Horst Hussel
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Gerhard Altenbourg<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />
Werke im Museum Gunzenhauser<br />
herausgegeben von<br />
Ingrid Mössinger und Thomas Friedrich<br />
Kunstsammlungen Chemnitz<br />
MuseuM GunzenHAuser
Inhalt<br />
Ingrid Mössinger 7 Vorwort<br />
Thomas Friedrich 9 »Isolation, Haltung und Bewahrung«<br />
Gerhard Altenbourg, <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> und Alfred Gunzenhauser:<br />
Zwei ostdeutsche Künstler und ihr westdeutscher Sammler.<br />
Eine Ausstellung in Chemnitz<br />
Lothar Lang 17 Gerhard Altenbourg und <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />
im Kontext der ostdeutschen Grafik<br />
Brigitta Milde 29 Kunstbeziehung zwischen Außenseitern:<br />
Die Trias Altenbourg, <strong>Hussel</strong> und Claus<br />
41 Biografie Gerhard Altenbourg<br />
Annegret Janda 45 Altenbourg im »Hügelgau«<br />
Thomas Friedrich 49 Streifzüge durch »Altenbourgs Revier«<br />
Die Werke Gerhard Altenbourgs im Museum Gunzenhauser<br />
Christa Grimm 61 Auftauchend aus Erinnerung<br />
67 Gerhard Altenbourg | Katalog<br />
149 Biografie <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />
Ute Willer 153 Die grafischen Arbeiten <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong>s<br />
im Museum Gunzenhauser<br />
161 Zeitzeugen über <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />
165 <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> | Katalog<br />
Anhang<br />
228 Werke im Museum Gunzenhauser<br />
238 Werke in den Kunstsammlungen Chemnitz<br />
240 Bibliografie<br />
243 Autoren<br />
Vorwort<br />
Obgleich die Sammlung Dr. Alfred Gunzenhauser in einem großen,<br />
repräsentativen Gebäude untergebracht ist, wird es nie möglich<br />
sein, alle der etwa 2.500 Werke gleichzeitig zu zeigen. Dadurch<br />
ergibt sich aber die Gelegenheit, die Sammlung nach und nach<br />
öffentlich zugänglich zu machen und damit die Neugierde der Besucher<br />
wach zu halten. Der Betrachter sollte jedoch nicht nur den<br />
Anblick der exquisiten Werke genießen, sondern ebenso einen<br />
tieferen Zugang durch gründliche Informationen erhalten, die in<br />
wissenschaftlich bearbeiteten und schön gestalteten Katalogen<br />
publiziert werden. Die erste Veröffentlichung galt dem Werk von<br />
Gabriele Münter, die mit 55 Werken in der Sammlung Gunzenhauser<br />
vertreten ist. Der zweite Katalog nun ist den Künstlern Gerhard<br />
Altenbourg und <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> gewidmet, von denen 30 beziehungsweise<br />
56 Arbeiten gezeigt werden können. Eine Besonderheit<br />
ist, dass alle Werke noch nie öffentlich zu sehen waren und<br />
daher sogar ausgewiesene Kunstkenner Neues entdecken können.<br />
War das Werk des 1926 in Thüringen geborenen und 1989 in<br />
Meißen tödlich verunglückten Künstlers Gerhard Altenbourg durch<br />
zahlreiche Ausstellungen, wie bereits 1959 durch die Teilnahme<br />
an der documenta II, auch im Westen bekannt, so ergibt sich jetzt<br />
auf Grund des besonderen Sammlerblickes Alfred Gunzenhausers<br />
die Gelegenheit, das weniger öffentlich präsentierte Werk des in<br />
Greifswald geborenen <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> kennen und schätzen zu lernen.<br />
