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Das Schicksal des Wladimir Jefremow im KZ Ebensee

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Hauptausgabe vom 30.07.2001 - Seite 003<br />

ZWANGSARBEITER: Ab heute beginnen die Zahlungen Österreichs an<br />

ehemalige NS-Zwangsarbeiter, Deutschland ging voran<br />

<strong>Das</strong> <strong>Schicksal</strong> <strong>des</strong> <strong>Wlad<strong>im</strong>ir</strong> <strong>Jefremow</strong> <strong>im</strong> <strong>KZ</strong> <strong>Ebensee</strong><br />

VON FLORIAN HASSEL,<br />

MOSKAU<br />

Es ist 56 Jahre her, doch <strong>Wlad<strong>im</strong>ir</strong> <strong>Jefremow</strong> erinnert sich noch genau an den Augenblick, als<br />

ihm die Kälte <strong>im</strong> Krematorium das Leben rettete. In jenen Märztagen <strong>des</strong> Jahres 1945 hatten<br />

<strong>im</strong> Konzentrationslager <strong>Ebensee</strong> Lagerkommandant Anton Ganz und die SS-Wärter<br />

begonnen, Hunderte von Häftlingen zu ermorden, um kurz vor Ende <strong>des</strong> 2. Weltkrieges<br />

möglichst viele Zeugen ihrer Verbrechen zu beseitigen.<br />

Auch der 17 Jahre alte <strong>Jefremow</strong> stand in <strong>Ebensee</strong>, einer Außenstelle <strong>des</strong> <strong>KZ</strong> Mauthausen, auf<br />

der To<strong>des</strong>liste. Als Helfer <strong>im</strong> Lagerkrematorium hatte er nicht nur gesehen, wie Häftlinge aus<br />

Ungarn und Polen, der Sowjetunion und Italien seit Sommer 1944 <strong>im</strong> hölzernen Krematorium<br />

verschwanden, um <strong>im</strong> ziegelsteinernen Ofen verbrannt zu werden. <strong>Jefremow</strong> hatte auch<br />

beobachtet, wie die zur Arbeit <strong>im</strong> Krematorium eingesetzten Häftlinge den Ermordeten<br />

Goldzähne und Ketten, Ringe und Armbanduhren abnahmen und der Blockälteste die Beute<br />

mit der SS teilte.<br />

<strong>Jefremow</strong> wurde ins Krankenrevier gerufen. Es handele sich um eine Blutabnahme, erklärte<br />

der SS-Arzt. "Als ich wieder zu mir kam, merkte ich, dass ich <strong>im</strong> Krematorium war und<br />

Leichen auf mir lagen", erinnert er sich. "Doch die Spritze, die mich betäuben oder töten<br />

sollte, war zu schwach gewesen. Wahrscheinlich hat mich die Kälte geweckt."<br />

<strong>Jefremow</strong> entkam durch eine Seitentür. Spanische Mithäftlinge versteckten ihn, bis die<br />

Amerikaner das <strong>KZ</strong> am 6. Mai 1945 befreiten. Heute erinnert ihn ein Auszug aus der<br />

Lagerliste von Mauthausen, mit der Häftlingsnummer 59227, an die Zeit in <strong>Ebensee</strong>. Und der<br />

nie zu stillende Appetit. "Es ist mehr als ein halbes Jahrhundert her, doch mein Organismus<br />

sagt mir <strong>im</strong>mer noch, dass er hungrig ist", sagt <strong>Jefremow</strong>, ein 74 Jahre alter Mann mit<br />

melancholischen braunen Augen und welligen grauen Haaren.<br />

Rund ein Drittel der schätzungsweise 1,2 Millionen noch lebenden Zwangsarbeiter <strong>des</strong><br />

Dritten Reiches - von insgesamt zehn Millionen - leben in Russland, Litauen und Lettland.<br />

Viele von ihnen warten auf den Tod. Auch <strong>Wlad<strong>im</strong>ir</strong> <strong>Jefremow</strong>, der erst vor wenigen Tagen<br />

aus dem Krankenhaus in seine kleine Zweiz<strong>im</strong>merwohnung <strong>im</strong> Moskauer Norden<br />

zurückgekehrt ist.<br />

<strong>Jefremow</strong> ist Diabetiker, Herz und Kreislauf protestieren gegen den schwülen Moskauer<br />

