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Lese-Rechtschreibst ö rung (LRS) im Sprachenvergleich und im ...

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SSG/697/9.8.2007/MacmillanOriginalarbeit 1<strong>Lese</strong>-<strong>Rechtschreibst</strong>ö<strong>rung</strong> (<strong>LRS</strong>) <strong>im</strong> <strong>Sprachenvergleich</strong><strong>und</strong> <strong>im</strong> FremdsprachenunterrichtDyslexia in Different Languages and the Effect of Dyslexia on ForeignLanguage LearningAutorInstitutW. v. Su ch od o l etzKlinik für Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie, Psychosomatik <strong>und</strong> Psychotherapie der Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität, Mü nchenSchl ü sselw ö rter Mehrsprachigkeit <strong>Lese</strong>-<strong>Rechtschreibst</strong>ö<strong>rung</strong> FremdsprachenunterrichtKey words Multilingualism dyslexia foreign language teachingBibliografieDOI 10.1055/s-2007-985401Sprache · St<strong>im</strong>me · Gehör2007; 31: 1 – 6© Georg Thieme Verlag KGStuttgart · New YorkISSN 0342-0477KorrespondenzadresseProf. Dr. med.W. v. SuchodoletzAbteilung f ü r Entwicklungsfragender Klinik f ü r Kinder<strong>und</strong>JugendpsychiatriePsychosomatik <strong>und</strong> Psychotherapieder Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universit ä tWaltherstr. 2380337 M ü nchensuchodoletz@lrz.un<strong>im</strong>uenchen.deZusammenfassung&Die Betreuung von Kindern mit Problemen be<strong>im</strong>Erwerb der Schriftsprache stellt <strong>im</strong> Kontext vonMehrsprachigkeit Fachleute vor ganz neue Anforde<strong>rung</strong>en.Bei mehrsprachig aufwachsendenKindern mit Schw ä chen be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n <strong>und</strong> Schreibenist zu entscheiden, ob die Schriftsprachproblemedurch eine umschriebene Entwicklungsstö <strong>rung</strong> (<strong>LRS</strong>) oder durch einen unzureichendenKontakt zur Zweitsprache bedingt sind. Bei derBetreuung <strong>und</strong> Beratung dieser Kinder <strong>und</strong> derenEltern sind sprachenspezifische Besonderheitensowohl hinsichtlich der <strong>LRS</strong>-Symptomatik alsauch bez ü glich der F ö rde<strong>rung</strong> zu ber ü cksichtigen.Mehrsprachigkeit wird aber nicht nurvon Migrantenkindern, sondern <strong>im</strong> Rahmen desFremdsprachenunterrichts auch von Muttersprachlernerwartet. Dies stellt Kinder mit einer<strong>LRS</strong> vor erhebliche Probleme, da sie in der Regelnicht nur <strong>im</strong> Fach Deutsch, sondern auch <strong>im</strong>Fremdsprachenunterricht den Anforde<strong>rung</strong>ennur mit M ü he gerecht werden k ö nnen. Elternvon <strong>LRS</strong>-Kindern sind deshalb zu beraten, welcheFremdsprache f ü r ihr Kind am besten geeignetist <strong>und</strong> welche spezifischen F ö rderma ß -nahmen den Fremdsprachenerwerb erleichternk ö nnen. In der Arbeit wird ein Ü berblick ü berden gegenw ä rtigen Kenntnisstand zu Fragen der<strong>LRS</strong> <strong>im</strong> Kontext Mehrsprachigkeit gegeben. Empfehlungenf ü r die Betreuung von bilingualen Kindernmit <strong>Lese</strong>-Rechtschreibschwierigkeiten <strong>und</strong>von <strong>LRS</strong>-Kindern mit Problemen <strong>im</strong> Fremdsprachenunterrichtwerden abgeleitet.Einleitung&Jedes Jahr erscheinen mehrere h<strong>und</strong>ert Publikationenü ber <strong>Lese</strong>-<strong>Rechtschreibst</strong> ö <strong>rung</strong>en <strong>und</strong>doch gibt es nur wenige, die sich mit St ö <strong>rung</strong>enbe<strong>im</strong> Erwerb der Schriftsprache <strong>im</strong> Kontext vonAbstract&Children with difficulties in reading and spellingwho are being raised bilingually present a particularchallenge to the professionals assessing andworking with them. It must be decided whetherthe problems are due to a specific developmentaldisorder of written language or to l<strong>im</strong>ited contactwith the second language. Language-specific aspectsmust be considered with regard to boththe character of the developmental disorder andthe proposed interventions. Speaking more thanone language is expected not only of children of<strong>im</strong>migrants but also of native speakers in foreignlanguage classes. For children with dyslexia theacquisition of a foreign language is especiallychallenging. Most of these children have difficultieslearning to read and spell not only in theirmother tongue but also in the new language.Parents need advice on which foreign languagewould be most suitable for their child to learnand what special techniques would facilitate acquisitionof the foreign language. The