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ODA KROHG

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Oda KrOhg<br />

Malerin und Muse im Kreis um<br />

Edvard Munch<br />

Herausgegeben von<br />

Verena Borgmann und Frank Laukötter<br />

Wienand<br />

Mit freundlicher unterstützung des Freundes- und Förderkreises<br />

Kunstsammlungen Böttcherstraße e. v.<br />

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127<br />

128<br />

Inhalt<br />

Vorwort und Dank<br />

Geleitwort<br />

Anne Wichstrøm<br />

Oda Krohg<br />

Eine biografische und kunstgeschichtliche Skizze<br />

Øystein Sjåstad<br />

das Bild von Oda Krohg als »eine wahre Boheme-Prinzessin«<br />

Verena Borgmann<br />

Oda Krohg und Edvard Munch – Seelenlandschaften<br />

Katalog Oda Krohg<br />

Katalog Edvard Munch<br />

Biografie Oda Krohg<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

Bildnachweis / Impressum


Abb. 1 Oda Krohg, Fotografie, um 1888 – 1890<br />

anne Wichstrøm<br />

Oda Krohg<br />

Eine biografische und kunstgeschichtliche Skizze<br />

Die feministische Forschung der letzten Jahrzehnte<br />

holte viele Künstlerinnen, die im Laufe der Jahrhunderte<br />

unbekannt geblieben waren, aus dem Dunkel<br />

der Geschichte und nahm eine Neubewertung ihres<br />

Schaffens vor. Oda Krohg gehört nicht zu ihnen. Im<br />

Gegenteil: Ihr Name rief zu jeder Zeit das Bild einer<br />

Femme fatale hervor, einer Frau, die Mann und Kinder<br />

verließ, einer Boheme-Prinzessin und Muse von Dichtern<br />

und Künstlern. Dass sie selbst Künstlerin war,<br />

wurde schnell vergessen. Klatsch und Gerede ließen<br />

die eigenständige bildende Künstlerin Oda Krohg<br />

nicht zur Geltung kommen. Erst als ihre Werke in den<br />

1980er Jahren wieder der Öffentlichkeit vorgestellt<br />

wurden, erkannte man, dass diese einen selbstverständlichen<br />

Platz in der für die nordische Kunst so<br />

fruchtbaren Periode um 1900 einnehmen, einer Periode,<br />

in der Realismus und Symbolismus ein enges<br />

Verhältnis miteinander eingingen.<br />

Ottilia Pauline Christine, im Alltag Oda genannt,<br />

wurde am 11. Juni 1860 in Kristiania (Oslo) geboren. | 1<br />

Ihre Eltern waren der Regierungsadvokat Christian<br />

Lasson und seine halb russische Frau Alexandra. Oda<br />

war das dritte Kind in einer zehnköpfigen Geschwisterschar,<br />

acht Mädchen und zwei Jungen. Die Lassons<br />

gehörten der höchsten Gesellschaftsschicht an.<br />

Sie waren eine bessergestellte, aber nicht sehr wohlhabende<br />

Beamtenfamilie. Sie wohnten gleich hinter<br />

dem königlichen Schloss in einem alten Haus mit<br />

großem Garten, in dem im Frühling der Flieder so<br />

herrlich blühte, wie die jungen Männer berichteten,<br />

die die Töchter umschwärmten. Die Familie besaß<br />

auch ein Sommerhaus in Hvitsten am Kristianiafjord<br />

(Oslofjord). Christian Lasson kam aus einer musikund<br />

kunstinteressierten Familie und beteiligte sich in<br />

einer Zeit, in der sich das Land nach der Befreiung<br />

von Dänemark 1814 noch im kulturellen Wiederaufbau<br />

be fand, aktiv am Kulturleben der Stadt. Zu Hause<br />

wurde viel gesungen und gespielt. Mehrere Kinder<br />

der Familie hinterließen ihre künstlerischen Spuren.<br />

Per, nur ein Jahr älter als Oda und der Stolz der Familie,<br />

war ein vielversprechender Pianist und Komponist.<br />

Seine Romanzen und kleineren Kompositionen<br />

werden heute noch viel gespielt.<br />

Die Lassonschen Kinder wurden nach den für eine<br />

Beamtenfamilie üblichen Normen erzogen. Auch wenn<br />

wir vielleicht annehmen, man wäre so liberal gewesen,<br />

die Mädchen zu ermuntern, mehr aus ihren Fähigkeiten<br />

zu machen als nur gute Hausfrauen und Mütter zu<br />

sein, war es nicht so. Wohl typisch dafür war die Antwort<br />

des Vaters, als Oda die Malerschule besuchen<br />

wollte: »Ja, du kannst anfangen – aber wenn du Talent<br />

hast, dann darfst du nicht weitermachen.« | 2 Mit Kunst<br />

beschäftigten die Mädchen sich, um ihr Sehen, ihre<br />

ästhetischen Fähigkeiten zu entwickeln, was ihrem<br />

späteren Zuhause zugute kommen sollte. Nichtsdestotrotz<br />

taten sich mehrere der Schwestern auf dem<br />

Gebiet der Ästhetik hervor. Alexandra, die mit dem<br />

Maler Frits Thaulow verheiratet war, arbeitete eine<br />

Zeit lang an Bucheinbänden im Jugendstil. Caroline<br />

(genannt Bokken) trotzte dem häuslichen Widerstand,<br />

bildete sich zur Sängerin aus und fand später als Kabarettkünstlerin<br />

ihren besonderen Stil.<br />

8 9


Oda Krohg<br />

Abb. 11 Oda Krohg: Italienischer Junge III, 1904<br />

zu planen, dass sie wieder zusammenziehen würden.<br />

Im selben Jahr malte Oda Krohg ein Porträt von Gunnar<br />

Heiberg (Abb. 10). Vielleicht malte sie sich als<br />

Abschluss ihres Verhältnisses frei? Heiberg sitzt<br />

selbstsicher da, die kompakte Gestalt schräg nach<br />

hinten gelehnt, die eine Hand zur Hälfte in der Westentasche.<br />

Es ist das Bild eines starken und sympathischen<br />

Mannes, mit einem schiefen Blick auf das<br />

Leben. Oda Krohg malte Heiberg ohne jede Spur einer<br />

Karikatur, obwohl sein Aussehen in vielen Künstlern<br />

den Karikaturisten weckte. Der endgültige Bruch zwischen<br />