Die Fähigkeit, scheinbar künstlerische Nebenwege, die früher<br />
oder später zu Hauptstraßen werden, zu erkennen, zeichnet<br />
den untrüglichen Blick von Dr. Alfred Gunzenhauser aus.<br />
Die Entschlüsselung der Werke unternahmen ausgewiesene Weg-<br />
begleiter von Gerhard Altenbourg und <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong>. Dazu zählt<br />
in erster Linie Annegret Janda, die das Werk von Altenbourg seit<br />
den 1950er Jahren begleitet und das Werkverzeichnis erarbeitet<br />
hat. Ebenso Lothar Lang, der zwischen 1965 und 1988 in regelmäßigem<br />
Briefwechsel mit Gerhard Altenbourg stand. Auf einen<br />
lebenslangen Kontakt mit Gerhard Altenbourg kann auch Christa<br />
Grimm zurückblicken. Angesehene Zeitzeugen wie Stefan Heym,<br />
Eckart Krumbholz, Helmut Schumacher, Peter Röske und Peter<br />
Schönhoff berichten über ihre Begegnung mit <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong>. Ute<br />
Willers spezieller Beitrag zu den grafischen Arbeiten von <strong>Horst</strong><br />
<strong>Hussel</strong> im Museum Gunzenhauser ist zum Verständnis dieser<br />
Werke des Künstlers mehr als aufschlussreich.<br />
Für die Stadt Chemnitz von unschätzbarem Wert sind nicht nur die<br />
Werke der Sammlung Gunzenhauser selbst. Vielmehr erweitern<br />
und ergänzen sie den bereits vorhandenen städtischen Bestand<br />
von 13 Werken Gerhard Altenbourgs und 5 Arbeiten <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong>s<br />
in den Kunstsammlungen Chemnitz.<br />
Der Kurator des Museum Gunzenhauser, Thomas Friedrich, hat wie<br />
immer Vorbildliches geleistet. Nicht nur die besonderen Aspekte<br />
seiner Textbeiträge, sondern auch die sorgfältige Bearbeitung<br />
des Bestandes, die Biografien der Künstler und die Hauptlast der<br />
Vorbereitung des Projektes führten zu dem nun vorliegenden eindrucksvollen<br />
Ergebnis.<br />
Zuerst dem Sammler, Herrn Dr. Alfred Gunzenhauser, allen Autoren<br />
und Thomas Friedrich gilt mein herzlicher Dank. Ebenso verbunden<br />
bin ich Barbara Stempel sowie allen anderen an der Vorbereitung<br />
Beteiligten, die zum Gelingen von Katalog und Ausstellung beitrugen.<br />
Ingrid Mössinger<br />
Generaldirektorin der<br />
Kunstsammlungen Chemnitz<br />
7
<strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> als Student in Dresden, 1954 Gerhard Altenbourg, um 1952<br />
Thomas Friedrich<br />
»Isolation, Haltung und Bewahrung« 1<br />
Gerhard Altenbourg, <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> und<br />
Alfred Gunzenhauser: Zwei ostdeutsche<br />
Künstler und ihr westdeutscher Sammler.<br />
Eine Ausstellung in Chemnitz<br />
In Ausstellungen und Publikationen ist seit dem Fall der Mauer<br />
in den vergangenen zwei Jahrzehnten über die Kunst in der DDR<br />
nachgedacht worden. Dabei fanden offizielle Künstler ebenso<br />
Berücksichtigung wie zu Lebzeiten weniger anerkannte,<br />
zu denen Gerhard Altenbourg und <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> gehören. Im<br />
Falle beider Künstler ist 2009 ein Jubiläum zu würdigen: am<br />
28. April der 75. Geburtstag des mecklenburgischen Wahl-<br />
Berliners <strong>Hussel</strong>; am 30. Dezember der 20. Todestag des thüringischen<br />
Poeten mit der Feder Altenbourg. Und vor nunmehr<br />
45 Jahren eröffnete Alfred Gunzenhauser in einem Hinterraum<br />
