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Wenn das Essen zum Problem wird - Psychiatrie aktuell

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Vorgestellt:<br />

Haselünner<br />

<strong>Psychiatrie</strong>forum<br />

sucht neue Wege<br />

Mobbing:<br />

Was kränkt,<br />

kann auf Dauer<br />

richtig krank<br />

machen<br />

Schwerpunktthema<br />

Essstörungen<br />

<strong>Wenn</strong> <strong>das</strong> <strong>Essen</strong><br />

<strong>zum</strong> <strong>Problem</strong> <strong>wird</strong><br />

II/2004


2<br />

Schwerpunkt Seite 4-6<br />

Arbeitswelt Seite 10<br />

Wellness Seite 12<br />

Medizin Seite 15<br />

Reisen Seite 19<br />

Kino Seite 20<br />

Kultur Seite 21<br />

Herausgeber: Dr. Hans Biermann<br />

Biermann Verlag GmbH,<br />

Otto-Hahn-Str. 7, D-50997 Köln<br />

Redaktionsleiter: Bernd Schunk (sk)<br />

Redaktion: Sylvia Schulz (sys)<br />

tel.: (02236) 376-452<br />

Sabine Behrens (sab)<br />

Grafik und Layout: Heike Dargel<br />

Faszination Seele – II/2004<br />

INHALT INHAL<br />

➤ Schwerpunktthema Essstörungen:<br />

<strong>Wenn</strong> <strong>das</strong> <strong>Essen</strong> <strong>zum</strong><br />

<strong>Problem</strong> <strong>wird</strong> Seite 4-7<br />

➤ Medizin:<br />

Nichtverschreibungspflichtige Medikamente –<br />

welche werden nun doch erstattet? Seite 8<br />

➤ Fragen aus der Praxis:<br />

Dr. Rita Wietfeld steht den Lesern Rede<br />

und Antwort Seite 9<br />

➤ Arbeitswelt:<br />

Gezieltes Mobbing kann<br />

krank machen Seite 10<br />

➤ Wellness:<br />

Ausdauertraining hält auch<br />

den Kopf fit Seite 12<br />

➤ Hilfe:<br />

Die Magdeburger Initiative<br />

„Der Weg“ Seite 14<br />

➤ Medizin:<br />

Hilfe für den Zappelphillipp Seite 15<br />

➤ Gesundheitspolitik:<br />

Auswirkungen der Gesundheitsrefom Seite 17<br />

➤ Reisen:<br />

Entspannung und Kultur auf Malta: Seite 19<br />

➤ Kino:<br />

Bitteres Bekenntnis: Ich arbeite gern Seite 20<br />

➤ Kultur:<br />

Unterwegs nach „Tutmirgut“ Seite 21<br />

➤ Buchtipps:<br />

Neue Ratgeber vorgestellt Seite 23<br />

IMPRESSUM<br />

Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />

Rainer Schulze<br />

Dr. Wolfgang Thamm<br />

Dr. Rita Wietfeld<br />

Druck: Grenz-Echo, B-Eupen<br />

Mit freundlicher Unterstützung von<br />

Überwältigt<br />

DDer Erfolg unserer Patientenzeitschrift<br />

„Faszination Seele“ hat uns<br />

überwältigt. Viele Patienten haben<br />

mittlerweile die Zeitschrift in der Arztpraxis<br />

oder der Sozialpsychiatrischen<br />

Station kennengelernt. Angehörige wie<br />

auch andere Interessierte fragen die gut<br />

aufbereitetete und informative Lektüre<br />

nach, und Ärzte geben die Zeitschrift<br />

gerne ihren Patienten an die Hand.<br />

Das hat uns und unseren Kooperationspartner,<br />

<strong>das</strong> Neusser Pharmaunternehmen<br />

Janssen-Cilag, dazu bewogen,<br />

den Vertrieb auf neue Beine zu stellen.<br />

Ab sofort können Sie die Zeitschrift<br />

kostenlos unter der unten genannten<br />

Kontaktadresse beziehen.<br />

Wir werden uns auch weiterhin bemühen,<br />

Ihnen eine Vielfalt an Themen<br />

und Informationen zu bieten und hoffen,<br />

<strong>das</strong>s uns dies mit der vorliegenden<br />

Ausgabe wieder gelungen ist.<br />

Viel Spaß bei der Lektüre wünscht Ihnen<br />

Sylvia Schulz<br />

Redaktion „Faszination Seele“<br />

Unter folgender Kontaktadresse können<br />

Sie „Faszination Seele“ kostenlos beziehen:<br />

Janssen-Cilag GmbH<br />

Raiffeisenstraße 8<br />

41470 Neuss<br />

fax: 0211 - 204 93 09<br />

email: CCassens@jacde.jnj.com<br />

IHRE MEINUNG<br />

Haben Sie Fragen,<br />

Anregungen,Tipps<br />

oder Kritik?<br />

Dann mailen Sie uns:<br />

sys@biermann.net<br />

oder schreiben Sie an:<br />

Biermann Verlag GmbH<br />

„Faszination Seele“<br />

Otto-Hahn-Str. 7,<br />

50997 Köln<br />

Fax: 02236/<br />

376-452<br />

BIERMANN VERLAG


BIERMANN VERLAG<br />

VORGESTELLT<br />

VORGESTELL<br />

Haselünner <strong>Psychiatrie</strong>forum sucht<br />

neue Wege<br />

In einem kleinem Ort im Emsland sucht man mit dem Haselünner<br />

<strong>Psychiatrie</strong>forum neue Wege für einen interdiziplinären Austausch<br />

zwischen den unterschiedlichsten Berufsgruppen.<br />

WWo sitzen in einer<br />

gemeinsamen Fachveranstaltung<br />

Psychiater<br />

neben Hausärzten, Psychologen<br />

neben Pflegekräften<br />

und Sozialarbeiter<br />

samt Angehöri- Interessiert verfolgen die<br />

ge neben Vertretern des Teilnehmer den Ausführun-<br />

Medizinischen Diengen der Referenten.....<br />

stes? Um eine Antwort<br />

auf diese Frage zu finden, muss man<br />

ein wenig nördlich bis ins Emsland<br />

schauen. In Haselünne, einem kleinen<br />

staatlich anerkannten Erholungsort<br />

mit 13.278 Einwohnern<br />

über 15 Ortschaften verstreut, hat<br />

man dieses Experiment gewagt: Seit<br />

1996 treffen sich im Haselünner<br />

<strong>Psychiatrie</strong>forum die unterschied-<br />

....Dr. Christian Beugolt<br />

lichsten Berufsgruppen, um sich regelmäßig über Weiterentwicklungen<br />

in der <strong>Psychiatrie</strong> zu informieren.<br />

Initiator der Veranstaltungsreihe ist der Leiter der<br />

Psychiatrischen Abteilung des örtlichen St.-Vinzenz-<br />

Hospitals, Dr. Marius Houchangnia. „Wir haben damals<br />

festgestellt, <strong>das</strong>s es ein großes Informationsbedürfnis<br />

gibt“, berichtet der Chefarzt. Mit der Übernahme der neuen<br />

Abteilung für <strong>Psychiatrie</strong> brachte er den Stein ins Rollen.<br />

Bereits zur ersten Veranstaltung erschienen rund 80<br />

Haus- und Fachärzte, heute ist die Zahl auf 150 bis 220<br />

Teilnehmer pro Veranstaltung angewachsen, und die Einladungen<br />

wurden auch auf andere Berufsgruppen im Gesundheitswesen<br />

ausgedehnt. Bis zu vier mal im Jahr findet<br />

<strong>das</strong> Haselünner <strong>Psychiatrie</strong>forum statt – abhängig davon,<br />

ob <strong>aktuell</strong>e Themen auf einen<br />

Austausch drängen. Diese Themen gingen<br />

„querbeet durch die <strong>Psychiatrie</strong>“,<br />

PRIVAT (4)<br />

....Dr. Marius Houchangnia (r.)<br />

wie Houchangnia berichtet.<br />

Die Vorstellung neuer Medikamente<br />

gehöre ebenso dazu wie<br />

die Information über Bildgebende Verfahren oder die Diskussion<br />

verschiedener Krankheitsbilder wie Depression oder Schizophrenie.<br />

Einen Nachmittag lang dauert die Veranstaltung, die sogar<br />

von der Ärztekammer zertifiziert ist. Beim anschließenden können<br />

Fragen mit den Referenten oder auch unter Kollegen besprochen<br />

werden. „Der interdiziplinäre Austausch ist hervorragend“,<br />

lobt Houchangnia. Seiner Einschätzung nach sind die Erfolge<br />

bereits feststellbar: Die Hausärzte wissen, wann die Überweisung zu den<br />

psychiatrischen Kollegen angezeigt ist, <strong>das</strong> Pflegepersonal ist über Medikamente<br />

und Betreuer sind über Krankheitsverläufe besser informiert.<br />

Die breite Zuhörerbasis und die Vernetzung der Kontakte hat für den<br />

Chefarzt noch weitere Vorteile. „Keiner kann sich mehr ein Wissensdefizit<br />

leisten“, schmunzelt er. Und noch ein „Geheimrezept“ hat Houchangnia,<br />

damit die Zuhörer der Veranstaltungsreihe treu bleiben. „Langweilige“<br />

Referenten werden erst gar nicht eingeladen. Ein aufgelockerter<br />

Vortrag, der die Bandbreite und den unterschiedlichen Wissensstand des<br />

Auditoriums berücksichtigt, garantiert aufmerksame Ohren.<br />

Beim XII. Haselünner <strong>Psychiatrie</strong>-Forum, <strong>das</strong> im<br />

März stattfand, hielt <strong>zum</strong> Beispiel Koen<br />

Torfs der Leiter der Gesundheitspolitik<br />

der Janssen-Cilag GmbH einen Vortrag<br />

zur Entstehung der Medikamente<br />

und Prof. Dr. Dieter<br />

Braus von der Universität<br />

Hamburg erklärte bildgebende<br />

Verfahren in der <strong>Psychiatrie</strong><br />

unter dem Titel "Eine Reise<br />

ins Gehirn". (sys) ●<br />

.....Prof. Dr. Dieter Braus<br />

Weitere<br />

Informationen<br />

Dr. Marius Houchangnia<br />

St.-Vinzenz-Hospital<br />

Hammer Straße 9<br />

49740 Haselünne<br />

tel.: 05961 / 503-0<br />

3


Schwerpunktthema<br />

Essstörungen:<br />

Ursache,<br />

Krankheitsverlauf,<br />

Therapie <strong>Wenn</strong> <strong>das</strong> <strong>Essen</strong><br />

<strong>zum</strong> <strong>Problem</strong> <strong>wird</strong><br />

W<strong>Wenn</strong> der Umgang mit der Nahrung zu körperlichen und seelischen<br />

<strong>Problem</strong>en führt, spricht man von Essstörungen im Sinne<br />

einer Krankheit. Das Leben der Betroffenen <strong>wird</strong> von ihrer Ernährung<br />

dominiert, was nicht selten auch Konsequenzen auf <strong>das</strong><br />

soziale Umfeld mit sich bringt.<br />

4<br />

Faszination Seele – II/2004<br />

Der Abnehmwahn boomt. Pünktlich <strong>zum</strong> Frühling werben nahezu jede Frauenzeitschrift<br />

oder andere Magazine mit Diäten <strong>zum</strong> erfolgreichen Abnehmen – die angestrebte Bikini-<br />

Figur für den Sommer immer fest im Blick. Doch nicht für alle bedeutet dieses Thema nur<br />

eine kurzweilige Lektüre.<br />

Haben Sie eine<br />

Essstörung?<br />

Testen Sie sich selbst<br />

❏ Beginnen Sie auch den Tag<br />

mit bangem Blick auf die<br />

Waage?<br />

❏ Kennen Sie die Kalorienzahl<br />

fast aller Lebensmittel auswendig<br />

und addieren Sie diese<br />

über den Tag hinweg?<br />

❏ Wissen Sie stets, was und wie<br />

viel Sie essen dürfen, und essen<br />

Sie selten <strong>das</strong>, was Sie<br />

wirklich möchten?<br />

❏ Schmieden Sie abends im Bett<br />

Diätpläne für den nächsten<br />

Tag und nehmen sich ganz<br />

fest vor, ab morgen <strong>wird</strong> alles<br />

anders?<br />

BIERMANN VERLAG<br />

Essstörungen sind schwerwiegende psychische Krankheiten. Zu<br />

ihnen gehören die Magersucht (Anorexia nervosa), die Bulimie (Bulimia<br />

nervosa) und die so genannte Fresssucht (Binge-Eating-Disorder).<br />

Dabei ist Bulimie drei- bis fünfmal häufiger als Magersucht.<br />

Die Krankheiten betreffen überwiegend junge Menschen im Alter<br />

von zwölf bis 25 Jahren. In Deutschland leiden inzwischen etwa<br />

vier Prozent der Bevölkerung an einer Essstörung, die meisten davon<br />

sind Frauen. Männer sind viel seltener betroffen, etwa in einem<br />

Verhältnis 1:10. Jungen erkranken vor der Pubertät häufiger<br />

an Magersucht als im späteren Alter.<br />

Da die Zahl von Betroffenen vor allem in den letzten Jahren<br />

stark zugenommen hat, <strong>wird</strong> angenommen, <strong>das</strong>s die gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen einen großen Einfluss auf unser Essverhalten<br />

haben. Dazu zählt z.B. <strong>das</strong> in den Medien propagierte Schlankheitsideal,<br />

