstrauens <strong>und</strong> der Störung des Verhältnisses zwischen Fachpersonal/Ärzteschaft<br />

<strong>und</strong> PatientInnen.<br />

Daraus entsteht ein „philosophischer Reformdruck“, der dazu führt, dass eine Gesamtsicht<br />

des Menschen wieder stärker in den Vordergr<strong>und</strong> rückt. D. h., daß die<br />

Einheit <strong>und</strong> Bedingtheit zwischen Körper <strong>und</strong> Psyche (Seele) medizinisch wieder<br />

stärker zusammengehören <strong>und</strong> sich gegenseitig beeinflussen. Diese Vorstellung<br />

lebt in den Traditionen vieler Kulturen <strong>und</strong> ist auch die Basis aller großen Heilungssysteme<br />

des Ostens.<br />

Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts begannen sich einige MedizinerInnen des Westens<br />

mit dem Einfluss der Psyche auf den Körper zu beschäftigen. Sie erkannten, dass<br />

bei einigen Tuberkuloseerkrankten ein Zusammenhang zwischen Krankheitsschub<br />

<strong>und</strong> Lebenskrise bestand.<br />

Durch die Psychosomatik, die jedoch zu Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts noch nicht<br />

Fuß fassen konnte <strong>und</strong> erst in den letzten Jahrzehnten mehr Bedeutung erlangte,<br />

erfolgte wieder eine Annäherung von Körper <strong>und</strong> Seele.<br />

Je stärker solche Aspekte jedoch in die Betrachtung gerückt werden, desto größer<br />

werden auch wieder die Unsicherheit der klaren <strong>und</strong> exakten Wissenschaft Medizin.<br />

Oft wird deutlich, dass die ÄrztInnenschaft doch noch vieles nicht erforscht<br />

hat <strong>und</strong> es keine beweiskräftigen Erklärungsmodelle gibt, wie sich psychische<br />

36 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

Vorgänge in körperliche Krankheiten übersetzen lassen. Die Zusammenhänge<br />

sind schwierig zu beweisen.<br />

5.5. Behandlung von Krankheiten<br />

Die Behandlung von Krankheiten kann von verschiedenen Personen durchgeführt<br />

werden. Im Laufe der Zeit haben sich die Zuständigkeiten immer wieder verändert.<br />

In früheren Zeiten wurden körperliche <strong>und</strong> seelische Beschwerden von Familienmitgliedern<br />

behandelt. Dabei wurde der/die Leidende getröstet, gestreichelt, gefüttert,<br />

verb<strong>und</strong>en usw. Jeder/jede konnte auf diese Weise kranke Menschen umsorgen.<br />

Mit der Zeit wurde das Wissen, über das die Menschen verfügten, immer umfangreicher;<br />

Arbeiten wurden aufgeteilt <strong>und</strong> jede/r spezialisierte sich auf bestimmte<br />

Aufgaben. Ein erster Fachmann im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich war der Schamane, Heiler<br />

oder Medizinmann.<br />

Im klassischen Griechenland entstanden die ersten medizinischen Schulen. Die<br />

dort ausgebildeten Ärzte standen den Reichen mit Tinkturen, Salben, Diätempfehlungen<br />

etc. zur Verfügung. Die ärmere Bevölkerung ging zum „Kräuterk<strong>und</strong>igen“,<br />

wenn sie Rat <strong>und</strong> Hilfe brauchte. Als dann staatlich organisierte Gesellschaften<br />

<strong>und</strong> die Religionen entstanden, übernahmen die Priester die Aufgaben der Heilung.<br />

Erst seit dem Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts wurde der Arzt für breitere Bevölkerungsschichten<br />

zugänglich. In Europa wurden staatliche <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssysteme geschaffen.<br />

Die intensive Befassung mit den Naturwissenschaften führte zur Entstehung<br />

der naturwissenschaftlichen Medizin.<br />

5.6. Wie ist das <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem in Österreich<br />

organisiert?<br />

Die Sicherung der <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> ist eine Aufgabe des Staates. Dazu hat sich in Österreich<br />

ein sogenanntes Pflichtversicherungssystem entwickelt, das eine wesentliche<br />

Errungenschaft der österreichischen ArbeiterInnen- <strong>und</strong> Gewerkschaftsbewegungen<br />

ist.<br />

Das Versicherungssystem gründet sich auf folgende Prinzipien:<br />

(1) Das Versicherungs- <strong>und</strong> Beschäftigtenprinzip: Zentrales Element ist die<br />

Erwerbstätigkeit. Sie fußt darauf, dass jede/r der/die beschäftigt ist, Versicherungsbeiträge<br />

einzahlt <strong>und</strong> damit auch Anspruch auf Leistungen erwirbt.<br />

(2) Der Generationenvertrag, der dafür steht, dass die Beschäftigten die in Pension<br />

befindlichen Personen finanzieren.<br />

(3) Das Solidarprinzip, das besagt, dass die Gesamtgesellschaft für Wohlfahrt<br />

<strong>und</strong> für gewisse Gr<strong>und</strong>leistungen verantwortlich ist <strong>und</strong> bereit ist, dafür die Kosten<br />

zu tragen. Eine der großen Errungenschaften ist beispielsweise die Beteiligung<br />

der ArbeitgeberInnen in Österreich an der Versicherung der ArbeitnehmerInnen<br />

<strong>und</strong> damit die Leistung eines Solidarbeitrages.<br />

Das Pflichtversichungssystem besteht aus vier Säulen:<br />

(a) Arbeitslosenversicherung (AMS – Arbeitsmarktservice)<br />

(b) Krankenversicherung (GKK – Gebietskrankenkassen u. a.)<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 37


(c) Unfallversicherung (AUVA – Allgemeine Unfallversicherungsanstalt) <strong>und</strong><br />

(d) Pensionsversicherung (verschiedene Pensionsversicherungskassen)<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

Die Beiträge für die vier Säulen werden geteilt (Arbeitgeber-, Arbeitnehmerbeiträge)<br />

<strong>und</strong> werden vom Gesamtlohn berechnet (bestimmte Prozentsätze), vom Arbeitgeber<br />

einbehalten <strong>und</strong> an den Versicherungsträger abgeliefert. Der Arbeitnehmeranteil<br />

ist Bestandteil des Bruttolohnes.<br />

Zu (a): Über die Arbeitslosenversicherung werden Maßnahmen <strong>und</strong> Förderungen<br />

der sogenannten passiven <strong>und</strong> aktiven Arbeitsmarktpolitik gefördert. Aus<br />

den Beiträgen, die jede/r Beschäftigte einzahlt, erhalten Personen, die anspruchsberechtigt<br />

sind, das Arbeitslosengeld. Bei Personen, die länger arbeitslos sind,<br />

gibt es noch die Möglichkeit, die sogenannte Notstandshilfe zu erhalten. Weiters<br />

werden aus den Beiträgen auch Maßnahmen finanziert, die dazu beitragen sollen,<br />

die Arbeitslosigkeit so kurz wie möglich zu halten oder gar nicht erst entstehen zu<br />

lassen. So werden vom AMS im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik verschiedene<br />

Eingliederungshilfen, Kursmaßnahmen <strong>und</strong> Umschulungen finanziert.<br />

Ein Problem des Versicherungsprinzips ist es, dass bei steigender Arbeitslosigkeit<br />

sowohl die Einnahmen sinken (weniger Beschäftigte, die einzahlen) als auch die<br />

Ausgaben steigen (mehr Arbeitslose, die aus der Kasse Geld erhalten). Daher ist<br />

das Arbeitsmarktservice bemüht, Reserven anzulegen, um einen Ausgleich herstellen<br />

zu können.<br />

Zu (b): Auch hier gilt das Versicherungsprinzip. Leistungen aus der allgemeinen<br />

Krankenversicherung erhalten Beschäftigte <strong>und</strong> deren Angehörige (für die teilweise<br />

verringerte Beiträge eingezahlt werden müssen). Andere Personengruppen<br />

müssen selbständig Versicherungsbeiträge einzahlen. Sie können sich selbst versichern,<br />

wobei bestimmte Gruppen vergünstigte Tarife erhalten, beispielsweise<br />

geringfügig Beschäftigte.<br />

Die Krankenversicherungen sichern den Zugang zu Leistungen der verschiedenen<br />

Krankenanstalten <strong>und</strong> Ambulatorien, sowie zu den niedergelassenen praktizierenden<br />

ÄrztInnen (Haus- <strong>und</strong> FachärztInnen). Die Verrechnung der Kosten erfolgt<br />

mittels Krankenschein, der quartalsweise (1/4-jährlich) von den Versicherten bei<br />

ihren jeweiligen ÄrztInnen abzugeben ist. Die Beiträge der ArbeitgeberInnen <strong>und</strong><br />

ArbeitnehmerInnen finanzieren so die medizinische Gr<strong>und</strong>versorgung in Österreich.<br />

Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich in Österreich für die einzelnen Berufsgruppen<br />

verschiedene Versicherungsträger entwickelt. So gibt es etwa für Beamt-<br />

Innen eigene Regelungen <strong>und</strong> eine eigene Versicherungsanstalt, ebenso für Bauern/Bäuerinnen<br />

<strong>und</strong> Selbständige. Die größte Berufsgruppe, die nach dem ASVG,<br />

also dem Allgemeinem Sozialversicherungsgesetz, behandelt wird, sind die ArbeiterInnen<br />

<strong>und</strong> Angestellten, die in der Gebietskrankenkasse (GKK) vereint sind. In<br />

jedem der neun B<strong>und</strong>esländer gibt es eine GKK (Steiermark, Niederösterreich,<br />

usw.). Den neun B<strong>und</strong>esländer-GKKs sowie allen anderen Teilversicherungen steht<br />

der Hauptverband der Sozialversicherungsträger mit Sitz in Wien vor.<br />

Obwohl die Struktur kompliziert ist <strong>und</strong> die Finanzierung des Systems immer<br />

schwieriger geworden ist, ist das österreichische <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>s- <strong>und</strong> Sozialversicherungswesen<br />

eines der besten <strong>und</strong> leistungsfähigsten der Welt. Das soll allerdings<br />

nicht bedeuten, dass Reformen <strong>und</strong> Änderungen nicht notwendig wären, jedoch<br />

ist der Standard in Österreich noch immer sehr hoch. Viele Beispiele in anderen<br />

Ländern (USA, GB) belegen, dass durch Privatisierung <strong>und</strong> Abbau der staatlichen<br />

Systeme die <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sversorgung stark eingeschränkt wurde <strong>und</strong> immer<br />

mehr Bevölkerungsgruppen gänzlich ausgeschlossen werden, was erhebliche<br />

Folgen für die Volksges<strong>und</strong>heit hat.<br />

38 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

In Österreich wird ebenfalls eine sehr breite Diskussion um eine Reform des <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystems<br />

geführt. Dabei handelt es sich aber eher um eine politisch-ideologische<br />

Diskussion <strong>und</strong> nicht so sehr um einen tatsächlich bevorstehenden Kollaps<br />

des derzeitigen Systems.<br />

Ein Problem des bestehenden Systems ist es, dass es neun verschiedene GKKs für<br />

die neun B<strong>und</strong>esländer gibt, die unterschiedliche Leistungsangebote entwickelt<br />

haben. Diese Leistungen sind wenig auf ges<strong>und</strong>heitsfördernde <strong>und</strong> präventive<br />

Aspekte ausgerichtet, sondern zielen stark auf kurativ behandelnde Methoden ab.<br />

Damit verb<strong>und</strong>en ist auch ein deutliches Übergewicht einer naturwissenschaftlich-medizinischen<br />

Sicht, die Behandlungen bevorzugt, die der Arzt verschreiben<br />

kann.<br />

Die häufigsten Behandlungstechniken bestehen in der Behandlung mit Medikamenten,<br />

in Operationen <strong>und</strong> Bestrahlungen, in Behandlungen im Krankenhaus<br />

u.v.m.<br />

Eine Reform des Systems kann nur durch einen gr<strong>und</strong>sätzlichen „Paradigmenwechsel“<br />

(Wechsel der Sichtweise) erfolgen. Neben präventiven Ansätzen wird<br />

von immer mehr KritikerInnen gefordert, dass der Mensch <strong>und</strong> seine Bedürfnisse<br />

wieder in das Zentrum der Beurteilung von Maßnahmen gerückt werden sollen.<br />

Die Sichtweise von Berufsgruppen oder Interessensgruppen (ÄrztInnen, Pharmakonzerne)<br />

sollten dabei in den Hintergr<strong>und</strong> treten.<br />

Behandlungssysteme, denen alternativ-medizinische <strong>und</strong> ganzheitliche Sichtweisen<br />

zu Gr<strong>und</strong>e liegen, sind noch immer unterrepräsentiert. Diese berücksichtigen<br />

auch die psychische <strong>und</strong> soziale Situation der PatientInnen sowie deren familiäres<br />

Umfeld. Zur ganzheitlichen Medizin gehören verschiedene Zweige; ein paar Beispiele<br />

dafür sind:<br />

�Manuelle Medizin (bei Erkrankungen des Bewegungsapparats)<br />

�Naturheilk<strong>und</strong>e (Therapie mit Tees, Kräutern, Diät, Wasser, ...)<br />

�Homöopathie (pflanzliche Substanzen)<br />

�Traditionelle chinesische Medizin (Akupunktur, Tai-chi <strong>und</strong> Chi-gong, ...)<br />

�Ayurveda Medizin (klassische indische Medizin)<br />

�u. v. m.<br />

5.7. Begriffe im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich<br />

Wenn man krank ist, gibt es verschiedene Anzeichen (Symptome), die darauf hinweisen.<br />

Ein Symptom ist das, was von einer Krankheit sicht- <strong>und</strong> spürbar wird, zum Beispiel<br />

Kopfschmerzen. Die Krankheiten, die dahinter stecken, können ganz verschiedene<br />

sein, beispielsweise „nur“ Stress <strong>und</strong> Überlastung oder aber auch<br />

schwerere Krankheiten wie Hepatitis.<br />

Um herauszufinden, was hinter einem Symptom steht, führt der/die ÄrztIn eine<br />

Anamnese durch. Diese Anamnese besteht aus einem ausführlichen Gespräch<br />

mit dem/der PatientIn <strong>und</strong> einer körperlichen Untersuchung, bei dem der/die ÄrztIn<br />

die Körpergegend, an der die Beschwerden angegeben werden, abtastet, anschaut<br />

<strong>und</strong> eventuell abhorcht. Wenn es der/die ÄrztIn für nötig hält, werden weitere<br />

Untersuchungen angeordnet, wie zum Beispiel Blut- Harn-, Röntgen oder Ultraschalluntersuchungen.<br />

Auf die Anamnese folgt die Diagnose; das heißt, der/die ÄrztIn stellt eine Vermutung<br />

an, welche Krankheit hinter den Beschwerden stecken könnte.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 39


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

Aufgr<strong>und</strong> dieser Erkenntnisse wird der/die ÄrztIn eine Therapie anordnen. Dieser<br />

Ablauf besteht aus einer Anzahl von verschiedenen Fakten, Erfahrungen aber<br />

auch Vermutungen. Daher ist jede Therapie immer auch ein Versuch.<br />

Dieser hier beschriebene Ablauf stellt den klassischen Verlauf einer medizinischen<br />

Konsultation (Beratungsgespräch) dar. Das ärztlich dominierte <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem<br />

springt dann ein, wenn eine Krankheit ausgebrochen, also sichtbar<br />

geworden ist. Solange es sich hier um eine „simple“ Grippe handelt, erscheint das<br />

einfach <strong>und</strong> sinnvoll. Aufgr<strong>und</strong> von genetischen Vorbedingungen, Umwelt- <strong>und</strong> Lebensbedingungen<br />

<strong>und</strong> -weisen wären viele Krankheiten vorhersehbar bzw. vermeidbar.<br />

Dazu wäre es aber oft notwendig, aktuelle Lebensweisen aufzugeben<br />

oder zu verändern (Rauchen, Ernährung, ...).<br />

Wichtig bei dem Kontakt zwischen Arzt <strong>und</strong> Patient ist, dass die Kommunikation<br />

(siehe Kapitel Interkulturelle Kompetenz – Kommunikation) gut funktioniert, d. h.<br />

dass der Patient Vertrauen in die Fähigkeiten des Arztes hat, dass der Patient sich<br />

ernst genommen fühlt, dass ihm einleuchtet, warum er diese oder jene Therapie<br />

zu machen hat. Ist die Kommunikation, das Verhältnis gestört, wird der Patient die<br />

Therapieempfehlungen des Arztes nicht befolgen, die Therapie kann also nicht<br />

wirken.<br />

Ein häufig kritisierter Punkt ist, dass Ärzte sich zuwenig Zeit nehmen<br />

für die Patienten. Das liegt einerseits am System, andererseits auch an der Ausbildung<br />

<strong>und</strong> am Selbstverständnis der Ärzteschaft. *<br />

Das System des Krankenscheins – ein fixer Betrag pro PatientIn <strong>und</strong> pro Quartal<br />

unabhängig von den Leistungen – führt dazu, dass es umso lukrativer für den Arzt/<br />

die Ärztin ist, je weniger Konsultationen (weniger Zeit) pro Krankenschein aufgewendet<br />

werden. Je öfter ein/e Patient/in in die Ordination kommt <strong>und</strong> je mehr Leistungen<br />

der Arzt/die Ärztin anbietet, die nicht im jeweiligen Leistungskatalog aufscheinen,<br />

desto weniger verdient ein/e Arzt/Ärztin. Das System begünstigt also<br />

die Kurzkonsulationen <strong>und</strong> das Weiterverweisen zu FachärztInnen.<br />

In der ärztlichen Ausbildung wird nach wie vor großer Wert auf die f<strong>und</strong>ierte fachliche<br />

Ausbildung in der Medizin gelegt. Ein breiterer Gesichtskreis, ein umfassenderes<br />

Verständnis von <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> wird dabei aber kaum vermittelt. Dies entspricht<br />

auch der Tradition der FachärztInnen, die sich zu SpezialistInnen entwickeln. In<br />

der Ausbildung <strong>und</strong> in dieser Tradition bleiben Aspekte der Kommunikation, des<br />

Gesprächs, der Betrachtung des gesamten Umfeldes des PatientInnen sehr oft auf<br />

der Strecke.<br />

Damit man sich sicher sein kann, dass das, was man dem/der ÄrztIn erzählt, nicht<br />

an andere weitergegeben wird, gibt es die sogenannte ärztliche Schweigepflicht.<br />

Das heißt, es ist gesetzlich festgeschrieben, dass all das, was dem/der<br />

ÄrztIn im Rahmen der Untersuchung <strong>und</strong> Behandlung anvertraut wird, streng vertraulich<br />

ist, also niemandem weitererzählt werden darf.<br />

*) Um die Lesbarkeit der vorangegangenen Absätze nicht allzu sehr zu<br />

strapazieren, haben wir auf die weiblichen Formen verzichtet.<br />

40 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

5.8. <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>seinrichtungen –<br />

medizinische Versorgung<br />

5.8.1. ÄrztInnen<br />

In der Krankenkassenmedizin bildet der Allgemeinmediziner = praktischer<br />

Arzt = Hausarzt die Basisversorgung. Er steht gr<strong>und</strong>sätzlich für alle ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Probleme zur Verfügung <strong>und</strong> verweist an die FachärztInnen weiter, wenn<br />

es nötig ist. Er stellt in Österreich theoretisch den Knotenpunkt zwischen Patient-<br />

Innen <strong>und</strong> den verschiedenen Spezialisten dar. Er ist vom Prinzip her so etwas wie<br />

der Berater, Vermittler <strong>und</strong> <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>scoach, der den Patienten durch den Prozess<br />

führt <strong>und</strong> leitet.<br />

Allgemeinmediziner stellen auch ein wenig das Gegenteil zum vorhin beschriebenen<br />

Spezialistentum dar, da sie neben einer f<strong>und</strong>ierten medizinischen Ausbildung<br />

auch viele andere soziale Fertigkeiten besitzen sollten. Leider wird das ‘Prinzip<br />

Hausarzt’ in Österreich viel zu wenig gefördert. Im Gegensatz dazu gibt es in den<br />

Niederlanden einen eigenen Hausärzteverband.<br />

Oftmals schickt der Hausarzt den Patienten zur genaueren Untersuchung weiter.<br />

Diese geschieht durch einen Facharzt, der mit einem Facharztkrankenschein<br />

oder mit einem Überweisungsschein in Anspruch genommen werden kann.<br />

Fachärzte sind Spezialisten für ein spezielles Gebiet in der Medizin. *<br />

Fachärzte/-ärztinnen gibt es für<br />

�Gynäkologie (Frauenheilk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Geburtshilfe)<br />

�Interne Medizin<br />

�Neurologie<br />

�Kinderheilk<strong>und</strong>e<br />

�Haut- <strong>und</strong> Geschlechtskrankheiten<br />

�Augen<br />

�Hals-Nasen-Ohren<br />

�Zahnheilk<strong>und</strong>e<br />

�Chirurgie<br />

�Lungenheilk<strong>und</strong>e<br />

�Röntgen<br />

�Orthopädie<br />

�Urologie<br />

�Psychiatrie<br />

Für die Anamnese <strong>und</strong> Diagnose (siehe Seite 35) ist oft der/die Röntgenfacharzt/ärztin<br />

sehr wichtig, der/die einen vertiefenden Einblick in möglicherweise krankhafte<br />

Körperteile bieten kann. Jede/r Versicherte kann sich aber auch von sich aus<br />

<strong>und</strong> ohne eine Überweisung des/der Hausarztes/Hausärztin an eine/n FachärztIn<br />

oder eine Ambulanz wenden.<br />

Ärzte mit Vertragsverhältnis<br />

Die Mehrheit der ÄrztInnen in Österreich haben einen Vertrag mit einer oder mehreren<br />

öffentlichen Krankenversicherungen. Die Basis für diese Vertragsverhältnisse<br />

bilden die Gesamtverträge, die die Ärztekammer (das ist die Interessenvertretung<br />

der ÄrztInnen) mit den Trägern der Sozialversicherungen schließt.<br />

*) Um die Lesbarkeit der vorangegangenen Absätze nicht allzu sehr zu<br />

strapazieren, haben wir auf die weiblichen Formen verzichtet.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 41


Der/Die PatientIn nimmt zum Arztbesuch einen Krankenschein mit, den man normalerweise<br />

von der Stelle bekommt, die das Gehalt bzw. eine finanzielle Unterstützung<br />

(Arbeitsamt, Sozialamt) bezahlt. Über diesen Krankenschein verrechnen<br />

ÄrztInnen die für den/die PatientIn erbrachten Leistungen mit der Krankenkasse.<br />

WahlärztIn<br />

Es gibt aber auch die Möglichkeit, einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen, der/<br />

die kein Vertragsverhältnis mit einer Krankenkasse hat. Diese/n ÄrztIn nennt man<br />

dann WahlärztIn. Die Krankenkasse erstattet einen Teil der Kosten zurück, den<br />

Rest muss der/die Patientin aber selbst bezahlen.<br />

5.8.2. PsychotherapeutInnen<br />

Ein weiterer medizinischer Bereich ist die Psychotherapie. PsychotherapeutInnen<br />

arbeiten mit Menschen, die an seelischen Konflikten leiden, an Beschwerden <strong>und</strong><br />

Erkrankungen, deren Ursachen häufig nicht in körperlichen Erkrankungen liegen.<br />

Dabei gibt es viele verschiedene Methoden: Psychoanalyse, Gesprächstherapie,<br />

Gestaltstherapie, systemische Familientherapie, Psychodrama, konzentrative Bewegungstherapie,<br />

künstlerisches Gestalten wie Malen oder Töpfern <strong>und</strong> sogar<br />

Tanz <strong>und</strong> Musik können für die Ziele der psychischen Genesung eingesetzt werden.<br />

In der Psychotherapie arbeiten TherapeutInnen, die an einer anerkannten<br />

Schule eine Ausbildung absolviert haben.<br />

(Siehe Kapitel <strong>Zebra</strong>-Angebote)<br />

5.8.3. Gehobene <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>s- <strong>und</strong> Pflegeberufe<br />

Es gibt verschieden Pflegeberufe: Diplomkrankenschwester bzw. Diplomkrankenpfleger<br />

(3-jährige Ausbildung) <strong>und</strong> speziell ausgebildete Berufsgruppen für die<br />

psychiatrische Betreuung, die Pflege älterer Menschen <strong>und</strong> die Pflege von Kindern.<br />

5.8.4. Pflegehilfe<br />

PflegehelferInnen betreuen pflegebedürftige Menschen in Krankenhäusern. Sie<br />

unterstützen die Diplomkrankenschwestern <strong>und</strong> Diplomkrankenpfleger in Krankenhäusern<br />

<strong>und</strong> Pflegeheimen. Die dafür nötige Ausbildung dauert 1 Jahr.<br />

5.8.5. Medizinisch-technische Dienste<br />

In diesem Bereich gibt es verschiedene Berufe, für die die Ausbildung jeweils drei<br />

Jahre dauert.<br />

Einige Beispiele:<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

Diplomierte/r PhysiotherapeutIn:<br />

PhysiotherapeutInnen arbeiten am Körper des/der PatientIn. Es geht dabei<br />

besonders um die Therapie nach Unfällen <strong>und</strong> Operationen. Zu den Behandlungsmethoden<br />

zählen zum Beispiel Heilmassagen, Gymnastik, verschiedene<br />

Bäder sowie Wärme- <strong>und</strong> Kälteanwendungen.<br />

Diplomierte/r ErgotherapeutIn:<br />

Ergotherapie geht davon aus, dass Aktiv-Sein <strong>und</strong> Arbeiten heilende Wirkung<br />

hat. Die Aktivitäten werden dabei ganz speziell auf den/die PatientIn<br />

abgestimmt. ErgotherapeutInnen unterstützen auch bei der Wiedererlangung<br />

der Feinmotorik. Behandelt werden Menschen aller Altersklassen, die<br />

durch Unfall, Krankheit oder eine andere Behinderung bei dem, was sie tun,<br />

eingeschränkt oder behindert sind. Das Ziel ist es, dass diese Menschen<br />

wieder selbständiger werden.<br />

42 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

5.9. Spitäler<br />

Diplomierte/r DiätassistentIn:<br />

DiätassistentInnen informieren <strong>und</strong> beraten über die optimale Ernährung,<br />

wenn jemand krank ist. Sie sind MitarbeiterInnen der ÄrztInnen <strong>und</strong> vermitteln<br />

in Krankenhäusern <strong>und</strong> Kurheimen zwischen den PatientInnen, ÄrztInnen,<br />

dem Pflegepersonal <strong>und</strong> der Küche.<br />

Diplomierte/r LogopädIn (SprachtherapeutIn):<br />

SprachtherapeutInnen sind dazu ausgebildet, verschiedene Störungen, die<br />

beim Sprechen auftreten können, zu erkennen <strong>und</strong> zu behandeln. Sie bringen<br />

dem/der sprachbehinderten PatientIn bei, Sprache genau zu hören <strong>und</strong><br />

zu verfolgen <strong>und</strong> die eigenen Bewegungen, die er/sie beim Sprechen<br />

macht, besser zu kontrollieren.<br />

Ein Beispiel für eine Sprachstörung ist das Stottern; seine Ursache ist oft<br />

Angst. Mit einem Sprachübungsprogramm versucht der/die LogopädIn,<br />

diese Beeinträchtigung abzubauen.<br />

Diplomierte/r OrthoptistIn:<br />

Auf Anordnung eines Arztes/einer Ärztin untersucht der/die OrthoptistIn<br />

Sehstörungen <strong>und</strong> behandelt sie auch.<br />

Hebammen<br />

Hebammen beraten Schwangere, stehen während der Geburt bei <strong>und</strong> pflegen<br />

das neugeborene Kind. Sie können in einer Klinik angestellt sein oder<br />

selbständig arbeiten.<br />

Bei den Spitälern unterscheidet man öffentliche, die für jede/n Versicherte/n zugänglich<br />

sind, von privaten – für speziell Versicherte.<br />

Die Ambulatorien <strong>und</strong> Ambulanzen sind für die Akutversorgung zuständig,<br />

das heißt, dass man dort nicht über Nacht bleibt. Die Krankenanstalten betreuen<br />

auch akute Notfälle, sind aber vor allem für die Langzeitbetreuung da, für Fälle, in<br />

denen eine längere Behandlung nötig ist.<br />

Gibt es einen Notfall, ruft man die Telefonnummer 144 (kostenlos) an <strong>und</strong> das<br />

Krankenhaus schickt einen Krankenwagen, der den/die PatientIn sofort ins Krankenhaus<br />

bringt.<br />

Medikamente (ausgenommen Tee <strong>und</strong> Vitaminpräparate) werden im Normalfall<br />

nicht vom Arzt/von der Ärztin selbst ausgegeben sondern von den Apotheken.<br />

Eine Ausnahme sind die Hausapotheken: Wenn sich im Umkreis von sechs Kilometern<br />

des Arztes/der Ärztin keine Apotheke befindet, darf der/die ÄrztIn selbst eine<br />

„Hausapotheke“ führen.<br />

Stärkere Arzneimittel müssen von einem/einer ÄrztIn mittels eines sogenannten<br />

Rezeptes (Formular, auf dem der/die ÄrztIn das Medikament aufschreibt) verschrieben<br />

werden, schwächere kann man einfach in der Apotheke kaufen. Wenn<br />

man ein Medikament verschrieben bekommt, bezahlt man nicht den gesamten<br />

Preis dafür, sondern nur eine Pauschalgebühr für das Rezept, das man vom Arzt/<br />

von der Ärztin bekommen hat. Aus sozialen Gründen (bei geringem Einkommen)<br />

kann man auch von der Rezeptgebühr befreit werden.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 43


