Interventionen
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Kapitel 1<br />
<strong>Interventionen</strong><br />
Jeff Roberts<br />
(Übersetzt von Hans Renkl)<br />
Thema dieses Buches sind die <strong>Interventionen</strong>. In diesem Kapitel<br />
werden die Bedeutungen und Implikationen von <strong>Interventionen</strong><br />
diskutiert. Im weitesten Sinne sind <strong>Interventionen</strong> Mittel, mit<br />
denen Menschen mit der Welt und anderen interagieren, um Lebenswelten<br />
neu zu schaffen oder wiederherzustellen.<br />
<strong>Interventionen</strong> in der Welt<br />
Häufig ist es hilfreich, den genauen Definitionen eines Wortes<br />
nachzugehen, um die Bedeutung seiner Verwendung zu verstehen.<br />
Das Oxford English Dictionary (1971) liefert eine Vielzahl<br />
von Verwendungen eines Wortes sowie ausführliche Anmerkungen<br />
zu seiner Herkunft. Im folgenden werden die Bedeutungen<br />
aus dem OED für das Wort „Intervention“ wiedergegeben.<br />
1. Die Handlung des Intervenierens, Eingreifens oder Einmischens<br />
in jegliche Angelegenheit, um deren Verlauf oder Problematik<br />
zu beeinflussen. Heute häufig verwendet im Sinne<br />
von Einmischung eines Staates oder einer Regierung in die<br />
inneren Angelegenheiten oder Außenbeziehungen eines anderen<br />
Landes.<br />
2. Zwischenstellung: sich als Vermittler betätigen oder angestellt<br />
sein, wobei es sich um Personen oder Dinge handeln kann.<br />
3. Die Tatsache des Eintretens oder der Lage zwischen Ort, Zeit<br />
oder Ordnung. Beispielsweise eine intervenierende Sache, Ereignis<br />
oder Zeitabschnitt.
16 Kapitel 1<br />
Der Begriff Intervention stammt aus dem Lateinischen und bedeutet<br />
dazwischen kommen. 1 <strong>Interventionen</strong> machen zwangsläufig<br />
einen Großteil menschlichen Verhaltens aus. Sie werden<br />
von Personen ausgeführt, die einen Teil der Welt und Ihre Lebewesen<br />
beeinflussen möchten. 2<br />
(a) instabiles Gleichgewicht (b) stabiles Gleichgewicht<br />
Abb. 1. Gleichgewichtstypen<br />
(c) neutrales Gleichgewicht<br />
In der alltäglichen körperlichen Welt ist es möglich, Prozesse 3<br />
zu beobachten, die:<br />
1. zu stabilen Zuständen beitragen (Abb. 1b);<br />
2. zu instabilen Zuständen beitragen (Abb. 1a), bei denen jederzeit<br />
die Bewegung in eine andere Richtung möglich ist;<br />
3. zu neutralen Zuständen beitragen, bei denen es Bewegungen<br />
gibt, ohne daß es zu wesentlichen Änderungen des Zustandes<br />
kommt (Abb. 1c);<br />
4. einen Zustand in einen anderen überführen (Abb. 2).<br />
Abb. 2. Überführungszustand<br />
Überführungszustand
<strong>Interventionen</strong> 17<br />
<strong>Interventionen</strong> in der Pychotherapie<br />
Menschen, die in der Psychiatrie und Psychotherapie arbeiten,<br />
beobachten und nehmen an einer Vielzahl psychologischer<br />
und mentaler Prozesse und Zustände teil. Wie in dem einfachen<br />
körperlichen Beispiel der Abbildung 1 dargestellt, können<br />
die Zustände variieren von stabil bis zu sehr instabil. Diese<br />
Zustände werden von verschiedenen Beobachtern wahrgenommen<br />
und entsprechend dem Modell, mit dem sich der Beobachter<br />
am wohlsten fühlt, interpretiert. Daher kann das Verhalten<br />
eines Familienmitgliedes, das einen Suizidversuch unternommen<br />