dem vor allem viele junge Mädchen hinterhereifern.<br />

Auch die heutige schnelllebige Gesellschaft bringt so manche <strong>Problem</strong>e<br />

mit sich: Man nimmt sich immer weniger Zeit für eine ausgewogene<br />

und nahrhafte Mahlzeit und greift auf Fast Food zurück,<br />

anstatt eine gesunde Zwischenmahlzeit, bestehend aus Gemüse,<br />

Obst, leichter Kost und Milchprodukten, einzunehmen.<br />

AUF DEN PUNKT GEBRACHT<br />

Führt der Umgang mit der Nahrung zu körperlichen und<br />

seelischen <strong>Problem</strong>en, spricht man von Essstörungen im<br />

Sinne einer Krankheit. Das Leben der Betroffenen <strong>wird</strong><br />

von ihrer Ernährung dominiert, was nicht selten auch<br />

Konsequenzen auf <strong>das</strong> soziale Umfeld mit sich bringt.<br />

Unter dem Begriff Essstörungen versteht man im Wesentlichen<br />

vier Krankheitsbilder: die Magersucht (Anorexia<br />

nervosa), die Bulimie (Bulimia nervosa), die so genannte<br />

Fresssucht (Binge-Eating-Disorder) und <strong>das</strong><br />

deutliche Übergewicht (Adipositas). Die Krankheiten betreffen<br />

überwiegend junge Menschen im Alter von<br />

zwölf bis 25 Jahren. In Deutschland leiden inzwischen<br />

etwa vier Prozent der Bevölkerung an einer Essstörung,<br />

die meisten davon sind Frauen. ●


Anorexia nervosa<br />

oder Magersucht<br />

Unter Anorexia nervosa oder<br />

Magersucht versteht man eine<br />

krankhafte Essstörung, die durch<br />

starken Gewichtsverlust gekennzeichnet<br />

ist und sich dadurch von<br />

der Bulimie, umgangssprachlich<br />

auch Ess-Brech-Sucht genannt, unterscheidet.<br />

Typischerweise sind<br />

junge Frauen betroffen, wobei der<br />

Krankheitsbeginn meist in der Pubertät<br />

liegt. Die Ursachen<br />

der Magersucht sind vielfältig<br />

und basieren auf genetischen<br />

Faktoren, psychischen<br />

Belastungen in der<br />

Pubertät durch Veränderung<br />

des Körpers und ungelöste<br />

familiäre Konflikte sowie<br />

gesellschaftliche Einflüsse<br />

wie <strong>das</strong> Schlankheitsideal<br />

unserer Zeit. Es kommt zu<br />

einer Körperschemastörung,<br />

<strong>das</strong> heißt, die Patientinnen<br />

fühlen sich auch bei hochgradigem<br />

Untergewicht zu<br />

dick und zwingen sich zu<br />

weiterer Gewichtsreduktion.<br />

Symptome sind ein Gewichtsverlust<br />

bis zu 50 Prozent<br />

des Ausgangsgewichtes<br />

und als Folge körperliche<br />

Schäden mit Hormonstörungen<br />

und Ausbleiben der<br />

Menstruation, Muskelschwäche,<br />

Kreislaufprobleme und Mangelerscheinungen<br />

durch Vitamin- und<br />

Mineralstoffmangel. Aufgrund fehlender<br />

Krankheitseinsicht und<br />

manchmal bestehender Selbstmordgefahr<br />

ist in schweren Fällen<br />

eine Behandlung im Krankenhaus<br />

notwendig. Erstes Ziel ist die Gewichtszunahme,<br />

wobei auch eine<br />

intravenöse Verabreichung von Ernährungslösungen<br />

erforderlich sein<br />

kann. Anschließend <strong>wird</strong> eine langfristige<br />

Psychotherapie meist unter<br />

Einbeziehung der Familie durchgeführt.<br />

Etwa 30 Prozent erreichen<br />

<strong>das</strong> Normalgewicht, bei 25 Prozent<br />

nimmt die Anorexie einen chronischen<br />

Verlauf, und zehn Prozent<br />

sterben an den Folgen der Krankheit.<br />

Bulimie oder Ess-Brech-Sucht<br />

Vom äußeren Erscheinungsbild her sind bulimische Frauen (vereinzelt auch Männer) unauffällig,<br />

meist schlank. Auch ihr Essverhalten in der Öffentlichkeit ist eher kontrolliert. Nach außen<br />

hin funktioniert alles perfekt. Bulimie ist eine schambesetzte und heimliche Essstörung. Die<br />

Betroffenen ekeln sich vor sich selbst, haben <strong>das</strong> Gefühl, abnorm zu sein. Sie tun alles, um ihre<br />

Essanfälle und <strong>das</strong> danach Folgende (Erbrechen oder Abführmittelmissbrauch) ungeschehen<br />

zu machen, die Kalorienzufuhr zu verheimlichen. Oft entscheiden sie sich für extreme sportliche<br />

Betätigungen, die zwar viele verwundern, jedoch nicht misstrauisch machen. Im fortgeschrittenen<br />

Stadium kommt es vermehrt zur sozialen Isolation und depressiven Verstimmungen.<br />

Um ihren Heißhungerattacken nachgeben zu können, vernachlässigen Betroffene häufig<br />

jegliche Interessen und den Kontakt zu anderen Menschen.<br />

Die Diagnosekriterien für<br />

Bulimia nervosa sind:<br />

Body-Mass-Index<br />

(BMI)<br />

Den Body-Mass-Index (BMI) errechnet<br />

sich nach folgender Formel: Körpergewicht,<br />

gemessen in Kilogramm,<br />

geteilt durch Körperlänge,<br />

gemessen in Meter <strong>zum</strong> Quadrat:<br />

BMI = kg / m2. Ein Beispiel: Jemand,<br />

der 1,70 m groß und 61 kg schwer<br />

ist, hat einen BMI von 61:(1,7x1,7) =<br />

21,1. Bei Frauen ist ein BMI von 20<br />

- 24, bei Männern von 20 - 25 normal.<br />

Bei geringen Abweichungen<br />

bestehen keine Bedenken. Übergewicht<br />

besteht bei einem BMI von 25<br />

- 30 (bei Frauen) und 26 - 30 (bei<br />

Männern).<br />

☛ krankhafte Furcht davor, dick zu werden,<br />

scharf definierte, sehr niedrige persönliche<br />

Gewichtsgrenze.<br />

Die körperlichen Folgeschäden der Bulimie<br />

sind Schwellung der Speicheldrüsen,<br />

Zahnschmelzschäden, Speiseröhreneinrisse,<br />

Magenwandperforationen sowie Elektrolytenentgleisungen,<br />

die zu Nierenschäden<br />

und Herzrhythmusstörungen führen.<br />

Die Regelblutung kann ausbleiben.<br />

In der Therapie ist <strong>das</strong> erste Ziel die<br />

Normalisierung des Essverhaltens, im Anschluss<br />

folgt die psychotherapeutische Behandlung<br />

der zugrunde liegenden Ursache.<br />

In 40 Prozent der Fälle kommt es zu<br />

einer deutlichen, in 20 Prozent zu einer<br />

geringen Besserung.<br />

BIERMANN VERLAG<br />

ESSSTÖRUNGEN<br />

☛ mindestens zwei Essattakken<br />

pro Woche über zwei Monate,<br />

Aufnahme großer Mengen<br />

meist leicht verzehrbarer<br />

und kalorienreicher Nahrungsmittel,<br />

<strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong><br />

Essverhalten während der<br />

Anfälle nicht unter Kontrolle<br />

halten zu können<br />

☛ im Anschluss Ungeschehen-Machen<br />

der Kalorienzufuhr<br />

durch selbstinduziertes<br />

Erbrechen, Medikamentenmissbrauch<br />

(Abführmittel,<br />

Entwässerungstabletten), Diät-/Fastenphasen,übermäßige<br />

körperliche Betätigung,<br />

andauernde übertriebene Beschäftigung<br />

mit Figur und<br />

Gewicht<br />

Essgestörte Patientinnen fühlen sich auch bei<br />

hochgradigem Untergewicht zu dick.<br />

Faszination Seele – II/2004 5


ESSSTÖRUNGEN<br />

Binge Eating Disorder oder Fresssucht<br />

Wie bei der Bulimie äußert sich die Binge Eating Disorder<br />

oder auch Fresssucht durch wiederholte Heißhungerattacken<br />

und Fressanfälle, allerdings ohne anschließendes<br />

Erbrechen oder den Missbrauch von Abführmitteln.<br />

Der Kontrollverlust während der Fressanfälle und<br />

die anschließenden Schuldgefühle sind ebenso typisch.<br />

Die Fressanfälle werden oft durch persönliche Stresssituationen<br />

ausgelöst. Es ist zu diesem Zeitpunkt nicht<br />

eindeutig zu klären, ob Binge Eating Disorder als neue<br />

diagnostische Kategorie zählt oder als Unterkategorie<br />

von Übergewicht anzusehen ist.<br />

6<br />

Faszination Seele – II/2004<br />

Adipositas oder Fettsucht<br />

Obwohl die Begriffe Adipositas und Übergewicht häufig synonym verwandt werden, bezeichnen sie<br />

nicht <strong>das</strong>selbe. Adipositas liegt nur bei einem beträchtlichen Übergewicht vor, und zwar bei einem so<br />

genannten Body-Mass-Index (BMI) von 30 und höher. Es handelt sich dann um eine therapiebedürftige<br />

Fettleibigkeit. Bei Menschen mit Adipositas sollten jedoch regelmäßig die sonstigen Risikofaktoren<br />

geprüft werden. Zudem ist ihre körperliche Belastbarkeit in der Regel reduziert. Sie sind in ihrer Beweglichkeit<br />

eingeschränkt, leiden demzufolge häufig an Bewegungsmangel, der <strong>das</strong> Symptom in einem<br />

Teufelskreis verstärkt. Adipöse Kinder und Jugendliche sind heute deutlich schwerer als noch vor<br />

20 Jahren. Adipositas <strong>wird</strong> bereits in sehr frühem Alter beobachtet, gelangt aber wegen des<br />

zunehmenden Schweregrades in vielen Fällen erst in der Vorpubertät zur Vorstellung<br />

in der ärztlichen Praxis. (sys) ●<br />

Telefonberatung der Bundeszentrale für gesundheitliche<br />

Aufklärung<br />

Die Telefonberatung ist Montag bis Donnerstag zwischen<br />

10 und 22 Uhr und von Freitag bis Sonntag zwischen<br />

10 und 18 Uhr zu erreichen. Dies gilt auch für Feiertage.<br />

Hier informieren Sie Fachleute zu den unterschiedlichen<br />

Formen von Essstörungen. Die Berater der Telefonberatung<br />

stehen Betroffenen, Angehörigen oder Interessierten für eine<br />

individuelle Beratung zur Verfügung. Die Telefonberatung<br />

bietet u.a. Unterstützung bei<br />

Weitere<br />

Informationen<br />

Hier finden Sie eine ausführliche<br />

Linkliste <strong>zum</strong> Thema Essstörungen:<br />

www.bzga-essstoerungen.de/linkliste.htm<br />

TELEFONBERATUNG<br />

TELEFONBERATUNG<br />

der Suche nach einer geeigneten Maßnahme<br />

zur Vorbeugung oder Behandlung<br />

einer Essstörung an.<br />

Tel.: 0221 / 89 20 31


A<br />

Nachsorge<br />

per SMS<br />

Ein Nachsorgeprojekt für Bulimie-Patientinnen geht neue<br />

Wege: Per SMS-Kontakt findet eine elektronische Betreuung<br />

nach der Entlassung aus der klinischen Behandlung<br />

statt.<br />

Anlass für <strong>das</strong> Forschungsprojekt ist die Beobachtung, <strong>das</strong>s<br />

ein wesentlicher Teil der sozialen Kommunikation der meist<br />

jungen bulimischen Patientinnen über <strong>das</strong> Handy via SMS<br />

stattfindet. Zwischen stationärem Aufenthalt und nachfolgender<br />

Psychotherapie können zudem oft einige Monate liegen – in<br />

dieser Zeit sind die Betroffenen besonders stark rückfallgefährdet.<br />

Insgesamt nahmen 33 Patientinnen im Durchschnittsalter von<br />

24 Jahren an der Pilotstudie teil. „Zu den entlassenen Patientinnen<br />

<strong>wird</strong> über SMS poststationär Kontakt gehalten, ihnen <strong>wird</strong> Rückmeldung<br />

über wichtige Symptome gegeben, und sie werden für Erfolge<br />

gelobt“, erläutert Prof. Dr. Rolf Meermann,<br />

Chefarzt der Psychosomatischen Fachklinik<br />

Bad Pyrmont. Die Patientinnen<br />

ihrerseits können sowohl standardisiert<br />

als auch mit freien Texten Rückmeldungen<br />

über den weiteren Krankheitsverlauf<br />

geben. Grundlage der SMS-<br />

Kommunikation ist ein einfacher<br />

dreistelliger Zahlencode, der die Möglichkeit<br />

bietet, über die <strong>aktuell</strong>e Stimmung, den Gewichtsverlust<br />

oder <strong>das</strong> Essverhalten zu berichten.<br />

„Die Ergebnisse unserer Pilotstudie sind viel versprechend“,<br />

zeigt sich Meermann zufrieden. „Die teilnehmenden Patientinnen<br />

haben diese Form der Nachsorge gut angenommen.“ Bezüglich<br />

der Praktikabilität zeigten die Erfahrungen aus der Pilotstudie,<br />

<strong>das</strong>s <strong>das</strong> Programm stabil laufe. Kleinere technische<br />