Oda Krohg und Gunnar Heiberg erfolgte 1901.<br />

Zusammen in Paris und Kristiania<br />

Fast zehn Jahre lang, bis 1909, lebten Oda, Christian<br />

und Per Krohg in verschiedenen kleinen Atelierwoh-<br />

nungen auf dem Montparnasse, alle in der Nähe zu<br />

den Cafés auf dem Boulevard. Der Montparnasse<br />

war noch ein unmondänes Randgebiet von Paris, wo<br />

man billig wohnen konnte. Im Sommer hielten sie<br />

sich lange in Norwegen auf. Von 1902 bis 1909 unterrichtete<br />

Christian Krohg an der privaten Académie<br />

Colarossi. Nach mehreren Jahren Stillstand begann<br />

Oda Krohg wieder frischen Mutes mit der Malerei,<br />

wobei sie neue Motive und Ausdrucksformen suchte,<br />

doch gibt es auch zu den Sommernachts- und Familienbildern<br />

zurückführende Linien.<br />

Nachtschwärmer (Kat. Nr. 15) ist ein Doppelporträt<br />

von ihrer kleinen Schwester Bokken und deren<br />

dänischem Freund und Begleiter Sten Drewsen.<br />

Bokken war inzwischen weit über Norwegens Grenzen<br />

hinaus als Kabarettkünstlerin besonderen Stils<br />

bekannt. Jedwedes Interesse zielt auf die beiden<br />

Personen und die pointierten Kontraste zwischen<br />

ihnen. Ihre Köpfe sind einander leicht zugeneigt. Er<br />

hat einen etwas zugeknöpften Ausdruck und einen<br />

intensiven, brennenden Blick. Bokken erzählte, dass<br />

er kupferrotes Haar, Augen wie blankgeputzte braune<br />

Knöpfe und einen dünnen Strich als Mund hatte, der<br />

sich über ein Gesicht, das bleich und konkav wie<br />

der Mond bei Neumond war, hinzog. | 11 Sie hat ein<br />

aufrichtiges und weit offenes Lächeln. Ihr weißer<br />

Hut und sein kreideweißer Hemdausschnitt, ihr rotgelbes<br />

Kleid und sein rotes Haar leuchten intensiv in<br />

der dunklen Nacht.<br />

In diesen Jahren arbeiten Oda und Christian<br />

Krohg eng zusammen, oft mit demselben Modell. Die<br />

Académie Colarossi arbeitete mit Italienern aus der<br />

Nachbarschaft als Modelle. Oda Krohgs Italienischer<br />

Junge III (Abb. 11, vgl. auch Kat. Nr. 16) mit großem<br />

Hut und rötlichem Haar sieht mit seinem zusammengekniffenen<br />

Mund und den großen, lebendigen<br />

Augen sehr schelmisch aus. Während ihres Besuches<br />

bei Alexandra und Frits Thaulow 1897 in Dieppe saß<br />

deren sechsjährige Tochter Ingrid Modell für sie. Die<br />

Bilder Mädchen mit braunem Huhn (Kat. Nr. 12) und<br />

Mädchen mit Katze (Kat. Nr. 13) – Oda Krohg malte<br />

beide in mehreren Versionen – führen die Gedanken<br />

zurück zu ihren Bildern von spielenden Kindern um<br />

1890. | 12<br />

Trotz allem ist die Porträtmalerei in dieser Phase<br />

vorherrschend: Porträts von Künstlern und Kulturpersönlichkeiten<br />

aus dem eigenen Umgangskreis in<br />

Paris und Kristiania. Die Porträts waren selten auf<br />

Bestellung gemalt, aber wohl doch mit einem kleinen<br />

Seitenblick auf einen möglichen Verdienst. Die<br />

Familie brauchte immer Geld und Oda Krohg mag<br />

dahingehend spekuliert haben, fertige Porträts von<br />

bekannten Personen an Museen oder öffentliche<br />

Einrichtungen zu verkaufen. Dies geschah selten<br />

sofort, doch gingen im Laufe der Zeit fast alle Künstlerporträts<br />

in öffentliches Eigentum über. Oda Krohgs<br />

Porträts sind von starker Intensität, alle Aufmerksamkeit<br />

konzentriert sich auf die Psyche des Modells,<br />

die durch eine ausdrucksstarke Körpersprache und<br />

ein ebensolches Mienenspiel geschildert wird, durch<br />

dunkle Farben und ein oft dramatisches Spiel von<br />

Licht und Schatten. | 13<br />

Das Porträt von Aasta Hansteen (Kat. Nr. 14) ist<br />

das stärkste in dieser Porträtserie. Hansteen war<br />

eine der ersten Malerinnen Norwegens, später eine<br />

kompromisslose Frauenrechtlerin und eine Pionierin<br />

des norwegischen Kulturlebens. Es war auch allgemein<br />

bekannt, dass sie die Vorlage für die Titelfigur<br />

in Gunnar Heibergs Drama Tante Ulrike war, welches<br />

1901 Premiere hatte. Oda Krohg verlieh der alten<br />

Kämpferin einen intensiven, energischen Ausdruck.<br />

Die rechte Hand liegt geballt auf der Hüfte, das Kinn<br />

ist so hoch, dass wir die gespannten Halsmuskeln<br />

erkennen können. Von rechts fällt ein starkes Licht<br />

auf Gesicht und Hände und hebt die Spuren des<br />

Alters hervor.<br />

Auf einer Ausstellung 1906 in Kristiania zeigte<br />

Oda Krohg ihre Künstlerporträts, wobei sie sich als<br />

Abb. 12 Oda Krohg: Ich selbst, um 1906<br />

Porträtmalerin der Künstler vorstellte – mit dabei war<br />

ihr eigenes Porträt, das den stolzen Titel Ich selbst<br />

(Abb. 12) trug. Mit einem Blick voller Reserviertheit<br />

und Vorbehalt sieht sie uns direkt an – und ein wenig<br />

auf uns herab. Von unten fällt ein grünliches Licht mit<br />

brutaler Kraft auf Hals und Gesicht. Eine eng anliegende<br />

dunkle Jacke mit leuchtend roten und grünen<br />

Verzierungen und ein fantasievoller, weicher Filzhut<br />

auf den dicken, rötlichen Locken zeugen von einer<br />

modebewussten Frau. Die verwundbare, reservierte<br />

Frau auf dem Selbstporträt von vor 1892 ist zu einer<br />

bewussten Frau geworden, die den Betrachter eine<br />

Armlänge auf Abstand hält.<br />

18 19


das Bild von Oda Krohg als »eine wahre Boheme-Prinzessin«<br />