hat, unterschiedlich bezüglich der verschiedenen<br />
Zustände interpretiert werden, je nachdem, welches psychologische<br />
Erklärungsmodell der Beobachter bevorzugt. Siehe Tabelle<br />
1. Unsere Patienten/Klienten, ihre Verwandten, die Polizei,<br />
Gerichte und wir mögen einige dieser Zustände oder Prozesse<br />
als „ungesund“ und veränderungswürdig beurteilen.<br />
Tabelle 1. Psychologische Erklärungsmodelle<br />
körperlich<br />
(elektrisch)<br />
biochemisch<br />
emotional<br />
behavioristisch<br />
psychodynamisch Prozesse<br />
kognitiv<br />
interpersonal<br />
familiär<br />
sozial<br />
kulturell<br />
Behandler, deren Ziel es ist, Menschen mit verschiedenartigen<br />
psychischen Störungen zu behandeln, haben eine Vielzahl<br />
von <strong>Interventionen</strong> entwickelt, mit denen sie versuchen, den gegenwärtigen<br />
Zustand oder Prozeß positiv zu beeinflussen. Tabelle<br />
2 zeigt den Versuch, die Überlegungen zu skizzieren, die<br />
möglicherweise einer Intervention vorausgehen.<br />
Das Medium einer Intervention durch den Psychotherapeuten<br />
ist üblicherweise die Sprache. Es gibt viele verschiedene Psychotherapierichtungen,<br />
und in jeder versuchen die Behandler,<br />
verschiedene Erklärungsmodelle inter- und intrapersoneller Pro-
18 Kapitel 1<br />
Tabelle 2. Die Entscheidung zur Intervention<br />
Welchen Zustand beobachte ich?<br />
↓<br />
Welche Prozesse werden dabei deutlich?<br />
↓<br />
Beurteile ich den Zustand als konstruktiv, destruktiv oder neutral?<br />
↓<br />
Wäre es vorteilhaft, diesen Zustand zu ändern?<br />
↓<br />
Ist es möglich, diesen Zustand zu ändern?<br />
↓<br />
Welche Intervention(en) könnten den bestehenden Prozeß<br />
und Zustand beeinflussen?<br />
↓<br />
Habe ich die notwendige Intervention in meinem Repertoire?<br />
↓<br />
Ist die Zeit reif für eine Intervention?<br />
zesse anzuwenden, um die „gewünschte Veränderung“ bei Einzelnen,<br />
Paaren, Familien oder Gruppenmitgliedern zu bewirken.<br />
Die Theorien der verschiedenen Therapieformen unterscheiden<br />
sich bezüglich ihrer Genauigkeit und führen zu einem bestimmten<br />
Spektrum von <strong>Interventionen</strong>. Ein Beispiel von Intervention<br />
in der Psychotherapie ist die Deutung. Die grundlegende<br />
Absicht der Deutung besteht darin, die Aufmerksamkeit des Patienten<br />
auf bis dahin unbewußte Inhalte zu richten. Die Deutung<br />
ist zentraler Bestandteil des psychoanalytischen Prozesses und ist<br />
die Hauptaktivität des Psychoanalytikers (siehe Kapitel 12). Sie<br />
ist ein Kernelement der verschiedenen Therapieformen, die sich<br />
aus der Psychoanalyse abgeleitet haben. Die psychoanalytisch<br />
orientierten oder dynamischen Psychotherapien fallen darunter<br />
ebenso wie teilweise die Gruppenanalyse.<br />
<strong>Interventionen</strong> in der Gruppenanalyse<br />
Es ist wichtig zu berücksichtigen, daß eine bedeutsame Intervention<br />
in der Psychotherapie schon darin besteht, eine Psychotherapie<br />
anzubieten. Eine zweite wichtige Intervention ist die<br />
Entscheidung, welche Form von Psychotherapie empfohlen wird.<br />
Insofern ist die Empfehlung zur Gruppenpsychotherapie eine eigene<br />
Intervention, genauso wie die Akzeptanz durch die Gruppe.