Schwierigkeiten konnten behoben werden. „Zusammenfassend<br />

zeichnet sich ab, <strong>das</strong>s bei geringem organisatorischen, zeitlichen<br />

und technischen Aufwand eine zufriedenstellende Betreuung<br />

möglich ist“, resümiert Meermann und räumt<br />

gleichzeitig ein, <strong>das</strong>s eine Nachbetreuung per SMS sicherlich<br />

nicht für alle Bulimie-Patientinnen ausreichend<br />

ist. Die Wirksamkeit der SMS-Intervention für<br />

die Rückfallprophylaxe soll in einer weiterführenden<br />

Studie mit einer Kontrollgruppe vermutlich ab<br />

Frühjahr 2004 untersucht werden.<br />

Und auch für die Klinik ergeben sich Vorteile:<br />

„Die wöchentliche Erhebung liefert auch<br />

für die Forschung eine interessante Basis <strong>zum</strong><br />

longitudinalen Krankheitsverlauf.“ (sab) ●<br />

ESSSTÖRUNGEN<br />

Faszination Seele – II/2004 7


8<br />

MEDIZIN<br />

WAS AS IST EIGENTLICH...<br />

... Compliance?<br />

Allgemein versteht man unter Compliance<br />

den Grad, in dem <strong>das</strong> Verhalten einer Person<br />

– in bezug auf die Einnahme eines Medikamentes,<br />

<strong>das</strong> Befolgen einer Diät oder die Veränderung<br />

eines Lebensstils – mit dem ärzt-<br />

lichen oder gesundheitlichen Rat korrespondiert.<br />

Auch der Begriff „konsequentes<br />

Befolgen“ oder „Therapietreue“ könnte<br />

gleichbedeutend an die Stelle des Begriffs<br />

Compliance treten.<br />

Die Wahrscheinlichkeit von Compliance ist<br />

erhöht, wenn der Patient<br />

☛ von einer allgemeinen Krankheitsanfälligkeit<br />

überzeugt ist,<br />

☛ sich seiner Erkrankung gegenüber für besonders<br />

anfällig hält,<br />

☛ die Ernsthaftigkeit seines Leidens erkennt,<br />

☛ an die Wirksamkeit der Therapie glaubt,<br />

☛ mit der medizinischen Betreuung zufrieden<br />

ist oder<br />

☛ von seiner Familie in seinem Befolgungsverhalten<br />

unterstützt <strong>wird</strong>.<br />

Bei psychischen Erkrankungen ist die<br />

Compliance von besonderer Bedeutung. So<br />

muss nahezu jeder zweite schizophrene Patient<br />

innerhalb eines Jahres nach einer stationären<br />

Behandlung erneut zwei bis drei Monate<br />

lang stationär aufgenommen werden. Die<br />

hohe Rückfallrate ist vorwiegend darauf zurückzuführen,<br />

<strong>das</strong>s viele Patienten aufgrund<br />

von unerwünschten Arzneimittelwirkungen<br />

sowie einer mangelnden Krankheitseinsicht<br />

die Behandlung mit Antipsychotika zur Rückfallprophylaxe<br />

ablehnen oder sie zu früh abbrechen.<br />

Die Therapietreue kann einerseits verbessert<br />

werden durch die Schulung der Schizophrenie-Kranken<br />

und ihrer Angehörigen –<br />

auch Psychoedukation genannt. Andererseits<br />

sind moderne Medikamente, wie beim Krankheitsbild<br />

Schizophrenie ein atypisches Depot-<br />

Neuroleptikum, durch seine 14-tägige Anwendung<br />

geeignet. (sys) ●<br />

Faszination Seele – II/2004<br />

Compliance oder Therapietreue<br />

ist bei psychischen<br />

Erkrankungen besonders<br />

wichtig.<br />

BIERMANN VERLAG<br />

D<br />

Ausnahmen geregelt<br />

Rezeptfreie Medikamente müssen Patienten seit dem 1. Januar selbst zahlen<br />

– bis auf einige Ausnahmen. Der Gemeinsame Bundesausschuss Ärzte<br />

und Krankenkassen hat kürzlich diejenigen Medikamente bzw. Wirkstoffe<br />

festgelegt, die doch von den Kassen übernommen werden müssen.<br />

Diese erstellte Übersicht enthält<br />

Arzneimittel, die bei der Behandlung<br />

schwerwiegender Erkrankungen<br />

als Therapiestandard<br />

gelten. So enthält die<br />

Übersicht beispielsweise Acetylsalicylsäure<br />

zur Nachsorge von<br />

Herzinfarkt und Schlaganfall sowie<br />

nach arteriellen Eingriffen.<br />

Als pflanzliche Präparate werden<br />

auch Johanniskraut zur Behandlung<br />

mittelschwerer depressiver<br />

Episoden und Ginkgo-biloba-<br />

Einige nichtverschreibungspflichtige<br />

Medikamente gibt es<br />

wieder auf Rezept.<br />

Blätter-Extrakt zur Behandlung<br />

der Demenz genannt.<br />

„Ärzte und Patienten haben<br />

nun Klarheit darüber, welche rezeptfreien<br />

Präparate ausnahmsweise<br />

von den Kassen erstattet<br />

werden“, freut sich Dr. Rainer<br />

Hess, Vorsitzender des Bundesausschusses.<br />

Auch Bundesgesundheitsministerin<br />

Ulla Schmidt (SPD)<br />

hat sich zufrieden über die vom<br />

Bundesgesundheitsausschuss beschlossenen<br />

Änderungen der<br />

Arzneimittel-Richtlinien geäußert.<br />

Die Liste sei eine gute<br />

Grundlage, „damit die Patienten<br />

auch in Zukunft <strong>das</strong> bekommen,<br />

was sie brauchen“, sagte<br />

Schmidt. (sys) ●<br />

Auf einen Blick<br />

Apothekenpflichtige nichtverschreibungspflichtige<br />

Arzneimittel sind von der<br />

Versorgung ausgeschlossen. Die Verordnung<br />

dieser Arzneimittel ist ausnahmsweise zulässig,<br />

wenn die Arzneimittel bei der Behandlung<br />

schwerwiegender Erkrankungen als<br />

Therapiestandard gelten.<br />

Schwerwiegende Erkrankungen und<br />

Standardtherapeutika zu deren Behandlung<br />

sind unter anderen:<br />

☛ Acetylsalicylsäure (bis 300<br />

mg/ Dosiseinheit) als Thrombozyten-Aggregationshemmer<br />

in der Nachsorge von<br />

Herzinfarkt und Schlaganfall<br />

sowie nach arteriellen Eingriffen,<br />

☛ Acetylsalicylsäure und Paracetamol<br />

nur zur Behandlung<br />

schwerer und schwerster<br />

Schmerzen in Co-Medikation<br />

mit Opioiden,<br />

☛ Calciumverbindungen (mind. 300 mg Calcium-Ion/<br />

Dosiereinheit) und Vitamin D<br />

(freie oder fixe Kombination) zur Behandlung<br />

der manifesten Osteoporose,<br />

☛ Eisen-(II)-Verbindungen nur zur Behandlung<br />

gesicherter Eisenmangelanaemie,<br />

☛ Gingko biloba Blätter-Extrakt (Aceton-<br />

Wasser-Auszug, standardisiert) nur zur Behandlung<br />

der Demenz,<br />

☛ Hypericum perforatum-Extrakt (hydroalkoholischer<br />

Extrakt, mind. 300 mg pro Applikationsform)<br />

nur zur Behandlung mittelschwerer<br />

depressiver Episoden sowie<br />

☛ Mexitenhydrochlorid nur zur Behandlung<br />

des Parkinson-Syndroms.<br />

Bei schwerwiegenden Erkrankungen<br />

kann der Arzt auch Arzneimittel der Anthroposophie<br />

und Homöopathie verordnen, sofern<br />

die Anwendung dieser Arzneimittel für<br />

diese Indikationsgebiete nach dem Erkenntnisstand<br />

als Therapiestandard in der jeweiligen<br />

Therapierichtung angezeigt ist.<br />

BIERMANN VERLAG


Zur Person:<br />

PRIVAT<br />

Fragen aus der<br />

Praxis...<br />

Dr. Rita Wietfeld, niedergelassene Fachärztin für<br />

<strong>Psychiatrie</strong> und Neurologie und Psychotherapeutin,<br />

steht Ihnen auf dieser Seite Rede und Antwort.<br />

?<br />

Dr. Rita Wietfeld studierte Medizin in<br />

Bochum und <strong>Essen</strong> und ließ sich vor<br />

14 Jahren in ihrer Heimatstadt Witten<br />

als Ärztin für <strong>Psychiatrie</strong>, Neurologie<br />

und Psychotherapie mit sozialpsychiatrischem<br />

Schwerpunkt nieder. „Patientenarbeit<br />

ist schließlich meine<br />

Aufgabe“, betont sie.<br />

?<br />

Mein Sohn leidet seit längerer Zeit an einer Schizophrenie. Wir haben<br />

bislang mit niemanden darüber gesprochen, weil wir auch nicht<br />

wissen, was wir sagen sollen. Wir haben Angst, man könnte unseren<br />

Sohn für „verrückt“ halten, aber irgend eine Erklärung muss er ja auch<br />

seinem Arbeitgeber abgeben. Auch die Freunde fragen immer wieder nach,<br />

was denn mit unserem Sohn eigentlich los ist. Wir haben Angst, <strong>das</strong>s er<br />

mit der Diagnose Schizophrenie von den anderen abgestempelt <strong>wird</strong>.<br />

Dr. Wietfeld: Sie sprechen hier ein immer noch vorhandenes großes <strong>Problem</strong><br />

an. Über viele Jahrzehnte wurden seelische Erkrankungen tabuisiert,<br />

die Erkrankten weit außerhalb ihres vertrauten Umfelds in Kliniken untergebracht.<br />

Seit einigen Jahren <strong>wird</strong> <strong>das</strong> Thema „seelische Erkrankungen“,<br />

auch die Erkrankung der Schizophrenie, immer mehr in die Öffentlichkeit<br />

gebracht. Das ist auch gut so, weil nur durch breite, umfangreiche Aufklärung<br />

die falschen Vorstellungen über diese Erkrankung abgebaut werden<br />

können. Bis <strong>das</strong>s die Erkrankung allseits so akzeptiert werden kann,<br />

wie beispielsweise ein Herzleiden oder die Zuckerkrankheit, <strong>wird</strong> noch viel<br />

Arbeit nötig sein, auch viel Mut der Betroffenen und ihrer Angehörigen,<br />

zu dieser Erkrankung zu stehen.<br />

Die schizophrene Psychose ist weder durch ein „schlechtes Elternhaus“<br />

oder eine problematische Mutter-Kind-Beziehung verursacht, sondern<br />

Folge von Hirnfunktionsstörungen, von Störungen der Botenstoffe im Gehirn,<br />

letztendlich also eine organische Erkrankung, auch wenn sie sich<br />

durch seelische Beeinträchtigungen bemerkbar macht. Ich rate Ihnen dringend,<br />

eine Angehörigengruppe aufzusuchen und sich umfassend über dieses<br />

Krankheitsbild zu informieren und sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.<br />

Sie werden sehen, <strong>das</strong>s es Ihnen so leichter fällt, über diese<br />

Krankheit zu sprechen, je mehr Sie <strong>zum</strong> einen wissen, <strong>zum</strong> anderen ins<br />

Gespräch mit ebenfalls Betroffenen kommen! ●<br />

Ich muss wegen einer Psychose regelmäßig Medikamente nehmen,<br />

bin beruflich auf <strong>das</strong> Autofahren angewiesen. Darf ich unter Neuroleptika Auto<br />

fahren?<br />

NACHGEFRAGT<br />

Haben auch Sie Fragen an<br />

Dr. Rita Wietfeld?<br />

Dann mailen Sie uns:<br />

sys@biermann.net<br />

oder schreiben Sie an:<br />

Biermann Verlag GmbH<br />

„Faszination Seele“<br />

Otto-Hahn-Str. 7, 50997 Köln<br />

Fax: 02236/376-452<br />

Dr. Wietfeld: Maßgeblich für die Eignung <strong>zum</strong> Führen eines Kraftfahrzeuges sind Leitlinien,<br />

herausgegeben von der Bundesanstalt für <strong>das</strong> Straßenwesen. Grundsätzlich gilt, <strong>das</strong>s<br />

Sie niemand von der persönlichen Verantwortung vom Führen eines Kraftfahrzeugs entbindet,<br />

<strong>das</strong> heißt, Sie müssen Ihre Fahrtauglichkeit verantwortlich selbst abschätzen. Im<br />

Rahmen einer akuten psychischen Erkrankung ist in aller Regel von einer Fahruntauglichkeit<br />

auszugehen. Unbehandelt können seelische Erkrankungen fahruntauglicher machen<br />

als unter angemessener Medikation. Besprechen Sie mit Ihrem Arzt, der anhand der vorliegenden<br />