5.10. Prävention/<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sförderung<br />

Wenngleich das österreichische System sehr stark auf die Behandlung <strong>und</strong> Linderung<br />

von Krankheiten aufgebaut ist, so wird dennoch immer wieder betont, wie<br />

wichtig Vorsorgemaßnahmen <strong>und</strong> <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sförderungsmaßnahmen sind.<br />

Alle Bemühungen, die <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> zu fördern <strong>und</strong> Krankheit zu verhindern, sowie<br />

Unfälle zu vermeiden, nennt man Prävention.<br />

5.10.1. <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sförderung<br />

Die <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sförderung geht noch ein Stück weiter als die Prävention <strong>und</strong> hat<br />

zum Ziel, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern <strong>und</strong> die <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

langfristig zu sichern bzw. auszubauen, d. h., auch die Chancengleichheit zwischen<br />

allen Gesellschaftsmitgliedern herzustellen, damit sie ges<strong>und</strong> bleiben.<br />

Es soll den Menschen ermöglicht werden, zu ihrer eigenen <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> beizutragen.<br />

Dazu gehört Information über z. B. ges<strong>und</strong>e Ernährung, Bewegung <strong>und</strong> deren<br />

ges<strong>und</strong>heitliche Auswirkung, wie man richtig an einem Schreibtisch sitzt ohne<br />

sich den Rücken kaputt zu machen u. v. m.<br />

Es kann gesagt werden, dass die Menschen mit Wissen ausgestattet werden müssen,<br />

um auf sich selbst achten zu können (eigene Ressourcen verbessern) <strong>und</strong><br />

dass die Umgebung, in der die Menschen leben, nicht ges<strong>und</strong>heitsgefährdend<br />

sein darf.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sförderung findet auf verschiedenen Ebenen statt: Auf der schulischen<br />

Ebene, auf der betrieblichen Ebene <strong>und</strong> auf der Ebene der Gemeinden.<br />

So wird z. B. auf der betrieblichen Ebene, also am Arbeitsplatz darauf geachtet,<br />

dass die Menschen Sicherheitskleidung tragen (Gehörschutz, Handschuhe, Sicherheitsschuhe,<br />

...).<br />

Auf der Ebene der Gemeinden wird darauf geachtet, dass die Menschen nicht besonderem<br />

Lärm ausgesetzt sind.<br />

5.10.2. Prävention<br />

Bei der Prävention geht es darum, eine Krankheit – ähnlich wie bei der <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sförderung<br />

– zu verhindern.<br />

Primäre Prävention<br />

bedeutet, dass man von vornherein Bedingungen schafft, unter denen Menschen<br />

mit größerer Wahrscheinlichkeit ges<strong>und</strong> bleiben. Dazu gehören zum Beispiel Umweltschutzmaßnahmen<br />

vom Staat für eine ges<strong>und</strong>e Luft <strong>und</strong> für ges<strong>und</strong>es Wasser<br />

oder auch Impfprogramme.<br />

Aber auch das, was jede/r für sich selbst tun kann, um ges<strong>und</strong> zu bleiben, gehört<br />

zur primären Prävention: Ges<strong>und</strong>e Ernährung, Bewegung, angemessene Wohn<strong>und</strong><br />

Arbeitsverhältnisse etc.<br />

Primäre Prävention kommt der <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sförderung sehr nahe.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

Beispiel: Um sich nicht zu verkühlen, zieht man sich warme Socken an, solange<br />

die Füße noch warm sind, um nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein,<br />

kalte Füße zu bekommen <strong>und</strong> deswegen krank zu werden.<br />

Sek<strong>und</strong>äre Prävention<br />

Darunter versteht man alle ärztlichen Maßnahmen, um Krankheiten zu einem Zeitpunkt<br />

zu erkennen, zu dem der/die Betroffene selbst noch gar nicht merkt, dass<br />

er/sie krank ist. Wenn Krankheiten so früh erkannt werden, ist die Chance auf ihre<br />

44 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

Heilung wesentlich besser. Dazu ist es nötig, sich in regelmäßigen Abständen medizinisch<br />

untersuchen zu lassen, auch wenn man noch keine Beschwerden hat.<br />

Daher gibt es in Österreich auch die Möglichkeit sich regelmäßigen Ges<strong>und</strong>enuntersuchungen<br />

zu unterziehen, die für den Patienten/die Patientin kostenlos durchgeführt<br />

werden.<br />

Beispiel: Einem Kind, von dem man weiß, dass es sehr empfänglich für<br />

Verkühlungen ist, sofort warme Socken anzuziehen, wenn bemerkt wird,<br />

dass die Füße kalt sind.<br />

Tertiäre Prävention<br />

Darunter wird die unmittelbare Behandlung von Krankheiten verstanden oder<br />

auch die Nachbehandlung von Krankheiten. Es soll verhindert werden, dass die<br />

Krankheit, die jemand schon hat, noch schlimmer wird. Zur tertiären Prävention<br />

gehört auch, dass jemand nach dem Krankenhausaufenthalt auf Kur fährt. Eine<br />

Kur dient unter anderem dazu, sich von einer Krankheit erholen zu können.<br />

5.11. Ernährung<br />

Beispiel: Ein Kind ist verkühlt, es hustet, hat Schnupfen <strong>und</strong> kalte Füße.<br />

Wenn man diesem Kind dann Socken anzieht, damit die Verkühlung nicht<br />

noch schlimmer wird, dann ist das tertiäre Prävention.<br />

Ges<strong>und</strong>e Ernährung spielt im Zusammenhang mit Wohlbefinden eine wichtige<br />

Rolle. Ernährung muss eine ausreichende Energieversorgung für den Menschen<br />

bieten, jedoch soll auch eine Überernährung verhindert werden. Ernährung soll alles<br />

enthalten, was der Mensch braucht. Der Genuss am Essen soll aber auch nicht<br />

zu kurz kommen, außerdem soll bei der Nahrungsgewinnung die Natur geschont<br />

werden.<br />

Essen ist für den Menschen notwendig, um wachsen, leben <strong>und</strong> sich bewegen zu<br />

können. Für diese Funktionen brauchen wir verschiedene Lebensmittel, da nicht<br />

jedes Lebensmittel alle wichtigen Bestandteile, die der Körper braucht, enthält.<br />

5.11.1. Die wichtigsten Nahrungsmittelbestandteile<br />

Kohlenhydrate<br />

Kohlenhydrate bilden den Hauptbestandteil unserer Nahrung. Sie sind der wichtigste<br />

Energielieferant für den Menschen. In der täglichen Nahrung kommen Kohlenhydrate<br />

in Form von Zucker, Stärke oder Ballaststoffen vor. Ballaststoffe sind<br />

für eine gute Darmtätigkeit unerlässlich, sie reinigen den Darm. Sie kommen vor<br />

allem in Getreide, Obst <strong>und</strong> Gemüse vor.<br />

Stärke besteht aus vielen Zuckermolekülen <strong>und</strong> kommt in Brot, Mehl, Kartoffeln<br />

<strong>und</strong> Bohnen vor. Durch Stärke bekommt der Körper gleichmäßig Energie. Das Kohlenhydrat<br />

Zucker wird schnell verdaut, der Nachteil ist jedoch, dass reiner Zucker<br />

keine anderen Bestandteile enthält.<br />

Fett<br />

Fett ist ein Baustein für den Körper <strong>und</strong> liefert Energie. Fett kann entweder von<br />

Tieren oder von Pflanzen kommen. Bei der Fettaufnahme soll man jedoch beachten,<br />

dass mindestens die Hälfte des Fettes, das man zu sich nimmt, von Pflanzen<br />

stammt.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 45


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

Oft findet man in Nahrungsmitteln sogenannte versteckte Fette vor, z. B. in<br />

Fleisch- <strong>und</strong> Wurstwaren, Fertigprodukten, Kuchen, Knabbergebäck. Diese Speisen<br />

soll man mit Bedacht zu sich nehmen.<br />

Eiweiß<br />

Eiweiß ist ein sehr wichtiger Bestandteil für den Körper. Er dient vor allem für den<br />

Aufbau von Muskeln. Eiweiß besteht aus 20 verschiedenen Bausteinen. Diese<br />

Bausteine werden Aminosäuren genannt. Einen Teil dieser Bausteine kann der<br />

Körper nicht selbst erzeugen, deshalb müssen diese durch Nahrung zugeführt<br />

werden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist wiederum, dass jedes Eiweiß anders<br />

aufgebaut ist <strong>und</strong> man darauf achten sollte, dass man sich eine möglichst<br />

vielfältige Nahrungspalette aussucht. Eiweiß ist vor allem in Milch, Eiern, Fleisch,<br />

Fisch, Getreide, Bohnen <strong>und</strong> Kartoffeln enthalten.<br />

Vitamine<br />

Vitamine helfen dem Körper, richtig zu funktionieren. Sie sind unter anderem für<br />

die Blutbildung <strong>und</strong> für den Schutz gegen Krankheiten verantwortlich. Vitamine<br />

kommen in Lebensmitteln in unterschiedlicher Menge vor.<br />

Vitamine sind vor allem in Obst <strong>und</strong> Gemüse, Getreide, Nüssen, ölhaltigen Samen<br />

<strong>und</strong> Milch enthalten.<br />

Jedoch können Vitamine leicht zerstört werden. Besonders empfindlich reagieren<br />

sie auf lange Lagerung, Licht, Luft, Hitze (kochen). Sie können auch durch Wasser<br />

ausgeschwemmt werden.<br />

Deshalb ist es besonders wichtig, Lebensmittel so frisch wie möglich zu verwenden.<br />

Außerdem ist auf eine kurze Kochzeit zu achten. Gemüse soll auch nicht lange<br />

Zeit im warmen Wasser stehen gelassen werden, es ist besser, das Gemüse<br />

kaltzustellen <strong>und</strong> wieder aufzuwärmen.<br />

Durch Schälen von Obst <strong>und</strong> Getreide gehen viele Nährstoffe verloren. Deshalb<br />

soll man auch darauf achten, Vollkorngetreide zu essen.<br />

Mineralstoffe <strong>und</strong> Spurenelemente<br />

Diese braucht der Körper vor allem zum Aufbau von Knochen <strong>und</strong> Zähnen, für die<br />

Reizübertragung im Nervensystem <strong>und</strong> für die Regulation vieler Funktionen im<br />

Körper.<br />

Mineralstoffe kommen so wie Vitamine in den Lebensmitteln in unterschiedlichen<br />

Mengen vor. Auch hier lautet die Devise, möglichst viele verschiedene Lebensmittel<br />

zu essen. Natürliche Lebensmittel haben mehr Mineralstoffe <strong>und</strong> Spurenelemente<br />

als bereits stark bearbeitete.<br />

Hauptbestandteile unserer Ernährung sollen Milch- <strong>und</strong> Milchprodukte, Getreide<strong>und</strong><br />

Getreideprodukte, Gemüse <strong>und</strong> Obst sein.<br />

Über die Haut <strong>und</strong> den Harn werden Giftstoffe aus dem Körper ausgeschieden.<br />

Daher ist es sehr wichtig regelmäßig <strong>und</strong> viel zu trinken. Gut sind Wasser, Tee <strong>und</strong><br />

verdünnte Fruchtsäfte. Bei Alkohol <strong>und</strong> Kaffee soll Acht gegeben werden, da diese<br />

Getränke zum Wasserverlust im Körper führen.<br />

Hier einige Tipps für ges<strong>und</strong>es Essen:<br />

�Weißmehl vermeiden, immer öfter Vollkornmehl verwenden<br />

�Gemüse <strong>und</strong> Obst soll Bestandteil jeder Mahlzeit sein<br />

�Mich <strong>und</strong> Milchprodukte (vor allem fettarm) sind ein wesentlicher Teil unserer<br />

Nahrung<br />

�Gemüse soll mindestens einmal am Tag roh genossen werden<br />

�Nicht auf Hülsenfrüchte vergessen (Bohnen, Linsen, Erbsen)<br />

46 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

�Auf wenig Fett achten, immer öfter tierisches Fett gegen pflanzliches austauschen<br />

�Wenig Zucker verwenden<br />

�Fleisch soll als Beilage verwendet werden<br />

�Alkohol <strong>und</strong> Kaffee im Sinne eines Genussmittels verwenden<br />

5.12. Sucht<br />

Sucht ist eine Krankheit, die einer Behandlung bedarf. Wesentliches Erkennungszeichen<br />

ist, dass Süchtige Substanzen nehmen, mit deren Wirkung sie sich in einen<br />

anderen Bewusstseinszustand versetzen wollen. Es kann sich dabei um legale<br />

oder illegale Substanzen handeln.<br />

Bei Süchtigen kommt es zu periodischen oder chronischen Rauschzuständen.<br />

Ein weiteres typisches Kennzeichen ist, dass Abhängige den überwältigenden<br />

Wunsch haben, den Suchtmittelgebrauch unter allen Umständen fortzusetzen.<br />

Diese Gier stellt einen wirklichen Verlust der Kontrolle dar. Süchtige sind bereit, ihr<br />

bisheriges Leben komplett aufzugeben, Fre<strong>und</strong>schaftsbeziehungen abzubrechen,<br />

soziale Identitäten aufzugeben – nur um den Suchtmittelgebrauch fortsetzen zu<br />

können.<br />

Menschen, die trotz allem noch mit Suchtkranken leben, geben ihr eigenes Leben<br />

auf, nur, um den/die Suchtkranke/n zu unterstützen (Co-Abhängigkeit).<br />

Sucht hat immer eine zerstörerische Wirkung, sowohl auf die Suchtkranken<br />

selbst, als auch auf deren nächste Umgebung. Zum Wesen der Sucht gehört auch,<br />

dass der Verlust der Kontrolle über das Verhalten vor sich selbst <strong>und</strong> vor den anderen<br />

Menschen solange wie möglich verborgen wird.<br />

Bei Suchterkrankungen ist auch der Wunsch, den Suchtmittelgebrauch zu verringern,<br />

immer wieder mit wechselnder Intensität vorhanden. Es gibt aber einen inneren<br />

Zwang der Suchtkranken, die Sucht fortzusetzen, obwohl die meisten<br />

Suchtkranken über die Gefährlichkeit ihrer Sucht Bescheid wissen. Auf Signale eines<br />

sozialen Abstiegs können Betroffene nur schwer reagieren.<br />

Sucht ist ein prozesshaftes Geschehen, kein genau zu definierender Zustand. Begleitet<br />

ist dieser Prozess vom Verlust der persönlichen Identität, der sozialen Beziehungen,<br />

der individuellen Lebensplanung <strong>und</strong> der körperlichen <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>. Der<br />

Suchtprozess stoppt nicht von allein, ist individuell <strong>und</strong> muss nicht Schritt für<br />

Schritt stattfinden.<br />

Manchmal schaffen es Menschen aus eigener Kraft, aus diesem Suchtprozess<br />

auszusteigen, viel öfter jedoch schaffen es jene, die sich Hilfe von kompetenten<br />

Menschen geholt haben.<br />

5.12.1. Wie kommt es zur Entstehung von Sucht?<br />

Es gibt nicht eine Ursache von Sucht, sondern meist entscheiden eine Vielfalt von<br />

Faktoren darüber, ob ein Mensch suchtkrank wird. Es gibt deshalb auch keine psychische<br />

Störung oder keinen Persönlichkeitstyp, der für psychische Störungen<br />

steht.<br />

Eine Rolle für die Entstehung von Sucht spielen:<br />

�die aktuelle Lebenssituation des/der Suchtkranken<br />

�die soziale Gruppe, in der der/die Betroffene lebt<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 47


�der Umgang mit süchtigmachenden Stoffen, durch Erziehung, Familie (Vorbildwirkung)<br />

�süchtigmachende Stoffe (Alkohol, Zigaretten) als Statussymbole (Erwachsenwerden)<br />

�die Rauschmittel selbst<br />

�die Verfügbarkeit von <strong>und</strong> der Zugang zu Rauschmitteln<br />

Um eine Verbesserung <strong>und</strong> Genesung zu erreichen, muss der/die Suchtkranke<br />

selbst den Wunsch äußern, wieder ein freies Leben zu führen <strong>und</strong> auch bereit sein,<br />

selbst aktiv mitzuarbeiten, sonst sind alle Bemühungen umsonst.<br />

5.13. Arbeit<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

Um über Arbeit <strong>und</strong> ihre Auswirkungen auf die <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> zu sprechen, muss<br />

man zu aller erst über die Funktionen der Arbeit nachdenken, die sie in unserer<br />

<strong>und</strong> in der Herkunftsgesellschaft von MigrantInnen hat.<br />

Arbeit steht in vielen Fällen auch in Zusammenhang mit Stress. Dieser Stress kann<br />

positiv sein, kann sich in vielen Fällen aber auch negativ auf jede/n einzelne/n auswirken.<br />

Gerade dann, wenn ein Übergewicht zwischen Arbeitsanforderungen <strong>und</strong><br />

den vermeintlichen persönlichen Möglichkeiten besteht. Entscheidend ist hier immer<br />

der Umgang mit Stress. Meist steht Stress auch in Zusammenhang mit Zeitmanagement.<br />

AsylwerberInnen, aber auch MigrantInnen sind oft von Arbeitslosigkeit betroffen.<br />

Die „Selbstverschuldungsthese“, von der viele der Betroffenen überzeugt sind,<br />

greift nicht. Denn es liegt in vielen Fällen an gesetzlichen Rahmenbedingungen,<br />

die die Möglichkeit auf Arbeit verhindert.<br />

Arbeit formt außerdem die Persönlichkeit. Deshalb ist es notwendig, dass der/die<br />

Arbeitende sich in der Arbeit weiterentwickeln kann.<br />

Jedoch gibt es auch genügend Arbeitsplätze, die aufgr<strong>und</strong> anderer Belastungen<br />

als Stress die <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> gefährden können. Aus diesem Gr<strong>und</strong> gibt es den ArbeitnehmerInnenschutz<br />

(Arbeitsinspektorat, ArbeitsmedizinerInnen, Sicherheitsfachkraft),<br />

der sich darum kümmert, dass Grenzwerte eingehalten werden, Dauerbelastungen<br />

verringert werden (schädliche Luft, Lärm, u.v.m.)<br />

48 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


6. Krankheiten<br />

6.1. Krankheitserreger<br />

Krankheitserreger sind übertragbare, krankmachende Mikroorganismen. Die Erkrankung<br />

ist abhängig von Epidemiologie (Wissenschaft von der Seuchenverbreitung<br />

<strong>und</strong> -bekämpfung), der Menge der Krankheitserreger <strong>und</strong> von der Abwehrlage<br />

des „Anzusteckenden“.<br />

Es gibt unterschiedliche Krankheitserreger, die unterschiedliche Krankheiten zur<br />

Folge haben:<br />

�(1) Prionen (z. B.: BSE)<br />

�(2) Viren (z. B.: HIV, Poliomyelitis, Hepatitis A)<br />

�(3) Bakterien (z. B.: Typhus, Parathypus, Cholera)<br />

�(4) Pilze (z. B.: Candida)<br />

�(5) Protozoen (z. B.: Malaria)<br />

�(6) höhere Parasiten (z. B.: Faden- <strong>und</strong> Bandwürmer)<br />

In diesem Zusammenhang werden hier zwei wichtige Krankheitserreger genauer<br />

erklärt:<br />

6.1.1. Bakterien<br />

6.1.2. Viren<br />

Krankheiten<br />

Als Bakterien bezeichnet man Mikroorganismen, die einen eigenen Stoffwechsel<br />

haben. Es gibt unterschiedliche Formen von Bakterien. Diese Formen bestimmen<br />

auch ihre Bezeichnungen:<br />

�Stäbchenförmige Bakterien<br />

�Schraubenförmige Bakterien<br />

�Kokken (kugelförmige Bakterien)<br />

Als Übertragungswege kommen verschiedene Möglichkeiten in Frage:<br />

�Luft (z. B.: Tuberkulose)<br />

�Wasser (z. B.: Cholera, Thypus)<br />

�Boden (z. B.: Tetanus)<br />

�Tröpfchen (z. B.: Windpocken)<br />

�Stuhl (z. B.: Cholera)<br />

�Sekrete (z. B.: über Speichel – Tollwut)<br />

Im Gegensatz zu Bakterien besitzen Viren keinen eigenen Stoffwechsel. Sie können<br />

keine Eiweiße selbst produzieren, aus diesem Gr<strong>und</strong> sind sie zu ihrer eigenen<br />

Vermehrung auf ihre Wirtszelle angewiesen. In der Art eines Parasiten übernimmt<br />

das Virus die Kontrolle über die Wirtzelle <strong>und</strong> benützt sie zur weiteren Produktion<br />

<strong>und</strong> Virenvermehrung.<br />

Viren gelangen über die verletzte Haut, die Nahrung oder die Atemluft in den Körper.<br />

Sie vermehren sich dann an der Eingangspforte oder sie gelangen über die<br />

Blut-, Nerven- oder Lymphbahn in das Zielorgan, in dem sie sich vermehren. Die<br />

Heftigkeit der Erkrankung hängt davon ab, wie stark die Viren die infizierten Zellen<br />

schädigen.<br />

Bakterien <strong>und</strong> Viren sind an sich völlig normale Begleiter – in uns <strong>und</strong> in unserer<br />

Umwelt. Die körpereigenen Abwehrkräfte sind auf Viren- bzw. Bakteirenangriffe<br />

eingestellt, das Immunsystem kann diese abwehren.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 49


In den hochtechnisierten Ländern gibt es aber auch so etwas wie eine übertriebene<br />

Angst vor Bakterien <strong>und</strong> Viren. Diese drückt sich einerseits darin aus, dass Sauberkeit<br />

<strong>und</strong> Hygenie besonders hochgeschrieben werden – bis zur manischen<br />

Übertreibung. Die Folge ist, dass der Körper selbst micht mehr so widerstandsfähig<br />

ist.<br />

Andererseits rufen aber auch die Mittel, die zur Bekämpfung von Viren <strong>und</strong> Bakterien<br />

aggressiv genug sind, selbst wieder Krankheiten <strong>und</strong> Überreaktionen hervor<br />

(Asthma, Hautausschläge, Neurodermitis, Allergien, u. a.). Auch im medizinischen<br />

Bereich wird immer wieder vor der ausufernden Verwendung von Medikamenten<br />

wie etwa Antibiotika (Bakterien- <strong>und</strong> andere keimtötende Medikamente) gewarnt.<br />

Weil die häufige <strong>und</strong> unnötige Anwendung zu Resistenzen (Widerstands-, Abwehrfunktion)<br />

führen kann, <strong>und</strong> die Medikamente nicht mehr wirken, wenn sie wirklich<br />

gebraucht werden.<br />

6.2. Europäische / außereuropäische Krankheiten<br />

Es ist zu beachten, dass nur wenige Krankheiten in Europa <strong>und</strong> Nordamerika endemisch<br />

sind. Dies hängt einerseits von klimatischen Bedingungen ab (siehe Tropenkrankheiten),<br />

andererseits hängt es vom Entwicklungsstand des Landes ab. In<br />

Industrieländern, in denen die Mehrzahl der BewohnerInnen einen besseren ökonomischen<br />

Backgro<strong>und</strong>, bessere Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen, bessere<br />

Wohnverhältnisse <strong>und</strong> vor allem auch flächendeckende Impfmaßnahmen vorfinden,<br />

ist die Gefahr des Ausbruchs einer Epidemie nicht so hoch. All diese Voraussetzungen<br />

fehlen in Entwicklungsländern <strong>und</strong> begünstigen das Entstehen von<br />

Krankheiten <strong>und</strong> Epidemien.<br />

Krankheiten, die in Industriestaaten so gut wie nicht mehr vorkommen sind:<br />

�Poliomyelitis<br />

�Typhus<br />

�Tetanus<br />

�Hepatitis A<br />

Auch die Tuberkulosegefährdung ist in den westlichen Ländern weitgehend verschw<strong>und</strong>en.<br />

Man muss jedoch dazufügen, dass Tuberkulose eine „Armutskrankheit“<br />

ist, die auch hier in Österreich Menschen unter prekären Lebensumständen<br />

betreffen kann.<br />

Hepatitis B <strong>und</strong> C sind Krankheiten, die durch Körperflüssigkeiten <strong>und</strong> Blut übertragen<br />

werden. Diese Krankheiten findet man aus diesem Gr<strong>und</strong> auch immer häufiger<br />

in Industriestaaten.<br />

6.3. Einige wichtige Infektionserkrankungen sind<br />

6.3.1. Hepatitis<br />

Krankheiten<br />

Unter Hepatitis versteht man Erkrankungen, die mit einer Entzündung der Leber<br />

<strong>und</strong> einer Leberzellschädigung einhergehen. Hepatitis kann durch Viren, Bakterien,<br />

Protozoen, Parasiten, giftige Substanzen, Arzneimittel oder Alkohol hervorgerufen<br />

werden. Die am weitesten verbreiteten Formen von Hepatitis sind Hepatitis<br />

A, B, <strong>und</strong> C. Es sind auch noch andere Formen der Hepatitis bekannt.<br />

Impfen kann man sich gegen Hepatitis A <strong>und</strong> B. Als MitarbeiterIn im medizinischen<br />

Bereich ist eine Impfung gegen Hepatitis A <strong>und</strong> B empfehlenswert <strong>und</strong> zum Teil<br />

verpflichtend.<br />

50 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Krankheiten<br />

6.3.2. Influenza<br />

Im Gegensatz zu den häufig harmlosen <strong>und</strong> schnell ausheilenden Erkältungsinfekten<br />

ist die echte Grippe eine Viruserkrankung, die sich in epidemischen Wellen<br />

jährlich mit unterschiedlichen Schwerpunkten weltweit ausbreitet.<br />

Die Inkubationszeit (Zeit zwischen Ansteckung <strong>und</strong> Ausbruch einer Krankheit) beträgt<br />

wenige Tage, Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion über die Luft.<br />

Symptome sind Kopf-, Glieder-, Hals- <strong>und</strong> Brustschmerzen, Husten, bisweilen<br />

kommt es zu Übelkeit <strong>und</strong> Erbrechen.<br />

Die Krankheit dauert im Durchschnitt eine Woche, allgemeine Abgeschlagenheit<br />

ist aber normalerweise noch einige Wochen später bemerkbar. Häufigste Komplikation<br />

ist eine Lungenentzündung. Besonders betroffen sind alte Leute <strong>und</strong> Leute<br />

mit geschwächtem Immunsystem.<br />

6.3.3. Poliomyelitis (Kinderlähmung)<br />

Diese Viruserkrankung ist in Entwicklungsländern nach wie vor verbreitet. In Industrieländern<br />

ist die Erkrankung aufgr<strong>und</strong> von flächendeckender Impfung ausgestorben.<br />

Die Ansteckung erfolgt auf fäkal-oralem Weg.<br />

Frühzeitige Symptome sind Fieber, Kopf- <strong>und</strong> Gliederschmerzen, Übelkeit, Erbrechen<br />

<strong>und</strong> Verdauungsstörungen.<br />

Über die Blutbahn kann das Virus in das Nervensystem gelangen. In einem von 100<br />

Fällen treten Lähmungen auf. Infizierte Personen sind in der ersten Zeit infektiös<br />

<strong>und</strong> müssen isoliert werden. Besondere Vorsicht ist auch noch nach 6 Wochen bei<br />

den Ausscheidungen geboten.<br />

6.3.4. Tetanus<br />

Tetanusbakterien können bei W<strong>und</strong>en jeder Art, auch bei kleinen Verletzungen, in<br />

die Haut gelangen. Besonders gefährdet sind mit Straßenstaub oder mit Erdreich<br />

verschmutzte W<strong>und</strong>en oder Tierbisse. Die Erreger sondern ein Gift ab, das nach 1 -<br />

2 Wochen zu schweren, schmerzhaften Muskelkrämpfen <strong>und</strong> Lähmungen mit Todesfolge<br />

führt.<br />

6.3.5. Typhus<br />

Diese Bakterien werden mit verunreinigter Nahrung <strong>und</strong> Trinkwasser aufgenommen.<br />

Die Inkubationszeit beträgt zwei Wochen. Infizierte entwickeln ein schweres<br />

Krankheitsgefühl <strong>und</strong> Lethargie, das unbehandelt mehrere Wochen anhalten<br />

kann. Komplikationen, wenn sie unbehandelt sind, können tödlich enden. Beim<br />

Paratyphus handelt es sich meist um eine etwas mildere Form von Typhus.<br />

6.3.6. Keuchhusten<br />

Keuchhusten ist eine hochansteckende Erkrankung, die über Tröpfcheninfektion<br />

übertragen wird. Am Anfang treten untypische Symptome wie Niesen, Heiserkeit<br />

<strong>und</strong> Schnupfen auf. Nach ein bis zwei Wochen kommt es zu den typischen Hustenanfällen<br />

mit ca. 15 - 20 Hustenstößen. Die Anfälle schließen mit einem hörbar keuchenden<br />

Einatmen ab. Bei den Hustenanfällen kommt es auch oft zu Erbrechen.<br />

Nach Hustenattacken, die besonders häufig nachts auftreten, folgen immer hustenfreie<br />

Zeiten.<br />

Komplikationen finden sich vor allem in Erkrankungen der Atemwege, auch kann<br />

es aufgr<strong>und</strong> der Schwächung des Immunsystems zu Lungenentzündungen kommen.<br />