Abb. 21 Edouard Manet: Zigeunerin mit Zigarette, 1862<br />

tituierte als auch die Bohemienne opponieren gegen<br />

die bürgerliche Gesellschaft. In Charles Baudelaires<br />

Darstellung der modernen Stadt in Le peintre de la vie<br />

moderne (1863) sind sie »gefallene Frauen«. | 32<br />

In Edouard Manets Zigeunerin mit Zigarette<br />

(Abb. 21) sehen wir einen weiteren, außerhalb der<br />

Gesellschaft stehenden alternativen Frauentyp: eine<br />

rauchende ›Zigeunerin‹ in bunten Kleidern. Vielleicht<br />

hatte Christian Krohg, der ein großer Bewunderer von<br />

Manet war, dieses Bild in Paris oder in einer Zeitschrift<br />

gesehen. Wir erkennen etwas von derselben lockeren<br />

Pinselführung und dem Einsatz teilweise unmodellierter<br />

Flächen in Krohgs Bild wieder. Die Körperhaltung der<br />

beiden Personen erinnern aneinander, und sie haben<br />

beide einen Ring am Finger und auffallenden Ohr-<br />

schmuck – obwohl Oda Krohgs Ohrring etwas zurück-<br />

haltender ist. Es ist, als hätte Christian Krohg – wenn<br />

man Auberts Analyse folgen will – Oda Krohg im Zigeunerkostüm<br />

gemalt. Das einzige was fehlt, ist eine Zigarette<br />

im Mundwinkel. Die Zigarette war ein wichtiges<br />

Kennzeichen der Boheme. Zigaretten rauchende Frauen<br />

wurden als radikal und antibürgerlich aufgefasst. | 33 Wie<br />

aus unzähligen Gemälden, Fotografien und Memoiren<br />

hervorgeht, rauchte auch Oda Krohg viel. In Christian<br />

Krohgs beiden Atelierbildern sehen wir, dass Zigaretten<br />

zur selbstverständlichen häuslichen Ausstattung<br />

gehörten. Auch die niedriger stehenden Prostituierten<br />

konnten mit einer Zigarette in der Hand und dem Mund<br />

entweichendem Rauch beobachtet werden. Es ist deshalb<br />

kein Zufall, dass Manet die Zigeunerin mit einer<br />

Zigarette darstellte und dass Zigaretten bei Oda Krohg<br />

und anderen radikalen Frauen Mode wurden. Hier<br />

sehen wir die Verbindung zwischen den verschiedenen<br />

alternativen sozialen Gruppen, die zur Entstehung der<br />

Idee des Bohemianismus beigetragen hatten.<br />

Die Gestalt der Oda Krogh wurde möglicherweise<br />

auch von Edvard Munch, der vom Oda-Bild seines<br />

alten Mentors von 1888 sehr eingenommen war, aufgegriffen<br />

und weiterinterpretiert. Wie wir gesehen<br />

haben, setzte er sie in seiner Grafik von den Bohemiens<br />

ein, wo Oda Krohg eine Femme fatale ist – eine<br />

Frau, die alle Männer, die sie trifft, verführt und<br />

hypnotisiert (Kat. Nr. 26). Auch ist es nicht unwahrscheinlich,<br />

dass Munch beim Malen der gleichzeitig<br />

entstandenen Bilder Madonna (Abb. 22) und Asche | 34<br />

das Bild von Oda Krohg in Gedanken hatte. Insbesondere<br />

die rote, glorienähnliche Form, die die Madonna<br />

umgibt, erinnert an den Hut, den Oda auf dem Porträt<br />

von Christian Krohg trägt.<br />

Doch finden diese Darstellungen keinen Widerklang<br />

in Oda Krohgs Selbstporträts. In ihren Selbstinszenierungen<br />

treffen wir weder auf die Boheme-<br />

Prinzessin noch auf die selbstständige Künstlerin. Nur<br />

zwei Jahre, nachdem ihr Mann sie porträtiert hatte,<br />

Abb. 22 Edvard Munch: Madonna, 1894–1895<br />

malte sie ihr etwas düsteres Selbstporträt (Kat. Nr. 10).<br />

Die beiden Bilder könnten verschiedener nicht sein.<br />

Das Selbstporträt ist introvertiert und vermittelt den<br />

Eindruck einer psychologischen Studie. Es sagt nichts<br />

darüber aus, dass es sich hierbei um das Selbstporträt<br />

einer Künstlerin handelt. Wie Eva Pohl bemerkt, stellen<br />

Frauen sich selten als professionelle Maler dar. | 35<br />

Wichstrøm schreibt über das Bild: »Indem sie [Oda<br />

Krohg] das Bild mit einer Art Schleier versah, als sähe<br />

sie sich selbst in einem alten Spiegel, schuf sie zwischen<br />

uns und sich einen Abstand. Im Ausdruck liegt<br />

etwas Scheues und Verwundbares, was mit dem Bild,<br />

das andere von ihr vermitteln, ganz und gar nicht übereinstimmt:<br />

Hier ist sie weder Jægers Boheme-Prinzessin<br />

noch Christian Krohgs Alltagsmensch.« | 36<br />

Abb. 23 Oda Krohg: Frauenakt mir chinesischer Laterne, 1890er Jahre (?)<br />

Auch in zwei ihrer bekanntesten Bilder Am Kristianiafjord<br />

(Japanische Laterne, Kat. Nr. 1) und Crescendo<br />

(Kat. Nr. 6) sehen wir eine absorbierte Frauengestalt,<br />

von der man annehmen kann, dass sie Oda Krohg<br />

selbst ist. Sie ist dem Betrachter abgewandt und wir<br />

können ihr Gesicht nicht sehen. Auch hier treffen wir<br />

nicht die Boheme-Prinzessin. Interessant ist es auch<br />

zu sehen, dass auch ihr Mann sie mehrere Male als<br />

diese nach innen gekehrte, fast anonyme Oda-Gestalt<br />

malte. Die Gestalt auf dem Bild Am Kristianiafjord<br />

(Kat. Nr. 1) ist nahezu eine spiegelverkehrte Darstellung<br />

der Gestalt der Oda in Christian Krohgs Eine<br />

Ecke meines Ateliers (Abb. 24). | 37 Die Oda-Gestalt<br />

in Gunnar Heiberg liest »König Midas« (Abb. 18) ist<br />

dagegen wieder eine andere als die in Am Kristiania-<br />

36 37


Oda Krohg und Edvard Munch – Seelenlandschaften<br />

Abb. 30 Edvard Munch: Sommernacht. Inger am Strand, 1889 Abb. 31 Oda Krohg: Nana, 1908 (?) Abb. 32 Oda Krohg: Porträt von<br />