present paperprovides an overview of current knowledgeabout dyslexia and multilingualism. Recommendationsare then made for how best to help childrenwith dyslexia who are being raised withtwo languages and also those dyslexic childrenwho are originally monolingual and are beginningforeign language instruction.Mehrsprachigkeit auseinandersetzen. Erst in denletzten Jahren ist diese Thematik ins Blickfeld derForschung geraten. Die erste Tagung zum Thema„ Multilingualism and Dyslexia “ der BritischenGesellschaft f ü r Dyslexie fand 1999 statt <strong>und</strong> dieerste Monographie, die sich ausf ü hrlicher mitSuchodoletz Wv. <strong>Lese</strong>-<strong>Rechtschreibst</strong>ö<strong>rung</strong> (<strong>LRS</strong>) … Sprache · St<strong>im</strong>me · Gehör 2007; 31: 1 –6


2OriginalarbeitSSG/697/9.8.2007/MacmillanMehrsprachigkeit <strong>und</strong> <strong>LRS</strong> auseinandersetzte, erschien <strong>im</strong> Jahre2000 [1] .Die Problematik „ <strong>LRS</strong> <strong>im</strong> Kontext von Mehrsprachigkeit “ ist inunterschiedlichen Zusammenh ä ngen von Bedeutung. Im Folgendensoll zuerst auf die Symptomatik in Abh ä ngigkeit von derArt der Schriftsprache eingegangen werden. Dabei wird diskutiert,ob regelhafte Unterschiede zwischen <strong>LRS</strong>-Kindern mit verschiedenenSchriftsprachen bestehen, ob eine universelleGr<strong>und</strong>st ö <strong>rung</strong> anzunehmen ist <strong>und</strong> ob die H ä ufigkeit vonSchriftsprachproblemen mit der Art der Schriftsprache in Zusammenhangsteht. Der folgende Abschnitt wird sich mit Fragender <strong>LRS</strong> bei Mehrsprachigkeit <strong>und</strong> insbesondere mit diagnostischenProblemen bei bilingualen Kindern auseinandersetzen.Anschlie ß end wird thematisiert, welche Schwierigkeiten bei<strong>LRS</strong>-Kindern <strong>im</strong> Fremdsprachenunterricht zu erwarten sind <strong>und</strong>welche Hilfen angeboten werden k ö nnen.<strong>LRS</strong> in unterschiedlichen Schriftsprachen&Gr<strong>und</strong>s ä tzlich kann zwischen alphabetischen <strong>und</strong> morphemischenSchriftsprachen unterschieden werden. In alphabetischenSchriftsprachen, zu denen die europ ä ischen z ä hlen, stehenBuchstaben stellvertretend f ü r Laute. Eine wesentlicheGr<strong>und</strong>voraussetzung f ü r den Erwerb des <strong>Lese</strong>ns <strong>und</strong> Schreibensist in diesen Sprachen das Heraush ö ren von Phonemen <strong>und</strong> diePhonem-Graphem-Zuordnung. Alphabetische Schriftsprachenunterscheiden sich allerdings hinsichtlich ihrer Transparenz.W ä hrend die spanische, italienische <strong>und</strong> finnische sehr lauttreusind, ist <strong>im</strong> Englischen <strong>und</strong> Franz ö sischen die Laut-Buchstabenzuordnungä u ß erst variabel. Im Italienischen gibt es f ü r 25 Laute33 Schreibvarianten, <strong>im</strong> Englischen hingegen f ü r 40 Laute 1.120[2] .Im asiatischen Raum sind morphemische (morpho-syllabische,logographische) Schriftsprachen verbreitet. Schriftzeichen stehenstellvertretend f ü r die kleinsten bedeutungstragendenSpracheinheiten (Morpheme). Da die Zahl der Morpheme wesentlichgr ö ß er als die der Laute ist, m ü ssen w ä hrend desSchriftspracherwerbs sehr viele Zeichen erlernt <strong>und</strong> dem Lautbildsowie der Bedeutung zugeordnet werden.Die Besonderheiten der Schriftsprachfamilien bedingen unterschiedlichePr ä diktoren f ü r den Erfolg des Schriftspracherwerbs.In alphabetischen Schriftsprachen findet sich eine deutlicheKorrelation zwischen <strong>Lese</strong>f ä higkeit <strong>und</strong> phonologischer Bewusstheit<strong>im</strong> engeren Sinn. In morphemischen Schriftsprachensind Silbenbewusstheit (phonologische Bewusstheit <strong>im</strong> weiterenSinn), orthographische Bewusstheit <strong>und</strong> feinmotorischeKoordinationsf ä higkeit von pr ä diktiver Aussage [3, 4] .Die prinzipiellen Unterschiede zwischen alphabetischen <strong>und</strong>morphemischen Schriftsprachen f ü hren <strong>im</strong> Laufe des Schriftspracherwerbszur Herausbildung differenter neuronaler Netze.Wie Studien mit der funktionellen Magnetresonanz-Tomographiegezeigt haben, sind be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n einer alphabetischen Schriftvorwiegend Hirnregionen des linken Schl ä fenlappens sowie derangrenzenden Scheitel- <strong>und</strong> Hinterhauptsregionen beteiligt [5] .Das <strong>Lese</strong>n morphemischer Schriften hingegen geht mit einer Aktivie<strong>rung</strong>des linken mittleren <strong>und</strong> unteren Stirnhirns (Brodmann-Areal9, 44 <strong>und</strong> 45) einher [ Ü bersicht 