Der Verlauf der Infektion ist bei Säuglingen oft schwerer als bei älteren Kin-<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 51


dern. Bei Säuglingen soll die Behandlung auch im Krankenhaus erfolgen. Im Allgemeinen<br />

haben Aufenthalte im Freien oder im ruhigen Milieu günstigen Einfluss auf<br />

die Kinder.<br />

Gegen Keuchhusten kann aktiv geimpft werden. Nach einer durchgemachten Erkrankung<br />

ist der Schutz gegen eine Neuerkrankung zwar effektiver, es gibt jedoch<br />

keine bleibende Imunität.<br />

6.3.7. Tuberkulose<br />

Die Tuberkulose, eine bakterielle Infektion, ist in Entwicklungsländern noch weit<br />

verbreitet, in den Industrieländern ist sie selten geworden.<br />

Die Inkubationszeit kann mehrere Monate betragen. Die Übertragung erfolgt<br />

meist durch Tröpfcheninfektion aus dem Speichel infizierter Personen.<br />

Die Tuberkulose, auch Schwindsucht genannt, ist eine chronisch verlaufende Infektionskrankheit,<br />

die weltweit verbreitet ist. Weltweit sterben jährlich 3 Millionen<br />

Menschen an den Folgen der Tuberkulose. Schlechter Ernährungszustand, desolate<br />

soziale Verhältnisse <strong>und</strong> ein geschwächtes Immunsystem begünstigen Infektion<br />

<strong>und</strong> Erkrankung. Krankheitsauslöser sind Tuberkelbakterien, die durch Tröpfcheninfektion<br />

übertragen werden.<br />

Kurze Zeit nach der Infektion entsteht die Primärtuberkulose, die durch einen<br />

isolierten Entzündungsherd, meist in der Lunge, gekennzeichnet ist. Die Erreger<br />

können sich jedoch auch unbemerkt im Körper ausbreiten <strong>und</strong> nach vielen Jahren<br />

entsteht dann durch Reaktivierung die Postprimärtuberkulose mit fortschreitender<br />

Entzündung in Lunge, Niere, Knochen oder anderen Organen.<br />

Symptome:<br />

Das Stadium der Primärtuberkulose, in dem ca. 50% der Erstinfektionen zum Stillstand<br />

kommen, verursacht meist wenige oder nur sehr untypische Beschwerden<br />

wie leichte Temperaturerhöhung, Husten, Nachtschweiß oder Appetitlosigkeit.<br />

Die Tuberkulose wird ansteckend, wenn ein Entzündungsherd aufbricht <strong>und</strong> die<br />

Erreger nach außen gelangen. Man spricht dann von einer offenen Tuberkulose,<br />

die dem <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>samt gemeldet werden muss <strong>und</strong> einer Isolierung des/der Betroffenen<br />

bedarf. Die Diagnose wird durch Lungenröntgen <strong>und</strong> den oft schwierigen<br />

Erregernachweis gestellt. Die Behandlung besteht aus einer Kombination von<br />

mehreren Medikamenten, die das Wachstum der Bakterien hemmen <strong>und</strong> muss<br />

konsequent über neun Monate durchgeführt werden.<br />

Die Möglichkeit einer Schutzimpfung wird derzeit nur für Risikogruppen empfohlen.<br />

6.3.8. Malaria<br />

Krankheiten<br />

Malaria wird durch Plasmodien (das sind Parasiten) verursacht <strong>und</strong> durch bestimmte<br />

Stechmücken übertragen. Leitsymptom ist Fieber, das von einem starken<br />

Krankheitsgefühl <strong>und</strong> Kopf- <strong>und</strong> Gliederschmerzen begleitet wird. Schüttelfroste<br />

<strong>und</strong> Schweißausbrüche sind Begleiterscheinungen.<br />

Malaria hat eine Inkubationszeit von 7-12Tagen. Lebensbedrohliche Zustände<br />

wie Koma <strong>und</strong> Nierenversagen können zu Schock führen. Es gibt auch noch andere<br />

Formen der Malaria, dabei treten die Fieberschübe immer wieder auf. Trotz zunehmender<br />

Resistenzprobleme ist Malaria bei rechtzeitiger Behandlung relativ<br />

leicht heilbar. Umso erschreckender ist es, dass Malaria in unterentwickelten Ländern<br />

die Krankeit mit der größten Todesrate ist.<br />

52 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


6.3.9. HIV<br />

Krankheiten<br />

Es gibt auch noch andere Tropenkrankheiten. Diese Krankheiten hängen mit spezifischen<br />

Voraussetzungen (Klima, Parasiten, ...) zusammen, die in tropischen<br />

Breiten gegeben sind:<br />

Solche Krankheiten sind:<br />

�Schlafkrankheit<br />

�Chagas<br />

�Bilharziose<br />

�Gelbfieber<br />

�Dengue Fieber<br />

�Ebola<br />

Dies ist aber lediglich eine Auswahl der am häufigsten vorkommenden Krankheiten.<br />

Eine weitere Unterscheidung kann getroffen werden in bezug auf das Alter, in dem<br />

die Krankheit in den meisten Fällen ausbricht. Man spricht von sogenannten Kinderkrankheiten:<br />

Dazu gehören:<br />

�Masern / Mumps<br />

�Röteln<br />

�Keuchhusten<br />

�Influenza (HIB)<br />

�Schafplattern<br />

Masern/Mumps, Schafplattern, Röteln bekommt jeder Mensch normalerweise nur<br />

ein Mal. Nach der Erkrankung hat man eine Art Schutz erworben, man ist dagegen<br />

immun.<br />

Mumps <strong>und</strong> Röteln – hat man sie als Kind nicht gehabt – können im Erwachsenenalter<br />

mehr Komplikationen nach sich ziehen. Z. B. kann sich Mumps bei Männern<br />

auf die Zeugungsfähigkeit auswirken.<br />

Bei Frauen kann eine Infektion mit Röteln im Falle einer bestehenden Schwangerschaft<br />

Schäden beim Ungeborenen verursachen. Deshalb ist in Österreich eine<br />

Impfung gegen Röteln bei jungen Frauen vorgesehen. Auch wenn junge Lehrer-<br />

Innen in den Schuldienst eintreten wollen, wird untersucht, ob noch ausreichend<br />

Abwehrstoffe gegen Röteln vorhanden sind. Vgl. das Kapitel Impfungen.<br />

Unter den Infektionskrankheiten gibt es auch sexuell übertragbare Krankheiten:<br />

Dazu zählen unter anderem:<br />

�Hepatitis B + C<br />

�Herpes<br />

�Lues<br />

�Clamydien<br />

�HIV<br />

Schutz vor dieser Art von Erkrankungen können Kondome bieten. Jedoch muss<br />

darauf hingewiesen werden, dass Kondome keinen 100%-igen Schutz bieten können.<br />

HIV ist eine Erkrankung, die durch Körperflüssigkeiten, Blut <strong>und</strong> Sekrete übertragen<br />

wird.<br />

Wenn ein/e PatientIn HIV-positiv ist, bedeutet das, dass er/sie sich mit dem HI-Virus<br />

angesteckt hat. Es handelt sich hiermit um eine Viruserkrankung. Infolge der<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 53


Infektion kommt es bei den meisten Menschen zur fortschreitenden Schädigung<br />

des Immunssytems.<br />

Ansteckungsmöglichkeiten:<br />

Körperflüssigkeiten wie Blut, Scheidensekret <strong>und</strong> Samenflüssigkeit.<br />

KEINE Ansteckungsmöglichkeit:<br />

Speichel <strong>und</strong> Schweiß<br />

Entscheidend für die Infektion ist neben der Menge der infektiösen Flüssigkeit<br />

auch die Größe der Eintrittspforte <strong>und</strong> die Dauer des Kontaktes mit der infektiösen<br />

Flüssigkeit.<br />

Hauptübertragungswege:<br />

�ungeschützer Vaginalverkehr (ohne Kondom)<br />

�ungeschützer Oralverkehr (ohne Kondom)<br />

�ungeschützer Analverkehr (ohne Kondom)<br />

�„needle sharing“ – gemeinsamer Gebrauch von nicht desinfizierten Spritzen<br />

kann infiziertes Blut direkt in die Blutbahn gelangen<br />

�von Mutter auf Kind<br />

�Eine Mutter, die mit HIV infiziert ist, kann das Virus während der Schwangerschaft,<br />

bei der Geburt <strong>und</strong> beim Stillen auf ihr Kind übertragen. Jedoch kann bei<br />

rechtzeitiger <strong>und</strong> richtiger Behandlung das Risiko der Ansteckung stark reduziert<br />

werden.<br />

Auf diese Art <strong>und</strong> Weise kann HIV nicht übertragen werden:<br />

�Sex mit Kondom<br />

�Husten <strong>und</strong> Anniesen<br />

�Friseur<br />

�Tiere<br />

�Türgriffe<br />

�Toilette<br />

�Spielplatz<br />

�Arzt <strong>und</strong> Krankenpflege<br />

Krankheiten<br />

Nach heutigem Kenntnisstand ist davon auszugehen, dass es bei den meisten<br />

Menschen, die HIV-infiziert sind, nach 10 - 15 Jahren zu einer Schädigung des Immunsystems<br />

kommt. HIV-Infektionen verlaufen sehr unterschiedlich. Sie hängen<br />

von verschiedenen Faktoren ab: z. B. Alter, Zustand des Immunssystems, weitere<br />

Erkrankungen.<br />

Verlauf der HIV-Infektion<br />

Es ist nach heutigem Stand der Wissenschaft noch immer ungeklärt, ob eine Infektion<br />

mit HIV zwansgsläufig zu der Erkrankung AIDS führen muss.<br />

Verlauf, Dauer, Symptome sind bei jedem/jeder HIV-Infizierten ganz unterschiedlich.<br />

Manche Infizierte erkranken früh immer wieder an leichten ersten Infektionen,<br />

mache sind nach 15 - 20 Jahren ohne Therapie immer noch symptomfrei. Die<br />

Durchschnittszeit, nach einer HIV-Infektion an AIDS zu erkranken, dauert ca. 10 bis<br />

12 Jahre.<br />

Akute Infektion<br />

Nach der Ansteckung mit dem Virus kann es zu Symptomen wie bei einer Grippe<br />

oder wie bei Pfeiffer´schem Drüsenfieber kommen (Fieber, Müdigkeit, Muskel<strong>und</strong><br />

Gelenksschmerzen, gelegentlich Hautausschlag). Nach dieser Infektion<br />

kommt der Körper mit den Viren zurecht, die Viren werden aber nicht restlos aus<br />

dem Körper entfernt. Fachsprachlich ausgedrückt wechselt die Infektionszeit nun<br />

über in die Latenzphase.<br />

54 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Krankheiten<br />

Die Latenzphase bezeichnet die symptomfreie Zeit. Sie dauert unterschiedlich<br />

lang. In dieser Phase fühlen sich die meisten Menschen ges<strong>und</strong>, sie haben auch<br />

kein deutlich höheres Risiko zu erkranken als nicht infizierte Menschen. Beschwerdefreie<br />

Menschen brauchen sich normalerweise nur zweimal im Jahr einer<br />

Routineuntersuchung zu unterziehen.<br />

Wenn die Viruszahl im Blut zu steigen beginnt, kommt es zum Ausbruch von AIDS.<br />

Erste Symptome sind Anschwellen der Lymphknoten an mindestens zwei Körperstellen.<br />

Es kommt zu starkem Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Fieber <strong>und</strong> Durchfall.<br />

Die Abwehrkräfte werden immer schwächer. So kommt es in vielen Fällen zu sogenannten<br />

HIV-assoziierenden Krankheiten. Dazu gehören die bakterielle Lungenentzündung<br />

<strong>und</strong> die Gehirnhautentzündungen, Gürtelrose, Pilzbefall des M<strong>und</strong>es,<br />

Nervenschädigungen. Diese Erkrankungen müssen jedoch nicht auf jeden Infizierten<br />

zutreffen.<br />

AIDS-definierende Erkrankungen sind<br />

�PCP: aggressive Form der Lungenentzündung<br />

�Infektionen mit Candida albicans, der sich generalisiert ausbreitet<br />

�Toxoplasmose: Dieser Erreger befällt das zentrale Nervensystem<br />

�Gewisse Verläufe von Herpes simplex <strong>und</strong> Tuberkulose<br />

Es gibt Tumore, die vor allem die Haut, Schleimhäute, Darm <strong>und</strong> Lunge betreffen,<br />

auch Tumore am Gebärmutterhals <strong>und</strong> maligne Lymphome wurden beobachtet.<br />

Therapie<br />

Der Erfolg der Therapie hängt davon ab, wie früh man von der Erkrankung erfährt,<br />

von den regelmäßigen Untersuchungen <strong>und</strong> der Rechtzeitigkeit des Starts der<br />

Kombinationstherapie.<br />

Medikamentenmenge <strong>und</strong> Einnahmemodus<br />

Durch die Fortschritte in der antiretroviralen Therapie kam es in den reichen<br />

Staaten des Nordens seit 1996 zu einem eindrucksvollen Rückgang an neuen<br />

Erkrankungen. In Afrika jedoch erweist sich AIDS als Volksseuche, die nach wie<br />

vor nicht unter Kontrolle ist.<br />

Die Wirkweise der verfügbaren Kombinationstherapien ist wie der Verlauf einer<br />

HIV-Infektion sehr von den unterschiedlichen individuellen Bedingungen abhängig.<br />

Erklärtes Ziel der Therapien ist es, die Virenkonzentration zu minimieren, d. h.<br />

unter die Grenze der Nachweisbarkeit zu senken <strong>und</strong> die Zahl der CD4-Lymphozyten<br />

zu heben. Dieses Ziel hängt neben vielen anderen Faktoren von der Bereitschaft<br />

<strong>und</strong> Fähigkeit der PatientInnen ab, die immense Herausforderung des sehr<br />

strengen Therapieregimes anzunehmen <strong>und</strong> zu bestehen.<br />

Eine Therapie konsequent durchzuhalten, erfordert sehr viel Disziplin <strong>und</strong> Energie.<br />

Gemeinsam mit Ärzten <strong>und</strong> Ärztinnen bieten die Aidshilfen Unterstützung an, um<br />

mit dieser Herausforderung zurecht zu kommen.<br />

6.4. Impfplan, Impfen<br />

In Österreich werden Impfungen flächendeckend durchgeführt. Eine wichtige<br />

Maßnahme in diesem Zusammenhang stellt der Mutter-Kind-Pass dar, der auch<br />

Eintragungen über die wichtigsten Impfungen enthält.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 55


Außerdem werden bestimmte Impfungen später (Impfung gegen Poliomyelitis,<br />

Impfung für Mädchen gegen Röteln) in Kooperation mit der Schule durchgeführt,<br />

um alle Kinder zu erreichen.<br />

6.4.1. Vorgeschriebene Impfungen<br />

1. Lebensjahr:<br />

3 Teilimpfungen gegen Tetanus <strong>und</strong> Diphtherie, Schluckimpfung gegen Poliomyelitis<br />

(3x im Abstand von jeweils sechs Monaten)<br />

2. Lebensjahr:<br />

Impfung gegen Masern <strong>und</strong> Mumps<br />

7. Lebensjahr:<br />

Auffrischungsimpfung Diphtherie <strong>und</strong> Tetanus, Poliomyelitis, Pneumokokken<br />

13. Lebensjahr:<br />

Impfung gegen Röteln (Mädchen)<br />

14. - 15. Lebensjahr (Schulaustritt):<br />

Auffrischungsimpfungen Poliomyelitis, Impfungen gegen Diphtherie <strong>und</strong> Tetanus<br />

Im Erwachsenenalter sollen die Impfungen gegen Tetanus <strong>und</strong> Poliomyelitis alle<br />

10 Jahre, gegen FSME alle 3 Jahre aufgefrischt werden.<br />

6.4.2. Weitere Impfungen, die empfohlen werden<br />

Krankheiten<br />

Zeckenkrankheit (FSME)<br />

Diese Impfung schützt vor der durch Zecken übertragenen Gehirnhautentzündung.<br />

Sie besteht aus drei Teilimpfungen (Erst- <strong>und</strong> Folgeimpfungen). Die ersten<br />

beiden Teilimpfungen sollen im Abstand von 4 Wochen bis 3 Monaten gemacht<br />

werden, die dritte 9 bis 12 Monate danach. Alle drei Jahre muss eine Auffrischungsimpfung<br />

erfolgen. Diese Impfung ist ab dem 1. vollendeten Lebensjahr<br />

zu empfehlen.<br />

Gegen Grippe (Influenza)<br />

Diese durch Viren ausgelöste „echte“ Grippe ist vor allem im höheren Alter <strong>und</strong><br />

bei chronisch Kranken eine gefährliche Krankheit.<br />

Der Impfstoff wird den sich laufend ändernden Virustypen angepasst, sodass eine<br />

jährliche Impfung zu empfehlen ist.<br />

Gegen Hepatitis A <strong>und</strong> B<br />

Diese Impfung ist vor allem für Personen, die viel mit Kranken zu tun haben, zu<br />

empfehlen. In Österreich gehört sie nicht zu den Standardimpfungen <strong>und</strong> wird nur<br />

für Personen mit beruflichem Infektionsrisiko bezahlt. Ansonsten müssen die Kosten<br />

selbst übernommen werden.<br />

56 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> <strong>Migration</strong><br />

7. <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> <strong>Migration</strong><br />

7.1. Individuelle (Vor-)Bedingungen<br />

Flüchtlinge <strong>und</strong> MigrantInnen sind durch Flucht <strong>und</strong> <strong>Migration</strong> besonderen psychischen<br />

(seelischen) <strong>und</strong> physischen (körperlichen) Belastungen ausgesetzt. Der<br />

überwiegende Anteil kommt aus Ländern, in denen die sanitären, medizinischen<br />

<strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlichen Voraussetzungen dramatisch schlechter sind als in Österreich.<br />

Viele mussten Krieg, Verfolgung, politische Gewalt <strong>und</strong> Folter erleiden. Die Folgen<br />

dieser Extremsituationen sind nicht nur psychisch sondern auch physisch spürbar<br />

(siehe auch Kapitel Trauma). Viele der Flüchtlinge hatten monate-, manchmal sogar<br />

jahrelang unter schlimmen Lebensumständen auf der Flucht zu leiden (Flüchtlingslager<br />

usw.).<br />

In Österreich angelangt, haben Flüchtlinge oft ihre familiären, sozialen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Wurzeln verloren, was ihre Situation in der Fremde zusätzlich erschwert. Sie<br />

haben häufig niemanden der/oder die ihnen hilft, mit der neuen Lebenssituation<br />

zurecht zu kommen. Gemeinsam sind ihnen die Erfahrungen der Fremdheit, der<br />

Isolation <strong>und</strong> der Ghettoisierung im Exil.<br />

7.2. Strukturelle Bedingungen<br />

AsylwerberInnen <strong>und</strong> Flüchtlinge sind mit den Tatsachen konfrontiert, dass sie<br />

nicht arbeiten dürfen, dass sie meist in einer „Großunterkunft“ leben, dass ihr Leben<br />

fremdbestimmt wird <strong>und</strong> vom Warten (auf die Anerkennung als Flüchtling) gekennzeichnet<br />

ist. Wenn sie Arbeit finden, dann meist schlecht bezahlte, körperlich<br />

belastende <strong>und</strong> oft gefährliche Jobs, die sie oft unter den verschärfenden Bedingungen<br />

der „Illegalität“ leisten.<br />

Die verschiedenen Systeme, in die MigrantInnen <strong>und</strong> Flüchtlinge in Österreich aufgenommen<br />

werden, stellen für sie eine völlig fremde Welt dar. Ob dies das Rechts-,<br />

das Unterbringungssystem oder das <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem ist – für AsylwerberInnen<br />

ist alles völlig anders, nicht verständlich <strong>und</strong> <strong>und</strong>urchsichtig.<br />

Am Beispiel des <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystems wird dieses Dilemma besonders deutlich.<br />

Die kulturell <strong>und</strong> strukturell bedingten Erfahrungen der AsylwerberInnen, die sie<br />

mit den Begriffen <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> Krankheit in ihrem „früheren Leben“ gemacht<br />

haben, sind in Österreich vielfach ohne Belang, ihre kulturellen Erfahrungen, Wurzeln<br />

<strong>und</strong> Beziehungen sind gekappt. Das System hier ist groß <strong>und</strong> modern, unübersichtlich,<br />

unverständlich <strong>und</strong> völlig anders. Auf die speziellen Bedürfnisse, die<br />

unterschiedlichen kulturellen Zugänge von MigrantInnen geht das System nicht<br />

ein, dazu fehlt die Zeit, der Raum, das Geld <strong>und</strong> die Sensibilität. Die westliche „Apparatemedizin“<br />

ist bemüht, Krankheiten zu systematisieren <strong>und</strong> zu vereinheitlichen,<br />

anzugleichen <strong>und</strong> nicht auf die speziellen Bedürfnisse Einzelner bzw. einzelner<br />

Bevölkerungsgruppen einzugehen.<br />

Ramazan Salman, Mitarbeiter des Ethnomedizinischen Zentrums Hannover, beschreibt<br />

das Problem dabei so: „Krankheit ist zwar eine einheitliche menschliche<br />

Erfahrung, die aber von soziokulturellen Regeln gestaltet wird“.<br />

Demnach beurteilen <strong>und</strong> bewerten MedizinerInnen oder TherapeutInnen – ebenso<br />

wie ihre ausländischen PatientInnen – jeweils aufgr<strong>und</strong> ihres eigenen wissen-<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 57


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> <strong>Migration</strong><br />

schaftlichen, sozialen, kulturellen <strong>und</strong> religiösen Verständnisses die aktuelle<br />

Krankheit. Ob eine Heilung erfolgreich ist, hängt davon ab, „ob sich das jeweilige<br />

Krankheitsverständnis von Heilern <strong>und</strong> Patienten deckt.“ Da jedoch sehr oft Bedeutungsinhalte<br />

<strong>und</strong> Symbole in verschiedenen Sprachen nicht übereinstimmen,<br />

vermindern sich die Heilungschancen deutlich.<br />

Eine Statistik des Ethnomedizinischen Zentrums in Hannover veranschaulicht die<br />

Problematik anhand eines kleinen Details: Der Anteil der MigrantInnen beträgt in<br />

Deutschland etwa 10%. Doch ca. 30% aller verschriebenen Magen-Darm-Medikamente<br />

werden von ihnen verbraucht.<br />

In Österreich gibt es zwar solche Daten nicht, Deutschland <strong>und</strong> Österreich sind<br />

aber diesbezüglich durchaus vergleichbar <strong>und</strong> es kann angenommen werden,<br />

dass es sich in Österreich ähnlich verhält.<br />

Die Gründe dafür sind darin zu suchen, dass etwa türkische PatientInnen verstärkt<br />

im Magen-Darmbereich somatisieren (erkranken, Symptome zeigen). Da sich die<br />

ausländischen PatientInnen nicht verstanden <strong>und</strong> entsprechend ihren Bedürfnissen<br />

behandelt fühlen, kommt es oft zu Selbst-Medikation, PatientInnen kombinieren<br />

(verbinden, mischen) verschiedene Mittel willkürlich. Daraus lässt sich schließen,<br />

dass MigrantInnen mit Verständigungsproblemen nur selten „eine Übereinstimmung<br />

ihrer Sichtweisen mit den Sichtweisen von außen, von MedizinerInnen<br />

<strong>und</strong> TherapeutInnen, erzielen. Missverständnisse, Verwirrungen <strong>und</strong> Frustration<br />

sind alltägliche Begleiterscheinungen <strong>und</strong> tragen zu sozialer Isolation sowie zum<br />

Verlust des Selbstwertgefühls bei.“<br />

Die Literatur zum Themenbereich „<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>” weist auf ein höheres<br />

Morbiditäts- (höhere Häufigkeit von Krankheiten) <strong>und</strong> Mortalitätsrisiko (Sterblichkeit)<br />

bei MigrantInnen hin. So lässt sich feststellen,dass bei MigrantInnen folgende<br />

Krankheiten häufiger sind, als bei ÖsterreicherInnen:<br />

�Säuglings- <strong>und</strong> Kleinkindersterblichkeit<br />

�Infektionskrankheiten<br />

�Erkrankungen des Magen-Darm-Bereiches<br />

�Erkrankungen des Stütz- <strong>und</strong> Bewegungsapparates<br />

�Arbeitsunfälle<br />

�frühzeitig auftretende chronische Krankheiten im Alter<br />

�Unfälle (Haus <strong>und</strong> Verkehr)<br />

�psychische <strong>und</strong> psychosomatische Störungen bei Kindern, Multimorbidität<br />

(mehrere Krankheitsbilder gleichzeitig) bei Frauen<br />

Außerdem kann zusammenfassend gesagt werden, dass insgesamt große Versäumnisse<br />

in der ges<strong>und</strong>heitlichen Versorgung von MigrantInnen in Österreich bestehen.<br />

Insbesondere Kommunikations- <strong>und</strong> Sprachprobleme sind oft Ursache für Fehlbehandlungen.<br />

Die MigrantInnen finden sich in einer fremden <strong>und</strong>urchschaubaren Welt wieder, in<br />

der sie als rechtlose Objekte <strong>und</strong> Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Die<br />

buchstäbliche Sprachlosigkeit ist das deutlichste Zeichen des „Nicht dazu Gehörens“.<br />

Es bestehen eine Reihe von rechtlichen Faktoren, die MigrantInnen <strong>und</strong> Flüchtlinge<br />

vom täglichen Leben ausschließen.<br />

Zum Beispiel am Arbeitsmarkt: Dieser ist durch das Ausländerbeschäftigungsgesetz<br />

geregelt, welches verhindert, dass MigrantInnen eine Arbeit<br />

annehmen können, bzw. sie müssen, bevor sie arbeiten dürfen, ein lang-<br />

58 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> <strong>Migration</strong><br />

wieriges <strong>und</strong> kompliziertes Verfahren in Kauf nehmen, bei dem sie einen<br />

Betrieb benötigen, der einen Antrag auf Beschäftigungsbewilligung stellt<br />

(siehe auch: <strong>Migration</strong>srelevante Begriffe).<br />

Sie sind vom Wahlrecht ausgeschlossen, von einer Reihe von Berufen <strong>und</strong> viele Arbeitsstellen<br />

kommen für sie nicht in Frage, weil die Staatsbürgerschaft Voraussetzung<br />

dafür ist (Justiz, Sozialversicherungsbereich, Polizisten, Magistratsdienst<br />

u.v.m.).<br />

Das österreichische <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem hat bisher auf die speziellen Bedürfnisse<br />

<strong>und</strong> Anforderungen von MigrantInnen nahezu nicht reagiert. Wie aus verschiedenen<br />

Studien <strong>und</strong> Arbeiten hervorgeht, werden die Bedürfnisse von MigrantInnen<br />

in der österreichischen Gesellschaft im Allgemeinen <strong>und</strong> im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sdienst im<br />

Speziellen bestritten <strong>und</strong> ignoriert.<br />

Diese konkreten Ausschlussmechanismen einerseits <strong>und</strong> Ignoranz andererseits<br />

führen dazu, dass die öffentlichen Systeme (Ämter, Behörden, Krankenhäuser, <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>s-<br />

<strong>und</strong> Sozialeinrichtungen) in nahezu allen Bereichen hohe Zugangsbarrieren<br />

für MigrantInnen aufweisen, wodurch die Versorgung nicht gewährleistet<br />

ist.<br />

Dort wo es keine rechtlichen – offiziellen – Hürden gibt, werden sie oft weniger<br />

deutlich wahrgenommen, es gibt sie aber dennoch, es sind institutionelle, strukturelle.<br />

Fehlende Informationsblätter, mangelnde Transparenz über die Angebote,<br />

sowie fehlende spezifische Angebote für MigrantInnen kennzeichnen den Alltag<br />

(siehe auch Projekte von ZEBRA).<br />

7.3. Zusammenfassung der wichtigsten Problemstellungen<br />

von MigrantInnen beim Thema <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

�Informationsdefizite von MigrantInnen über Angebote des <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystems<br />

�Verständigungsschwierigkeiten zwischen PatientIn <strong>und</strong> medizinischem Personal<br />

auf sprachlicher <strong>und</strong>/oder kultureller Ebene <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> unterschiedlicher<br />

Sichtweisen von Krankheit- <strong>und</strong> <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

�Fehldiagnosen, ineffiziente (wirkungslose) Behandlungen <strong>und</strong> dadurch langwierige<br />

„Patientenkarrieren"<br />

�mangelnde Vorsorge <strong>und</strong> mangelnde spezifische präventive <strong>und</strong> psychosoziale<br />

Angebote<br />

�mangelnde Inanspruchnahme rehabilitativer (wiederherstellender) Angebote<br />

7.4. Trauma<br />

Der Begriff kommt aus dem Griechischen <strong>und</strong> bedeutet soviel wie “W<strong>und</strong>e”.<br />

Demgemäss wird in der Medizin vom Trauma als Verletzung des Körpers gesprochen.<br />

Nachfolgend wurde der Begriff aber nicht allein auf die körperliche (physische)<br />

W<strong>und</strong>e beschränkt, sondern auch um die Verw<strong>und</strong>ung der Psyche/Seele erweitert.<br />

Die Amerikanische Psychiatrische Gesellschaft – APA (American Psychiatric<br />

Association) definierte 1994 Trauma als „eine Erfahrung außerhalb der Norm,<br />

bei der die psychische <strong>und</strong> physische Integrität eines Einzelnen oder einer Gruppe<br />

von Menschen bedroht ist“.<br />

Der Begriff des „außerhalb der Norm“ Liegenden in dieser Definition deutet darauf<br />

hin, wie relativ <strong>und</strong> unterschiedlich die Traumawahrnehmung sein kann. Ob jemand<br />

ein Trauma erleidet oder nicht <strong>und</strong> ob sich damit Symptome der Reaktion<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 59


einstellen, hängt von der Persönlichkeit sowie von den Umweltbedingungen ab.<br />

Das gilt insbesondere für den Bereich der politisch-organisierten Gewalt.<br />

Gisela Perren-Klingler, Psychiaterin für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche, Gründerin des Institutes<br />

für Psychotrauma in der Schweiz <strong>und</strong> ehemaliges Schweizer Mitglied der<br />

