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Richter final

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sehr sympathischen Weise. Bald darauf erkrankte er; sein Leiden stellte<br />

sich als unheilbar heraus, und ist er denn bald darauf gestorben.<br />

Seine Gattin , eine lebensfrohe, energische Dame, gründete nach<br />

seinem Tod ein Gesangsinstitut, mit der ausgesprochenen Absicht,<br />

dem Konservatorium Konkurrenz zu bereiten, was bei dem fortwährenden<br />

Lehrerwechsel in der Gesangsbranche und der Fehde, in der<br />

Schleinitz immer mit seinen Gesanglehrern (damals mit Götze ) lag,<br />

auch nicht allzuschwer gewesen wäre. Gleichwohl scheint sie nicht<br />

übermäßig reüssiert zu haben, denn sie verlegte das Institut bald nach<br />

Berlin, wobei sie allerdings einige frühere Schülerinnen des Konservatoriums<br />

mit hingenommen zu haben scheint.<br />

Ihr Sohn Felix Dreyschock (1861–1905) war ein bedeutender, leider<br />

viel zu früh verstorbener Klavierspieler, der zuletzt als einer der<br />

Hauptlehrer am Sternschen Konservatorium tätig war.<br />

Als es sich herausstellte, daß Dreyschocks Krankheit unheilbar sei,<br />

schritt man zur Wahl eines neuen zweiten Konzertmeisters. Diese<br />

Wahl fiel auf Röntgen , der am 8. Januar 1869, also noch vor Dreyschocks<br />

Tod – dieser war mittlerweile pensioniert worden – sein Amt<br />

antrat. Die Wahl konnte auf keinen Geeigneteren fallen.<br />

232<br />

Engelbert Röntgen<br />

Engelbert Röntgen (1829–1897), ein geborener Holländer, Schüler<br />

Davids am Leipziger Konservatorium, war 1850, nachdem er schon<br />

als Schüler im Orchester mitgespielt hatte, als Geiger in dasselbe<br />

eingetreten. Als Solospieler war er allerdings nicht sehr bedeutend, er<br />

war aber ein ganz ausgezeichneter Musiker und dito Orchester- und<br />

Quartettgeiger, weshalb ihn auch David in letzterer Eigenschaft sehr<br />

bald in sein Quartett zog, an dem er ununterbrochen bis zu Davids<br />

Tod mitgewirkt hat. Als Sologeiger ist er von 1861 an öfter, wenn<br />

auch nicht alljährlich, aufgetreten, von 1870 an selten und zuletzt gar<br />

nicht mehr. Nach Davids Tod wurde er erster Konzertmeister.<br />

Es ist sein großes Verdienst, das Streichorchester auf der Höhe<br />

erhalten zu haben, welche es unter David einnahm. Die Annahme,<br />

daß dies geschehen würde, mag wohl die maßgebenden Kreise veranlaßt<br />

haben, ihm eine Stelle anzuvetrauen, die sonst immer mit<br />

einem hervorragenden Virtuosen besetzt war; es sei dabei auf seine


Engelbert Röntgen ,<br />

Fotografie, um 1870


Vorgänger Campagnoli , Matthäi , David verwiesen. Als Orchestergeiger<br />

aber war Röntgen in der Schulung Davids aufgewachsen; er<br />

hatte immer mit diesem und Dreyschock zusammen am ersten Pult<br />

gespielt, und sosehr er sich auch seinem alten Lehrer untergeordnet<br />

hatte, sosehr verstand er es doch, als er an der Spitze des Orchesters<br />

stand, einen hohen Grad von Selbständigkeit und Energie zu entwikkeln,<br />

ohne dabei jemals mit dem Dirigenten in Konflikt zu kommen,<br />

dem er sich jederzeit bescheiden unterordnete. Seine Autorität dem<br />

Orchester gegenüber, das seine musikalischen Fähigkeiten während<br />

seiner langen Wirksamkeit an Davids Seite kennengelernt hatte, war<br />

unbestritten, und das trotz seines schroffen Wesens, das sich indessen<br />

