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Lese-Rechtschreibst ö rung (LRS) im Sprachenvergleich und im ...

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2OriginalarbeitSSG/697/9.8.2007/MacmillanMehrsprachigkeit <strong>und</strong> <strong>LRS</strong> auseinandersetzte, erschien <strong>im</strong> Jahre2000 [1] .Die Problematik „ <strong>LRS</strong> <strong>im</strong> Kontext von Mehrsprachigkeit “ ist inunterschiedlichen Zusammenh ä ngen von Bedeutung. Im Folgendensoll zuerst auf die Symptomatik in Abh ä ngigkeit von derArt der Schriftsprache eingegangen werden. Dabei wird diskutiert,ob regelhafte Unterschiede zwischen <strong>LRS</strong>-Kindern mit verschiedenenSchriftsprachen bestehen, ob eine universelleGr<strong>und</strong>st ö <strong>rung</strong> anzunehmen ist <strong>und</strong> ob die H ä ufigkeit vonSchriftsprachproblemen mit der Art der Schriftsprache in Zusammenhangsteht. Der folgende Abschnitt wird sich mit Fragender <strong>LRS</strong> bei Mehrsprachigkeit <strong>und</strong> insbesondere mit diagnostischenProblemen bei bilingualen Kindern auseinandersetzen.Anschlie ß end wird thematisiert, welche Schwierigkeiten bei<strong>LRS</strong>-Kindern <strong>im</strong> Fremdsprachenunterricht zu erwarten sind <strong>und</strong>welche Hilfen angeboten werden k ö nnen.<strong>LRS</strong> in unterschiedlichen Schriftsprachen&Gr<strong>und</strong>s ä tzlich kann zwischen alphabetischen <strong>und</strong> morphemischenSchriftsprachen unterschieden werden. In alphabetischenSchriftsprachen, zu denen die europ ä ischen z ä hlen, stehenBuchstaben stellvertretend f ü r Laute. Eine wesentlicheGr<strong>und</strong>voraussetzung f ü r den Erwerb des <strong>Lese</strong>ns <strong>und</strong> Schreibensist in diesen Sprachen das Heraush ö ren von Phonemen <strong>und</strong> diePhonem-Graphem-Zuordnung. Alphabetische Schriftsprachenunterscheiden sich allerdings hinsichtlich ihrer Transparenz.W ä hrend die spanische, italienische <strong>und</strong> finnische sehr lauttreusind, ist <strong>im</strong> Englischen <strong>und</strong> Franz ö sischen die Laut-Buchstabenzuordnungä u ß erst variabel. Im Italienischen gibt es f ü r 25 Laute33 Schreibvarianten, <strong>im</strong> Englischen hingegen f ü r 40 Laute 1.120[2] .Im asiatischen Raum sind morphemische (morpho-syllabische,logographische) Schriftsprachen verbreitet. Schriftzeichen stehenstellvertretend f ü r die kleinsten bedeutungstragendenSpracheinheiten (Morpheme). Da die Zahl der Morpheme wesentlichgr ö ß er als die der Laute ist, m ü ssen w ä hrend desSchriftspracherwerbs sehr viele Zeichen erlernt <strong>und</strong> dem Lautbildsowie der Bedeutung zugeordnet werden.Die Besonderheiten der Schriftsprachfamilien bedingen unterschiedlichePr ä diktoren f ü r den Erfolg des Schriftspracherwerbs.In alphabetischen Schriftsprachen findet sich eine deutlicheKorrelation zwischen <strong>Lese</strong>f ä higkeit <strong>und</strong> phonologischer Bewusstheit<strong>im</strong> engeren Sinn. In morphemischen Schriftsprachensind Silbenbewusstheit (phonologische Bewusstheit <strong>im</strong> weiterenSinn), orthographische Bewusstheit <strong>und</strong> feinmotorischeKoordinationsf ä higkeit von pr ä diktiver Aussage [3, 4] .Die prinzipiellen Unterschiede zwischen alphabetischen <strong>und</strong>morphemischen Schriftsprachen f ü hren <strong>im</strong> Laufe des Schriftspracherwerbszur Herausbildung differenter neuronaler Netze.Wie Studien mit der funktionellen Magnetresonanz-Tomographiegezeigt haben, sind be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n einer alphabetischen Schriftvorwiegend Hirnregionen des linken Schl ä fenlappens sowie derangrenzenden Scheitel- <strong>und</strong> Hinterhauptsregionen beteiligt [5] .Das <strong>Lese</strong>n morphemischer Schriften hingegen geht mit einer Aktivie<strong>rung</strong>des linken mittleren <strong>und</strong> unteren Stirnhirns (Brodmann-Areal9, 44 <strong>und</strong> 45) einher [ Ü bersicht 6] <strong>und</strong> bezieht dierechte Hemisph ä re ganz wesentlich in den Verarbeitungsprozessein [7] . Diese Unterschiede spiegeln sich auf anatomischerEbene in der Gr ö ß e <strong>und</strong> Struktur der entsprechenden Hirnwindungenwieder [8] .Aber nicht nur zwischen alphabetischer <strong>und</strong> morphemischerSchriftsprache sondern auch innerhalb der Schriftsprachfamiliensind erhebliche Unterschiede <strong>im</strong> Schwierigkeitsgrad des Erlernensvon <strong>Lese</strong>n <strong>und</strong> Schreiben zu beobachten. Die Geschwindigkeitdes Schriftspracherwerbs korreliert mit der orthographischenTransparenz einer Schriftsprache. In konsistentenSprachen gelingt das <strong>Lese</strong>n <strong>und</strong> Rechtschreiben leichter <strong>und</strong> derBedeutungsgehalt ist weniger wichtig als in inkonsistenten. Ineiner Studie von Seymour et al. [9] in 13 europ ä ischen L ä ndernlasen am Ende der ersten Klasse englische Kinder 40 % der Testwö rter <strong>und</strong> 29 % der Pseudow ö rter richtig, w ä hrend dies bei Kindernmit konsistenten Schriftsprachen ü ber 95 % der W ö rterbzw. 