Ivar Arosenius, 1905<br />

Einen kontroversen Pol zu diesem romantischen<br />

Nationalismus bildeten die radikalen Bohemiens,<br />

zu denen Christian und Oda Krohg genauso wie<br />

Edvard Munch gehörten. Sie empfanden das starke<br />

Nationalbewusstsein als konservativ. Was die Maler<br />

beider Pole jedoch verband, war das Bestreben, das<br />

Atmosphärische der Landschaft auszudrücken. Die<br />

Inszenierung von Licht spielt in der europäischen<br />

Landschaftsmalerei zwar bereits im beginnenden<br />

17. Jahrhundert eine wichtige Rolle, doch erst in der<br />

Romantik ist es das erklärte Ziel der Künstler, mit<br />

ihren Landschaftsbildern unbewusste Emotionen hervorzurufen.<br />

Gilt diese Zeit als schwärmerisch verklärt,<br />

tat sich Mitte der 1890er Jahre eine neue künstlerische<br />

Ebene auf: Unter Einbezug des sich zeitgleich<br />

entwickelnden Symbolismus schufen die nordischen<br />

Künstler subjektive Stimmungslandschaften von<br />

außergewöhnlicher, psychologisierender Kraft. Die<br />

poetischen Bilder des Peder Severin Krøyer stehen<br />

beispielhaft für diese Phase in der skandinavischen<br />

Kunst. | 14<br />

Oda Krohg hatte dafür den Grundstein gelegt.<br />

Ihre atmosphärischen Bilder spiegeln immer auch<br />

eigene Stimmungen und Gefühle wider. So schwingt<br />

in dem Pastell Am Kristianiafjord (Japanische Laterne,<br />

Kat. Nr. 1 und Abb. 25) die Sehnsucht einer lauen<br />

Sommernacht mit und der Lampion in dem Bild<br />

Chinesische Laterne (An der Wiese, Kat. Nr. 5) mag<br />

symbolisch für eine entflammte Liebe, vielleicht auch<br />

für ein neues Leben stehen – im Juni 1889 hatte ihr<br />

Sohn Per das Licht der Welt erblickt, als dessen Taufpate<br />

Edvard Munch fungierte. In dem Ansinnen, das<br />

subjektive Empfinden in die Kunst mit einfließen zu<br />

lassen, besteht eine enge Verbindung zu Munch – für<br />

beide Künstler dienten die Bilder als Ausdruck ihres<br />

individuellen Erlebens, ihrer Gefühle, ihres Seelenlebens.<br />

Wir können davon ausgehen, dass beide die<br />

Bilder des jeweils anderen kannten und sich somit<br />

gegenseitig inspirierten. Die Verbindung hatte sich<br />

durch den gemeinsamen Lehrer Christian Krohg<br />

ergeben, im Kreise der Boheme verfestigt und mündete<br />

schließlich in einer künstlerischen Freundschaft,<br />

die ihren Höhepunkt im Jahre 1891 fand: Im Sommer<br />

trafen sich Oda Krohg und Edvard Munch in Åsgårdstrand,<br />

um dort gemeinsam zu malen. Hier wurde<br />

Munch von der Liebschaft seines Freundes Jappe<br />

Nilssen mit Oda Krohg zu mehreren Darstellungen<br />

Abb. 33 Edvard Munch: Selbstbildnis<br />

mit brennender Zigarette, 1895<br />

der Melancholie (Abb. 28) inspiriert, in denen er Nilssen<br />

am Strand sitzend zeigt, einsam und verzweifelt<br />

über die Trennung von Oda Krohg. Eine Variante des<br />

Gemäldes wurde noch im selben Jahr bei der Herbstausstellung<br />

gezeigt und von Christian Krohg als erstes<br />

symbolistisches Werk der norwegischen Malerei<br />

gefeiert. Zudem dient Munch die Krohg-Nilssen-<br />

Affäre als Anregung für seine späteren Eifersucht-<br />

Bilder. | 15 Was sich in der ersten, eher skizzenhaften<br />

Fassung des Bildes nur erahnen lässt, wird in den<br />

späteren Versionen etwas deutlicher: Im Hintergrund<br />

führt ein Steg ins Wasser, auf dem zwei Figuren<br />

angedeutet sind – ein Mann im schwarzen Anzug und<br />

eine Frau im weißen Kleid. Es ist naheliegend anzunehmen,<br />

dass es sich dabei um Oda und Christian<br />

Krogh handelt. | 16<br />

Doch bereits vor dem Sommer ihres gemeinsamen<br />

Wirkens in Åsgårdstrand lassen sich Ähnlichkeiten<br />

in der Motivik von Oda Krohg und Edvard Munch<br />

erkennen. Im Jahr 1889 machten sie beide eine junge<br />

Frau am Klavier zum Thema eines Bildes. Oda Krohg<br />

malte Crescendo (Kat. Nr. 6) und Munch Mädchen am<br />

Piano (Abb. 29). | 17 In der Komposition ähneln sich die<br />

Bilder, doch sie unterscheiden sich im Stil. Munch<br />

Abb. 34 Edvard Munch: Dagny<br />

Juel-Przybyszewska, 1893<br />

Abb. 35 Edvard Munch:<br />

Karl Jensen-Hjell, 1885<br />

wählt eine impressionistische Malweise und schafft<br />

