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Horst Hussel

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auch in der Kunst psychisch Kranker zum Ausdruck kommt. <strong>Horst</strong><br />

<strong>Hussel</strong> stand mit Friedrich Schröder-Sonnenstern (1892 – 1982) in<br />

freundschaftlichem Kontakt.<br />

Noch kannten Claus, Altenbourg und <strong>Hussel</strong> einander nicht.<br />

Als der jüngste der drei studierte <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> seit 1958 an der<br />

Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg, nachdem<br />

er 1954 von der Dresdner Akademie und vier Jahre später von<br />

der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee relegiert worden war. 16<br />

Friedrich Stabenau war sein (wenig Einfluss ausübender) Lehrer,<br />

Ernst Schlameus unterrichtete Schrift, Will Grohmann hielt<br />

Vorlesungen zur Kunstgeschichte und zur Gegenwartskunst. Bei<br />

Heinrich Mock in Ostberlin sah <strong>Hussel</strong> Ende der 1950er Jahre zum<br />

ersten Mal Blätter von Gerhard Altenbourg und wurde durch den<br />

Galeristen und Herausgeber mit dem Künstler persönlich bekannt<br />

gemacht. Denn Gerhard Altenbourg fuhr – wie Carlfriedrich Claus<br />

auch – regelmäßig in die geteilte Stadt, um sich über die divergierenden<br />

Entwicklungslinien der Kunst in Ost und West aus eigener<br />

Anschauung zu informieren. Die Galerien Rosen, 17 Schüler 18 oder<br />

Springer 19 waren für sie feste Anlaufstellen.<br />

Will Grohmann, mit dem sowohl Claus als auch Altenbourg<br />

in Verbindung standen, trat als Förderer und Freund in Erscheinung.<br />

20 Als beide Künstler 1960 in Briefaustausch traten, konnten<br />

sie sich auf weitere gemeinsame Bekannte beziehen: auf Ernst<br />

Sieber und Bernard Schultze, in dessen Ausstellung in der Galerie<br />

Schüler sie sich im Januar 1961 zum ersten Mal auch persönlich<br />

begegneten (Abb. 2).<br />

Nach dem Bau der Berliner Mauer im August des Jahres verschärften<br />

sich für die Künstler aus dem Osten die Arbeitsbedingungen<br />

allerdings gravierend. <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> musste sein Studium<br />

beenden und war von heute auf morgen auf eine finanzielle Selbständigkeit<br />

angewiesen. Eine Ausstellung mit Vibrationsstudien 21<br />

Abb. 5 Gerhard Altenbourg, Glossen um eine Figur,<br />

die ich das gesichtslose Mekönkchen nenne, 1969,<br />

Farbholzschnitt, 48,3 x 35,2 cm, Kunstsammlungen<br />

Chemnitz, Stiftung Carlfriedrich Claus-Archiv<br />

von Claus, für die Werner Schüler bereits erste Blätter übernommen<br />

hatte, kam aufgrund der unterbundenen Westreisen und einer<br />

zunehmend rigideren Briefkontrolle nicht mehr zustande. Postbeschlagnahmungen,<br />

