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Ciceros Kritik an der epikureischen Iustitia-Lehre in Definibus und ...

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<strong>Ciceros</strong> <strong>Kritik</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>epikureischen</strong> <strong>Iustitia</strong>-<strong>Lehre</strong><br />

<strong>in</strong> Def<strong>in</strong>ibus <strong>und</strong> De re publica<br />

Tokiko Takahata<br />

Cicero beh<strong>an</strong>delt sowohl im ersten <strong>und</strong> zweiten Buch <strong>der</strong> De f<strong>in</strong>ibus 1 wie auch<br />

im dritten Buch <strong>der</strong> De re publica die iustitia. Die e<strong>in</strong>schlägigen Stellen <strong>der</strong><br />

beiden Werk s<strong>in</strong>d als Dialog zwischen Cicero-Laelius (<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e ähnliche Position<br />

wie Cicero e<strong>in</strong>nimmt) <strong>und</strong> den Epikureern Torquatus-Philus gestaltet <strong>und</strong> greifen<br />

dieselben Fragen über iustitia auf. Rede <strong>und</strong> Gegenrede kl<strong>in</strong>gen <strong>an</strong> die<br />

Gerichtsrede <strong>an</strong> 2 • Die geme<strong>in</strong>samen <strong>und</strong> verschiedenen Punkte sowohl im Inhalt<br />

als auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sprechweise zwischen beiden Werken werden jedoch deutlich,<br />

wo die betreffende Beschreibung von iustitia e<strong>in</strong>en Vergleich zwischen den<br />

beiden Werken zuläßt. Nicht zuletzt ist bemerkenswert, daß Torquatus <strong>in</strong> De<br />

f<strong>in</strong>ibus <strong>und</strong> Philus <strong>in</strong> De re publica das Verhältnis zwischen iustitia <strong>und</strong> sapientia 3<br />

nicht nur unterschiedlich, son<strong>der</strong>n sogar entgegengesetzt def<strong>in</strong>ieren, obgleich<br />

sie beide die gleiche (epikureische) Lustlehre vertreten. H<strong>in</strong>zu kommt die Frage,<br />

warum Torquatus <strong>und</strong> Philus nur <strong>in</strong> Bezug aufsapientia unterschiedlicher Ansicht<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Der iustitia-Begriff <strong>Ciceros</strong> ist bereits ausführlich untersucht worden. Aber<br />

<strong>der</strong> Zusammenh<strong>an</strong>g zwischen den Ausführungen über iustitia <strong>in</strong> De f<strong>in</strong>ibus <strong>und</strong><br />

De re publica ist bis jetzt nicht genügend erforscht worden. Darüberh<strong>in</strong>aus hat<br />

niem<strong>an</strong>d se<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit auf den oben gen<strong>an</strong>nten Punkt gerichtet. H.<br />

Dieter 4 <strong>an</strong>alysiert die verschiedenen iustitia-Vorstellungen<strong>in</strong>den philosophischen<br />

Schriften <strong>Ciceros</strong>, beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> De officiis, erwähnt jedoch <strong>in</strong> De re publica die<br />

iustitia nur so weit, als sie Kriegsführung betrifft <strong>und</strong> kommt auf iustitia <strong>in</strong> De<br />

f<strong>in</strong>ibus gar nicht zu sprechen. H. Joh<strong>an</strong>n 5 befaßt sich mit <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong><br />

iustitia <strong>in</strong> De officiis, De legibus <strong>und</strong> De re publica. Aber über iustitia <strong>in</strong> De<br />

-85-


f<strong>in</strong>ibus schreibt er nur sehr wenig, lediglich e<strong>in</strong>en Exkurs zu F<strong>in</strong>. 3,62f.(s.41 0-3).<br />

Er legt den Schwerpunkt se<strong>in</strong>er Untersuchung auf den Ged<strong>an</strong>kenunterschied<br />

zwischen Cicero <strong>und</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>en griechischen Autoren wie Antiochos o<strong>der</strong><br />

Poseidonios. Nur V.pöschl 6 <strong>und</strong> J.Leonhardt setzen sich <strong>in</strong>tensiv mit <strong>der</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> iustitia-Vorstellung zwischen De f<strong>in</strong>ibus <strong>und</strong> De re publica<br />

ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>. Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, unter Zuhilfenahme ihrer<br />

Ergebnisse die Wechselbeziehungen zwischen <strong>der</strong> Diskussion <strong>der</strong> iustitia <strong>in</strong> De<br />

f<strong>in</strong>ibus <strong>und</strong> De re publica zu klären <strong>und</strong> <strong>Ciceros</strong> <strong>Kritik</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>epikureischen</strong><br />

iustitia-<strong>Lehre</strong> unter Bezug auf den Begriff <strong>der</strong> sapientia zu beleuchten. Um<br />

dieser Frage besser nachgehen zu können, wird auch <strong>Ciceros</strong> Aussagen <strong>in</strong> De<br />

legibus <strong>und</strong> De officiis bei Bedarfher<strong>an</strong>gezogen.<br />

Verw<strong>an</strong>dte Züge <strong>der</strong> iustitia zwischen De f<strong>in</strong>ibus <strong>und</strong> De re publica<br />

In e<strong>in</strong>em ersten Schritt sollen die Geme<strong>in</strong>samkeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Diskussion <strong>der</strong> iustitia<br />

<strong>in</strong> De re publica <strong>und</strong> De f<strong>in</strong>ibus <strong>an</strong>alysiert werden. E<strong>in</strong>ige Punkte werden <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>en philosophischen Schriften mehrmals gen<strong>an</strong>nt. Beson<strong>der</strong>s im l.<strong>und</strong> 2.Buch<br />

De f<strong>in</strong>ibus <strong>und</strong> im 3.Buch De re publica werden jeweils die fünf folgenden<br />

Themen beh<strong>an</strong>delt: (1) Ob iustitia ,per se' erstrebenswert ist. (2) Ob es e<strong>in</strong>e<br />

wesentliche Bestimmung <strong>der</strong> iustitia ist, daß sie vacua metu' sei. (3) Ob,sapientia<br />

<strong>und</strong> iustitia Gegensätze s<strong>in</strong>d. (4) Ob e<strong>in</strong> vir callidus (sapiens) auch e<strong>in</strong> vir<br />

bonus ist. (5) Ob iustitia mit <strong>der</strong> Natur <strong>in</strong> E<strong>in</strong>kl<strong>an</strong>g steht.<br />

Die Aussagenlassensich<strong>in</strong>folgendem Schemaverdeutlichen(Formulierungen<br />