dadurch eine sehr bewegte Bildoberfläche mit aufgelösten<br />

Formen, während Oda Krohgs Gemälde homogener<br />

scheint. Mit den tiefen Blautönen und dem<br />

Mond, der hier indirekt durch das auf dem Klavier<br />

stehende Landschaftsbild in die Szenerie integriert<br />

wird, überträgt die Künstlerin die atmosphärische<br />

Stimmung der abendlichen Landschaft in den Innenraum.<br />

Als Oda Krohg im Sommer desselben Jahres<br />

Chinesische Laterne (An der Wiese) malte, malte<br />

Munch Sommernacht. Inger am Strand (Abb. 30). Mit<br />

diesem Gemälde knüpft er an Oda Krohgs Sommernachtsbild<br />

Am Kristianiafjord (Japanische Laterne) an.<br />

Die Ähnlichkeiten liegen auf der Hand: Das zentrale<br />

Motiv ist eine junge Frau im weißen Kleid, die an<br />

einem mondbeschienenen See sitzt. Es herrscht eine<br />

melancholische Stimmung. Beide Künstler arbeiten<br />

mit vereinfachten Formen, was sich vor allem in den<br />

Kleidern niederschlägt, bei Oda Krohg außerdem<br />

in der stilisierten Seelandschaft, bei Edvard Munch<br />

in den plakativen Steinen. Anstelle von Oda Krohgs<br />

Papierlaterne fungiert bei Munch der Mond als Lichtquelle.<br />

Den Einsatz des Mondscheins als Stimmungsträger<br />

wird er in seinen späteren Bildern perfektio-<br />

46 47


1<br />

am Kristianiafjord<br />

(Japanische Laterne)<br />

Ved Kristianiafjorden (Japansk lykt)<br />

1886<br />

Pastell<br />

61 × 40 cm<br />

Privatbesitz<br />

Am Kristianiafjord (Japanische<br />

Laterne) ist ein Meilenstein im<br />

Werk von Oda Krohg. Mit diesem<br />

Bild stellte sie sich 1886 im<br />

Herbstsalon in Kristiania erstmals<br />

der Öffentlichkeit vor und leistete<br />

damit einen wesentlichen Beitrag<br />

zur Entwicklung der Stimmungsmalerei<br />

in Norwegen, die sich erst<br />

in den 1890er Jahren zu voller<br />

Blüte entfalten sollte.<br />

Die atmosphärische Stimmung<br />

wird erzeugt durch das Zusammenspiel<br />

des warmen, goldenen<br />

Lichts der Papierlaterne und der<br />

Abenddämmerung während der<br />

sogenannten blauen Stunde, wenn<br />

der Himmel eine tiefblaue, aber<br />

doch leuchtende Farbigkeit besitzt.<br />

Oda Krohg wählte nicht Ölfarbe<br />

sondern Pastellkreide, um die<br />

Poetik des Moments einzufangen;<br />

eine Technik, die den Künstlern<br />

ein besonders weiches, fließendes<br />

Arbeiten ermöglicht. So scheinen<br />

die Gegenstände miteinander zu<br />

verschmelzen und die Farbe legt<br />

sich wie ein Schleier über die Szenerie.<br />

Die im Vordergrund sitzende<br />

Figur schmiegt sich förmlich an<br />

die rechte Türseite. Der Türrahmen<br />

ist zugleich Bilderrahmen und lädt<br />

den Betrachter ein, dem Blick der<br />

jungen Frau zu folgen, die gedan-<br />

kenverloren auf eine Seelandschaft<br />

schaut. Sie wirkt wie die personifizierte<br />

Melancholie. Bei der Dargestellten<br />

handelt es sich entweder<br />

um Oda Krohg selbst oder um<br />

eine ihrer Schwestern. Schauplatz<br />

ist das am Oslofjord gelegene<br />

Hvitsten, wo die Familie Lasson<br />

ein Sommerhaus besaß. | 1 In einer<br />

anderen, etwas größeren und ein<br />

wenig helleren Version des Bildes<br />

(Abb. 25) zeichnet sich das weiße<br />

Haus am linken Bildrand etwas<br />

deutlicher ab. Dort ist außerdem<br />

der geöffnete Türflügel sichtbar,<br />

in dessen Glasscheiben sich die<br />

Laterne widerspiegelt. | 2<br />

Der Lampion ist nur eines der<br />

Merkmale, die deutlich den Einfluss<br />

japanischer Kunst auf Oda Krohgs<br />

Werk erkennen lassen. Auch die<br />

sparsame Palette, die dekorative<br />

Vereinfachung und die schlanken<br />

Bäume, die den Bildraum gliedern,<br />

lassen darauf schließen. Das sind<br />

Stilmittel, die wir von anderen<br />

impressionistischen Künstlern<br />

kennen und auch der Einsatz asiatischer<br />

Accessoires wie Fächer oder<br />

Sonnenschirme ist nicht neu. In<br />

Norwegen war Oda Krohg jedoch<br />

die erste, die den Japonismus mit<br />

einer Sommernachtsstimmung<br />

verbindet. So schuf sie ein zwar<br />

romantisches, aber doch ungekünsteltes<br />

Bild, das symbolisch für<br />