Vernehmungen, 22 Hausdurchsuchungen und<br />

Verurteilung 23 beeinträchtigten die künstlerische Arbeit massiv und<br />

führten schließlich zu einem erzwungenen Rückzug. Carlfriedrich<br />

Claus war nach permanenten Schikanen durch Kulturbürokratie,<br />

Steuerbehörden und Zoll zu der Gewissheit gelangt, nur in strengster<br />

Selbstisolation an seinem Schreibzeichenwerk weiterarbeiten zu<br />

können. Nach der vorzeitigen Schließung seiner Ausstellung in der<br />

christlichen Buch- und Kunsthandlung Wort und Werk 1966 in Leipzig<br />

fasste auch Gerhard Altenbourg den Entschluss, überhaupt »nicht<br />

mehr an die Öffentlichkeit dieses Landes zu treten«. 24 »Allein in deinem<br />

Stuhl, allein in deinen Büchern, allein unter Bildern. Es gibt keine<br />

Kommunikation; nur über die Zeiten hinweg kommunizieren wir mit<br />

dem Blick auf das Ende«. 25 Je konsequenter allerdings die einsame<br />

Arbeit vorangebracht wurde, umso mehr waren die Künstler doch<br />

auf den Zuspruch der wenigen Freunde und Sammler im Osten und<br />

auf den Austausch mit dem einen oder anderen Künstlerkollegen<br />

angewiesen. »In der trostlosen Einöde der Kunstprovinz denke ich<br />

indessen oft daran, daß dort ein lebendiger Ort der Empfindung und<br />

Neuprägung, der Forschung und Erfahrung am wirken ist, und dies<br />

macht mich auf eigene Art froh« 26 , schrieb Altenbourg an Claus.<br />

»Lieber Herr Altenbourg, mein langes Schweig [sic!], –: konzentrierte<br />

Arbeit liegt ihm zugrunde. Sie verstehen das sicher,<br />

kennen es: man vergräbt sich in eine Sache, – Gänge, ein ganzes<br />

Höhlensystem bildet man sich allmählich in ihr und wird von einem<br />

bestimmten Punkt an derart begierig, diese überraschenden<br />

Adern, Flüsse, die jetzt hereinbrechen, von unten her, von links,<br />

rechts, von Mitternacht, Mittag immer gefärbt, man wird derart<br />

begierig, sie zu durchschauen, dass man, nun, sich nach oben hin<br />

abdichtet, nach der Umwelt zu. Ja, sicher, Ihnen wird es auch oft<br />

so kommen, Sie kennen’s.« So schrieb Carlfriedrich Claus am 21.<br />

März 1961, wenige Wochen nach der Eröffnung einer Altenbourg-<br />

Ausstellung in der Galerie Springer 27 in Berlin und noch vor dem<br />

Mauerbau. Stil und Inhalt setzen die geistige Nähe der Briefpartner<br />

voraus. »Gern denke ich an die Stunde, da Sie mir Ihre Gebilde<br />

zeigten, zurück. Sehr schön war das«, heißt es weiter im selben<br />

Brief. Auch Altenbourg erinnerte sich »mit Freuden«, Carlfriedrich<br />

Claus seine Werke gezeigt zu haben, es »sprang etwas von einer<br />

wahrhaft schöpferischen Kritik über, und ich entdeckte gleichsam<br />

Neues in mir«. Wie Claus steckte er tief »in Sprach-Experimenten«,<br />

28 beide Künstler sandten sich brieflich eigene Texte zu<br />

und tauschten sich darüber aus. Nach umständlichen Reisevorbereitungen<br />

und komplizierten Terminvereinbarungen und -verschiebungen<br />

besuchte Gerhard Altenbourg mehrfach Carlfriedrich<br />

Claus in Annaberg; »mit Vergnügen denke ich an unser Gespräch<br />

hier zurück. Und hoffe, daß wir es bei Gelegenheit fortsetzen können«,<br />

resümierte Claus am 23. Dezember 1968. Blätter wurden<br />

getauscht (siehe Abb. 3 – 5); Altenbourg erwarb darüber hinaus<br />

Sprachblätter von Claus für seine Sammlung. Gegenseitig wiesen<br />

die Künstler Sammler und Förderer auf das Werk des jeweils anderen<br />

hin. 29<br />

Es war eine Bestärkung für das eigene Schaffen, wenn Künstlerkollegen<br />

unter ähnlich komplizierten äußeren Bedingungen unangepasst<br />

schöpferisch vorankamen. Angesichts eines maroden<br />

und wenig ausgebauten Telefonnetzes kursierten Mitteilungen<br />

auf dem Postweg nicht nur über die Grenzen hinaus, sondern<br />

auch innerhalb der DDR. »Ich freue mich immer, wenn ich ab und<br />

zu hier oder da eine Arbeit von Ihnen sehe« 30 , grüßte Carlfriedrich<br />

Claus nach Berlin. 1975 erwarb <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> eine Radierung<br />

von Carlfriedrich Claus aus dessen erster Personalausstellung 31<br />

Abb. 6 <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong>, Für C. W., 1993/94, Radierung<br />

für die Mappe: Ein Blatt für C. W., 53,4 x 39,7 cm,<br />

Kunstsammlungen Chemnitz, Stiftung Carlfriedrich<br />

Claus-Archiv<br />

in der DDR – nachdem er auf zahlreiche internationale Ausstellungsteilnahmen<br />

seit Beginn der 1960er Jahre verweisen konnte.<br />

Noch Jahre später schrieb <strong>Hussel</strong> dazu: »Das Blatt war – scheinbar<br />

– kinderleicht. [Aber, die Verf.] Ganze Archive, Galerie-Bestände<br />

[…] brachen davor zusammen – und das hatte mit ›Hygiene‹ zu<br />

tun. Dieses kleine Blatt erschien mir als Rettung aus dem Atelier-<br />

Schmutz.« 32 Die Künstler tauschten oder schenkten sich Werkproben<br />

33 (Abb. 6). Wiederholt schlug <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> eine mögliche Zusammenarbeit<br />

an einem Buchprojekt vor, allerdings kam es dazu<br />

nie. In losen Abständen informierte man sich, der gegenseitigen<br />

Anteilnahme gewiss, über aktuelle Vorhaben.<br />

Während eines einwöchigen Aufenthaltes von <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />

in Altenburg bot sich die Gelegenheit zu langen Spaziergängen<br />

und intensiven Gesprächen. 1964 vermeldete Altenbourg: »Die<br />

Arbeit hat mich wieder voll in Besitz«. 34 Und 1971 – noch immer<br />

versuchten die DDR-Behörden, Ausstellungen des Künstlers im<br />

Westen zu unterlaufen – reagierte sich Altenbourg gegenüber<br />

dem Künstlerfreund ab: »Von gewisser Seite hörte ich, daß meine<br />

Arbeit mich völlig in Ungnade gebracht hat. Aber – soviel ich<br />

weiß – war ich niemals im Stand der Gnade. Und wir haben dies<br />

Vergnügen, die Ungnade mit Ironie kommentieren zu dürfen.« 35<br />

In der Tat, dieses Vergnügen teilten beide, denn auch <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />

war und ist ein Meister ironischer Kunst, wobei »viel von dem<br />

Spott und der Heiteretei, die er verbreitet, längeren Nachdenkens<br />

wert ist« 36 .<br />

Früh hat sich <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> als eigenwilliger Zeichner ausgewiesen.<br />

Um 1960 hatte er eine Handschrift entwickelt, die sich<br />

flexibel zwischen intuitiv hingeworfener Figuration und einem<br />

Lineament entfaltet, das die Stilkunst beziehungsweise deren Erfahrungswerte<br />

über die dynamische und gestalterische Kraft der<br />

Linie weitertreibt. Je nachdem überwiegt Eleganz, eine der Art<br />

32 33

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