<strong>Interventionen</strong> 19<br />
Dieses wird in Kapitel 11 weiter im Hinblick auf die Zusammenstellung<br />
und Behandlung einer laufenden Therapiegruppe diskutiert.<br />
In diesem Abschnitt geht es jedoch um die verschiedenen Interventionsformen,<br />
die ein Leiter während einer Gruppensitzung<br />
auswählt. Das ist das Hauptthema dieses Buches. In Kapitel 2<br />
werden acht Gruppensituationen dargestellt. Diese Situationen<br />
sind typisch für einige der unangenehmen Momente, die ein<br />
Gruppentherapeut erleben kann. Der Leser wird dazu eingeladen,<br />
<strong>Interventionen</strong> zu entwickeln, die er in einer solchen Situation<br />
durchgeführt hätte, um diese in den folgenden Kapiteln mit<br />
<strong>Interventionen</strong> erfahrener Gruppenanalytiker zu vergleichen.<br />
In den folgenden Kapiteln werden die Autoren dieses Buches,<br />
die in einem Forschungsprojekt über <strong>Interventionen</strong> von Gruppenleitern<br />
zusammengearbeitet haben (Kennard et al. 1990),<br />
diese Situationen analysieren und die verschiedenen <strong>Interventionen</strong><br />
der ausgebildeten Gruppentherapeuten kommentieren.<br />
Wenn der Leser vor der Lektüre dieser Kapitel sich seine eigenen<br />
<strong>Interventionen</strong> überlegt hat, wird er Gelegenheit haben, sich<br />
durch den Vergleich mit den vorgeschlagenen <strong>Interventionen</strong> intensiv<br />
mit den dazugehörigen Überlegungen und Gefühlen zu<br />
beschäftigen.<br />
Um die verschiedenen Interventionsstile unserer Leiter (des<br />
Forschungsprojektes) zu untersuchen, haben wir eine Klassifikation<br />
der <strong>Interventionen</strong> anhand unserer Gruppenvignetten entwickelt.<br />
Diese Klassifikation wird weiter entwickelt und kann<br />
mit anderen beschriebenen Systemen verglichen werden (DiLoreto<br />
1971; Lieberman et al. 1973; Wile 1973; Nichols u. Taylor<br />
1975). Unserer Erfahrung nach sind bestimmte Interventionsformen,<br />
die in anderen Therapieformen häufig vorkommen, in<br />
der Gruppenanalyse weniger bedeutend, zum Beispiel die Selbstenthüllung<br />
oder die Modellfunktion. Diese Interventionsformen<br />
wurden in das Klassifikationssystem aufgenommen, sie machen<br />
aber nur selten den Schwerpunkt einer Intervention des Gruppenleiters<br />
aus.<br />
Als konzeptueller Rahmen für die Entwicklung der neuen<br />
Klassifikation war die Analyse einer laufenden Gruppentherapie<br />
durch Patrick de Mare (1972) hilfreich, er machte den Vorschlag,<br />
eine Gruppe mit Hilfe folgender Kriterien zu verstehen:
20 Kapitel 1<br />
1. Struktur;<br />
2. Prozeß;<br />
3. Inhalt.<br />
Es ist verständlich, daß ein Gruppenleiter folgende Ziele mit seiner<br />
Intervention anstrebt: a) die Struktur der Gruppe aufrechtzuerhalten,<br />
b) den Prozeß zu fördern und c) die latenten Inhalte<br />
der Äußerungen und Interaktionen in der Gruppe zu klären.<br />
Durch diesen Rahmen ist es möglich, die meisten oder sogar alle<br />
<strong>Interventionen</strong> des Leiters zu klassifizieren. Tabelle 3 zeigt die<br />
ursprünglich vorgeschlagene Klassifikation und Tabelle 4 liefert<br />
kurze Definitionen der Interventionsformen.<br />
Tabelle 3. Eine Klassifikation der <strong>Interventionen</strong> des Gruppenleiters<br />
1. Die Aufrechterhaltung (Struktur)<br />
2. Die offene Erleichterung (Prozeß)<br />
3. Die gezielte Erleichterung (Prozeß)<br />
4. Die Deutung (Inhalt)<br />
5. Keine unmittelbare Reaktion<br />
6. Die Handlung<br />
7. Die Selbstenthüllung<br />
8. Die Modellfunktion<br />
Die Forschungsgruppe beschäftigte sich einerseits mit den Interventionsformen,<br />
gleichzeitig ging es um die Frage, wer in der<br />
Gruppe durch die Intervention angesprochen wurde. Jede Intervention<br />
kann sich auf folgende Elemente der Gruppe beziehen:<br />
– ein oder mehrere Mitglieder;<br />
– die gesamte Gruppe;<br />
– Teile der Gruppe, also Paare, eine Dreiergruppe, alle Frauen,<br />
alle Männer;<br />
– den Gruppenleiter.<br />
Die ursprüngliche Absicht der Forscher bestand darin, Leiter<br />
oder Gruppen von Leitern, die bestimmten Therapieschulen<br />
angehören, zu charakterisieren. Darüber hinaus ist die Klassifizierung<br />
und Beschreibung von <strong>Interventionen</strong> sowie deren Zielsetzung<br />
für praktizierende oder in Ausbildung befindlichen Psychotherapeuten<br />
wertvoll. In den Kommentaren über die <strong>Interventionen</strong><br />
unserer Gruppentherapeuten in den Kapiteln 3 bis 10<br />
wird sich ebenfalls dieser Technik bedient.