eines Münchner Buchantiquariats seine erste Galerie, in der er<br />
zunächst mit Grafiken und Arbeiten auf Papier handelte. Über<br />
die Jahrzehnte änderten sich die Schwerpunkte und persönlichen<br />
Vorlieben des Händlers wie des Sammlers, neben bestimmenden<br />
Konstanten wie Otto Dix und Alexej von Jawlensky, Johannes<br />
Grützke und <strong>Horst</strong> Antes gab es immer wieder Abschnitte, in<br />
denen ihn bestimmte Künstler vorzugsweise interessierten. So<br />
kamen Ende der 1950er Jahre die Kontakte zu Altenbourg und<br />
<strong>Hussel</strong> zustande. Während die Verbindung zu Letzterem im<br />
Laufe der 1960er Jahre auslief, blieb die zu Altenbourg stets bestehen.<br />
1958/59 war Alfred Gunzenhauser als Volontär zur AEG nach<br />
Berlin gekommen, nachdem er seine Studien der Volkswirtschaftslehre<br />
in Heidelberg und Graz mit der Promotion abgeschlossen<br />
hatte. In diese Zeit fallen die ersten Kontakte sowohl zu<br />
Altenbourg als auch zu <strong>Hussel</strong>. Zwei Personen waren es, die die<br />
Verbindung zwischen Sammler und Künstlern forcierten: einerseits<br />
der Altenburger Kunsthistoriker und Sammler Heinrich Mock<br />
(1904 – 1984), andererseits die Künstlerin Renate Jessel (*1923).<br />
Heinrich Mock war zwischen 1933 und 1936 Direktor des Lindenau-Museums<br />
Altenburg und Vorstand des dortigen Kunstver-<br />
eins. Nach dem Krieg gründete er einen eigenen Grafik-Verlag, der<br />
zuletzt 1954/55 dem Verlag der Kunst in Dresden angegliedert<br />
wurde. Zwischen 1956 und 1959 war Mock im Staatlichen Kunsthandel<br />
der DDR tätig. 1947 erschien in seinem Altenburger Grafik-<br />
Verlag Gerhard Altenbourgs erstes Künstlerbuch, das Buch von<br />
Traum, Liebe und Tod, das in der lokalen Presse heftig kritisiert<br />
wurde und für den jungen Künstler monatelange Auseinandersetzungen<br />
mit den Behörden nach sich zog. 2 1949 gab Heinrich Mock<br />
bei Altenbourg einige Lithografien in Auftrag, 3 von denen sich der<br />
Verleger erhoffte, dass sie sich aufgrund der konformistischen Motive<br />
(Lenins Geburtshaus, Kreml, Werk im Ural) besser verkaufen<br />
ließen als die frühen Steindrucke mit den verstörenden Fantasien<br />
aus der Verarbeitung der Kriegserlebnisse des jungen Gerhard<br />
Ströch (vgl. Kat.-Nr. 9 – 24). <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> erinnert sich, dass diese<br />
Blätter noch Ende der 1950er Jahre stapelweise in Mocks Berliner<br />
Verlagsbüro lagen. So wurden sie zum initiierenden Altenbourg-<br />
Kontakt des damals an der Hochschule für Bildende Künste in<br />
Charlottenburg studierenden 22-Jährigen. Mock verschenkte die<br />
Drucke an junge Künstler, welche die Rückseiten als Zeichenpapier<br />
für ihre Studien nutzten. Nachdem <strong>Hussel</strong> bereits einige dieser<br />
Blätter verarbeitet hatte, erkundigte er sich bei dem Verleger<br />
nach dem Urheber der Vorderseiten, und Mock stellte den Kontakt<br />
zu Gerhard Altenbourg her. Auf diese Weise begann eine lebenslange<br />
Freundschaft zwischen zwei Künstlern: der eine als Student<br />
am Beginn seiner Künstlerlaufbahn, der andere – knapp zehn<br />
Jahre älter – mit den ersten großen Einzelausstellungen bei Rudolf<br />
Springer in Westberlin sowie im Lindenau-Museum Altenburg auf<br />