Europäischen Kommission zur Verhütung von Folter beschreibt in ihrem Buch<br />

„Debriefing“ zwei Typen von Trauma:<br />

Trauma Typ I ist ein einmaliges, unvorhergesehenes Ereignis, das oftmals für<br />

den/die Betroffene/n ohne Vorwarnung hereinbricht. Unter Typ I fallen etwa Naturkatastrophen,<br />

Unfälle usw., es kann aber auch ein von Menschenhand gemachter<br />

Umstand sein, wie etwa ein Fliegerangriff u.ä.<br />

Beim Trauma Typ II wird hingegen der Betroffene immer wieder den gleichen<br />

oder ähnlich gewalttätigen Ereignissen ausgesetzt.<br />

Klassisches Charakteristikum für diesen Typ II sind Häftlinge, die der Folter durch<br />

Militär- <strong>und</strong> Polizeiapparat ausgeliefert sind. Die Folter kehrt in regelmäßigen<br />

Abständen wieder. Auch Kinder, die missbraucht werden, fallen unter Typ II.<br />

Diese Traumadefinition gilt nicht speziell aber auch für den Bereich von politisch<br />

Verfolgten <strong>und</strong> Flüchtlingen. Im Zuge der intensiven Beschäftigung mit Flüchtlingen,<br />

die Opfer von organisierter politischer Gewalt geworden sind, wurde deutlich,<br />

dass es noch eine dritte Form des Traumas gibt.<br />

Sie wird von ExpertInnen als Trauma Typ III kategorisiert. Trauma Typ III besteht<br />

aus einer Mischung aus den beiden oben genannten Formen (Typ I <strong>und</strong> II) <strong>und</strong> bezeichnet<br />

einerseits ein einmaliges Ereignis (beispielsweise durch Ausbruch des<br />

Krieges, Bombardierung des Dorfes oder der Vertreibung der Bevölkerung – Typ I,<br />

einmalig), andererseits offenbart sich durch die Flucht <strong>und</strong> auf der Flucht ein anhaltendes,<br />

wiederkehrendes Gewaltereignis (Typ II, wiederkehrend).<br />

Sehr oft berichten Frauen, die vor den Bomben der Militärs auf der Flucht<br />

waren, dass sie durch Schlepper anhaltender Gewalt, Vergewaltigungen<br />

u. a. ausgesetzt waren.<br />

Drei Aspekte sind beim Erleben eines Traumas zentral:<br />

�Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein<br />

�Einbruch der eigenen Existenz: Sicherheiten lösen sich auf<br />

�außerordentlich negative Belastung<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> <strong>Migration</strong><br />

Während man der traumatischen Situation ausgesetzt ist (Traumaexposition),<br />

laufen archaische (frühzeitliche, instinktive) Überlebensstrategien im Körper des<br />

Betroffenen ab. Der Körper schüttet eine wahre Flut an körpereigenen Hormonen<br />

aus, die verschiedene Bewusstseinsstadien unterstützen. Bei einer kritischen Situation<br />

stellt sich der Körper zuerst dem Kampf. Scheint dieser aussichtslos,<br />

möchte er die Flucht antreten, ist auch diese unmöglich oder sinnlos, bleibt als<br />

letzte <strong>und</strong> tiefste Stufe der Totstellreflex. All diese Formen der Reaktion laufen automatisch<br />

ab <strong>und</strong> dienen dem Überlebenstrieb.<br />

Während der Traumaexpostion sind verschiedene Funktionszustände bekannt:<br />

etwa das Monitoring (genaues, konzentriertes Hinschauen <strong>und</strong> Handeln), das<br />

Blunting (lenkt die Aufmerksamkeit nach innen, verströmt in höchster Panik ein<br />

Gefühl der Sicherheit) <strong>und</strong> die Dissoziation, bei der die Aufmerksamkeit nach<br />

außen gerichtet wird <strong>und</strong> Emotionen (Gefühle) abgespalten werden.<br />

Je nach Stadium <strong>und</strong> auch Notwendigkeit kann der Körper durch die Hormonproduktion<br />

diese Zustände erzeugen. Sie alle dienen dem Ziel, das Überleben in der<br />

Gefahrensituation zu sichern.<br />

60 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> <strong>Migration</strong><br />

Menschen, die Folterungen ausgesetzt waren, berichten etwa, dass sie sich selbst<br />

völlig gefühllos <strong>und</strong> taub von außen betrachtet haben <strong>und</strong> der eigenen Folterung<br />

als Beobachter beiwohnten. Dies sind normale Reaktionen auf abnormale Situationen.<br />

Die einmal erlebten Funktionen prägen sich jedoch ein <strong>und</strong> bleiben bestehen <strong>und</strong><br />

führen danach zu Akuten Stress Reaktionen (ASR). Diese in der traumatischen Aktion<br />

lebensrettende körperliche Übererregung verhindert im normalen Zustand<br />

ein zur Ruhe kommen. Die Menschen beginnen unter Schlafstörungen, Reizbarkeit,<br />

Aggressivität, Gewalttätigkeit, Ruhelosigkeit zu leiden. Zu den somatischen<br />

(körperlichen) kommen psychologische <strong>und</strong> soziale Reaktionen:<br />

�rekurrente (wiederkehrende) Erinnerungen (Intrusion) in Form von Albträumen,<br />

Flashbacks (durch einen Auslöser sich plötzlich in der Situation wieder finden)<br />

�dissoziative Ausweichstrategien durch Vermeidung, Phobien, Anästethisierung<br />

(Gefühllosigkeit, Abstumpfung), Denk-, Handlungs- <strong>und</strong> Verhaltensabläufe, die<br />

zusammengehören, werden voneinander getrennt, ohne dass der/die Betroffene<br />

dies bewußt steuern könnte.<br />

Diese beschriebenen Reaktionen sollten sich nach einigen Wochen gelegt haben,<br />

bzw. zurückgegangen sein, ansonsten besteht die Gefahr der Posttraumatischen<br />

Belastungsstörung (PTBS) oder Posttraumatic Stress Disorder (PTSD), die auch in<br />

weiterer Folge in Form von chronifizierter PTBS auftreten kann.<br />

Es kann nicht generell gesagt werden, wie Menschen auf traumatische Ereignisse<br />

reagieren.<br />

Sehr wohl gibt es aber einen Zusammenhang zwischen Folgereaktionen <strong>und</strong> der<br />

Schwere <strong>und</strong> Dauer des traumatischen Erlebnisses.<br />

Es spielen aber auch die physische Konstitution (Beschaffenheit) des Betroffenen<br />

<strong>und</strong> das Alter eine Rolle. Kinder <strong>und</strong> alte Menschen sind gefährdeter, nach einem<br />

traumatischen Erlebnis PTBS zu entwickeln.<br />

Auch konnte ein Zusammenhang zwischen der „Sinnhaftigkeit“ der Katastrophe<br />

<strong>und</strong> den Folgen für die einzelnen Menschen hergestellt werden. Menschen, die<br />

von einer Katastrophe unerwartet überwältigt wurden, sind einer größeren Gefahr<br />

ausgesetzt, an den Folgen zu leiden, als Personen, die dem Ereignis „einen Sinn“<br />

geben können bzw. sich des Risikos, in diese Situation zu geraten, bewusst waren<br />

<strong>und</strong> darauf vorbereitet waren (z. B. politische Oppositionelle, Widerstandskämpfer...).<br />

7.4.1. Wie geht man mit traumatisierten Menschen um?<br />

Es ist schwierig, darauf eine allgemein gültige Antwort zu geben, denn es ist von<br />

den Umständen abhängig, welche Unterstützungen traumatisierte Menschen<br />

brauchen (können). Einige generelle Regeln lassen sich jedoch aufstellen.<br />

Je früher mit der Aufarbeitung des Erlebten begonnen werden kann, desto größer<br />

sind die Chancen auf Verarbeitung <strong>und</strong> Integration in einen einigermaßen stabilen<br />

psychischen Zustand. Raum <strong>und</strong> Zeit für ein Gespräch sind hier besonders wichtige<br />

Faktoren.<br />

Ein geordnetes, strukturiertes <strong>und</strong> sicheres Umfeld sowie soziale Netzwerke (Familie,<br />

Fre<strong>und</strong>e, Insitutionen, die helfen können) tragen wesentlich zur positiven<br />

Verarbeitung von traumatisierenden Ereignissen bei. Umso schlechter diese Versorgung<br />

ist, desto größer wird die Gefahr, dass Folgen bestehen bleiben.<br />

Viele Traumaerlebnisse spielen sich in einem politischen, gesellschaftlichen Umfeld<br />

ab. Daher ist die öffentliche Meinung, die Anerkennung des erlittenen Un-<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 61


echts bzw. das Wahrnehmen desselben enorm wichtig, um die Ausbildung von<br />

PTBS zu verhindern. Die Bekanntmachung des erlittenen Unrechts, das Parteiergreifen<br />

für die Opfer <strong>und</strong> die Verurteilung der Akteure <strong>und</strong> Ausführenden der politischen<br />

Gewalt sind von zentraler Bedeutung für die Ges<strong>und</strong>ung der Betroffenen.<br />

Auch die rechtliche Verfolgung von derartigen Verbrechen ist ein wichtiger öffentlicher<br />

Teil der Rehabilitationsarbeit (Wiederherstellung von Normalität <strong>und</strong> Genesung).<br />

Die negativen Ausformungen all dieser genannten Faktoren können wir an AsylwerberInnen<br />

immer wieder erleben. Es fehlt das unmittelbare Umfeld, die Personen<br />

befinden sich auf der Flucht, die Familie ist verstreut, von sicherer Zuflucht<br />

kann keine Rede sein.<br />

In den Aufnahmeländern werden sie oft nur geduldet <strong>und</strong> müssen unter äußerst<br />

unsicheren <strong>und</strong> prekären Lebensumständen auf den Ausgang ihres Asylverfahrens<br />

warten.<br />

Durch verallgemeinerte (pauschale) Vorverurteilungen in öffentlichen Debatten<br />

<strong>und</strong> Behörden wird das erlittene Unrecht angezweifelt. Menschenrechtsverletzungen<br />

werden stillschweigend, manchmal sogar recht offen gebilligt <strong>und</strong> somit<br />

unterstützt. Die Täter bleiben in Freiheit <strong>und</strong> werden nicht zur Verantwortung gezogen.<br />

Durch diese „Nachbehandlung“ werden Menschen, die traumatische<br />

Erlebnisse zu verarbeiten haben, weiter verunsichert <strong>und</strong> in ihren Gr<strong>und</strong>festen erschüttert.<br />

Das nennt man Sek<strong>und</strong>ärtraumatisierung, die sich massiv auf die<br />

Heilungschancen auswirkt.<br />

Auch HelferInnen, Ehrenamtliche <strong>und</strong> Angehörige von Berufsgruppen (SozialarbeiterInnen,<br />

TherapeutInnen, PsychologInnen usw.), die professionell mit traumatisierten<br />

Personen arbeiten, sind gefährdet ein Stellvertreter-(Vicarous-)-<br />

Trauma (Burn-Out-Syndrom) zu bekommen. Dies kann dazu führen, dass sie<br />

ihren Beruf aufgr<strong>und</strong> von körperlicher <strong>und</strong> psychischer Erschöpfung nicht mehr<br />

ausüben können.<br />

7.4.2. Alltag nach dem Trauma<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> <strong>Migration</strong><br />

Für Personen, die in diesem Umfeld tätig sind, gelten folgende Faustregeln bei der<br />

Betreuung <strong>und</strong> dem Umgang mit traumatisierten Menschen:<br />

Menschen, die traumatische Ereignisse überlebt haben, haben sich in extrem<br />

fremdbestimmter Situation erlebt. Sie konnten gegen das, was mit ihnen passiert<br />

ist, nichts unternehmen. Aus dieser Ohnmachtsituation heraus laufen sie Gefahr,<br />

diese Haltung in ihren Alltag zu übertragen. Trauma hat außerdem ein zeitliches,<br />

gedankliches <strong>und</strong> gefühlsmäßiges Chaos hinterlassen. Das ganze Leben wird davon<br />

beherrscht. Das Leben vor dem traumatischen Ereignis wird unzugänglich.<br />

Der Alltag kann nicht mehr selbst geordnet werden, Hilfe <strong>und</strong> Anleitung von außen<br />

wird notwendig. Die wenigsten Betroffenen erhalten aber Unterstützung. Im Gegenteil<br />

– die meisten Flüchtlingsversorgungssysteme unterstützen Untätigkeit<br />

(Passivität) <strong>und</strong> Ohnmachtstendenzen, indem die Flüchtlinge in Heimen, Pensionen<br />

<strong>und</strong> Lagern untergebracht werden, in denen sie kaum Privatsphäre haben,<br />

nichts selbst tun <strong>und</strong> auch nicht arbeiten dürfen; indem sie kaum Informationen<br />

über ihre Situation <strong>und</strong> Zukunftsperspektiven <strong>und</strong> Zugang zu professionellen Helfersystemen<br />

erhalten.<br />

Diejenigen, die Hilfe <strong>und</strong> Unterstützung erhalten, laufen Gefahr, sich auf die Hilfe<br />

zu stark zu verlassen <strong>und</strong> auch in dieser Beziehung passiv zu bleiben. Daher ist es<br />

ein wichtiger Auftrag an BeraterInnen <strong>und</strong> HelferInnen, den Gr<strong>und</strong>satz des Empo-<br />

62 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> <strong>Migration</strong><br />

werments (Entwicklung der Selbsthilfekräfte <strong>und</strong> der Hilfe zur Selbsthilfe) besonders<br />

in den Vordergr<strong>und</strong> zu rücken.<br />

Wichtig ist dabei, dass die betroffenen Personen ihre Fähigkeit zum Selbsthandeln<br />

<strong>und</strong> zur Selbstverantwortung wieder erlangen. Durch die traumatischen Erfahrungen<br />

wird das Denken der Personen stark beeinflusst <strong>und</strong> auch eingegrenzt. Negative,<br />

depressive Einstellungen verstärken sich, die eigene Person wird als nutzlos<br />

<strong>und</strong> unfähig wahrgenommen.<br />

Gute Erfahrungen im Umgang mit betroffenen Personen wurden auch damit gemacht,<br />

dem traumatisierenden Ereignis eine zeitliche Struktur zu geben, sodass<br />

es einen Anfang <strong>und</strong> ein Ende erhält. Damit kann ein wenig Ordnung ins Chaos gebracht<br />

<strong>und</strong> so erste Verarbeitungsschritte gesetzt werden. Weiters sollte aus dem<br />

Kreislauf der negativen Sichtweisen ausgebrochen werden. Es sollte auch nicht<br />

länger von Opfern gesprochen werden sondern von Überlebenden, die gewaltige<br />

Ressourcen (=Fähigkeiten) <strong>und</strong> Willen bewiesen haben, dies alles zu überstehen.<br />

Auf diese Ressourcen zurückzugreifen <strong>und</strong> sie wieder zugänglich bzw. bewusst zu<br />

machen, sollte Ziel der Unterstützungsarbeit sein.<br />

Je leichter Betroffene das bewerkstelligen können, desto besser können sie wieder<br />

auf Fähigkeiten <strong>und</strong> Erfahrungen aus dem „Vorleben“ – aus dem Leben vor<br />

dem Trauma – zurückgreifen.<br />

Zur Strukturierung des Tages gehört auch, dass die Personen aufgefordert werden,<br />

aktiv zu sein, Kontakt mit Leuten aufzunehmen, an Veranstaltungen <strong>und</strong> Treffen<br />

teilzunehmen <strong>und</strong> Sport zu betreiben. Die Unterstützung soll dazu dienen,<br />

dass Traumatisierte auch wieder Vertrauen in ihr eigenes Handeln erhalten, möglichst<br />

viel selbst machen <strong>und</strong> damit auch Kontrolle über ihr Leben wieder gewinnen.<br />

Für jede/n Beteiligte/n gilt es aber auch die Grenzen zu wahren <strong>und</strong> zu akzeptieren,<br />

dass jemand über das Erlebte nicht sprechen will <strong>und</strong> kann.<br />

Alle Nicht-SpezialistInnen sollten sich der Wucht <strong>und</strong> Bedeutung von Erlebnissen<br />

<strong>und</strong> der Verantwortung <strong>und</strong> Tragweite der eigenen Handlungen bewusst sein. Das<br />

gilt auch für Ehrenamtliche <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>Innen.<br />

Im Umgang mit traumatisierten Menschen gilt es beispielsweise auf folgende<br />

Punkte hinzuweisen: Traumatisierte wurden in ihrem Vertrauen zu Menschen extrem<br />

erschüttert. Wichtig ist daher, keine neuen Erschütterungen zu verursachen,<br />

z. B. indem Versprechen abgegeben werden, die nicht eingehalten werden können.<br />

Bestimmte Situationen oder Handlungen können die erlebte Gewaltsituation in Erinnerung<br />

rufen (Flashbacks). Die Einvernahme bei einer Behörde, Wartesituationen<br />

in einem unangenehmen Umfeld oder medizinische Untersuchungen können<br />

beispielsweise Auslöser sein. Daher gilt es, auf solche Situationen spezielles Augenmerk<br />

zu legen <strong>und</strong> die Betroffenen entsprechend vorzubereiten <strong>und</strong> zu stützen.<br />

Ein dringendes Gebot ist weiters, sich nicht auf Felder vorzuwagen, die eine hochprofessionelle<br />

Begleitung benötigen. Diese Felder sollte man PsychotherapeutInnen<br />

<strong>und</strong> anderen SpezialistInnen überlassen. Wichtig ist auch, dass man seine<br />

Grenzen kennt <strong>und</strong> bei eigener Überforderung ebenfalls externe, professionelle<br />

Hilfe in Anspruch nimmt.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 63


8. Kommunikation<br />

Kommunikation ist das bewusste oder unbewusste Übermitteln von Informationen<br />

zwischen Menschen. Es muss nicht immer so sein, dass man dem/der Anderen<br />

bewusst etwas mitteilen will; es kann auch sein, dass das unbewusst, automatisch<br />

geschieht. Besonders bei der nonverbalen Kommunikation ist das oft der<br />

Fall.<br />

8.1. Verbale <strong>und</strong> nonverbale Kommunikation<br />

Kommunikation<br />

Bei der verbalen Kommunikation wird der Inhalt der Nachricht mit Wörtern<br />

<strong>und</strong> Sätzen vermittelt. Sie können gesprochen, geschrieben oder auch gesungen<br />

sein.<br />

Um Kommunikation entstehen zu lassen, gibt es einen Sender <strong>und</strong> einen Empfänger.<br />

Bei der zwischenmenschlichen Kommunikation wird dies meist nicht nur einseitig<br />

sein – die Rollen Sender/Empfänger *<br />

wechseln im Laufe eines Gespräches.<br />

Es gibt aber auch Kommunikation, die sich nicht nur zwischen zwei Menschen<br />

entwickelt, sondern an der mehrere beteiligt sind. Etwa wenn der/die LehrerIn in<br />

der Klasse steht <strong>und</strong> einen gewissen Inhalt vorträgt oder ein Vortrag vor versammeltem<br />

Publikum gehalten wird. Hier ist meist eine Person der/die SenderIn. Die<br />

Empfänger sind jedoch viele. Ein direkter Umtausch der Rollen ist zeitweise noch<br />

möglich (etwa wenn jemand aus der Zuhörerschaft eine Frage stellt oder etwas<br />

erwidert).<br />

Die Massenkommunikation hingegen ist eine indirekte Kommunikation, sie benötigt<br />

ein Medium. Das erste bekannte Medium waren die Schriftrollen, später die<br />

Bücher <strong>und</strong> Zeitungen. Wirkliche Massenkommunikation entstand durch die Entwicklung<br />

des Radios <strong>und</strong> Fernsehens. Bei der Massenkommunikation sind die Rollen<br />

starr. Es gibt auf der einen Seite Sender, die Informationen über das Medium<br />

verteilen, <strong>und</strong> auf der anderen Seite viele Empfänger, die diese entgegen nehmen.<br />

Ein wesentliches Merkmal der Massenkommunikation ist, dass es keinen Austausch<br />

gibt. Um dieses Manko zu beheben, wurden bei Massenmedien Nischen<br />

entwickelt, in denen der Austausch zwischen SenderIn <strong>und</strong> EmpfängerIn wieder<br />

möglich gemacht wurde; etwa durch das Schreiben von Leserbriefen oder bei Anrufsendungen.<br />

Allerdings ist dies nur sehr zeitverzögert möglich.<br />

Nonverbale Kommunikation kommt im Gegensatz dazu ohne Wörter aus. Blicke,<br />

Körperbewegungen, die Körperhaltung, Berührungen oder der Gesichtsausdruck<br />

vermitteln dann die entsprechenden Informationen. Auch, wie weit man<br />

von einer Person entfernt steht, die Pausen <strong>und</strong> Laute, die man während des Sprechens<br />

macht, oder der Tonfall, den man anschlägt, gehören zur nonverbalen Kommunikation.<br />

Kommunikation unterliegt vielen Einflüssen <strong>und</strong> Interpretationsspielräumen. Sender<br />

<strong>und</strong> Empfänger haben jeweils unterschiedliche Lebenswelten <strong>und</strong> Aufnahmefähigkeiten,<br />

die die Kommunikation erheblich beeinflussen.<br />

*) Um die Lesbarkeit dieses Absatzes nicht allzu sehr zu strapazieren, haben<br />

wir auf die weiblichen Formen verzichtet.<br />

64 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Kommunikation<br />

Ein wichtiges Prinzip in der Kommunikation zwischen den Menschen ist, dass man<br />

nicht nicht kommunizieren kann! Also selbst wenn ich den Dialog, das Gespräch<br />

die Kommunikation verweigere, kommuniziere ich mit meinem Gegenüber. Meine<br />

Botschaft lautete dann: Ich möchte mit dir nicht kommunizieren.<br />

Jedes Verhalten einer anderen Person gegenüber kann eine Bedeutung haben –<br />

auch wenn man nur den Blick abwendet oder schweigt. Jemand, der/die sich nicht<br />

an einer Diskussion beteiligt, kann damit zum Beispiel signalisieren, dass ihm/ihr<br />

das Thema oder die TeilnehmerInnen gleichgültig sind. Eine Person, die sich im<br />

Zugabteil hinter ihrer Zeitung versteckt, kann damit beispielsweise ausdrücken,<br />

dass sie kein Gespräch anfangen will. All dies sind aber Interpretationen einer Situation,<br />

die wesentlich von Erziehung, Umwelt, Geschlecht, Erfahrungen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Zusammenhängen geprägt sind. Die gleiche Situation kann also in verschiedenen<br />

Kulturen sehr unterschiedlich interpretiert (verstanden, ausgelegt)<br />

werden.<br />

Zum Beispiel ist es bei uns üblich, dass man sich bei der Begrüßung die<br />

Hand gibt <strong>und</strong> dabei in die Augen sieht. Ein Mann gibt auch einer Frau die<br />

Hand. In anderen Kulturen ist das Begrüßungsritual anders. Zwar gibt man<br />

sich in der Türkei durchaus auch die Hand, jedoch wird vom Jüngeren erwartet,<br />

dass dieses Handgeben huldvoller, respektvoller ist. Das heißt der<br />

Jüngere nimmt die Hand des Älteren, drückt sie nicht <strong>und</strong> sieht dem Älteren<br />

auch nicht in die Augen. Diese demutsvolle Haltung gegenüber Älteren<br />

wird in Österreich oft als beleidigend verstanden.<br />

8.2. Vier Ebenen der Kommunikation<br />

Schulz von Thun, ein deutscher Kommunikationswissenschafter hat ein sogenanntes<br />

„Vier-Ohren-Modell“ der Kommunikation entwickelt <strong>und</strong> dargestellt, das<br />

die vielfältigen Störungen, Missverständnisse <strong>und</strong> Interpretationen verdeutlicht,<br />

die in der zwischenmenschlichen Kommunikation auftreten können:<br />

Kommunikation hat demnach vier Aspekte oder Botschaften *<br />

:<br />

Inhalts-Aspekt: Es wird ein Gedanke, eine Sachinformation übermittelt.<br />

Beziehungs-Aspekt: Die Beziehung, die zwischen Sender <strong>und</strong> Empfänger zueinander<br />

herschen, wird in den Vordergr<strong>und</strong> gerückt.<br />

Selbstk<strong>und</strong>gabe-Aspekt: Der Sender stellt sich selbst dar.<br />

*) Um die Lesbarkeit der folgenden Absätze nicht allzu sehr zu strapazieren,<br />

haben wir auf die weiblichen Formen verzichtet.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 65


Kommunikation<br />

Appell-Aspekt: Der Sender möchte in der Kommunikation den Empfänger beeinflussen.<br />

Es wird an eine Haltung/Position appelliert.<br />

So wie der Sender diese vier bewussten <strong>und</strong> unbewussten Elemente sendet, so<br />

versteht auch der Empfänger diese vier Elemente je nach eigener Befindlichkeit,<br />

Wahrnehmung <strong>und</strong> Gefühlslage <strong>und</strong> interpretiert sie unterschiedlich. Besonders<br />

wichtig dabei ist die Beziehung zwischen Sender <strong>und</strong> Empfänger.<br />

Beispiel: Der Mann sagt zu seiner Ehefrau, die den Wagen steuert: “Du, da<br />

vorne ist grün!“ – Die Frau erwidert darauf erbost: „Fährst du oder ich?“<br />

Was war passiert? Analysiert man diesen kleinen Dialog, so wird deutlich, dass die<br />

Frau nicht auf den Inhaltsaspekt der Aussage reagiert hat. Denn dieser lautet:<br />

„Da vorne steht die Ampel auf grün!“ (Inhalts-Aspekt)<br />

Der Mann informiert die Frau über etwas, was er sieht. Diese Wahrnehmung gibt<br />

er weiter.<br />

Man könnte also meinen, die Frau müsste dankbar darüber sein, weil er ihr bei der<br />

Beobachtung des Verkehrs geholfen hat. Ihre Reaktion lässt aber darauf schließen,<br />

dass sie etwas anderes darin gehört hat, was den Beziehungs-Aspekt der<br />

beiden betrifft. Wir interpretieren ihre Antwort einmal folgend: Der Mann übernahm<br />

die Rolle des Fahrlehrers, die Frau fühlte sich in die Rolle der Fahrschülerin<br />

gedrängt.<br />

Die Antwort könnte auch darauf hin deuten, dass diese Situation nicht das erste<br />

Mal vorgekommen ist <strong>und</strong> hinter der scheinbar neutralen Aussage des Mannes,<br />

die Frau auch einen Selbstk<strong>und</strong>gabe-Aspekt des Mannes heraushört: Er gibt<br />

sich als kompetenter(er) Autofahrer aus, meint: „Ich kann gut (besser) Auto fahren<br />

(als du) <strong>und</strong> kenne die Regeln genau.“<br />

Und schließlich spricht er bei der Frau auch noch die Appell Ebene an. Der Appell-Aspekt<br />

lautet: „Fahr los, warte nicht so lange!“ Die Frau soll so fahren, wie<br />

ich (Mann) es ihr sage.<br />

Dieses Beispiel macht deutlich, dass es unter Umständen auch noch größere Zusammenhänge<br />

gibt. Rollenklischees, -zuschreibungen, Prägungen durch die Erziehung,<br />

Umwelt, Schule usw. können die Kommunikation beeinflussen. Hierbei spielen<br />

auch typische Rollenverhalten zwischen Mann <strong>und</strong> Frau eine wichtige<br />

Rolle. Diesen Zuschreibungen entkommt man in den seltensten Fällen <strong>und</strong> sie<br />

schwingen bei jeder Kommunikation mit: Wie habe ich als Mann/Frau zu sein?<br />

Was tut ein Mann? Was tut eine Frau? Was kann ein Mann, was kann eine Frau?<br />

Daher mag es dem Einen oder der Anderen durchaus verständlich erscheinen,<br />

dass der Mann der Frau behilflich sein möchte, denn schließlich ist er ja „mit Autos<br />

<strong>und</strong> Technik“ aufgewachsen? Und wenngleich dies manchmal schon stimmen<br />

mag, so ist es doch ein Klischee, das viel stärker über die soziale Zuschreibung<br />

(was tut ein Mann/eine Frau) erlernt wurde, als durch eine biologische Vorbestimmung.<br />

Durch die Fähigkeit diese Ebenen bei mir selbst <strong>und</strong> Anderen zu reflektieren <strong>und</strong><br />

kennen zu lernen, kann eine Annäherung bzw. ein besseres Verständnis der Lebenswelt<br />

des/der Anderen gelingen. Dadurch lerne ich selbst über meine Art der<br />

Kommunikation <strong>und</strong> meine Botschaften, die ich bewusst <strong>und</strong> unbewusst weiter<br />

gebe, sehr viel.<br />

Probleme in der Kommunikation können sich also ergeben, wenn für den/die SenderIn<br />

<strong>und</strong> den/die EmpfängerIn verschiedene Aspekte wichtig sind; beispielsweise<br />

wenn eine reine Sachinformation als Beziehungsinformation aufgefasst wird.<br />

66 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Kommunikation<br />

8.3. Interkulturelle Kommunikation<br />

Bei den oben beschriebenen Kommunikationsstrukturen <strong>und</strong> Analysen sind wir<br />

jeweils automatisch davon ausgegangen, dass die beiden – SenderIn <strong>und</strong> EmpfängerIn<br />