<strong>der</strong> Zitate z.T. aus Platzgründen gekürzt):<br />

-86-


Die Tabelle zeigt, daß fast alle Gr<strong>und</strong>probleme <strong>der</strong> iustitia <strong>in</strong> beiden Werken<br />

diskutiert werden. Cicero thematisiert alle obengen<strong>an</strong>nten Punkte wie<strong>der</strong>holt.<br />

Trotz <strong>der</strong> fragmentarischen Überlieferung <strong>der</strong> Schrift ist es erstaunlich, daß<br />

Laelius nicht genauer auf Philus e<strong>in</strong>geht. Er erörtert häufig <strong>in</strong> Monologform<br />

Fragen, die von ke<strong>in</strong>em Gesprächspartner gestellt werden. Doch dem soll später<br />

nachgeg<strong>an</strong>gen werden. Zu Beg<strong>in</strong>n werden die. fünf <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tabelle gen<strong>an</strong>nten<br />

Fragen untersucht.<br />

(1) Ist iustitia ,per se' erstrebenswert, o<strong>der</strong> nicht?<br />

(T.1) F<strong>in</strong>.l,53 behauptet Torquatus, "so dürfte m<strong>an</strong> die Gerechtigkeit nicht um<br />

ihrer selbst willen als wünschbar bezeichnen, son<strong>der</strong>n nur weil sie e<strong>in</strong> Höchstmaß<br />

<strong>an</strong> iuc<strong>und</strong>itas verschaffe." (P.!) Auch Philus behauptet 3,26, "die Epikureer<br />

sagen nämlich, <strong>der</strong> Weise sei nicht deswegen e<strong>in</strong> guter M<strong>an</strong>n, weil ihm bonitas<br />

<strong>und</strong> iustitia <strong>an</strong> sich <strong>und</strong> durch eigene Kraft Freude bereiten." Nach beiden ist<br />

iustitia nicht um ihrer selbst willen erstrebenswert. Iuc<strong>und</strong>itas ist e<strong>in</strong>e<br />

Ausdrucksvari<strong>an</strong>te <strong>der</strong> voluptas. Sowohl voluptas als auch iuc<strong>und</strong>itas s<strong>in</strong>d re<strong>in</strong><br />

materielle Güter, d.h. utilitas <strong>und</strong> commoda. <strong>Iustitia</strong> ist erstrebenswert, weil sie<br />

den Menschen voluptas o<strong>der</strong> iuc<strong>und</strong>itas verschafft, aber nicht per se o<strong>der</strong> sua<br />

sponte. Nach ihrer Aussage ist iustitia nur e<strong>in</strong> Mittel, um voluptas zu erl<strong>an</strong>gen.<br />

(C.!) Dagegen erheben Cicero 2,59 <strong>und</strong> Laelius (=F<strong>in</strong>.2,59, Ziegler 7 ) den<br />

E<strong>in</strong>w<strong>an</strong>d, iustitia werde nicht auf den persönlichen Nutzen utilitas bezogen,<br />

wie Torquatus-Philus behaupten. Ansonsten könne es gar ke<strong>in</strong>en guten Menschen<br />

geben. Cicero leugnet <strong>an</strong> dieser Stelle klar, was Torquatus o<strong>der</strong> Philus behaupten,<br />

nämlich daß iustitia nur aus Eigen<strong>in</strong>teresse <strong>an</strong>zustreben sei. Cicero betont:<br />

iustitia ist per se erstrebenswert. Nach ihm soll iustitia nicht nur aus<br />

Eigen<strong>in</strong>teresse, son<strong>der</strong>n auch um des Geme<strong>in</strong>nutzes o<strong>der</strong> <strong>der</strong> honestas willen<br />

erstrebt werden.<br />

(2) Ob es e<strong>in</strong>e wesentliche Bestimmung <strong>der</strong> iustitia ist, daß sie vacua metu'<br />

-88-


Dagegen wendet Cicero e<strong>in</strong>, F<strong>in</strong>.2,20 die Schmerzlosigkeit <strong>und</strong> die Lust<br />

seien zwei verschiedene D<strong>in</strong>ge. Und auch 2,71 sagt Cicero, (C.2) "Denn niem<strong>an</strong>d<br />

ist gerecht, sol<strong>an</strong>ge er sich fürchtet, <strong>und</strong> wird es auch bestimmt nicht se<strong>in</strong>, wenn<br />

er aufgehört hat, sich zu fürchten". Nach Cicero s<strong>in</strong>d die Schmerzlosigkeit o<strong>der</strong><br />

die Freiheit von Furcht nicht beteiligt <strong>an</strong> iustitia. Auch leugnet Laelius, daß<br />

(1.2) iustitia aus Angst vor Gefahr nicht zum Weisen gehört (3,39, fr.=Prisc.<br />

8,6,32 p.399,13 Hertz, Ziegler). Gefahr, Furcht <strong>und</strong> Schmerzfreiheit haben also<br />

nichts zu tun mit <strong>der</strong> iustitia.<br />

In den obengen<strong>an</strong>nten Punkten stimmen Cicero <strong>und</strong> Laelius, sowie Torquatus<br />

<strong>und</strong> Philus übere<strong>in</strong>. In den obenerwähnten zwei Punkten werden alle (<strong>in</strong> <strong>Ciceros</strong><br />

Sicht) traditionellen Kernziele des Epikureismus diskutiert: 1. voluptas, 2.<br />

vacuitas doloris, 3. commoda.<br />

Verschiedene Züge <strong>der</strong> iustitia <strong>in</strong> De f<strong>in</strong>ibus <strong>und</strong> De re publica<br />

(3) S<strong>in</strong>d sapientia <strong>und</strong> iustitia Gegensätze, o<strong>der</strong> nicht?<br />

Bisher gibt es ke<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en Me<strong>in</strong>ungsunterschied h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong><br />

iustitia zwischen Cicero (als Dialogsprecher im 2.Buch De f<strong>in</strong>ibus) <strong>und</strong> Laelius.<br />

Auch Torquatus hat dieselben Ansichten wie Philus, obwohl er <strong>an</strong><strong>der</strong>e<br />

Formulierungen gebraucht als jener. Aber die Ansichten des Torquatus <strong>und</strong><br />

Philus über sapientia gehen weit ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>. Nach Torquatus beruht iustitia<br />

auf voluptas, wie wir <strong>in</strong> (1) gesehen haben. (T3.1) F<strong>in</strong>.l,50 sagt er, sapientia<br />