Leitlinien zur Kraftfahrereignung abschätzen kann, in wieweit Sie ein Auto führen<br />

dürfen oder nicht. ●<br />

? Meine Frau leidet seit Jahren unter einer schizophrenen<br />

Psychose. Die Erkrankung verläuft<br />

schubweise, zwischendurch ist sie gesund, muss<br />

aber regelmäßig ein Neuroleptikum nehmen. Können wir<br />

mehr tun, um weiteren Schüben vorzubeugen?<br />

Dr. Wietfeld: Die Einnahme eines Neuroleptikum ist sinnvoll,<br />

um Rückfälle zu verhindern oder sie abgeschwächt<br />

verlaufen zu lassen. Neben dieser Basistherapie ist Psychoedukation<br />

unbedingt ratsam. Unter Psychoedukation versteht<br />

man, <strong>das</strong>s sowohl Patient wie Angehörige lernen, wie<br />

die Krankheit sich aufbaut, welche Symptome, insbesondere<br />

Frühwarnsymptome, es gibt als erste Warnzeichen für eine<br />

drohende psychische Dekompensation. Wichtig ist auch,<br />

<strong>das</strong>s Patienten wie Angehörige lernen, welche Wirkung<br />

Medikamente haben, wie sie zu dosieren sind und was im<br />

Notfall hilfreich ist. Das kann eine zusätzliche Medikation<br />

sein, es kann aber auch ein kurzfristiger Rückzug sein oder<br />

ein gutes Gespräch. Dies herauszufinden, ist Aufgabe der<br />

Psychoedukation. Letztendlich beinhaltet dieses Trainingsprogramm<br />

eine patientengerechte Aufklärung über die Erkrankung,<br />

über den Umgang mit ihr und die therapeutischen<br />

Möglichkeiten. Angeboten <strong>wird</strong> psychoedukatives<br />

Training <strong>zum</strong> Teil in Einzelgesprächen, <strong>zum</strong> Teil in Gruppen;<br />

für Angehörige finden häufig externe Seminare zu<br />

diesem Thema statt. ●<br />

<strong>Wenn</strong> Sie Ihre Fragen lieber direkt an<br />

Dr. Rita Wietfeld richten möchten, dann erreichen<br />

Sie sie in ihrer Praxis. Tel.: 02302/60323<br />

Faszination Seele – II/2004 9


G<br />

10<br />

ARBEITSWELT<br />

ARBEITSWEL<br />

Was kränkt, macht auch krank<br />

<strong>Wenn</strong> es im Betrieb nicht richtig läuft und Einzelne von<br />

anderen <strong>zum</strong> Sündenbock gestempelt und ausgegrenzt<br />

werden, kann die krank machende Situation für <strong>das</strong><br />

Opfer des Mobbing-Prozesses zur unlösbaren Katastrophe<br />

werden.<br />

Göttinger Psychologen haben kürzlich herausgefunden, <strong>das</strong>s<br />

insbesondere neugierige, kreative Menschen mit eigener Meinung<br />

in der Arbeitswelt leichter zu Mobbingopfern werden als ihre zurückhaltenderen<br />

Kollegen.<br />

Das Ergebnis der Untersuchung habe ihn selbst überrascht,<br />

sagte Prof. Dr. Thomas Rammsayer. Bisher seien<br />

Experten davon ausgegangen, <strong>das</strong>s vor allem<br />

psychisch weniger stabile, sensible Menschen<br />

der dauerhaften Boshaftigkeit der Kollegen<br />

ausgesetzt sind. Die eigene Meinung „offener“<br />

Menschen rufe aber offensichtlich<br />

ebenfalls Mobbing hervor.<br />

Für ihre Untersuchung haben die Göttinger<br />

Psychologen zunächst nach einem<br />

speziellen Kriterienkatalog untersucht,<br />

welche der ihnen von Betriebsräten,<br />

Selbsthilfegruppen und Sozialarbeitern benannten<br />

Menschen tatsächlich Mobbingopfer<br />

Faszination Seele – II/2004<br />

sind. Bei der Befragung dieser Gruppe habe sich dann herausgestellt,<br />

<strong>das</strong>s große Offenheit, Neugier oder kritisches Hinterfragen<br />

ein Anlass für die Repressalien am Arbeitsplatz sein können.<br />

Mehr als elf Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland sind im<br />

Laufe des Berufslebens schon einmal von Mobbing betroffen gewesen.<br />

Inzwischen haben sich zahlreiche Selbsthilfegruppen <strong>zum</strong><br />

Thema „Mobbing“ in Deutschland gegründet.<br />

Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes<br />

Nordrhein-Westfalen hat eine Broschüre mit den Adressen aller<br />

Mobbing-Beratungsstellen in NRW herausgegeben. Sie kann direkt<br />

beim Ministerium angefordert werden: Ministerium<br />

für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Fürstenwall 25,<br />

40190 Düsseldorf. (sys) ●<br />

Weitere<br />

Informationen<br />

Netzwerk der Mobbing-Selbsthilfegruppen<br />

in Deutschland und der Schweiz<br />

sowie Selbthilfegruppe Mobbing<br />

tel.: 02102/ 6 83-76<br />

fax: 02102/ 6 83-60<br />

BIERMANN VERLAG


BIERMANN VERLAG<br />

Immer mehr Fehlzeiten<br />

durch psychische<br />

Erkrankungen<br />

<strong>Wenn</strong> Beschäftigte im Betrieb<br />

fehlen, liegt <strong>das</strong> immer häufiger<br />

an einer psychischen Störung<br />

oder Erkrankung.<br />

NNach Angaben des Fehlzeiten-Reports 2003 sind psychische Erkrankungen<br />

mittlerweile die vierthäufigste Ursache für Fehlzeiten in deutschen<br />

Unternehmen.<br />

Die Zahl der Krankmeldungen insgesamt ist dagegen auch 2002 weiter<br />

zurückgegangen. Eine Ursache dafür ist nach Darstellung des Fehlzeiten-Reports<br />

die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Auf der<br />

anderen Seite hätten viele Unternehmen ihre betriebliche Gesundheitsförderung<br />

verbessert. Das mache sich durch geringere Fehlzeiten bezahlt.<br />

Der Zusammenhang von Arbeitszufriedenheit und Fehlzeiten ist<br />

Schwerpunkt des kürzlich veröffentlichten Reports mit dem Titel „Wettbewerbsfaktor<br />

Work-Life-Balance“, der vom Wissenschaftlichen Institut<br />

der AOK (WIdO) in Zusammenarbeit mit der Universität Bielefeld<br />

herausgegeben <strong>wird</strong>.<br />

Die Zahlen des Fehlzeiten-Reports belegen, <strong>das</strong>s die psychisch bedingten<br />

Krankheitsfälle kontinuierlich zunehmen. Die Zahl der auf<br />

psychische Erkrankungen zurückgehenden Krankmeldungen ist bei<br />

den der Berechnung zugrunde liegenden Krankmeldungen von knapp<br />

elf Millionen AOK-Mitgliedern seit 1994 um 74,4 Prozent gestiegen.<br />

„Bei den psychischen Erkrankungen dominieren Depressionen und<br />

neurotische Erkrankungen", erläutert Christian Vetter, Mitherausgeber<br />

des Reports. „Dazu gehören beispielsweise Angsterkrankungen,<br />

Zwangsstörungen, Reaktionen auf schwere Belastungen und psychosomatische<br />

Erkrankungen. Der Anteil der psychischen Störungen an<br />

den Fehlzeiten schwankt in den einzelnen Branchen erheblich.“ Die<br />

meisten Erkrankungstage aufgrund psychischer Erkrankungen verzeichnen<br />

die Statistiker im Gesundheitswesen und in der öffentlichen<br />

Verwaltung. Frauen seien wesentlich häufiger betroffen als Männer.<br />

Während die psychischen Erkrankungen bei den Männern in der<br />

Rangfolge an sechster Stelle stehen, nehmen sie bei den Frauen bereits<br />

den dritten Rangplatz ein.<br />

„Auch die Zahl der auf psychische Erkrankungen zurückgehenden<br />

Frühberentungen hat in jüngster Zeit stark zugenommen“, sagt WIdO-<br />

Experte Vetter. „Inzwischen sind die psychischen Erkrankungen bei den<br />

Frauen der häufigste und bei den Männern der zweithäufigste Grund<br />

für den Eintritt von Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit.“ Die volkswirtschaftlichen<br />

Kosten der Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen<br />

werden für <strong>das</strong> Jahr 2001 auf drei Milliarden Euro geschätzt. (sys) ●<br />

ARBEITSWELT<br />

ARBEITSWEL<br />

Faszination Seele – II/2004 11


Ein Ausdauertraining wie Laufen hält auch den Geist fit.<br />

12<br />

WELLNESS<br />

Besseres Gedächtnis<br />

nach Ausdauertraining<br />

Faszination Seele – II/2004<br />

BIERMANN VERLAG<br />

Sportliche Bewegung hält nicht nur den Körper<br />

jung, sondern auch den Geist. Diese bekannte,<br />

aber noch nicht völlig erwiesene These <strong>wird</strong><br />

durch immer mehr wissenschaftliche Studien<br />

belegt.<br />

I<br />

In Deutschland hat Prof. Wildor Hollman, früher<br />

Sportmediziner an der Deutschen Sporthochschule in<br />

Köln, neue Ergebnisse für Ausdauersportarten vorgelegt.<br />

Forscher an der University in Illinois kamen bei<br />

einer Untersuchung mit Aerobic zu ähnlichen Befunden.<br />

Hollmann, selbst schon 79 Jahre alt und eigentlich<br />

längst im Ruhestand, untersuchte mit einer Arbeitsgruppe<br />

vom Institut für Kardiologie und Sportmedizin an der<br />

Sporthochschule den Einfluss langjährigen Ausdauersports.<br />

Mit einem neuartigen Abbildungsverfahren, der<br />

Positronen-Emissions-Tomographie (PET), konnten die<br />

Forscher die Gehirne von Menschen unter die Lupe nehmen,<br />

die seit 25 Jahren Ausdauertraining betrieben haben.<br />

Mit dieser Methode werden aktive Areale im Gehirn<br />

während eines kognitiven Tests aufgezeichnet. Nach<br />

den Ergebnissen von Hollmann ähneln die Bilder seiner<br />

Probanden denen von jüngeren Menschen. Bei älteren<br />

Menschen ohne Sport bilden sich die Areale dagegen<br />

zurück. Laut Hollmann stimuliert <strong>das</strong> Training die Neubildung<br />

von Nervenzellen und ermöglicht für Lernprozesse<br />

noch nötige Nerven-Verbindungen, die Synapsen.<br />

Die US-Wissenschaftler um Dr. Arthur Kramer wollten<br />

zeigen, <strong>das</strong>s die bisher an Mäusen gewonnenen Erkenntnisse<br />

auch für Menschen gelten. Ein Gruppe von<br />

55- bis 79-jährigen Personen unterzog sich einem Test<br />

zur Reaktion und Einordnung von Symbolen. Danach<br />

absolvierten sie ein sechsmonatiges Aerobic-Programm<br />

mit wöchentlich drei Übungsstunden.<br />

Nach dieser Trainingsphase stellten sich die Senioren<br />

dem Test <strong>zum</strong> zweiten Mal. Und die Werte bestätigten<br />

die Vermutungen der Wissenschaftler. In Reaktionszeit,<br />

Konzentrationsvermögen und Fehlerquotient lag<br />

die Gruppe beim zweiten Mal deutlich besser als zu Beginn<br />

der Studie.<br />

Wie die Ergebnisse zustande kommen, ist noch nicht<br />

vollständig geklärt: Wahrscheinlich führt körperliche<br />

Aktivität zu einem trainingsbedingten Ökonomisierungsprozess<br />

im Gehirn, wie wir ihn im Herz-Kreislaufbereich<br />

nach Training kennen. Das Gehirn dürfte somit -<br />

ähnlich dem Herzen und der Skelettmuskulatur - bis in<br />

ein hohes Alter auf einem hohen Leistungszustand zu<br />

halten sein. (sys) ●


M<br />

Rückfälle verhindern<br />

<strong>Wenn</strong> die akuten Symptome ihrer Erkrankung<br />

abklingen, stellen sich viele Patienten<br />

die Frage, was sie in Zukunft tun<br />

können, um ein erneutes Ausbrechen der<br />

Krankheit zu verhindern.<br />

Man weiß, <strong>das</strong>s ohne Behandlung etwa 80<br />

Prozent der Patienten rasch wieder einen<br />

Rückfall erleiden. Aber dagegen kann man etwas<br />

tun!<br />

Um Rückfälle möglichst zu vermeiden, sollten<br />

Sie:<br />

➤ Ihre antipsychotischen Medikamente regelmäßig<br />

und ausreichend lange nehmen. (Nach<br />

der ersten Krankheitsepisode mindestens ein<br />

bis zwei Jahre lang, nach der zweiten Krankheitsepisode<br />

mindestens fünf Jahre.)<br />

➤ regelmäßig Kontakt zu Ihrem Arzt halten,<br />

bei Bedarf auch zu Ihrem Psychotherapeuten<br />

oder zu psychosozialen Einrichtungen.<br />

➤ ein geregeltes, möglichst stressarmes Leben<br />

führen und Alkohol und Drogen meiden.<br />

➤ auf Warnzeichen eines Rückfalls achten und<br />

rechtzeitig darauf reagieren (d.h. auf die<br />

Symptome achten, die vor der letzten<br />

Krankheitsepisode aufgetreten sind, z. B.<br />

neu auftretende Schlaf- und Konzentrationsstörungen,<br />

Stimmungsänderungen etc.).<br />

➤ Angehörige und Freunde bitten, Sie auf<br />

Warnzeichen aufmerksam zu machen und –<br />

falls nötig – entsprechende Maßnahmen einzuleiten<br />

(Kontakt <strong>zum</strong> Arzt herstellen, verabredete<br />

Bedarfsmedikation einnehmen etc.).<br />

In der modernen Schizophrenie-Therapie stehen<br />

heute eine Vielzahl von Behandlungsmöglichkeiten<br />

zur Verfügung. Im Bereich der medikamentösen<br />

Therapie gibt es neben der Wahl des<br />

geeigneten Wirkstoffes auch die Wahl der geeigneten<br />

Darreichungsform zu klären.<br />

Um Ihnen eine Hilfe zu geben, für sich selbst<br />

einzuschätzen, ob für Sie ein Medikament in Tablettenform<br />

oder vielleicht ein Depotpräparat in<br />

Frage kommt, haben wir einige Fragen zusammengestellt,<br />

die Ihnen bei der Klärung behilflich<br />

sein könnten. Zudem können Sie diesen Fragebogen<br />

auch einsetzen, um dieses Thema mit<br />

Ihrem Arzt zu besprechen. ●<br />

Möchten Sie mehr über Ihre Erkrankung<br />

und über die Verhütung von Rückfällen<br />

wissen?<br />

❑ Ja ❑ Nein<br />

Vergessen Sie manchmal, Ihre Medikamente<br />

zu nehmen?<br />

❑ Ja ❑ Nein<br />

Haben Sie schon einmal Ihre Medikamente selbständig abgesetzt, ohne dies vorher<br />

mit Ihrem Arzt zu besprechen?<br />

❑ Ja ❑ Nein<br />

<strong>Wenn</strong> Sie sich besser fühlen, setzen Sie dann manchmal die Medikamente ab?<br />