– aus einem Kulturkreis stammen. Wenn wir zuvor aufgezählt haben, was alles<br />

die Kommunikation beeinflusst <strong>und</strong> wie Rede <strong>und</strong> Antwort interpretiert werden<br />

können, so müssen wir dringend einen Begriff hinzufügen – den der Kultur.<br />

Kommunikation <strong>und</strong> Kultur stehen in einem direkten Zusammenhang. Sämtliche<br />

verbalen <strong>und</strong> nonverbalen Kommunikationsformen von Menschen in einer Gesellschaft<br />

sind kulturell geprägt. Einer bestimmten Kultur anzugehören, bedeutet<br />

also, in einer spezifischen Weise zu kommunizieren. Denken Sie nur an ganz spezifische<br />

Gesten, die Personen aus einem Kulturkreis typisch sind; etwa die Handbewegungen<br />

von ItalienerInnen.<br />

Mehr noch, Sprache <strong>und</strong> Kultur sind in der Kommunikation <strong>und</strong> Interaktion fest<br />

verb<strong>und</strong>en, wenn sie auch nicht identisch sind. Die kulturspezifischen Zeichen, die<br />

während eines Gespräches, Dialoges transportiert <strong>und</strong> übermittelt werden, werden<br />

von Angehörigen derselben Kultur intuitiv – fast automatisch – verstanden.<br />

Diese Zeichen verschließen sich jedoch häufig Personen. Es bedarf einer Metaebene<br />

der Er- <strong>und</strong> Aufklärung, die den kulturellen Zusammenhang mit erklärt –<br />

eine Art Drehbuch. Ansonsten besteht eine zusätzliche Komponente der Missverständnisse<br />

<strong>und</strong> Fehlinterpretationen.<br />

Interkulturelle Verständigung setzt ein Verstehen des sprachlichen Handelns des<br />

Gegenübers voraus <strong>und</strong> – dies ist nicht zu unterschätzen – die Bereitschaft zur<br />

Verständigung.<br />

In der interkulturellen Kommunikation erfolgt das Verstehen nicht automatisch,<br />

immer auch birgt es die Gefahr der Fehlinterpretation <strong>und</strong> der Projektion (Übertragung<br />

von eigenen Gefühlen <strong>und</strong> Sichtweisen auf das Gegenüber). Denn die Grenzen<br />

zu den anderen Kulturen werden zumeist intuitiv (gefühlsmäßig) gezogen, wir<br />

spüren, erfahren, vermuten oder konstruieren sie. Und auch diese Gefühle sind<br />

durch kulturelle Erfahrungen entwickelt worden.<br />

Häufig handelt es sich bei ‚kulturellen‘ Konflikten am Arbeitsplatz nicht um tatsächliche<br />

Interessensgegensätze oder feindselige persönliche Auseinandersetzungen,<br />

sondern ganz einfach um Fehlinterpretationen <strong>und</strong> Missverständnisse<br />

oder um strukturelle Fehler, die auf der Ebene der Individuen <strong>und</strong> deren kulturellen<br />

Ausdrucksweisen ausgetragen werden.<br />

Ein anderer Aspekt in der interkulturellen Kommunikation ist die Tatsache, dass<br />

selten gleichberechtigte Parteien aufeinander treffen. MigrantInnen sind in einer<br />

fremden Gesellschaft, sie stellen eine Minderheit dar, sprechen die Sprache<br />

schlechter <strong>und</strong> finden sich oft in der Rolle des/der Ohnmächtigen.<br />

Ein Machtgefälle ist eher die Norm denn die Ausnahme. Dies führt nicht selten zu<br />

Verinnerlichung von Strategien, die dieses Machtgefälle kompensieren (ausgleichen)<br />

bzw. damit umgehen können. Das wirkt sich auch auf die Kommunikation<br />

aus.<br />

Für eine gut funktionierende Kommunikation beziehungsweise Interaktion fehlt<br />

es meist an Vorwissen auf beiden Seiten, häufig auch an der Bereitschaft oder an<br />

Zeit <strong>und</strong> Raum, sich auf andere Kommunikationsstrukturen einzulassen <strong>und</strong> die eigenen<br />

zu hinterfragen.<br />

Nach Edward Hall, einem Wissenschafter aus den USA, gibt es so genannte Low<strong>und</strong><br />

High-Context-Kulturen.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 67


Kommunikation<br />

In einer High-Context-Kultur wird ein Großteil der Information, die mitgeteilt<br />

werden soll, nicht aktiv mitgeteilt, sondern es gibt ein großes gemeinsames Vorwissen.<br />

Dadurch, dass der/die SenderIn einen kleinen Teil an Information weiter<br />

gibt, weiß der/die EmpfängerIn, was sonst noch alles damit gemeint ist. Wenn also<br />

zwei Leute aus verschiedenen Kulturen miteinander kommunizieren, kann es<br />

sein, dass der/die SenderIn denkt, er/sie brauche nur einen Satz sagen <strong>und</strong> der/<br />

die EmpfängerIn der Nachricht wisse zugleich auch, was sonst noch alles damit<br />

gemeint ist. Wenn aber in der Kultur des/der Senders/Senderin dieser Satz nur das<br />

bedeutet, was er eigentlich aussagt <strong>und</strong> nicht mehr, dann kann <strong>und</strong> muss es fast<br />

zwangsläufig zu Missverständnissen kommen.<br />

In einer sogenannten Low-Context-Kultur setzt der/die SenderIn nur sehr wenig<br />

gemeinsames Vorwissen voraus. Das allermeiste von dem was der/die SenderIn<br />

dem/der EmpfängerIn mitteilen möchte, wird auch klar ausgesprochen.<br />

Ein Beispiel:<br />

Eine Japanerin, eine US-Amerikanerin <strong>und</strong> eine Deutsche suchen jeder für<br />

sich dasselbe Hamburger-Restaurant auf. Alle drei bestellen einen Hamburger.<br />

Der Koch in der Küche ist aus irgendwelchen Gründen abgelenkt, lässt das<br />

Fleisch zu lange anbraten, serviert es aber dennoch mit Brötchen, Salat <strong>und</strong><br />

Zwiebel.<br />

Natürlich merken alle drei Gäste, dass das Fleisch verbrannt ist. Wie reagieren<br />

die Deutsche, die US-Amerikanerin <strong>und</strong> die Japanerin, wenn sie vom<br />

Kellner gefragt werden, ob es ihnen geschmeckt hat?<br />

Die Deutsche würde kritisieren, dass das Fleisch verbrannt wurde. Über<br />

den Rest würde sie kein Wort verlieren, zumindest kein nettes.<br />

Die US-Amerikanerin würde auch das Fleisch kritisieren, aber wahrscheinlich<br />

gleichzeitig den knackigen Salat oder das Brötchen loben. Sie würde<br />

ihre Kritik also abschwächen, sogenannte „softeners“ benutzen.<br />

Die Japanerin wiederum würde, den Salat, die Zwiebel, das Brötchen loben,<br />

aber kein Wort über das Fleisch verlieren.<br />

Im innerjapanischen Dialog wäre nun ganz klar, dass mit dem Fleisch etwas<br />

nicht in Ordnung war.<br />

Die Deutsche im Dialog mit der Japanerin würde wahrscheinlich denken,<br />

dass die Japanerin hoch zufrieden war. Schließlich hat sie nur gelobt (aber<br />

eben nicht alles!).<br />

Ein weiterer Bereich, in dem Probleme auftreten könnten, ist das Berühren des/<br />

der Gesprächspartners/in. In den meisten asiatischen Kulturen ist es verpönt, andere<br />

Menschen in der Öffentlichkeit zu berühren. Vor allem das Tätscheln (liebevolles<br />

Schlagen wie beim H<strong>und</strong> oder beim Pferd) des Kopfes gilt als ungehörig.<br />

In anderen Kulturen finden jedoch ganz natürlich Körperkontakte wie Umarmung,<br />

Küssen zur Begrüßung, etc. statt. Ken Cooper hat in seinem Buch „Nonverbal<br />

Communication for Business Success“ beschrieben, dass er das Verhalten von<br />

Menschen in Straßencafés in der ganzen Welt beobachtete. Er zählte dabei die<br />

Körperberührungen über einen Zeitraum von einer St<strong>und</strong>e, <strong>und</strong> zwar bei der Person<br />

selbst oder bei dem jeweiligen Gesprächspartner.<br />

Ein Auszug aus den Ergebnissen: San Juan, Puerto Rico: 180 pro St<strong>und</strong>e, Paris: 110,<br />

Florida: 2, London: 0.<br />

Diese zuvor beschriebenen Beispiele sind nur kleine Anhaltspunkte für die Vielfalt<br />

an möglicher Auseinandersetzung zum Thema Kultur bzw. Interkulturelle Kommunikation.<br />

68 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Kommunikation<br />

Die meisten Menschen haben sich über diese kulturellen Missverständnisse <strong>und</strong><br />

Analysen wenig bis gar keine Gedanken gemacht. Ihre Einbettung in ein relativ<br />

schlüssiges Konzept von dem, wie etwas in ihrer Gesellschaft <strong>und</strong> Kultur zu funktionieren<br />

hat, machte es bisher auch nicht notwendig, darüber nachzudenken.<br />

Dabei entstehen auch viele politisch motivierte Stereotype <strong>und</strong> Vorurteile, die bei<br />

entsprechendem aktuellem Anlass in offene Diskriminierung <strong>und</strong> Rassismus ausarten<br />

können. Etwa wenn in Medien, Meinungsmacher aus Exekutive (Polizei),<br />

Richterschaft <strong>und</strong> Politik einfache Antworten für komplexe Sachverhalte verkaufen<br />

<strong>und</strong> etwa alle „Schwarze als Drogendealer“ denunzieren. Wenn solche öffentliche<br />

Rassismen auf fruchtbaren Boden fallen, dann deshalb, weil Stereotype bereits<br />

vorhanden sind <strong>und</strong> diese Behauptungen dadurch gern akzeptiert werden.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 69


Europa – ja die ganze Welt – verändert sich rasant. Die Gesellschaften sind nicht<br />

mehr so, wie sie früher einmal waren <strong>und</strong> sie uns heute noch immer vorgegaukelt<br />

werden. Die Länder sind nicht mehr homogen <strong>und</strong> monokulturell (einheitlich <strong>und</strong><br />

aus einer Kultur bestehend). Mit der wirtschaftlichen Globalisierung hat sich auch<br />

eine Diversität (Vielfältigkeit) der Bevölkerung entwickelt, die ein Konzept einer Individualisierung<br />

der Gesellschaften nach sich zieht <strong>und</strong> die auf jeden Einzelnen<br />

einwirkt. Das entspricht auch dem Konzept des kulturellen Individualismus (siehe<br />

unter Kapitel Kultur auf Seite 22)<br />

8.4. Dolmetsch<br />

Um die Gräben, die durch die mangelnde sprachliche Verständigung entstehen, zu<br />

verringern, werden oft DolmetscherInnen eingesetzt. Je nach Gesprächszusammenhang<br />

werden sie intensiv oder locker dabei als BrückenbauerInnen verwendet.<br />

Was auf den ersten Blick einfach erscheint, ist bei genauerer Betrachtung<br />

eine höchst komplizierte <strong>und</strong> schwierige Aufgabe.<br />

Es gibt zur Erfüllung derselben eine eigene Ausbildung – das sogenannte Dolmetschstudium.<br />

Hier liegt der Schwerpunkt auf simultanen (gleichzeitigen) Dolmetschtechniken. In<br />

Österreich gibt es auch noch eine Liste von gerichtlich beeideten DolmetscherInnen.<br />

Das sind Personen, die eine Prüfung abgelegt haben <strong>und</strong> dadurch berechtigt<br />

sind, z. B. bei Gericht als DolmetscherIn tätig zu sein.<br />

Es ist aber durchaus üblich, dass sogenannte „Sprachk<strong>und</strong>ige“ bei Behörden <strong>und</strong><br />

Ämtern eingesetzt werden. Auch das Gericht kann sogenannte Sprachk<strong>und</strong>ige direkt<br />

vor Ort vereidigen. Dies sagt jedoch nichts über die Qualität der Dolmetschtätigkeit<br />

aus.<br />

Die Brückenfunktion beim Dolmetschen erfordert nicht nur hohe sprachliche<br />

Kompetenzen in beiden Sprachen; Menschen, die sich in dieser MittlerInnenfunktion<br />

befinden, benötigen auch hohe soziale <strong>und</strong> kommunikative Fähigkeiten, um<br />

ihren Job angemessen auszufüllen. Sie befinden sich in einer Zwischenposition –<br />

sind für MigrantInnen oftmals die einzige Stimme mit der Außenwelt, müssen<br />

aber gleichzeitig dem kulturellen Backgro<strong>und</strong> der österreichischen Stellen, also<br />

dem Gegenüber Genüge tun.<br />

Oft wird in diesem Zusammenhang auch über Neutralität gesprochen, die die DolmetscherInnen<br />

einzunehmen haben, was bei näherer Betrachtung jedoch eigentlich<br />

nicht möglich bzw. auch gar nicht sinnvoll erscheint. Denn eine der Fähigkeiten<br />

des/der DolmetscherIn ist es, den Subtext der beiden aufeinandertreffenden<br />

Kulturen mitzubedenken <strong>und</strong> einzubeziehen <strong>und</strong> dabei ist alles andere als Neutralität<br />

gefragt. Viel wichtiger erscheint es, sich der Funktion <strong>und</strong> Rolle im jeweiligen<br />

Zusammenhang sehr genau bewusst zu werden <strong>und</strong> dementsprechend eine allparteiliche<br />

Position einzunehmen.<br />

8.5. Multikulturalität<br />

Kommunikation<br />

Multikulturalität ist als Begriff lediglich die Beschreibung des aktuellen Zustandes<br />

der Gesellschaften. Dahinter steckt noch kein Konzept, wie damit umzugehen<br />

sein wird. Vielfach wird den FürsprecherInnen von Multikulturalismus eine gewisse<br />

Naivität vorgeworfen. Diese wäre dann richtig, wenn man nur die einfachen,<br />

positiven Aspekte des Multikulturalismus hervorstreichen würde. Natürlich ist es<br />

70 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Kommunikation<br />

nett, wenn man in einer europäischen Stadt praktisch jeden Typus von internationaler<br />

Küche genießen kann <strong>und</strong> nach dem feinen indischen Essen zu einem Salsa-<br />

Tanzabend gehen kann.<br />

Die dahinter liegenden gesellschaftlichen Probleme <strong>und</strong> Auseinandersetzungen,<br />

die nicht übersehen werden dürfen, sind jedoch eine Herausforderung für die Politik,<br />

aber auch für jede/n Einzelne/n, der/die sich den Anforderungen einer neuen<br />

multikulturellen Gesellschaft stellen muss.<br />

Für die Politik bedeutet es, dass entsprechende Regeln aufgestellt werden müssen,<br />

die praktikabel sind, <strong>und</strong> die einen größtmöglichen Konsens (Übereinstimmung)<br />

über die Bereicherung der Gesellschaft durch Zuwanderung herstellt <strong>und</strong><br />

den ideellen <strong>und</strong> reellen Nutzen aber auch die Gefahren benennt. Damit verb<strong>und</strong>en<br />

ist auch, dass Organisationen, Institutionen, Politik <strong>und</strong> Verwaltung sich dem<br />

Thema der Interkulturellen Öffnung zu widmen haben, <strong>und</strong> Strukturen <strong>und</strong> Organisationen<br />

sich dahingehend verändern (siehe Kapitel „Interkulturelle Öffnung“,<br />

Seite 81).<br />

Dazu gehören auch eindeutige politisch-gesetzliche Positionierungen gegen Diskriminierung<br />

<strong>und</strong> gegen behördlichen (strukturellen) Rassismus.<br />

Der/die Einzelne muss sich in Zukunft bewusst machen, dass neue Kompetenzen<br />

(Fähigkeiten) verlangt sind. Sprachen sind das eine, für eine Vielzahl von Feldern<br />

(Arbeitswelt, Bildung) wird interkulturelle Kompetenz immer wichtiger. Was das<br />

ist, versuchen wir im folgenden Kapitel zu beschreiben.<br />

8.6. Interkulturelle Kompetenz<br />

„Interkulturelle Kompetenz“ ist ein Begriff, der in einer zunehmend multikulturellen<br />

<strong>und</strong> heterogenen (uneinheitlichen) Gesellschaft immer größere Bedeutung erlangt.<br />

Vor allem im Bereich der Bildung, Bildungsmaßnahmen <strong>und</strong> Ausbildungen,<br />

aber auch im Bereich von Managementtrainings <strong>und</strong> im Personalbereich kann<br />

man fast wie einen Trend zu interkulturellen Kompetenzen als Qualifikationsmerkmal<br />

bemerken.<br />

Der deutsche Sozialwissenschafter Wolfgang Hinz-Rommel definiert Interkulturelle<br />

Kompetenz als „die Fähigkeit angemessen <strong>und</strong> erfolgreich in einer<br />

fremdkulturellen Umgebung oder mit Angehörigen anderer Kulturen<br />

zu kommunizieren“.<br />

Wie bei dieser sehr kurzen Erklärung deutlich wird, steht Kommunikation im Vordergr<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> stellt ein wichtiges Element dar. Daher ist sowohl auf Sprachkompetenz<br />

in der Muttersprache als auch auf die Beherrschung einer zweiten Sprache<br />

großes Augenmerk zu legen.<br />

Interkulturalität meint in diesem Zusammenhang, dass ich nicht nur fähig bin, meine<br />

eigenen kulturellen Zusammenhänge zu verstehen <strong>und</strong> mich darin zu bewegen,<br />

sondern auch die Fähigkeit erlerne, die anderen kulturellen Verhaltensweisen<br />

<strong>und</strong> Erklärungsmuster für alltägliches Handeln besser zu verstehen.<br />

Ein zweiter wesentlicher Aspekt dabei ist einen selbstreflexiven (selbsthinterfragenden)<br />

Zugang im Umgang mit Menschen zu wählen. Dieser selbstreflexive Zugang<br />

bedeutet, dass ich mich <strong>und</strong> mein Handeln <strong>und</strong> Tun beobachte, reflektiere<br />

<strong>und</strong> bei gegebenem Anlass zu verändern suche. Vor allem in Bezug auf meine Annahmen,<br />

Vorurteile <strong>und</strong> Stereotypen (siehe auch Kultur), aber auch gegenüber<br />

meinen Kommunikationsformen <strong>und</strong> Konfliktaustragungsvorstellungen.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 71


Kommunikation<br />

Neben den selbstreflexiven Anteilen ist auch Bewusstsein für ein interkulturell<br />

kompetentes Handeln von Bedeutung. Dieses Bewusstsein erstreckt sich vor allem<br />

auf die eigene Kultur (eigenkulturelles Bewusstsein), sowie auf die Analysefähigkeit<br />

<strong>und</strong> Verortung von Kommunikation <strong>und</strong> Konfliktfeldern.<br />

Obwohl der Begriff derzeit einen sehr modernen Anstrich genießt, werden in den<br />

allermeisten Fällen sehr verkürzte <strong>und</strong> zumeist auch unpassende Handlungsanweisungen<br />

gegeben, etwa nach dem Motto: „Wie gehe ich mit Japanern bei Verhandlungen<br />

um?“<br />

Der Bildungsmarkt ist überschwemmt mit Schnellkursen für interkulturelles Management<br />

<strong>und</strong> Kompetenzen. Diese sind in der Regel aber nicht geeignet, den tatsächlich<br />

dahinterliegenden Aufträgen gerecht zu werden. Zum einen, weil sie Kultur<br />

als einziges Modell für die Erklärung in den Vordergr<strong>und</strong> stellen <strong>und</strong> zweitens,<br />

weil sie ein sehr eindimensionales, unveränderbares Bild von Kultur präsentieren.<br />

Der selbstreflexive Umgang mit der eigenen Person in interkulturellen Zusammenhängen<br />

überträgt sich auch auf das Verhalten gegenüber der eigenen <strong>und</strong> der<br />

fremden Kultur. Dieses Verhalten wird oft im Begriff „Kultursensibilität“ zusammengefasst.<br />

Dies bedeutet soviel wie einen respektvollen, feinfühligen – aber auch auseinandersetzenden,<br />

distanzierenden – Umgang mit der eigenen <strong>und</strong> der anderen Kultur.<br />

Nicht alles, was uns als Kultur(-konflikt) verkauft wird, ist auch tatsächlich mit Kultur<br />

zu erklären. Diese kritische <strong>und</strong> würdigende Distanz zur eigenen aber auch<br />

fremden Kultur ist ein wesentliches Merkmal der eigenen Interkulturellen Kompetenz.<br />

Nicht selten wird bei MigrantInnen ihr vermeintliches Wissen über die „eigene Kultur“<br />

mit Kompetenz verwechselt. Und schon gar nicht handelt es sich dabei um<br />

eine interkulturelle Komponente. Sie werden auch in Österreich nicht selten als<br />

KulturexpertInnen benutzt, die jedoch meist nur einen Teil von Wissen <strong>und</strong> Verständnis<br />

repräsentieren. Von der eigenen Betroffenheit <strong>und</strong> der eigenen Erfahrung,<br />

die man als Ausgewanderte/r, als Betroffene/r gemacht hat, hin zu einem<br />

weiter gefassten interkulturellen, nicht ethnisierenden <strong>und</strong> nationalistischen Verständnis<br />

von Begegnung <strong>und</strong> Zusammenleben ist es ein weiter Weg. Durch Auseinandersetzung,<br />

Sensibilisierung, Trainings <strong>und</strong> Erfahrungen im interkulturellen<br />

Bereich können die Interkulturellen Kompetenzen erweitert <strong>und</strong> erhöht werden.<br />

Interkulturell kompetente Personen handeln situationsadäquat, das heißt, nicht<br />

stur nach Vorschrift, Plan <strong>und</strong> bereits erfolgreichen Konzepten, Rezepten, Abläufen<br />

(„so haben wir das immer gemacht“), sondern mit der Bereitschaft, sich<br />

der Situation anzupassen, Neuerungen <strong>und</strong> Abweichungen zuzulassen. Neben<br />

den oben erwähnten Merkmalen werden oft noch Toleranz, Stressfähigkeit, Flexibilität,<br />

Anpassungsfähigkeit <strong>und</strong> Selbstbewusstsein als persönliche Fähigkeiten<br />

genannt, um zur Interkulturellen Kompetenz zu gelangen.<br />

Wir haben es hier mit einem widersprüchlichen Verhalten zu tun. Denn einerseits<br />

soll <strong>und</strong> muss in einer multikulturellen Gesellschaft kultursensibel vorgegangen<br />

werden, d. h. die kulturellen Vorstellungen <strong>und</strong> Verhaltensweisen sollen wahrgenommen,<br />

respektiert <strong>und</strong> es soll für sie Platz in einer fremden Umgebung geschaffen<br />

werden. Andererseits sollte aber auch genügend Distanz bestehen, um andere<br />

Faktoren ebenso in eine Analyse miteinbeziehen zu können.<br />

Diese zuvor genannten Merkmale sind jedoch alle auf die Person bezogen. Nahezu<br />

alle sich damit beschäftigenden ExpertInnen betonen aber auch die strukturellen,<br />

politischen <strong>und</strong> gesetzlichen Rahmenbedingungen, in denen Handeln von<br />

Menschen eingebettet ist <strong>und</strong> betrachtet werden muss. Es ist davor zu warnen,<br />

72 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Kommunikation<br />

den Blick all zu sehr auf den Aspekt der Kultur zu legen <strong>und</strong> damit den Blick auf andere<br />

ebenso wichtige Rahmenbedingungen zu verschleiern.<br />

Erfahrungen mit kultursensiblen Trainings <strong>und</strong> interkulturellen Öffnungsprozessen<br />

von Organisationen zeigen, dass oftmals die strukturellen <strong>und</strong> diskriminierenden<br />

Gesetze, Gr<strong>und</strong>strukturen <strong>und</strong> Rahmenbedingungen wesentliche Faktoren<br />

für (interkulturelle) Konflikte darstellen <strong>und</strong> kulturelle Erklärungsversuche nur zur<br />

Verschleierung beitragen.<br />

„Wenn per Gesetz MigrantInnen zu Menschen zweiter Klasse deklariert werden,<br />

dann ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich, wenn Menschen diese Haltung auch in ihrem Alltag<br />

übernehmen <strong>und</strong> sie diskriminieren.“<br />

Gewisse Handlungen <strong>und</strong> Prozesse in Österreich sind auch durch ein noch so interkulturell<br />

kompetentes Handeln nicht beseitigbar; etwa diskriminierende Gesetze,<br />

rassistische Politik <strong>und</strong> ausschließende <strong>und</strong> intolerante öffentliche Diskussionen.<br />

Vielleicht ist es auch notwendig darauf hinzuweisen, dass dazu Stellung <strong>und</strong> Position<br />

einzunehmen ist <strong>und</strong> nicht geschwiegen werden darf. Viele MigrantInnen berichten,<br />

dass sie in Österreich mangelnde Zivilcourage <strong>und</strong> das Schweigen der<br />

Mehrheit bei Diskriminierung <strong>und</strong> Rassismus besonders deutlich spüren.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 73


9. Konflikte<br />

Das Wort Konflikt kommt vom lateinischen Hauptwort „conflictus“ <strong>und</strong> bedeutet<br />

ganz allgemein soviel wie Aneinanderschlagen, Zusammenstoßen, Widerstreit.<br />

Schon bei der Erklärung, was ein Konflikt ist, stoßen wir auf erhebliche Schwierigkeiten.<br />

Bereits bei der Übersetzung des Wortes kommt es zu Missverständnissen.<br />

Denn nicht jeder Konflikt muss in einen Streit ausarten.<br />

In vielen Begriffsbestimmungen schwingt eine Beurteilung oder Wertung mit, wie<br />

der Konflikt gelöst werden kann oder muss. Zunächst einmal muss aber festgestellt<br />

werden, dass ein Konflikt ein wertfreier sozialer Tatbestand ist.<br />

Nach Friedrich Glasl, Politikwissenschafter, Unternehmensberater <strong>und</strong> Konflikt-<br />

Experte, ist „ein Konflikt eine Interaktion zwischen Aktoren (Individuen, Organisationen,<br />

Gruppen) wobei mindestens ein Aktor Unvereinbarkeiten im Denken, Vorstellen,<br />

Wahrnehmen <strong>und</strong>/oder Fühlen mit dem anderen Aktor in der Art erlebt,<br />

dass im Realisieren eine Beeinträchtigung erwartet wird.“<br />

Konflikte sind Teil unseres Lebens. Ein Leben ohne Konflikte gibt es nicht. Die Frage,<br />

die für unser Thema daher viel relevanter ist:<br />

Wie gehen wir als Menschen, als Gruppe <strong>und</strong> als Gesellschaft mit Konflikten um,<br />

wie viel kulturelle Prägung beeinflusst unsere Konfliktfähigkeit, -kompetenz?<br />

Zumeist werden Konflikte als negativ empf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> mit ihren Auswirkungen<br />

verknüpft. Selbstverständlich ist Krieg furchtbar <strong>und</strong> eine Katastrophe. Aber Krieg<br />

ist nicht der Konflikt, sondern die gewählte Form, um den Konflikt zu lösen.<br />

Konflikte sind Momente des Lebens, in denen die Menschen gefordert sind. Sie<br />

bieten die Chance, auf positive <strong>und</strong> konstruktive Veränderungen <strong>und</strong> Lösungen,<br />

sie bieten aber auch die Gefahr der Beharrung, des Rückschrittes, der Verhärtung,<br />

der Katastrophe (Krieg, Vernichtung).<br />

Die Lösung des Konfliktes muss vom eigentlichen Konflikt getrennt werden.<br />

Konflikte<br />

Konflikte finden in verschiedenen Lebensbereichen aus verschiedenen Anlässen<br />

statt. Eines ist den Konflikten jedoch gemeinsam: Es geht nicht um eine bloße Auseinandersetzung<br />

auf der Sachebene (über was gesprochen wird), es geht immer<br />

um die Beziehungsebene <strong>und</strong> um psychische, emotionale <strong>und</strong> soziale Betroffenheit<br />

der Konfliktparteien.<br />

Konflikte stehen einerseits für Fortschritt <strong>und</strong> konstruktive Veränderungen, andererseits<br />

bedeuten sie Unannehmlichkeiten, Stress, Leistungsverlust <strong>und</strong> Zerstörung.<br />

Nicht immer erkennen wir Konflikte, oder wir sprechen sie nicht an, weil wir die<br />

Folgen fürchten oder weil wir keine Lösungen des Konfliktes vor uns haben.<br />

Manchmal „kehren wir Konflikte unter den Teppich“. Ein solches Verhalten führt<br />

zu weiteren Spannungen <strong>und</strong> eskaliert (steigert sich, artet aus) irgendwann, oft im<br />

ungeeignetsten Moment.<br />

ExpertInnen <strong>und</strong> PraktikerInnen treten dafür ein, Konflikte nicht wegzuschieben<br />

<strong>und</strong> sie als Bedrohung wahrzunehmen, sondern sie als notwendiges <strong>und</strong> meist<br />

auch förderndes Element des Lebens aufzunehmen. Sie sind ohnehin vorhanden.<br />

Viel wichtiger erscheint uns bei diesem Thema, welche Formen der Lösung von<br />

Konflikten bekannt, üblich <strong>und</strong> praktikabel sind <strong>und</strong> meistens vorgeschlagen werden.<br />

Diese sind auch eine soziale Denkleistung, sich von bekannten Normen <strong>und</strong><br />

kulturell geprägten Erfahrungen zu verabschieden <strong>und</strong> Konflikte nicht nur so zu lö-<br />