<strong>und</strong> iustitia s<strong>in</strong>d <strong>an</strong> die Lust geb<strong>und</strong>en, so daß sie auf ke<strong>in</strong>e Weise von ihr<br />

losgerissen o<strong>der</strong> getrennt werden können. (T.3.2) Auch <strong>an</strong> <strong>der</strong> nächsten Stelle<br />

stellt Torquatus sapienter,' honeste <strong>und</strong> iuste nebene<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> verknüpft sie<br />

mit iuc<strong>und</strong>e. "Laut verkündet Epikur, den ihr <strong>der</strong> Lust zu sehr ergeben nennt,<br />

m<strong>an</strong> könnte we<strong>der</strong> lustvoll leben, ohne weise, sittlich gut <strong>und</strong> gerecht zu leben,<br />

noch auch weise, sittlich gut <strong>und</strong> gerecht, ohne lustvoll zu leben (1,57)".<br />

An<strong>der</strong>erseits stellt Philus 3,16 die These auf, sapientia sei unvere<strong>in</strong>bar mit<br />

-90-


<strong>der</strong> Gerechtigkeit (discrepare ab aequitate sapientiam). Aequitas ist eme<br />

Ausdrucksvari<strong>an</strong>te für iustitia. Auch <strong>an</strong> e<strong>in</strong>er <strong>an</strong><strong>der</strong>en Stelle werden die beiden<br />

Begriffen iustitia lmd sapientia gegensätzlich verwendet. (P.3.1) 3,24 spricht<br />

Philtlsweiter, "sapientia gebietet, die Macht zu vergrößern, den Reichtum zu<br />

vermehren, die Grenzen vorzurücken,[''']über möglichst viele zu herrschen,<br />

Vergnügungen zu genießen, stark zu se<strong>in</strong>, zu regieren, zu gebieten". (P.3.2)<br />

<strong>Iustitia</strong> aber schreibt vor, alle zu schonen, für das Menschengeschlecht zu sorgen,<br />

jedem das Se<strong>in</strong>e zukommen zu lassen, Heiliges, Öffentliches, Fremdes (sacra,<br />

publica lmd aliena) nicht <strong>an</strong>zurühren. Was kommt also heraus, wenn du <strong>der</strong><br />

sapientia gehorchst? Reichtum, Macht, Mittel, Ehre, Befehlsgewalt, Königtümer<br />

für e<strong>in</strong>zelne o<strong>der</strong> für g<strong>an</strong>ze Völker (divitiae, potestates, opes, honores, imperia,<br />

regna vel privatis vel populis)."<br />

Hier erkennt m<strong>an</strong> den Unterschied zwischen Torquatus <strong>und</strong> Philus sehr<br />

deutlich: Torquatus denkt, sapientia <strong>und</strong> iustitia seien mite<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong> vere<strong>in</strong>bar.<br />

Aber Philus denkt gegenteilig. Die Behauptungen bei<strong>der</strong> Werke passen nicht<br />

zue<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>. Torquatus, <strong>der</strong> sapientia <strong>und</strong> iustitia mite<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong> verb<strong>in</strong>det, kommt<br />

<strong>Ciceros</strong> Argumentation nur sche<strong>in</strong>bar nahe. Torquatus fügt,iuc<strong>und</strong>e' beiden<br />

Begriffen h<strong>in</strong>zu. Wie wir <strong>in</strong> (1) bereits gesehen haben, ist iuc<strong>und</strong>itas e<strong>in</strong>e<br />

Vari<strong>an</strong>te von voluptas. Torquatus behauptet, ohne voluptas o<strong>der</strong> iuc<strong>und</strong>itas<br />

k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> nicht gerecht (iuste) leben. Es führt schließlich dah<strong>in</strong>, daß er das<br />

Gesetz nur deswegen e<strong>in</strong>hält, weil es voluptas verschafft, genau wie <strong>in</strong> (1).<br />

2,72 wi<strong>der</strong>legt Cicero Torquatus, (C.3.1) "Alle F<strong>und</strong>amente <strong>der</strong> Sittlichkeit<br />

habt ihr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Luft, also sozusagen im Wasser gegründet." Cicero denkt zwar<br />

wie Torquatus, iustitia <strong>und</strong> sapientia seien mite<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong> vere<strong>in</strong>bar (vgl.F<strong>in</strong>. 2,51),<br />

aber er bemerkt treffend, daß iustitia nicht auf voluptas beruht. Cicero denkt<br />

auch <strong>an</strong><strong>der</strong>s als Philus, <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um behauptet, daß sapientia <strong>und</strong> iustitia<br />

unvere<strong>in</strong>bar seien. Torquatus behauptet die Vere<strong>in</strong>barkeit zwischen sapientia<br />

<strong>und</strong> iustitia, <strong>der</strong> auch Cicero zustimmen k<strong>an</strong>n. Aber Cicero stimmtnicht Torquatus<br />

zu, sapientia <strong>und</strong> iustitia seien mit iuc<strong>und</strong>itas o<strong>der</strong> voluptas vere<strong>in</strong>bar. Cicero<br />

-91-


daß es ke<strong>in</strong>e Gerechtigkeit gibt. Die Gerechtigkeit br<strong>in</strong>gt se<strong>in</strong>er Ansicht nach<br />

nur Nachteile. Für ihn ist es erstrebenswert, Unrecht zu tun, wenn m<strong>an</strong> es<br />

ungestraft verüben k<strong>an</strong>n. Das Gesetz wird nicht mit <strong>der</strong> Gerechtigkeit, son<strong>der</strong>n<br />

mit <strong>der</strong> Strafe durchgesetzt. Die Gleichsetzung von iustus <strong>und</strong> stultus 11, sapiens<br />

<strong>und</strong> malus durch Philus paßt auch zur Aussage des Torquatus. Philus äußert<br />

direkt, was Torquatus me<strong>in</strong>t. Aber diese Me<strong>in</strong>ung hält je<strong>der</strong> offensichtlich für<br />

falsch. E<strong>in</strong> gewöhnlicher M<strong>an</strong>n würde nicht diese Ansicht teilen. Wenn Philus<br />

solche Erklärungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit k<strong>und</strong>täte, würde ke<strong>in</strong> Zuhörer ihn<br />

unterstützen o<strong>der</strong> ihm zustimmen. Philus denkt offensichtlich nicht <strong>an</strong> die<br />

Wirkung <strong>der</strong> Redekunst. Wie wir oben gesehen haben, vertritt Torquatus die<br />

Me<strong>in</strong>ung, daß die E<strong>in</strong>stellung <strong>Ciceros</strong> <strong>der</strong> se<strong>in</strong>en ähnlich ist; so seien sapientia<br />