❑ Ja ❑ Nein<br />

Möchten Sie Ihre Medikamente ganz weglassen?<br />

❑ Ja ❑ Nein<br />

<strong>Wenn</strong> ja, warum?<br />

................................................................................................................................................<br />

Ziehen Sie es vor, täglich Ihre Medikamente einzunehmen oder ist es für Sie bequemer,<br />

stattdessen einmal alle 2 Wochen eine Depot-Spritze zu bekommen?<br />

❑ Ich bekomme lieber alle 2 Wochen ein Depot<br />

❑ Ich nehme lieber täglich Medikamente ein<br />

❑ Ich bin mir nicht sicher und würde gerne mehr über die Depot-Form erfahren<br />

Stört es Sie, <strong>das</strong>s Sie durch die Medikamenteneinnahme täglich an Ihre Krankheit<br />

erinnert werden und möchten Sie deshalb lieber alle 2 Wochen eine Spritze bekommen?<br />

❑ Ja ❑ Nein<br />

Haben Sie Angst vor Spritzen und wollen Sie deshalb lieber Tabletten einnehmen?<br />

❑ Ja ❑ Nein<br />

MEDIZIN<br />

Haben Sie sonst noch <strong>Problem</strong>e oder Fragen, die Sie besprechen wollen?<br />

❑ Ja ❑ Nein<br />

Und zwar:<br />

................................................................................................................................................<br />

................................................................................................................................................<br />

................................................................................................................................................<br />

Wir danken der Psychiatrischen Klinik der Technischen Universität München für die Erlaubnis<br />

<strong>zum</strong> Nachdruck dieses dort entwickelten und verwendeten Informationsblattes.<br />

Faszination Seele – II/2004 13


IIn einem unscheinbaren Stadtteil befindet sich <strong>das</strong> allein schon<br />

durch seine Größe beeindruckende Gebäude eines Vereines, dessen<br />

Kraft und Bedeutung sich immer stärker offenbart, je mehr man sich<br />

mit ihm beschäftigt. Der Verein nennt sich „Der Weg“ e.V. und bietet<br />

Hilfe für psychisch Kranke und deren Angehörige.<br />

Nach der Wende gab es auch in Magdeburg ein Defizit an Wohnmöglichkeiten<br />

für psychisch kranke Menschen, so <strong>das</strong>s einige engagierte<br />

Menschen aus sozialpädagogischen Berufen am 14. Mai 1991<br />

den Verein „Der Weg“ e.V. gründeten.<br />

Das Wohn- und Übergangsheim, <strong>das</strong> sich als Teil des Gesamtkonzeptes<br />

zur Integration psychisch erkrankter und seelisch behinderter<br />

Menschen versteht, hinterlässt bei jedem, der es <strong>zum</strong> ersten Mal sieht,<br />

einen nachhaltigen Eindruck. Es weist eine Gesamtkapazität<br />

von 54 Plätzen auf. Der aus einer<br />

BIERMANN VERLAG<br />

Damals ein typischer DDR-Plattenbau<br />

(oben)... und heute ein geräumiger,<br />

einladender Innenhof – und beim<br />

Sommerfest feiern alle mit.<br />

ehemaligen Kindertagesstätte entstandene<br />

Baukörper beherbergt neben dem<br />

Wohnheim auch noch Räume für die<br />

Ergotherapie, eine Holzwerkstatt, eine<br />

Wäscherei sowie eine Gärtnerei.<br />

14<br />

MEDIZIN<br />

Faszination Seele – II/2004<br />

Weg aus der Perspektivlosigkeit<br />

Der Autor ist Schriftsteller<br />

und stellvertretender Vorsitzender<br />

des Landesverbandes der Angehörigen<br />

psychisch Kranker in Sachsen-Anhalt<br />

„Der Weg“ e.V, Georg-Singer-Straße 32,<br />

39128 Magdeburg<br />

Tel. (0391) 280 76-0, Fax (0391) 280 76-40<br />

PRIVAT (3)<br />

Magdeburg, die Hauptstadt von Sachsen-Anhalt, ist vielen<br />

Bewohnern der alten Bundesländer nur wenig bekannt.<br />

Unter psychosozialen Aspekten fällt die<br />

Stadt auf den ersten Blick auch nicht aus<br />

dem Rahmen. Eine Ausnahme gibt<br />

es allerdings.<br />

In neun Wohngruppen unterteilt stehen Ein- und Zweibettzimmer<br />

zur Verfügung. Zu jeder Wohngruppe gehören ein Gemeinschaftsraum<br />

und eine Küche. Ziel der hauptamtlichen Mitarbeiter ist es, die<br />

Alltagskompetenzen der Bewohner so weit zu erhöhen, <strong>das</strong>s ein Umzug<br />

in die Außengruppe oder gar in eine eigene Wohnung möglich<br />

<strong>wird</strong>. Den Menschen, die auf Grund der Schwere ihrer Krankheit nicht<br />

in der Lage sind, ihre volle Selbständigkeit wiederzuerlangen, <strong>wird</strong><br />

die Möglichkeit geboten, auf Dauer im Heim zu leben. Freilich kommt<br />

auch hier dem Training lebenspraktischer Fähigkeiten eine besondere<br />

Bedeutung zu.<br />

Seit 1997 bietet „Der Weg“ auch Außengruppen an. „In Außengruppen<br />

lässt sich oft eine ideale Balance zwischen Nähe und Distanz<br />

herstellen“, sagt die Geschäftsführerin des Vereins, Christine Schäfer.<br />

„Wir legen Wert darauf, <strong>das</strong>s sich die Bewohner an der Auswahl, Renovierung<br />

und Gestaltung ihrer Wohnung beteiligen“, meint sie und<br />

fährt fort: „Mit jedem Bewohner erstellen wir eine Hilfeplanung, die<br />

individuelle Ziele vom Erlernen selbständiger Haushaltsführung bis<br />

hin zur Bewältigung grundsätzlicher psychosozialer <strong>Problem</strong>e enthält.<br />

Gegenwärtig verfügt die Außengruppe über 25 Plätze.“<br />

Das ambulant betreute Wohnen gibt es seit 2001. Dies bedeutet,<br />

<strong>das</strong>s die Betreuung in der eigenen Wohnung angeboten <strong>wird</strong>. Zwölf<br />

Personen kommen derzeit in den Genuss dieser Maßnahme.<br />

Über die Ergotherapie hinaus besteht die Möglichkeit, in einer<br />

hauseigenen Gaststätte, „Stadtcafé Neustädter Feld“ genannt,<br />

zu arbeiten. Seit September 1997 <strong>wird</strong> die Cafeteria, die sich<br />

wachsender Beliebtheit erfreut, von sechs Heimbewoh-<br />

nern betrieben. (Rainer Schulze) ●


Hilfe für den Zappelphillipp<br />

Sie können sich nicht konzentrieren, geben<br />

keine Minute Ruhe, haben einen unstillbaren<br />

Bewegungsdrang und reagieren<br />

meist unerwartet impulsiv.<br />

Diese Kinder sind nicht einfach schlecht erzogen.<br />

<strong>Wenn</strong> die Verhaltensweisen nicht dem altersgemäßen<br />

Entwicklungsstand entsprechen und immer wieder<br />

auftreten, kann dahinter eine ernsthafte Erkrankung<br />

stehen: die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung<br />

(ADHS).<br />

Etwa eine halbe Million Kinder leiden in Deutschland unter dieser<br />

Störung. Für Eltern und Erzieher, vor allem aber für die Kinder selbst<br />

ist dies eine große Belastung. Weil ADHS in den Medien häufig als<br />

Modediagnose oder gar Erziehungsfehler abgetan <strong>wird</strong>, haben betroffene<br />

Kinder und deren Eltern oft mit Vorurteilen zu kämpfen.<br />

Denn nach heutigem Forschungsstand herrscht weitgehend Übereinkunft:<br />

ADHS ist eine neurobiologische Funktionsstörung im Gehirn,<br />

die erblich bedingt ist. In bestimmten Abschnitten des Gehirns<br />

gibt es ein Ungleichgewicht an Botenstoffen. Diese Botenstoffe sind<br />

„Mit dir spielen wir nicht mehr!“, bekommen ADHS-Kinder<br />

oft zu hören.<br />

wichtig für die Aufnahme und Verarbeitung der Reize aus der<br />

Umwelt. Das Hirn der betroffenen Kinder kann die eintreffenden<br />

Reize nicht filtern, so <strong>das</strong>s es zu einer permanenten Reizüberflutung<br />

kommt, die sich dann in den hyperaktiven,<br />

unaufmerksamen und impulsiven Verhaltensweisen<br />

ausdrückt.<br />

Die Behandlung der ADHS stützt sich auf<br />

eine multimodale Therapie mit mehreren<br />

Komponenten, die je nach Ausprägung<br />

kombiniert werden können. Die Eckpfeiler<br />

sind Psychotherapie, pädagogische Maßnahmen<br />

und Medikation. Da ADHS eine<br />

Erkrankung ist, die <strong>das</strong> Kind und seine Umwelt<br />

den ganzen Tag „auf Trab hält“, ist eine<br />

Therapie ratsam, die den gesamten aktiven<br />

Tag des Kindes umfasst. Denn die kindliche Ent-<br />

Rennen, zappeln, springen –<br />

ADHS-Kinder sind den ganzen<br />

Tag „auf Trab“ und wirken wie<br />

von einem Motor getrieben.<br />

Mehr über Ursachen,<br />

Folgen und<br />

Behandlungsmöglichkeiten<br />

von ADHS, Literaturtipps,<br />

Links zu Selbsthilfegruppen und vieles mehr<br />

unter www.mehr-vom-tag.de.<br />

MEDIZIN<br />

wicklung findet nicht<br />

nur am Vormittag im Kindergarten<br />

oder in der Schule statt. Auch der Nachmittag ist<br />

für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sehr wichtig.<br />

Sie wollen im Freundeskreis anerkannt und integriert sein, sich<br />

auf Hobbys und sportlichen Aktivitäten konzentrieren können. Kinder<br />

mit ADHS geraten leicht ins Abseits, weil sie sich nicht steuern<br />

können und durch ihre Verhaltensauffälligkeiten oft anecken. Mit der<br />

Folge, <strong>das</strong>s sie kaum positive Erfahrungen in ihrem Lebensumfeld machen<br />

und schnell sozial isoliert sind. Nicht selten gibt es auch <strong>Problem</strong>e<br />

in den Familien von ADHS-Kindern. Die täglichen Schwierigkeiten<br />

im Umgang mit der Erkrankung können auch zu Schuldgefühlen<br />

und Streitigkeiten bei Eltern und Geschwisterkindern führen.<br />

Eine medikamentöse Therapie reguliert die Verhaltensauffälligkeiten<br />

und unterstützt psychotherapeutische und pädagogische<br />

Maßnahmen. Bereits seit fünf Jahrzehnten <strong>wird</strong> der Wirkstoff<br />

Methylphenidat bei der Behandlung von ADHS eingesetzt.<br />

Das Medikament führt bei ADHS zur Normalisierung<br />

der Funktionsstörung im Gehirn. Die Medikamenteneinnahme<br />

ist nun erleichtert: Eine kontinuierliche Wirkstoff-<br />

Freisetzung ermöglicht die Wirksamkeit über zwölf Stunden,<br />

bei nur einmaliger Einnahme am Morgen. Dies erspart<br />

den Kindern <strong>das</strong> Stigma, mehrmals täglich Tabletten einnehmen<br />

zu müssen. (Haas & Health Partner) ●<br />

Wichtigstes Ziel einer ADHS-Behandlung ist eine<br />

weitgehend normale soziale und schulische Entwicklung.<br />

Faszination Seele – II/2004 15<br />

INIATIVE „MEHR VOM TAG – MEHR VOM LEBEN“ (3)