74 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Konflikte<br />

sen, wie sie immer schon gelöst wurden, sondern<br />

sich auch über die bisherigen Lösungsvorschläge<br />

hinwegzusetzen <strong>und</strong> neues auszuprobieren.<br />

Konflikte haben bei Nichtlösung die „natürliche“<br />

Tendenz bestehen zu bleiben <strong>und</strong> sich zu verstärken.<br />

Konfliktfelder, die nicht behandelt wurden<br />

bzw. durch falsche Lösungen nur beschwichtigt<br />

wurden, treten immer wieder auf. Sie können sich<br />

über Jahre <strong>und</strong> Jahrzehnte immer wieder transformiert<br />

(verändert in heiß <strong>und</strong> kalt) zeigen, <strong>und</strong><br />

sie haben Tendenzen der Eskalation. Friedrich<br />

Glasl beschrieb in seinem Buch „Konfliktmanagement“<br />

auch eine sogenannte Konflikteskalationsleiter.<br />

Konflikte werden aber auch in heiße <strong>und</strong> kalte<br />

Konflikte unterschieden. Manche Konflikte sind<br />

heiß geworden. Es gibt eine heftige, offene direkte<br />

Auseinandersetzung. Der heiße Konflikt ist davon<br />

gekennzeichnet, dass die beiden Konfliktparteien<br />

miteinander in Verbindung stehen <strong>und</strong> versuchen<br />

zu kommunizieren. Bei Krieg <strong>und</strong> Gewalt<br />

auf eine sehr paradoxe (widersinnige) Art <strong>und</strong><br />

Weise.<br />

Der kalte Konflikt deutet daher auch das genaue<br />

Gegenteil an. Oft kann auf eine heiße Phase eine<br />

Phase der Abkühlung folgen.<br />

Die Konfliktparteien haben aufgegeben, sie verkehren<br />

nicht mehr, sie versuchen miteinander<br />

nicht mehr zu kommunizieren. Sie möchten miteinander<br />

nichts mehr zu tun haben. Sie reduzieren<br />

den Kontakt.<br />

Wie wir aber beim Kapitel Kommunikation schon<br />

erwähnt haben, gibt es kein Nicht-Kommunizieren<br />

<strong>und</strong> so ist das Schweigen auch Zeugnis von<br />

unbehandelten Konflikten.<br />

Der Konflikt bleibt bestehen, er nagt <strong>und</strong> würgt an<br />

beiden Parteien. Er kann aber jederzeit wieder in<br />

eine heiße Phase eintreten, wenn etwa aus verschiedenen<br />

Gründen die Separation (die Trennung),<br />

nicht möglich ist. Besonders tragische Formen<br />

können solche Entwicklungen etwa bei Ehepaaren<br />

nehmen, die sich trennen, in der Hoffnung<br />

damit die Konflikte der Beziehung gelöst zu haben.<br />

Aufgr<strong>und</strong> von gemeinsamen Kindern haben<br />

sie aber weiterhin miteinander zu tun <strong>und</strong> bleiben<br />

dabei in einer Spirale der heißen <strong>und</strong> kalten Konfliktphasen<br />

stecken.<br />

Der Wechsel zwischen heißen <strong>und</strong> kalten Phasen<br />

kann oft jahrelang dauern. Bei den kühlen Phasen<br />

kann oft wahrgenommen werden, dass der Kon-<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 75


Konflikte<br />

flikt nur auf eine indirekte <strong>und</strong> heimliche Ebene verlagert wurde („Hintenrum“, Intrigen,<br />

Gerüchte, Abwertung über Dritte usw. ...).<br />

Schließlich gibt es noch ein weiteres Merkmal von Konflikten, nämlich die der<br />

Symmetrie. Konfliktparteien sind oft nicht gleich stark <strong>und</strong> gleichberechtigt. Das<br />

heißt, innerhalb des Verlaufes von Konflikten wird ein deutliches Ungleichgewicht<br />

bemerkbar. Das betrifft auch die dahinter stehenden BündnisparterInnen, die eine<br />

Partei im Konflikt unterstützen. Je größer diese Asymmetrie ist, desto leichter wird<br />

eine Lösung bevorzugt, die den Konflikt zu ungunsten einer Partei löst <strong>und</strong> damit<br />

den Keim von Ungerechtigkeit <strong>und</strong> weiteren Auseinandersetzungen in sich birgt.<br />

Asymmetrische Konflikte sind häufig durch gewalttätige Lösungsformen gekennzeichnet,<br />

z. B., wenn die militärische Überlegenheit derart groß ist, dass ich mir<br />

des Sieges sicher sein kann.<br />

Dadurch kommen wir zu einem weiteren Problem der üblichen Betrachtung von<br />

Konflikten <strong>und</strong> deren Lösung. Nicht nur, dass der Konflikt mit der vermeintlichen<br />

Lösung oft verwechselt wird, es wird auch sehr stark in der Kategorie von Sieg <strong>und</strong><br />

Niederlage gedacht. Die schärfste <strong>und</strong> häufig – völlig untaugliche – Konfliktlösungsstrategie<br />

ist die der Gewaltanwendung (Krieg). Sie ist der offensichtlichste<br />

Ausdruck von Sieg <strong>und</strong> Niederlage. Obwohl selbst da – wie das Beispiel USA-Irak-<br />

Krieg im Jahre 2003 zeigt – schwer bestimmbar ist, wer siegt <strong>und</strong> wer verliert.<br />

Sieg <strong>und</strong> Niederlage spielen auch in politischen Zusammenhängen oder bei gerichtlichen<br />

Verfahren eine wichtige Rolle (z. B. im Scheidungsrecht gibt es eine/n<br />

SiegerIn, die in weiterer Folge bevorzugt wird).<br />

Diese stark westliche Denkweise des Machtkampfes der dialektischen Auseinandersetzung<br />

zwischen Gut <strong>und</strong> Böse, Falsch <strong>und</strong> Richtig prägt uns stark <strong>und</strong> lässt<br />

uns oft in der Weise auch Konflikte behandeln. Dass diese Formen meist nicht die<br />

richtigen sind <strong>und</strong> Konflikte oft dadurch nicht gelöst werden sondern nur zu Gunsten<br />

einer Partei (Person) entschieden werden, macht es uns auch sehr schwer,<br />

Konflikte konstruktiv (sinnvoll) zu bearbeiten.<br />

In den letzten Jahren wurden daher immer wieder neue Verfahren <strong>und</strong> Aspekte<br />

eingebracht, um den Blickwinkel zu erweitern <strong>und</strong> Konflikte anders bzw. tatsächlich<br />

lösen zu können. Eine dieser Methoden stellt die sogenannte Mediation dar.<br />

Aus den USA kommend, ist Mediation eine Alternative, bei der sich eine dritte Person<br />

mit den Konfliktparteien zusammensetzt <strong>und</strong> gemeinsam Lösungsvorschläge<br />

erarbeitet. Dies ist eine Form der Konfliktlösung, die es seit vielen tausenden Jahren<br />

in verschiedenen Epochen <strong>und</strong> Kulturen immer wieder gegeben hat <strong>und</strong> gibt,<br />

die nur leider oft verdrängt worden ist.<br />

Bei der Mediation ist die dritte Person keine entscheidungsbefugte Person (wie<br />

dies etwa Richter sind), sondern hat vielmehr eine vermittelnde, moderierende<br />

Funktion.<br />

Ziel der Mediation ist es, gemeinsam mit den Konfliktpartnern Lösungen zu erarbeiten,<br />

mit denen beide Konfliktparteien zufrieden sind.<br />

Mediation löst bewusst diese starre Position des Siegers/Verlierers auf <strong>und</strong> möchte<br />

erreichen, dass die Beteiligten als SiegerInnen aus dem Streit/Konflikt gehen<br />

<strong>und</strong> im Übrigen durch ihr Handeln auch an Konfliktlösungskompetenzen dazu gewonnen<br />

haben.<br />

In Österreich findet Mediation erst langsam Gehör, etwa im außergerichtlichen<br />

Tatausgleich oder bei Scheidungsfällen.<br />

76 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Konflikte<br />

9.1. Konfliktanalyse<br />

Wenn wir davon ausgehen, dass zwischen Konflikt <strong>und</strong> der Lösungsstrategie zu<br />

unterscheiden ist, so müssen wir zuerst den Konflikt genau analysieren. Dazu gehört<br />

zu erkennen, woraus er genau besteht, welche Komponenten darin vorkommen,<br />

welche Ebenen angesprochen worden sind <strong>und</strong> welche wichtig <strong>und</strong> welche<br />

weniger wichtig sind. Denn zumeist entwickeln sich Konflikte ja nicht nach dem<br />

Lehrbuch sondern sind kompliziert <strong>und</strong> verschachtelt. Außerdem ist ein Konflikt<br />

immer auch mit Tabus (worüber man nicht spricht) verb<strong>und</strong>en, sodass es oft<br />

schwierig ist, den tatsächlichen Kern des Konfliktes herauszufinden.<br />

Wenn wir also einen Konflikt wirklich beilegen – sprich lösen – wollen, ist es wichtig,<br />

die richtigen Lösungen dafür zu finden. Um die richtige Lösung zu finden, muss<br />

den tatsächlichen Ursachen für einen Konflikt auf den Gr<strong>und</strong> gegangen werden.<br />

Beispiel:<br />

Um die illegale <strong>Migration</strong> (Konflikt) einzudämmen, werden die Grenzen der<br />

EU verschärft kontrolliert (Lösung). Hier wird die illegale <strong>Migration</strong> als das<br />

Problem definiert. Das geht jedoch an den tatsächlichen Ursachen der illegalen<br />

<strong>Migration</strong> völlig vorbei. Dementsprechend fällt auch die Lösung aus,<br />

es wird die illegale <strong>Migration</strong> bekämpft <strong>und</strong> nicht ihre Ursachen. Dadurch<br />

wird das Problem nicht gelöst, sondern es entstehen noch weitere. Die Lösung<br />

des vermeintlichen Konfliktes wird zum Problem. Denn die verschärften<br />

Grenzkontrollen führen zu einem weiteren Ansteigen der illegalen <strong>Migration</strong><br />

<strong>und</strong> noch größeren Ausbeutungen <strong>und</strong> Abhängigkeiten der Fliehenden<br />

von den Schleppern.<br />

Die Folge ist, dass illegale <strong>Migration</strong> noch größere Ausmaße – <strong>und</strong> das<br />

schon seit Jahren – annimmt. Die (wieder falsche) Antwort auf den Konflikt<br />

ist: Weitere Kontrolle <strong>und</strong> Maßnahmen gegen illegale <strong>Migration</strong> (ein Teufelskreis).<br />

Dies ist ein Beispiel aus dem politischen Feld, zeigt aber sehr typisch, was passiert,<br />

wenn der Konflikt nicht adäquat (angemessen) analysiert wird bzw. aus verschiedenen<br />

Interessenslagen (Lobbys, Exekutive, Politik) heraus missbraucht<br />

wird. Dadurch kommt es zu völlig falschen Lösungen, die selbst zum Problem beitragen.<br />

Im folgenden zählen wir einige Konfliktmotive auf:<br />

Sachverhaltskonflikte:<br />

Hier geht es um unterschiedliche Informationen/Auffassungen/Bewertungen von<br />

Ereignissen. Diese Bewertung ist aber sehr stark von den familiären, geschlechtlichen,<br />

kulturellen, schichtspezifischen Faktoren geprägt.<br />

Interessenskonflikte:<br />

Konkurrenz von verschiedenen Interessen. Es spielt hier keine Rolle, ob die Interessen<br />

wirklich bestanden haben oder nicht, wichtig ist, dass Gruppen bzw. Teile<br />

von Gruppen versuchen, ihre Interessen durchzusetzen.<br />

Beziehungskonflikte:<br />

Entstehen oft durch unterschiedliche Interessen <strong>und</strong> unterschiedliche Wahrnehmungen<br />

sowie Interpretationen von Verhalten. Fehlende Kommunikation <strong>und</strong> das<br />

Nicht-Austragen von Konflikten sind Merkmale der Konfliktdynamik.<br />

Wertekonflikte:<br />

Beziehen sich auf immaterielle Wünsche <strong>und</strong> Vorstellungen (Anerkennung, Ruhm,<br />

Ehre, Überzeugungen, Werte, ...). Diese sind für Einzelpersonen wichtig, aber auch<br />

für die gemeinsamen oder kulturellen Normen einer Gruppe, die zwar individuell<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 77


Ausdruck finden, aber sich doch auf kollektive <strong>und</strong> kulturelle Normen <strong>und</strong> Maßstäbe<br />

beziehen. Hier spielen verschiedene Kriterien zur Bewertung von Ideen <strong>und</strong><br />

Verhalten eine Rolle, es spielen aber auch Vorstellungen von Gesellschaft <strong>und</strong> Aufgaben<br />

in der Gesellschaft eine wichtige Rolle.<br />

Eine Steigerung auf kollektiver Ebene von Wertekonflikten sind die Identitätskonflikte,<br />

die die Gesamtheit der Wertvorstellungen von Gruppen <strong>und</strong> den darin handelnden<br />

Personen betreffen können.<br />

Eine weitere Steigerung wird oft durch Weltanschauungs-Glaubenskonflikte erzielt<br />

<strong>und</strong> spielt sich zumeist im makro-politischen Bereich ab. Die weltpolitischen<br />

Tendenzen der letzten Jahre tragen immer stärker den Charakter eines Glaubenskonfliktes<br />

(Christentum – Islam).<br />

9.2. Konfliktverhalten<br />

Unser Konfliktverhalten hängt von verschiedenen Faktoren ab:<br />

Konflikte<br />

Zeit<br />

Zeit ist die bedeutsamste Größe im Umgang mit Konflikten. Sie tritt in den Dimensionen<br />

Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft in Erscheinung. Der Konflikt entsteht<br />

in der Vergangenheit, in der Gegenwart wird er verarbeitet. Je nach Lösungsversuchen<br />

sind die Auswirkungen mehr oder weniger in der Zukunft spürbar. Je länger<br />

Konflikte ungelöst bleiben bzw. sich durch falsche Lösungsversuche dynamisieren<br />

<strong>und</strong> weitere Konflikte hinzukommen, desto länger wird auch die tatsächliche Lösung<br />

dauern. Der nahezu immer aktuelle israelisch-palästinensische Konflikt ist<br />

dafür sehr typisch.<br />

Emotion<br />

Emotionen sind der Motor von Konflikten. Überwiegt die emotionale Betroffenheit,<br />

reduziert sich der rationale (vernunftgeleitete) Einfluß entsprechend. Während<br />

der verschiedenen Stadien von Konfliktlösungsversuchen gibt es Höhen <strong>und</strong><br />

Tiefen, Siege <strong>und</strong> Niederlagen, Asymmetrien. Emotionen sind situationsabhängig.<br />

Sie werden von der Umwelt (Konfliktumgebung) beeinflusst <strong>und</strong> wirken umgekehrt<br />

auch auf sie ein.<br />

Bezug<br />

Es macht einen Unterschied, ob der Konflikt am Arbeitsplatz entstanden ist oder<br />

in der Familie. Es gibt immer einen Bezug zu einem bestimmten Lebensbereich.<br />

Jeder Lebensbereich weist spezifische Bedingungen <strong>und</strong> Strukturen auf, die den<br />

Konfliktverlauf prägen können.<br />

System<br />

Auch äußere Einflüsse wirken auf den Konfliktverlauf. Wir haben es oft auch mit<br />

Verschleierung von Konflikten zu tun. Gerade im interkulturellen Kontext werden<br />

etwa handfeste ökonomische <strong>und</strong> soziale Interessenskonflikte durch einen vermeintlichen<br />

Kulturkonflikt verschleiert. Dementsprechend werden dann auch völlig<br />

unterschiedliche Lösungsansätze gewählt, die erfolgreich oder nicht erfolgreich<br />

sind (siehe auch „Konfliktanalyse“, Seite 71).<br />

Verhaltensmuster<br />

Auf der Basis unseres Temperamentes, des Charakters, unserer schichtspezifischen,<br />

kulturellen <strong>und</strong> familiären Lebensumstände <strong>und</strong> den daraus resultierenden<br />

Lebenserfahrungen prägen sich unsere unterschiedlichen Verhaltensmuster aus.<br />

Jeder Mensch neigt dazu, in bestimmten Situationen auf eine bestimmte Art <strong>und</strong><br />

Weise zu reagieren. Er/sie folgt einem vorgegebenen Muster.<br />

78 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Konflikte<br />

„Angelika ist sehr jähzornig, sei vorsichtig, dass du sie nicht unterbrichst.<br />

Sie wird dich sonst anbrüllen“.<br />

Der/die CholerikerIn (reizbarer, jähzorniger Mensch) reagiert unter Stress<br />

anders als der Phlegmatiker (ruhiger, langsamer, schwerfälliger Mensch).<br />

„Bernd dagegen kann nichts aus der Ruhe bringen, selbst wenn er einen<br />

Streit mit seinem Chef hatte, bleibt er ganz ruhig“.<br />

9.3. Wie gehen wir mit Konflikten um?<br />

Die Kenntnis dieser Verhaltensmuster bildet somit eine weitere wichtige Voraussetzung<br />

in der Konfliktbewältigung. Das Wissen, wie Menschen in bestimmten Situationen<br />

<strong>und</strong> Lebenslagen reagieren, erlaubt das Ergreifen von entsprechenden<br />

(Gegen-)Maßmahmen.<br />

Z. B. bevorzugen Menschen, die zur Aggression neigen, die Anklage als<br />

Strategie.<br />

Virginia Satir, eine amerikanische Familientherapeutin, unterschied vier Kommunikationsmuster,<br />

die bei Konfliktsituationen immer wieder festzustellen sind:<br />

�Beschwichtigen (placate)<br />

�Anklagen (blame)<br />

�Rationalisieren (compute)<br />

�Ablenken (distract)<br />

Je weniger wir nachdenken, je mehr Gefühl wir in einen Konflikt legen, desto stärker<br />

werden uns erlernte <strong>und</strong> erprobte Muster gefangen halten <strong>und</strong> unsere Sicht<br />

auf Lösungen <strong>und</strong> Strategien behindern. Wir verfallen in bekannte Muster, die<br />

auch beim Gegenüber in einem Konflikt oft vorhanden sind <strong>und</strong> sich gegenseitig<br />

bedingen <strong>und</strong> aufschaukeln. So sind etwa Beziehungsmuster bei Paaren, die<br />

schon sehr lange miteinander leben, beobachtbar. Ein Wort ergibt das andere,<br />

eine Geste folgt auf die andere. Der Ausgang des Prozesses ist vorhersehbar: Auf<br />

einen Angriff folgt ein Gegenangriff, ein Wort ergibt das andere. Am Ende steht oft<br />

Schweigen.<br />

Viele Kommunikationsprobleme können erst dann von den Beteiligten durchschaut<br />

<strong>und</strong> gelöst werden, wenn sie aus dem eingefahrenen System heraustreten<br />

<strong>und</strong> über ihre Art, miteinander zu reden, sprechen („Meta-Kommunikation“).<br />

Um solchen immer wiederkehrenden Kommunikationsformen, die besonders bei<br />

Konflikten deutlich zu Tage treten, zu entkommen, sind Hilfestellungen Dritter oft<br />

sehr hilfreich. Das kann ein/e MediatorIn sein, aber auch ein/e BeraterIn, TherapeutIn<br />

oder andere Fachkräfte. Es gibt auch für Paare gezielte familientherapeutische<br />

<strong>und</strong> paartherapeutische Einrichtungen <strong>und</strong> Angebote.<br />

Insoferne kann jede/r von uns etwas dazu tun, Konflikte besser bewältigen zu lernen.<br />

Einige Hinweise wurden zuvor schon gegeben. Durch gezielte Selbsterfahrung<br />

kann man auch viel darüber lernen, wie man sich selbst in Konflikten oder<br />

Stresssituationen verhält <strong>und</strong> darauf reagiert. Hilfe von ExpertInnen ist nichts<br />

Schlechtes – im Gegenteil. Die Erfahrung durch ExpertInnen an der Lösung eines<br />

Konfliktes teilgenommen zu haben, stärkt nicht nur das Selbstbewusstsein sondern<br />

auch die Kompetenzen des Einzelnen. Daher ist Konfliktfähigkeit trainierbar.<br />

Ein wichtiger Hinweis: Je früher Konflikte behandelt <strong>und</strong> damit zum Thema gemacht<br />

werden, desto leichter sind sie zu lösen.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 79


Zumeist sind Konflikte, die sich noch auf einer niedrigen Stufe befinden, in Eigenregie<br />

lösbar. Konflikte, die verschleppt werden, brauchen immer mehr Aufwand<br />

<strong>und</strong> Einsatz.<br />

9.4. Interkulturelle Konflikte<br />

Konflikte<br />

Ein Konflikt zwischen Menschen <strong>und</strong> Gruppen unterschiedlicher nationaler/kultureller/religiöser<br />

Herkunft ist nicht automatisch ein interkultureller Konflikt, dennoch<br />

werden solche Konflikte häufig so interpretiert.<br />

Ein interkultureller Konflikt besteht nur dann, wenn die Unterschiede im Verhalten<br />

der Konfliktparteien – im Konflikt <strong>und</strong> bei der Bearbeitung des Konflikts – auf die<br />

unterschiedlichen Werte <strong>und</strong> Normen der Kulturen zurückzuführen sind.<br />

Interkulturelle Situationen, also das Zusammentreffen von Menschen unterschiedlichen<br />

kulturellen Hintergr<strong>und</strong>s, sind nicht konfliktträchtiger als andere Situationen<br />

auch.<br />

Interkulturelle Kompetenz bedeutet unter anderem, ethnisch-kulturelle von anderen<br />

Ursachen für Konflikte unterscheiden zu können.<br />

Beispiel für einen interkulturellen Konflikt:<br />

Eine türkische Familie verweigert einem Heizungsableser den Zutritt zu ihrer<br />

Wohnung, weil er die Schuhe nicht ausziehen will. Die Zimmer würden<br />

auch als Gebetsraum benützt – <strong>und</strong> die dürften laut islamischen Recht nur<br />

in Socken betreten werden, so die Argumentation der Familie.<br />

80 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Projekte im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich<br />

10. Projekte im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich<br />

Die offizielle österreichische <strong>Migration</strong>sdoktrin lautet: Österreich ist kein Einwanderungsland.<br />

Bedingt durch diese Haltung, die sich nicht nur in der Politik,<br />

sondern in nahezu allen Bereichen des privaten <strong>und</strong> öffentlichen Lebens widerspiegelt,<br />

stehen in Österreich interkulturelle Öffnungsprozesse von Politik, Verwaltung<br />

<strong>und</strong> Wirtschaft erst am Beginn.<br />

So werden mehr als zehn Prozent der Bevölkerung, nämlich Menschen, die MigrantInnen<br />

sind bzw. Personen, die einen <strong>Migration</strong>shintergr<strong>und</strong> aufweisen <strong>und</strong><br />

daher mit ähnlichen <strong>und</strong>/oder gleichen Zugangsbarrieren konfrontiert sind, von<br />

wesentlichen Elementen der Gesellschaft – wie etwa Beteiligung, Politik, Verwaltung,<br />

Dienstleistungen u. a. – ausgeschlossen. Das gilt natürlich auch für das komplexe<br />

österreichische <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem.<br />

Die modernen <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssysteme zeichnen sich nicht gerade durch Mitbestimmungsmöglichkeiten<br />

für alle Betroffenen aus. MigrantInnen sind in diesem System<br />

besonders benachteiligt: Sie sind jedenfalls keine „Normpatienten“ <strong>und</strong> werden<br />

daher rasch als „schwierig“ eingestuft. Sie laufen ständig Gefahr, aus dem Regelsystem<br />

ausgeschlossen zu werden.<br />

Es fehlt an Verständigungsmöglichkeiten <strong>und</strong> an kulturspezifischer Sensibilisierung,<br />

die es MigrantInnen ermöglichen würde, Zugang zum System zu finden.<br />

In den letzten Jahren sind in Österreich einige Versuche unternommen worden,<br />

das <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem für MigrantInnen zu öffnen <strong>und</strong> durchlässiger zu gestalten.<br />

Auffällig dabei ist, dass die meisten Initiativen nicht unmittelbar aus dem <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich<br />

selbst – also den großen <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>strägern (Spitäler, ...) – angeregt<br />

worden sind, sondern viel eher von „externen“ privaten NGOs (Non Governmental<br />

Organisations) entwickelt <strong>und</strong> durchgeführt worden sind.<br />

Zumeist entstanden solche Projekte aufgr<strong>und</strong> der direkten Betroffenheit <strong>und</strong> den<br />

konkreten Erfahrungen von MigrantInnen <strong>und</strong>/oder durch konkrete Problemstellungen<br />

bei ärztlicher oder stationären Behandlung.<br />

Im Gegensatz zu Österreich gibt es in anderen Ländern – etwa in Holland – zahlreiche<br />

Maßnahmen, die von den <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>seinrichtungen <strong>und</strong> Behörden selbst initiiert<br />

wurden, wohl auch deswegen, weil das Problembewußtsein in anderen Ländern<br />

wesentlich ausgeprägter ist. Das hat aber auch mit einem anderen Selbstverständnis<br />

von Behörden <strong>und</strong> Angestellten in Organisationen zu tun.<br />

In Österreich griffen mittlerweile Initiativen das Sprachproblem auf, etwa durch<br />

Versuche in Wien, Dolmetschdienste (Begleitung) anzubieten. Damit wurde versucht,<br />

die sprachlichen Defizite <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Missverständnisse<br />

zwischen Personal, Arzt/Ärztin <strong>und</strong> PatientInnen in den Griff zu bekommen.<br />

Die meisten dieser Dienste orientieren sich aber daran, dass sich an der gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Struktur nichts Wesentliches verändert. Die MigrantInnen – als PatientInnen<br />

– können durch den angebotenen Dienst ihr vermeintliches Defizit (fehlende<br />

Sprache) so die generelle Position des <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbetriebes – beheben. Der<br />

innere Ablauf soll so wenig wie möglich gestört werden.<br />

10.1. Ausbildung zum/zur <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>smultiplikatorIn<br />

Das Verhältnis <strong>und</strong> die Kommunikation PatientIn – Arzt/Ärztin stellt einen maßgeblichen<br />

Faktor dar, der für erfolgreiche ges<strong>und</strong>heitsfördernde Maßnahmen <strong>und</strong><br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 81


Projekte im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich<br />

medizinisch-therapeutische Behandlungen ausschlaggebend ist. Wenn diese Ebene<br />

gestört ist – <strong>und</strong> im Verhältnis MigrantIn – <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem sind oft Störungen<br />

festzustellen (siehe auch Kapitel Kommunikation <strong>und</strong> Kultur, Seite 62), dann<br />

fehlt eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche ges<strong>und</strong>heitliche Intervention.<br />

Dabei ist das Sprachproblem das zwar auffälligste <strong>und</strong> am leichtesten zu beobachtende<br />

Störfeld, jedoch bei weitem nicht das einzige <strong>und</strong> ausschlaggebendste.<br />

Sehr unterschiedliche Vorstellungen von <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>/Krankheit, kulturspezifische,<br />

religiöse Verhaltensweisen, mangelndes Wissen beider Seiten über den/die Anderen,<br />

fehlendes Vertrauen, fehlende strukturelle Anpassungen an die neue KlientInnengruppe,<br />

falsche <strong>und</strong>/oder ungenügende Informationen sind mindestens genauso<br />

wichtige Faktoren.<br />

Ein wesentliches Problem, das im Rahmen der mittlerweile 15-jährigen Arbeit von<br />

ZEBRA immer wieder auftauchte, war die Tatsache, dass erheblicher Aufwand<br />

notwendig ist, damit MigrantInnen zu den entsprechenden <strong>und</strong> für sie richtigen<br />

<strong>und</strong> notwendigen Informationen gelangen, die es ihnen ermöglichen, die verschiedenen<br />

Einrichtungen des <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>swesens zu nützen.<br />

An dieser Schnittstelle zwischen <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>seinrichtungen <strong>und</strong> MigrantInnen ist<br />

Kommunikations- <strong>und</strong> Vermittlungsarbeit nötig.<br />

1997 wurde daher von ZEBRA das Projekt „AusländerInnen als <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>smultiplikatorInnen“<br />

gestartet. Ziel war es, MigrantInnen <strong>und</strong> Flüchtlingen den<br />

Zugang zum österreichischen <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem zu erleichtern.<br />

MigrantInnen, die ein ges<strong>und</strong>heitliches Problem zu bewältigen haben, brauchen<br />

nicht immer einen (fach-)ärztlichen Rat oder gleich eine Untersuchung, sondern<br />

oft den Austausch auf „gleicher Ebene“ mit einer/m Vertrauten, Bekannten,<br />

Fre<strong>und</strong>In. Oftmals ist ja das Ziel auch ein präventiver Gedanke bzw. das Erreichen<br />

einer Verhaltensänderung.<br />

Auf dieser Tatsache basiert die Schulung von „Peers“ (Gleiche unter Gleichen),<br />

die dazu führen soll, dass der geschulte Peer, neben der vertraulichen <strong>und</strong><br />

persönlichen Ebene auch einen fachlichen Input (Rat) für den/die Hilfesuchende/n<br />

leisten kann.<br />

So beraten ist die Erfolgsaussicht auf Haltungsänderung, Besuch des Arztes/der<br />

Ärztin, Therapieaufnahme usw. wesentlich öfter gegeben, als würden die Perso-<br />

82 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Projekte im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich<br />

nen lediglich zu einem Arzt/einer Ärztin gehen, der/die oftmals nur ungenügend<br />

Zeit <strong>und</strong> zu wenig Hintergr<strong>und</strong>wissen zur spezifischen Situation des Patienten, der<br />

Patientin besitzt.<br />

10.1.1. MultiplikatorInnen<br />

Peers fungieren auch als MultiplikatorInnen, als Personen, die Informationsaustausch<br />

herstellen. Sie sind ein Knotenpunkt zwischen MigrantInnen <strong>und</strong> dem <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem.<br />