80 % der Pseudow ö rter waren. Wie die PISA-Studie allerdingszeigte, spielt die Transparenz einer Schriftsprache f ü r diesp ä tere <strong>Lese</strong>kompetenz keine nennenswerte Rolle.Eine <strong>LRS</strong> tritt in allen bislang untersuchten Schriftsprachen auf.Da verschiedene Schriftsprachen aber unterschiedliche Anforde<strong>rung</strong>enan die F ä higkeiten der Kinder stellen, w ä re es denkbar,dass die H ä ufigkeit der <strong>LRS</strong> von der Art der Schriftspracheabh ä ngig ist. Miyazaki et al. [10] vertreten die Auffassung, dassin L ä ndern mit morphemischen Schriftsprachen leseschwacheKinder seltener als in L ä ndern mit alphabetischen anzutreffenseien (1 % vs. 5 – 10 % ). Derartige H ä ufigkeitsangaben sind aberwenig verl ä sslich. Bisherige Studien beziehen sich vorwiegendauf Untersuchungen in einzelnen Sprachen mit ganz unterschiedlicherAbgrenzung einer <strong>LRS</strong> gegen ü ber der normalen Variationsbreite[ Ü bersichten 11, 12]. Je nachdem ob Kinder mit<strong>Lese</strong>-Rechtschreibleistungen unterhalb von 1, 1½ oder 2 Standardabweichungengegen ü ber der Alters- bzw. Klassennorm<strong>und</strong> / oder der (nonverbalen) Intelligenz als lese-rechtschreibgestö rt klassifiziert werden, ergeben sich jeweils andere H ä ufigkeiten.Studien mit einem direkten Vergleich von Kindern ausverschiedenen Schriftsprachregionen mit identischer Falldefinitionsind die Ausnahme. In einem solchen Vergleich fandenLindgren et al. [13] deutliche Unterschiede in der Pr ä valenz der<strong>LRS</strong> zwischen Italien <strong>und</strong> den USA. W ä hrend in Italien 3,6 % derKinder als lese-rechtschreibgest ö rt eingestuft wurden, waren esin den USA mit 7,3 % etwa doppelt so viele. Ob diese Differenzenaber durch Unterschiede in der Transparenz zwischen derlauttreuen italienischen <strong>und</strong> der inkonsistenten englischenSchriftsprache bedingt sind, ist zu bezweifeln. TranskulturelleStudien sprechen daf ü r, dass Unterschiede in den Schulsystemen<strong>und</strong> kulturellen Traditionen einen deutlich st ä rkeren Einflussauf den Erfolg be<strong>im</strong> Erlernen des <strong>Lese</strong>ns <strong>und</strong> Schreibensaus ü ben als Differenzen in der Schriftsprache [14] .Aus neuropsychologischen <strong>und</strong> neurophysiologischen Untersuchungengeht hervor, dass <strong>Lese</strong>-<strong>Rechtschreibst</strong> ö <strong>rung</strong>en in alphabetischen<strong>und</strong> morphemischen Schriftsprachen mit unterschiedlichenBasisdefiziten verb<strong>und</strong>en sind. F ü r <strong>LRS</strong>-Kinder miteiner alphabetischen Schriftsprache sind Schw ä chen bei derLautverarbeitung (phonologische Bewusstheit <strong>im</strong> engeren Sinn)typisch [15 – 17] , f ü r <strong>LRS</strong>-Kinder mit einer morphemischenSchriftsprache hingegen Defizite be<strong>im</strong> Aufruf des Wortklangs alsGanzes <strong>und</strong> der Wortbedeutung [18, 19] . Untersuchungen mitbildgebenden Verfahren ergaben, dass bei <strong>LRS</strong>-Kindern aus demeurop ä ischen Raum be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n eine verminderte Aktivie<strong>rung</strong><strong>im</strong> linken mittleren Schl ä fen- <strong>und</strong> Hinterhauptslappen zu beobachtenist [5] , w ä hrend bei chinesischen <strong>LRS</strong>-Kindern eine reduzierteAktivit ä t <strong>im</strong> linken mittleren Stirnhirn (Region zur Integration<strong>und</strong> Verarbeitung von Informationen <strong>im</strong> verbalen <strong>und</strong>visuell-r ä umlichen Arbeitsged ä chtnis) <strong>und</strong> eine Ver ä nde<strong>rung</strong>des Aktivit ä tsmusters in der rechten Hemisph ä re als charakteris-Suchodoletz Wv. <strong>Lese</strong>-<strong>Rechtschreibst</strong>ö<strong>rung</strong> (<strong>LRS</strong>) … Sprache · St<strong>im</strong>me · Gehör 2007; 31: 1 –6

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