<strong>Interventionen</strong> 21<br />
Tabelle 4. Definitionen der Interventionsformen<br />
1. <strong>Interventionen</strong> zur „Aufrechterhaltung“ der Struktur haben das Ziel,<br />
wichtige Grenzen zu klären oder deutlich zu machen. Diese Grenzen<br />
können den Ort, die Zeit, die Teilnahme, die Aufgabe oder erlaubtes<br />
Verhalten betreffen. Dabei kann es um die Grenzen der ganzen Gruppe<br />
oder einzelner Mitglieder einschließlich des Leiters gehen.<br />
2. Die „offene Erleichterung“ ist eine Intervention mit dem Ziel, das Fortschreiten<br />
des Gruppenprozesses zu fördern, ohne daß der Leiter bestimmte<br />
Hypothesen der Deutung verfolgt und ohne eine Bezugnahme<br />
auf unbewußte Prozesse.<br />
3. Die „gezielte Erleichterung“ schließt alle erleichternden Bemerkungen<br />
ein, die nicht ein offenes Ende haben, sondern bei denen deutlich wird,<br />
daß der Leiter einer Hypothese folgt, die seine Fragen, Anregungen und<br />
Beobachtungen leiten.<br />
4. Die „Deutung“ ist eine verbale Äußerung des Leiters, durch die latente<br />
Gefühle oder Bedeutungen der gesamten Gruppe oder einzelner Mitglieder<br />
in den manifesten Bereich gebracht werden.<br />
5. Unter „keiner unmittelbaren Reaktion“ versteht man die Tatsache, daß<br />
während einer Gruppensitzung ein wesentlicher Bestandteil des Verhaltens<br />
des Leiters darin besteht, die Gruppe schweigend zu beobachten.<br />
6. Unter „Handlung“ wird jegliche körperliche Aktivität verstanden, die<br />
der Gruppenleiter innerhalb der Gruppe zeigt, dazu gehört das Aufstehen<br />
oder die Berührung eines Gruppenmitgliedes.<br />
7. „Selbstenthüllung“ ist jede Äußerung des Therapeuten über seine eigene<br />
innere oder äußere Welt, die in keine der sonstigen Kategorien paßt.<br />
8. Die „Modellfunktion“ ist eine Aktivität des Leiters mit der Intention,<br />
zur Identifikation zu dienen und Teil des Verhaltens der Gruppe oder<br />
einzelner Mitglieder zu werden, denen dieses Verhalten vorher fehlte.<br />
Hierzu gehört adäquat mit leidvollen Begebenheiten oder unangenehmen<br />
sozialen Situationen umzugehen sowie die Modellfunktion einer<br />
analytischen, fragenden und besorgten Haltung einzunehmen.<br />
Die therapeutische Identität des Psychotherapeuten<br />
Die Art und Weise, wie ein Therapeut in seiner Gruppe interveniert,<br />
ist stets vielen Einflüssen unterworfen. Dabei ist die<br />
Persönlichkeitsstruktur zu nennen, die teilweise konstitutionell<br />
bedingt ist, aber auch stark durch die Lebenserfahrung beeinflußt<br />
wird. Rigide psychotherapeutische Ausbildungs-Curricula<br />
zielen zweifellos darauf ab, viele Bereiche der inneren Welt des<br />
Individuums und seiner Struktur zu erreichen, um einen mehr<br />
oder weniger konformen Abschlußkandidaten zu produzieren,<br />
dessen Persönlichkeit und Ansichten durch die Ausbildung entscheidend<br />
verändert oder entwickelt wurden. Dennoch bleiben
22 Kapitel 1<br />
viele Aspekte der Persönlichkeit und des persönlichen Stils trotz<br />
der Selbsterfahrung und der Ausbildung relativ konstant. 4<br />
Im folgenden werden Faktoren genannt, die die <strong>Interventionen</strong><br />
des Therapeuten in seiner Gruppe im Alltag beeinflussen<br />
können.<br />
Konstitutionelle (vererbte) und charakterliche Wesenszüge<br />
So können einige Therapeuten ungeduldig wirken und unfähig<br />
sein, dem Tempo des Patienten zu folgen.<br />
Die Lebensgeschichte<br />
Jeder Mensch folgt zwangsläufig seinem eigenen Lebensweg. Die<br />
Erwartungen, was normal und erträglich ist, werden hierdurch<br />
bedingt. Die Empathiefähigkeit jedes Therapeuten hängt teilweise<br />
von der Lebensgeschichte ab und es ist nicht selten, daß<br />