Sie bieten Hilfestellung für Leute aus ihrer Gruppe an. Sie werden<br />

direkt in ihrem eigenen Umfeld tätig, treten mit Menschen in Kontakt <strong>und</strong> informieren<br />

diese über Unterstützungsangebote. Sie wenden sich auch verstärkt an<br />

Personen, die Unterstützung brauchen <strong>und</strong> aus verschiedensten Gründen nicht<br />

selbst Hilfsangebote in Anspruch nehmen.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>smultiplikatorInnen richten ihren Blick vor allem auf die eigene, oft<br />

ethnische oder sprachliche Gruppe. Sie sind im Bereich der <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sförderung<br />

<strong>und</strong> Prävention tätig.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> wird hier sehr umfassend in Anlehnung an die WHO-Definition verstanden.<br />

Der psychosoziale Bereich hat in diesem Zusammenhang eine wichtige Bedeutung.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>smultiplikatorInnen werden speziell geschult, um mit dieser Aufgabe<br />

umgehen zu können.<br />

Begriffe, die synonym (gleichbedeutend) verwendet werden:<br />

MultiplikatorInnen = „Linkworker“<br />

Eigene Gruppe = „Peer Group“<br />

10.1.2. Aufgaben der MultiplikatorInnen<br />

MultiplikatorInnen sind oft die ersten, die von Problemen <strong>und</strong> Schwierigkeiten in<br />

ihrer Gruppe erfahren. Ihre Aufgabe ist es, Unterstützung anzubieten, Möglichkeiten<br />

der Hilfe aufzuzeigen, zur Diskussion anzuregen, Informationen zu geben <strong>und</strong><br />

Anreize für die Inanspruchnahme von Unterstützung im Sinne von sozialen <strong>und</strong><br />

ges<strong>und</strong>heitsspezifischen Diensten zu schaffen.<br />

MultiplikatorInnen sorgen für Kommunikation. Sie geben Informationen darüber,<br />

wo Hilfe zu spezifischen Problemen zu bekommen ist, sie machen Vermittlungstätigkeiten<br />

<strong>und</strong> begleiten auch zu Einrichtungen um die Schwellenangst zu nehmen.<br />

Das Selbstverständnis des Multiplikators/der Multiplikatorin spielt eine zentrale<br />

Rolle. Seine/Ihre Aufgabe besteht weniger darin, professionelle Hilfe anzubieten<br />

<strong>und</strong> für alles eine Lösung zu haben, sondern dabei zu unterstützen <strong>und</strong> zu ermutigen,<br />

selbst aktiv zu werden <strong>und</strong> die ihm bekannten Netzwerke zu aktivieren <strong>und</strong><br />

zu nützen.<br />

MultiplikatorInnen sind geschulte Laien, die unter anderem aufgr<strong>und</strong> ihres sozialen<br />

Status in der Gruppe (Anerkennung, Funktion) ausgewählt wurden <strong>und</strong> als<br />

„KommunikatorInnen“ zwischen System <strong>und</strong> den Mitgliedern ihrer Gruppe tätig<br />

werden sollen.<br />

Ihre Stärken sind die eigenen persönlichen <strong>und</strong> familiären Netzwerke, die zur Verbreitung<br />

von Informationen, Unterstützung bei ges<strong>und</strong>heitlichen Problemen genützt<br />

werden.<br />

Damit sollen sie auch als Begleitpersonen, OrganisatorInnen von Informationsveranstaltungen<br />

im kleinen Kreis auftreten. Die MultiplikatorInnen stellen im Rahmen<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 83


des Systems ein niedrigschwelliges Kommunikations- <strong>und</strong> Informationsweitergabesystem<br />

dar.<br />

Um diese Aufgabe erfüllen zu können, werden die TeilnehmerInnen in einem<br />

mehrmonatigen Kurs geschult.<br />

10.1.3. Schulungsprogramm<br />

Seit 1997 wurden mittlerweile drei Schulungen von ZEBRA durchgeführt. Im Rahmen<br />

dieser Schulungen wurden insgesamt 44 MigrantInnen zu MultiplikatorInnen<br />

ausgebildet. Die TeilnehmerInnen an dem Schulungsprogramm stammten aus insgesamt<br />

18 verschiedenen Ländern. Das Ausbildungsprogramm wurde in Frauen<strong>und</strong><br />

Männergruppen durchgeführt. Insgesamt nahmen 23 Frauen <strong>und</strong> 21 Männer<br />

daran teil.<br />

Die Kursdauer betrug 4 - 6 Monate, wobei die Schulungseinheiten immer einmal<br />

wöchentlich stattfanden. Neben den Schulungen hatten die TeilnehmerInnen<br />

auch Praktika in Sozial- <strong>und</strong> <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>seinrichtungen zu absolvieren.<br />

Inhalte der Schulung<br />

Die Schulung umfasste folgende Themenblöcke:<br />

�Österreichisches <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem<br />

�Familie <strong>und</strong> Familiensystem<br />

�Arbeitswelt<br />

�<strong>Migration</strong>, Exil <strong>und</strong> Trauma<br />

�Kultur <strong>und</strong> biografische Zugänge<br />

�Infektionskrankheiten/ Aids-HIV<br />

�Ernährung<br />

�Schwangerschaft <strong>und</strong> Geburt, Kinder <strong>und</strong> Erziehungsfragen<br />

�Sucht <strong>und</strong> Drogen<br />

�Arbeit als MultiplikatorIn, Methoden, Netzwerkarbeit<br />

�Präventionsarbeit <strong>und</strong> <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sförderung<br />

�Praxis/Intervision<br />

Projekte im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich<br />

Die TeilnehmerInnen erhielten ein Zertifikat (Abschlussbestätigung) über die Teilnahme<br />

an dem Schulungsprogramm. Der Abschluss bestand aus der notwendigen<br />

Mindestteilnahme (2/3), aus der Absolvierung der Praktika, aus der Beschreibung<br />

<strong>und</strong> Reflexion eines konkreten Falles <strong>und</strong> einem Referat über einen der<br />

Schulungsinhalte.<br />

Zumindest für Österreich war <strong>und</strong> ist das Konzept der Schulung von MigrantInnen<br />

zu <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>smultiplikatorInnen als neu <strong>und</strong> innovativ zu bezeichnen. Möglich<br />

gemacht wurden die Umsetzungen durch den Fonds Ges<strong>und</strong>es Österreich (FGÖ),<br />

durch das Land Steiermark, durch den Europäischen Flüchtlingsfonds (EFF) <strong>und</strong><br />

das damalige B<strong>und</strong>esministerium für Arbeit, <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> Soziales.<br />

Im September 2000 erhielt der Verein ZEBRA für die Konzeption (Entwicklung) <strong>und</strong><br />

Durchführung des Projektes den 2. Europäischen <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>spreis.<br />

10.2. Weiterbildung zum/zur <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentIn<br />

Die Weiterbildung zum/zur <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentIn stellt eine zweite, fortbildende<br />

Stufe zur MultiplikatorInnenschulung dar. An der Schulung nehmen Personen teil,<br />

die die MultiplikatorInnenausbildung bzw. ein ähnliches Schulungsprogramm in<br />

einer anderen Organisation bereits absolviert haben bzw. die im ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Bereich Ausbildungen <strong>und</strong>/oder Erfahrungen vorweisen können.<br />

84 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Projekte im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich<br />

Der/die <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentIn ist nicht mehr ausschließlich als niedrigschwelliger<br />

„Link Worker“ tätig, sondern soll in den verschiedenen <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sinstitutionen<br />

als ReferentIn <strong>und</strong> BeraterIn auftreten.<br />

Dabei gibt es verschiedene mögliche Tätigkeitsbereiche. Diese können Dolmetsch-<br />

<strong>und</strong> Vermittlungsarbeiten einschließen, Bildungsarbeit, wie das Organisieren<br />

<strong>und</strong> Veranstalten von Vorträgen, Referaten, kleinen Tagungen, Seminaren,<br />

etc. Sie können auch konkrete Lösungen von anstehenden Problemen im Alltag<br />

umfassen.<br />

Daneben ist es erforderlich, das Netz an <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>seinrichtungen, mit denen es<br />

bereits Kontakte gibt, auszubauen <strong>und</strong> zu erweitern.<br />

10.2.1. <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentInnen<br />

Das Ziel der <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentInnen ist nicht mehr ausschließlich die Arbeit mit<br />

der eigenen Herkunftsgruppe sondern vielmehr die Vernetzung der MigrantInnengruppe<br />

mit MitarbeiterInnen <strong>und</strong> Führungskräften von verschiedenen Institutionen<br />

<strong>und</strong> Organisationen (<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich).<br />

Damit ist gemeint, Einrichtungen, Institutionen <strong>und</strong> Behörden, die mit MigrantInnen<br />

<strong>und</strong> Flüchtlingen entweder als Beteiligte oder als K<strong>und</strong>Innen konfrontiert<br />

sind, zu sensibilisieren (aufmerksam machen) <strong>und</strong> eine interkulturelle Öffnung<br />

der verschiedenen Einrichtungen vorzubereiten <strong>und</strong> gemeinsam zu entwickeln.<br />

Als Zielgruppen für einen derartigen Prozess sind Beratungsstellen, sozialmedizinische<br />

Zentren, verschiedene <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>s- <strong>und</strong> Sozialeinrichtungen, Ausbildungslehrgänge<br />

im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich ebenso wie etwa behördliche Einrichtungen<br />

zu nennen.<br />

10.2.2. Aufgaben des/der <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentIn<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentInnen nehmen ihre Aufgaben als MultiplikatorInnen nach wie<br />

vor wahr, jedoch treten sie auch stärker als bisher mit <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>seinrichtungen<br />

in Kontakt. Sie versuchen, gemeinsam mit den Organisationen Lösungen zu finden,<br />

wie MigrantInnen besser versorgt werden können.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentInnen verallgemeinern, d. h. sie versuchen Lösungen anzuregen,<br />

die nicht nur für einen „Kollegen, eine Kollegin“ gegolten hat, sondern auch<br />

für Andere gültig sein könnte.<br />

Die <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentInnen sollen im institutionellen <strong>und</strong> strukturellen Rahmen<br />

tätig werden. Sie sollen als ReferentInnen, KommunikatorInnen bzw. als VermittlerInnen<br />

auftreten.<br />

Die Ausgebildeten sind in kulturellen Fragen Fachleute. Sie können kulturelle Differenzen<br />

aufzeigen, erklären <strong>und</strong> so für ein besseres Funktionieren der Zusammenarbeit<br />

wirken.<br />

Ihre Aufgabe soll weniger ein etwaiges – sicher oft notwendiges – Sprachvermitteln,<br />

sondern vielmehr eine Mittlerposition zwischen den vielfältigen Missverständnismöglichkeiten<br />

sein, die es gibt, wenn Menschen aus verschiedenen, politischen<br />

<strong>und</strong> ethnischen Gruppen, ökonomischen <strong>und</strong> sozialen Schichten <strong>und</strong> aus<br />

verschiedenen Regionen <strong>und</strong> Religionen sowie verschiedenen Geschlechts aufeinandertreffen.<br />

Auf lange Sicht soll somit eine Verständigung <strong>und</strong> Sensibilisierung erfolgen, die in<br />

weiterer Folge auch eine interkulturelle Öffnung von Organisationen <strong>und</strong> Einrichtungen<br />

zum Ziel hat.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 85


Die Einrichtungen sollen durch die <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentInnen Informationen über<br />

die Situation <strong>und</strong> die Bedürfnisse der MigrantInnen, AsylwerberInnen <strong>und</strong> Flüchtlinge,<br />

über kulturspezifische Hintergründe, über <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssysteme in den Herkunftsländern,<br />

über Rituale, traditionelle Heilungsmethoden, Familiensysteme<br />

etc. erhalten.<br />

10.2.3. Schulung<br />

Die Schulung umfasst folgende Themenblöcke:<br />

�Einführung, Gruppenprozesse, -dynamik<br />

�Dolmetschen im interkulturellen Kontext <strong>und</strong> interkulturelle Kommunikation<br />

�Konflikt <strong>und</strong> Konfliktdynamik im interkulturellen Kontext<br />

�<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssysteme – <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sförderung<br />

�Schwierige PatientInnen <strong>und</strong> präventive Maßnahmen<br />

�Gewaltprävention<br />

�Netzwerkkompetenzen, Analyse- <strong>und</strong> Reflexionskompetenz<br />

�Praktikum/Intervision<br />

10.3. Interkulturelle Öffnung<br />

Der Begriff der interkulturellen Öffnung wird in den letzten Jahren immer stärker<br />

für einen langsamen aber fortschreitenden Wandel der Gesellschaften verwendet.<br />

Gr<strong>und</strong>voraussetzung dafür ist das Wahrnehmen <strong>und</strong> Akzeptieren von Zuwanderung<br />

<strong>und</strong> <strong>Migration</strong> als nicht nur kurzfristiges Merkmal der Gesellschaften sondern<br />

als dauerhaften Veränderungsprozess. Daher wäre als wichtige Gr<strong>und</strong>voraussetzung<br />

für eine Interkulturelle Öffnung das Prinzip zu nennen:<br />

Österreich ist ein Einwanderungsland.<br />

Projekte im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich<br />

Damit würde auch eine Normalisierung des Themas einhergehen, nämlich, dass<br />

<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> <strong>Migration</strong>shintergründe nicht als Ausnahme <strong>und</strong> Extremfälle gedeutet<br />

werden.<br />

Bei interkultureller Öffnung geht es darum, dass die österreichischen Regeleinrichtungen,<br />

Institutionen <strong>und</strong> Organisationen sich dem tatsächlichen Zustand der<br />

Gesellschaft anpassen <strong>und</strong> dementsprechend öffnen. Das heißt, dass diese in der<br />

Lage sind, geeignete Angebote zu erstellen, die es ermöglichen, ihr potenzielles<br />

Klientel, zu dem auch MigrantInnen zählen, zu erreichen <strong>und</strong> deren Bedürfnissen<br />

gerecht zu werden.<br />

Dort wo dies per Gesetz möglich ist, sollen MigrantInnen als MitarbeiterInnen in<br />

die Institution geholt werden, um dies zu fördern <strong>und</strong> deren Qualifikationen <strong>und</strong><br />

spezifischen Fähigkeit für die jeweilige Organisation nutzbar zu machen.<br />

Edith Glanzer, Soziologin, Sozialmanagerin <strong>und</strong> Geschäftsführerin von ZEBRA beschreibt,<br />

wie <strong>und</strong> auf welchen Ebenen interkulturelle Öffnung vor sich gehen sollte:<br />

Drei Veränderungspotenziale finden sich, die eine Öffnung der Regeleinrichtungen<br />

für MigrantInnen fördern.<br />

Diese sind auf<br />

�der Ebene der MitarbeiterInnen (Sensibilisierungstrainings, Erhöhung der Interkulturellen<br />

Kompetenz, ...)<br />

�der Ebene der Angebote <strong>und</strong> der Strukturen der Einrichtungen <strong>und</strong><br />

�der Ebene der Leitlinie <strong>und</strong> politischen Mission der Organisation.<br />

86 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Projekte im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich<br />

Wichtig ist noch zu erwähnen, dass Interkulturelle Öffnung eben nicht als Sonderprogramm<br />

verstanden werden soll, sondern als Teil einer öffentlichen <strong>und</strong> politischen<br />

Gesamtstrategie in Institutionen. War man früher bemüht, für AusländerInnen<br />

Sonderprogramme <strong>und</strong> vom „Normalen“ abweichende, eigene Strukturen<br />

(Ausländerreferat) zu schaffen, so geht Interkulturelle Öffnung davon aus, dass die<br />

Angebote (etwa im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich) so angepasst sein müssen, dass sie auch<br />

auf die Bedürfnisse von MigrantInnen eingehen können.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 87


11. ZEBRA<br />

11.1. Zur Geschichte<br />

Den Verein ZEBRA – Zentrum zur sozialmedizinischen, rechtlichen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Betreuung von Ausländern <strong>und</strong> Ausländerinnen in Österreich, gibt es seit 1986 in<br />

Graz.<br />

Die Gründerväter <strong>und</strong> -mütter der Organisation waren durchwegs engagierte ehrenamtliche<br />

MitarbeiterInnen bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty<br />

International (AI). AI ist als Hilfsorganisation für politische Gefangene in London<br />

gegründet worden <strong>und</strong> hat sich als eine der wichtigsten weltumspannenden<br />

Menschenrechtsorganisationen etabliert, die wesentlich am Kampf gegen Folter,<br />

unmenschliche Behandlung <strong>und</strong> politische Gewalt beteiligt war <strong>und</strong> ist.<br />

AI hat ein wichtiges Prinzip, nämlich nicht im eigenen Heimatland tätig zu werden,<br />

sondern Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern aufzuzeigen. Für die<br />

damals engagierten AI MitarbeiterInnen, die hauptsächlich aus Mitgliedern einer<br />

AI-Ärzte- <strong>und</strong> Ärztinnengruppe bestanden, stand jedoch Österreich im Mittelpunkt<br />

ihres Engagements.<br />

Sie wollten die Einhaltung der Menschenrechte in Österreich verbessern. Dabei<br />

stand vor allem das Schicksal von Flüchtlingen <strong>und</strong> AsylwerberInnen im Vordergr<strong>und</strong>.<br />

11.2. Die Pionierphase<br />

ZEBRA<br />

Daraus entwickelte sich ein eigener Verein (1986) der sich auch zum Ziel setzte,<br />

ein Zentrum aufzubauen, das Überlebende von politischer Gewalt umfassend, sozial,<br />

medizinisch <strong>und</strong> therapeutisch betreut (Folteropferrehabilitationszentrum).<br />

ZEBRA gründete sich als von Regierungen, von Parteien oder kirchlichen Gemeinschaften<br />

unabhängiger Verein, der ausschließlich seinen Prinzipien <strong>und</strong> den dazu<br />

gehörigen Konzepten verpflichtet ist.<br />

1987 entwickelte sich der Verein weiter, die Arbeit begann. Mithilfe von Subventionen<br />

der Stadt Graz <strong>und</strong> des Arbeitsmarktservice’ (AMS) konnte die Beratungstätigkeit<br />

aufgenommen, ein Büro eingerichtet <strong>und</strong> ein Angestellter beschäftigt<br />

werden.<br />

Bald wurde deutlich, dass es für die Unterstützungs- <strong>und</strong> Beratungsarbeit des<br />

noch jungen Vereins großen Bedarf gab. Vor allem im Bereich der Unterbringung<br />

von Flüchtlingen <strong>und</strong> AsylwerberInnen bestanden große Probleme, ebenso wie in<br />

der Schubhaft. Schon damals gab es viele Flüchtlinge, die aufgr<strong>und</strong> der behördlichen<br />

Praxis vom Asylverfahren ausgeschlossen wurden <strong>und</strong> in Schubhaft gelangten.<br />

Seit damals bemüht sich ZEBRA, die Einhaltung der Menschenrechte für Flüchtlinge,<br />

AsylwerberInnen <strong>und</strong> MigrantInnen in Österreich durchzusetzen. Die oberste<br />

Leitlinie ist dabei die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Die Genfer<br />

Flüchtlingskonvention bildet eine weitere Gr<strong>und</strong>lage der Arbeit. Für ZEBRA gilt,<br />

deren Einhaltung zu sichern, <strong>und</strong> sie darüber hinaus zu erweitern, um die bestehenden<br />

Rechte für Flüchtlinge auszubauen <strong>und</strong> den Schutz auf bisher nicht berücksichtigte,<br />

schutzbedürftige Personengruppen zu erweitern.<br />

88 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


ZEBRA<br />

ZEBRA setzt sich zum Ziel, die Gleichbehandlung von ausländischen BürgerInnen<br />

<strong>und</strong> ÖsterreicherInnen zu fördern sowie Rassismus <strong>und</strong> Ausländerfeindlichkeit zu<br />

bekämpfen.<br />

11.3. Differenzierungsphase<br />

Der Verein wuchs <strong>und</strong> entwickelte sich, immer mehr Aufgaben <strong>und</strong> Bereiche kamen<br />

hinzu. Die Arbeit wurde professioneller <strong>und</strong> detailreicher.<br />

1990 entstand eine erste Kooperation mit dem AMS zur Beratung <strong>und</strong> Begleitung<br />

von ausländischen Arbeitskräften, die beim AMS Jobs suchten <strong>und</strong> durch ZEBRA<br />

betreut wurden (Rechtsberatung, Anspruchsklärung <strong>und</strong> Hilfe bei der Jobsuche).<br />

Diese mittlerweile langjährige Kooperation zwischen dem AMS (Behörde) <strong>und</strong> einer<br />

NGO (Private) besteht heute noch <strong>und</strong> kann als Vorzeigemodell herangezogen<br />

werden. Mittlerweile ist ZEBRA sogenannte Clearing Stelle (Erstanlaufstelle) für<br />

das Grazer AMS. Es besteht auch eine Kooperation mit dem Verein ISOP.<br />

Das ursprüngliche Ziel, das medizinisch-therapeutische Zentrum für politisch Verfolgte<br />

zu werden, konnte nicht gleich verwirklicht werden, dazu waren in Österreich<br />

zu viele Vorbedingungen noch nicht vorhanden <strong>und</strong> es fehlte das Geld.<br />

1992 gelang es ZEBRA aber erstmals, konkretere therapeutische Aktivitäten finanziert<br />

zu bekommen <strong>und</strong> es entstand so etwas wie eine <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sstelle. Der<br />

Krieg im ehemaligen Jugoslawien <strong>und</strong> die vielen in Österreich gestrandeten Opfer<br />

dieses Krieges bereiteten das Feld dafür auf. Es wurde – tragisch genug – deutlich,<br />

dass die Flüchtlinge nicht nur soziale, sondern auch therapeutische Hilfe benötigen,<br />

um die Erlebnisse bearbeiten zu können.<br />

Bis zum Jahr 2003 entwickelte sich der Verein langsam aber stetig weiter. Aufbauend<br />

auf den schon lange bestehenden Beratungsangeboten wurden immer wieder<br />

neue Projekte <strong>und</strong> Konzepte entwickelt <strong>und</strong> ausgebaut.<br />

So hat ZEBRA 1997 die schon erwähnten Ausbildungsprogramme für MigrantInnen<br />

(MultiplikatorInnenschulung) entwickelt <strong>und</strong> auch im psychotherapeutischen<br />

Bereich wurden neue Angebote erstellt.<br />

11.4. Zielgruppen<br />

Zielgruppen der Arbeit sind AsylwerberInnen <strong>und</strong> Konventionsflüchtlinge, Kriegsflüchtlinge,<br />

denen zeitweiliger Schutz in Österreich gewährt wird, darunter auch<br />

Personen, die Opfer von politischer Gewalt geworden sind (Vergewaltigung, unmenschliche<br />

Behandlungen, Folterungen), sowie ArbeitsmigrantInnen <strong>und</strong> deren<br />

Familienangehörige.<br />

11.5. Gr<strong>und</strong>sätze der Betreuungsarbeit<br />

Im Mittelpunkt von Beratung <strong>und</strong> Therapie stehen die Ressourcen (Fähigkeiten),<br />

die die KlientInnen selbst mitbringen. Diese sollen gestärkt <strong>und</strong> nutzbar gemacht<br />

werden.<br />

Die Beratungs- <strong>und</strong> Betreuungsarbeit des Vereins orientiert sich am Prinzip der<br />

Hilfe zur Selbsthilfe. Durch Beratung <strong>und</strong> Betreuung sollen die KlientInnen in die<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 89


Lage versetzt werden, selbstverantwortlich zu handeln <strong>und</strong> für ihre Angelegenheiten<br />

einzutreten.<br />

Das Team von ZEBRA setzt sich aus Menschen unterschiedlicher Berufsgruppen<br />

<strong>und</strong> Kulturkreise zusammen. Dadurch kann Beratung in verschiedenen Sprachen<br />

angeboten werden, <strong>und</strong> die MitarbeiterInnen haben ein umfangreiches Wissen<br />

über verschiedene Kulturen <strong>und</strong> Traditionen anderer Länder.<br />

11.6. Aktuelle Angebote<br />

ZEBRA<br />

Die Angebote von ZEBRA umfassen Beratung, Psychotherapie, Vermittlung in ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Belangen, Weiterbildung <strong>und</strong> externe Betreuung (Schubhaftbetreuung).<br />

Was die Beratung betrifft ist ZEBRA im Bereich Arbeit <strong>und</strong> bei rechtlichen <strong>und</strong> sozialen<br />

Fragen tätig.<br />

Die Unterstützung <strong>und</strong> Beratung bei der Integration am Arbeitsmarkt<br />

bedeutet, dass geklärt wird, welche besonderen Interessen <strong>und</strong> Talente der/die<br />

KlientIn mitbringt, welche Ausbildung er/sie gemacht hat, <strong>und</strong> welche Möglichkeiten<br />

er/sie hat, einen Arbeitsplatz zu finden. Es wird mit einzelnen Firmen Kontakt<br />

aufgenommen, um zu klären, wo es eine Beschäftigungsmöglichkeit gibt. Auch<br />

Hilfe beim Verfassen von Bewerbungsschreiben, Begleitung zu Vorstellungsgesprächen<br />

<strong>und</strong> Bewerbungstrainings werden angeboten.<br />

Die rechtliche Beratung betrifft sowohl Asylfragen (Beratung <strong>und</strong> Hilfestellung<br />

bei Asylanträgen <strong>und</strong> Berufungen) wie auch Fragen zu Ausländerbeschäftigungsgesetz,<br />

Niederlassungsbewilligung oder fremdenpolizeilichem Verfahren.<br />

Der dritte Bereich der sozialen Beratung schließt die Unterstützung bei der<br />

Wohnungssuche wie auch Beratung bei familiären <strong>und</strong> finanziellen Problemen mit<br />

ein.<br />

Die Beratung findet am Schönaugürtel 29, 8010 Graz, statt <strong>und</strong> wird großteils muttersprachlich<br />

durchgeführt. Derzeit kann Beratung in neun verschiedenen Sprachen<br />

angeboten werden. Andere Sprachen werden mit Hilfe von DolmetscherInnen<br />

abgedeckt.<br />

Im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich wird einerseits psychotherapeutische Betreuung in<br />

verschiedenen Formen (wie etwa Behandlung von Folteropfern <strong>und</strong> Kriegstraumatisierten,<br />

Jugendgruppe für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge, Einzel-,<br />

Paar- <strong>und</strong> Familientherapien) <strong>und</strong> andererseits medizinisch-psychiatrische<br />

Behandlung angeboten.<br />

ZEBRA ist auch in der externen Betreuung tätig. Es werden in der Schubhaft befindliche<br />

Personen besucht, sozial <strong>und</strong> rechtlich unterstützt. Es findet aber auch<br />

eine aufsuchende Arbeit in Flüchtlingspensionen statt.<br />

Im Bereich der Bildungsarbeit bietet ZEBRA Referate <strong>und</strong> Workshops in Schulen<br />

<strong>und</strong> Erwachsenenbildungseinrichtungen an, führt Tagungen, Enqueten <strong>und</strong> Seminare<br />

durch <strong>und</strong> gibt die Fachzeitschrift ZEBRATL heraus. Seit einigen Jahren wird<br />

von ZEBRA auch eine Website betrieben, die über die vielfältigen Aktivitäten informiert<br />

(www.zebra.or.at).<br />

Ein Schwerpunkt der Bildungsarbeit liegt in Schulungsangeboten für Flüchtlinge<br />

<strong>und</strong> MigrantInnen, unter anderem im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich. Näheres dazu<br />

siehe Kapitel „Ursachen für <strong>Migration</strong>“, Seite 7.<br />

90 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


ZEBRA<br />

11.7. Finanzierung<br />

Der Verein ZEBRA erhält Geld von verschiedenen öffentlichen Stellen. Gr<strong>und</strong>lage<br />

dafür sind immer von ZEBRA vorgelegte Beratungs-, Therapie- <strong>und</strong> Schulungskonzepte<br />

sowie Projektvorschläge. Langjährige Partnerschaften bestehen mit<br />

dem Arbeitsmarktservice (AMS), der Stadt Graz, dem Land Steiermark, dem B<strong>und</strong>esministerium<br />

für Inneres <strong>und</strong> dem B<strong>und</strong>esministerium für soziale Sicherheit<br />

<strong>und</strong> Generationen. In den letzten Jahren gewannen Fördermittel aus dem Bereich<br />

der Europäischen Union <strong>und</strong> der UNO zunehmend an Bedeutung (EFF, EQUAL, UN-<br />

F<strong>und</strong>s).<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 91


12. Anhang<br />

12.1. Tipps für das Halten von Referaten:<br />

Hier nun einige Hinweise, die das Halten von Referaten leichter machen sollen:<br />

Verständlichkeit:<br />

Sie sollen alle Texte <strong>und</strong> Inhalte, die Sie referieren wollen, selbst auch richtig <strong>und</strong><br />

gut verstanden haben. Besprechen Sie bei Unklarheiten die Probleme lieber nochmals<br />

mit KurskollegInnen oder Projektverantwortlichen.<br />

Als goldene Regel gilt, dass Sie mindestens doppelt so viel wissen sollten, wie Sie<br />

im Vortrag erzählen.<br />

Vermittlungswege:<br />

Überlegen Sie, ob Sie ein klassisches Referat halten wollen <strong>und</strong> ohne Hilfsmittel<br />

vortragen möchten. Vielleicht gibt es andere Möglichkeiten, Ihre Information den<br />

SeminarteilnehmerInnen mitzuteilen:<br />

�Folien<br />

�Posters, Plakate<br />

�Einbeziehen der ZuhörerInnen<br />

�Gruppenarbeiten<br />

Bezug:<br />

Stellen Sie sich auf die Gruppe, die Ihnen zuhört, ein. Sie müssen nicht alles, was<br />

Sie sich erarbeitet haben, präsentieren, wählen Sie aus. Stellen Sie sich die Frage:<br />

�Was ist das Wesentliche am Thema?<br />

�Was halte ich für besonders wichtig?<br />

Stellen Sie sich die Frage, was die ZuhörerInnen auf Gr<strong>und</strong> ihrer Lebenssituation<br />

am meisten interessieren könnte.<br />

Generalprobe:<br />

Versuchen Sie, das Referat einmal zur Probe durchzusprechen. Machen Sie das<br />

am besten vor Personen, bei denen Sie sich trauen. So können Sie feststellen:<br />

�Ist das Referat zu lang / zu kurz?<br />

�Ist der logische Aufbau des Referates in Ordnung?<br />

Lampenfieber:<br />

Ein bisschen Lampenfieber ist normal. Stellen Sie in dieser Hinsicht nicht allzu unrealistische<br />

Anforderungen an sich selbst.<br />

Wenn möglich, versuchen Sie nicht, sich bis kurz vor dem Referat vorzubereiten.<br />

Gehen Sie lieber vor dem Referat eine St<strong>und</strong>e spazieren <strong>und</strong> versuchen Sie, den<br />

Kopf frei zu bekommen.<br />

Einstieg:<br />

92 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch<br />

Anhang<br />

Versuchen Sie am Anfang des Vortrages Ihrem Publikum klar zu machen, um was<br />

es geht. Sie sollen kurz erläutern, was Sie in den nächsten Minuten machen werden<br />

<strong>und</strong> mit welchen Mitteln Sie arbeiten wollen.