6] <strong>und</strong> bezieht dierechte Hemisph ä re ganz wesentlich in den Verarbeitungsprozessein [7] . Diese Unterschiede spiegeln sich auf anatomischerEbene in der Gr ö ß e <strong>und</strong> Struktur der entsprechenden Hirnwindungenwieder [8] .Aber nicht nur zwischen alphabetischer <strong>und</strong> morphemischerSchriftsprache sondern auch innerhalb der Schriftsprachfamiliensind erhebliche Unterschiede <strong>im</strong> Schwierigkeitsgrad des Erlernensvon <strong>Lese</strong>n <strong>und</strong> Schreiben zu beobachten. Die Geschwindigkeitdes Schriftspracherwerbs korreliert mit der orthographischenTransparenz einer Schriftsprache. In konsistentenSprachen gelingt das <strong>Lese</strong>n <strong>und</strong> Rechtschreiben leichter <strong>und</strong> derBedeutungsgehalt ist weniger wichtig als in inkonsistenten. Ineiner Studie von Seymour et al. [9] in 13 europ ä ischen L ä ndernlasen am Ende der ersten Klasse englische Kinder 40 % der Testwö rter <strong>und</strong> 29 % der Pseudow ö rter richtig, w ä hrend dies bei Kindernmit konsistenten Schriftsprachen ü ber 95 % der W ö rterbzw. 80 % der Pseudow ö rter waren. Wie die PISA-Studie allerdingszeigte, spielt die Transparenz einer Schriftsprache f ü r diesp ä tere <strong>Lese</strong>kompetenz keine nennenswerte Rolle.Eine <strong>LRS</strong> tritt in allen bislang untersuchten Schriftsprachen auf.Da verschiedene Schriftsprachen aber unterschiedliche Anforde<strong>rung</strong>enan die F ä higkeiten der Kinder stellen, w ä re es denkbar,dass die H ä ufigkeit der <strong>LRS</strong> von der Art der Schriftspracheabh ä ngig ist. Miyazaki et al. [10] vertreten die Auffassung, dassin L ä ndern mit morphemischen Schriftsprachen leseschwacheKinder seltener als in L ä ndern mit alphabetischen anzutreffenseien (1 % vs. 5 – 10 % ). Derartige H ä ufigkeitsangaben sind aberwenig verl ä sslich. Bisherige Studien beziehen sich vorwiegendauf Untersuchungen in einzelnen Sprachen mit ganz unterschiedlicherAbgrenzung einer <strong>LRS</strong> gegen ü ber der normalen Variationsbreite[ Ü bersichten 11, 12]. Je nachdem ob Kinder mit<strong>Lese</strong>-Rechtschreibleistungen unterhalb von 1, 1½ oder 2 Standardabweichungengegen ü ber der Alters- bzw. Klassennorm<strong>und</strong> / oder der (nonverbalen) Intelligenz als lese-rechtschreibgestö rt klassifiziert werden, ergeben sich jeweils andere H ä ufigkeiten.Studien mit einem direkten Vergleich von Kindern ausverschiedenen Schriftsprachregionen mit identischer Falldefinitionsind die Ausnahme. In einem solchen Vergleich fandenLindgren et al. [13] deutliche Unterschiede in der Pr ä valenz der<strong>LRS</strong> zwischen Italien <strong>und</strong> den USA. W ä hrend in Italien 3,6 % derKinder als lese-rechtschreibgest ö rt eingestuft wurden, waren esin den USA mit 7,3 % etwa doppelt so viele. Ob diese Differenzenaber durch Unterschiede in der Transparenz zwischen derlauttreuen italienischen <strong>und</strong> der inkonsistenten englischenSchriftsprache bedingt sind, ist zu bezweifeln. TranskulturelleStudien sprechen daf ü r, dass Unterschiede in den Schulsystemen<strong>und</strong> kulturellen Traditionen einen deutlich st ä rkeren Einflussauf den Erfolg be<strong>im</strong> Erlernen des <strong>Lese</strong>ns <strong>und</strong> Schreibensaus ü ben als Differenzen in der Schriftsprache [14] .Aus neuropsychologischen <strong>und</strong> neurophysiologischen Untersuchungengeht hervor, dass <strong>Lese</strong>-<strong>Rechtschreibst</strong> ö <strong>rung</strong>en in alphabetischen<strong>und</strong> morphemischen Schriftsprachen mit unterschiedlichenBasisdefiziten verb<strong>und</strong>en sind. F ü r <strong>LRS</strong>-Kinder miteiner alphabetischen Schriftsprache sind Schw ä chen bei derLautverarbeitung (phonologische Bewusstheit <strong>im</strong> engeren Sinn)typisch [15 – 17] , f ü r <strong>LRS</strong>-Kinder mit einer morphemischenSchriftsprache hingegen Defizite be<strong>im</strong> Aufruf des Wortklangs alsGanzes <strong>und</strong> der Wortbedeutung [18, 19] . Untersuchungen mitbildgebenden Verfahren ergaben, dass bei <strong>LRS</strong>-Kindern aus demeurop ä ischen Raum be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n eine verminderte Aktivie<strong>rung</strong><strong>im</strong> linken mittleren Schl ä fen- <strong>und</strong> Hinterhauptslappen zu beobachtenist [5] , w ä hrend bei chinesischen <strong>LRS</strong>-Kindern eine reduzierteAktivit ä t <strong>im</strong> linken mittleren Stirnhirn (Region zur Integration<strong>und</strong> Verarbeitung von Informationen <strong>im</strong> verbalen <strong>und</strong>visuell-r ä umlichen Arbeitsged ä chtnis) <strong>und</strong> eine Ver ä nde<strong>rung</strong>des Aktivit ä tsmusters in der rechten Hemisph ä re als charakteris-Suchodoletz Wv. <strong>Lese</strong>-<strong>Rechtschreibst</strong>ö<strong>rung</strong> (<strong>LRS</strong>) … Sprache · St<strong>im</strong>me · Gehör 2007; 31: 1 –6