nur äußerlich kundgab, denn im Grunde seines Herzens war er ein<br />

braver Mann. Die Welt indessen urteilt nur nach Äußerlichkeiten:<br />

Ihr ist eine Persönlichkeit, die fortwährend lächelt und für jeden ein<br />

freundliches Wort hat, lieber als eine, die es mit ihren Pflichten ernst<br />

nimmt und dabei, was der Welt besonders mißfällt, ernst oder gar<br />

finster dreinschaut.<br />

Ordneten sich somit die Verhältnisse nach dieser Seite hin friedlich,<br />

so führten sie leider am Konservatorium mit dem Direktor<br />

Schleinitz zum Konflikt und damit zum Abgang Röntgens vom<br />

Institut, an dem er seit 1857 gewirkt hatte. Indessen, mag auch<br />

Rönt gen sachlich vollkommen im Recht gewesen sein, er befolgte in<br />

seinen Verhandlungen mit Schleinitz nur die erste Hälfte der alten<br />

Römischen Weisheitsregel: fortiter in re, suaviter in modo. 73 Das war<br />

einem Diplomaten wie Schleinitz gegenüber nicht das richtige Verfahren.<br />

Worum es sich eigentlich handelte, ist mir nie ganz klar geworden.<br />

Es scheint, daß Röntgen in bezug auf den Violinunterricht<br />

andere Ansichten hatte als der 1874 als zweiter Konzertmeister und<br />

zugleich als Lehrer am Konservatorium angestellte Schradieck , der<br />

seinen Äußerungen zufolge kein Bewunderer der Methode Davids ,<br />

dessen Schüler er doch übrigens auch gewesen war, gewesen zu sein<br />

scheint. Röntgen bestand daher darauf, daß in Zukunft nicht mehr<br />

zwei Lehrer denselben Schüler in demselben Fache unterrichten, ein<br />

an sich gewiß ganz vernünftiges Verlangen. Das Zweilehrersystem<br />

war aber eine Lieblingsidee von Schleinitz , von der er niemals abzubringen<br />

gewesen ist. Die Verhandlungen resp. Besänftigungsversuche<br />

scheinen sich lange hingezogen zu haben, bis eben, wie angedeutet,<br />

Röntgen schroffe Saiten aufzog, die dann zum Bruche führten.<br />

234


Dabei wurde nun allerhand gemunkelt, was mit der Angelegenheit<br />

wenig oder nichts zu tun hatte. So wurde von einigen Lehrern,<br />

unter denen sich schon damals eine erbitterte Stimmung gegen<br />

Schleinitz zu regen begann, die dann etwa fünf oder sechs Jahre<br />

später zu vollem Ausbruch kam, behauptet, daß Schleinitz die Stellung<br />

als Direktor des Konservatoriums usurpiert habe und daß diese<br />

eigent lich statutengemäß Reinecke als dem Kapellmeister der Gewandhauskonzerte<br />

zukäme. Dies ist insofern nicht recht einzusehen,<br />

als es auch später einen eigentlichen artistischen Direktor des Instituts<br />

nie gegeben hat. Nikisch war zwar eine Zeitlang sogenannter<br />

Studienleiter, hat aber das Amt bald aufgegeben. Doch ist es möglich,<br />

daß man die Statuten nach Schleinitz ’ Tode geändert hat, wozu ja die<br />

Herren nur zusammenzutreten und ihre Entschlüsse dem König oder<br />

dem Ministerium vorzulegen brauchten, deren Zustimmung wohl<br />

kaum verweigert worden wäre, zumal ein besonderes Interesse an<br />

dem Institut, trotzdem es sich später »königlich« nannte, von Seiten<br />

des Ministeriums, damals wenigstens, soviel ich weiß, nie bekundet<br />

worden ist.<br />

Es ist schade, daß der Konflikt damals nicht beigelegt worden ist.<br />

Das Konservatorium verlor an Röntgen eine tüchtige pädagogische<br />

Kraft, was um so mehr ins Gewicht fiel, als Schradieck zwar ein bedeutender<br />