Anhang<br />

Dieser Anfang ist sehr wichtig, Sie sollten sich dafür auch genug Zeit nehmen.<br />

Wenn möglich, soll dies auch frei vorgetragen werden.<br />

Freier Vortrag?<br />

Im Idealfall sollen Sie Ihr Referat relativ frei vortragen können. Versuchen Sie herauszufinden,<br />

welche Stützpunkte ihnen am liebsten sind, um frei sprechen zu<br />

können (Folien, Plakate, Stichwörter).<br />

Achten Sie auf einfache kurze Sätze. Gleichmäßige Atmung <strong>und</strong> angemessene,<br />

verschiedene Lautstärken sind ebenfalls zu beachten. Vermeiden Sie es, ständig<br />

im gleichen Tonfall <strong>und</strong> mit der gleichen Geschwindigkeit zu sprechen. Lassen Sie<br />

sich Zeit <strong>und</strong> hetzen Sie nicht. Machen Sie Pausen.<br />

Gut geeignet dazu ist ein Glas Wasser, das Sie bei Ihrem Platz stehen haben, um einen<br />

Schluck zu nehmen. Das unterbricht nicht nur Ihren Sprechrhythmus <strong>und</strong><br />

lässt Sie automatisch eine Pause machen, es dient auch der <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>. Sie verbrauchen<br />

während solcher angespannten Aktivitäten viel mehr Flüssigkeit als<br />

normal, daher sollten Sie ausreichend trinken.<br />

Zeitmanagement:<br />

Überlegen Sie, in welcher Zeitspanne Sie etwas sagen können <strong>und</strong> sagen Sie nicht<br />

mehr. Es soll auch genug Zeit bleiben, auf das Gesagte reagieren zu können.<br />

Überlegen Sie auch, ob es sinnvoll ist, zu bestimmten Zeitpunkten innezuhalten<br />

<strong>und</strong> Zwischenfragen zuzulassen. Nehmen Sie in der Beantwortung dieser Zwischenfragen<br />

aber nicht Teile Ihres Referates vorweg.<br />

Sie können bei Ihrem Referat auch die Teile ankreuzen, die, wenn keine Zeit bleibt,<br />

wegbleiben können. Achten Sie darauf, dass die Gr<strong>und</strong>struktur des Referates erhalten<br />

bleibt.<br />

Versuchen Sie, sich an die vorgegebene Zeit zu halten. Für ZuhörerInnen ist es<br />

unangenehm, nicht zu wissen, wie lange es noch dauert, obwohl die Zeit schon<br />

aus ist.<br />

Wenn Sie zusätzliche Zeit brauchen, weil Sie z. B. noch etwas besonders Wichtiges<br />

erklären müssen: sagen Sie Ihrem Publikum, wie lange Sie noch brauchen, <strong>und</strong> bitten<br />

Sie um Verständnis für die Überziehung.<br />

Folien:<br />

Achten Sie darauf, dass die Folien lesbar sind, vergrößern Sie die Texte. Farbe dort<br />

einsetzen, wo es sinnvoll ist. Wenn Sie Unterlagen (Handouts) vorbreiten, dann<br />

überlegen Sie genau, was auf diesen Handouts stehen soll.<br />

Geben Sie nicht zuviel Information auf die Folien. Kalkulieren Sie bei den Folien mit<br />

ein, wie viel Zeit das Publikum zum Lesen braucht. Überlegen Sie auch, ob Sie Teile<br />

daraus vorlesen möchten, <strong>und</strong> was Sie zeigen möchten.<br />

Denken Sie nicht zuviel an die Folien, Sie sollten den Inhalt auch kennen, ohne auf<br />

die Folien zu blicken.<br />

Bei den Folien gilt das gleiche Prinzip wie bei gesprochenem Text: Häufig gilt: Weniger<br />

ist mehr. Halten Sie die Folien in der Reihenfolge bereit, wie Sie sie präsentieren<br />

wollen.<br />

Versuchen Sie bei der Präsentation von Folien so gut es geht zum Publikum zu<br />

sprechen <strong>und</strong> nicht zu der Wand, von der aus Sie präsentieren.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 93


Körpersprache:<br />

Achten Sie auf eine aufrechte Körperhaltung <strong>und</strong> halten Sie Blickkontakt zum Publikum.<br />

Technik:<br />

Überprüfen Sie vor der Präsentation, ob alle Medien, die Sie einsetzen wollen,<br />

auch funktionieren.<br />

Die letzten Minuten:<br />

Fassen Sie am Ende nochmal das Wichtigste zusammen. Dabei können Sie sich ruhig<br />

wiederholen.<br />

Goldene Regel:<br />

Generell gilt der Satz: Halten Sie kein Referat oder machen Sie keine Präsentation,<br />

der Sie als Publikum nicht zuhören möchten!<br />

Danach<br />

Meistens ist es so, dass nach dem Vortrag Ihre Arbeit noch nicht zu Ende ist, meistens<br />

kommen dann ZuhörerInnen <strong>und</strong> TeilnehmerInnen, um ein Detailproblem zu<br />

besprechen. Seien Sie darauf gefasst, dass man nachher mit Ihnen reden will. Das<br />

ist aber gleichzeitig auch eine Gelegenheit etwas über Ihren Vortrag, Ihr Auftreten<br />

zu erfahren. Nutzen Sie die Gelegenheit, diese „Nach-Gespräche“ als Feedback<br />

(Rückmeldung) zu nutzen.<br />

Versuchen Sie danach, möglichst distanziert festzustellen, was gut <strong>und</strong> was<br />

schlecht war. Überlegen Sie, welche kleinen Schritte Sie setzen können, um es das<br />

nächste Mal besser machen zu können.<br />

12.2. Tipps für Erstkontakte<br />

Anhang<br />

Die ersten Gespräche/Kontakte zwischen einem/einer Multiplikator/in oder <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferent/in<br />

(im folgenden immer als <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferent/in bezeichnet)<br />

<strong>und</strong> einem/einer Hilfesuchenden, prägen entscheidend den weiteren Verlauf der<br />

Zusammenarbeit.<br />

Bei einem niederschwelligen Angebot wie es die MultiplikatorInnenarbeit<br />

darstellt, entscheidet der erste Kontakt oft darüber, ob es weitere Berührungspunkte<br />

zwischen dem/der Hilfesuchenden <strong>und</strong> dem/der <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentIn<br />

gibt.<br />

Wichtig ist, darauf zu achten, dass der/die <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentIn nicht mit großem<br />

Elan versucht, zu „helfen“ <strong>und</strong> sofort „aktiv“ zu werden, sondern vorerst einmal<br />

Bedacht nimmt, sich selbst Zeit zum Zuhören gewährt <strong>und</strong> nicht mit fertigen<br />

„Rezepten“ <strong>und</strong> vorgefassten Meinungen aufwartet.<br />

Es macht einen Unterschied, ob jemand kommt, um sich einmal auszusprechen<br />

(also gar nicht längerfristig Hilfe in Anspruch nehmen will), oder ob er/sie mit einem<br />

ganz konkreten Anliegen (z. B. Kontakt, Vermittlung) kommt.<br />

Erstkontakte sind nicht schematisierbar <strong>und</strong> können ganz unterschiedliche Dynamiken<br />

entwickeln, aber auch ganz unterschiedliche Erwartungshaltungen in sich<br />

bergen, auf die die/der <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentIn entsprechend reagieren können<br />

94 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Anhang<br />

sollte. Jeder/m <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentIn muss bewußt sein, dass er/sie nicht für alle<br />

Erwartungen zuständig <strong>und</strong> kompetent sein kann.<br />

Überfordernde Aufträge nicht zu übernehmen, die entsprechenden fachlichen<br />

<strong>und</strong> persönlichen Grenzen zu setzen <strong>und</strong> auf andere, kompetentere Stellen oder<br />

Personen zu verweisen, ist sehr wichtig <strong>und</strong> zeugt von Professionalität.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich können <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentInnen in Erstkontakten mit allen nur<br />

denkbaren Problemlagen konfrontiert werden. Das setzt große Belastungsfähigkeit<br />

voraus <strong>und</strong> eine immer wiederkehrende Reflexion über diese Kontakte (eigene<br />

Psychohygiene, Weiterentwicklung des professionellen Handelns).<br />

Im Folgenden sind einige wichtige Gr<strong>und</strong>sätze für das Erstgespräch zusammengefasst,<br />

die allgemein gültig sind:<br />

(1) Umgang mit Vorinformationen<br />

Wenn Vorinformationen über die handelnden Personen <strong>und</strong> ihre Probleme vorhanden<br />

sind, sollte man darauf achten, dass diese nicht zum vorgefassten Bild<br />

über den Hilfesuchenden/die Hilfesuchende bzw. deren/dessen Problem werden.<br />

Kritisches Hinterfragen <strong>und</strong> Nachdenken darüber, von wem man welche Informationen<br />

in welchem Zusammenhang erhalten hat, ist unerläßlich.<br />

(2) KlientIn <strong>und</strong> PrimärklientIn<br />

Es ist wichtig zu unterscheiden, ob der/die Hilfesuchende mit ihrem/seinem Problem<br />

kommt, oder ob er/sie über das Problem von anderen spricht.<br />

(3) Auftrag<br />

Die Tatsache, dass sich jemand zu einem Erstgespräch entschließt, bedeutet noch<br />

lange nicht, dass ich als <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentIn automatisch auch schon befugt<br />

bin, für den/die Hilfesuchende/n aktiv werden zu dürfen.<br />

Ein gut geführtes Erstgespräch endet unter anderem auch damit, dass beide Teile<br />

übereinkommen, dass sie gemeinsam weiter arbeiten möchten <strong>und</strong> die nächsten<br />

Schritte gemeinsam beschließen (welche Maßnahmen sinnvoll sind <strong>und</strong> wer welche<br />

Aufgaben dafür übernimmt).<br />

(4) Ausschluss nicht erfüllbarer Forderungen<br />

Die Grenzen der Unterstützungsmöglichkeiten müssen aufgezeigt werden.<br />

Ein Beispiel:<br />

Ein/Eine <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferentIn kann nicht bei einem Telefonat aus Wien<br />

persönliche Hilfeleistung anbieten, wenn er/sie in Graz wohnhaft ist. Die<br />

Art der Hilfeleistung, die für ihn/sie möglich, sinnvoll <strong>und</strong> dem Aufwand entsprechend<br />

ist, ist einen Kontakt zu einer Hilfs- oder Beratungseinrichtung in<br />

Wien herzustellen.<br />

(5) „Nichts geschieht ohne Wissen der/des Klienten/Klientin“<br />

Eine wichtige Regel lautet, dass nichts hinter dem Rücken <strong>und</strong> ohne Einverständnis<br />

des/der Hilfesuchenden geschieht. Es muss immer Transparenz über die gesetzten<br />

Schritte hergestellt werden, <strong>und</strong> die KlientInnen sind über alle Schritte informiert<br />

<strong>und</strong> geben dafür auch den entsprechenden Auftrag (siehe Punkt 3).<br />

(6) Aktive Teilnahme der Hilfesuchenden<br />

Es ist darauf zu achten, dass die Hilfesuchenden immer dazu aufgefordert werden,<br />

selbst Handelnde zu bleiben <strong>und</strong> Lösungsansätze von den KlientInnen selbst<br />

stammen.<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 95


12.3. Liste weiterführende Internetlinks:<br />

http://www.patienteninfo-berlin.de<br />

http://www.ges<strong>und</strong>heitberlin.de<br />

http://www.ges<strong>und</strong>heitsfoerderung.at<br />

http://www.ges<strong>und</strong>heit.steiermark.at<br />

http://www.migrant.at<br />

http://www.trojovsky.net/alex/ges<strong>und</strong>heit<br />

http://www.fgoe.org<br />

http://graz.at/umwelt/gamt/index.htm<br />

http://www.zebra.or.at<br />

http://www.asyl.at<br />

http://www.alter-migration.ch<br />

http://www.migrationandhealth.info<br />

http://www.aidshilfen.at<br />

http://www.unhcr.ch<br />

http://www.univie.ac.at/lbimgs<br />

Anhang<br />

96 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Anhang<br />

12.4. Verwendete <strong>und</strong> weiterführende Literatur<br />

Auernheimer, Georg. Einführung in die interkulturelle Erziehung. Darmstadt: Primus-Verlag,<br />

1996.<br />

Auernheimer, Georg (Hrsg.). <strong>Migration</strong> als Herausforderung für pädagogische Institutionen.<br />

Opladen: Leske + Budrich, 2001.<br />

Auernheimer, Georg (Hrsg.). Interkulturelle Kompetenz <strong>und</strong> pädagogische Professionalität.<br />

Opladen: Leske + Budrich, 2002.<br />

Brosch, Renate. Zum Thema Sucht – Betroffene <strong>und</strong> deren Angehörige. Wien: B<strong>und</strong>esministerium<br />

für soziale Sicherheit <strong>und</strong> Generationen. O. J.<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Arbeit, <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>, Soziales (Hrsg.). Das <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>swesen<br />

in Österreich. Wien, 1998.<br />

David, Matthias. Borde, Thea. Kranksein in der Fremde? Türkische Migrantinnen im<br />

Krankenhaus. Frankfurt/Main: Mabuse, 2001.<br />

Gardemann, J. Müller, Wolfgang. Remmers, Angelika (Hrsg.). <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>:<br />

Perspektiven für <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssysteme <strong>und</strong> öffentliches <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>swesen.<br />

Berichte & Materialien Band 17. Düsseldorf: Akademie für öffentliches <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>swesen,<br />

2000.<br />

Gawatz, Reinhard. Novak, Peter (Hrsg.). Soziale Konstruktionen von <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>.<br />

Wissenschaftliche <strong>und</strong> alltagspraktische <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>skonzepte. Ulm: Universitätsverlag,<br />

1993.<br />

Glasl, Friedrich. Konfliktmanagement: ein Handbuch zur Diagnose <strong>und</strong> Behandlung<br />

von Konflikten für Organisationen <strong>und</strong> ihre Berater. 2., vollst. überarb. Aufl.<br />

Bern [u.a.]: Haupt [u.a.], 1990.<br />

Heimannsberg, Barbara. Schmidt-Lellek, Christoph J.(Hrsg.). Interkulturelle Beratung<br />

<strong>und</strong> Mediation. Konzepte, Erfahrungen, Perspektiven. Köln: Ed. Humanist.<br />

Psychologie, 2000.<br />

Hinz-Rommel, Wolfgang. Interkulturelle Kompetenz ein neues Anforderungsprofil<br />

für die soziale Arbeit. Münster [u.a.]: Waxmann, 1994<br />

Hofstede, G. Cultures Consequences: Comparing Values, Behaviors, Institutions<br />

and Organizations Across Nations. Thousand Oaks CA: Sage Publications, 2001.<br />

http://www.aidshilfen.at (20.10.2003)<br />

http://www.asyl.admin.ch (21.4.2003)<br />

http://www.fh-potsdam.de (21.4.2003)<br />

http://www.intercultural-network.de (21.10.2003)<br />

http://www.m-ww.de (10.11.2003)<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 97


Kähler, Harro Dietrich. Erstgespräche in der sozialen Einzelhilfe. Freiburg im Breisgau:<br />

Lambertus, 1997.<br />

Marmot, Michael. Wilkinson, Richard G.. Social Determinants of Health. Oxford. Jz.<br />

Unbekannt.<br />

Marschalck, Peter. Wiedl, Karl-Heinz (Hg). <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Krankheit. IMIS-Schriften.<br />

Bd. 10. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch, 2001.<br />

Matthias, David. Borde, Thea. Kentenich, Heribert (Hrsg.). <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>.<br />

Zustandsbeschreibung <strong>und</strong> Zukunftsmodelle. Frankfurt/Main: Mabuse-Verlag,<br />

2001.<br />

Meyer-Ehlert, Birgit. Schneider-Wohlfahrt, Ursula. <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbildung <strong>und</strong> –beratung<br />

mit Ausländerinnnen. Berlin: Express Edition, 1986.<br />

Schulz von Thun, Friedemann. Miteinander reden 1 - Störungen <strong>und</strong> Klärungen.<br />

Rowohlt Taschenbuchverlag: Reinbek bei Hamburg, 1981<br />

Schulz von Thun, Friedemann. Miteinander reden 2- Stile, Werte <strong>und</strong> Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Rowohlt Taschenbuchverlag: Reinbek bei Hamburg, 1989<br />

Schulz von Thun, Friedemann. Miteinander reden 3- Das Innere Team <strong>und</strong> situationsgerechte<br />

Kommunikation. Rowohlt Taschenbuchverlag: Reinbek bei Hamburg,<br />

1998<br />

Schwartz, F.W. (Hrsg.). Das Public Health Buch. München-Jena: Urban <strong>und</strong> Fischer,<br />

2002.<br />

Treibel, Annette: <strong>Migration</strong> in modernen Gesellschaften, Soziale Folgen von Einwanderung,<br />

Gastarbeit <strong>und</strong> Flucht, 2. Aufl., München 1999<br />

Kula, Onur Bilge: Multikulturalität oder Anti-Multikulturalität? IN: Kürs¸at-Ahlers,<br />

Elçin, Tan, Dursun, Waldhoff, Hans-Peter (Hsg.): Globalisierung, <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Multikulturalität,<br />

Werden zwischenstaatliche Grenzen in innerstaatliche Demarkationslinien<br />

verwandelt? Frankfurt a. Main 1999, S. 173 - 179<br />

Weiss, Regula. Macht <strong>Migration</strong> krank? Eine transdisziplinäre Analyse der <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong><br />

von Migrantinnen <strong>und</strong> Migranten. Zürich: Seismo-Verlag, 2003.<br />

Wilkinson, Richard. Unhealthy societies. London: Routledge, 1996.<br />

Anhang<br />

98 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Anhang<br />

12.5 Medizinische Fachbegriffe auf englisch, französisch,<br />

russisch, türkisch, arabisch, dari, paschtu<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 99


Anhang<br />

100 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Anhang<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 101


Anhang<br />

102 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Anhang<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 103


Anhang<br />

104 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Index<br />

Index<br />

A<br />

Akkulturationsstile 23<br />

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 15<br />

Ambulanz 43<br />

Ambulatorium 43<br />

Amnesty International 88<br />

Anamnese 39<br />

Anlagen, ererbte 33<br />

Ansteckungsmöglichkeit(en), HIV 54<br />

Apotheken 43<br />

Appell-Aspekt 66<br />

Arbeit 48<br />

Arbeitskräftereservoir 13<br />

Arbeitslosenversicherung 38<br />

Arbeitsmarktpolitik, aktive 38<br />

Armut 13<br />

Armut, krankmachende 34<br />

Armutskrankheit 50<br />

Arzt mit Vertragsverhältnis 41<br />

Assimilation 23<br />

Asylantrag, offensichtlich unbegründeter 16<br />

Asylgesetz 15<br />

Asylverfahren 15<br />

Asylwerber(Innen) 14<br />

Attitüden 26<br />

Augen 41<br />

Ausländerbeschäftigungsgesetz 18<br />

Ausschlussmechanismen 59<br />

B<br />

Bakterien 49<br />

Behandlung von Krankheiten 37<br />

Behandlung, medizinische 90<br />

Belastungsstörung, posttraumatische (PTBS) 61<br />

Beratung, rechtliche 90<br />

Beratung, soziale 90<br />

Beschäftigtenprinzip 37<br />

Beschäftigungbewilligung 18<br />

Betreuung, externe 90<br />

Betreuung, psychiatrische 90<br />

Betreuung, psychotherapeutische 90<br />

Betreuungsarbeit 89<br />

Beziehungs-Aspekt 65<br />

Beziehungskonflikt(e) 77<br />

Bildungsarbeit (ZEBRA) 90<br />

Bilharziose 53<br />

Blunting 60<br />

B<strong>und</strong>esasylamt 10,15<br />

B<strong>und</strong>esasylsenat, unabhängiger (UBAS) 15<br />

B<strong>und</strong>esbetreuung 17<br />

burn out syndrome 62<br />

C<br />

Chagas 53<br />

Chirurgie 41<br />

Co-Abhängigkeit 47<br />

D<br />

Dengue Fieber 53<br />

Diagnose 39<br />

Diätassistent, diplomierter 43<br />

Diskriminierung 73<br />

Dissoziation 60<br />

Dolmetsch 70<br />

Drittland, sicheres 16<br />

E<br />

Ebola 53<br />

Einwanderungsländer 9<br />

Eiweiß 46<br />

Emigration 9<br />

Empowerment 62<br />

Ergotherapeut, diplomierter 42<br />

Ernährung 45<br />

Europäischen Union (EU) 16<br />

Exil 31<br />

F<br />

Facharzt, -ärzte 41<br />

Facharztkrankenschein 41<br />

Fachrichtungen 36<br />

Fähigkeite(n), diagnostische 36<br />

Familie 31 - 32<br />

Familie <strong>und</strong> Angehörige 22<br />

Familiensystem 32<br />

Fehldiagnose 59<br />

Fett 45<br />

Flashbacks 63<br />

Flüchtling(e) 10,14<br />

Forschung, interkulturelle 26<br />

FSME 56<br />

G<br />

Gastarbeiter 13<br />

Gastarbeiterbewegung 19<br />

Gebietskrankenkasse (GKK) 38<br />

Gehobene <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>- <strong>und</strong> Pflegeberufe 42<br />

Gelbfieber 53<br />

Generationenvertrag 37<br />

Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) 15<br />

Geschlechterrolle(n) 32<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong> <strong>und</strong> <strong>Migration</strong> 57 - 63<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sförderung 44<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>smultiplikator 81<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 105


<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sreferent 84<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>ssystem 57<br />

Gewalt, politische 31<br />

Grippe 56<br />

Gründe für <strong>Migration</strong> 10<br />

Gr<strong>und</strong>sätze 26<br />

Gr<strong>und</strong>werte <strong>und</strong> f<strong>und</strong>amentale Annahmen 27<br />

Gynäkologie 41<br />

H<br />

Hals-Nasen-Ohren 41<br />

Haut- <strong>und</strong> Geschlechtskrankheiten 41<br />

Hebamme 43<br />

Heiler 37<br />

HelferInnen 31<br />

HelferInnensysteme 31<br />

Hepatitis 50<br />

Hepatitis A 50<br />

Hepatitis A, B 56<br />

High-Context-Kultur 68<br />

HIV 53<br />

HIV-Infektion, Verlauf 54<br />

I<br />

Immigration 9<br />

Impfen 55<br />

Impfplan 55<br />

Inanspruchnahme, mangelnde 59<br />

Individualismus – Kollektivismus 28<br />

Infektionserkrankung(en) 50<br />

Influenza 51,56<br />

Influenza (HIB) 53<br />

Informationsdefizit 59<br />

Inhalts-Aspekt 65<br />

Institutionen einer Gesellschaft 26<br />

Integration 23<br />

Interessenskonflikt(e) 77<br />

Interne Medizin 41<br />

K<br />

Keuchhusten 51,53<br />

Kinderheilk<strong>und</strong>e 41<br />

Kinderlähmung 51<br />

Kohlenhydrate 45<br />

Kommunikation 64 - 73<br />

Kommunikation, interkulturelle 67<br />

Kommunikation, nonverbale 64<br />

Kommunikation, verbale 64<br />

Konflikt(e) 74 - 80<br />

Konflikt(e), interkulturelle 80<br />

Konflikt, heißer 75<br />

Konflikt, kalter 75<br />

Konfliktanalyse 77<br />

Konfliktlösungsstrategie 76<br />

Index<br />

Konfliktverhalten 78<br />

Krankenschein 40<br />

Krankenversicherung 38<br />

Krankheit 49 - 56<br />

Krankheiten, außereuropäische 50<br />

Krankheiten, europäische 50<br />

Krankheitserreger 49<br />

Krieg(e) 10<br />

Kultur 22,26 - 30<br />

Kultursensibilität 72<br />

L<br />

Leib (Körper) 35<br />

Linkworker 83<br />

Logopäde, diplomierter 43<br />

Low-Context-Kultur 68<br />

Lungenheilk<strong>und</strong>e 41<br />

M<br />

Malaria 52<br />

Marginalisierung 23<br />

Masern 53<br />

Mediation 76<br />

Medikamente 43<br />

Medizin, westliche 35<br />

Medizinisch-technische Dienste 42<br />

Medizinmann 37<br />

Menschenrechtskonvention, europäische (EMRK) 15<br />

Migrantenkultur 24<br />

<strong>Migration</strong> 9<br />

<strong>Migration</strong>, freiwillige 9<br />

<strong>Migration</strong>, unfreiwillige 9<br />

<strong>Migration</strong>sprozess 21<br />

Mineralstoffe 46<br />

Monitoring 60<br />

Multikulturalität 70<br />

Multiplikator 83<br />

Mumps 53<br />

N<br />

Neurologie 41<br />

Niederlassungsbewilligung 19<br />

Non Refoulement 17<br />

Normen 26<br />

Notfall 43<br />

O<br />

Öffnung, interkulturelle 71,85 - 86<br />

Öffnungsprozess, interkultureller 73<br />

Orthopädie 41<br />

Orthoptist, diplomierter 43<br />

P<br />

Parasiten, höhere 49<br />

106 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch


Index<br />

Peer Group 83<br />

Peers 82<br />

Pflegehilfe 42<br />

Pflichtversicherungssystem 37<br />

Physiotherapeut, diplomierter 42<br />

Pilze 49<br />

Poliomyelitis 50 - 51<br />

Posttraumatic Stress Disorder (PTSD) 61<br />

Prävention 44<br />

Prävention, primäre 44<br />

Prävention, sek<strong>und</strong>äre 44<br />

Prävention, tertiäre 45<br />

Priester 37<br />

Primärtuberkulose 52<br />

Prionen 49<br />

Projekte im <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>sbereich 81 - 87<br />

Protozoen 49<br />

Psyche (Seele) 35<br />

Psychiatrie 41<br />

Psychotherapeut 42<br />

R<br />

Rassismus 73<br />

Referate 92<br />

Ressourcen 31<br />

Rituale <strong>und</strong> Verhaltensweisen 26<br />

Rolle(n), traditionelle 31<br />

Röntgen 41<br />

Röntgenfacharzt 41<br />

Röteln 53<br />

S<br />

Sachverhaltskonflikt(e) 77<br />

Schafplattern 53<br />

Schamane 37<br />

Schlafkrankheit 53<br />

Schwindsucht 52<br />

Segregation 23<br />

Sek<strong>und</strong>ärtraumatisierung 62<br />

Selbstk<strong>und</strong>gabe-Aspekt 65<br />

Separation 23<br />

Sieg <strong>und</strong> Niederlage 76<br />

Solidarprinzip 37<br />

Spezialisierung 36<br />

Spital 43<br />

Sprachtherapeut 43<br />

Spurenelemente 46<br />

Stellvertreter-(Vicarous-)Trauma 62<br />

Sucht 47<br />

Sucht, Entstehung von 47<br />

Symptom 39<br />

T<br />

Tetanus 50 - 51<br />

Tradition(en), komplementäre medizinische 36<br />

Trauma 59<br />

Trauma Typ I 60<br />

Trauma Typ II 60<br />

Trauma Typ III 60<br />

Traumaexposition 60<br />

Tuberkulose 50,52<br />

Typhus 50 - 51<br />

U<br />

Übertragungswege 49<br />

Übertragungswege (HIV) 54<br />

Überweisungsschein 41<br />

Umweltflüchtling 11<br />

Ungleichheit zwischen Gruppen 34<br />

UNHCR 18<br />

Unterdrückungsstaat 12<br />

Urologie 41<br />

V<br />

Verhalten 33<br />

Versicherungsprinzip 37<br />

Verständigungsschwierigkeit 59<br />

Vier-Ohren-Modell 65<br />

Viren 49<br />

Vitamine 46<br />

Vorsorge, mangelnde 59<br />

W<br />

Wahlarzt 42<br />

Wertekonflikt(e) 77<br />

WHO 33<br />

Z<br />

Zahnheilk<strong>und</strong>e 41<br />

Zeckenkrankheit (FSME) 56<br />

<strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch 107


Index<br />

108 <strong>Ges<strong>und</strong>heit</strong>shandbuch

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