SSG/697/9.8.2007/MacmillanOriginalarbeit 3tisch anzusehen sind [20] . Die neurobiologischen Korrelate einer<strong>LRS</strong> sind somit schriftsprachspezifisch.Mehrere Studien befassen sich mit der Frage, ob auch zwischen<strong>LRS</strong>-Kindern mit unterschiedlichen alphabetischen Schriftsprachenprinzipielle Unterschiede bestehen. Ziegler et al. [16] kommeninsgesamt zu dem Ergebnis, dass innerhalb alphabetischerSchriftsprachen die Ü bereinst<strong>im</strong>mungen gegen ü ber den Differenzenü berwiegen <strong>und</strong> vermuten deshalb eine einheitlicheGr<strong>und</strong>st ö <strong>rung</strong>. Zwar schneiden <strong>LRS</strong>-Kinder mit inkonsistentenSchriftsprachen in <strong>Lese</strong>tests deutlich schlechter als Kinder mitkonsistenten ab (geringere <strong>Lese</strong>geschwindigkeit, mehr <strong>Lese</strong>fehler),jedoch sind die Differenzen zur Kontrollgruppe in allen inden Vergleich einbezogenen Sprachen gleich gro ß [16] . PhonologischeDefizite wurden bei <strong>LRS</strong>-Kindern aus allen europ ä ischenSchriftsprachregionen nachgewiesen [5, 15, 16] , allerdings in unterschiedlicherAuspr ä gung [17] . Auch unterscheiden sich bei<strong>LRS</strong>-Kindern aus unterschiedlichen europ ä ischen L ä ndern dieHirnregionen mit verminderter Aktivie<strong>rung</strong> be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>prozess[5] bzw. morphologischen Ver ä nde<strong>rung</strong>en der grauen <strong>und</strong> weißenSubstanz [21] nicht nennenswert voneinander (Untersuchungenmit italienischen, franz ö sischen <strong>und</strong> englischen Kindern).<strong>LRS</strong> bei Mehrsprachigkeit&Kinder mit anderer Muttersprache haben in der Schule be<strong>im</strong> Erlernendes <strong>Lese</strong>ns <strong>und</strong> Schreibens h ä ufig Schwierigkeiten. Beiihnen eine <strong>Lese</strong>-<strong>Rechtschreibst</strong> ö <strong>rung</strong> <strong>im</strong> Sinne einer umschriebenenEntwicklungsst ö <strong>rung</strong> von Schriftsprachdefiziten infolgeeines unzureichenden Kontakts zur Zweitsprache abzugrenzen,bereitet in der Praxis erhebliche Probleme.Ein Vergleich des Leistungsprofils von jungen Erwachsenen miteiner <strong>LRS</strong> bzw. mit unzureichendem Zweitspracherwerb zeigte,dass hinsichtlich der Schwierigkeiten be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n <strong>und</strong> Schreibenkeine nennenswerten Unterschiede bestehen. Differenzen fandensich jedoch bei den Vorl ä uferfertigkeiten f ü r den Schriftspracherwerb.Probanden mit einer <strong>LRS</strong> machten mehr Fehlerbei Aufgaben zur phonologischen Bewusstheit <strong>und</strong> zur phonologischenMerkf ä higkeit sowie be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n von Pseudow ö rtern.Umgekehrt waren sie bei Aufgaben zur Benennungsgeschwindigkeitdeutlich besser als die Probanden der Vergleichsgruppeohne Entwicklungsauff ä lligkeiten [22] . Von diesen Erfah<strong>rung</strong>enausgehend entwickelten Smythe <strong>und</strong> Everatt [23] den „ InternationalCognitive Profiling Test – ICPT “ , der eine Differenzie<strong>rung</strong>zwischen <strong>LRS</strong> <strong>und</strong> unzureichender <strong>Lese</strong>f ä higkeit infolge Zweisprachigkeiterm ö glichen soll. Die Testbausteine bestehen ausAufgaben zur phonologischen Bewusstheit, zur auditiven <strong>und</strong>visuellen Differenzie<strong>rung</strong>sf ä higkeit <strong>und</strong> zur Verarbeitungsgeschwindigkeit,d. h., es wurden Vorl ä uferfertigkeiten sowohl f ü runterschiedliche alphabetische als auch f ü r morphemischeSchriftsprachen ber ü cksichtigt. Allerdings liegen bislang kaumpraktische Erfah<strong>rung</strong>en mit diesem Test vor, sodass dessen Treffsicherheitnicht beurteilt werden kann.Eine andere M ö glichkeit zur Abgrenzung von <strong>LRS</strong> <strong>und</strong> Schriftsprachproblemendurch Zweisprachigkeit besteht in einer Ü berprü fung der <strong>Lese</strong>- <strong>und</strong> Rechtschreibleistungen in beiden Sprachen.Minderleistungen in vergleichbarer Auspr ä gung sprechenf ü r eine <strong>LRS</strong> <strong>und</strong> gegen einen unzureichenden Kontakt zurZweitsprache als Ursache der Schulprobleme [24] . Ein solcherVergleich ist aber nur aussagekr ä ftig, wenn