2011 - Theater und Orchester Heidelberg
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8 | Musiktheater<br />
Musiktheater<br />
Operngala<br />
Mit Musik von Leonard Bernstein, Georges Bizet, Francesco Cilea,<br />
Ruggiero Leoncavallo, Jacques Offenbach, Amilcare Ponchielli, Giacomo<br />
Puccini, Richard Strauss <strong>und</strong> Giuseppe Verdi<br />
Zehn Sänger, sieben Nationen: In unserer festlichen Operngala<br />
werden mit Carolyn Frank, Sharleen Joynt, Hye-Sung Na, Anna<br />
Peshes, Silke Schwarz, James Homann, Winfrid Mikus, Pavel Shmulevich,<br />
Wilfried Staber <strong>und</strong> Angus Wood sämtliche Sängerinnen<br />
<strong>und</strong> Sänger unseres festen Ensembles auf der Bühne stehen, die<br />
Emotionen zum Sieden bringen <strong>und</strong> durch ihren Gesang Vitalität<br />
wie Vielfalt der Kunstform Oper, dieses »Kraftwerks der Gefühle«<br />
demonstrieren. Sie präsentieren in Arien <strong>und</strong> Ensembles Höhepunkte<br />
vornehmlich des italienischen Opernrepertoires. Im Zentrum<br />
stehen dabei natürlich Giuseppe Verdi <strong>und</strong> Giacomo Puccini,<br />
wobei wir einen Schwerpunkt auf Meisterwerke setzen, die längere<br />
Zeit nicht in <strong>Heidelberg</strong> zu hören waren. So erklingen von Verdi<br />
neben Rigoletto Auszüge aus Die Sizilianische Vesper, Simone Boccanegra<br />
<strong>und</strong> Don Carlo. Puccini ist mit Le Villi, Manon Lescaut, La<br />
Bohème, Tosca <strong>und</strong> Suor Angelica vertreten. Natürlich lassen wir<br />
es uns nicht nehmen, bereits Auszüge aus unseren kommenden<br />
Premieren Carmen <strong>und</strong> – mit Zerbinettas spektakulärer Arie –<br />
Ariadne auf Naxos vorzustellen.<br />
Musikalische Leitung Dietger Holm<br />
Moderation Heribert Germeshausen<br />
Philharmonisches <strong>Orchester</strong> <strong>Heidelberg</strong><br />
Opernzelt<br />
5. November <strong>2011</strong><br />
Las Cartas de Frida<br />
von Marcela Rodríguez<br />
Uraufführung<br />
Regisseurin Johanna Wehner im Gespräch über die Inszenierung<br />
Das Libretto der Kammeroper Las cartas de Frida besteht aus einer<br />
losen Folge von Briefen <strong>und</strong> Tagebucheinträgen, die dem Nachlass<br />
Frida Kahlos entstammen. Bei dem turbulenten Leben der berühmten<br />
Malerin hätte sich eine klassische Operndramaturgie mit verschiedenen<br />
Figuren, um die herum sich ein Konflikt zuspitzt, ja durchaus<br />
angeboten. Inwiefern ist aber gerade diese fragmentarische, nichtlineare<br />
Struktur des Librettos geeignet, um sich dem Sujet anzunähern?<br />
Wehner: Es geht hier ja nicht um eine fiktionale Geschichte, die<br />
nach den Regeln der Konsumierbarkeit eines Dienstleistungsproduktes<br />
für die Bühne aufbereitet worden wäre. Vielmehr handelt<br />
es sich um die Darstellung eines Lebens, das nicht kontinuierlich<br />
verlaufen ist – so, wie übrigens kein Leben, das ich kenne, kontinuierlich<br />
verläuft –, in nicht-sinnhaften Zusammenhängen, die<br />
hier quasi wie Schlaglichter aufscheinen. Es ist wie das Kramen<br />
in einem alten Schuhkarton, aus dem man eben nicht die fünf<br />
schönsten Fotos eines Lebens herauszieht, sondern zufällig auf<br />
einzelne Momentaufnahmen stößt. Diese bekommen erst dann<br />
ihre Wichtigkeit, wenn man sie in einen Sinnzusammenhang stellt<br />
– wenn man sie erinnert.<br />
Was macht den Stoff für dich als Regisseurin besonders reizvoll?<br />
W.: Für mich tritt Frida Kahlo auf durchaus beeindruckende<br />
Weise den Gegenbeweis an, dass man immer Opfer der Umstände<br />
sei. Was mich berührt, ist, wenn etwas sehr Bedingungsreiches,<br />