Virtuose war, von dessen Leistungen auf dem Gebiet des<br />

Unterrichts man jedoch noch nichts wußte. Im Orchester, und zwar<br />

sowohl im Theater als im Gewandhaus – vom Quartettspiel hatte er<br />

sich schließlich zurückgezogen – ist aber Röntgen auch weiter unermüdlich<br />

bis zu seinem Tode tätig gewesen, und noch ganz kurz<br />

vor demselben, nachdem er eben scheinbar von schwerer Krankheit<br />

genesen, spielte er das Solo im Benedictus der Missa solemnis von<br />

Beethoven – die in Orchester- und Chorwerken vorkommenden Soli<br />

ließ er sich ebensowenig wie David nehmen – mit sehr schwachem<br />

Ton allerdings, ein ermüdeter Mann, dessen nahes Ende vorauszusehen<br />

war. Der treffliche Mann hätte sich längst pensionieren lassen<br />

können, zumal er als sehr wohlhabend galt, aber es scheint, daß die<br />

Musik es ihm angetan hatte und er wie manch anderer sich nicht<br />

von ihr zu trennen vermochte. Der Beamte oder der sonst im bürgerlichen<br />

Leben Angestellte ist sonst meist froh, wenn er dies Ziel erreicht<br />

hat, der wahre Künstler bleibt Künstler bis zum letzten Hauch.<br />

Ein Mann wie Rossini , der nach beispiellosen Erfolgen im kräftigsten<br />

235


Mannesalter sich zurückzuziehen vermochte, um seine Tage in Wohlleben<br />

zu verbringen, ist eben eine Ausnahme.<br />

Verheiratet war Röntgen mit der Tochter des langjährigen Orchestermitglieds<br />

Moritz Klengel . Ob sie identisch ist mit jener Nanny<br />

Klengel , die als kleines Kind schon im Jahre 1829 und 1830 in Extrakonzerten<br />

im Gewandhaus aufgetreten ist, vermag ich nicht anzugeben,<br />

da ich in Nachschlagewerken nichts darüber gefunden habe,<br />

und ein Brief von Herrn Professor Julius Klengel , ihrem Neffen, in<br />

welchem ich ihn um Auskunft über die genealogischen Verhältnisse<br />

der Familie Klengel bat, nicht beantwortet worden ist.<br />

Beider Sohn, Julius Röntgen (geb. 1855), war ein Wunderkind.<br />

Seine Mutter war natürlich sehr stolz auf ihn und führte ihn in allen<br />

musikalischen Kreisen ein; so kam er auch eines Tages als kleiner<br />

Knabe zu uns. Es war erstaunlich, was er in so jugendlichem Alter<br />

leistete, als Klavierspieler sowohl als als Komponist. Allerdings hat er<br />

sich in letzterer Eigenschaft nicht so entwickelt, wie man am Anfang<br />

annahm: Es fehlte ihm eben trotz seiner Frühreife an Originalität.<br />

Dafür hat er aber ein köstlicheres Gut eingetauscht, nämlich daß<br />

er seine Frühreife nicht wie viele Wunderkinder mit einem langen<br />

Siechtum oder baldigen Tod hat bezahlen müssen. Schließlich ist<br />

auch das, was er als Komponist geleistet hat, ehrbar und erhebt sich<br />

über den Durchschnitt; es sind nur allerdings meist mehr kleinere<br />

Sachen, namentlich Klavierstücke, von ihm bekannt geworden, doch<br />

soll er sich auch in größeren Formen versucht, eine Sinfonie, Klavierkonzert,<br />