die Kinder einenvergleichbaren Unterricht in beiden Schriftsprachen erhaltenhatten, was in der Regel nicht der Fall ist. Hinweise zur differentialdiagnostischenAbgrenzung sind aber auch durch eine Beurteilungder lautsprachlichen Kompetenz in der Muttersprachezu erhalten. Treten in der Zweitsprache <strong>Lese</strong>-Rechtschreibproblemeauf, obwohl ein Kind seine Muttersprache altersentsprechendbeherrscht, dann ist am ehesten von einer zu geringenÜ bung <strong>und</strong> nicht von einer spezifischen Entwicklungsst ö <strong>rung</strong>auszugehen [25] .Besonderheiten der Schriftsprachverarbeitung bei mehrsprachigenPersonen mit <strong>und</strong> ohne <strong>LRS</strong> wurden in einer Studie mitereigniskorrelierten Potentialen (ERP), die w ä hrend des <strong>Lese</strong>nsvon kurzen S ä tzen abgeleitet wurden, deutlich. Hatten die Probanden(bilinguale Erwachsene) eine <strong>LRS</strong> dann waren die ERP-Amplituden f ü r beide Sprachen erniedrigt <strong>und</strong> die Latenzen verlä ngert. Auff ä llig waren die Verteilungsmuster der ERP. Bei Probandenohne Entwicklungsst ö <strong>rung</strong> waren die Quellen derschriftsprachevozierten ERP in beiden Sprachen identisch, w ä h-rend sie be<strong>im</strong> Vorliegen einer <strong>LRS</strong> eine unterschiedliche Hirnlokalisationaufwiesen [26] . Dies spricht daf ü r, dass verschiedeneSchriftsprachen in der Regel in den gleichen, bei Kindern bzw.Erwachsenen mit einer <strong>LRS</strong> aber in unterschiedlichen Hirnregionenverarbeitet werden.Aus den bisherigen Studien lassen sich somit M ö glichkeiten zurdifferentialdiagnostischen Abgrenzung von <strong>LRS</strong> <strong>und</strong> unzureichenderF ö rde<strong>rung</strong> bei bilingualen Kindern ableiten. F ü r eine<strong>LRS</strong> sprechen Defizite in der Laut- bzw. Schriftsprache in beidenSprachen, erhebliche Schw ä chen be<strong>im</strong> Pseudowortlesen <strong>und</strong>der phonologischen Bewusstheit <strong>und</strong> nur geringe Defizite beider Verarbeitungsgeschwindigkeit. Ü berpr ü fte Verfahren zurDifferentialdiagnostik stehen bislang aber nicht zur Verf ü gung.<strong>LRS</strong> <strong>und</strong> Fremdsprachenunterricht&Um die Auswirkungen einer <strong>LRS</strong> auf das Erlernen einer Fremdsprachezu verstehen, sind Kenntnisse ü ber die Faktoren, vondenen der Erfolg <strong>im</strong> Fremdsprachenunterricht bei unauff ä lligentwickelten Kindern abh ä ngig ist, erforderlich. Untersuchungenaltersgerecht entwickelter Sch ü ler ergaben signifikante Korrelationenzwischen Leistungen be<strong>im</strong> korrekten Nachsprechen bzw.Schreiben von Pseudow ö rtern <strong>und</strong> der F ä higkeit zum Erlernenneuer Vokabeln [27] . Auch lie ß en sich Beziehungen zwischenformalen Sprachleistungen sowie der phonologischen Bewusstheitin der Muttersprache <strong>und</strong> der <strong>Lese</strong>leistung in der Fremdsprachenachweisen [28, 29] . Als guter Pr ä diktor f ü r das <strong>Lese</strong>-Rechtschreibniveau in der Fremdsprache zum Ende der Schulzeiterwies sich die <strong>Lese</strong>- <strong>und</strong> Rechtschreibf ä higkeit in der Muttersprachein der ersten Klasse. Wie kompetent eine Fremdsprachetats ä chlich eingesetzt wird, wird allerdings am besten durchdie nonverbale Intelligenz eines Kindes vorhersagt [30] .Die wichtigsten Pr ä diktoren f ü r den Erfolg <strong>im</strong> Fremdsprachenunterrichtsind somit laut- <strong>und</strong> schriftsprachliche F ä higkeiten inder Muttersprache. Die Art der Muttersprache hingegen ist ohnewesentliche Relevanz [14] d. h., dass z. B. chinesischen Migrantenkinderndas Erlernen der deutschen Schriftsprache nichtschwerer f ä llt als russischen oder t ü rkischen.Be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n <strong>und</strong> Schreiben in einer Fremdsprache werden diegleichen Strategien eingesetzt wie in der Muttersprache. Tanet al. [31] konnten mit der funktionellen Magnetresonanz-Tomographiezeigen, dass bei englischen Probanden eine phonologischeAnalyse be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n mit einer Aktivie<strong>rung</strong> der linken unterenStirnhirn- <strong>und</strong> der mittleren Schl ä fenregion einhergeht.Suchodoletz Wv. <strong>Lese</strong>-<strong>Rechtschreibst</strong>ö<strong>rung</strong> (<strong>LRS</strong>) … Sprache · St<strong>im</strong>me · Gehör 2007; 31: 1 –6