<strong>und</strong> iustitia mite<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong> ·vere<strong>in</strong>bar, also auch die Erkenntnis des Unterschiedes<br />

zwischen <strong>der</strong> Gerechtigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ungerechtigkeit möglich, <strong>an</strong><strong>der</strong>s als bei<br />

Philus. Der unaufmerksame Zuhörer sitzt dieser Behauptung auf. Torquatus<br />

verbirgt se<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>ged<strong>an</strong>ken geschickter als Philus, er beschreibt das Wesen<br />

<strong>der</strong> Ungerechtigkeit als Gerechtigkeit mit Hilfe <strong>der</strong> Rhetorik.<br />

Darüberh<strong>in</strong>aus spiegelt sich <strong>der</strong> Unterschied <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesprächsfähigkeit<br />

zwischen Torquatus <strong>und</strong> Philus <strong>in</strong> ihren Anweisungen für den Umg<strong>an</strong>g mit den<br />

mores maiorum wi<strong>der</strong>. Um se<strong>in</strong>e Behauptung zu begründen <strong>und</strong> zu verstärken,<br />

bezieht sich Torquatus geschickt auf exempla maiorum, die e<strong>in</strong> Todesrisiko<br />

e<strong>in</strong>geg<strong>an</strong>gen waren, um optimal nach Lust zu streben. An<strong>der</strong>erseits führt Philus<br />

zwar e<strong>in</strong>ige Beispiele ausländischer Könige o<strong>der</strong> römischer Juristen auf<br />

(vg1.3,14ff.;17;28), jedoch benennt er nicht so gewichtige Beispiele für den<br />

römischen Staat. Wichtige Beispiele s<strong>in</strong>d z.B. die römischen Vorfahren, die<br />

dem Staat gedient haben (pro patria), wie Romulus als <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> des<br />

römischen Staates (3,47), <strong>der</strong> von Scipio gen<strong>an</strong>nt wird. So ist die Rede Philus'<br />

nicht une<strong>in</strong>geschränkt überzeugend 12.<br />

D<strong>an</strong>eben erwähnt Cicero <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Brief <strong>an</strong> Atticus (Rep.3,39,fr.=Att.7,2,4,<br />

Ziegler) Lucius (M<strong>an</strong>lius Torquatus) <strong>und</strong> Patron, die alles auf sich beziehen<br />

-94-


<strong>und</strong> deshalb glauben, niemals geschehe etwas um e<strong>in</strong>es <strong>an</strong><strong>der</strong>en willen; sie<br />

sagen, <strong>der</strong> Mensch müsse deshalb gut se<strong>in</strong>, um selbst ke<strong>in</strong> malum zu erfahren<br />

<strong>und</strong> nicht aus dem Gr<strong>und</strong>, weil· die Natur es gebiete. Sie merken dabei nicht,<br />

daß 0<br />

sie damit nicht den guten, son<strong>der</strong>n nur den schlauen Menschen<br />

charakterisieren (L.4). Cicero weist hier darauf h<strong>in</strong>, daß Torquatus o<strong>der</strong><br />

se<strong>in</strong>esgleichen den vir callidus mit dem vir bonus verwechselt (auch vgl.Leg. 1,41).<br />

Wer unvorsichtig ist, bewun<strong>der</strong>t oft versuti hom<strong>in</strong>es et callidi <strong>und</strong> hält malitia<br />

für sapientia (vgl.Off2,10). Der Unterschied zwischen Torquatus <strong>und</strong> Cicero<br />

liegt dar<strong>in</strong> begründet, ob m<strong>an</strong> nur sua commoda <strong>an</strong>strebt, o<strong>der</strong> auch die communis<br />

utilitas e<strong>in</strong>bezieht. Cicero bemerkt, es sei schlimmer, wenn <strong>der</strong> vir callidus e<strong>in</strong><br />

Unrecht begeht, als <strong>der</strong> e<strong>in</strong>fache M<strong>an</strong>n. Der vir callidus vermag Unrecht zu<br />

verüben, <strong>in</strong>dem er sich e<strong>in</strong> gerechtes Ansehen gibt. Philus' Bekenntnis, ungestraft<br />

Unrecht zu tun, k<strong>an</strong>n nur e<strong>in</strong> M<strong>an</strong>n verwirklichen, <strong>der</strong> sowohl die schlaue<br />

Redekunst als auch die Macht dazu besitzt. Solch e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>flußreicher M<strong>an</strong>n (z.B.<br />

Kleomenes o<strong>der</strong> Q.Fabius Labeo, Offl,33) ist dazu imst<strong>an</strong>de, die Volksmassen<br />

aufzuwiegeln <strong>und</strong> dem Staat großen Schaden zuzufügen. Nach Cicero ist<br />

Torquatus als Politiker e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>flußreicher M<strong>an</strong>n <strong>und</strong> als solcher für den Staat<br />

gefährlich.<br />

tEer stellt sich die Frage: Warum hat Cicero den Philus <strong>und</strong> den Torquatus<br />

unterschiedlich dargestellt? E<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> dafür könnte se<strong>in</strong>: Philus versteht iustitia<br />

<strong>und</strong> sapientia <strong>in</strong> Bezug auf Interessen im Ausl<strong>an</strong>d. Für ihn bedeutet sapientia,<br />

das römische Staatsgebiet auf die ,ungerechte' Weise zu vergrößern. Dafür<br />

braucht <strong>der</strong> römische Staat nur Macht potentia wie z.B. militärische Stärke,<br />

Geldmittel o<strong>der</strong> Vermögen Um große Gebiete militärisch zu erobern, braucht<br />

m<strong>an</strong> ke<strong>in</strong>e Rhetorik. Deshalb sche<strong>in</strong>t Philus für die Rhetorik ke<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en<br />

S<strong>in</strong>n zu haben. H<strong>in</strong>gegen denkt Torquatus <strong>an</strong> die römische Innenpolitik. Um im<br />

Inl<strong>an</strong>d Ungerechtigkeiten begehen zu können, z.B. fremdes Eigentum zu<br />

erschw<strong>in</strong>deln, braucht m<strong>an</strong> e<strong>in</strong>e schlaue Taktik <strong>und</strong> Redekunst. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong> gehen die Ged<strong>an</strong>ken von iustitia <strong>und</strong> sapientia zwischen den beiden<br />

0<br />

-95-


Gesprächstellnehrnern ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>.<br />

Desweiteren können Torquatus mit Kallikles (<strong>der</strong> dritte Teil von Grg.481b­<br />