einem frühen Höhepunkt seiner Karriere angelangt.<br />
1959 ging Heinrich Mock nach München, wo er den Verlag Graphikum<br />
und die Graphik-Börse Dr. Heinrich Mock gründete. Hier<br />
stellte er bis in die Mitte der 1960er Jahre immer wieder einzel-<br />
8 9
auch in der Kunst psychisch Kranker zum Ausdruck kommt. <strong>Horst</strong><br />
<strong>Hussel</strong> stand mit Friedrich Schröder-Sonnenstern (1892 – 1982) in<br />
freundschaftlichem Kontakt.<br />
Noch kannten Claus, Altenbourg und <strong>Hussel</strong> einander nicht.<br />
Als der jüngste der drei studierte <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> seit 1958 an der<br />
Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg, nachdem<br />
er 1954 von der Dresdner Akademie und vier Jahre später von<br />
der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee relegiert worden war. 16<br />
Friedrich Stabenau war sein (wenig Einfluss ausübender) Lehrer,<br />
Ernst Schlameus unterrichtete Schrift, Will Grohmann hielt<br />
Vorlesungen zur Kunstgeschichte und zur Gegenwartskunst. Bei<br />
Heinrich Mock in Ostberlin sah <strong>Hussel</strong> Ende der 1950er Jahre zum<br />
ersten Mal Blätter von Gerhard Altenbourg und wurde durch den<br />
Galeristen und Herausgeber mit dem Künstler persönlich bekannt<br />
gemacht. Denn Gerhard Altenbourg fuhr – wie Carlfriedrich Claus<br />
auch – regelmäßig in die geteilte Stadt, um sich über die divergierenden<br />
Entwicklungslinien der Kunst in Ost und West aus eigener<br />
Anschauung zu informieren. Die Galerien Rosen, 17 Schüler 18 oder<br />
Springer 19 waren für sie feste Anlaufstellen.<br />
Will Grohmann, mit dem sowohl Claus als auch Altenbourg<br />
in Verbindung standen, trat als Förderer und Freund in Erscheinung.<br />
20 Als beide Künstler 1960 in Briefaustausch traten, konnten<br />
sie sich auf weitere gemeinsame Bekannte beziehen: auf Ernst<br />
Sieber und Bernard Schultze, in dessen Ausstellung in der Galerie<br />
Schüler sie sich im Januar 1961 zum ersten Mal auch persönlich<br />
begegneten (Abb. 2).<br />
Nach dem Bau der Berliner Mauer im August des Jahres verschärften<br />
sich für die Künstler aus dem Osten die Arbeitsbedingungen<br />
allerdings gravierend. <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> musste sein Studium<br />
beenden und war von heute auf morgen auf eine finanzielle Selbständigkeit<br />
angewiesen. Eine Ausstellung mit Vibrationsstudien 21<br />
Abb. 5 Gerhard Altenbourg, Glossen um eine Figur,<br />
die ich das gesichtslose Mekönkchen nenne, 1969,<br />
Farbholzschnitt, 48,3 x 35,2 cm, Kunstsammlungen<br />
Chemnitz, Stiftung Carlfriedrich Claus-Archiv<br />
von Claus, für die Werner Schüler bereits erste Blätter übernommen<br />
hatte, kam aufgrund der unterbundenen Westreisen und einer<br />
zunehmend rigideren Briefkontrolle nicht mehr zustande. Postbeschlagnahmungen,<br />
Vernehmungen, 22 Hausdurchsuchungen und<br />
Verurteilung 23 beeinträchtigten die künstlerische Arbeit massiv und<br />
führten schließlich zu einem erzwungenen Rückzug. Carlfriedrich<br />
Claus war nach permanenten Schikanen durch Kulturbürokratie,<br />
Steuerbehörden und Zoll zu der Gewissheit gelangt, nur in strengster<br />
Selbstisolation an seinem Schreibzeichenwerk weiterarbeiten zu<br />
können. Nach der vorzeitigen Schließung seiner Ausstellung in der<br />