Rekordsommer. Seit der jahrelangen Schufterei <strong>im</strong> Konzentrationslager schmerzen Arme und<br />

Rücken, vor allem, wenn das Wetter umschlägt. Auch die hohe, brüchige St<strong>im</strong>me verrät einen<br />

kranken Mann. <strong>Jefremow</strong> macht sich keine Illusionen. "Im besten Fall lebe ich noch ein paar<br />

Jahre. Wenn ich Pech habe, nur noch ein paar Monate."<br />

Jetzt soll <strong>Jefremow</strong> Geld aus Deutschland bekommen. Mit 70 Milliarden Schilling haben die


deutsche Bun<strong>des</strong>regierung und die deutsche Wirtschaft die Stiftung "Erinnerung,<br />

Verantwortung, Zukunft" ausgestattet, davon knapp sechs Milliarden Schilling für Russland,<br />

Lettland und Litauen. Ehemalige Zwangsarbeiter in einer Fabrik sollen bis zu 35.000<br />

Schilling bekommen, <strong>KZ</strong>- Arbeiter wie <strong>Jefremow</strong> bis zu 105.000 Schilling.<br />

Für <strong>Wlad<strong>im</strong>ir</strong> <strong>Jefremow</strong> ist das viel Geld. Gerne würde er am 31. August die Goldene<br />

Hochzeit mit seiner Frau Jekaterina nicht in ihrer Hochhauswohnung, sondern auf der Kr<strong>im</strong><br />

feiern. Doch ein solcher Urlaub ist ein ferner Traum für die <strong>Jefremow</strong>s, die zusammen gerade<br />

2600 Rubel (1500 Schilling) Rente <strong>im</strong> Monat bekommen. Ein Taschengeld für den Enkel,<br />

eine neue Angel oder eine neue Brille für sich selbst - all das kann sich der alte Mann nicht<br />

leisten. Ganz zu schweigen von der Augenoperation, die möglicherweise sein schwinden<strong>des</strong><br />

Augenlicht retten könnte.<br />

Gelder unterschlagen<br />

Vor einigen Jahren, als Deutschland schon einmal Geld für Nazi-Opfer an Moskau überwies,<br />

bekam <strong>Jefremow</strong> die erste Rate, 8500 Schilling. Dann ging der mit der Auszahlung<br />

beauftragten russischen "Stiftung für Verständigung und Aussöhnung" das Geld aus: Der<br />

Direktor hatte mehr als 560 Millionen Schilling für zweifelhafte Bankgeschäfte, teure<br />

Dienstwagen und repräsentative Büros ausgegeben.<br />

Um neue Skandale zu verhindern, machte Präsident <strong>Wlad<strong>im</strong>ir</strong> Putin nun zwei Vertraute zu<br />

Direktorin und Aufsichtsratschefin der Stiftung. Sobald die Deutschen die von den Russen<br />

bewilligten Anträge mit Stichproben geprüft haben, soll das Geld überwiesen und in Raten an<br />

die Zwangsarbeiter ausgezahlt werden. <strong>Das</strong>s die das Geld tatsächlich innerhalb von zehn<br />

Tagen bekommen und die russische Buchhaltung st<strong>im</strong>mt, sollen westliche Wirtschaftsprüfer<br />

kontrollieren.<br />

<strong>Wlad<strong>im</strong>ir</strong> <strong>Jefremow</strong> hat bereits vor Monaten seinen Antrag bei der Stiftung abgegeben. "Doch<br />

erst wenn ich das Geld in den Händen halte, glaube ich, dass unsere Beamten es nicht wieder<br />

gestohlen haben." Tief sitzt bei ihm das Misstrauen eines Russen, der gelernt hat, von seinem<br />

Staat <strong>im</strong>mer nur das Schlechteste anzunehmen.<br />

Seine schlechten Erinnerungen gehen weit zurück. Als er nach der Befreiung aus<br />

Mauthausen-<strong>Ebensee</strong> in die He<strong>im</strong>at zurückkehrte, sperrte ihn die Rote Armee als angeblichen<br />

deutschen Kolloborateur acht Monate ins Gefängnis. Später arbeitete sich <strong>Jefremow</strong> zum<br />

Dienst in der Versorgungsabteilung <strong>des</strong> Ministerrates hoch und tapezierte Ministerwohnungen<br />

und Kremlbüros an der Spitze von 120 Untergebenen mit westlichen Seidentapeten.<br />