ihr eigenes Gefühlsleben steht.<br />

vB<br />

1 Vgl. Anne Wichstrøm: Oda Krohg. Maleri,<br />

Ausst. Kat. Lillehammer Kunstmuseum,<br />

Lillehammer 2005, S. 4.<br />

2 In Privatbesitz existiert noch eine dritte<br />

Version des Pastells, die in Ausgestaltung<br />

und Größe fast genau der Version aus dem<br />

Nasjonalmuseet entspricht.<br />

54 55


58 59


13<br />

Ingrid mit Katze<br />

Ingrid med katt<br />

um 1897<br />

Öl auf Leinwand<br />

64 × 50 cm<br />

Privatbesitz<br />

1897 besuchten Oda und Christian<br />

Krohg zusammen mit ihrem<br />

Sohn Per die Familie Thaulow in<br />

Dieppe in der Normandie. | 1 Frits<br />

Thaulow, wie die Krohgs auch ein<br />

Maler, war mit Odas Schwester<br />

Alexandra verheiratet. | 2 Ingrid, die<br />

Tochter der Thaulows, diente ihrer<br />

Tante Oda Krohg als Modell für<br />

das Gemälde Ingrid mit Katze. | 3<br />

Ein dunkles Augenpaar, den<br />

Kopf leicht nach vorn geneigt,<br />

sodass die blonden Locken das<br />

Gesicht umspielen, ein lächelnder<br />

Mund – Ingrid weiß zu gefallen;<br />

und Oda Krohg weiß die Anmut,<br />

Abb. 41 Oda Krohg: Ein kleines Mädchen mit<br />

Katze, 1907<br />

die Lebendigkeit und den Zauber<br />

der Sechsjährigen zu malen. Das<br />

Kind hält eine Katze, die mehr mit<br />

dem Mädchen zu spielen scheint<br />

als dieses mit dem Tier. Mit<br />

bewegten Pinselstrichen hält die<br />

Künstlerin diese Szene fest. Nass<br />

in Nass gemalt, schimmert das Rot<br />

des Kleides durch das Weiß der<br />

Pfoten. Wie im Fell des Tieres Hell<br />

und Dunkel kontrastieren, stehen<br />

sich dieses Rot und der überwiegend<br />

grünliche, ab und an auch<br />

bläuliche Hintergrund gegenüber.<br />

Kinderbilder kommen im Werk<br />

Oda Krohgs häufig vor. Acht der<br />

22 Bilder dieses Katalogs sind Kinderbilder<br />

(Kat. Nrn. 2, 3, 8, 9, 12,<br />

13, 16 und 17). Ein frühes Beispiel<br />

eines Kinderbildnisses ist verschollen.<br />

Das Mein Junge betitelte<br />

Gemälde war zusammen mit Am<br />

Kristianiafjord (Japanische Laterne,<br />

Kat. Nr. 1) 1886 auf der Herbstausstellung<br />

zu sehen. Es wird berich-<br />

Abb. 42 Oda Krohg: Ein Mädchen mit Katze,<br />

1908<br />

tet, dass es ein amüsantes Porträt<br />

des Sohnes der Künstlerin war,<br />

der, sich scheinbar ertappt fühlend,<br />

ein Spielzeug hinter seinem<br />

Rücken versteckt hält, während<br />

andere Spielzeuge wie objets trouvés<br />

auf dem Bilderrahmen platziert<br />

waren. | 4 Ein spätes Beispiel<br />

eines Kinderbildnisses ist das der<br />

Enkelin Turi von um 1928. | 5 Durch<br />

ihre jahrzehntelange Beschäftigung<br />

mit dem Bild des Kindes –<br />

von Ingrid mit Katze gibt es allein<br />

drei Variationen – trug Oda Krohg<br />

ihren Teil dazu bei, dass, den programmatischen<br />

Titel des Buches<br />

von Ellen Key von 1900 aufgreifend,<br />

das 20. Jahrhundert Das<br />

Jahrhundert des Kindes wurde.<br />

FL<br />

1 Vgl. den Aufsatz von Anne Wichstrøm in<br />

diesem Katalog, S. 18f.<br />

2 Per Krohg porträtierte seine Mutter Oda<br />

Krohg und seine Tante Alexandra Thaulow auf<br />

dem Gemälde Grand Café in den 1890er Jahren,<br />

Abb. 16 in diesem Katalog. Sie sitzen in der vorderen<br />

Reihe, unterhalb des Zwischenraums zwischen<br />

den mittleren Fenstern. Christian Krohg<br />

ist etwas weiter links zu sehen, seine linke Hand<br />

fährt durch seinen weißen Bart, seine rechte<br />

ruht auf einem roten Stuhl.<br />

3 1895 malte Jacques-Emile Blanche: Die<br />

Familie Thaulow. Öl auf Leinwand, 180 × 200cm.<br />

Das Bild befindet sich im Musée d’Orsay. Es<br />

zeigt Frits Thaulow umgeben von Ingrid und Harald,<br />

den Kindern aus zweiter Ehe mit Alexandra<br />

Lasson, und Else, dem Kind aus erster Ehe mit<br />

Ingeborg Gad, der Schwester von Mette-Sophie<br />

Gad, der Gattin von Gauguin.<br />

4 Vgl. Anne Wichstrøm: Oda Krohg. A Turnof-the-Century<br />

Nordic Artist, in: Women’s Art<br />

Journal, Bd. 12, H. 2, Herbst 1991 / Winter 1992,<br />

S. 3–8, hier S. 8, Anm. 12 und vgl. den Aufsatz<br />

von Anne Wichstrøm in diesem Katalog, S. 12.<br />

5 Oda Krohg: Turi, um 1928. Öl auf Leinwand,<br />