GESUNDHEITSPOLITIK<br />

D<br />

16<br />

Verordnung<br />

außerhalb<br />

der Indikation<br />

Muss die Gesetzliche Krankenversicherung<br />

auch Medikamente außerhalb der<br />

eigentlichen Indikation bezahlen? Immer<br />

wieder stehen Patienten und auch<br />

ihre Ärzte vor dieser Frage.<br />

Das Bundessozialgericht in Kassel (Urteil vom 19. März<br />

2002, Az.: B 1 KR 37/00) hatte entschieden, <strong>das</strong>s sich die<br />

Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung im<br />

Grundsatz nur auf die Anwendung von Arzneimitteln im zugelassenen<br />

Anwendungsgebiet erstreckt. Unter besonderen<br />

Umständen müssen die Kassen auch für die Anwendung außerhalb<br />

der zugelassenen Indikation – im so genannten Off-Label-Use<br />

– bezahlen. Das ist der Fall, wenn eine ernsthafte Erkrankung<br />

vorliegt, keine therapeutische Alternative verfügbar<br />

ist und wissenschaftlich fundierte Hinweise auf eine zu erwartende<br />

Wirksamkeit vorliegen. Diese Kriterien münden allerdings<br />

immer wieder<br />

in Auseinandersetzungen<br />

vor den Gerichten.<br />

Der Off-Label-<br />

Use ist in der medizinischen<br />

Praxis<br />

weit verbreitet. Insbesondere<br />

in der<br />

Onkologie, der Kinderheilkunde,<br />

der<br />

Neurologie und<br />

<strong>Psychiatrie</strong>, aber<br />

auch in der Kardiologie<br />

werden Arzneimittel häufig off-label verordnet. Jahrelang<br />

haben die Krankenkassen dies toleriert. Seit etwa zwei<br />

Jahren sind sie jedoch dazu übergegangen, Vertragsärzte mit<br />

Regressverfahren zu überziehen, die off-label verordnet haben.<br />

Dabei billigt die Rechtsordnung jedem Arzt Therapiefreiheit<br />

bei der Verordnung von Arzneimitteln zu. Er ist daher grundsätzlich<br />

frei, Arzneimittel auch außerhalb ihrer zugelassenen<br />

Indikation zu verordnen. Aus dem zwischen Arzt und Patient<br />

geschlossenen Behandlungsvertrag kann sich in Einzelfällen<br />

sogar eine Pflicht des Arztes zur Verordnung von Arzneimitteln<br />

außerhalb dieser zugelassenen Indikation ergeben, wenn<br />

nur mit dieser Therapie Heilungschancen bestehen oder sich<br />

diese <strong>zum</strong>indest wesentlich erhöhen. Der Arzt ist also jederzeit<br />

berechtigt, zugelassene Arzneimittel auf einem Privatrezept zu<br />

verordnen. (sys) ●<br />

Faszination Seele – II/2004<br />

BIERMANN VERLAG<br />

250 000 Euro<br />

Abfindung für Suizidversuch<br />

Eine Frau, die in einem Krankenhaus im Ruhrgebiet<br />

einen Selbsttötungsversuch mit Tabletten unternommen<br />

hatte, bekommt von der Klinik 250 000 Euro Abfindung.<br />

A<br />

BIERMANN VERLAG<br />

Auf diese Summe einigten sich die Klägerin und der Krankenhausträger<br />

aus <strong>Essen</strong> am Oberlandesgericht Hamm (Az.: 3<br />

U 59/03). Die Frau, die wegen der Einnahme einer Überdosis<br />

Schlaftabletten ins Krankenhaus gebracht worden war, hatte<br />

ein Zimmer unmittelbar in der Nähe des Medikamentenschranks<br />

bekommen.<br />

Im Krankenhaus versuchte sie<br />

erneut, sich <strong>das</strong> Leben mit Hilfe<br />

von Schlaftabletten zu nehmen.<br />

Sie gab an, die Pillen aus dem<br />

Medikamentenschrank genommen<br />

zu haben, teilte <strong>das</strong> Gericht<br />

mit. Die Klinik widersprach dem:<br />

Der Schrank sei stets fest verschlossen<br />

gewesen.<br />

Die Richter werteten es als<br />

schweren Behandlungsfehler,<br />

<strong>das</strong>s die Ärzte den Zustand der<br />

Patientin nicht hinsichtlich ihrer<br />

Suizidneigung überprüft hatten.<br />

Sie folgten damit einem Gutachter.<br />

Die Frage, woher die Frau die<br />

25 bis 30 Schlaftabletten für ihren<br />

zweiten Selbsttötungsversuch<br />

genommen hatte, blieb unberücksichtigt. Die Klägerin hat<br />

von dem Medikamentenmissbrauch bleibende Schäden davongetragen.<br />

Sie ist auf den Rollstuhl angewiesen, hat schwere<br />

neurologische Störungen und kann weder sprechen noch<br />

schreiben. (sys) ●<br />

BOOTS HEALTHCARE


S<br />

Weniger Patienten<br />

in den Arztpraxen<br />

Seit Einführung der Praxisgebühr gehen weniger<br />

Patienten <strong>zum</strong> Arzt. Das berichtet Dr. Roland<br />

Stahl von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />

(KBV). Nach einer vorläufigen Übersicht<br />

ist die Zahl der Patienten im Januar im<br />

Vergleich <strong>zum</strong> Dezember 2003 um rund 15 Prozent<br />

gesunken. Dabei sei aber zu berücksichtigen,<br />

<strong>das</strong>s der Dezember ein sehr starker Monat<br />

gewesen sei, sagte<br />

Stahl. Vor in Kraft<br />

treten der Neuregelung<br />

<strong>zum</strong> 1. Januar<br />

2004 sei es bei vielen<br />

Patienten zu „Vorzieh-Effekten“gekommen.<br />

Das gilt laut Betriebskrankenkassen<br />

(BKK) in Nordrhein-<br />

Westfalen auch für<br />

Medikamenten-Käufe.<br />

Der BKK-Landesverband NRW berichtete,<br />

nach Hamsterkäufen von Medikamenten seien<br />

die Arzneimittelausgaben im Dezember 2003<br />

geradezu explodiert. Die Ausgaben in diesem<br />

Sektor seien um 40 Prozent gestiegen. (sys) ●<br />

Quittung befreit nur selten<br />

MMuss ein Patient, der ohne Überweisung <strong>zum</strong> Facharzt geht, aber eine<br />

Quittung über die beim Hausarzt gezahlte Praxisgebühr vorlegt, nochmals<br />

zehn Euro bezahlen? Die Antwort ist eindeutig: Er muss zahlen! Nur eine<br />

Überweisung befreit in diesem Fall von der zweiten Gebühr.<br />

Eine Quittung befreit Patienten nur in seltenen Fällen von der zweiten<br />

Zahlung, <strong>zum</strong> Beispiel dann, wenn ein Patient zuerst den ärztlichen<br />

Notdienst aufsucht, dort bezahlt und dann <strong>zum</strong> Hausarzt geht.<br />

Ähnlich ist es nach einer ambulanten OP im Krankenhaus oder nach<br />

dem Besuch eines Psychologen oder Psychotherapeuten, die beide nicht<br />

überweisen können. Später aufgesuchte Vertragsärzte müssen die Quittung<br />

mit einem Arztstempel entwerten. (sys) ●<br />

BIERMANN VERLAG (3)<br />

A<br />

GESUNDHEITSPOLITIK<br />

Praxisgebühr:<br />

Klage abgelehnt<br />

Die so genannte Praxisgebühr verärgert<br />

nicht nur die Patienten, sondern bringt auch<br />

die Ärzte dazu, sich vor Gericht zu wehren –<br />

bis jetzt allerdings mit wenig Erfolg. Das Kölner<br />

Sozialgericht hat kürzlich die Klage von<br />

Dr. Werner Baumgärtner, dem Vorsitzenden<br />

des großen Ärztebundes Medi, gegen die Praxisgebühr<br />

abgelehnt.<br />

Es handele sich bei der Gebühr nicht um<br />

einen Eingriff in die Berufsfreiheit oder in Eigentumsrechte,<br />

erklärte ein Gerichtssprecher.<br />

Baumgärtner wollte mit seiner Klage erreichen,<br />

<strong>das</strong>s Ärzte die zehn Euro nicht mehr<br />

von den Patienten kassieren müssen.<br />

Laut Sozialgericht<br />

ist die <strong>zum</strong><br />

1. Januar 2004<br />

eingeführte gesetzlicheRegelung<br />

rechtmäßig.<br />

Der organisatorische<br />

Aufwand<br />

durch die neue<br />

Gebühr sei <strong>zum</strong>utbar,<br />

entschied<br />

<strong>das</strong> Gericht (Az:<br />

19 KA 5/04). Dagegen<br />

hatte der Kläger von Chaos, starkem<br />

Mehraufwand und Stress in vielen Praxen<br />

gesprochen. Es dürfe nicht sein, <strong>das</strong>s Ärzte<br />

dafür zusätzliche Kräfte einstellen und bezahlen<br />

müssten.<br />

Laut Gerichtssprecher <strong>wird</strong> die Praxisgebühr<br />

als ein angemessenes und geeignetes<br />

Mittel des Gesetzgebers angesehen, <strong>das</strong> <strong>das</strong><br />

Patienten-Arzt-Verhältnis nicht störe. Die<br />

Klage richtete sich gegen die Bundesverbände<br />

der Krankenkassen. (sys) ●<br />

Faszination Seele – II/2004 17


18<br />

MAGAZIN<br />

Faszination Seele – II/2004<br />

Feel-Good-Food:<br />

Verkaufstrick<br />

oder<br />

Die Milch soll mehr halten als sie verspricht: Zusätzliches Melatonin<br />

sorgt dafür, <strong>das</strong>s Schlafstörungen der Vergangenheit angehören.<br />

Der Genuss von Eiscreme soll die Konsumenten glücklich machen.<br />

B<br />

Beigefügte Vitamine und Spurenelemente machen aus den herkömmlichen<br />

Lebensmitteln „Feel-Good-Produkte“, berichten britische Medien. Immer<br />

mehr Lebensmittelhersteller springen auf den erfolgreichen<br />

Zug auf. Zu den neuesten Produkten auf dem Lebensmittelmarkt<br />

zählt <strong>zum</strong> Beispiel die Milch, die mit<br />

dem Hormon Melatonin angereichert die lästigen Folgen<br />

nach einem Langstreckenflug, dem so genannten Jetlag, beseitigt. Dazu<br />

werden die Kühe extra zu einer besonderen Uhrzeit gemolken. Die Hersteller<br />

versprechen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Melatonin damit ein natürlicher Bestandteil<br />

der Milch ist.<br />

Ein anderer Produzent setzt bei der Herstellung seiner<br />

Sahne auf eine Orchideen-<strong>Essen</strong>z, die Eiscreme <strong>zum</strong><br />

„Lustigmacher“ werden lässt. Die Pflanzensubstanz soll den<br />

Konsumenten glücklich und stressfrei machen, wirbt <strong>das</strong> Un-<br />

Wohlfühlhilfe?<br />

ternehmen. Die Milch- und Sahne-Produzenten wollen auch noch Kekse und<br />

eine Schokolade mit den Glücksmacher-Bestandteilen herstellen. Mögliche<br />

Nebenwirkungen dieser neuen Produkte sind derzeit noch nicht geklärt. Bei<br />

der „künstlichen“ Einnahme von Melantonin – wie in Anti-Jetlag-Präparaten<br />

in den USA erhältlich – warnen Wissenschaftler bereits jetzt, <strong>das</strong>s diese<br />

möglicherweise die Entstehung von Leukämie begünstigen. (sys) ●<br />

O sole mio...<br />

Singen macht<br />

glücklich und<br />

gesund<br />

Singen sollte in Zukunft jeder -<br />

und wenn er noch so schlecht<br />

singt, denn jetzt steht fest:<br />

Singen ist gesund.<br />

MARIA JOAO<br />

MMozarts Requiem und 40 Sänger eines Frankfurter Laienchors brachten<br />

ans Licht, <strong>das</strong>s Singen gut fürs Immunsystem ist und Musikhören<br />

aus der Konserve nichts bringt. Dabei scheint es unerheblich, welche Art<br />

von Musik Menschen singen, ob Pop, Jazz oder Modernes. „Das Musikstück<br />

hat keinen Einfluss auf <strong>das</strong> Ergebnis“, erklärt der Musikpädagoge<br />

Dr. Gunter Kreutz. „Dass es Mozarts Requiem war, ist reiner Zufall.“<br />

Vor der Chorprobe und eine Stunde danach bestimmten die Forscher<br />

die Konzentration des Immunglobulin A im Speichel. Immunglobuline<br />

sind Eiweißstoffe, die der Körper zur Abwehr fremder Substanzen produziert<br />

- je größere Mengen produziert werden, desto größer ist auch<br />

die Immunkompetenz. Die Leiter des Projekts, Prof. Günther Bastian und<br />

Gunter Kreutz, fragten außerdem nach der objektiven Stimmung der<br />

Sänger, ob sie sich eher gut oder schlecht fühlten. Eine Woche später<br />

folgte der Vergleich, was mit Stimmung und Immunglobulin beim bloßen<br />

Anhören des Requiems passierte.<br />

Beim Singen, so <strong>das</strong> Ergebnis, veränderte sich die Immunkompetenz<br />

positiv, nicht aber beim Anhören von Chormusik. „Hier passierte eigentlich<br />

gar nichts“, erklärt Kreutz. Die Singerei beeinflusste auch die Stimmung<br />

positiv, nach der Probe fühlten sich alle deutlich besser. Jetzt wollen<br />

die Forscher klären, wie spezifisch und nachhaltig die Effekte sind.<br />

Interessant vielleicht, weil es allein in Deutschland etwa 3,2 Millionen<br />

aktive Chorsänger in mehr als 60000 Chören gibt. (sys) ●<br />

BIERMANN VERLAG (2)