4OriginalarbeitSSG/697/9.8.2007/MacmillanBei chinesischen Probanden hingegen wurde be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n englischerW ö rter eine Aktivie<strong>rung</strong> in der mittleren Stirnhirnregion<strong>und</strong> der Hinterhauptsregion beobachtet, einem Aktivie<strong>rung</strong>smusterwie es f ü r die Analyse chinesischer Schriftzeichen charakteristischist.Aus den Erfah<strong>rung</strong>en mit unauff ä lligen Kindern <strong>und</strong> Erwachsenen,dass ein enger Zusammenhang zwischen den F ä higkeitenin der Muttersprache <strong>und</strong> dem Erfolg be<strong>im</strong> Fremdsprachenerwerbbesteht, zog Sparks [32] den Schluss, dass Schwierigkeitenbe<strong>im</strong> Erlernen einer Fremdsprache Folge von offenenoder verdeckten Problemen in der Muttersprache sind (LinguisticCoding Differences Hypothesis – LCDH). Die Existenz einer„ Fremdsprachen-<strong>LRS</strong> “ , d. h. einer umschriebenen Schw ä chebe<strong>im</strong> Erwerb einer Zweitsprache ohne Schw ä chen in der Muttersprache,wie sie <strong>im</strong>mer wieder diskutiert wird, wird bezweifelt.Dass nicht nur bei unauff ä lliger Entwicklung, sondern auch be<strong>im</strong>Vorliegen einer <strong>Lese</strong>-<strong>Rechtschreibst</strong> ö <strong>rung</strong> eine enge Beziehungzwischen Leistungen in der Mutter- <strong>und</strong> der Fremdsprache besteht,konnte durch Romonath et al. [33] nachgewiesen werden.Bei Jugendlichen <strong>und</strong> jungen Erwachsenen mit einer <strong>LRS</strong> fandensich ä hnlich hohe Korrelationen zwischen den <strong>Lese</strong>- <strong>und</strong> Rechtschreibleistungenin beiden Sprachen (r = 0,79 – 0,88) wie bei denKontrollpersonen ohne Entwicklungsauff ä lligkeiten.Der Annahme einer generellen Ü bereinst<strong>im</strong>mung zwischenSchwierigkeiten be<strong>im</strong> Schriftspracherwerb in der Mutter- <strong>und</strong>der Fremdsprache steht allerdings die Erfah<strong>rung</strong> gegen ü ber,dass nicht jedes <strong>LRS</strong>-Kind <strong>im</strong> Fremdsprachenunterricht versagt.Aus der Literatur sind Einzelf ä lle bekannt, dass Kinder mit einerschweren <strong>LRS</strong> eine Fremdsprache unauff ä llig erwerben konnten[34, 35] . Solche Beispiele sind allerdings die Ausnahmen. In derRegel ist davon auszugehen, dass Schwierigkeiten be<strong>im</strong> Schriftspracherwerbin der Mutter- <strong>und</strong> in Fremdsprachen in ä hnlicherAuspr ä gung auftreten, wenn die Lernst ö <strong>rung</strong> Folge einer <strong>LRS</strong> <strong>im</strong>Sinne einer umschriebenen Entwicklungsst ö <strong>rung</strong> ist.Probleme be<strong>im</strong> Fremdsprachenerwerb betreffen bei <strong>LRS</strong>-Kinderndas <strong>Lese</strong>n, das Rechtschreiben <strong>und</strong> das Erlernen grammatischerRegeln, w ä hrend das Lernen neuer Vokabeln wenigerschwer f ä llt [28] . Die Art der Fehler, die den Kindern unterlaufen,sind nicht <strong>LRS</strong>-spezifisch. Sie entsprechen denen unauff ä lligentwickelter Kinder, treten aber sehr viel h ä ufiger <strong>und</strong> wesentlichl ä nger auf.Da bei <strong>LRS</strong>-Kindern Probleme be<strong>im</strong> Erlernen einer neuen Sprachezu erwarten sind, bed ü rfen sie <strong>im</strong> Fremdsprachenunterrichteiner ä hnlichen Unterst ü tzung wie <strong>im</strong> Deutschunterricht. In denLegasthenie-Erlassen einiger B<strong>und</strong>esl ä nder ist deshalb festgeschrieben,dass <strong>LRS</strong>-Kindern <strong>im</strong> Fremdsprachenunterricht einvergleichbarer Nachteilsausgleich wie <strong>im</strong> Deutschunterricht zugew ä hren ist. Spezifische F ö rderprogramme wurden bislangaber nicht entwickelt. Empfehlungen f ü r die Unterst ü tzung von<strong>LRS</strong>-Kindern be<strong>im</strong> Fremdsprachenerwerb sind ü berwiegend unspezifischeRatschl ä ge, die auch f ü r den Umgang mit anderweitiglernschwachen Kindern gelten. So wird u. a. auf die Notwendigkeiteiner guten Strukturie<strong>rung</strong> des Unterrichts, eines systematischenVorgehens, einer Untergliede<strong>rung</strong> in kleine Schritte,h ä ufiger Wiederholungen, der Einbeziehung mehrerer Sinnesmodalitä ten sowie positiver R ü ckmeldungen hingewiesen[36 – 37] . F ü r den Fremdsprachenerwerb spezifischer sind die in Tab. 1 aufgef ü hrten unterrichtsdidaktischen Ratschl ä ge.Hilfreich k ö nnen auch Hinweise einer franz ö sischen Sprachtherapeutin[38] sein, die ihre eigenen <strong>LRS</strong>-Erfah<strong>rung</strong>en in Empfehlungenf ü r Betroffene zusammengefasst hat ( Tab. 2 ).Tab. 1 Empfehlungen f ü r den Fremdsprachenunterricht– Vermeidung der Lautschrift– Erkl ä <strong>rung</strong>en in der Muttersprache– Vermittlung des Schreibens <strong>und</strong> Aussprechens neuer W ö rter ingetrennten Schritten– Vermittlung metakognitiver StrategienTab. 