Therapeuten sich besonders für diejenigen Patienten interessieren,<br />
die einen ähnlichen Lebensweg beschritten haben.<br />
Glaubenssysteme (religiös oder politisch) 5<br />
Sozialismus, Christentum und Judentum sind mächtige Glaubenssysteme,<br />
die für manche Menschen einen wesentlichen motivationalen<br />
Einfluß darstellen. Sie beeinflussen wahrscheinlich<br />
therapeutische Schwerpunkte. Manchmal kommt es zum Beispiel<br />
vor, daß unerfahrene feministische oder antirassistische<br />
Therapeuten ihre therapeutische Aufmerksamkeit in den Äußerungen<br />
des Patienten eher auf chauvinistische und rassistische<br />
Inhalte richten als auf die Psychopathologie, die dem Patienten<br />
Unbehagen bereitet.<br />
Lebensereignisse<br />
Ein Psychotherapeut steht selbst mitten im Leben. Er wird<br />
manchmal unausweichlich durch Lebensereignisse blockiert, abgelenkt<br />
oder überreizt sein. Ein Therapeut mit eigenen Eheproblemen<br />
kann übermäßig emphatisch auf Eheprobleme des Patienten<br />
reagieren.
<strong>Interventionen</strong> 23<br />
Persönliche therapeutische Erfahrung<br />
(vergangen oder gegenwärtig)<br />
Erfolg oder Mißerfolg der Selbsterfahrung werden unweigerlich<br />
das Wohlbefinden beeinflussen, mit dem jeder einzelne behandelt,<br />
und darüber hinaus die Effektivität und Kompetenz wesentlich<br />
beeinflussen. Es ist außerdem bekannt, daß der Stil des<br />
Therapeuten deutlich durch den Stil seines Therapeuten oder<br />
Lehranalytikers beeinflußt wird.<br />
Vergangene und gegenwärtige Supervisionserfahrung<br />
Supervisoren haben einen ähnlichen Einfluß auf Therapeuten.<br />
Ein guter Supervisor wird seinem Schüler eine Entwicklung<br />
ermöglichen und dabei Bereiche von Verletzbarkeit, Omnipotenz<br />
und Blindheit entdecken. Er wird außerdem eine bestimmte<br />
Art des Umgangs und sicherlich eine geradlinige theoretische<br />
Schule vermitteln. Darüber hinaus haben Supervisoren ihre eigenen<br />
blinden Flecke und eventuell Bereiche besonderer Sensibilität.<br />
Ausbildung und theoretische Zugehörigkeit<br />
Die meisten Therapeuten fühlen sich einer Therapieschule zugehörig<br />
und werden entsprechend dieser Theorieschule intervenieren.<br />
Traditionelle Freudianer werden geneigt sein, ödipale<br />
Konflikte zu finden, wo Kleinianer eine ambivalente Beziehung<br />
zur Mutterbrust wahrnehmen.<br />
Dieses komplexe System wird durch die Gruppe beeinflußt und<br />
beeinflußt umgekehrt die Gruppe.<br />
Das Erlernen des Intervenierens<br />
Die meisten Therapeuten und Berater verspüren ein intuitives<br />
Verlangen, helfend in den psychologischen Prozeß von anderen<br />
einzugreifen, die meisten verfügen gleichzeitig über eine<br />
natürliche Fähigkeit zu intervenieren. Sie schärfen Stück für<br />
Stück ihre Fähigkeiten zur Intervention. Diese Fähigkeiten beinhalten<br />
gewöhnlich verbale Interaktionen, wobei sie auch andere<br />
Interaktionsformen wie zum Beispiel die Musik, Kunst, Tanz
24 Kapitel 1<br />
und Bewegung oder den direkten Körperkontakt einschließen<br />
können. Schließlich kann sich ein Berater oder ein Therapeut<br />
dafür entscheiden, eine Ausbildung an einem der anerkannten<br />
Ausbildungsinstitute zu machen. Die fundierten Lehreinrichtungen<br />
werden ihren sorgfältig ausgewählten Kandidaten eine Kombination<br />
theoretischer Seminare und supervidierter Behandlungen<br />
anbieten, im Falle psychoanalytischer und humanistischer Institute<br />
unterzieht sich der Kandidat außerdem einer langen und<br />
intensiven Selbsterfahrung in der Therapieform, die er später<br />
ausüben möchte. Durch diese Ausbildung wird der Absolvent ein<br />