christlichen Buch- und Kunsthandlung Wort und Werk 1966 in Leipzig<br />
fasste auch Gerhard Altenbourg den Entschluss, überhaupt »nicht<br />
mehr an die Öffentlichkeit dieses Landes zu treten«. 24 »Allein in deinem<br />
Stuhl, allein in deinen Büchern, allein unter Bildern. Es gibt keine<br />
Kommunikation; nur über die Zeiten hinweg kommunizieren wir mit<br />
dem Blick auf das Ende«. 25 Je konsequenter allerdings die einsame<br />
Arbeit vorangebracht wurde, umso mehr waren die Künstler doch<br />
auf den Zuspruch der wenigen Freunde und Sammler im Osten und<br />
auf den Austausch mit dem einen oder anderen Künstlerkollegen<br />
angewiesen. »In der trostlosen Einöde der Kunstprovinz denke ich<br />
indessen oft daran, daß dort ein lebendiger Ort der Empfindung und<br />
Neuprägung, der Forschung und Erfahrung am wirken ist, und dies<br />
macht mich auf eigene Art froh« 26 , schrieb Altenbourg an Claus.<br />
»Lieber Herr Altenbourg, mein langes Schweig [sic!], –: konzentrierte<br />
Arbeit liegt ihm zugrunde. Sie verstehen das sicher,<br />
kennen es: man vergräbt sich in eine Sache, – Gänge, ein ganzes<br />
Höhlensystem bildet man sich allmählich in ihr und wird von einem<br />
bestimmten Punkt an derart begierig, diese überraschenden<br />
Adern, Flüsse, die jetzt hereinbrechen, von unten her, von links,<br />
rechts, von Mitternacht, Mittag immer gefärbt, man wird derart<br />
begierig, sie zu durchschauen, dass man, nun, sich nach oben hin<br />
abdichtet, nach der Umwelt zu. Ja, sicher, Ihnen wird es auch oft<br />
so kommen, Sie kennen’s.« So schrieb Carlfriedrich Claus am 21.<br />
März 1961, wenige Wochen nach der Eröffnung einer Altenbourg-<br />
Ausstellung in der Galerie Springer 27 in Berlin und noch vor dem<br />
Mauerbau. Stil und Inhalt setzen die geistige Nähe der Briefpartner<br />
voraus. »Gern denke ich an die Stunde, da Sie mir Ihre Gebilde<br />
zeigten, zurück. Sehr schön war das«, heißt es weiter im selben<br />
Brief. Auch Altenbourg erinnerte sich »mit Freuden«, Carlfriedrich<br />
Claus seine Werke gezeigt zu haben, es »sprang etwas von einer<br />
wahrhaft schöpferischen Kritik über, und ich entdeckte gleichsam<br />
Neues in mir«. Wie Claus steckte er tief »in Sprach-Experimenten«,<br />
28 beide Künstler sandten sich brieflich eigene Texte zu<br />
und tauschten sich darüber aus. Nach umständlichen Reisevorbereitungen<br />
und komplizierten Terminvereinbarungen und -verschiebungen<br />
besuchte Gerhard Altenbourg mehrfach Carlfriedrich<br />
Claus in Annaberg; »mit Vergnügen denke ich an unser Gespräch<br />
hier zurück. Und hoffe, daß wir es bei Gelegenheit fortsetzen können«,<br />
resümierte Claus am 23. Dezember 1968. Blätter wurden<br />
getauscht (siehe Abb. 3 – 5); Altenbourg erwarb darüber hinaus<br />
Sprachblätter von Claus für seine Sammlung. Gegenseitig wiesen<br />
die Künstler Sammler und Förderer auf das Werk des jeweils anderen<br />
hin. 29<br />
Es war eine Bestärkung für das eigene Schaffen, wenn Künstlerkollegen<br />
unter ähnlich komplizierten äußeren Bedingungen unangepasst<br />
schöpferisch vorankamen. Angesichts eines maroden<br />
und wenig ausgebauten Telefonnetzes kursierten Mitteilungen<br />
auf dem Postweg nicht nur über die Grenzen hinaus, sondern<br />
auch innerhalb der DDR. »Ich freue mich immer, wenn ich ab und<br />