2 Ratschl ä ge f ü r Kinder mit einer <strong>LRS</strong> f ü r den Fremdsprachenerwerb [37]– Fremdsprachen erst dann lernen, wenn es unvermeidbar ist– Dre<strong>im</strong>al so viel Zeit <strong>und</strong> h ä ufiges Wiederholen einplanen– Lernstoff schon vorbereiten, bevor dieser <strong>im</strong> Unterricht behandelt wird– Betonung, Beispiele, Eselsbrücken <strong>und</strong> Instruktionen sorgfältig protokollieren– unlogisch erscheinende Regeln der Fremdsprache ohne Rebellionakzeptieren– zentrale Regeln auf einem Blatt zusammenfassen <strong>und</strong> visualisieren– ständiges Wiederholen wichtiger Regeln– Computerlernprogramme nutzenIn der Betreuungspraxis wird von Eltern h ä ufig die Frage gestellt,welche Fremdsprache f ü r ihr <strong>LRS</strong>-Kind besonders geeignet sei.Obwohl es sich um ein Problem, vor das alle <strong>LRS</strong>-Kinder fr ü heroder sp ä ter gestellt werden, handelt, gibt es bislang keine empirischenStudien, die sich mit dieser Frage ausf ü hrlicher befassth ä tten <strong>und</strong> deren Ergebnisse eine Entscheidungshilfe seink ö nnten. Eine Beratung der Kinder <strong>und</strong> Eltern muss sich auf <strong>im</strong>Schulalltag gesammelte Erfah<strong>rung</strong>en <strong>und</strong> auf theoretische Ü berlegungenst ü tzen, die von den besonderen Anforde<strong>rung</strong>en einerSprache ausgehen.Am h ä ufigsten werden an deutschen Schulen Englisch, Franz ö -sisch <strong>und</strong> Latein gelehrt. Hinsichtlich des Englischen ist zu bedenken,dass es wenig lauttreu ist <strong>und</strong> hohe Anforde<strong>rung</strong>en andie orthographische Bewusstheit stellt. Franz ö sisch ist gleichfallswenig transparent <strong>und</strong> erfordert wegen sehr ä hnlich klingenderLaute eine gute Lautdifferenzie<strong>rung</strong>sf ä higkeit <strong>und</strong> zudemeine hohe grammatische Kompetenz, da sich mancheSchreibung aus grammatischen Beziehungen, die nicht herauszuhö ren sind, ergibt. Latein ist zwar sehr lauttreu, verlangtaber eine exakte <strong>Lese</strong>f ä higkeit (Sinn ä nde<strong>rung</strong> schon bei min<strong>im</strong>alerVerschiebung der Buchstabenfolge) <strong>und</strong> ein Verst ä ndnisf ü r abstrakte grammatische Zusammenh ä nge, das erst in h ö -heren Schulklassen zu erwarten ist. Als zus ä tzlich erschwerendsind wenig Kontextunterst ü tzung <strong>und</strong> das weitgehende Fehlendes Lernens in Kommunikationssituationen zu nennen.Eine f ü r alle <strong>LRS</strong>-Kinder besonders gut geeignete Fremdsprachegibt es also nicht. Die Entscheidung muss nach pragmatischenGesichtspunkten (Bedeutsamkeit der Sprache f ü r die sp ä tereBerufswahl, Fremdsprachenangebot einer Schule mit Verständnis für lese-rechtschreibgestö rte Kinder u. a.) <strong>und</strong> nach denindividuellen St ä rken <strong>und</strong> Schw ä chen des Kindes getroffen werden.Generell l ä sst sich allenfalls sagen, dass Englisch wegen derAlltagsrelevanz <strong>und</strong> der M ö glichkeit, durch Kommunikation zulernen, als erste Fremdsprache auch f ü r <strong>LRS</strong>-Kinder in der Regeldie sinnvollste Wahl ist.Fazit&Unser derzeitiges Wissen ü ber Gemeinsamkeiten <strong>und</strong> Unterschiedeeiner <strong>Lese</strong>-<strong>Rechtschreibst</strong> ö <strong>rung</strong> in unterschiedlichenSprachsystemen ist begrenzt. Ob eine <strong>LRS</strong> auf einer in allen Sprachenidentischen Gr<strong>und</strong>st ö <strong>rung</strong> beruht oder ob es kulturspezi-Suchodoletz Wv. <strong>Lese</strong>-<strong>Rechtschreibst</strong>ö<strong>rung</strong> (<strong>LRS</strong>) … Sprache · St<strong>im</strong>me · Gehör 2007; 31: 1 –6


SSG/697/9.8.2007/MacmillanOriginalarbeit 5fische <strong>LRS</strong>-Formen gibt, ist umstritten. Zumindest in der Symptomatikunterscheiden sich <strong>LRS</strong>-Kinder aus unterschiedlichenSprachregionen nicht unerheblich.F ü r die Praxis besonders bedeutsam sind <strong>Lese</strong>- <strong>und</strong> Rechtschreibprobleme<strong>im</strong> Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit. BisherigeEmpfehlungen zur Diagnostik <strong>und</strong> F ö rde<strong>rung</strong> von bilingualenKindern mit Schriftsprachproblemen beruhen ü berwiegendauf Erfah<strong>rung</strong>swissen aus unsystematischer Beobachtung.Die Entwicklung ü berpr ü fter diagnostischer Instrumente, umeine <strong>LRS</strong> <strong>im</strong> Sinne einer umschriebenen Entwicklungsst ö <strong>rung</strong>von Schriftsprachproblemen infolge ungen ü gender Sprachkontakteausreichend sicher abgrenzen zu k ö nnen, steht noch aus.Ratschläge fü r den Fremdsprachenunterricht zum Umgang