527e), <strong>der</strong> Dialogfigur <strong>in</strong> Gorgias Platons, <strong>und</strong> Philus mit Thrasymachos <strong>in</strong><br />

Respublica Platons verglichen werden 13. Es ist möglich, daß Cicero Torquatus<br />

klüger als Philus reden läßt, da er den Sophisten Kallikles her<strong>an</strong>zieht, dessen<br />

Rhetorik <strong>in</strong> Gorgias e<strong>in</strong>e Rolle spielt. M<strong>an</strong> merkt jedoch ke<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en<br />

Unterschied beim Verständnis des Begriffs <strong>der</strong> Weisheit zwischen Kallikles<br />

<strong>und</strong> Thrasymachos. Nach Kallikles (Grg.487A,ff.) s<strong>in</strong>d die Gerechtigkeit (TO<br />

ölKalov) mit <strong>der</strong> Weisheit (croq>(a) unvere<strong>in</strong>bar. Bei Thrasymachos (2.Buch<br />

Respublica) beobachtet m<strong>an</strong> ke<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en Zusammenh<strong>an</strong>g zwischen <strong>der</strong><br />

Gerechtigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Weisheit. An<strong>der</strong>erseits führt Kallikles (wie Toiquatus)<br />

Beispiele großer Politiker <strong>in</strong> Griechenl<strong>an</strong>d <strong>an</strong>. M<strong>an</strong> merkt jedoch, daß Torquatus<br />

se<strong>in</strong>e Beispiele noch raff<strong>in</strong>ierter als Kallikles gebraucht. Kallikles erwähnt nur<br />

kurz die Namen <strong>der</strong> Politiker <strong>der</strong> Verg<strong>an</strong>genheit. Torquatus h<strong>in</strong>gegen zieht<br />

ausführliche Beispielfälle bei se<strong>in</strong>en direkten Vorfahren her<strong>an</strong>, die im Krieg<br />

gefallen waren (d.h. nach Cicero fürs Vaterl<strong>an</strong>d gestorben waren


etwa em Politiker halten k<strong>an</strong>n. Mit beiden Arten <strong>der</strong> Rhetorik s<strong>in</strong>d aber<br />

fortdauernde Reden geme<strong>in</strong>t. Sie s<strong>in</strong>d monologisch <strong>und</strong> unterscheiden sich vom<br />

privaten Dialog l5 • E<strong>in</strong> geschickter Redner k<strong>an</strong>n damit die Masse bee<strong>in</strong>flussen<br />

<strong>und</strong> die Regierung bewegen. Torquatus ist dazu imst<strong>an</strong>de, se<strong>in</strong>e rhetoricaforensis<br />

zu mißbrauchen l6 , deshalb ist er e<strong>in</strong> noch gefährlicherer Politiker als Philus. Er<br />

ist fähig, vor <strong>der</strong> Öffentlichkeit agitatorisch zu reden. Aber Torquatus bestreitet<br />

den Nutzen <strong>der</strong> Dialektik für die philosophische Diskussion, <strong>und</strong> er muß sich<br />

nun dar<strong>in</strong> bewähren, ohne dialektische Schulung mit Cicero zu diskutieren17. Er<br />

unterbricht den philosophischen Dialog mit Cicero spont<strong>an</strong> <strong>und</strong> ungeduldig, er<br />

wird <strong>an</strong>schließend von Cicero wi<strong>der</strong>legt. F<strong>in</strong>. 2,18 kritisiert Cicero Torquatus,<br />

<strong>der</strong> die Dialektik verachtet.<br />

Nur die Dialektik, die von <strong>der</strong> skeptischen Akademie stammt, <strong>und</strong> die<br />

überzeugende Rede mittels <strong>der</strong> Her<strong>an</strong>ziehung <strong>der</strong> mores maiorum können den<br />

callidus Torquatus wi<strong>der</strong>legen <strong>und</strong> überreden 18 • Cicero wi<strong>der</strong>legt Torquatus unter<br />

Verwendung von verschiedenen Beispielen für die mores maiorum. Cicero führt<br />

im 2.Buch De f<strong>in</strong>ibus gegen Torquatus Beispiele von schlechten Menschen <strong>an</strong>,<br />

die nicht nur callidi waren <strong>und</strong> das Vermögen <strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>en Menschen raubten,<br />

son<strong>der</strong>n auch praepotentes waren <strong>und</strong> deshalb ungestraft Unrecht begehen<br />

könnten. F<strong>in</strong>. 2,53-8 führt Cicero zahlreiche Beispiele schlechter <strong>und</strong> ungerechter<br />

Bürger auf, während Torquatus im 2.Buch De f<strong>in</strong>ibus nur e<strong>in</strong> paar Beispiele<br />

aufführt. In De officiis zitiert Cicero Platon <strong>und</strong> bemerkt auch, daß scientia,<br />

quae est remota ab iustitia calliditas potius quam sapientia est appell<strong>an</strong>da<br />

(1,63). Cicero füln1 auch e<strong>in</strong> positives Beispiel von Römern <strong>an</strong>, die fremdes<br />

Eigentum unberührt ließen (2,58). Im Unterschied dazu ist nach Torquatus<br />

<strong>der</strong>jenige e<strong>in</strong> empfehlenswerter M<strong>an</strong>n, <strong>der</strong> die Gelegenheit ergreift, sich fremdes<br />

Eigentum zu erschw<strong>in</strong>deln. In dieser Form, unter Verwendung solcher Beispiele<br />

wi<strong>der</strong>legt Cicero jede Behauptung des Torquatus.<br />

Leg. 1,62 sagt Cicero, wenn m<strong>an</strong> merke, daß m<strong>an</strong> für die Geme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong><br />

Bürger (ad civilem societatem) geboren sei, werde m<strong>an</strong> auch die Überzeugung<br />

-97-


vertreten, daß m<strong>an</strong> nicht nur die subtilis disputatio, son<strong>der</strong>n auch die fusa latius<br />

perpetua oratio beherrschen müsse. Es gehört zum Geme<strong>in</strong>nutz, mit <strong>der</strong> oratio<br />

(nach Du Mesnil 19 bedeutet hier die politische Beredsamkeit (genus<br />

deliberativum» die Völker zu lenken <strong>und</strong> das Gesetz zu festigen. Mit Hilfe <strong>der</strong><br />

oratio (d.h. genus iudiciale) k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> die improbos züchtigen, die bonos schützen<br />

