Multilingualism across Europe - EURAC
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Jacques Bassock<br />
Genauso wie die Sprachen miteinander wirken, also inter- und transagieren können, so wirken sie auch auf Menschen.<br />
Dieser Prozess der Mehrsprachigkeit als Inter- und Transaktion verläuft gleichermaßen im Kopf wie im Herzen aller<br />
Menschen. Der Mensch schafft sich emotionell Bilder im Kopf 15 , die positiv oder negativ sein können. Negative Bilder<br />
sind Vorurteile, die die Lerner am Spracherwerb hindern können, wenn sie diese Sprachen, deren Sprecher und die<br />
Lernmaterialien nicht achten 16 . Positive Bilder können hingegen den Mehrsprachigkeitserwerb beschleunigen, weil die<br />
Lerner zu anderen Sprachen positiv eingestellt sind. Im Allgemeinen ist die positive Einstellung zu Sprachen im kamerunischen<br />
Kontext eine Selbstverständlichkeit.<br />
In meiner Dimbambaŋ- Sprache gibt es zum Beispiel kein Wort für Fremdsprache. Es klingt merkwürdig, wenn man den<br />
deutschen Begriff Fremdsprache in dieser Sprache umschreibt, z. B. [dihŋp di babôt]. [dihŋp] steht für Sprache, [di]<br />
für von und [babôt] für die anderen und nicht für Fremde, wobei [bôt] ein Plural für [mut], also Mensch ist. [babôt]<br />
ist eine respektvolle Hervorhebung von [bôt]. Insofern würde keiner auf die Idee kommen, eine solche Umschreibung<br />
zu gebrauchen. Man würde lieber die angesprochene Sprache direkt benennen: z. B. [dihŋp di nza ilŋ ihŋp?] 17 [ma ilŋ<br />
ihŋp bassa] oder [ma ilŋ ihŋp dihŋp di bassa] 18 . Sosehr Menschen Beachtung finden, sosehr müssen ihre Sprachen und<br />
ihr Anderssein respektiert werden. Aus diesem Grund kann ich sagen, dass Bilder im Kopf von metaphysischen Vorstellungen<br />
geprägt werden, da religiöse und ethische Aspekte in der Gesellschaft im Vordergrund stehen.<br />
Von diesem Postulat der Achtung des anderen und seiner kulturellen Werte ausgehend, wird keine strenge Linearität<br />
und Vertikalität vorgegeben, sondern eine Verflochtenheit der Einflüsse angenommen. Das ergibt ein Substrat aus diesem<br />
Prozess, welches eine Brücke zwischen Sprachen einerseits und zwischen Sprachen und Menschen andererseits<br />
schlägt. Deshalb bilden Sprachen und Menschen eine Entität. Diese Tatsache gilt weitgehend für alle afrikanischen<br />
Sprachen. Dies könnte der Grund dafür sein, warum im afrikanischen Kontext der Mehrsprachigkeitserwerb kein Problem<br />
darstellt.<br />
Von meinem Ansatz der Mehrsprachigkeit der Inter- und Transaktion ausgehend, wird jetzt die ontologische Umgebung<br />
der Spracherwerbenden betrachtet. Es soll herausgestellt werden, wie die Lerner zum Mehrsprachigkeitserwerb im<br />
afrikanischen bzw. kamerunischen Kontext kommen und welche Kriterien dabei berücksichtigt werden.<br />
2.1 Die ontologische Umgebung der Spracherwerbenden<br />
Jeder Spracherwerbsprozess hängt mit der ontologischen Umgebung der Spracherwerbenden zusammen. Der Spracherwerbsprozess<br />
im afrikanischen Kontext stellt einen Habitus 19 dar, da ethische und religiöse Werte das Verhalten der<br />
Menschen lenken.<br />
In Kamerun bzw. Afrika ist der Mehrsprachigkeitserwerb nicht losgelöst von den soziokulturellen und metaphysischen<br />
Vorstellungen. Im Spracherwerbsprozess wird nicht nur das Physische, d.h. Lexik und Grammatik etc., erworben, sondern<br />
auch das Metaphysische bzw. das Verborgene.<br />
Dennoch kann das Metaphysische nicht empirisch erworben werden. Es wird intuitiv wahrgenommen. Diese Wahrnehmung<br />
ist der Motor des Verstehens, das die Wirklichkeit letztendlich abbildet. Die Wahrnehmung wendet sich nicht<br />
von einer wahrzunehmenden Wirklichkeit ab, sondern sie wendet sich ihr zu. Aber die Menschen nehmen die Wirklichkeit<br />
unterschiedlich wahr. Deshalb sagen die Dogon 20 in Mali hinsichtlich der individuellen Wahrnehmung und des individuell<br />
geprägten Gebrauchs der Sprache, dass jeder Mensch seine Sprache(n) besitzt oder sie spricht wie er will. Die<br />
Dogon sprechen hier die Notwendigkeit der Autonomie und der Freiheit im Sprachlern- und Gebrauchsprozess an. Dadurch<br />
werden die strengen Sprachregeln kritisiert, die die Menschen daran hindern, weitere Sprachen zu gebrauchen,<br />
weil sie immer auf die “Korrektheit” achten müssten.<br />
Im Dorf wurden uns Kindern abends Märchen erzählt. Die Erzählung der Märchen setzte eine teilnehmende Hörerschaft<br />
voraus, die mitgesungen und mitgetanzt hatte. Manchmal kamen Erzähler aus anderen Sprachregionen. Auf ihrer<br />
langen Reise machten sie auch in unserem Dorf (Benga) halt, um zu übernachten. So konnten sie uns ihre Märchen<br />
in ihren Sprachen erzählen. Und wenn die Erzählung beendet wurde, fragten uns unsere Eltern oder Großeltern in der<br />
Dimbambaŋ- Sprache, was wir verstanden hatten. Für uns war das eine Herausforderung, der wir uns gerne stellten. Es<br />
stellte sich heraus, dass wir trotz Verstehensschwierigkeiten die wichtigsten Zusammenhänge verstanden hatten.<br />
Hier sieht man die Wichtigkeit der Oralität im Mehrsprachigkeitserwerb 21 . Bei der Erzählung konstruieren die Kinder ih-<br />
5 Neuner (2003b: 5-62)<br />
6 Vgl. Bitjaa Kody (200 : 2)<br />
7 Wessen Sprache, gemeint welche Sprache, sprichst du gerade?<br />
8 Ich spreche bassǎ/ die Bassǎ- Sprache oder ich spreche die Sprache der Bassǎ.<br />
9 Vgl. hierzu Mvesso (2006:8). Mvesso gebraucht den von Bourdieu entliehenen Begriff des Habitus im erziehungswissenschaftlichen Bereich, indem er sich fragt, ob der<br />
Erwerb von Kenntnissen als Habitus von Sozialschichten abhängt. Gogolin (2004) gebraucht den gleichen Begriff im Bereich des Spracherwerbs. Für sie ist die Einsprachigkeit<br />
ein Habitus in Europa.<br />
20 Vgl. hierzu Calame - Griaule ( 965: 23)<br />
2 Vgl. Tadadjeu und Mba (2000 : 46- 50). Bei diesen Autoren geht es um die Anwendung der Oralität im L - Unterricht als Vorbereitung auf den Mehrsprachigkeitserwerb.