Privilegien abgelehnt<br />

Er selbst, sagt <strong>Jefremow</strong>, habe übliche Vergünstigungen abgelehnt: eine Dienstdatscha oder<br />

eine teure Wolga- L<strong>im</strong>ousine, westliche Kühlschränke, Kaviar und Wodka. Die bescheidene<br />

Wohnungseinrichtung bestätigt, dass <strong>Jefremow</strong> sich <strong>im</strong> Dienst der Sowjetunion nicht die<br />

Taschen vollgestopft hat. Der einzige Schmuck sind seine Auszeichnungen: "Verdienter<br />

Erbauer", Ehrenbürger Moskaus, der Leninorden.<br />

Gerne würde <strong>Wlad<strong>im</strong>ir</strong> <strong>Jefremow</strong> auf seine alten Tage seiner Frau Jekaterina den Kölner Dom<br />

zeigen. Denn <strong>im</strong> 2. Weltkrieg hat <strong>Jefremow</strong> nicht nur in Mauthausen- <strong>Ebensee</strong> geschuftet.<br />

Nachdem die Wehrmacht seine He<strong>im</strong>atstadt Woronesch eroberte, landete der deportierte<br />

Vierzehnjährige <strong>im</strong> Sommer 1942 in einem <strong>im</strong>provisierten Arbeitslager am Bahnhof von


Lennep, 35 Kilometer nordöstlich von Köln: Dort schrubbte der junge <strong>Wlad<strong>im</strong>ir</strong> zusammen<br />

mit anderen Russen und Ukrainern Lokomotiven mit Salzlösungen ab.<br />

<strong>Jefremow</strong> floh, wurde von der Gestapo gefasst und nach wochenlangen Foltern und Verhören<br />

<strong>im</strong> Gestapo- Hauptquartier am Appellhofplatz <strong>im</strong> Sommer 1943 ins Kölner Messelager<br />

gebracht, ein Außenlager <strong>des</strong> <strong>KZ</strong> Buchenwald. Jeden Morgen brachten die SS-Aufseher die<br />

Häftlinge zu Arbeitseinsätzen. In der Kölner Innenstadt räumte <strong>Jefremow</strong> nach<br />

amerikanischen Bombenangriffen Trümmer und barg Leichen.<br />

Ein heißer Tag <strong>im</strong> Sommer 1943 hat sich in sein Gedächtnis eingebrannt. "An einem<br />

bombardierten Haus ließ ich ein Stück Ziegel in ein aus der Erde ragen<strong>des</strong> Rohr fallen.<br />

Plötzlich hörte ich durch das Rohr ein Klopfen. Ich alarmierte unseren Aufseher; wir räumten<br />

die Trümmer weg. Aus dem Keller kamen acht Frauen und ein älterer Mann in<br />

Arbeitskleidung. Ich glaube, es war eine Metzgerei oder kleine Wurstfabrik. Die Frauen<br />

küssten mich und gaben mir viele Würste."<br />

Hoffnung auf Hilfe<br />

Doch die neunfache Lebensrettung brachte <strong>Jefremow</strong> nur kurze Zeit Glück. "Einige Frauen<br />

brachten mir Kleidung und Essen ins Lager. Als die Gestapo das herausfand, wurde ich nur<br />

noch schl<strong>im</strong>mer geschlagen." Ein Jahr schuftete <strong>Jefremow</strong> in Köln, bevor er <strong>im</strong> März 1944<br />

nach Mauthausen kam. Die von ihm Geretteten hat er nie wiedergesehen. "Vielleicht leben ja<br />

ihre Kinder noch. Es war doch eine Heldentat", sagt der alte Mann und träumt davon, dass<br />

man ihn nach Köln einlädt, vielleicht auch etwas Geld gibt. Am Ende seines Lebens hofft<br />

<strong>Wlad<strong>im</strong>ir</strong> <strong>Jefremow</strong>, der fast drei Jahre in deutschen Konzentrationslagern um sein Leben<br />

gebangt hat, ausgerechnet auf die Deutschen.<br />

© Alle Rechte vorbehalten. Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf.<br />

Quelle: http://www.oon.at/archiv/retrieve.asp?query=shlyc:client/ooen/ooen/textarch/j2001/q3/m07/t30/ph/s003/001_001.dcs&ausgabe=H/Hauptau<br />

sgabe&datum=30.07.2001&seite=003

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