mitlese-rechtschreibgest ö rten Kindern beruhen auf theoretischenÜ berlegungen <strong>und</strong> praktischer Erfah<strong>rung</strong>. Es fehlen empirischbegr ü ndete Empfehlungen f ü r <strong>LRS</strong>-Kinder zur Wahl einerFremdsprache <strong>und</strong> evaluierte <strong>LRS</strong>-F ö rderprogramme f ü r denFremdsprachenerwerb.Obwohl die <strong>LRS</strong> seit ü ber 100 Jahren in unterschiedlichen FachdisziplinenForschungsgegenstand ist, besteht zu Fragen von <strong>LRS</strong><strong>und</strong> Mehrsprachigkeit <strong>im</strong>mer noch ein erheblicher Forschungsbedarf.Lernziel&Kenntnisse ü ber M ö glichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der <strong>LRS</strong>-Diagnostikbei mehrsprachig aufwachsenden Kindern <strong>und</strong> ü ber Gr<strong>und</strong>prinzipiender Beratung von <strong>LRS</strong>-Kindern <strong>und</strong> deren Eltern hinsichtlichdes Fremdsprachenunterrichts.Fragen zur Selbstkontrolle&1. Hirnaktivie<strong>rung</strong> be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n in unterschiedlichen Schriftsprachena) Be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n werden in allen Schriftsprachen die gleichenHirnregionen aktiviertb) Be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n werden in allen Schriftsprachen ausschlie ß lichHirnregionen der linken Hemisph ä re aktiviertc) Be<strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n werden in alphabetischen <strong>und</strong> morphemischenSchriftsprachen unterschiedliche, innerhalb der Schriftsprachfamilienaber die gleichen Hirnregionen aktiviertd) Jede Schriftsprache f ü hrt zu einer Aktivie<strong>rung</strong> jeweils anderer,sprachspezifischer Hirnregionenrichtig: c2. Vorl ä uferfertigkeiten f ü r den Schriftspracherwerba) Eine Vorhersage des Erfolgs be<strong>im</strong> Schriftspracherwerb istgr<strong>und</strong>s ä tzlich nicht m ö glichb) Eine Vorhersage des Erfolgs be<strong>im</strong> Schriftspracherwerb istnur in alphabetischen Schriftsprachen m ö glichc) Die phonologische Bewusstheit ist in allen Schriftsprachenein Pr ä diktor f ü r den Erfolg be<strong>im</strong> Schriftspracherwerbd) Pr ä diktoren f ü r den Erfolg be<strong>im</strong> Schriftspracherwerb sindin alphabetischen <strong>und</strong> morphemischen Schriftsprachenunterschiedlichrichtig: d3. Schwierigkeitsgrad be<strong>im</strong> Erwerb einer Schriftsprachea) Der Erwerb der Schriftsprache ist in allen Sprachen gleichschwierigb) Der Erlernen einer lauttreuen Schriftsprache f ä llt leichter<strong>und</strong> erfolgt schneller als der Erwerb einer intransparentenc) <strong>Lese</strong>kompetenz am Ende der Schulzeit steht mit der Art dererworbenen Schriftsprache in Beziehungd) <strong>Lese</strong>kompetenz am Ende der Schulzeit steht mit kulturellenTraditionen, dem Schulsystem u. a., nicht aber mitder Art der Schriftsprache in Beziehungrichtig: b, d4. <strong>LRS</strong>-Diagnostik bei bilingualen Kinderna) <strong>LRS</strong> <strong>und</strong> Schwierigkeiten be<strong>im</strong> Schriftspracherwerb infolgeeines unzureichenden Kontakts zur Zielsprache lassen sichdifferentialdiagnostisch nicht voneinander abgrenzenb) Zur differentialdiagnostischen Abgrenzung kann eine Untersuchungvon Vorl ä uferfertigkeiten des Schriftspracherwerbsbeitragenc) Zur differentialdiagnostischen Abgrenzung kann eine Beurteilungder F ä higkeiten in der Muttersprache beitragend) Nur durch eine Beurteilung der F ä higkeiten <strong>im</strong> <strong>Lese</strong>n <strong>und</strong>Rechtschreiben in der Muttersprache ist eine differentialdiagnostischeAbgrenzung m ö glichrichtig: b, c5. Kinder mit einer <strong>LRS</strong> <strong>im</strong> Fremdsprachenunterrichta) Der Erfolg <strong>im</strong> Fremdsprachenunterricht ist unabh ä ngigvom Vorliegen einer <strong>LRS</strong>b) Schwierigkeiten <strong>im</strong> Fremdsprachenunterricht treten bei<strong>LRS</strong>-Kindern etwas h ä ufiger aufc) Fast alle Kinder mit einer <strong>LRS</strong> haben auch <strong>im</strong> FremdsprachenunterrichtProblemed) Kinder mit einer <strong>LRS</strong> sollten m ö glichst Latein als Fremdsprachew ä hlen, da Latein besonders logisch aufgebaut iste) Keine der an deutschen Schulen h ä ufig angebotenenFremdsprachen ist gegen ü ber anderen den Kindern miteiner <strong>LRS</strong> generell zu empfehlenrichtig: c, eLiteratur1 Peer L , Reid G (eds). Multilingualism, literacy and dyslexia: A challengefor educators . London, David Fulton Publishers 20002 Helmuth L . Dyslexia. Same Brains, Different Languages . 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