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2011 - Theater und Orchester Heidelberg

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2 | Winter in Schwetzingen<br />

Neapolitanischer Barock <strong>und</strong><br />

südamerikanische Rhythmen<br />

Dirigent Rubén Dubrovsky im Gespräch mit Operndirektor Heribert Germeshausen<br />

Rubén Dubrovsky<br />

Der Name ist geblieben, die Personen <strong>und</strong> künstlerischen Inhalte<br />

haben sich geändert: Winter in Schwetzingen hat seit dieser Spiel-<br />

zeit eine neue Künstlerische Leitung, bestehend aus Operndirek-<br />

tor Heribert Germeshausen <strong>und</strong> dem international renommierten<br />

Dirigenten Rubén Dubrovsky, der diesen April seinen gefeierten<br />

Einstand an der Semperoper Dresden gab.<br />

Germeshausen: Rubén, du warst der erste Künstler mit dem<br />

ich telefonierte, nachdem mir Holger Schultze die Operndirektion<br />

des <strong>Theater</strong> <strong>und</strong> <strong>Orchester</strong> <strong>Heidelberg</strong> <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene<br />

Künstlerische Leitung von Winter in Schwetzingen angeboten<br />

hatte, die wir uns jetzt teilen. Im Herbst 2008 anlässlich deines<br />

Debüts als Operndirigent mit Vivaldis Orlando furioso an der Oper<br />

Bonn sind wir uns das erste Mal begegnet <strong>und</strong> wir hatten damals<br />

sofort beschlossen, zusammen zu arbeiten, sobald sich die Gelegenheit<br />

dazu ergeben würde.<br />

Dubrovsky: Es ist eine schöne Fügung, dass das so schnell<br />

geklappt hat.<br />

G.: Bevor wir auf unsere programmatischen Leitlinien für Winter<br />

in Schwetzingen eingehen, sollten wir darüber sprechen, wie<br />

du als Dirigent überhaupt zur Oper gekommen bist.<br />

D.: Ironischer Weise durch das vokale Werk von Johann Sebastian<br />

Bach, durch einen Komponisten also, der keine Opern komponiert<br />

hat. Bei den ersten Konzerten, die ich mit dem Bach Consort<br />

Wien, meinem eigenen Ensemble <strong>und</strong> mit Gastsängern gegeben<br />

habe, stand immer eine Bachkantate auf dem Programm <strong>und</strong> im<br />

Anschluss als Pendant ein Stück, das sich die Solisten aussuchen<br />

durften. Und das waren in der Regel Werke von Händel, Kantaten<br />

für eine Sängerin wie Delirio Amoroso, die verkappte Monoopern<br />

sind. Aus dieser Beschäftigung mit dramatischer Kammermusik hat<br />

sich dann meine Neigung zur Oper entwickelt, sodass der Schritt<br />

zu Orlando furioso sehr natürlich war.<br />

G.: Im Sinne einer inhaltlichen Neuausrichtung von Winter in<br />

Schwetzingen werden wir die Neapolitanische Oper ins künstlerische<br />

Zentrum des Festivals stellen. Ihre maßgeblichen Komponisten<br />

werden zudem auch einen Schwerpunkt innerhalb des<br />

Konzertprogrammes bilden, das seinen zweiten Leitstern in Johann<br />

Sebastian Bach finden wird. Was zeichnet die Neapolitanische<br />

Schule, deren Bühnenwerke nach wie vor einer Wiederentdeckung<br />

harren, aus?<br />

D.: Sie ist eine der interessantesten Perioden in der Geschichte<br />

der Oper, in der viele Traditionen geboren wurden, die diese Kunstform<br />

für alle Zeiten geprägt haben.<br />

Die wichtigste Innovation: eine seismografisch in tiefste Seelenschichten<br />

vordringende musikalische Charakterisierung der Figuren;<br />

erstmals in der Geschichte der Oper – von Monteverdi einmal<br />

abgesehen – stehen echte Menschen auf der Bühne <strong>und</strong> keine Stereotypen,<br />

die als Passformen auf die Stimmbänder von Gesangsstars<br />

zugeschnitten waren. Die großen Komponisten dieser Zeit,<br />

Pergolesi beispielsweise, weisen weit über ihre Zeit hinaus in die<br />

Zukunft. Pergolesi ist musikästhetisch so nahe bei Mozart, dass<br />

man geneigt ist, ihn als klassischen Komponisten einzuordnen,<br />

obwohl er weit vor Johann Sebastian Bach starb. Ohne den Umweg<br />

über Bach oder Händel hat Mozart an diese Tradition direkt angeknüpft.<br />

Diese Bezüge werden wir im Konzert mit Franco Fagioli<br />

untersuchen. Bei Alessandro Scarlatti ist immer wieder überraschend,<br />

wie geschickt er mit der Form spielt <strong>und</strong> Erwartungshaltungen<br />

durchbricht, um musikalisch ein Drama zu schaffen, etwa<br />

wenn gegen die Konvention <strong>und</strong> rein dramaturgisch motiviert der<br />

Da-capo-Teil einer Arie von einem Rezitativ unterbrochen wird.<br />

G.: Barockes Südamerika, unter diesem auf den ersten Blick<br />

etwas irritierenden Titel wirst du der bisher wenig erforschten<br />

wechselseitigen Beeinflussung von europäischer Barock- <strong>und</strong> südamerikanischer<br />

Volksmusik nachgehen.<br />

D.: Ich bin gebürtiger Argentinier <strong>und</strong> habe zunächst Klassische<br />

Musik studiert <strong>und</strong> gleichzeitig in verschiedenen Gruppen traditionelle<br />

argentinische Volksmusik gespielt: Gitarre, Panflöte, Schlagzeug.<br />

Das waren lange für mich vollkommen getrennte Welten. Ich<br />

wusste nicht, dass diese Musik direkt aus der Barockzeit stammt.<br />

Erst als ich angefangen habe, mich mit Alter Musik zu beschäftigen,<br />

wuchsen diese Welten für mich zusammen. Das Interessante<br />

an dieser Volksmusik ist: Da sie vor allem von der Landbevölkerung<br />

gespielt wird, die wie überall ziemlich konservativ ist, hat<br />

sie sich seit Jahrh<strong>und</strong>erten, seit der Barockzeit, nicht verändert.<br />

Sie ist daher eine unschätzbare Quelle für die historische Aufführungspraxis,<br />

für das Verständnis von Tänzen, die prägend für die<br />

instrumentale höfische Barockmusik wurden, wie Sarabande <strong>und</strong><br />

Chaconne. Die Rhythmen dieser Tänze sind in Südamerika entstanden,<br />

durch die Mischung der Musik der spanischen Eroberer,<br />

der Indios <strong>und</strong> der afrikanischen Sklaven, die nach Südamerika<br />

gebracht wurden. Diese Musik kam dann mit den Schiffen nach<br />

Europa zurück <strong>und</strong> hat von Spanien aus auf ganz Europa gestrahlt,<br />

bis nach Sachsen zu Johann Sebastian Bach. Im Konzert Barockes<br />

Südamerika werde ich zeigen, wie nahe sich diese zwei Welten,<br />

Italien um 1700 <strong>und</strong> Argentinien, sind.

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