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Liebe im Gegenwartsgedicht

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en zu springen. Wie anders stellen sich die Harmonie und Einheit schaffendenrhythmischen Bögen in Goethes Gedichten dar, beispielhaft etwa in den Strophen2-4 seines Gedichtes „Maifest".So haftet dem Gedicht von Ulla Hahn der Eindruck von etwas gewaltsam Erzwungeneman, obwohl es den Anschein eines kompositorisch sauber gefügten Gebildeserweckt. Die fehlende Harmonie zwischen lyrischem Ich und fiktivem Du und derGewaltcharakter der <strong>Liebe</strong> finden in der Formgebung ebenso ihren Niederschlag wiedas angestrengte Bemühen um das Einswerden mit dem Geliebten. Erfüllung ist nichtzu erwarten.Mit diesem negativen Resultat formuliert Ulla Hahns Gedicht eine Grundtendenz inder gegenwärtigen <strong>Liebe</strong>slyrik, die ihren Ausdruck in einem ungewöhnlich aggressivenVerhältnis zwischen den Partnern findet. Für das Gedicht „Programmvorschau" vonJürgen Becker diagnostiziert Hiltrud Gnüg eine Beziehung, die einem "psychischenZweikampf" gleichkommt; sein zermürbender Verlauf endet in der Resignation derBeteiligten, die sich doch einmal geliebt hatten: „die Zweierbeziehung als Psychostreß[ ... ] so stellt es sich in vielen Gedichten dar" 2 .Ein wesentlicher Anteil an diesem neuen, von Machtauseinandersetzungen geprägtenVerhältnis zwischen Mann und Frau kommt der emanzipatorischen Bewegung zu.Zeilen wie die folgenden von Elisabeth Plessen wären in der <strong>Liebe</strong>slyrik der 1950erund60er-Jahre noch kaum denkbar:Elisabeth PlessenDank dir dank euchSie sagte: komm. Da hat er ihr den Mund verboten.Weil ers nicht war, sein Zeitpunkt nicht.Er nistete sich einWie in der Wohnung in der Frau, nur um zu zeigenWas er braucht. Das Augenmerk auf sich.Der feindselige Ton unter den Partnern, die Selbstbezogenheit des männlichen Ichs,die Rücksichtslosigkeit gegenüber den Empfindungen des Du - dies alles sind Merkmaleeiner deformierten Beziehung, die man kaum mehr <strong>Liebe</strong> nennen mag.Auch das kleine Gedicht von Karin Kiwus „Fragile" beklagt den besitz süchtigen, unsensiblenEgoismus des Mannes mit seiner Unfähigkeit zur aufmerksamen Zuwendung.Es wirkt zwischen den betroffenen Figuren dieser Gedichte etwas Verbindendes, einschwer zu definierendes Gefühl zwanghaften Miteinander-Seins ohne Freundlichkeit,für das uns ein treffender Begriff fehlt.Hiltrud Gnüg charakterisiert die vom Emanzipationsprozess erschütterten <strong>Liebe</strong>sbeziehungenin ihrer Doppelgesichtigkeit mit folgenden Worten: „Gerade das,was freundliche Partnerschaft erst ermöglichen kann - die Auflösung der einengendenGeschlechterrollen -, schafft neue Schwierigkeiten, verunsichert denMann in seinem Selbstverständnis, macht die Frau fordernder und empfindlicherin ihrem neuen Selbstverständnis." 3In der <strong>Liebe</strong>slyrik der 70er- und 80er-Jahre spiegeln sich diese Vorgänge besondersin den Gedichten von Frauen, für die das veränderte Rollenbewusstsein janeue Möglichkeiten der Selbstverwirklichung in der <strong>Liebe</strong> mit sich bringen sollte.Die Realität in den Gedichten wirkt aber eher depr<strong>im</strong>ierend. Enttäuschungen, diesich einstellen, wenn alte unzulängliche Beziehungsmuster zerstört werden,während neue, positive Formen der Partnerschaft noch nicht gefunden sind, äu-2 Hiltrud Gnüg, 1979, S. 35f.)3 ebd., S. 38f. 5

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