zu hier oder da eine Arbeit von Ihnen sehe« 30 , grüßte Carlfriedrich<br />
Claus nach Berlin. 1975 erwarb <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> eine Radierung<br />
von Carlfriedrich Claus aus dessen erster Personalausstellung 31<br />
Abb. 6 <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong>, Für C. W., 1993/94, Radierung<br />
für die Mappe: Ein Blatt für C. W., 53,4 x 39,7 cm,<br />
Kunstsammlungen Chemnitz, Stiftung Carlfriedrich<br />
Claus-Archiv<br />
in der DDR – nachdem er auf zahlreiche internationale Ausstellungsteilnahmen<br />
seit Beginn der 1960er Jahre verweisen konnte.<br />
Noch Jahre später schrieb <strong>Hussel</strong> dazu: »Das Blatt war – scheinbar<br />
– kinderleicht. [Aber, die Verf.] Ganze Archive, Galerie-Bestände<br />
[…] brachen davor zusammen – und das hatte mit ›Hygiene‹ zu<br />
tun. Dieses kleine Blatt erschien mir als Rettung aus dem Atelier-<br />
Schmutz.« 32 Die Künstler tauschten oder schenkten sich Werkproben<br />
33 (Abb. 6). Wiederholt schlug <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> eine mögliche Zusammenarbeit<br />
an einem Buchprojekt vor, allerdings kam es dazu<br />
nie. In losen Abständen informierte man sich, der gegenseitigen<br />
Anteilnahme gewiss, über aktuelle Vorhaben.<br />
Während eines einwöchigen Aufenthaltes von <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />
in Altenburg bot sich die Gelegenheit zu langen Spaziergängen<br />
und intensiven Gesprächen. 1964 vermeldete Altenbourg: »Die<br />
Arbeit hat mich wieder voll in Besitz«. 34 Und 1971 – noch immer<br />
versuchten die DDR-Behörden, Ausstellungen des Künstlers im<br />
Westen zu unterlaufen – reagierte sich Altenbourg gegenüber<br />
dem Künstlerfreund ab: »Von gewisser Seite hörte ich, daß meine<br />
Arbeit mich völlig in Ungnade gebracht hat. Aber – soviel ich<br />
weiß – war ich niemals im Stand der Gnade. Und wir haben dies<br />
Vergnügen, die Ungnade mit Ironie kommentieren zu dürfen.« 35<br />
In der Tat, dieses Vergnügen teilten beide, denn auch <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />
war und ist ein Meister ironischer Kunst, wobei »viel von dem<br />
Spott und der Heiteretei, die er verbreitet, längeren Nachdenkens<br />
wert ist« 36 .<br />
Früh hat sich <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> als eigenwilliger Zeichner ausgewiesen.<br />
Um 1960 hatte er eine Handschrift entwickelt, die sich<br />
flexibel zwischen intuitiv hingeworfener Figuration und einem<br />
Lineament entfaltet, das die Stilkunst beziehungsweise deren Erfahrungswerte<br />
über die dynamische und gestalterische Kraft der<br />
Linie weitertreibt. Je nachdem überwiegt Eleganz, eine der Art<br />
32 33
Gerhard Altenbourg | Katalog
Blätter<br />
Blattadern der Flederlaus<br />
Blattgefieder der Moderflaus<br />
fand ich im<br />
Blattgeflecht des Gehirnbaus<br />
Hervorgebluteter Traum aus dem<br />
Spinnen-Geflecht der Mutter<br />
und dem Vater-Blatt-Gefüge<br />
verwoben zu neuem Gangwerk<br />
als Drüsengewebe<br />
Geh ins Gangwerk nächtlichen Baus<br />
wieviele Hasenkuhlen dort schattig und warm<br />
ein Brustwerk als Wehr mit Sumpfblättern umwölbt<br />
der Blattsumpf im Arteriengegrüne<br />
Gänge wie im Morgen-Auto-Gewühle<br />
Und dies Geäder der Freundschaft<br />
schneckenverschleimt und faul<br />