<strong>und</strong> den Mitbürgern praecepta auf überzeugende Weise geben. Hier bemerkt<br />

m<strong>an</strong> die Verknüpfung zwischen oratio <strong>und</strong> mores maiorum: auf diese Weise<br />

k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> mittels dieser Redeweise (d.h. genus demonstrativum) die clari viri<br />

loben <strong>und</strong> die Taten <strong>und</strong> Beschlüsse <strong>der</strong>/ortes <strong>und</strong> <strong>der</strong> sapientes zusammen mit<br />

<strong>der</strong> Sch<strong>an</strong>de <strong>der</strong>improbi auf ewig festhalten (factaque et consulta /orti'um et<br />

sapientium cum improborum ignom<strong>in</strong>ia sempiternis monumentis pro<strong>der</strong>e). So<br />

ist die Anwendung von Beispielen für die beiden rhetorischen Arten, sowohl<br />

<strong>der</strong> rhetorica philosophorum als auch <strong>der</strong> rhetorica /orensis, unerläßlich. Die<br />

sapientia br<strong>in</strong>gt die D<strong>in</strong>ge hervor <strong>und</strong> entwickelt sie, die, im Menschen vorh<strong>an</strong>den,<br />

von denjenigen erk<strong>an</strong>nt werden, die sich selbst erkennen wollen: Quae quom<br />

tot res t<strong>an</strong>taeque s<strong>in</strong>t, quae <strong>in</strong>esse <strong>in</strong> hom<strong>in</strong>e perspici<strong>an</strong>tur ab iis qui se ipsi<br />

uel<strong>in</strong>t nosse, ectrum parens est educatrixque sapientia. Nach Cicero hat die auf<br />

<strong>der</strong> sapientia beruhende rhetorica e<strong>in</strong>e direkte Verb<strong>in</strong>dung mit dem E<strong>in</strong>satz pro·<br />

patria (vgl.Leg.1 ,62).<br />

E<strong>in</strong> weiterer Aspekt <strong>der</strong> iustitia wird sowohl <strong>in</strong> De re publica als auch <strong>in</strong> De<br />

j<strong>in</strong>ibus beh<strong>an</strong>delt.<br />

(5) Steht iustitia mit <strong>der</strong> Natur <strong>in</strong> E<strong>in</strong>kl<strong>an</strong>g o<strong>der</strong> nicht?<br />

Sowohl Cicero F<strong>in</strong>. 2,59 als auch Laelius Rep.3,33 sagen, daß iustitia mit <strong>der</strong><br />

natura <strong>in</strong> E<strong>in</strong>kl<strong>an</strong>g steht. (C.5) F<strong>in</strong>. 2,59 sagt Cicero, "es ist offensichtlich, daß<br />

gar ke<strong>in</strong> vir bonus mehr gef<strong>und</strong>en werden k<strong>an</strong>n, wenn nicht aequitas, jides,<br />

iustitia von <strong>der</strong> Natur ausgehen." (L.5) Auch Laelius sagt, "das wahre Gesetz<br />

steht mit <strong>der</strong> Natur <strong>in</strong> E<strong>in</strong>kl<strong>an</strong>g"(Rep.3,33).<br />

(P.5.!) Dagegen behauptet Philus, iustitia stammt nicht aus <strong>der</strong> Natur (vgl.<br />

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den <strong>an</strong><strong>der</strong>en Reden nicht erwähnt werden. Laelius entwickelt se<strong>in</strong>e Ged<strong>an</strong>ken<br />

leicht monologisch bzw. dogmatisch. Nach Leonhardt ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gegenrede "des<br />

Laelius ke<strong>in</strong> Abschnitt erhalten, <strong>der</strong> sich direkt gegen Epikur wendet 20 • Der<br />

Ged<strong>an</strong>ke Laelius' wird eher <strong>in</strong> De legibus wie<strong>der</strong>holt <strong>und</strong> be<strong>an</strong>twortet.<br />

Sehen wir nun auf das Verhältnis zwischen sapientia <strong>und</strong> natura. Nur <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Laeliusrede werden die folgenden Begriffe mit <strong>der</strong> iustitia verb<strong>und</strong>en, beg<strong>in</strong>nend<br />

mit ratio.<br />

Gegen Philus spricht3,33 Laelius:"das wahre Gesetz ist die richtige Vernunft<br />

(reeta ratio), die mit <strong>der</strong> Natur <strong>in</strong> E<strong>in</strong>kl<strong>an</strong>g steht, allen zuteil wird, <strong>in</strong> sich<br />

beständig, ewig ist". Auch Leg.1,23 wird wie<strong>der</strong>holt, daß ,reeta ratio' lex ist,<br />

d.h. das Gesetz ist ratio selbst. Was muß also die ratio se<strong>in</strong>? Cicero spricht<br />

überall von <strong>der</strong> ratio, durch die alle<strong>in</strong> die Menschen den wilden Tieren überlegen<br />

s<strong>in</strong>d (Leg. 1,30, u.a.). Von allen Lebewesen besitzen nur die Menschen ratio.<br />

Nur die Menschen haben ihren Anteil <strong>an</strong> dem allmächtigen Gott <strong>an</strong> ratio <strong>und</strong><br />

cogitatio (vgl. Leg.1,22). Darüberh<strong>in</strong>aus liegt im Menschen dieselbe virtus wie<br />

<strong>in</strong> Gott, die nichts <strong>an</strong><strong>der</strong>s als perfecta et ad summum perdueta natura ist. Er<br />

führt weiter aus, daß diese ratio die lex sei, wenn sie im Geist des Menschen<br />

erstarkt <strong>und</strong> ausgereift sei (Leg. 1,18). D.h. es gibt verschiedene Stufen <strong>der</strong><br />

ratio. Je<strong>der</strong> Mensch besitzt die ratio, aber die perfecta ratio besitzt nur <strong>der</strong><br />

sapiens bzw. <strong>der</strong> deus. Die perfecta ratio ist das ideale Gesetz selbst, nach dem<br />

Cicero strebt. Sie ist naturae uis, ea mens ratioque prudentis, ea iuris atque<br />

<strong>in</strong>iuriae regula (Leg.1,19) <strong>und</strong> damit virtus selbst. Die Natur steht <strong>in</strong> E<strong>in</strong>kl<strong>an</strong>g<br />

mit Gott, weil die g<strong>an</strong>ze Natur durch deorum immortalium vis, ratio, potestas,<br />

mens <strong>und</strong> numen beherrscht wird (Leg.1,21).<br />

Die Beziehung zwischen ratio <strong>und</strong> sapientia def<strong>in</strong>iert Cicero folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

ratio zieht die Wissenschaften von den göttlichen <strong>und</strong> menschlichen<br />

