ßern sich in resignativem Verzicht oder in tapferem Festhalten an den hohenErwartungen.Während das lyrische Ich in Ulla Hahns „Bildlich gesprochen" mit aggressiverEntschlossenheit auf seinem <strong>Liebe</strong>sanspruch besteht und diesen kompromissloszu verwirklichen sucht, weisen andere <strong>Liebe</strong>sgedichte eine völlig entgegengesetzteHaltung auf. Be<strong>im</strong> dürftigen Zustand der <strong>Liebe</strong> in der alltäglichen Wirklichkeit- und diese spielt <strong>im</strong> <strong>Gegenwartsgedicht</strong> eine große Rolle - besteht zumHöhenflug der Gefühle wenig Anlass. Daher bleibt dem liebenden Ich nur derstille, melancholische Abschied von seinen Glücksvorstellungen. Das Gedicht„Lösung" von Karin Kiwus, erschienen 1979, bringt die keineswegs seltene Resignationbeispielhaft zum Ausdruck:Karin KiwusLösungIm Traumnicht einmal mehrsuche ichmein verlorenes Paradiesbei dirich erfinde esbesser alleinfür michIn Wirklichkeitwill icheinfach nur lebenmit dir so gutes gehtDas Gedicht bewegt sich zwischen den Polen der traurig-nüchternen Reflexionüber den Traum von der großen <strong>Liebe</strong> (Strophe 1) und der Bescheidung auf dasschmale Glück der Wirklichkeit (Strophe 3). In der Mittelstrophe formuliert das Icheine Anweisung, eine „Lösung", für den Umgang mit seinen hohen Glückserwartungen.Die Möglichkeit, eine die ganze Existenz erfassende <strong>Liebe</strong> mit einem Menschenzu verwirklichen, erscheint dem lyrischen Subjekt so utopisch, dass sie „nicht einmalmehr […] <strong>im</strong> Traum" (V.1f) zugelassen wird. Sie gleicht der vergeblichen Suchenach dem „verlorene[n] Paradies", aus dem die Menschen für <strong>im</strong>mer vertriebenwurden. Aus dieser schmerzlichen Einsicht ergeben sich für das Ich zwei Konsequenzen:Einerseits erkennt es, dass die realistischen Bedingungen bestenfallsein gemeinsames alltägliches Leben zulassen mit der Einschränkung „so gut esgeht" (V. 12f), in dem die Vorstellung vom überirdischen <strong>Liebe</strong>sglück, dem „Paradies"(V. 4), unerfüllt bleiben wird. Wenn es nur „einfach […] leben" (V. 11) will,dann bedeutet das: ohne Aufwand an tiefen Gefühlen, ohne den Luxus der Träume.Die Haltung des lyrischen Ichs kennzeichnet sich aus der Sicht des Ge- dichtanfangs,der noch über die Textgrenze hinaus in eine Vergangenheit voll schwärmerischerHoffnungen zurückweist, als schmerzliche Resignation.Die zweite Folgerung besteht darin, dass die vorhandene Glückssehnsucht sich fürdas lyrische Ich nur unabhängig von der realen Beziehung zu Menschen erfüllenlässt. Davon spricht die mittlere Strophe, der aufgrund ihrer zentralen Stellungein besonderes Gewicht zukommt. Wir müssen ihre Aussagen als einen Rückzugsversuchdes Subjekts auf sich selbst verstehen: „ich“ (V. 6), „allein“ (V. 7),„für mich" (V. 8) - so lauten die pronominalen Schlüsselwörter. Vers 7 bildet dieformale Zentralachse des Gedichts. Isoliert betrachtet bekommt sie eine erschre-6
ckende semantische Vieldeutigkeit: „besser allein" (V. 7). Im Kontext der Strophemeint dies natürlich, dass man die utopischen Vorstellungen von der <strong>Liebe</strong> undihrer Verwirklichung, die man nur „erfinde[n]" (V. 6), d.h. erdichten kann, „besserallein" (V. 7) für sich behält. Sie mit der gesellschaftlichen Realität von <strong>Liebe</strong>spartnerschaftzu konfrontieren, führt zu den schmerzlichsten Enttäuschungen.So steht <strong>im</strong> Zentrum des Textes übergroß das vereinzelte, sich zur Vereinzelungbekennende Ich, das Zuwendung nur in der Sphäre des belanglos Äußerlichenerwartet. Wie kaum eine literarische Epoche zuvor bezieht sich die zeitgenössische<strong>Liebe</strong>slyrik auf die sozialpsychische Wirklichkeit des täglichen Daseins.Von dort aus entfaltet sie ihre Texte über die <strong>Liebe</strong>, die man auch verstehen kannals Reaktion auf eine Lyrik, in der ästhetische Formqualitäten und faszinierenddunkleSprachbilder den Wirklichkeitsgehalt aus der Dichtung verdrängen. Vonden Tendenzen der modernen Lyrik nach 1945, sich zum reinen, selbstgenügsamenKunstwerk zu entwickeln, ist die <strong>Liebe</strong>sdichtung der Gegenwart weit entfernt.Die <strong>Liebe</strong>slyrik der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts charakterisiert sich vorallem durch die Bereitschaft, in unverhüllter Sprache persönliche Gefühle zu bekennen(Neue Subjektivität). Gemeinsam mit ihrem engen Bezug zur Realität, die auf jederomantische Überhöhung verzichtet, vermitteln die Gedichte einen wirklichkeitsnahen<strong>Liebe</strong>sbegriff, der <strong>im</strong> Spannungsfeld von hoher Erwartung und tiefer Enttäuschung steht.Die Vorstellungen von gelungener harmonischer Zuneigung zwischen <strong>Liebe</strong>nden werdenals Utopie entlarvt. Daher verwirklicht sich <strong>Liebe</strong> in diesen Texten als Feindschaftder Geschlechter, als vergebliches Festhalten am Ideal oder als resignativer Verzichtauf Glück. Einfache Sprach- und Formgebung entsprechen häufig der Reduktion der<strong>Liebe</strong> auf anspruchslose Partnerschaft.7