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Liebe im Gegenwartsgedicht

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nicht mehr aufrechterhalten. Zwar suggeriert das Errichten weißer Sandburgen <strong>im</strong>2. Bild die Vorstellung, dass das Ich dem begehrten Du Freude bereiten oder Ehrungzuteil werden lassen will, aber genau genommen dienen die Sandburgen amStrand den Meereswellen zum Spiel der Zerstörung. Das Bild drückt also auch dieBereitschaft des liebenden Ichs zur Preisgabe des eigenen Selbst aus. Diese Auslegungbestätigt sich be<strong>im</strong> Blick auf das 2. Bild der Strophe 2, das auffällige Parallelenbesitzt. Dort formuliert das lyrische Ich <strong>im</strong> Gleichnis vom Verbrennen desHauses den Wunsch, dass der Partner zur Aufgabe des in sich abgeschlossenenSelbst-Seins gezwungen werde. Dass diesem Bild etwas Gewaltsames, Bedrohlichesanhaftet, wird schon durch die Bezugnahme auf die Naturgewalt deutlich.Das Feuer gilt ja als traditionelles Symbol für <strong>Liebe</strong>sleidenschaft und deutet zugleichGefahr an. Durch die versöhnliche Formulierung „sanfte Asche" (V. 8) wirddas nur wenig gemildert. Allerdings wirkt die Forderung, alle ich-bezogenen, abgeschlossenenDaseinsformen zu Gunsten von Gemeinsamkeit aufzugeben, unausgesprochenin jede <strong>Liebe</strong>sbeziehung hinein.In den beiden Schlussbildern der 3. Strophe bekommt das Moment der Gewalt inder <strong>Liebe</strong> eine alles überschattende Bedeutung. Die Fixierung auf das geliebte Dusteigert sich bis zum Vernichtungswunsch. Das zeigt sich in der Wortwahl, derenBrutalität den Bildwirkungen eine erschreckende Härte verleiht: „Ich saugte […]hinab" (V. 9f) , „ich knallte […] ab" (V. 9f); in diesen Formulierungen drückt sichdie zerstörerische, feindselige Haltung des Ichs aus.Das 1. Bild der letzten Strophe benutzt das vor allem in der Romantik beliebteMotiv der Nixen oder Sirenen als Sinnbild der verführerischen Frauen, denen dieMänner mit tödlicher <strong>Liebe</strong>ssehnsucht verfallen. Auch Goethe verwendet in seinerBallade „Der Fischer" dieses Motiv. Im Gegensatz zu Ulla Hahns lyrischem Ichlockt Goethes Wasserweib mit sprachlichen Mitteln, mit beschwörenden Worten,in denen der Dichter die magische Anziehungskraft der <strong>Liebe</strong> triumphieren lässt("Halb zog sie ihn, halb sank er hin"). Ulla Hahn vermeidet bewusst das herkömmlicheBild, das eher ein Hinablocken enthält. Das stattdessen verwendete ‚Hinabsaugen’beraubt das Du jeglicher Widerstandsmöglichkeit und lässt ihm nichteinmal den Anschein von freier Wahl. Damit gerät der <strong>Liebe</strong>sbegriff des Gedichtsendgültig unter die Vorherrschaft von gewaltsamer Inbesitznahme: Das lyrischeIch will um jeden Preis, auch um den der Zerstörung, mit dem geliebten Du vereintsein. Als äußerste Zuspitzung bleibt somit - <strong>im</strong> letzten Bild - nur noch die Auslöschung.Der Geliebte, als Stern in unerreichbarer Ferne versinnbildlicht, mussvernichtet werden, wenn er denn nicht zu gewinnen ist. Das Böse, zu dem die<strong>Liebe</strong> entarten kann, wird in den Schlusszeilen an exponierter Stelle formuliert.Die nahezu idyllischen Wirkungen der ersten Bilder gehen also ganz verloren.<strong>Liebe</strong> ist aber dem umfassenden Sinn des Gedichts zufolge alles andere als eineIdylle. Wir können demnach auch - positiv gewendet - die Aussagen des lyrischenIchs als radikales Bekenntnis zu seinem Gefühl verstehen – „Herz über Kopf" eben,wie der programmatische Titel der Sammlung lautet. Das Subjekt fordert von sichund vom Du die vorbehaltlose Hingabe für die Verwirklichung der <strong>Liebe</strong>, die Verschiedenheitoder Trennung nicht erträgt, von der wir uns aber vorstellen, dass sienicht verlangt, sondern nur freiwillig geleistet werden kann. Indem das Ich sich inder Beziehung zum Partner ausschließlich an seinen eigenen Ansprüchen orientiertund das .Objekt' des Verlangens als eigenständiges Ich nicht wahrn<strong>im</strong>mt, trittder eingangs erwähnte Subjektivismus übermächtig zutage. Sicher schwingt darineine überwältigende, emotionale Unbedingtheit mit, der ängstliche Selbstbewahrung,wie sie etwa Rilke in seinem „<strong>Liebe</strong>s-Lied" ausspricht, ganz fremd ist. Zugleichträgt diese <strong>Liebe</strong> aber deutliche Züge von Selbstsucht und Gewaltsamkeit.Die inhaltliche Analyse der Sprachbilder hat eine gewisse Klarheit über die <strong>Liebe</strong>sauffassunginnerhalb des Gedichts herbeigeführt. Das ist zum Verständnis des3

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