Nur die Gänge im nächtlichen Bauch<br />
schimmern bluthell von Ästen fleischig getragen<br />
Körper-Blatthaut der Nacht zur geheiligten Kommunion<br />
1961<br />
aus: Gerhard Altenbourg, Mechulle<br />
4 Dort unten 1959<br />
74 75
30 Mechulle, Seite 20 – 23 30 Mechulle, Seite 24 – 27<br />
130 131
<strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong> | Texte
33 ohne Titel [Lokomotive] um 1960<br />
166 167
Gerhard Altenbourg | <strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />
Werke in den Kunstsammlungen Chemnitz<br />
Grafische Sammlung<br />
Gerhard Altenbourg<br />
Waldteich 1962<br />
Lithografie<br />
28 x 48,5 cm / 41,4 x 60,2 cm<br />
Inv.-Nr.: 81 – 53<br />
WVZ Janda II L 71<br />
num. u.l.: 12/12<br />
sign., dat. und bez. u.r.: Altenbourg 62<br />
Waldteich<br />
Prägestempel: Altenbourg<br />
Gerhard Altenbourg<br />
Der Berg 1963<br />
Farblithografie<br />
33 x 31,2 cm / 61 x 42,9 cm<br />
Inv.-Nr.: 81 – 54<br />
WVZ Janda II L 67<br />
num. u.l.: 4/4 Abzug von 2 Platten<br />
bez., sign. und dat. u.r.: Der Berg Altenbourg 63<br />
Prägestempel: Altenbourg<br />
Gerhard Altenbourg<br />
Erlöste Landschaft 1976<br />
Holzschnitt<br />
22,7 x 63,5 cm / 49,5 x 67,5 cm<br />
Inv.-Nr.: 81 – 56<br />
WVZ Janda II H 189<br />
sign., bez., num. und dat. u.r.: Altenbourg<br />
Erlöste Landschaft 2/10 1976<br />
Prägestempel: Altenbourg<br />
Gerhard Altenbourg<br />
Liebliches Cikaden-Land 1977<br />
Farbholzschnitt<br />
22,7 x 64 cm / 44,5 x 78,6 cm<br />
Inv.-Nr.: 81 – 55<br />
sign., monogr., dat., bez. und num. u.r.: Altenbourg<br />
GA 1977 Liebliches Cikaden-Land 2/10<br />
Prägestempel: Altenbourg<br />
Gerhard Altenbourg<br />
Zugeneigt, hingegeben: den Stachel<br />
des Traums im Fleisch 1979<br />
Farbholzschnitt<br />
12,5 x 26,6 cm / 26,6 x 61 cm<br />
Inv.-Nr.: 90 – 30<br />
monogr. in der Darstellung u.r.: GA<br />
sign., num., dat. und bez. u.l.: Altenbourg 4/4<br />
Variation 1979 Zugeneigt, hingegeben: den<br />
Stachel des Traums im Fleisch<br />
Prägestempel: Altenbourg<br />
Gerhard Altenbourg<br />
Geduld im Kniefall des Vergessens,<br />
echowärts 1979<br />
Farbholzschnitt<br />
23,2 x 47,5 cm / 26,5 x 61 cm<br />
Inv.-Nr.: 90 – 27<br />
sign., num., monogr. und dat. u.l.: Altenbourg<br />
2/3 GA 1979<br />
bez. u.r.: Geduld im Kniefall des Vergessens,<br />
echowärts<br />
Prägestempel: Altenbourg<br />
Gerhard Altenbourg<br />
Darüber die Schatten der Wolkennacht 1979<br />
Farbholzschnitt<br />
20,7 x 50 cm<br />
Inv.-Nr.: 90 – 29<br />
bez. in der Darstellung linker Rand Mitte:<br />
Darüber die Schatten der Wolkennacht<br />
monogr., dat. und num. u.l.: GA 1979 1/1<br />
sign. u.r.: Altenbourg<br />
Prägestempel: Altenbourg<br />
Gerhard Altenbourg<br />
Wasserzeh von Keckenblüt 1980<br />
Holzschnitt<br />
10,5 x 29 cm / 26,3 x 60,6 cm<br />
Inv.-Nr.: 90 – 28<br />
monogr., sign. und dat. u.l.: GA Altenbourg 1980<br />
bez. u.r.: Wasserzeh von Keckenblüt<br />
num. am rechten Blattrand Mitte: 2/5<br />
Prägestempel: Altenbourg<br />
Gerhard Altenbourg<br />
Heraufgeholt aus dem grasblickenden<br />
Schweigen des Pilgrims 1982<br />
Aus der Mappe: Galeriemappe IV,<br />
Galerie Oben, Karl-Marx-Stadt 1982<br />
Radierung<br />
24,5 x 19,3 cm / 47,4 x 35,7 cm<br />
Inv.-Nr.: M 83 – 53<br />
num. u.l.: 9/30<br />
monogr., sign. und dat. u. Mitte:<br />