46,5 × 36,5 cm. Privatbesitz, Norwegen, in: Anne<br />

Wichstrøm: Oda Krohg. Et kunstnerliv, Oslo 1988,<br />

Abb. 97, S. 111.<br />

78 79


21<br />

Porträt von Johanne dybwad<br />

Portrett av Johanne Dybwad<br />

1912<br />

153,5 × 93,5 cm<br />

Öl auf Leinwand<br />

Nationaltheatret, Oslo<br />

Nach Oda Krohgs endgültiger<br />

Rückkehr aus Paris im Jahr 1911<br />

blieb sie in ihrer Heimatstadt Kristiania<br />

eine gefragte Porträtmalerin.<br />

| 1 Einen Höhepunkt aus dieser<br />

Zeit stellt das Porträt der Schauspielerin<br />

Johanne Dybwad dar. In<br />

den 1880er Jahren, also zur Blütezeit<br />

der Kristiania-Boheme, waren<br />

Oda und Christian Krohg eng mit<br />

der Schauspielerin Johanne Dybwad<br />

und ihrem Mann, dem Anwalt<br />

und Theaterautor Vilhelm Dybwad,<br />

befreundet. | 2 Aus dieser Zeit<br />

stammt ein Porträt der Schauspielerin<br />

aus Christian Krohgs Hand,<br />

jedoch besitzt Oda Krohgs Bild,<br />

Abb. 46 Christian Krohg: Porträt Johanne<br />

Dybwad, 1887–1890<br />

allein schon der Maße wegen,<br />

einen repräsentativeren Charakter.<br />

Ein Grund dafür liegt sicherlich<br />

im Anlass des Porträts: In Auftrag<br />

gegeben von der Geschäftsführung<br />

des Nationaltheaters, ist es<br />

eine Hommage an die Schauspielerin,<br />

die 1912 ihr 25-jähriges Bühnenjubiläum<br />

feierte. | 3<br />

Johanne Dybwad (1867–1950) galt<br />

in ihrer Zeit als eine der bedeutendsten<br />

Schauspielerinnen Skandinaviens.<br />

Ihr ausdrucksstarkes,<br />

aber natürliches Spiel harmonisierte<br />

vollkommen mit den naturalistischen<br />

Theaterstücken von<br />

Bjørnstjerne Bjørnson und Henrik<br />

Ibsen. Nach dem ungeheueren<br />

Erfolg ihrer Darstellung der Nora<br />

in Ibsens Ein Puppenheim spielte<br />

sie alle großen Frauenrollen des<br />

Dramatikers. Der norwegische<br />

Literaturhistoriker Francis Bull<br />

schwärmte noch siebzehn Jahre<br />

nach ihrem Tod in einem Radiointerview<br />

von ihrer Schauspielkunst:<br />

»Wenn ich an Johanne Dybwad<br />

denke, denke ich an ihr Gesicht,<br />

ihren Körper, ihre Stimme – und<br />

an ihre totale Beherrschung darüber.«<br />

| 4 Selbst Gunnar Heiberg war<br />

verblüfft, als sie als junge Frau in<br />

seinem Theaterstück Tante Ulrike<br />

eine alte Frau absolut glaubhaft<br />

verkörperte – ohne dabei auf die<br />

Hilfen der Maskenbildner zurückzugreifen.<br />

| 5<br />

Die Ausdruckskraft von<br />

Johanne Dybwad lässt sich in Oda<br />

Krohgs charismatischem Porträt<br />

gut erahnen. Die Schauspielerin<br />

schaut uns selbstbewusst,<br />

mit aufrechter Haltung aus dem<br />

Bild heraus an. Ihr entspannt<br />

herunterhängender linker Arm<br />

zeugt von einer Gelassenheit.<br />

Ein leichtes Lächeln, das schon<br />

fast verschmitzt wirkt, umspielt<br />

ihren Mund. Ungemein weich und<br />

lebendig wirken ihre Gesichtszüge,<br />

die Oda Krohg in warmen<br />

Farbtönen festgehalten hat. Die<br />

strahlende Wirkung der Schauspielerin<br />

wird durch das Kleid<br />

unterstrichen, dessen Weiß durch<br />

abgestufte Blautöne noch leuchtender<br />

wirkt. Ebenso intensiviert<br />

der in Blau-, Grün- und Rosatönen<br />

changierende Hintergrund die<br />

Leuchtkraft der Figur. Gleichwohl<br />

sind die Hell-Dunkel-Kontraste<br />

weitaus weniger betont als in Oda<br />

Krohgs Porträts der Pariser Zeit.<br />

In seiner harmonischen Farbkomposition<br />

und Zartheit der Konturen<br />

erinnert das Bild an Oda Krohgs<br />

impressionistische Phase der<br />

1880er Jahre.<br />

SE<br />

1 Vgl. den Aufsatz von Anne Wichstrøm<br />

in diesem Katalog, S. 19.<br />

2 Vgl. Anne Wichstrøm: Oda Krohg.<br />

Et Kunstnerliv, Oslo 1988, S. 103.<br />

3 Carla Rae Waal: Johanne Dybwad.<br />

Norwegian Actress, Oslo 1967, S. 96.<br />

4 Francis Bull: Foreword, in: Waal 1967,<br />

wie Anm. 3, S. v–vi, hier: S. v., Übersetzung<br />

aus dem Englischen SE.<br />

5 Vgl. Waal 1967, wie Anm. 3, S. 60.<br />

94 95


Oda Krohg – Biografie<br />

1860 Am 11. Juni als Ottilia Pauline Christine Las-<br />

son geboren in Åsgårdstrand. Zweite Tochter (sieben<br />