MMiillddeess KKlliimmaa uunndd<br />

In den vergangenen Jahren<br />

entwickelte sich eine<br />

kleine Fischerinsel<br />

südlich von Sizilien<br />

immer mehr zur<br />

Touristen-Attraktion:<br />

Malta. Zusammen<br />

mit ihrer Schwesterinsel<br />

Gozo bildet Malta<br />

heute eine selbständige<br />

Inselrepublik.<br />

Neben ihres auch im Winter milden Klimas - Malta liegt auf der<br />

geographischen Breite von Tunis - ist die Insel hauptsächlich wegen<br />

ihrer wechselvollen Geschichte interessant.<br />

Ursprünglich bestand zwischen Malta und Sizilien eine Landverbindung<br />

(ca. 180000 v. Chr.). Überreste der damaligen Tierwelt - Kleinelefanten,<br />

Raubtiere - findet man in der Höhle von<br />

Ghar Dalam. Von Menschen besiedelt wurde die Insel<br />

ca. 7000 v. Chr. von Sizilien aus. Es entwickelte sich<br />

eine rätselhafte, matriarchalische Kultur, die eine<br />

„Mutter-Göttin“ verehrte. Aus dieser Kultur stammen<br />

die Überreste von sagenhaften Tempelbauten, die über<br />

beide Inseln verstreut sind (Skorba: ca. 3600 v. Chr.;<br />

Mgarr, Hagar Quim, Ggantija: ca. 2800 v. Chr.; Tarxien,<br />

Borg in Nadur: ca. 2100 v. Chr.).<br />

Die erste überlieferte Geschichte Maltas beginnt mit<br />

der Ankunft der Phönizier im 9. Jh. v. Chr. Nach den<br />

Karthagern (600 v. Chr.) fiel die Insel nach den drei punischen<br />

Kriegen im Jahre 218 v. Chr. an die Römer. Die<br />

größte Blütezeit erfuhr Malta nach Ankunft der Ritter<br />

des Johanniter Ordens. Von den Türken aus Rhodos<br />

vertrieben, siedelten sie 1530 nach Malta über und übernahmen die<br />

Insel von der spanischen Krone. Aus dieser Zeit stammen fast alle bedeutenden<br />

maltesischen Städte und Bauten wie die Hauptstadt Valletta<br />

mit dem Hafen, „die drei Städte“, Mdina usw., die<br />

allesamt zu den schönsten Europas zählen.<br />

Die Herrschaft der Johanniter-oder Malteser-Ritter<br />

endete mit der Ankunft Napoleons 1798. Ab 1815<br />

Zur Person:<br />

Der Autor Dr. Wolfgang Thamm wurde 1962 in Oberbayern<br />

geboren. Zwischen 1983 und 1990 studierte<br />

er Zahnheilkunde an der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München und beendete <strong>das</strong> Studium mit dem Staatsexamen.<br />

2002 schloss er seine Promotion ab. Seit<br />

1988 ist Dr. Wolfgang Thamm an Schizophrenie erkrankt.<br />

Zu seinen Hobbys zählen neben klassischer<br />

Musik vor allem Reisen und Fotografie.<br />

eeiinnee wweecchhsseellvvoollllee<br />

GGeesscchhiicchhttee<br />

REISEN<br />

kam die Insel unter britische Herrschaft. Die Unabhängigkeitserklärung<br />

als Republik erfolgte 1964. Als<br />

Reisezeit empfiehlt sich für Malta März bis Juni und<br />

Oktober bis November.<br />

Am besten lässt sich Malta mit dem gut ausgebauten<br />

öffentlichen Bussystem erkunden. Vom<br />

Busbahnhof vor Valletta aus fahren die Busse über<br />

die ganze Insel. Dort erhält man auch Fahrpläne.<br />

Die meisten Hotels hat die Stadt Sliema, die ca. 8<br />

km nördlich Vallettas an der Küste liegt. Hier kann<br />

man auch stundenlang auf der Promenade am Meer<br />

spazieren (bis nach Valletta). Allerdings hat Malta bis auf wenige<br />

Sandstrände nur Felsenküste. Der Sonnenanbeter ist hier nicht gut<br />

aufgehoben.<br />

Zur Verständigung mit den Einheimischen sind Englischkenntnisse<br />

unbedingt erforderlich: Englisch ist die zweite Muttersprache<br />

der Malteser. Die Bevölkerung ist bescheiden, offenherzig und<br />

hilfsbereit.<br />

Das Gesundheitssystem allerdings ist sehr rückständig. Es gibt<br />

zwar Ärzte und auch Psychiater, aber die Ausbildung entspricht<br />

bei weitem nicht deutschem Standard. Auch sind Neuroleptika<br />

nicht ausreichend verfügbar. Der psychisch kranke Besucher muss<br />

also über Stabilität und ausreichend Medikamente verfügen.<br />

Ebenso sollte man die Telefonnummern von Arzt und Angehörigen<br />

dabei haben und auch die Urlaubsadresse daheim hinterlassen.<br />

(Wolfgang Thamm) ●<br />

THAMM (5)<br />

19


D<br />

20<br />

KULTUR KULTUR<br />

Bitteres<br />

Bekenntnis:<br />

Ich arbeite gern<br />

Den ersten Preis der diesjährigen Berlinale, den<br />

54. Berliner Filmfestspielen, hat er nicht gewonnen,<br />

und doch zeigten sich etliche Kritiker beeindruckt.<br />

Der Film der italienischen Regisseurin Francesca Comencini<br />

„Mi piace lavorare“ oder auf deutsch „Ich arbeite<br />

gern“ erzählt die Geschichte einer alleinerziehenden<br />

Mutter, die systematisch auf ihrem Arbeitsplatz gemobbt<br />

<strong>wird</strong>.<br />

Eine kleine Auszeichnung konnte die Regisseurin<br />

dennoch nach Hause tragen. Die Ökumenische Jury (Die<br />

Evangelische Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz)<br />

verliehen ihr den mit 2500 Euro dotierten<br />

Preis im Bereich Panorama. Der Film beschreibe eindrücklich<br />

<strong>das</strong> Leiden einer alleinerziehenden Frau, die an<br />

ihrem Arbeitsplatz ungerecht behandelt und dem Mobbing<br />

von Mitarbeitern ausgesetzt ist, heißt es. Die Regisseurin<br />

betone auf herausfordernde und angemessene<br />

Weise <strong>das</strong> Recht auf Gerechtigkeit und menschliche Würde,<br />

begründet die Jury ihre Entscheidung.<br />

Anna ist Sekretärin. Vor kurzem wurde <strong>das</strong> Unternehmen,<br />

in dem sie arbeitet, von einem multinationalen<br />

Konzern übernommen. Während der Betriebsfeier, bei<br />

der mit den Mitarbeitern auf die Fusion<br />

angestoßen werden soll, ist Anna die einzige<br />

Angestellte, die vom neuen Direktor<br />

nicht persönlich begrüßt <strong>wird</strong>. Sie glaubt<br />

nicht, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> irgendetwas zu bedeuten<br />

hat. Doch dann erweist sich diese kleine<br />

Nebensächlichkeit als der Auftakt zu einer<br />

wahren Tortur. Zunächst unmerklich,<br />

dann immer erbarmungsloser scheinen<br />

sich die Kollegen gegen sie zu verschwören:<br />

In der Mittagspause sitzt Anna plötzlich<br />

allein am Kantinentisch, niemand<br />

trinkt morgens noch einen Kaffee mit ihr,<br />

oder ihr Schreibtisch ist „versehentlich“<br />

schon anderweitig vergeben. Dann verändert<br />

sich die Art ihrer Arbeit, und sie muss plötzlich<br />

Aufgaben übernehmen, die doch eigentlich längst hinter<br />

ihr lagen – <strong>zum</strong> Beispiel Stunden neben dem Fotokopierer<br />

verbringen, was völlig sinnlos ist. <strong>Wenn</strong> sie darum<br />

bittet, sich nützlich machen zu dürfen, erhält sie beleidigende<br />

Antworten. Schließlich bricht Anna unter den De-<br />

Faszination Seele – II/2004<br />

Die Kollegen scheinen sich gegen Anna zu verschwören.<br />

Sinnlose Aufgaben können eine Form von Mobbing sein: Anna „bewacht“<br />

den Kopierer<br />

Regisseurin Francesca Comencini<br />

BERLINALE (3)<br />

mütigungen zusammen und erleidet einen Nervenzusammenbruch.<br />

Und hat doch noch den Mut, sich an<br />

den Betriebsrat zu wenden. Am Ende hat Anna den Prozess<br />

gewonnen, hat genug Geld ausgezahlt bekommen,<br />

um mit ihrer Tochter in Urlaub zu fahren. Doch der<br />

Zweifel bleibt: Kann man <strong>das</strong> wirklich einen Sieg nennen?<br />

Die Geschichte von Anna mag fiktiv sein, dadurch<br />

verliert sie jedoch nichts von ihrer Brisanz. In Deutschland<br />

werden nach dem „Mobbing-Report“ der Sozialforschungsstelle<br />

Dortmund schätzungsweise bundesweit<br />

800000 Beschäftigte systematisch schikaniert und<br />

drangsaliert. (sys) ●


Unterwegs nach<br />

„Tutmirgut“<br />

Auf die Reise nach „Tutmirgut“<br />

können sich Kinder, aber auch<br />

„Große“ machen.<br />

Die Bundeszentrale für gesundheitliche<br />

Aufklärung und <strong>das</strong> Labyrinth Kindermuseum<br />

Berlin präsentieren mit „Unterwegs<br />

nach Tutmirgut" die bundesweit<br />

bislang größte Erlebnisausstellung<br />

zur Gesundheitsförderung bei Kindern.<br />

Springen, Hüpfen und Tollen, aber auch in<br />

sich Hineinhören sind bei dieser Ausstellung<br />

der anderen Art Programm.<br />

Was Kinder krank macht, ist vielen Eltern, Pädagogen und<br />

Ärzten bewusst. Was aber hält sie gesund? Das ist die Leitfrage<br />

von „Unterwegs nach Tutmirgut“, der bundesweit bislang<br />

größten Erlebnisausstellung <strong>zum</strong> Thema „Gesundheit“<br />

und „Kinder“. Sie möchte Kinder und Erwachsene spielerisch<br />

bei der Reise <strong>zum</strong> eigenen Wohlbefinden begleiten. Ernährung,<br />

Bewegung, Entspannung, die Wahrnehmung des eigenen<br />

Körpers und der Umgang mit Gefühlen bilden dabei die<br />

thematischen Schwerpunkte.<br />

„Falsche Ernährung, Bewegungsmangel und fehlende<br />

Stressbewältigung führen bei vielen Kindern zu Gesundheitsstörungen,<br />

die die Grundlagen für ernsthafte Erkrankungen im<br />

Erwachsenenalter sind. Um <strong>das</strong> zu verhindern, muss weit im<br />

Vorfeld vorgebeugt werden“, erklärt Bundesgesundheitsministerin<br />

Ulla Schmidt. „Mit diesem Ausstellungskonzept werden<br />

Kinder von Anfang an für ein gesundheitsbewusstes Umgehen<br />

mit dem eigenen Körper sensibilisiert. Und sie lernen,<br />

Stress abzubauen und mit ihren Gefühlen umzugehen.<br />

Es ist ein neuer und gelungener Weg, um Kinder<br />

an <strong>das</strong> Thema Gesundheit heranzuführen“, betont<br />

die Ministerin anlässlich der Eröffnung im März.<br />

Das Labyrinth Kindermuseum Berlin ist in Deutschland<br />

<strong>das</strong> einzige seiner Art mit dem Schwerpunkt Gesundheit. Wie<br />

bei allen bisherigen Ausstellungen des Labyrinth Kindermuseums<br />

Berlin ist „Unterwegs nach Tutmirgut“ eine Reise<br />

mit vielen Spielstationen <strong>zum</strong> Ausprobieren, Entdecken<br />

und Lernen durch sinnliches Erleben.<br />

Die Ausstellung ist geeignet für Kinder von fünf bis<br />

zwölf Jahren und noch bis <strong>zum</strong> 3. April 2005 im Kindermuseum<br />

zu sehen. Ab 2005 <strong>wird</strong> diese Wanderausstellung in<br />

weiteren Kindermuseen in Deutschland zu sehen sein. (sys) ●<br />

KULTUR KULTUR<br />

Weitere<br />

Informationen<br />

LABYRINTH Kindermuseum Berlin<br />

Osloer Straße 12, 13359 Berlin<br />

Tel.: 030/49 308 901<br />

www.kindermuseum-labyrinth.de<br />

Faszination Seele – II/2004 21<br />

LABYRINTH KINDERMUSEUM BERLIN (5)


A<br />

22<br />

PANORAMA ANORAMA<br />

Schöne Frauen machen<br />

Männer wagemutig<br />

Attraktive Frauen lassen Männer alle Gedanken an<br />

die Zukunft vergessen. Was wie eine Binsenweisheit<br />

klingt, haben kanadische Forscher jetzt wissenschaftlich<br />

bewiesen: Schon die Bilder hübscher Frauen<br />

brachten männliche Testpersonen dazu, sich eher für<br />

einen kleineren, dafür aber schnell verfügbaren<br />

Geldbetrag zu entscheiden als für einen<br />

höheren, der erst in fernerer Zukunft<br />

gezahlt werden sollte.<br />

Weder schnelle Autos noch weniger<br />

attraktive Frauen riefen eine ähnliche<br />

Änderung hervor. Die Wissenschaftler<br />

vermuten daher, <strong>das</strong>s die<br />

Aussicht auf einen attraktiven Partner<br />

die Männer dazu gebracht hat, sich voll auf<br />

die Gegenwart zu konzentrieren, da hier die<br />

größere Belohnung – nämlich der attraktive<br />

Partner – zu erwarten war. Bei Frauen dagegen<br />

scheint es nur eine sehr geringe Verschiebung<br />

der Aufmerksamkeit zu geben, egal wie attraktiv<br />

die betrachteten Männer waren. (sys) ●<br />

Doch kein Suizid-Video<br />

PPop-Star Britney Spears (22) will nun doch kein Video drehen,<br />

in dem sie sich in einer Badewanne umbringt. Sie suche nach anderen<br />

Ideen für einen Begleitfilm zu ihrem Song „Everytime“, hieß<br />

es. In einer offiziellen Erklärung teilte die Sängerin ihren Fans<br />

mit, <strong>das</strong>s sie die Video-Idee aus Sorge um Missinterpretation zurückziehe.<br />