Angelegenheiten (div<strong>in</strong>arum hum<strong>an</strong>arumque rerum scientia) her<strong>an</strong>, die m<strong>an</strong><br />

zurecht "sapientia" nennen darf. D<strong>an</strong>n nimmt die ratio die virtutes dazu, die die<br />

ratio als Herr<strong>in</strong>nen aller D<strong>in</strong>ge versteht (vgl. F<strong>in</strong>.2,37). Somit ist für Cicero die<br />

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identifiziert er den Gott mit den römischen Vorfahren maiores, beson<strong>der</strong>s<br />

diejenigen, die pro patria gestorben s<strong>in</strong>d. Er betitelt diese römischen maiores<br />

mit sapiens-d.h. letztlich <strong>und</strong> <strong>in</strong>direkt dem deus selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Atemzug. Sie<br />

besitzen ihre Körper nicht mehr, sie gehören zu den Unsterblichen <strong>und</strong> bef<strong>in</strong>den<br />

sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Götterwelt. Cicero sagt Rep. 6,26: Männer, die sich um das Vaterl<strong>an</strong>d<br />

verdient gemacht haben, steht e<strong>in</strong>e Straße zum Tor des Himmels offen (bene<br />

meritis de patria quasi limes ad caeliaditum patet ["']). Maiores, die rur den<br />

Staat <strong>und</strong> um <strong>der</strong> virtus willen starben, steht <strong>der</strong> E<strong>in</strong>g<strong>an</strong>g des Himmels offen.<br />

Genau die menschliche Seele <strong>an</strong>imus, die sich von corpus befreit, ist <strong>der</strong> Gott<br />

selbst. Deshalb .betont Cicero Leg. 1,17: Um natura iuriszu klären, muß m<strong>an</strong><br />

diese ab hom<strong>in</strong>is natura herleiten.<br />

Dieter richtet se<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit auf den Konservativismus <strong>Ciceros</strong>, die<br />

maiores hoch zu achten: "die maiores lebten im Besitze <strong>der</strong> sapientia, die den<br />

E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die göttliche Weisheit <strong>und</strong> damit <strong>in</strong> die Ordnung <strong>der</strong>Natur ermöglicht.<br />

["']Je<strong>der</strong> Angriff auf die mores maiorum, jedes Streben nach Än<strong>der</strong>ung des<br />

Bestehenden ist somit außer e<strong>in</strong>em Verstoß gegen die altehrwürdige Tradition<br />

e<strong>in</strong>fach Gotteslästenmg.(38) Wer sich am bestehenden Staat vergeht, <strong>der</strong> verstößt<br />

gegen göttliches <strong>und</strong> menschliches Recht. Jede H<strong>an</strong>dlung gegen die <strong>der</strong> ewigen<br />

Ordnung des Kosmos entsprechende res publica ist daher ungerecht <strong>und</strong> gegen<br />

den göttlichen Willen gerichtet.(39) Die Ansicht, daß alles nach dem Ratschluß<br />

<strong>und</strong> Willen <strong>der</strong> Götter geschehe, sei für die Staaten sehr nützlich.(40)" Nach<br />

ihm waren die maiores von großer const<strong>an</strong>tia (vg1.43). Die const<strong>an</strong>tia ist <strong>der</strong><br />

Gegenbegriff von <strong>in</strong>becillitas, rur die Philus stets e<strong>in</strong>tritt. Cicero erhob das<br />

Verhalten zum Staat <strong>und</strong> zur bestehenden Ordnung überhaupt zum Kriterium<br />

für Recht <strong>und</strong> Unrecht (vgl. Dieter 47)-wie er <strong>in</strong> De f<strong>in</strong>ibus es zum Kriterium<br />

fiir bonum <strong>und</strong> marum erhob, ob e<strong>in</strong>e H<strong>an</strong>dlung dem Staat zugute kommt o<strong>der</strong><br />

schadet. Die mores maiorum haben gesetzgebende Wirkung. Bei <strong>der</strong> Verwendung<br />

von vorbildlichen Beispielen k<strong>an</strong>n sich e<strong>in</strong> Redner auf mores maiorum berufen.<br />

Scipio sagt Rep.l,70, "von allen Staatswesen ist ke<strong>in</strong>es nach Verfassung,<br />

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<strong>und</strong> geme<strong>in</strong>schaftlichen Nutzen genießen können (omnes et communibus<br />

commodis et suis uterentur) (Rep.5,7).<br />

Sowohl Cicero <strong>in</strong> De f<strong>in</strong>ibus, als auch Scipio <strong>in</strong> De re publica fuhren die<br />

mores maiorum auf passende Weise e<strong>in</strong> <strong>und</strong> lehren die ,richtige' sapientia.<br />

Scipio schil<strong>der</strong>t geschickt das Beispiel des Tarqu<strong>in</strong>ius <strong>in</strong> De re publica: "wie<br />

Tarqu<strong>in</strong>ius, ohne nova potestas zu erl<strong>an</strong>gen, son<strong>der</strong>n die, die er hatte, ungerecht<br />

<strong>in</strong>iuste ausübend, mit dieser potestas die g<strong>an</strong>ze Form des königlichen Staates<br />

zugr<strong>und</strong>e richtete"(2,51). Die ungerechte Anwendung vonpotentia, dieTorquatus<br />

o<strong>der</strong> Philus empfiehlt, d.h. die Ungerechtigkeit br<strong>in</strong>gt dem Staat maxima<br />

perturbatio et commutatio (vg1.2,63). Cicero fährt fort: Ihm ist gegenübergestellt<br />

<strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>e, <strong>der</strong> Gute <strong>und</strong> Weise, <strong>der</strong> den Nutzen <strong>und</strong> die Würde <strong>der</strong> Bürger zu<br />

wahren weiß (bonus etsapiens etperitus utilitatis dignitatisque civilis), gleichsam<br />

e<strong>in</strong> rector et gubernator civitatis (2,51). Er ist somit <strong>der</strong> ideale Politiker, <strong>der</strong><br />

zwischen <strong>der</strong> göttlichen virtus <strong>und</strong> <strong>der</strong> irdischen <strong>in</strong>columitas vermitteln k<strong>an</strong>n,<br />

wie wir oben im Schema gesehen haben. Cicero läßt Scipio sprechen, <strong>der</strong> Staat<br />

setzte sich zusammen aus den höchsten <strong>und</strong> nie<strong>der</strong>sten <strong>und</strong> den<br />

dazwischenliegenden Ständen, durch maßvolle Vernunft mo<strong>der</strong>ata ratio <strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>kl<strong>an</strong>g gebracht. Die Harmonie im Staate sei concordia, das engste <strong>und</strong> beste<br />

