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Skriptum - LSF Graz

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„verdeutlicht“ wurde, ist sekundär. Dass jedoch Schuld, sei es echte Schuld oder auch nur<br />

Schuldgefühle, eine lähmende Wirkung hat, ist unbestreitbar. Schuld kann auf vielerlei<br />

Weise bewegungs- und handlungsunfähig machen. Auch die bei Markus folgende Heilung<br />

einer völlig vertrockneten Hand (Mk 3,1.3) weist in dieselbe Richtung, ohne dass dieser<br />

Zusammenhang noch eigens thematisiert wird.<br />

Die von Jesus zugesagte Vergebung wird jedoch nicht automatisch wirksam. Erstens<br />

müssen wir darum beten und zweitens sie auch selber üben, wann und wo immer uns<br />

gegenüber etwas „daneben geht“ (Mt 6,12.14f). Ohne diese aktive „Entsorgung“ 28 unserer<br />

eigenen Verletzungen kann nicht einmal die göttliche Vergebung ihre heilsame Wirkung in<br />

uns entfalten. Diese Konsequenz kommt zwar in den Heilungsgeschichten nicht direkt vor,<br />

wird aber in den Gleichnissen höchst schockierend überzeichnet 29 , und ihre Verweigerung<br />

wäre in der Tat ein verhängnisvoller Irrtum. Wenn wir nämlich immer nur andere für unser<br />

Leben verantwortlich machen, dann schieben wir nicht nur die ganze oder halbe Schuld auf<br />

sie, wir werden gleichzeitig an uns selber schuldig, weil wir – um im Bild zu bleiben – nur<br />

damit beschäftigt sind, anderen eine lange Schleppe „nach-zu-tragen“ und folglich nicht zu<br />

dem kommen, was allein unserem Leben Sinn und Kraft geben kann. Also noch mehr Frust!<br />

Und dazu stelle man sich nur die Biochemie eines Menschen vor, der ständig sauer auf<br />

andere ist, aber auch mit Angst, Trauer oder Einsamkeit lebt es sich erfahrungsgemäß nicht<br />

sonderlich gut.<br />

Bereits Kinder können es extrem schlecht haben: Die Tochter des Synagogenvorstehers<br />

Jairus z.B. liegt dermaßen danieder (Mk 5,23), dass sie nicht zum eigenen Leben kommt,<br />

obwohl sie mit Zwölf und der kurzen Lebenserwartung in der alten Welt fast schon das<br />

heiratsfähige Alter erreicht hat. Kinder können unter der offiziellen Funktion oder den<br />

Berufen ihrer Eltern ungemein leiden und total erdrückt oder ausgehungert werden,<br />

weswegen Jesus sogleich Nahrung für das erweckte Mädchen verlangt. Oder ein anderes<br />

Einzelkind: der Knabe mit dem Plagegeist, der ihn (bildlich gesprochen) ins Feuer und ins<br />

Wasser wirft, aber nicht von den Jünger/inne/n, sondern nur von Jesus selbst therapiert,<br />

geheilt, oder auferweckt werden kann 30 , eine ziemlich selbstkritische Geschichte, mit der die<br />

frühe Kirche offen eingesteht, dass sie auch nicht alles kann. Zur Heilung ihrer Kinder<br />

müssen die Eltern sich auf den Weg zu Jesus machen. Mit ihrer Jesusbegegnung aber ist<br />

nicht einmal mehr seine leibhaftige Anwesenheit erforderlich, damit sich sogar auf die<br />

28 Der griechische Text spricht von ‚lassen, loslassen, entlassen, wegschicken‘ usw. (aphíēmi).<br />

29 Mt 18,22-35; Lk 7,41ff.<br />

30 Vgl. Mt 17,18; Lk 9,42; Mk 9,27.<br />

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