Sie betrachte Selbstmord<br />

keineswegs als Ausweg<br />

aus <strong>Problem</strong>en und wisse, <strong>das</strong>s<br />

Leute mit solchen Gedanken<br />

umgehend Hilfe und Rat suchen<br />

sollten.<br />

Die geplante Story: Nachdem<br />

die Sängerin einem Paparazzi<br />

entkommt, findet sie sich<br />

in einer Luxussuite von Las<br />

Vegas wieder. Eine kurze Einblendung<br />

zeigt die offene Pillendose<br />

auf dem Badewannenrand.<br />

(sys/dpa) ●<br />

Faszination Seele – II/2004<br />

ARCHIV<br />

M<br />

Ganz entspannt im<br />

Hier und Jetzt<br />

Madonna tut es, Gwyneth Paltrow tut es, und Meg<br />

Ryan tut es auch. Was sie verbindet: Sie halten Yoga<br />

für ein wahres Wundermittel. Angst, Stress und<br />

Schmerzen lassen sich mit den Übungen bekämpfen,<br />

und <strong>das</strong> Selbstbewusstsein <strong>wird</strong> ganz nebenbei gestärkt.<br />

Die Übungen wirken umfassend: Sie erreichen<br />

Körper, Geist und Seele. Umgab Yoga vor einiger Zeit<br />

noch die Aura von Räucherstäbchen und Bein-hinter-Ohr-Verknotungen,<br />

machen Fitness-Studios Yoga<br />

jetzt <strong>zum</strong> Lifestyle-Sport.<br />

In Manhattan <strong>zum</strong> Beispiel soll Yoga in der Business-Community<br />

derart im Trend sein, <strong>das</strong>s jeder, der<br />

etwas auf sich hält, in der Mittagspause mit der Yoga-Matte<br />

samt Designer-Hülle unterwegs ist. Auch<br />

in Berlin boomt die asiatische Entspannungsmethode.<br />

Immer mehr Studios bieten oft unter viel versprechenden<br />

Namen wie „Power Yoga“ oder ähnlichem<br />

Kurse an.<br />

Das Schöne an den mannigfaltigen Varianten des<br />

Yoga ist, <strong>das</strong>s fast alle Übungen ohne großen Aufwand<br />

überall praktiziert werden können - eine Yoga-Matte<br />

und ein wenig Platz genügen. Täglich eine<br />

Viertelstunde nach dem Aufstehen oder vor dem<br />

Zubettgehen reichen fürs Erste aus, um einseitige Belastungen,<br />

wie sie durch langes Stehen oder sitzende<br />

Büroarbeit entstehen, zu lindern.<br />

Noch wichtiger Tipp: Viele Krankenkassen geben<br />

Zuschüsse zu Yoga-Kursen. (sys) ●<br />

BIERMANN VERLAG


F<br />

Wach und fit<br />

PProf. Dr Jürgen Zulley, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums der Psychiatrischen<br />

Universitätsklinik Regensburg, hat zusammen mit der Psychotherapeutin<br />

Dr. Barbara Knab seine Erkenntnisse <strong>zum</strong> Thema Schlaf und<br />

Wachsein gut verständlich in dem Ratgeber „Wach und fit - mehr Energie,<br />

Leistungsfähigkeit und Ausgeglichenheit“ veröffentlicht.<br />

Grundvoraussetzung für die Leistungsfähigkeit am Tag ist, so die Autoren,<br />

eine gesunde Nachtruhe mit Blick auf die eigenen Schlafzyklen. Wer sich<br />

am Ende eines anderthalbstündigen Schlafzykluses aufwecken lasse, beginne<br />

den Morgen ausgeruhter als jemand, der in der REM-Phase aus dem Schlaf<br />

gerissen <strong>wird</strong>. Helles Licht hält wach, und regelmäßige Pausen fördern die<br />

Regeneration des Organismus. (sys) ●<br />

Jürgen Zulley, Barbara Knab: Wach und fit. Mehr Energie, Leistungsfähigkeit und Ausgeglichenheit.<br />

Herder Verlag. Freiburg 2004. 160 Seiten. 8,90 Euro. ISBN 3-451-05409-4<br />

Leben mit Demenzkranken:<br />

Keine Patentrezepte<br />

Für den Umgang mit Demenzkranken gibt es keine Patentrezepte.<br />

Doch es gilt, Erfahrungen pflegender Angehöriger und<br />

professioneller Betreuer zu nutzen und dadurch die Verhaltensweisen<br />

Demenzkranker besser zu verstehen. Die Autoren Christa Matter<br />

und Hans-Jürgen Freter haben eine Broschüre verfasst, die vor<br />

allem pflegende Angehörige in ihrem Leben mit Demenzkranken<br />

unterstützen will. Verhaltensweisen wie z.B. Vergesslichkeit und<br />

ihre Folgen, <strong>Problem</strong>e mit der Verständigung,<br />

Verlegen von Gegenständen,<br />

ständiges Hinterherlaufen<br />

des Erkrankten und Nachfragen, aggressives<br />

Verhalten, <strong>Essen</strong> und Trinken,<br />

gefährliche Situationen sind<br />

ebenso Themen wie mögliche Ursachen<br />

dieses Verhaltens und die Belastungen<br />

für Angehörige.<br />

Ferner geht es darum, wie<br />

„schwieriges“ Verhalten eventuell verhindert werden kann oder wie<br />

es sich <strong>zum</strong>indest leichter damit leben lässt. Pflegende Angehörige<br />

erhalten zudem Empfehlungen für Beratungsstellen, Angehörigengruppen,<br />

entlastende Angebote und einfache Entspannungsübungen.<br />

(sys) ●<br />

Leben mit Demenzkranken, Hilfen für schwierige Verhaltensweisen und<br />

Situationen im Alltag, Praxisreihe der Deutschen Alzheimer Gesellschaft<br />

e.V., Band 5, 64 Seiten, 1. Auflage 2003, 3 Euro (incl. Versandkosten),<br />

ISSN 1617-8750<br />

DEUTSCHE SENIORENLIGA E. V.<br />

V<br />

BÜCHER<br />

Erste Hilfe<br />

für die Psyche<br />

Viele Menschen mit psychischen Störungen, wie <strong>zum</strong><br />

Beispiel Angstzuständen oder Depressionen, wissen<br />

nicht, wie sie damit umgehen sollen. Dietmar Hansch,<br />

erfahrener Arzt und Psychotherapeut, zeigt einfache<br />

Maßnahmen der gesunden Lebensgestaltung und<br />

Stressbewältigung, die der Selbsthilfe dienen. Er erklärt,<br />

wie die Psyche funktioniert, zeigt aber auch die<br />

Grenzen auf, wann professionelle Hilfe in Anspruch<br />

genommen werden sollte. Ein umfangreiches Adressregister<br />

im Anhang erleichtert Betroffenen den ersten<br />

Schritt bei der Suche nach Unterstützung. (sys) ●<br />

Dietmar Hansch: Erste Hilfe<br />

für die Psyche. Springer-Verlag<br />

Berlin, Heidelberg, New<br />

York 2003. 235 Seiten,<br />

Brosch. 19,95 Euro, ISBN 3-<br />

540-44300-2.<br />

Faszination Seele – II/2004 23


FEUILLETON<br />

FEUILLETON<br />

DDie menschlichen Abbildungen stammen<br />

aus der jüngeren Altsteinzeit. Beispielhaft<br />

lässt sich die berühmte Venus<br />

von Willendorf anführen. Ihre Formen<br />

lassen sich als sehr üppig beschreiben, mit<br />

großen, hängenden Brüsten, dicken Beinen,<br />

rundem Bauch und Hinterteil. Möglicherweise<br />

symbolisiert diese Figur die<br />

Fruchtbarkeit und Ursprünglichkeit der<br />

Mutter der Erde.<br />

In der griechischen Klassik entsprechen<br />

die Darstellungen dem Zeitgeist: Das<br />

Streben nach körperlicher und geistiger<br />

Harmonie drückte sich in einem<br />

Schönheitsideal aus, <strong>das</strong> eine<br />

vollkommene Körperform<br />

suchte. Diese „ästhetische<br />

Vollkommenheit“ wurde<br />

durch ausgewogene Proportionen<br />

und Haltungen<br />

ausgedrückt. Für<br />

heutige Begriffe<br />

ist dieses Schönheitsideal<br />

aber<br />

eher als stämmig<br />

zu bezeichnen.<br />

In der Renaissance<br />

sowie im Barock<br />

bevorzugte man<br />

mehr und mehr üppige<br />

und volle Körper,<br />

was als sinnlich-verlockend<br />

galt. Im Viktorianischen<br />

Zeitalter<br />

kam dann die Wespentaille<br />

in Mode,<br />

die durch <strong>das</strong> Korsett<br />

künstlich erzeugt<br />

Praxisstempel:<br />

Schönheit ist<br />

relativ: alles eine<br />

Frage der Zeit<br />

Dick oder dünn? Was wir als schön empfinden,<br />

sind sehr subjektive Vorstellungen von Schönheit<br />

einer jeweiligen Zeit. Das heutige ausgepägt<br />

schlanke Schönheitsideal ist<br />

historisch gesehen noch nicht<br />

besonders alt.<br />

wurde. Hier wurde durch entsprechende<br />

Kleidung <strong>das</strong><br />

Ideal „schmale Taille“<br />

verstärkt. Darunter<br />

waren die Formen<br />

weiblich-üppig.<br />

Zu Beginn des<br />

20. Jahrhunderts gehörten<br />

noch üppige<br />

Busen und Dekolletés<br />

<strong>zum</strong> Schönheitsideal,<br />

doch schon in den 20er<br />

Jahren kam die erste<br />

Schlankheitswelle<br />

auf. Die Frauen<br />

emanzipierten sich:<br />

Im Krieg hatten sie gelernt,<br />

auch ohne ihre<br />

Männer für sich und ihre<br />

Kinder zu sorgen, und diese<br />

neue Selbständigkeit wollten<br />

sie nicht mehr aufgeben. Im<br />

Kampf um die Gleichberechtigung wurde eine androgyne<br />

Figur angestrebt, sehr schlank und mit kurzem<br />

Haarschnitt.<br />

Im Zweiten Weltkrieg waren die Formen dann wieder<br />

üppiger. Es wurde die neue Weiblichkeit propagiert,<br />

die vor allem auf die Aufgabe der Mutterschaft hinwies. Die<br />

NS-Ideologie schrieb die Rolle der Frau auf die biologische Funktion<br />

des Kinderbekommens fest. Zu diesem Zweck war es sinnvoll, weibliche Formen<br />

zu betonen.<br />

Die Nachkriegszeit als eine Zeit des Mangels und der Entbehrungen ließ<br />

auch weiterhin volle, gut genährte Körper als erstrebenswert erscheinen, zeugte<br />

dies doch von Reichtum. Es wurden sogar gepolsterte BH`s getragen, um dem<br />

Körper mehr Fülle zu verleihen.<br />

In den 60er Jahren vertraten rassige Frauen mit langen Beinen, schmaler<br />

Taille und viel Busen <strong>das</strong> Schönheitsideal; Frauen wie Sophia Loren oder auch<br />

Marilyn Monroe. Letztere war mit Kleidergröße 44 durchaus gut gebaut. Am<br />

Ende dieses Jahrzehnts wurde dann <strong>das</strong> Model Twiggy berühmt, <strong>das</strong> mit seinen<br />

Körperformen an eine Magersüchtige erinnert. Diese als androgyn zu bezeichnende<br />

Figur fällt zeitlich zusammen mit der aufkommenden Studentenbewegung,<br />

die gesellschaftliche Umwälzungen forderte und der feministischen<br />

Bewegung zu einem Aufschwung verhalf. In den 80er Jahren wurden wieder<br />

etwas weiblichere Formen mit der Twiggy-Figur kombiniert. Busen sollte wieder<br />

sei, dabei sollte aber eine schlanke Taille und wenig Hüfte weiterhin beibehalten<br />

werden. Dieses Schönheitsideal kann nur von wenigen hochbezahlten<br />

Models eingehalten werden, dient aber immer noch als Vorbild für viele<br />

Frauen.<br />

Beim Betrachten des Wandels des Schönheitsideals in diesem Jahrhundert<br />

fällt auf, <strong>das</strong>s Frauen immer dann schlank sein sollten, wenn sie sich emanzipierten<br />

und Gleichberechtigung forderten. „Weiblich-üppig“ waren sie besonders<br />

in Zeiten des Mangels und in Zeiten, in denen ihre Gebärfähigkeit gebraucht<br />

wurde. Insgesamt zeigt sich aber, <strong>das</strong>s sich Schönheitsideale im Laufe<br />

der Jahrzehnte durchaus gewandelt haben und in keinster Weise statisch<br />

sind. (sys) ●

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