B<strong>an</strong>d <strong>der</strong> <strong>in</strong>columitas <strong>in</strong> jedem Geme<strong>in</strong>wesen, <strong>und</strong> die könne ohne iustitia nicht<br />

existieren (vg1.2,69). Ohne höchste Gerechtigkeit könne das Geme<strong>in</strong>wesen<br />

ke<strong>in</strong>esfalls geführt werden (s<strong>in</strong>e summa iustitia rem publicam geri nullo modo<br />

posse) (2,70).<br />

Cicero versucht die Bedrohung des Staates durch e<strong>in</strong>e unrechte Redekunst<br />

dadurch aufzuzeigen, daß er e<strong>in</strong>en Unterschied zwischen dem callidus Torquatus<br />

<strong>und</strong> dem eher schlichten Philus macht, obwohl beide im Kern epikureische<br />

Positionen vertreten. Die Rhetorik ist stets e<strong>in</strong> zweischneidiges Schwert <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e größere Bedrohung als jede commoda (externa bona, z.B. die Macht o<strong>der</strong><br />

das Vermögen). Sie hat die Macht, die Masse aufzuwiegeln <strong>und</strong> das Bestehen<br />

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des Staates zu gefährden. Dagegen wendet sich Cicero mit Hilfe von Laelius<br />

<strong>und</strong> Scipio mit <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> sapientia. Die sapientia, die den Weg zum Göttlichen<br />

eröffnet, erklärt Cicero <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d passen<strong>der</strong> Beispiele von den maiores, die se<strong>in</strong>en<br />

iustitia-Begriffver<strong>an</strong>schaulichen. Die Diskussion über iustitia mit den Epikureern<br />

wird zum Teil durch den philosophischen Dialog dialectica entwickelt. Die<br />

dialectica ist den Philosophen eigentümlich <strong>und</strong> richtet sich nur <strong>an</strong> e<strong>in</strong>zelne<br />

Gesprächsteilnehmer. Der Gebrauch von Beispielen war <strong>in</strong> den Reden e<strong>in</strong>e<br />

gängige Methode <strong>der</strong> Redner <strong>und</strong> Politiker. Cicero verw<strong>an</strong>delt den<br />

philosophischen Dialog durch die Verwendung von Beispielen zu <strong>der</strong> politischen<br />

<strong>und</strong> gerichtlichen Rede rhetorica philosophorum, die für e<strong>in</strong>en größeren<br />

Zuhörerkreis bestimmt ist, aber trotzdem subtil bleibt. Deshalb läßt Cicero den<br />

Scipio <strong>und</strong> Laelius über die iustitia-Idee, über das Naturrecht <strong>und</strong> über den<br />

Begriff des Gottes respektive sapientia monologisch reden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Art e<strong>in</strong>es<br />

Politikers <strong>und</strong> e<strong>in</strong>es Gerichtsredners. Die Rede wird dabei e<strong>in</strong>er breiten<br />

Zuhörerschaft <strong>an</strong>gepaßt, welche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Philosophie nicht beson<strong>der</strong>s ausgebildet<br />

ist. Die Rhetorik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rede soll stets ratio <strong>und</strong> sapientia zur Gr<strong>und</strong>lage haben<br />

<strong>und</strong> nicht <strong>der</strong> malitia dienen. So darf nur e<strong>in</strong> Politiker, <strong>der</strong> auch ratio <strong>und</strong><br />

sapientia besitzt, den Staat verwalten (vgl.Leg.l ,62).<br />

Für Cicero ist die sapientia we<strong>der</strong> bloße <strong>in</strong>columitas, wie Philus behauptet,<br />

noch e<strong>in</strong>e schlaue <strong>und</strong> umechte Anwendung <strong>der</strong> Rhetorik, wie es Torquatus<br />

.behauptet. Nach beiden Gesprächspartnern gehören <strong>in</strong>columitas <strong>und</strong> Anwendung<br />

<strong>der</strong> Rhetorik zum Bereich <strong>der</strong> utilitas (commoda sua). Für Cicero bedeutet<br />

sapientia das, was dem Menschen mit Gott geme<strong>in</strong>sam ist o<strong>der</strong> die vera ratio.<br />

Mit ihrer Hilfe soll das Konventionsrecht aufdie Ebene des Naturrechts gehoben<br />

werden.<br />

So versucht Cicero die Politik <strong>und</strong> die Ethik aufe<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>s zu beziehen,<br />

<strong>in</strong>dem er die ethischen Ged<strong>an</strong>ken <strong>in</strong> De re publica, e<strong>in</strong>er politischen Schrift,<br />

aufzeigt, gleichzeitig die politischen Ged<strong>an</strong>ken <strong>in</strong> De f<strong>in</strong>ibus, e<strong>in</strong>er ethischen<br />

Schrift, erörtert (vgl.Leg.3,14). Weiterh<strong>in</strong> setzt er sich das Ziel, das Gesetz mit<br />

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21 Platon führt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Respublica Mythen <strong>und</strong> Legenden <strong>an</strong>. Cicero jedoch<br />

führt eher reale Beispiele römischer Politiker <strong>an</strong>. Beson<strong>der</strong>s die mores maiorum,<br />

die zu pro patria mori drängen, hält er für die Verwirklichung von sapientia<br />

(z.B.F<strong>in</strong>.5,82, Q.Metellus <strong>und</strong> Regulus). Die Beispiele <strong>Ciceros</strong> zeigen die<br />

Verb<strong>in</strong>dung zwischenMenschen<strong>und</strong> Gott. Cicero hat etwas GöttlichesimBereich<br />

des menschlichenalltäglichenH<strong>an</strong>delns aufzuzeigenversucht-<strong>an</strong><strong>der</strong>sals Platon,<br />

<strong>der</strong> von vornhere<strong>in</strong> nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> tr<strong>an</strong>szendenten göttlichen Welt den idealen<br />

utopischen Staat entworfen hat.<br />

Me<strong>in</strong> D<strong>an</strong>k gebührt Herrn Professor Dr. Jürgen Leonhardt, <strong>der</strong> mir <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

De re publica-Sem<strong>in</strong>ar diese Thematik gestellt <strong>und</strong> wertvolle Anmerkungen<br />

<strong>und</strong> H<strong>in</strong>weise zur Verbesserung gegeben hat.<br />

Diese kle<strong>in</strong>e Schrift wird Herrn ehern. Prof. Dr. Michio Oka (t 3.3.2000)<br />

herzlichst gewidmet.<br />

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