Chorwerke und andere Sachen komponiert haben, von<br />

denen man aber, wie das so zu gehen pflegt, in Deutschland wenigstens,<br />

wenig Notiz genommen hat.<br />

Schon als Jüngling ging er nach Amsterdam, wo er als Pianist und<br />

Lehrer für sein Instrument, früher auch als Dirigent tätig gewesen ist.<br />

Es ist schade, daß er nicht in Leipzig geblieben ist. In der musikalischen<br />

Atmosphäre dieser Stadt würde er sich doch möglicherweise<br />

auch als Komponist ganz anders entwickelt haben als bei unseren<br />

kalten Wettern am nebligen Nordseestrande. Allerdings hätte er sich<br />

dann auch etwas von den im elterlichen Hause stark vorhandenen<br />

Vorurteilen befreien müssen. Über Schumann ist man daselbst früher<br />

nicht hinaus gekommen, doch scheint man sich später wenigstens zu<br />

Brahms einigermaßen bekehrt zu haben. Wagner gegenüber – von<br />

Liszt wollte man erst recht nichts wissen – nahm Vater Röntgen die<br />

236


denkbar schroffste Stellung ein; ein Gespräch mit ihm über diesen<br />

war, wie ich aus persönlicher Erfahrung weiß, kaum möglich, da<br />

der sonst so ruhige Mann sich sofort ereiferte. Man kann sich denken,<br />

welche Qual es ihm unter diesen Umständen verursacht haben<br />

muß, in Wagnerschen Opern mitzuwirken, die namentlich unter der<br />

Direktion Förster -Neumann sehr häufig auf dem Repertoire standen.<br />

Glücklicherweise hatte er sich darin mit seinem Kollegen Schradieck<br />

und dem Vize-Konzertmeister Raab zu teilen. Die Gewandhauskonzerte<br />

waren unter diesen Umständen, wie übrigens trotz der sonstigen<br />

enormen Arbeitslast für viele Orchestermitglieder, eine wahre<br />

Erholung für ihn, und es ist sehr möglich, daß die Freude, in ihnen<br />

mitzuwirken, ihn solange in einer Stellung gehalten hat, die ihm<br />

nach seiner ganzen musikalischen Veranlagung sonst nur geringe<br />

Freude machen konnte.<br />

Julius Röntgen ist ein äußerst feinsinniger Klavierspieler geworden.<br />

Seine Technik ist glatt und ausgefeilt, wenn auch keineswegs<br />

stupend, sein Vortrag aber geistig belebt und durch und durch<br />

musikalisch, wie man das von einem Mitglied dieser kunstsinnigen<br />

Familie nicht anders erwarten kann. In den letzten Jahren hat er sich<br />

auch außerhalb Amsterdams öfter hören lassen, so in Berlin, wo ich<br />

vor einigen Jahren ihn gehört habe und wo er auch als Akkompagnist<br />

exzellierte.<br />

Moritz Klengel<br />

Der Vater von Frau Röntgen und Großvater von Julius ist jener schon<br />

oft erwähnte Moritz Klengel (1794–1870), der nicht weniger als<br />

54 Jahre im Orchesterdienst tätig gewesen ist. Bereits im Jahre 1814<br />

wurde er fest angestellt und spielte am ersten Pult neben seinem<br />

Lehrer, dem vor David als Konzertmeister funktionierenden Matthäi ,<br />

und nach dessen Tod bis 1850 auch neben David , worauf er Vorgeiger<br />

bei den zweiten Violinen wurde, in welcher Stellung er bis 1868,<br />

wo er pensioniert wurde, verblieb. Sein musikalisches Talent hat sich<br />

auf seine Tochter, die Gattin Engelbert Röntgens , und seinen Enkel<br />

Julius Röntgen, sowie Paul und Julius Klengel , von denen noch zu<br />

sprechen sein wird, vererbt. Mit welchem Eifer und mit welcher Hingebung<br />

dieser Mann noch im hohen Alter bei der Sache war, davon<br />

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