Defizitäres wie ihre körperlichen Verletzungen solch eine starke<br />
Implosionswirkung erreicht. Wenn jemand nicht völlig übersättigt<br />
ist von seinem Leid, seinen Affären, politisch schwierigen<br />
Umständen, dass er im Gr<strong>und</strong>e genommen nur noch in sich selbst<br />
kollabiert, sondern er im Gegenteil alles einsaugt <strong>und</strong> daraus ein<br />
unglaubliches emotionales Output entwickelt. Ich bezweifle, dass<br />
Passion heutzutage ein großes Thema ist – vieles funktioniert sehr<br />
pragmatisch –, das ist es aber für mich. Und bei Frida Kahlo muss<br />
man da nur zugreifen.<br />
Wichtig ist dabei aber – das ist mir während der Arbeit als einschlägiger<br />
Punkt klargeworden –, dass Frida Kahlo eine außergewöhnliche<br />
Künstlerin <strong>und</strong> Frau war trotz ihrer Einschränkung. Es wird<br />
ja oft so dargestellt, als sei man virtuos <strong>und</strong> begnadet, weil man<br />
einen Unfall hatte, an einer schlimmen Verletzung leidet. Plötzlich<br />
ist man Künstler. Aber in einem solchen Umstand ist natürlich<br />
nicht der Gr<strong>und</strong> für Genie gegeben. Der Zusammenhang ist<br />
also konzessiv – Frida Kahlo hat es überwindend geschafft, sich<br />
in dieser künstlerischen Sprache zu veräußern –, nicht kausal. Sie<br />
ist trotz allem in der Lage, ihre Gedanken am Leben <strong>und</strong> am Tanzen<br />
zu halten – daher der Walzer, der in diesem Stück aufscheint.<br />
Weil die Gedanken weiterleben, obwohl sie körperlich ruiniert ist.<br />
Eine Besonderheit an den Bildern Frida Kahlos ist, dass sie fast immer<br />
sich selbst malt. Daraus ist unsere Idee entsprungen, zwei Fridas zu<br />
zeigen, nämlich eine Sängerin <strong>und</strong> eine Schauspielerin …<br />
W.: Dieses extreme Selbstpositionierungsbedürfnis war das erste,<br />
was mir an ihren Bildern aufgefallen ist. Darin gibt es aber zwei<br />
Seiten: Einerseits das Emotionale, Fühlende, Leidende, Haptische,<br />
das auch zu dem Wunsch führt, sich selbst zu verewigen. Und auf<br />
der anderen Seite das analytische Element, das darüber nachdenkt,<br />
wie stelle ich etwas dar, das also etwas extrem Selbstreferentielles,<br />
Selbstreflexives hat. Diese rationalisierte Facette funktioniert<br />
unglaublich theoretisch <strong>und</strong> hat sehr viel mit Haltung zu tun, auch<br />
mit politischer Haltung, was einem erst bewusst wird, wenn man<br />
sich mit ihren Schriften auseinandersetzt.<br />
Das Verhältnis zwischen diesen beiden Polen spiegelt sich in unseren<br />
zwei Darstellerinnen wider: Die eine ist stark an ihre Emotionen<br />
geb<strong>und</strong>en, ihren Schmerz, ihr Hier <strong>und</strong> Jetzt. Sie ist ganz unmittelbar<br />
in ihrem Erleben. Diese singt. Die andere funktioniert im Denken,<br />
im Geist, in einer Ideenwelt. Sie spricht, <strong>und</strong> zwar deutsch,<br />
im Gegensatz zum gesungenen Spanisch. Sie ist viel purer – sie ist<br />
die seelische Essenz von Frida. Aber damit will ich nicht werten –<br />
sie ist keine ideologische Instanz, auch kein Ideal in irgendeiner<br />
Weise. Sondern die beiden bedingen sich gegenseitig: Die Frida der<br />
Ideenwelt ist frei, weil die Gedanken frei sind – nicht nur im politischen<br />
Sinne, sondern auch im Sinne der Unabhängigkeit vom<br />
körperlichen Leiden. Denn die Seele tut anders weh.<br />
Woher kommt diese Freiheit, wer begründet sie, wem trotzt sie?<br />
In diesem Fall trotzt sie der Krankheit. Dadurch kann diese Frau<br />
weiterhin schaffen, erschaffen.<br />
Das Gespräch führte Angelika Rösser.<br />
26. Oktober <strong>2011</strong><br />
Zwinger1 Premiere