mehr oder weniger klares Verständnis der <strong>Interventionen</strong> seiner<br />
Methode haben, die therapeutisch sehr effektiv sind. Dieses basiert<br />
vermutlich auf der zugrundeliegenden Theorie der erlernten<br />
Methode, eventuell unterstützt durch evaluative Forschung,<br />
auf die bewußte und unbewußte Anerkennung hilfreicher <strong>Interventionen</strong><br />
des eigenen Therapeuten. 6 Schließlich gibt es eine<br />
teilweise unbewußte und intuitive Kenntnis darüber, welche verbalen<br />
und nonverbalen Verhaltensweisen zu offensichtlich guten<br />
Ergebnissen bei den Patienten/Klienten führen. Diese Vorläufer<br />
von <strong>Interventionen</strong> können manchmal in verschiedene Richtungen<br />
wirken und führen zu Konflikten im Therapeuten. Wenn der<br />
Therapeut diese Konflikte überwindet, erreicht er damit einen<br />
wichtigen Schritt in seinem Reifungsprozeß. Daher wird es nach<br />
der Ausbildung einige Jahre Erfahrung und weiteren Lernens erfordern,<br />
ehe der Therapeut in seiner Methode vollständig gereift<br />
ist.<br />
Dieses Buch soll als Lehrmittel für die Gruppentherapieausbildung<br />
dienen. Es bietet eine Methode, <strong>Interventionen</strong> in der<br />
Gruppentherapie vorzuphantasieren und dann die Intervention<br />
des Lesers mit verschiedenen <strong>Interventionen</strong> von praktizierenden<br />
Gruppenanalytikern zu vergleichen. Es ist jedoch wichtig<br />
zu wissen, daß dieses Buch auf <strong>Interventionen</strong> des Therapeuten<br />
fokussiert, die <strong>Interventionen</strong> innerhalb einer Gruppentherapie<br />
jedoch von anderen Gruppenmitgliedern kommen können und<br />
die stärkste Intervention des Therapeuten im Fehlen einer unmittelbaren<br />
Reaktion bestehen kann.
<strong>Interventionen</strong> 25<br />
Anmerkungen<br />
1<br />
Inter: Bedeutung im Lateinischen zwischen.<br />
2<br />
Venire: Bedeutung im Lateinischen kommen. Dieses ist als solches interessant,<br />
da wir festgestellt haben, daß einige Personen sehr viel stärker<br />
bereit sind, in Weltprozessen zu intervenieren als andere. Abstufungen von<br />
<strong>Interventionen</strong> zwischen laisser-faire bis hin zu eindringendem Einmischen<br />
können beschrieben werden. Welchem Typ auch immer ein Mensch zugehört,<br />
es ist wichtig psychologisch und auch juristisch die Verantwortung<br />
für eine Intervention oder ihr Fehlen zu akzeptieren. Im Bereich der Psychotherapie<br />
ist es nicht ungewöhnlich Individuen zu finden, die um jeden Preis<br />
<strong>Interventionen</strong> vermeiden, in der Hoffnung, daß sie dadurch die Verantwortung<br />
für realen oder phantasierten Schaden einer Intervention vermeiden<br />
können.<br />
3<br />
Ein Prozeß kann als eine Folge von Handlungen oder Ereignissen definiert<br />
werden.<br />
4<br />
Diese können schwere oder verdeckte generelle Psychopathologie einschließen,<br />
schwere Störungsanteile und überwertige Vorstellungen, die<br />
mehr oder minder inkompatibel mit zentralen theoretischen Inhalten der<br />
gewählten Ausbildung sind. Es ist nicht ungewöhnlich, daß das Erreichen<br />
einer Qualifikation wichtiger ist als die Hingabe an eine intensive Ausbildung.<br />
5<br />
Diese Systeme leiten sich häufig von verschiedenen Einflüssen ab und werden<br />
durch bewußte und unbewußte Prozesse in eine Bewertungshierarchie<br />
eingeordnet.<br />
6<br />
Sowohl ein gerade ausgebildeter als auch ein erfahrener Therapeut<br />
können sich mit dem Interventionsstil des Lehrtherapeuten unkritisch identifiziert<br />
haben, sodaß sowohl die guten als auch die schlechten Seiten dieses<br />
wichtigsten Lehrers übernommen werden und später nur mit Mühe<br />
verändert werden können.