Schwestern, zwei Brüder) des Regierungsadvokaten<br />

Christian Otto Carl Lasson (1830 – 1893) und seiner<br />

Ehefrau Alexandra von Munthe af Morgenstierne<br />

(1842 – 1881). Ihre Großmutter mütterlicherseits,<br />

Anastasia Sergiewna Soltikoff, ist eine russische Prinzessin.<br />

Sie wächst in einem konservativ-liberalen Elternhaus<br />

auf. Zwei ihrer Schwestern heiraten bekannte<br />

Maler: Alexandra (1862 – 1955) vermählt sich 1886 mit<br />

Frits Thaulow und Sofie Elisabeth (1873–1917) 1903<br />

mit Holger Drachmann. Caroline, genannt Bokken<br />

(1871 – 1970), wird eine berühmte Varietésängerin. Zu<br />

ihrem Bruder Per (1859 – 1883) hat Oda ein sehr inniges<br />

Verhältnis. Er ist ein vielversprechender Komponist,<br />

stirbt aber bereits im Alter von 24 Jahren.<br />

1881 Am 15. Juni Heirat mit dem Unternehmer<br />

Jørgen Engelhart (1852 – 1921). Mit ihm hat sie in den<br />

nächsten zwei Jahren zwei Kinder – ein Mädchen,<br />

Sascha (1882 – ?), und einen Jungen, Fredrik, genannt<br />

Ba (1883 – ?).<br />

1883 Trennung von Jørgen Engelhart. Diese Entscheidung<br />

löst einen Skandal aus, denn es ist zu<br />

der damaligen Zeit absolut unüblich, dass eine Frau<br />

solch einen Schritt unternimmt. Ermutigt durch die<br />

Kontakte zur Kristiania-Boheme entscheidet sie sich,<br />

Künstlerin zu werden.<br />

Sie wird Schülerin von Christian Krohg (1852 – 1925),<br />

der eine private Malschule betreibt. Die beiden verlieben<br />

sich. Christian Krohg ist bereits ein etablierter<br />

Maler und einer der besten Lehrer. Auch Edvard<br />

Munch zählt zu seinen Schülern.<br />

1885 Noch vor der Scheidung von Jørgen Engelhart<br />

am 22. September wird Oda von Christian Krohg<br />

schwanger. Um einen weiteren Skandal zu vermeiden,<br />

reist das Paar nach Belgien, wo die Tochter<br />

Nana (1885 – 1974) am 18. August geboren wird. Sie<br />

lassen das Kind bei Pflegeeltern zurück. Oda Krohgs<br />

Aufenthalt in Brüssel wird als Studienreise getarnt.<br />

Abb. 58 Die Geschwister Lasson, 1881 Abb. 59 Oda Krohg, um 1888 – 1890 Abb. 60 Oda Krohg und Jappe Nilssen beim Fotografen in Tønsberg, 1891<br />

1886 Ausstellungsdebut im Norwegischen<br />

Herbstsalon mit zwei Bildern: Mein Junge und Am<br />

Kristianiafjord (Japanische Laterne). Mit letzterem,<br />

stimmungsvollem Bild nimmt sie die Sommernachtsbilder<br />

von Edvard Munch vorweg, die er drei Jahre<br />

später zu malen beginnt, und legt den Grundstein für<br />

die atmosphärische Malerei und den Symbolismus in<br />

Norwegen.<br />

1888 Ganz im Sinne der Boheme führt Oda Krohg<br />

im Sommer eine Beziehung mit Hans Jæger, die von<br />

Christian Krohg beobachtet wird. Obwohl das Experiment<br />

nur wenige Wochen dauert, leidet Odas Ansehen<br />

erheblich darunter und auch die Freundschaft<br />

zwischen Jaeger und den Krohgs zerbricht daran.<br />

Eine detaillierte Beschreibung dieser Dreiecksbeziehung<br />

findet sich in Hans Jægers Roman Kranke<br />

Liebe. Das Buch erscheint 1893 und wird sofort nach<br />

Veröffentlichung aufgrund seiner unmoralischen Passagen<br />

konfisziert.<br />

Nachdem die Scheidung von Jørgen Engelhart<br />

bewilligt ist, heiratet sie am 4. Oktober Christian<br />

Krohg.<br />

1889 Am 18. Juni Geburt des Sohnes Per (1889 –<br />

1965). Edvard Munch fungiert als Taufpate.<br />

1890 Die Tochter Nana wird in die Familie zurück<br />

geholt. Beide Kinder des Ehepaars werden ebenfalls<br />

Künstler – Nana wird bekannt für ihre Grafiken, Per<br />

wird einer der führenden Maler Norwegens zwischen<br />

den Weltkriegen.<br />

Die beiden älteren Kinder, die Oda Krohg mit<br />

Jørgen Engelhart hat, leben bei den Krohgs, bis sie<br />

1898 mit dem Vater nach Brasilien emigrieren. Die<br />

Sommerferien verbringen sie in Norwegen bei den<br />

Krohgs und Oda besucht sie 1926 in Brasilien.<br />

1891 Liebesaffäre mit Jappe Nilssen, welche der<br />

Schriftsteller in seinem Roman Nemesis (1896) dokumentiert.<br />

Edvard Munch malt seinen nach der Trennung<br />

verzweifelten Freund in mehreren Varianten des<br />

Bildes Melancholie.<br />

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