GA Altenbourg 1982<br />
bez. u.r.: heraufgeholt aus dem grasblickenden<br />
Schweigen des Pilgrims<br />
Prägestempel: Altenbourg<br />
Gerhard Altenbourg<br />
Zweimal gepaart 1984<br />
Aus der Mappe: Saxa loquuntur – hommage à<br />
senefelder, edition arwil, Leipzig 1984<br />
Farblithografie<br />
25,6 x 39,2 cm / 39,1 x 53,3 cm<br />
Inv.-Nr.: M 86 – 24<br />
monogr. am linken Rand Mitte: GA<br />
num. am rechten Rand Mitte: 24/55<br />
sign., dat. und bez. u. Mitte: Altenbourg 1984<br />
Zweimal gepaart<br />
Prägestempel: Altenbourg<br />
Stiftung Carlfriedrich Claus-Archiv<br />
Gerhard Altenbourg<br />
Die Strophen der Nacht, die bewegten Wasser<br />
treffen den Uferrand 1969<br />
Lithografie<br />
35,3 x 55 cm / 26 x 37,4 cm<br />
238 239<br />
WVZ Janda II L 131<br />
bez. u.l.: Die Strophen der Nacht,<br />
die bewegten Wasser treffen den Uferrand<br />
Widmung u. Mitte: 2. Probedruck für<br />
Carl-Friedrich Claus<br />
sign. und dat. u.r.: Altenbourg 69<br />
Prägestempel: Altenbourg<br />
Abb. S. 31<br />
Gerhard Altenbourg<br />
Nicht doch, Meerlinchen 1969<br />
Farbholzschnitt<br />
34,9 x 47,8 cm / 23,2 x 42,6 cm<br />
WVZ Janda II H 132<br />
num. u.l.: 3/50<br />
sign. und dat. u. Mitte: Altenbourg 1969<br />
bez. u.r.: Nicht doch, Meerlinchen<br />
Prägestempel: Altenbourg<br />
Abb. S. 31<br />
Gerhard Altenbourg<br />
Glossen um eine Figur, die ich das<br />
gesichtslose Mekönkchen nenne 1969<br />
Farbholzschnitt<br />
48,3 x 35,2 cm / 44 x 33,2 cm<br />
WVZ Janda II H 131<br />
bez. u.l.: Glossen um eine Figur, die ich das<br />
gesichtslose Mekönkchen nenne<br />
sign. und num. u.r.: Altenbourg 1969 3/50<br />
Prägestempel: Altenbourg<br />
Abb. S. 32<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />
Für C. W. 1993/94<br />
Aus der Mappe Ein Blatt für C.W., hrsg. zum<br />
65. Geburtstag von Christa Wolf, Berlin 1994<br />
Radierung<br />
24,3 x 18,5 cm / 53,4 x 39,7 cm<br />
num. u. der Darst. l.: XIV/XL<br />
sign. u. der Darst. r.: <strong>Hussel</strong><br />
Widmung u.l.: Für / C. W.<br />
Abb. S. 33<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />
Nicht Waldmann. Fernando. 2 Dialoge 1988<br />
Künstlerbuch mit zwei Originalradierungen<br />
und Texten in der Handschrift des Künstlers in<br />
Kleinoffset mit handschriftlichem Titelschild<br />
12 Seiten, Gr. 8°<br />
Berlin: Anders, 1988<br />
WVZ Lübbert/Röske A 6.1.2.<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />
Balsaminen. Ein Novelettenkranz 1989<br />
Künstlerbuch in Handsatz, hrsg. von Galerie<br />
Fliesenwerke, Boizenburg und Galerie Oben,<br />
Karl-Marx-Stadt<br />
28 Seiten, Gr. 8°<br />
Berlin: Eigenedition, 1989<br />
WVZ Lübbert/Röske A 7.1.1.<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />
Zwei Dialoge 1989<br />
Künstlerbuch mit einer Originalradierung und<br />
Texten in der Handschrift des Künstlers in<br />
Kleinoffset mit handschriftlichem Titelschild<br />
10 Seiten, 8°<br />
Berlin: Liebsch, 1989<br />
WVZ Lübbert/Röske A 8.1.1.<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Hussel</strong><br />
Landaufenthalt La Mer 1989<br />
Künstlerbuch mit einer Originalradierung und<br />
Texten in der Handschrift des Künstlers in<br />
Kleinoffset mit handschriftlichem Titelschild<br />
14 Seiten, Gr. 8°<br />
Berlin: Liebsch, 1989<br />
WVZ Lübbert/Röske A 9.1.1.